N'EDI.
RAN8FER
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Geheime Gesellschaften,
Geheimbunde und Geheimlehren.
, Von
Charles William Heckethorn.
Autorisierte deutsche Ausgabe,
bearbeitet von
, LEOPOLD KÄTSCHER.
in Ur*.unschwcig
LEIPZIG 1900
RENGERSCHE BUCHHANDLUNG
CEBHARIJT & WILISCH.
-1 M-
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HARVARD
luNiVERSlTY
LIBRARY
JUN 25 1957
Druck von Hugo Wilisch in Chemniu.
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Vorbemerkungen des Bearbeiters.
Jahrzehntelang beschäftigte der anziehende Gegenstand dieses
Buches die Aufmerksamkeit des bekannten englischen Schriftstellers
Heckethorn. Es hatte für ihn einen eigentümlichen Reiz, die
zahlreichen, zum Teil sehr schwer zugänglichen Quellen über
die verschiedenartigsten geheimen Verbindungen etc. aller Länder
und Zeiten zu erforschen. Endlich entschlofs er sich, die Er-
gebnisse seiner Studien in dem vorliegenden Werk niederzulegen,
dessen zweite, gründlich umgearbeitete Auflage ich hiermit in
freier Verdeutschung darbiete. Wir haben es da mit einer sehr
verdienstlichen Arbeit zu thun, denn sie zeichnet sich nicht nur
durch wohlthuende Objektivität der Darstellung aus, sondern bildet
auch die bislang zusammenfassendste und ausführlichste Darstellung
eines Stoffes, welcher angesichts des allgemein herrschenden
Interesses für die Geheimnisthuerei den weitesten Kreisen entgegen-
kommt. Des Verfassers Arbeit war mühsam und gewissenhaft, seine
Zusammenstellung ist sorgfältig, sein Ton fast durchweg mafsvoll,
seine Gelehrsamkeit ebenso grofs wie seine Belesenheit. In letzterer
Beziehung sei auf das ungemein reiche Quellenverzeichnis hin-
gewiesen. Dieses Verzeichnis hat es dem Autor und dem Be-
arbeiter ermöglicht, den Leser mit der nur zu üblichen Fülle von
Fufsnoten und bibliographischen Verweisungen zu verschonen.
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IV
Vorwort.
Was die Auswahl der aufgenoinmenen Gesellschaften u. s. w.
betrifft, so fehlt wohl kaum etwas, worüber Heckethorn sich über-
haupt Aufschlüsse verschaffen konnte, wenngleich dieselben zu-
weilen, wie das ja in der Natur der Sache liegt, nicht sehr ein-
gehend sind. Von den bestehenden Vereinigungen erscheinen
alle eingereiht, die entweder an sich geheim sind oder, wenn
bekannt, geheime Riten und Zeremonien oder geheime Zeichen
und Worte haben oder geheime Lehren predigen oder ein geheimes
Verfahren besitzen. Deshalb werden z. B. auch die Alchimisten,
die Inquisition, der Jesuitenorden u. dgl. m. behandelt.
Obschon Heckethoms Buch zweifellos das »Standard work"
über den Gegenstand ist, bringt es der letztere mit sich, dafs es nicht
an Irrtümern fehlt; soweit ich konnte, habe ich dieselben teils im
Text, teils im »Anhang11 richtig gestellt. Dies sowohl, als auch ge-
wisse Breiten der Darstellung und Schärfen im Meinungsausdruck
haben manche redaktionelle Änderung bei der Verdeutschung
nötig gemacht; desgleichen die Rücksichtnahme auf die neuesten
Daten und Ereignisse, sowie auf das Verständnis des deutschen
Lesers. Selbstverständlich mufste ich insbesondere die lediglich
für das englische Publikum berechneten Stellen kürzen, zuweilen
auch weglassen und dafür den im Originalwerk etwas stiefmütter-
lich bedachten deutschen Verhältnissen mehr Raum widmen. Dies
gilt namentlich von den Partien über die Freimaurerei, wo ich nicht
nur viele einzelne Daten etc., vornehmlich aus den letzten Jahren,
sondern auch ein ganzes Kapitel (»Deutsches und Nachträge")
eingeschaltet habe. Bei dieser Gelegenheit sei nebenbei bemerkt,
dafs das strenge Urteil des Verfassers über die moderne Freimaurerei
sich in erster Reihe auf die englische und erst in allerletzter —
wenn überhaupt - auf die deutsche Maurerei bezieht.
Wesentliche, d. h. die Anschauungen des Autors betreffende
Änderungen habe ich nicht vorgenommen. Dagegen hielt ich
es stellenweise für Gewissenspflicht, die Einteilung und Anordnung
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Vorwort.
V
des Stoffes erheblich abzuändern und die Daten bis zur neuesten
Zeit zu ergänzen. Bei meinen Richtigstellungen von Angaben
und bei meinen Ergänzungen gebe ich, wo sie nicht auf eigener
Kenntnis beruhen oder von Heckethorn der mir in dankens-
werter Weise an die Hand gegangen ist — herrühren, meine
Quellen an. Ich hoffe, durch die Art meiner Bearbeitung die
ohnehin grofse Nützlichkeit des Buches noch beträchtlich gesteigert
zu haben ; freilich dürfte mir kaum gelungen sein, es gänzlich von
thatsächlichen Unrichtigkeiten zu befreien. Bei so »geheimen“
Stoffen halte ich das überhaupt für unmöglich und daher rechne
ich für den Verfasser und für mich auf ein reiches Mals von
Nachsicht — wir haben unser Möglichstes gethan.
Ende Februar 1 900.
Leopold Kätscher.
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Inhalts -Verzeichnis.
Vorwort des Bearbeiters . ^
Einleitung des Verfassers . .
LU
1
Fünftes Buch:
Ketzer und Ritter.
Erstes Buch:
Alte Mysterien.
Ketzer (Albigenser, Katharen,
Waldenser. Troubadours
etc.)
113
Die Magier und der Zoroastris-
mus
Militär und Religion (Kitter)
120
17
Die Tempelherren I " " —
122
Die Milhrasanbcter . . . .
?5
BrahminenundOymnosophisten
26
Sechstes Buch:
Die ägyptischen Mysterien . .
33
Geheimgerichte.
Krata Kepoa
40
Wandlungen der Isis-Legende .
46
Die heilige Feme (Westfalen)
133
Chinesische und lapanischeMys-
terien
31
Die Beatt Raoli (Sicilien) . .
Die Inouisition 7 7 7 T
~TT7
TJÜ
Mexikanische und peruvianische
Mysterien
54
Der Ku-Klux-Klan (Verein.
Staaten)
152
Die Druiden
59
Skandinavische Mysterien . .
63
Siebentes Buch:
Zweites Buch:
F.manationisten.
Mystiker.
Die Alchimisten
157
Die Kabbala
69
akob Böhme
161
Die Söhne der Witwe ... 74
imamiel Swedenborg . ! .
16.5
78
Der Mnrtinismus . . . „
_LH>
Die Fssener Kl
Rosen kreuzer . , , , *
171
Asiatische Briider ....
182
Drittes Buch:
Christliche Mysterien.
Die Mysterien
87
Achtes Buch:
Gesellschaftsfeindliche Ver-
einigungen.
Die Apokalypse
90
Viertes Buch:
Die Thugs (Indien) ....
191
Die Brenner (Frankreich! . T”
196
Ischmaeliten.
Die Garduna (Spanien) . .
201
Die Camorra (Neapel) . . .
20/
Die Weisheitsloge (Afrika) . .
95
Die Mala Vita (Neapel) . .
216
Die Assassinen . , , , ,
98
Die Matia (Sicilien) . . ! .
217
Die Roschenia (Afghanistan) .
103
Bettler . Strolche und Diebe
221
Die Drusen (Syrien und Agyp-
Die Jesuiten
223
teil)
105
Die Skopzen (Ku Island) 7 —
228
Die Derwische . . .
Hi)
Die Mucker (Deutschland)
235
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I n hal ts -Verzei ch n is.
VII
Neuntes Buch:
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
Der Wilhelmsbader Konvent
Unter den Napoleons und der
Restauration
434
Die Illuminaten
241
Die Freimaurerei in Italien
441
Die Deutsche Union . . .
250
Cagliostro und die ägyptische
Maurerei
Französische Gesellen-Verhin-
446
düngen
251
Adoptionslogen und zweige-
Deutsche Qesellen-Verhimhm-
schlechtTge Maurerei . .
449
gen
Schismatische Riten und Sekten
456
Deutsche Studenten .
265
Verbreitung und jetziger Stand
Verfolgungen
4 59
463
Zehntes Buch:
Deutsches und Nachträge
468
Politische Geheimgesellschaften.
Chinesische Geheimgescllschaf-
ten ........ 211
Die Zwecklosigkeit der mo-
dernen Freimaurerei ~ .
Zwölftes Buch:
JiJ
Die Comuneros (Spanien)
Die Hetairia (Griechenland) .
Die ( jrbonari . 7 7 7 7 T
278
281
291
Verschiedene andere Vereinigungen.
A-B-C-Freunde 477
Moselklub und Tugendbund
Abeliten . , . . . . .
(Deutschland) ....
Der Babismus (Persien) . .
308
Accoltellatori ....
477
312
Akademie der Alten . .
478
Die Nihilisten (Rufsland) . .
318
Almusseri , . . . . .
_zLZS
Allerlei italienischef iesellschaf-
Anarchisten
47*i
ten
Antifreimaurerische Partei
4 <80
Irische Gesellschaften . .
350
Antifreimaurer
481
Napoleonische und antinapo-
Apokalypsen-Ritter ....
4SI
leonische ( iesellschaften
3hl
Arbeitsntter
481
Allerlei französische Gesell-
Areoiten . ...
489
schäften (19. lahrhundert)
Die Internationale ...
365
Belly Paaro
483
370
*ockreiter
"TKT
Slawische Gesellschaften . .
370
Cambridger Gehei mgesellschaf t
4S4
Türkische und armenische Ge-
Cougourde
485
Seilschaften
3X4
Die Dreizehn
485
Duk-Duk
485
Elftes Buch:
Die Freimaurerei.
Egbo-Gesellschaft (Obeah)
Erlösunesorden .....
486
486
Fraticelh
486
Die Tempellegende ....
389
Grofse Armee der Republik .
487
Überlieferte und wahre Ge-
Grüne Insel
487
schichte
393
Hanfraurher
487
Riten und Grade
397
Hampari
Gebräuche und Logen . . .
399
Heldin von lericho ....
488
Lin weihungszeremonien . .
403
Huseanawer 7~
_j!S9
Royal Arch
411
Indianische Gesellschaften
Grofsbautneister
_jLLJ
Die läger
491
Ritter von Kadosch . .
416
ehu-Gcsellschaft
491
Prinz von Rose-Croix (Adler-
<alifornische Gesellschaft . .
49?
Ritter)
419
Karpokratier
492
Misraim- und Memphis-Ritus
422
Klo ibergoll 7 7 7 7 7 T~
492
Das Klerikal der I empelherren
424
Know-Nothings
493
Die Freimaurerei in irofshri-
Kumaische Mysterien . . .
ludlamshöhle
493
tannien und Frankreich .
42.8
493
Clermontsches Hochkapitel,
Magierorden
494
strikte und laxe () iser-
Maharadschas
494
vanz , „ , . , .
_tu
Mano Negra
494
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VIII
I nhal ts -Verzeich nis.
Melanesische Gesellschaften .
495
Sonderbare Gesellen . . .
507
Menschliche Leoparden . .
496
Sophisier
507
Minas
497
Stern von Bethlehem . . .
507
Moderne Druiden . . . .
497
Tabakologische Gesellschaft .
508
Miimhn-Dsrhnmhn . _
49S
leppa . . . . . . T”
“3W
Odd Fellows , , , . .
jas
Idieosophen
511
O-Kih-Pa
499
Utopia (All-Schlaralha) . —
S 1 3
Pantheisten
499
Vendieatori . . . .
51 5
Patriotischer Orden der Söhne
Verrückte Ratsherren . . .
513
Amerikas
500
Wahahis
513
Phi-Beta-Kappa
500
Wiedergeburt. alleemeine . .
514
Phintiasritter
501
Anhang:
Pi leer
501
Portueiesische Gesellschaften
50 t
I. Nachträge des Herausgebers:
Purrah . . . . , . . _
1. Mexikanische Mysterien
517
Rehekkaiten
503
2. Gnostiker u. Ketzer
517
Ritterorden ....
so*
3. Marti nisnius ....
51 S
Rothäute . . . . . . . _
404
4. Freimaurerei in England
518
Salpeterer
504
5~~ Gamorra und Mafia .
_ilä
Sic l- Fanatiker
505
II. Quellenverzeichnis . . .
.525
Silberkreis-Ritter . , _
506
III. Sachregister
536
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Einleitung.
Einteilung. — Religiöse Gesellschaften. — Politische Gesellschaften. —
Ziele der letzteren. — Der vollkommenste Menschentypus. — Ursachen
der hohen geistigen Entwicklung. — Urkultur. — Die wahren Lehren von
Natur und Dasein. — Die grundlegenden Prinzipien der wahren Er-
kenntnis im Besitz der Alten. — Die mystische Lehre. — Verlust der
wahren Erkenntnis. — Ursprünglicher Geist der Mysterien. — Ergebnisse
ihres Verfalls. — Ihre astronomischen Seiten. — Ihr düsterer Charakter.
— Einheitlichkeit der Dogmen. — Jetzige Überflüssigkeit der geheimen
Gesellschaften.
Die geheimen Gesellschaften lassen sich in folgende Gruppen
teilen: 1. religiöse, wie z. B. die eleusinischen oder die ägyp-
tischen Mysterien; 2. militärische, wie die Tempelherren; 3. gericht-
liche, z. B. die Vehmgerichte; 4. wissenschaftliche, wie die Al-
chemisten; 5. bürgerliche (Freimaurerei etc.); 6. politische (Car-
bonari u. dgl.) ; 7. gesellschaftsfeindliche, wie die Garduna. Doch
läfst sich die Grenze nicht immer genau ziehen: die politischen
Vereinigungen z. B. müssen notwendig das bürgerliche Leben
beeinflussen und manche wissenschaftlichen namentlich die
Rosenkreuzer — befafsten sich auch mit Gotteslehre. Es ist
daher praktischer, die geheimen Gesellschaften blofs in zwei
Hauptgruppen zu teilen: in religiöse und politische.
Geheimgesellschaften religiöser Art kannte schon die älteste
Geschichte. Solche entstanden zuerst in einer Zeit, da die von
den Urmenschen besessene wahre religiöse Erkenntnis (d. h. die
Kenntnis der Beschaffenheit des Weltalls, der ewigen Schöpfer-
kraft und der natürlichen Weltgesetze) bei der Mehrheit der
Menschen in Verfall zu geraten begann. Die wahre Erkenntnis
erhielt sich grofsenteils in den alten „Mysterien". Freilich waren
diese bereits einigermaßen geringerwertig als die ursprüngliche
Naturweisheit, denn sie stellten nur die Erscheinungen der äufseren,
zeitlichen Natur dar, nicht mehr die Wirklichkeiten der inneren,
ewigen Natur, deren äufserliche Kundgebung das sichtbare Welt-
all ist.
Heckethorn-Katscher, Geheim blinde u. Gehcimlehren. 1
4
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Einleitung.
Die Geheirngesellschaften politischer Richtung dienten ihrer
Zeit als ntäfsigende Elemente und Sicherheitsventile und der Zu-
kunft als mächtige Hebel. Ohne sie würde die Gewaltherrschaft
in der gesamten Weltgeschichte allmächtig gewesen sein; auch
würde sie kein Ziel und keine Wirkung gehabt haben, wenn sie
nicht den menschlichen Willen zum Widerstand aufgestachelt hätte.
Jede geheime Gesellschaft ist ein Ergebnis angesammelter,
festgelegter Überlegung, folglich eine That des Gewissens. Man
kann sagen, dafs diese Gesellschaften in der Geschichte einiger-
mafsen den Ausdruck des Gewissens bilden, denn jedermann
wohnt ein Etwas inne, das zu ihm gehört, sich aber aufserhalb
seiner Person zu befinden scheint. Dieses dunkle Etwas ist
stärker als er; deshalb kann er sich nicht gegen dessen Herrschaft
auflehnen oder sich demselben irgendwie entziehen. Dieses
Etwas ist unantastbar. Der Dolch des Mörders, das Beil des
Henkers kann es nicht erreichen; es läfst sich durch Gebete nicht
erweichen, durch Lockungen nicht verführen, durch Drohungen
nicht schrecken. Es ruft in uns eine Zweiheit hervor, die sich
in Gestalt von Gewissensbissen fühlbar macht. Der tugendhafte
Mensch lebt in Seelenfrieden und wird von jenem geheimnis-
vollen Etwas nicht gequält. Wer aber Übles thut, dessen
besserer Teil lehnt sich gegen das Üble auf. Nun denn, die
Geheimgesellschaften drücken diese Zweiheit im grofsen aus: in
ihrer Anwendung auf ganze Völker; sie sind in der Politik jenes
dunkle Etwas, das auf das öffentliche Gewissen einwirkt und
rächende, reinigende Gewissensbisse erzeugt, die niemand sieht,
die aber jedermann fühlen kann — wie ein unsichtbarer, weit
entfernter Himmelskörper, dessen Licht unser Auge wahrzu-
nehmen vermag.
Thatsächlich entstehen viele Geheimgesellschaften durch den
Wunsch nach Rache, aber edler oder weiser Rache, welche, wohl
zu unterscheiden von persönlichem Groll, nicht Personen, sondern
Einrichtungen und Ideen zu treffen und zu bestrafen sucht. Wir
haben es da mit jener grofsartigen , vom Vater auf den Sohn
vererbten, frommen Volksrache zu thun, die den Hafs heiligt,
die Verantwortlichkeit des Menschen vergrößert und seinen
Charakter erhöht. Ja, es giebt einen berechtigten und not-
wendigen Hafs, der die Völker zu retten pflegt den Hafs
gegen das Böse. Wehe dem Volk, das die Heuchelei, die Un-
duldsamkeit, die Knechtschaft und den Aberglauben nicht zu
hassen versteht!
Die Sektierer verfolgen das Ziel, den idealen Tempel des
Fortschritts zu erbauen und in die Herzen schlummernder oder
geknechteter Nationen die Keime einer künftigen Freiheit zu
pflanzen. Der herrliche Bau ist freilich leider noch nicht vollendet
f
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Einleitung.
3
und wird es vielleicht niemals sein; allein schon der Versuch
zu seiner Errichtung verleiht den geheimen Gesellschaften sittliche
Gröfse, während ohne solche Endzwecke ihr Kampf zu klein-
lichen, selbstsüchtigen Parteistreitigkeiten herabsinken würde. Auf
jenem Ziel beruht der Bestand und die Berechtigung der poli-
tischen Geheimgesellschaften, denen viele Staaten mittelbar oder
unmittelbar ihr Dasein und ihre Freiheiten verdanken, wie z. B.
das jetzige Griechenland und das moderne Italien.
Aber die ersten Geheimgesellschaften wurden weniger für
politische als vielmehr für religiöse Zwecke ins Leben gentfen.
Da sie sich mit allen jeweilig bekannten Künsten und Wissen-
schaften befafsten, ist die Religion mit Recht die Altertumswissen-
schaft der menschlichen Kenntnisse genannt worden. Die ver-
gleichende Götterlehre führt all die vielen, scheinbar einander
widersprechenden und entgegengesetzten Glaubensbekenntnisse
auf Eine ursprüngliche, grundlegende, wahre Auffassung der
Natur und ihrer Gesetze zurück; nur sind diese einfachen phy-
sischen Thatsacheh im Laufe der Zeit von den verschiedenen
Völkern in verschiedener Weise gefälscht, entstellt oder sonstwie
verändert worden — teils absichtlich , teils zufällig. Die rich-
tige Naturauffassung war ein Vorrecht der höchstentwickelten
Menschenrasse: der arischen, die ihren Sitz im Norden des
Himalajagebirges hatte und deren Paradies das wunderbar üppige
Kaschmirthal mit seinem ewigen Frühling war. In einem solchen
Klima mufste sich allmählich ein überlegener Typus herausbilden,
gleichsam die Quintessenz jener üppigen Natur und daher fähig,
dieselbe vollauf zu begreifen. Der arische oder kaukasische
Mensch ist denn auch der einzige Typus, der die Aufmerksamkeit
des Erforschers der Geistesgeschichte der Menschheit verdient.
Es wäre müfsig, untersuchen zu wollen , wie lange es ge-
dauert haben mag, bis der Mensch eine hohe geistige Ent-
wicklungsstufe erreichte. Das läfst sich ebensowenig feststellen
wie der Zeitraum, dessen die Spinne bedurfte, um ihr kunst-
volles Netz so geschickt spinnen zu lernen oder wie die Zeit
des Erscheinens und die Beschaffenheit der ersten Menschen auf
der Erde. Selbst die von Darwin aufgefrischte oder aufgewärmte
Lehre vom Protoplasma kann das Rätsel nicht lösen helfen. Nur
Eines ist sicher: dafs, wie wir aus uralten Denkmälern und
litteraturartigen Aufzeichnungen wissen, die Menschen vor vielen
Jahrtausenden grofse wissenschaftliche Kenntnisse besafsen, die
im Osten entstanden, allmählich nach dem Westen kamen und
unterwegs zum grofsen Teil in Verlust gerieten.
Dafs solche Verluste in uralten Zeiten möglich waren, kann
nicht überraschen, denn bekanntlich kamen sie auch noch in
geschichtlichen Zeiten vor. Auf den Glanz der klassischen Kunst,
r
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4
Einleitung.
Wissenschaft und Gelehrsamkeit des Altertums folgte die geistige
Nacht des Mittelalters mit ihrer finstern Unduldsamkeit und
Unterdrückung. Tausende von Jahren vor unserer Zeitrechnung
wufsten die Chaldäer, dafs die Erde rund ist und von Ost nach
West eine gröfsere Ausdehnung hat als von Nord nach Süd.
Dafs sie auch ihren Umfang kannten, geht daraus hervor, dafs
sie sagten, man brauche 365 Tage zu ihrer Umwanderung, was
ziemlich genau stimmt, denn wenn jemand ganz gemächlich —
die Stunde zu rund -I1/« Kilometern gerechnet — um die Erde herum
spazierte, würde er in einem Jahre zu Rande kommen. Trotzdem
behaupteten die in Salamanca mit Kolumbus disputierenden Mönche
steif und fest, die Erde sei flach. In Blaew's „Novus Atlas" vom
Jahre 16-12 findet sich eine Karte von Afrika, auf der alle Städte,
Dörfer, Seen und Flüsse, die in unserem Jahrhundert vermeintlich
zum erstenmal entdeckt wurden, fein säuberlich eingezeichnet sind.
Das ist doch gewifs nicht sehr lange her und dennoch ging
diese Kenntnis verloren und mufste in unserer Zeit mit ge-
waltigen Gefahren und Opfern neuerlich erworben werden. Die
im Anfang des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Karten von
Afrika weisen das Innere des dunkeln Weltteils unbedruckt auf.
In den vorgeschichtlichen Zeiten, wie gesagt, besafs der
Mensch richtige Kenntnisse von der Natur und ihrer Thätigkeit.
Es ist daher nicht verwunderlich, dafs die Mysterien auch der
von einander entferntesten Völker in dogmatischer wie in inner-
licher Hinsicht so vieles mit einander gemein hatten, dafs weiter
in sämtlichen auf gewisse Ziffern und Ideen so grofses Gewicht
gelegt wurde und dafs sie endlich durchweg düsterer Art waren.
Aufser dem grofsen Mystiker Jakob Böhme hat kein Autor die
der Zahl Sieben in allen Ländern und Zeiten beigemessene
Heiligkeit richtig erklärt. Aus dem, was wir über diesen Punkt
auf Grund der Böhmeschen Erläuterungen Vorbringen werden,
wird hervorgehen, dafs die Übereinstimmung der religiösen und
wissenschaftlichen Lehren bei den von einander entlegensten
Nationen ihrer Herkunft von einer gemeinsamen Quelle zuzu-
schreiben sein mufs; allerdings wurden die rätselhaften und ge-
heimnisvollen Formen, in denen diese Kenntnisse aufbewahrt
wurden, im Laufe der Zeit als die Thatsachen hingenommen.
Da w'ir den Ursprung und die Bedeutung der Lehren der
»Mysterien“ nicht verstehen können, ohne von der Urkultur und
den frühesten Kenntnissen des Menschen einen klaren Begriff
zu haben, müssen wir uns vorher eine solche Vorstellung zu
verschaffen suchen.
Die vorgeschichtlichen Zeiten erscheinen gewöhnlich dunkel
und man glaubt zumeist, dafs die Dunkelheit desto gröfser sein
mufs, je weiter man nach rückwärts blickt. Halten wir jedoch
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Einleitung.
5
die Augen gehörig offen, so erhellt sich die Finsternis immer
mehr; sie erweist sich als nichts anderes denn verdichtetes Licht
und löst sich schliefslich in Licht auf, sodafs wir deutlich sehen,
wie alle Religionsbekenntnisse - auch die von dem ärgsten Aber-
glauben und den erniedrigendsten Zeremonien überwucherten —
desto reiner, edier, erhabener erscheinen, je mehr wir uns ihrem
Ursprung nähern und je besser wir ihre Quellen erkennen. Die
Ethik Buddhas und Zoroasters wurde und wird vielfach als Vor-
läuferin der Lehren des Christentums betrachtet, und selbst der
Heilige Augustin bemerkte: „Was wir jetzt die christliche Religion
nennen, das bestand schon im Altertum, ja sogar seit den An-
fängen des Menschengeschlechts; nur wird die bereits vorhandene
wahre Religion seit dem Erscheinen Christi die christliche Religion
genannt“ Alle höheren Glaubensbekenntnisse hatten gewisse Grund-
anschauungen mit einander gemein, wenngleich diese in der
Form oft erheblich von einander abweichen. So z. B. den Be-
griff der Dreifaltigkeit; die Lehre, dafs der „Logos“ (das all-
schöpferische Wort) alles durch die Offenbarung des Nichts
erschuf; die Anbetung des Lichts; die Ansicht, dafs das Feuer
die Seelen läutere u. dgl. m.
Die Erkenntnis, auf der die Lehren der Mysterien be-
ruhten, umfafste den Urgrund und die Entstehung aller Dinge,
den gesamten Zustand und Fortschritt der Natur, ihre ganze
Entwicklung und Thätigkeit, sowie die Einheit, welche Himmel
und Erde erfüllt. Diese Einheit wurde vor wenigen Jahren
geräuschvoll als neue Entdeckung ausposaunt, während doch schon
der alte Homer im achten Buch seiner „lliade“ von der „gol-
denen Kette" sang, die Himmel und Erde verbindet derselben
goldenen Sympathiekette, demselben geheimen, alldurchdringenden
und alleinigenden Einflufs, der anderwärts als „Weltseele“,
„Jakobsleiter", „magisches Feuer«, „mercurius philosophorum“
u. s. w. vorkommt. Infolge der menschlichen Abwechslungs-
liebe wurde diese Erkenntnis allmählich durch falsche oder un-
sinnige Auslegungen entstellt und mit allerlei Phantasiegebilden
ausgeschmückt oder verdeckt. So entstanden ganze Rattenkönige
von Aberglauben, die der gedankenlosen Menge als Glaubens-
bekenntnisse dienten und noch heutzutage dienen. Daher rührt
es, dars zahllose Millionen in geistlicher Knechtschaft leben und
vor tausend Phantomen zittern, die ihnen von der eigenen Un-
wissenheit oder vom Pfaffentum vorgegaukelt werden.
Die in den alten Mysterien enthaltenen Lehren berech-
tigen uns zu dem Glauben, dafs die Menschen vor Tausenden
von Jahren das Folgende wufsten (freilich war die Erkenntnis
in den Mysterien, wie bereits bemerkt, schon getrübt und ver-
stümmelt, nämlich veräufserlicht):
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6
Einleitung.
1 . Allenthalben machen sich Beweise eines alldurchdringenden
Lebens geltend; es tnufs daher ein allumfassendes, allmächtiges
und allerhaltendes Leben geben.
2. Hinter oder über diesem Urieben, auf dem das Welt-
system beruht, macht sich der ..unbewegte Beweger» fühlbar,
das einzige übernatürliche Wesen (ens), das mittels des ,. logos"
(Machtwort) alles Bestehende aus sich heraus gesprochen hat;
das schliefst keinen Pantheismus in sich, denn die vom Sprecher
ausgehenden Worte sind nicht mit ihm selbst identisch.
3. Das Universalleben ist ewig.
4. Die Materie ist ewig , denn sie ist das Gewand,
in welches das Leben sich kleidet und in welchem es sich
offenbart.
5. Die Materie ist das Licht, denn der dunkelste Stoff kann
auf sie zurückgeführt werden.
6. Alles äufserlich Wahrnehmbare ntufs ideell durch alle
Ewigkeiten in einer urbildlichen Gestalt bestanden haben, wieder-
gespiegelt in der » Ewigen Freiheit" der indischen Götterlehre,
dem Spiegel »Maja", von welchem Wort die Worte »Magier»,
»Magie11, »magisch", »imago» (Bild), »Imagination» stammen, die
durchweg mit der Darstellung der ursprünglichen, körperlosen,
nicht wahrnehmbaren lebenden Materie durch Gestalten, Formen
oder Geschöpfe Zusammenhängen. Die moderne Theosophie
nennt den Majaspiegel den Ewigen Wunderspiegel, die Jungfrau
Sophia (Licht) stets hervorbringend, doch immer jungfräulich
bleibend — das Urbild der Marienlehre.
7. Das sich im sichtbaren Universum bekundende ewige
Leben wird von denselben Gesetzen regiert wie die unsichtbare
Kräftewelt.
8. Diese Gesetze sind die sieben Eigenschaften (oder Merk-
male) der ewigen Natur. Sechs davon sind thätiger Art, während
in der siebenten die sechs ersten vollkommen harmonisch zu-
sammengefafst sind. Diese sieben Merkmale bilden zugleich die
Grundlage aller Siebenzahlen, denen wir in den Naturerschei-
nungen und in allen antiken und modernen Kenntnissen begegnen.
Es sind: 1. Anziehung, 2. Abstofsung oder Rückschlag, 3. Um-
lauf, 4. Feuer, 5. Licht, 6. Schall, 7. Körper, der Inbegriff
aller sechs.
9. Diese Siebenzahl ist in zwei Dreizahlen oder Pole teil-
bar, zwischen denen sich das durch ein Kreuz dargestellte Feuer
befindet. Diese beiden Pole bilden die ewige Zweiheit, den
ewigen Gegensatz in der Natur: die ersten drei, Materie und
Dunkelheit, Schmerz und Angst erzeugend, bedeuten die Hölle,
kosmisch den Winter; die anderen drei bringen Licht und Ent-
zücken hervor und bedeuten das Paradies, kosmisch den Sommer.
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Einleitung.
7
10. Das Feuer ist der grofse Chemiker, Reiniger und Um-
wandler der Natur, denn es macht aus der Finsternis Licht.
Daher seine ungeheure Verehrung und allgemeine Anbetung
seitens vieler alter Völker. Die zoroastrischen Priester trugen
sogar Schleier vor dem Mund, um das Feuer nicht mit ihrem
Atem zu verunreinigen. Wir haben es da selbstverständlich mit
dem himmlischen, elektrischen Fetter zu thun, dessen Vorhanden-
sein und Beschaffenheit die Alten ziemlich gut kannten. Diese
unterschieden das bewegende Prinzip von dem bewegten Gegen-
stand und nannten das erstere feurigen Äther oder Geist, Lebens-
prinzip, Gottheit, Jupiter, Vulkan, Phtha, Kneph.
11. Alles Licht entsteht aus der Finsternis und ntufs, um
wahrnehmbar zu werden, durchs FeueV gehen. Der Weg zum
Licht kann nur durch die Dunkelheit oder den Tod oder die
Hölle führen dieser Gedanke findet sich in sämtlichen alten
Mysterien. So wenig wie die Pflanze sich der Schönheit des
Blühens und Blätter- oder Früchtetragens erfreuen kann, ohne
vorher die Finsternis des Verborgenseins in der Erde durch-
gemacht zu haben, wo sie durch das Feuer chemisch verwandelt
wird - so wenig kann der Geist höhere Erkenntnis und Er-
leuchtung erlangen, ohne vorher durch einen Zustand der Selbst-
verdunkelung und Gefangenschaft, gleichsam durch den läuternden
Ofen der Geburtswehen gegangen zu sein.
Dafs die Urmenschen die vorstehend dargelegten Kenntnisse
besafsen, wissen wir nicht nur aus den positiven wie aus den
sich durch Folgerung ergebenden Lehren der Mysterien, sondern
auch aus den Denkmälern des Altertums, die an Grofsartigkeit
der Konzeption und der Idealität alle Leistungen der modernen
Kunst übertreffen. Wenn der Leser sich diese Thatsache vor
Augen hält, wird er in den wahren Sinn der Einweihungsdogmen
besser eindringen als dies die Eingeweihten selbst konnten; auch
wird er begreifen, dafs der Grund der grofsen Übereinstimmung
der Lehren der verschiedenen Mysterien in der Thatsache liegt,
dafs diese Lehren die Erklärung von Naturerscheinungen bil-
deten, die allüberall die gleichen sind.
Die Geheimlehren waren theologischer, moralischer und
wissenschaftlicher Art. In theologischer Hinsicht wies man die
Eingeweihten auf die Irrtümer der marktläufigen Vielgötterei hin
und brachte ihnen die Lehre von der Einheit und einem Jenseits
mit Belohnungen und Strafen bei. Die moralischen Vorschriften
verdichteten sich in dem Ausspruch des Confucius: .AVenn du
im Zweifel bist, ob eine Handlung recht oder unrecht sei, unter-
lafs sie gänzlich.“ Und was die wissenschaftlichen Grundsätze
betrifft, so haben wir sie vorhin in 1 1 Punkten auseinander-
gesetzt.
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8
Einleitung.
Interessant und wichtig ist es, zu beobachten, wieso die
ursprünglich richtige Naturerkenntnis im Lauf der Zeit verfälscht
und durch Irrtümer entstellt worden ist. Die Anhänger der
ältesten Religionen, über die schriftliche Nachrichten auf uns ge-
kommen sind, waren Gestirn-Anbeter (Sabäer, Helio-Arkiten).
Den wahren, anfänglichen Eingeweihten aber galten Sonne, Mond
und Sterne als die äufseren Kundgebungen und Sinnbilder der
inneren Kräfte des Ewigen Lebens. Doch konnten solche ab-
strakte Wahrheiten der unwissenden, hauptsächlich mit der Ge-
winnung des täglichen Brotes beschäftigten Menge nicht ver-
ständlich gemacht werden, wenn man nicht zur Verpersönlichung
der Himmelskörper und der Jahreszeiten griff. Allmählich wurden
die betreffenden Personifikationen nicht mehr als Symbole be-
trachtet, sondern als Darstellungen wirklicher menschenähnlicher
Wesen, die vermeintlich wirklich auf Erden gelebt hatten. Die Ur-
menschen hielten die Sonne für die äufserliche Offenbarung des all-
erhaltenden, allrettenden, ewigen Lebensprinzips. In verschiedenen
Zeiten und Ländern wurde dieses als Krischna, Fo, Osiris, Hermes,
Herkules u. s. w. verpersönlicht und schliefslich glaubte man,
diese Personen hätten thatsächlich gelebt und seien wegen ihrer
den Menschen erwiesenen Wohlthaten zu Göttern erhoben worden.
Man zeigte die angeblichen Grabstätten dieser vermeintlichen
Götter und erneuerte alljährlich durch Feste den Schmerz ob ihres
Verlustes. Der Durchgang der Sonne durch die Zeichen des
Tierkreises rief allerlei Mythen hervor, z. B. die Verwandlungen
Wischnus, die Heldenthaten des Herakles, des letzteren Verlust
seiner Kräfte im Winter, deren Wiedergewinnung im Sommer,
den Tod, die Höllenfahrt und die Auferstehung von Osiris und
Mithras. Kurz, was in dem einen Zeitalter reine Naturweisheit
war, wurde im nächsten zur Mythologie und im dritten zur Sage,
in jedem Lande in lokaler Weise ausgeschmückt.
In den Mysterien war alles astronomisch, aber hinter den
astronomischen Sinnbildern verbarg sich eine tiefere Bedeutung.
Wenn die Eingeweihten den Verlust der Sonne beklagten,
trauerten sie in Wirklichkeit um den Verlust des lebengebenden
Lichtes, während die Thätigkeit der Elemente nach den Gesetzen
der Wahlverwandtschaft blofs Verfalls- und Todes-Erscheinungen
hervorruft. Die Eingeweihten strebten danach, sich der Herrschaft
der Sklavin Nacht zu entziehen und in die herrliche Freiheit der
freien Sophia (Licht) zu gelangen, d. h. geistig im Licht, in der
Gottheit aufzugehen. Als später die Lehren der alten Natur-
weisheit den Jüngern vorgetragen wurden, blieb es mehr Sache
der inneren Eingebung der letzteren, sie zu erfassen, als Sache
des mündlichen Unterrichts. Aus diesem Grund verfielen die
Mysterien immer mehr; die ideellen Seiten traten stetig in den
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Einleitung.
9
Hintergrund, die konkreten gewannen die Oberhand. Die Folge
war das Vorherrschen des Sabäismus und des Arkismus. Die
vielen Sinnbilder und Wahrzeichen im Heiligtum des Todes und
der Auferstehung deuteten ursprünglich das Geheimnis an , dafs
die Augenblicke des höchsten seelischen Genusses dem körper-
lichen Dasein am abträglichsten sind, d. h. dafs das gröfste Ent-
zücken einem Blick ins Paradies gleichkommt. Nun denn, diese
Bilder und Zeichen wurden schliefslich nur noch auf die äufser-
liche Natur angewendet und ihre falsche Auffassung führte zur
Entstehung all der Glaubensbekenntnisse oder Aberglauben-Systeme,
welche die Erde mit allerlei Verbrechen, blutigen Kriegen, mör-
derischer Grausamkeit und den schlimmsten Verfolgungen erfüllt
haben. Scheufsliche Fanatiker, die über Worte stritten, deren
Sinn sie nicht verstanden, stellten gegensätzliche, auf beiden Seiten
falsche Dogmen auf und erfanden die teuflischsten Foltern, um
einanderzur Bekehrung zu zwingen. Die beiden mohammedanischen
Sekten bekämpfen sich wegen der Frage, ob die Waschungen
beim Ellbogen oder beim Handgelenk beginnen sollen; allein sie
vereinigen sich, um Christen zu bekehren oder umzubringen.
Die Christen selbst sind in zahllose Sekten zersplittert, die einander
keineswegs freundlich gesinnt sind; einzelne von ihnen haben
einander mit mehr als heidnischer Grausamkeit verfolgt. Die
Katholiken haben mit Scheiterhaufen und Inquisition gewütet;
die Protestanten haben sich dadurch gerächt, dafs sie, wo sie die
Oberhand hatten, den Katholiken die bürgerlichen Rechte entzogen.
Da die Mysterien, wie sie auf uns gekommen sind (und
in der Freimaurerei werden sie noch immer geübt, freilich in
entstellter Weise), vornehmlich ein astronomisches Gepräge tragen,
wollen wir, um bei ihrer Einzelbehandlung unnötige Wieder-
holungen zu ersparen, hier über ihre gemeinsamen Hauptzüge
einige allgemeine Bemerkungen machen.
In der ältesten indischen Glaubenslehre begegnen wir der
Geschichte vom Fall der Menschheit durch das Naschen der
Frucht vom Baum der Erkenntnis und von der Vertreibung aus
dem Paradies. Die unwissenden Juden hielten diese Allegorie für
eine wahre Begebenheit und fügten sie dem Buche Genesis ein
- 900 Jahre nach dessen Abfassung und lange nach Abfassung
der übrigen Teile des Alten Testaments. Unter Beachtung seiner
geheimnisvollen astronomischen Beziehungen gelesen, würde die
Erzählung vom Sündenfall, wie wir sie im ersten Buch des
Pentateuchs finden, etwa die folgende Gestalt annehmen. Nach-
dem Adam (nicht ein einzelner Mensch, sondern die Menschheit
ist damit gemeint) mit seiner Gefährtin Eva (= Leben) den
Frühling und den Sommer im Garten Eden verbracht hatte,
standen sie notwendigerweise vor der Jahreszeit, da Tvphon —
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Einleitung.
die Schlange — als Sinnbild des Winters ankündigt, dafs die
Herrschaft des „ Übels" (eben des Winters) bevorstehe. In der
allegorischen Wissenschaft heilst aber „malum“ nicht nur «Übel“,
sondern auch „Apfel“. Dieser deutet als Erzeugnis des Herbstes
an, dafs die Ernte vorüber sei und der Mensch wieder beginnen
müsse, im Schweifse seines Angesichts den Boden zu bebauen.
Da die kalte Jahreszeit kommt, mufs er sich mit dem allegorischen
Feigenblatt bedecken. Die Sphäre dreht sich und der Mann der
Konstellation Bootes (= Adam) scheint von dem ihm voran-
schreitenden Weibe, der Jungfrau, die einen früchtebeladenen
Zweig in der Hand hält, bestrickt zu sein. Ein Blick auf die
Himmelskarte wird das erklärlich machen.
Ferner kennen sämtliche Mysterien irgend einen heiligen
Zweig oder eine heilige Pflanze. Man denke nur an den Lotus
Indiens und Ägyptens, den Feigenbaum des Atys, die Myrte der
Venus, den Mistelzweig der Druiden, den goldenen Zweig Ver-
gib, den Rosenstrauch der Isis, die Akazie der Freimaurerei u. s. w.
Auch in der Meyerbeerschen Oper „Robert der Teufel" kommt
der mystische Zweig der Mysterien vor.
Sodann finden wir in allen Mysterien, dafs ein Gott, ein
höheres Wesen oder ein aufsergewöhnlicher Mensch den Tod
erleidet, um ein neues, glanzvolleres Dasein zu beginnen. Überall
versetzt die Erinnerung an einen grofsartigen Trauerfall die Völker
in Kummer, auf den alsbald die lebhafteste Freude folgt. Osiris
wird von Typhon, Uranus von Saturnus, Susannan von Sudra,
Adonis von einem wilden Eber umgebracht, Ormuzd wird von
Ahriman besiegt, Atys, Mithras und Herkules begehen Selbstmord;
Kain tötet Abel, Loke tötet Baldr, die Riesen töten Bacchus; die
Assyrer beweinen den Tod Thammuz', die Skyther und Phönikier
denjenigen Acmons, die ganze Natur den des grofsen Pan, die
Freimaurer jenen Hirams u. dgl. m. Den Urspmng dieses all-
gemeinen Glaubens haben wir weiter oben bereits angedeutet.
Auch die Lehre von der Einheit und der Dreifaltigkeit
kehrt in sämtlichen Mysterien wieder. In den ältesten Religionen
begegnen wir dem Urbild des christlichen Glaubensartikels, wonach
eine Jungfrau einen Erlöser zur Welt bringt und dennoch eine
Jungfrau bleibt. Dem äufseren Sinn nach handelt es sich da
um die Jungfrau des Tierkreises, während der erstandene Er-
löser die Sonne ist; der innerlichste Sinn aber bezieht sich auf
das Ewige Ideal, innerhalb dessen das ewige Leben und Ver-
ständnis, die Kraft der Elektrizität und die Wundermacht des
Lebenselixirs diese beiden als Erhalter und Verschönerer des
begreifbaren Daseins — sozusagen in den zahllosen Geschöpfen,
die das Weltall erfüllen, verkörpert sind — ja sogar im Weltall
selbst. Und genau so wie die Luft Laute, das Licht Farben und
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Einleitung.
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der Geist Gedanken hervorbringt, ohne dafs sich dadurch ihr
* eigenes und eigentliches Wesen verändert, bleibt die Jungfrau
trotz der Hervorbringung des Erlösers Jungfrau.
Weiter sehen wir, dafs alle Mysterien das Licht als aus
der Dunkelheit hervorgegangen darstellen. Die Gottheit Maja
Bhawani heifst bald Kali, bald Isis, hier Ceres, dort Proserpina.
Persephone, die „Königin des Himmels", ist die Nacht, aus deren
Schofs das Leben hervorgeht, um wieder dahin zurückzukehren
eine geheime Vereinigung von Leben und Tod; sie wird auch
die Rosige genannt und in deutschen Mythen finden wir die
Rosige als das wiederherstellende Lebensprinzip bezeichnet. Sie
ist nicht nur die Nacht, sondern als Mutter der Sonne auch die
Morgenröte, hinter der die Sterne scheinen. Wenn sie als Ceres
die Erde versinnbildlicht, stellt man sie mit Kornähren dar.
Gleich der traurigen Proserpina, ist sie schön und strahlend,
aber auch schwermütig und schwarz. So verbindet sie die Nacht
mit dem Tag, die Freude mit der Traurigkeit, die Sonne mit
dem Mond, die Hitze mit der Feuchtigkeit, das Göttliche mit
dem Menschlichen. Die alten Ägypter stellten die Gottheit oft durch
einen schwarzen Stein dar, und der von den Arabern verehrte
schwarze Stein Kaaba, von dem geglaubt wird, er sei ursprünglich
weifser als Schnee gewesen, verkörpert denselben Gedanken - mit
dem Nebengedanken, dafs das Licht der Finsternis vorangegangen sei.
In sämtlichen Mysterien begegnen wir dem Kreuz als einem
Wahrzeichen der Reinigung und Rettung. Überall galten die
Zahlen 3, 4 und 7 für heilig, ln den meisten Götterlehren
finden wir zwei Säulen, in allen mystische Gastniäler, Feuer-,
Wasser- und Luftproben. Der Zirkel und das Dreieck — das
einfache und das doppelte - vertraten allenthalben den Dualismus
oder die Polarität der Natur. In allen Einweihungsriten sah
man den Aufnahmewerber als das vom Übel (Nacht) über-
wundene „gute Prinzip" (Licht) an, welches danach strebte, die
frühere Überlegenheit wiederzugewinnen, d. h. gleichsam wieder-
geboren oder umgestaltet zu werden, und zwar dadurch, dafs
der Novize auf dem Wege durch sieben Höhlen oder über sieben
Stufen die Schrecknisse des Todes und der Hölle bildlich durch-
lebte. All diese Riten bedeuteten recht eigentlich den ewigen
Kampf des- Lichtes um die Befreiung von der Stofflichkeitsbürde,
mit der es während des Durchmachens der drei ersten Eigen-
schaften der Ewigen Natur belastet worden ist; und als die Kennt-
nis dieser tieferen Bedeutung den Menschen verloren gegangen
war, stellten die Riten den Durchgang der Sonne durch die
sieben Zeichen des Tierkreises vom Widder bis zur Wage vor,
wie wir ihn in der sogenannten Royal-Arch-Freimaurerei und in
der siebensprossigen Leiter des Ritters von Kadosch finden.
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12
Einleitung.
Alle Mysterien hatten die gleichen Funktionäre gemein.
Überall verkörperten die letzteren astronomische oder kosmische
Erscheinungen. Allenthalben erkannten die Eingeweihten einander
an gewissen Zeichen und Losungsworten. Auch wurden in
sämtlichen die gleichen Aufnahmebedingungen gestellt: Voll-
jährigkeit und Reinheit des Lebenswandels; aus letzterem Grunde
■wagte es Nero, als er in Griechenland weilte, nicht, sich um die
Einweihung in die eleusinischen Geheimnisse zu bewerben. In
vielen Fällen war der Oberpriester genötigt, ein zurückgezogenes
Leben voll ewiger Keuschheit zu führen, um durch nichts von
der Betrachtung himmlischer Dinge abgelenkt zu werden. Behufs
vollkommener Erreichung dieser läuternden Abgeschiedenheit
pflegten die Priester das Fleisch durch den Genufs gewisser
Kräuter zu ertöten, denen man die Eigenschaft zuschrieb, dafs
sic jede Anwandlung von Leidenschaft zu unterdrücken vermochten.
In sämtlichen Ländern, welche Mysterien kannten, wurde
die Einweihung allmählich für ebenso notwendig angesehen wie
später bei den Christen die Taufe — eine Zeremonie, die wir
auch in allen Mysterien antreffen. Die Eingeweihten nannte man
„ Epopten", d. h. Leute, die die Dinge so sehen wie sie wirklich
sind. Alle Mysterien hatten „gröfsere“ und „kleinere“ Geheim-
nisse, eine exoterische und eine esoterische Lehre, sowie drei
Grade. Überall galt der Verrat der Geheimnisse für schändlich
und wurde mit den schwersten Strafen belegt. Darum mufsten
die Aufnahmebewerber die Geheimhaltung mit den furchtbarsten
Eiden beschwören. Alkibiades wurde wegen Ausplauderns der
Ceres-Mysterien verbannt und den Furien überantwortet; auch
Prometheus, Tantalus, Oedipus und Orpheus erlitten ihre wohl-
bekannten Strafen für das gleiche Vergehen.
Im Reiche des Gedankens sind geheime Gesellschaften
heutzutage nicht mehr nötig. Dagegen wird im Gebiete der
Politik wohl noch lange die Notwendigkeit bestehen, solche ab
und zu — je nach Anlafs und Bedarf — ins Leben zu rufen;
und obgleich sie ihre unmittelbaren Ziele nur selten erreichen,
erringen sie dem Volk doch zuweilen gröfsere oder kleinere Vor-
teile. Im grofsen und ganzen sind sie in den meisten Ländern
überflüssig geworden, denn das religiöse, philosophische und
politische Denken wird trotz aller sich geltend machenden Un-
duldsamkeit ja doch immer freier. Die echten Freunde der
Wahrheit und Freiheit bedürfen nicht mehr der Zeichen und
Losungsworte, um einander zu erkennen, denn sie brauchen nicht
mehr im geheimen zu wirken, sondern können sich öffentlich
kundgeben. Sie sind Gegner aller Geheimkrämerei, denn sie
wissen, dafs die Öffentlichkeit das beste Förderungsmittel für
Wahrheit und Freiheit bildet. Freilich sind politische Geheim-
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Einleitung.
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gesellschaften auch jetzt noch in manchen Ländern — selbst
Europas — unentbehrlich, und auch in den freiesten Staaten
kann man durchaus noch nicht jede religiöse, philosophische
oder politische Wahrheit äufsem, ohne getadelt, verleumdet oder
auch bestraft zu werden. Noch immer gelten Fausts Worte:
„Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
Die Wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricnt g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt."
Wird man heute auch nicht mehr körperlich gekreuzigt und ver-
brannt, so verfügt die Staatskunst und noch mehr das Pfaffentum
doch noch über moralische Daumschrauben und glühende
Eisen, mit denen man den Geist einengt oder den Ruf brand-
markt. Darum mufs man, bei allem Zweifel an der Berechtigung
mancher und dem Erfolg andrer Geheimgesellschaften, die mutigen
Leute bewundern und preisen, auf welche sich James Russell
Lowells Worte nicht anwenden lassen, dafs »ein Sklave ist, wer
nicht für die Gefallenen und Schwachen einzutreten wagt; wer
nicht lieber Hafs und Spott erduldet, als schweigend die Wahr-
heit zu unterdrücken, die er denkt; wer sich Zweien oder
Dreien gegenüber nicht getraut, das als richtig Erkannte zu
verfechten.“
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ERSTES BUCH.
ALTE MYSTERIEN.
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Die Magier und der Zoroastrismus.
Ableitung des Wortes. — Zeit des Magiertums. — Zoroaster und seine
Lehre. — Licht-Anbetung. — Ursprung des Wortes „deus" (Gott). — Lin-
weihungsverfahreii. — Rustam-Sage.
„Magier“ kommt von „Maja“, dem Spiegel der indischen
Götterlehre, in dem Brahma von allem Anfang an sich selbst,
seine Macht und seine Wunderschöpfungen betrachtet. Daher
auch die Ausdrücke „Magie", „magisch*, „imago“ (Bild), „Imagi-
nation“, die durchweg auf die Festlegung der Kräfte des körper-
losen, lebendigen Urstoffes in Gestalten, Formen oder Geschöpfen
hindeuten. Ein Magier ist daher jemand, der sich bemüht, die
Wirksamkeit des ewigen Lebens zu erforschen. (Littre leitet
„Magier“ von „mahat" [= grofsj ab; da jedoch nach der in-
dischen Mythologie „mahatit" — ebenso wie „pirkirti“ — von
„jotna“ [= Macht], dem Spröfsling Majas, erzeugt worden ist,
bleibt Maja jedenfalls das Stamm wort von „Magier".)
Die Magier — d. h. die altpersischen Priester — gründeten
nicht nur eine Lehre oder Religion, sondern auch eine Monarchie.
Ihre Macht war eine wahrhaft königliche; daher werden die'
„Weisen aus dem Morgenland", die der Stern zu Christi Krippe
leitete, ebenso oft Könige („die heiligen drei Könige“) genannt
wie Magier. Ihre Priesterherrschaft ist älter als die Blütezeit
Assyriens, Mediens und Persiens. Aristoteles verlegt sie vor die
Gründung des ägyptischen Reiches und Plato legt seiner Be-
rechnung ihres Alters sogar Myriaden von Jahren zu Gmnde.
Gegenwärtig nehmen die meisten Gelehrten an, die Herrschaft
der Magier habe etwa fünftausend Jahre vor dem trojanischen
Kriege begonnen.
Gegründet wurde der Orden von Zoroaster, der nicht, wie
manche glauben, ein Zeitgenosse des Darius war, sondern un-
gefähr im 50. Jahrhundert vor Christus lebte. Er stammte nicht
aus Indien, sondern aus Baktrien, das in nächster Nähe der
Heckcthorn*Katicher, Geheimlehren u. Geheimbünde. 2
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IS
Alte Mysterien.
indischen Gebirge im Gebiete der grofsen Flüsse Oxus und
Jaxartes lag, sodafs die indischen Brahminen als die Nachkommen
der Magier gelten können.
Zoroasters Lehre war die vernunftgemäfseste und voll-
kommenste der Geheimlehren des Altertums. Alle späteren Theo-
sophien lehnten sich an sie an und ihre Spuren finden sich
auch in der alten Zend-Avesta, die alle Einzelheiten der Natur-
thätigkeit behandelt und nicht mit dem heutzutage als Zend-
Avesta geltenden Buch — einem blofsen Brevier — verwechselt
werden darf.
Zoroaster lehrte nicht, wie man behauptet hat, den Glauben
an die zwei entgegengesetzten, aber gleich mächtigen Prinzipien
Ahriman und Oromazes (Ormuzd), denn das Böse (Ahriman) ist
dem Guten (Oromazes) nicht gleichgestellt. Das Böse ist nicht
unerschaffen und ewig, sondern vorübergehend und in seiner
Macht beschränkt. Plutarch verzeichnet eine dahingehende An-
schauung — die wir alsbald bestätigt finden werden — dafs Ahri-
man und seine Engel werden vernichtet werden und dafs die gegen-
sätzliche Zweiheit nicht ewig, sondern zeitlich begrenzt ist Die
Zweiheit bildet das grofsartige Drama der Zeit, in der sie die
stetige Ursache der Bewegung und Umgestaltung ist Hier haben
wir die Lehre der von der Kirche so heftig befehdeten Anhänger
der Beseitigung des Teufels. Das Höchste Wesen oder Ewige
Leben wird auch »Zeit ohne Grenze" genannt, da- ihm kein Ur-
sprung nachgewiesen werden kann; weil es Eigenschaften und
Attribute besitzt, die unserm Verständnis unfafsbar sind, gebührt
ihm schweigende Anbetung.
Das Schöpfungswerk begann mittels „Emanation“ (Aus-
strömung). Die erste Emanation des Ewigen war das Licht und
aus diesem ging Ormuzd, der König des Lichts, hervor, der
durch das Wort die reine Welt schuf, deren Erhalter und Richter
er ist. Er ist ein heiliges, himmlisches Wesen, der Inbegriff der
Erkenntnis. Dieser Erstgeborne der unbegrenzten Zeit schuf
zunächst nach seinem Ebenbild sechs Genien, die seinen Thron
umgebenden „Amschaspands“, welche zwischen ihm und den
untergeordneten Geistern, sowie den Menschen vermitteln; den
letzteren gelten sie als Vorbilder der Reinheit und Vollkommen-
heit. Sodann liefs Ormuzd die 28 „izads" erstehen, die Wächter
des Glücks, der Unschuld und der Erhaltung der Welt; sie
sind Muster von Tugend und verdolmetschen die Gebete der
Menschen. Weit zahlreicher ist die dritte Schar reiner Geister:
die „farohars", d. h. die Gedanken des Oromazes, nämlich seine
schöpferischen Ideen, die der Schöpfung der Dinge vorangingen.
Nicht nur die farohars der heiligen Männer und der unschuldigen
Kinder stehen vor ihm, sondern er hat selber einen eigenen
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Die Magier und der Zoroastrismus.
19
farohar — die Verpersönlichung seiner Weisheit, seines Ver-
standes, seines Logos. Diese Geister umschweben das Haupt
jedes Menschen - ein Glaube, den die Griechen und Römer
übernahmen, wie der Familiengeist des Sokrates, der böse Genius
des Brutus und der begleitende Genius des Horaz beweisen.
Die Erschaffung all der angeführten guten Geister war die
notwendige Folge der gleichzeitigen Herausbildung des bösen
Prinzips. Der Zweitgeborne des Ewigen, Ahriman, ging wie
Ormuzd aus dem Urlicht hervor und glich diesem an Reinheit,
war jedoch ehrgeizig und hochmütig und wurde infolgedessen
mifsgünstig. Zur Strafe .verurteilte das Höchste Wesen ihn zu
einem Aufenthalt im Bereich der Finsternis auf die Dauer von
zwölftausend Jahren — ein Zeitraum, der zur Beendigung des
Kampfes zwischen Gut und Böse hingereicht haben würde, wenn
Ahriman nicht zahllose böse Geister ins Leben gerufen hätte,
welche die Erde mit Elend, Krankheit und Schuld erfüllten.
Die wichtigsten der bösen Dämonen waren: Unreinheit, Gewalt-
thätigkeit, Habgier, Grausamkeit, Kälte, Hunger, Armut, Magerkeit,
Unfruchtbarkeit, Unwissenheit; als der allerschlimmste galt »pitasch",
die Verleumdung.
Nach’ dreitausendjähriger Herrschaft erschuf Ormuzd die
stoffliche Welt in sechs Perioden, und zwar in derselben Reihen-
folge, die auch im Buch Genesis angegeben ist: das irdische
Licht (nicht zu verwechseln mit dem himmlischen), das Wasser,
die Erde, die Pflanzen, die Tiere, den Menschen oder vielmehr
eine Zusammensetzung von Mann und Stier. An der Entstehung
der Erde und des Wassers beteiligte sich Ahriman, denn die
Dunkelheit hatte bereits auf diese Elemente übergegriffen, die
Ormuzd dann nicht mehr verbergen konnte. Auch bei der
Schöpfung und nachträglichen Verderbung und Vernichtung des
Menschen, den Ormuzd durch einen Willensakt mittels des
Wortes erschuf, half Ahriman mit. Aus dem Samen des stier-
artigen Mannes erschuf Oromazes nachher das erste Menschen-
paar: Meschia und Meschiane. Aber Ahriman verlockte zuerst
den Mann und dann das Weib durch den Genufs gewisser
Früchte zum Bösen. Er veränderte übrigens nicht nur das
Wesen des Menschen, sondern auch das der Tiere, indem er den
gutgearteten Tieren Ungeziefer, insekten, Schlangen und Wölfe
entgegensetzte. Allein er und seine bösen Geister werden schliefs-
lich überwunden und gänzlich vertrieben werden. Bei dem
schweren Kampf haben die fleifsigen und arbeitsamen Menschen
nichts zu fürchten, denn nach Zoroaster ist die Arbeit die Ver-
tilgerin alles Übels und man gehorcht dem gerechten Allrichter
am besten, wenn man den Erdboden mit Fleifs bebaut, damit
er Getreide und Obstbäume hervorbringe.
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Alte Mysterien.
Sobald die Erde nicht mehr mit den Übeln der Geister
der Finsternis behaftet sein wird — also nach Ablauf von zwölf-
tausend Jahren — werden drei Propheten erscheinen, den Menschen
mit Hilfe ihrer Kenntnisse und ihrer Macht Beistand leisten, der
Erde ihre ursprüngliche Schönheit wiedergeben, über die Guten
wie die Bösen zu Gericht sitzen und die ersteren in einen Zu-
stand ewiger Glückseligkeit einführen. Ahriman und seine ge-
fangenen Dämonen werden in einem Meer von flüssigem Metall
geläutert werden und das Gesetz des Oromazes wird allent-
halben herrschen.
Astronomisch bedeuten Zoroasters sechs gute Geister die
warmen Monate, die bösen die Wintermonate, die 28 izads die
28 Tage des Mondmonats. Theosophisch beziehen sich die sechs
Perioden der Schöpfung auf die sechs thätigen Eigenschaften
der Natur.
Da, wie wir gesehen haben, Zoroaster das Licht als die
erste Emanation des Ewigen Lebens hinstellte, bildet in den
Schriften der Parsi die ewige Flamme das Symbol der Gottheit
oder des unerschaffenen Lebens. Aus diesem Grunde sind die
Magier und die Parsi Feueranbeter genannt worden; aber sie
sahen im Feuer nicht eine Gottheit, sondern lediglich die Ur-
sachen der Hitze und der Bewegung. Damit kamen sie den
Errungenschaften der modernen Physik um viele Jahrtausende
zuvor. Sie hatten überhaupt keinerlei Gott, keinen „einzig wahren“
Gott und beteten keine aufserhalb des Lebens stehende Macht
an. Sie bauten auf keinerlei unsichere Überlieferung, sondern
wählten aus sämtlichen verborgenen Naturkräften diejenige aus,
welche alle übrigen beherrscht und sich am furchtbarsten offen-
bart. Die modernen Guebren (Feueranbeter) sind die Abkömm-
linge der alten Magier.
Wie gesagt, die Magier hatten, gleich den Chinesen, keine
eigentliche Theologie. Diejenigen Magier, welche der Geheim-
wissenschaft Magie ihren Namen liehen, übten keine Zauberei
und glaubten nicht an Wunder. Inmitten der orientalischen Un-
beweglichkeit verurteilten sie die Bewegung nicht; vielmehr be-
trachteten sie dieselbe als das herrliche Sinnbild der Ewigen
Ursache. Während andere Kasten danach strebten, das Volk in
Armut, Unwissenheit und Aberglauben zu erhalten, war es den
Magiern zu verdanken, dafs an die Stelle des mit monströsen
Gestalten bevölkerten indischen Olymps der Begriff der Gottes-
einheit trat, der in der Geschichte des Denkens stets einen Fort-
schritt bedeutet. Die älteste Zend-Litteratur erkennt nur Ein
schöpferisches Wesen (ens) an, dessen Name „dao“ (= Licht
und Weisheit) die Wurzel „daer" (= scheinen) hat, von der die
Worte „deus" (= Gott), „dies" (= Tag) u. dgl. m. abgeleitet
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Die Magier lind der Zoroastrismus.
21
sind. Die Gottheit wurde ursprünglich als »das Leuchtende"
oder Helle aufgefafst, woher denn auch das sanskritische »diaus"
(= Himmel), das zur Erdichtung so vieler mythologischer Fabeln
führte. Aber die ursprüngliche Idee beruhte auf einer richtigen
Auffassung des Ursprungs und Wesens der Dinge, denn das
Licht bildet ja wirklich den Grundstoff aller Dinge. Jede Materie
ist nur verdichtetes Licht. So gründeten die Magier also ein
Moralsystem und ein Reich. Sie hatten eine Litteratur, eine
Wissenschaft und eine Dichtkunst. Fünftausend Jahre vor der
»Iliade“ entstand ihre »Zend-Avesta“ mit den drei grofsartigen
Dichtungen: einer ethischen, einer militärischen und einer wissen-
schaftlichen.
Nun zum Einweihungsverfahren. Der Bewerber wurde
durch viele Weihe-Reinigungen mit Feuer, Wasser und Honig
vorbereitet. Die Zahl der Erprobungen, denen er sich unter-
werfen mufste, war sehr grofs und endete mit einem fünfzig-
tägigen Fasten. Alle Erprobungen fanden in völliger Einsamkeit
unter andauernder Schweigsamkeit in einer unterirdischen Höhle
statt. Manche büfsten dieses Noviziat mit dem Leben oder mit
Geistesverwirrung: wer es wohlbehalten überwand, dem waren
die höchsten Ehren zugänglich. Nach Ablauf des Noviziats wurde
der Kandidat in die Einweihungshöhle gebracht und von seinem
Führer — der als Vertreter des ungeheuerlichen Greifs Simorgh,
welcher im Getriebe der persischen Mythologie eine grofse Rolle
spielte, gedacht war - mit Zauberwaffen und Talismanen ver-
sehen, damit er imstande sei, all die ihm von den bösen Geistern
unterwegs als Hindernisse entgegengestellten scheufslichen Gestalten
zu bekämpfen. In einem innern Gemach erfolgte seine Läuterung
durch Feuer und Wasser, ehe er die sieben Stadien der Ein-
weihung durchmachte. Zuerst erblickte er ein tiefes, gefähr-
liches Gewölbe; er stand am Rande des Abgrundes und ein ein-
ziger Fehltritt hätte genügt, ihn hinunter stürzen zu lassen zum
»Thron der furchtbaren Notwendigkeit“ (die ersten drei Eigen-
schaften der Natur). Sich in der dunkeln Höhle mühsam zurecht
tastend, sah er bald einzelne Strahlen des heiligen Feuers ein-
dringen und seinen Weg etwas erhellen; gleichzeitig hörte er
aus der Ferne das Geheul blutdürstiger Tiere: das Gebrüll von
Löwen und Tigern, das wilde Bellen von Hunden u. s. w. Sein
Begleiter, vollkommen schweigsam, drängte ihn in die Gegend,
aus der dieser Lärm kam. Plötzlich öffnete sich die Thüre und
er befand sich in einer nur sehr trüb erleuchteten Raubtierhöhle.
Sofort fielen Eingeweihte in Gestalt von Wölfen , Greifen,
Tigern, Löwen etc. über ihn her und in den meisten Fällen
wurde er übel zugerichtet. Sodann gelangte er in eine andere,
ganz finstere Höhle, in der er furchtbare Donnerschläge hörte
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Alte Mysterien.
und bei entsetzlich grellen Blitzstrahlen rachsüchtige Kobolde
umherhüpfen sah, die ihn wegen seines Eindringens in ihren
Wohnsitz angriffen. Um ihm ein wenig Erholung zu gönnen,
führte sein Begleiter ihn jetzt in ein Gemach, wo seine Aufregung
sich durch das Riechen köstlicher Düfte und das Anhören schöner
Musik einigermafsen legte. Sobald er sich bereit erklärte, das
Einweihungsverfahren fortzusetzen, erschienen auf ein Zeichen
seines Führers drei Priester, deren erster ihm als Zeichen der
Wiedergeburt oder Neuerstehung eine lebende. Schlange in den
Busen steckte. Nun öffnete sich eine Thüre und sofort wurde
der Novize wieder von schrecklichen Empfindungen befallen,
denn er vernahm gräfsliches Schmerzgeheul und Jammergeschrei.
Die Augen auf den Ort richtend, von dem der unbeschreibliche
Lärm herkam, erblickte er die Untenveit mit allen Qualen der
Sündigen. Allmählich durchwanderte er ein gewundenes Wirrsal
von sieben geräumigen, durch Schlängelgalerien mit einander
verbundenen Gewölben, deren jedes den Schauplatz gefährlicher
Abenteuer bildete. Schliefslich erreichte er das Allerheiligste
(sacelium), das wunderbar erleuchtet war und von Gold und
Edelsteinen erglänzte. Eine herrliche Sonne und ein Planeten-
system bewegten sich bei den Klängen köstlicher Musik. Im
Osten safs der Obermagier auf einem Thron von strahlendem
Gold, auf dem Haupt eine prachtvolle, mit Myrtenzweigen ge-
schmückte Krone. Er war in einen himmelblauen Mantel gehüllt
und von den Erteilern der Mysterien umgeben. Diese empfingen
den Neuling mit Glückwünschen, nahmen ihm die Verschwiegen-
heitseide ab und vertrauten ihm die verschiedenen heiligen Worte
an, insbesondere die Tetraktys, den vierbuchstabigen Namen
Gottes. Die pythagoreische Tetraktys entspricht dem hebräischen
Tetragramm (= vierbuchstabiger „Jahve"). Die Vierzahl galt als
die vollkommenste, weil in den vier ersten Eigenschaften der
Natur die übrigen inbegriffen sind; auch ergeben die vier ersten
Ziffern (1 +2 + 3 + -I) die Zehnzahl, nach welcher ja alles nur
Wiederholung ist.
Aus dem Einweihungsverfahren der zoroastrischen Priester,
welches sie das „Erklimmen der Leiter zur Vollkommenheit" nann-
ten, ging die Sage von Rustam hervor, dem persischen Herkules,
der, auf dem Ungeheuer Rakschi — dem arabischen Namen
Simorghs — reitend, auf die Eroberung von Mazendaraun auszog,
das als ein vollkommenes Erdenparadies berühmt war. Nachdem
er sieben gefahrvolle Stadien glücklich durchgemacht, gelangt er
zur Höhle des Weifsen Riesen, der alle seine Angreifer stets mit
Blindheit geschlagen hat. Rustam überwindet ihn und macht
mit Hilfe dreier Tropfen seines Blutes alle Gefangenen wieder
sehend. Den sinnbildlichen drei Blutstropfen begegnen wir in
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Die Mithras-Anbeter.
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dieser oder jener Gestalt in sämtlichen Mysterien: in Mexiko
waren's drei Blutstropfen, im alten Britannien drei Wassertropfen,
in Indien drei dreifache Fäden, in China die drei Striche des
Buchstaben Y u. s. w. Die Blindheit bezieht sich auf die geistige
Blindheit des Novizen, der Weifse Riese auf die Einweihung
in die Riten.
Die Mithras-Anbeter.
Entartung des Zoroastrismus. - Ursprung des Mithrasdienstes. - Glaubens-
lehre. — Einweihungsriten. - Thammuz.
Auf den Stamm der so überaus geistig gearteten, götzen-
dienstfeindlichen Religion Zoroasters welche ikonoklastische
Streifzüge nach Babylonien, Assyrien, Syrien und Lybien unter-
nahm, mittels des Schwertes Kambyses das ägyptische Priestertum
ausrottete, die griechischen Götter und Tempel vernichtete, den
Hebräern die Pharisäer gab und einen so einfachen und reinen
Gottesdienst hatte, dafs man die Parsi die Puritaner des Alter-
tums und Kyros den Gesalbten des Herrn nennen konnte —
wurden nachträglich götzendienerische Zweige gepfropft, vor allem
der Mithrasdienst, dessen Entstehung Dupuis in die Zeit -1500
vor Christus verweist
Mithras ist ein heilbringender, die Sonne beherrschender
Genius, der mächtigste der 28 izads oder Lichtgeister, der vor-
nehmste Vermittler zwischen Oromazes und den Menschen. Ur-
sprünglich wurde er nicht mit der Sonne verwechselt, sondern
neben ihr verehrt; aber im Lauf der Zeit wurde die Vorstellung
von ihm korrumpiert und schliefslich nahm er göttliche Attribute
an. Solche Bcfördenmgen kleinerer Gottheiten zu höheren kommen
in der Götterlehre durchaus nicht selten vor; es sei nur an
Siwa und Wischnu in der indischen, an Serapis in der ägyp-
tischen, an Jupiter in der griechischen Mythologie erinnert. Er-
leichtert wurden die Fälschungen durch die Verwechslung des
Sinnbildes mit der versinnbildlichten Sache, des Genius der Sonne
mit der Sonne selbst, welche allein in der Sprache verblieb; das
neupersische Wort für »Sonne" (mihr) ist nämlich die regel-
richtige Abänderung des zendischen Wortes »Mithras".
Der persische Mithras darf nicht mit dem indischen ver-
wechselt werden, der unstreitig seit den ältesten Zeiten den Gegen-
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Alte Mysterien.
stand eines eigenen geheimnisvollen Gottesdienstes bildete und
den Eingeweihten als die Sonne galt. Ziehen wir den Zahlen-
wert der Buchstaben des griechischen Wortes „Meithras" in
Betracht, so erhalten wir 365, die Zahl der Tage des Sonnen-
jahres. Den gleichen Ziffernwert hat „Abraxas“, der der Gott-
heit durch Basilides beigelegte Name, sowie „Belenos“, welchen
Namen die Sonne in Gallien führte.
Die mithraischen Denkmäler enthalten Darstellungen der
Sonnenkugel, der Keule und des Stiers, die Sinnbilder der
höchsten Wahrheit, der höchsten Schöpferthätigkeit und der
höchsten Lebenskraft. Diese Dreifaltigkeit stimmt überein mit
der des Plato (= der Höchste Gott, das Wort, die Weltseele),
mit der des Hermes Trismegistus (Licht, Verstand, Seele) und
der des Porphyrius (der Vater, das Wort, die Höchste Seele).
Nach Herodot machten die Babylonier und Assyrer aus Mithras
Mylitta bezw. Venus, die Fruchtbarkeitsgöttin, der ein obscöner
Dienst gewidmet wurde, welcher sich auf das weibliche Schöpfungs-
prinzip bezog. Vielleicht ist auch die armenische Göttin Anaitis
mit Mithras identisch. Die Anbetung des persischen Mithras
(= Apollo) verbreitete sich über Italien,*) Gallien, Germanien und
Britannien, ln Rom überwand sie die griechischen und römischen
Götter und die zu Ende gehende Vielgötterei setzte der Sonne
Christus die Sonne Mithras entgegen.
Die Heiligtümer des Mithrasdienstes befanden sich stets
unter der Erde und in jedem derselben gab es eine siebensprossige
Leiter, auf der man die „Wohnsitze der Glückseligkeit" erklomm.
Die Einweihungsriten ähnelten denen der Magier, waren aber so
streng und langwierig, dafs nur wenige Bewerber bis zum Schlufs
ausdauerten, der allein die vollkommene Kenntnis der Mysterien
sicherte. Der erste Grad wurde durch allerlei Reinigungen und
Läuterungen eingeleitet; während der Kandidat dem Gott einen
Laib Brodes und eine Schale Wassers opferte, trug er auf der
Stirn ein gewisses geheimes Zeichen; sodann reichte man ihm
auf der Spitze eines Schwertes eine Krone, die er sich aufs
Haupt setzte, wobei er sagen mufste: „Mithras ist meine Krone.“
Im zweiten Grad legte er eine Rüstung an, um gegen Riesen
und Ungeheuer gewappnet zu sein, ln den unterirdischen Höhlen
entwickelte sich eine wilde Jagd. Die Priester und Funktionäre
des Tempels verkleideten sich als Löwen, Tiger, Leoparden, Bären,
*) Vor einigen Jahren wurde in Rom unterhalb der Klemenskirche
ein überraschend gut erhaltener Mithrastempel entdeckt, sodafs an einer
und derselben Stelle die Sonnen- oder Lichtgottheit oben und unten
vertreten ist. 18S6 entdeckte man in Ostia einen ebenfalls vorzüglich
erhaltenen Mithrastempel, der Mosaikarbeiten aufweist, welche alle Sinn-
bilder des persischen Sonnengottesdienstes darstellen.
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Die Mithras-Anbeter.
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Wölfe und andere Raubtiere und überfielen den Kandidaten unter
furchtbarem Geheul, ln diesen Scheinkämpfen lief er grofse
Gefahr. Übrigens sollen auch die Angreifer manchmal schlecht
angekommen sein; so wird z. B. erzählt, dafs Kaiser Kommodus
den Scherz so weit trieb, einen der ihn während seiner Ein-
weihungszeremonien überfallenden Raubtierpriester zu erschlagen.
Im dritten Grad hüllte der Neuling sich in einen Mantel,
auf dem sich die gemalten Zeichen des Tierkreises befanden.
Sodann wurde ein Vorhang zurückgezogen und er sah sich von
scheufslichen Greifen umgeben. Nach einigen anderen Er-
probungen begrüfste man ihn, falls er nicht vorzeitig den Mut
verlor, als einen „Löwen des Mithras" eine Anspielung auf
das Tierkreiszeichen, in welchem die Sonne ihre gröfste Kraft
entfaltet. (Derselbe Gedanke liegt in der Freimaurerei dem Grad
eines „Meisters“ - 3. Grad — zu Grunde.) Hierauf wurde er
in das grofse Geheimnis eingeweiht. Die Natur des letzteren
kennt man nicht mehr genau; doch läfst sich annehmen, dafs es
in den verläfslichsten priesterlichen Überlieferungen, den be-
glaubigtesten Weltschöpfungslehren und den Attributen, Voll-
kommenheiten und Leistungen des Oromazes bestand. That-
sächlich stellen die Mithras-Mysterien das Fortschreiten von der
Finsternis zum Licht vor. Nach Guignault bedeutet Mithras die
Liebe. In Bezug auf das Ewige ist er der Sohn der Barm-
herzigkeit, in Bezug auf Oromazes und Ahriman das Feuer
der Liebe.
Eine andere Phase der Sonnenanbetung bestand in den mit
der Verehrung des chaldäischen Sonnengottes Thammuz verbun-
denen Zeremonien. Lenormant war der erste Forscher, der aus
den assyrischen Tafeln nachwies, dafs Thammuz das Urbild des
Adonis und sämtlicher später in verschiedenen Ländern unter
allerlei Namen angebetenen Sonnengötter war. Diese Tafeln be-
lehren auch über die Geschichte der Istar, das Urbild der Astarte,
der Isis und der übrigen weiblichen Gottheiten, welche nach-
träglich kosmisch das weibliche Prinzip und astronomisch den
Mond vertraten. Das grofse Thammuzfest wurde um die Zeit
der Sommersonnenwende gefeiert. (Noch jetzt heifst der Haupt-
monat des Sommers im jüdischen Kalender Tammuz.) Es dauerte
sechs Tage und die jedem dieser Tage zugeschriebenen Obliegen-
heiten weisen eine seltsame Übereinstimmung mit den ent-
sprechenden Eigenschaften der Natur auf. Der erste Tag galt
als Tag der Ruhe, der Bewegungslosigkeit und Unthätigkeit.
Am zweiten und dritten feierte man den Kampf des gefangen
gehaltenen Lebens um die Befreiung; das waren also Tage der
Trauer und des Leidens. Den vierten widmete man der Über-
windung der Löwen und Schlangen; d. h. das Feuer, die vierte
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Alte Mysterien.
Eigenschaft der Natur, begann, die drei ersten — dunkeln —
Eigenschaften zu überwinden. Am fünften wurde der heilsame
Einflufs des wiedererstandenen Lichtes (Sonne) bereits wahrnehm-
bar und man nahm daher Opferungen vor. Der sechste Tag
galt der Feier — durch Freudengesänge — der Vereinigung der
Sonne (Sol) mit Istar. . Das achte Kapitel des biblischen Buches
Ezechiel umfafst den Tag der Trauer um Thammuz und den
Tag seines Wiedererstehens (Auferstehung).
Interessant ist, dafs die Chinesen Thammuz „Tonios" nennen
und dafs auf diesem Umstand die Sage beruht, der Heilige
Thomas sei in China und Indien gewesen. Die ersten römisch-
katholischen China-Missionäre glaubten, als sie von „Tomos"
hörten, St. Thomas habe in jenen Ländern das Evangelium ge-
predigt. Daher nannten sich die ersten dortigen Christen
..Christen des Heiligen Thomas"; sie dichteten diesem allerlei
Wunderthaten an und erzählten, er sei von den Brahminen, weil
er ihnen ins Handwerk gepfuscht, umgebracht worden.
Brahminen und Gymnosophisten.
Die indische Volksreligion. Geheimlehre. Die Schöpfungslehre der
Hindus. Der Buddhismus und seine Lehren. — Askese. — Gymnosophie.
— Einweihunfesorte und -Riten. Der unaussprechliche Name Aum. —
Lingam. — Der Lotus. — Die Dschains.
Ob wir die indische Religion nun als eine Verfälschung
des Magismus oder als den gemeinsamen Stamm aller asiatischen
Theosophien betrachten, jedenfalls ist ihr Reichtum an Gottheiten
weit gröfser als der jeder andern Religion. Dieser Reichtum
bildet ein sicheres Zeichen der Armut und Dummheit des Volkes,
das die Naturgesetze nicht kennt, vor den Naturerscheinungen
Angst hegt und hinter allem Unbekannten übernatürliche Wesen
vermutet. Die 300000 Götter der Brahminen haben das Leben
der Indier zu einem knechtischen und stillstehenden gemacht, die
Kasteneinteilung und die Unwissenheit aufrecht erhalten und das
Dasein des betrogenen Volkes gramvoll und unerträglich gestaltet.
Für die Eingeweihten jedoch giebt es keine Götzen; sie
wissen, dafs es sich bei den dem Volk unerklärlichen Erschei-
nungen nicht um die Leistungen oder Launen zahlloser Gottheiten,
sondern lediglich um äufserliche Kundgebungen der Ersten Ur-
sache handelt.
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Brahminen und Gymnosophisten. 27
Jene Phantasiegebilde wurden von den Brahminen für das
Volk ersonnen, weil sie es nicht für fähig hielten, die Geistes-
religion in ihrer Reinheit zu erfassen und zu bewahren. Darum
auch verschleierten sie ihre Naturerkenntnis nach Möglichkeit und
erfanden auch eine der Menge unverständliche Sprache, die uns
durch grofse Forscher verständlich gemacht worden ist, sodafs
wir genau wissen, dafs die indische Religion eine der reinsten
aller Zeiten war. Wir lesen z. B. im zweiten Kapitel des ersten
Teiles des »Wischnu Purana“: »Gott hat keine Gestalt, keinen
Beinamen, keine Erklärung. Er kann nicht beschrieben werden.
Er ist frei von Mängeln und unfähig, vernichtet oder verändert
zu werden, Kummer oder Schmerz zu fühlen. Wir können nur
sagen, dafs er — d. h. das Ewige Wesen - Gott ist. Gewöhn-
liche Menschen glauben, Gott sei im Wasser; aufgeklärtere
Leute versetzen ihn in Himmelskörper, die Unwissenden in Holz
und Stein; die Weisen jedoch wissen, dafs er sich im Weltgeist
befindet." In der »Mahanirwana" heifst es: »Zahlreiche Ge-
stalten, die der Beschaffenheit verschiedener Kräfte und Gewalten
entsprechen, wurden für jene erfunden, denen es am nötigen
Verständnis fehlt. . . . Wir haben keine Vorstellung davon, wie
das Ewige Wesen geschildert werden könnte; dieses steht über
allem, was der Geist erfassen kann, über der Natur. . . Jener
Einzige, den keine Sprache je zu umschreiben vermocht hat, ist
das Höchste Wesen. . . Dieses Wesen erstreckt sich über alles
Vorhandene. Es ist blofser Geist ohne Körpergestalt, ohne mefs-
bare Ausdehnung, organlos, eindruckslos, rein, vollkommen, all-
wissend, allgegenwärtig, der Lenker des Verstandes, die Seele des
ganzen Weltalls.“
Die Schöpfungslehre der Hindus ist die älteste aller auf
uns gekommenen Kosmogonien. Die dieselbe enthaltenden
Gesetze des Menu wurden vor Mosis Geburt geschrieben ; wir
lesen in ihnen:
»Dieses Weltall war vorerst nur in den göttlichen Ur-
gedanken vorhanden, unentwickelt, gleichsam in Dunkel gehüllt.
Dann erschien die einzige von und durch sich selber bestehende
Macht in unvermindertem Glanz und breitete ihre Gedanken
aus. . . Er hatte sich entschlossen, verschiedene Wesen aus seiner
eigenen göttlichen Wesenheit heraus zu erschaffen; zuerst erschuf
er die Gewässer. . . Aus dem Seienden, der ersten Ursache,
wurde das Göttlich-Männliche erzeugt. . . Er gestaltete oben den
Himmel, unten die Erde und in die Mitte setzte er den feinen
Äther. Er rief alle Geschöpfe ins Leben und gab ihnen auch
ihre ersten besonderen Namen. . . Nachdem die Allmacht ihre
eigene Wesenheit geteilt hatte, wurde sie halb männlich, halb
weiblich. Nach Erschaffung dieses Weltalls löste sie sich wieder
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Alte Mysterien.
in Geist auf, indem sie die Zeit der Thätigkeit mit der Zeit der
Ruhe vertauschte."
Man sieht, wie grofsartig die Äufserungen sind, von denen
wir im Buch Genesis einen überaus schwachen Widerhall ver-
nehmen — so schwach, wie wenn ein Kind versuchen wollte,
die Lehren eines grofsen Weisen wiederzugeben.
Den Brahminenpriestern, ihren Überlieferungen und ihrer
Litteratur erwuchs ein gefährlicher Gegner im Buddhismus. Als
Prediger der Gleichheit aller Menschen leugnete Buddha den
Wert und die Notwendigkeit des vedischen Systems. Die unter
dem Joch der brahminischen Tyrannei seufzenden Menschen be-
grüfsten freudig das neue Brüderliehkeits- und Barmherzigkeits-
Evangelium, welches überdies durch den halblauten Skeptizismus
einiger vediseher Philosophieschulen unterstützt wurde. Nament-
lich im Süden Indiens hiefs man den Buddhismus willkommen
und auf Ceylon fand er bereits 2-40 vor Christus Eingang.
Gegenwärtig ist Ceylon der einzige Teil Indiens, in welchem
sich der Buddhismus unverändert erhalten hat; im eigentlichen
Indien rotteten ihn die Brahminen durch blutige Verfolgungen
so ziemlich aus.
Sakiamuni (dies der eigentliche Name, denn »Buddha" ist
nur ein Attribut, und zwar „Weiser“) wurde angeblich im sechsten
Jahrhundert vor Christus geboren. Doch ist nicht erwiesen, dafs
er wirklich jemals . gelebt hat; vielmehr haben die neueren
Forschungen ergeben, dafs seine Geschichte ein Sonnenmythos
ist, der ursprünglich von Krischna erzählt wurde.*) Die heiligsten
buddhistischen Sinnbilder und die häufigsten buddhistischen
Gleichnisse haben in der Veda Analogien; der Unterschied ist
nur der, dafs die Brahminen ‘ das Individuum in einem persön-
lichen Gott aufgehen lassen, während die Buddhisten es in das
allgemeine Nichts (Nirwana) auflösen. Der Buddhismus lehrt
nämlich, dafs der Ürstoff (prakriti) das einzige durch sich selbst
bestehende Göttliche sei und dafs dieser Materie zwei Kräfte
innewohnen, aus denen zwei verschiedene Zustände hervorgehen:
die Ruhe und die Thätigkeit. In dem einen Zustand verharrt
*) Auch die vor kurzem erfolgte Führersche Entdeckung beweist
nicht, dafs Buddha thatsächlich gelebt habe. Der genannte Forscher ent-
deckte den Lu m bi ni- Garten , den angeblichen Geburtsort Buddhas, und
in demselben eine Steinsäule mit der Inschrift: „Hier wurde der An-
betungswürdige geboren.“ Die Überlieferung besagt, dafs Sakiamuni
dort zur Welt gekommen sei und dafs mehrere Jahrhunderte später
ein König zur Verenigung dieses Ereignisses eine Steinsäule aufstellen
liefs. Führer hat also nicht die Thatsache der Geburt nachgewiesen,
sondern nur die in der Überlieferung angedeutete Örtlichkeit festgestellt.
Immerhin bleibt seine Entdeckung — das Ergebnis gründlicher, geist-
reicher Untersuchungen — wichtig, scharfsinnig und lichtvoll.
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Brahminen und Gymnosophisten.
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der Urstoff mit bewufster Ruhe in völlig unthätiger Leere
(Nichtigkeit); das ist der Glückseligkeitszustand des Umichts. In
dem zweiten Zustand geht die Materie infolge ihrer Thätigkeit
aus sich selbst heraus und nimmt begrenzte Gestalten oder
Formen an. Dabei verliert sie ihre Bewufstheit, doch gewinnt
sie dieselbe bei ihrer Menschwerdung zurück. Es giebt somit
eine ursprüngliche und eine erzeugte Bewufstheit. Das Ziel des
Menschen ist, die ursprüngliche Bewufstheit wieder hervorzurufen.
Sobald er diese erlangt, erfährt er, dafs es aufser der Urmaterie
nichts Wirkliches giebt; dann wird sein Geist identisch mit dem
bewufsten Umichts, d. h. seine persönliche Seele, von ihrem leib-
lichen Kerker befreit, kehrt zur Weltseele zurück, wie das in
einem Stück Holz eingekerkerte Sonnenlicht nach Verbrennung
des Holzes ins allgemeine Lichtmeer zurückkehrt.
Auf diese Lehre wurden später gepfropft der Irrglaube an
die Seelenwanderung und jene menschenfeindliche Selbstverleug-
nung, die in Indien zur Selbstfolterung zahlreicher Fakire und
andrer Fanatiker führte und in christlichen Gemeinwesen zur
Askese durch Fasten, Bufsen, Kasteiungen, Einsamkeit, Geifselung
und die sonstigen wahnsinnigen Übungen von Mönchen, Ein-
siedlern und anderen Religionseiferern.
Diese Askese beruht, wie gesagt, auf der Vorstellung, dafs
das Absolute (das All) das wirkliche Dasein, die persönlichen
Erscheinungen jedoch - namentlich alles Stoffliche, Körperliche
— lediglich Hirngespinste seien, die möglichst vermieden werden
sollen, weil sie die Entfernung vom Absoluten vergröfsern, und
dafs durch Kasteiung des Leibes das Aufgehen in der Gottheit
schon hienieden erlangt werden könne. Noch heute ist die As-
kese in Indien verbreitet, aber nicht mehr so sehr wie früher.
In zehntausenden von Fällen wurde sie durch das Suchen des
Todes auf die Spitze getrieben. Während des Festes der furcht-
baren Göttin Bhowani — der Gemahlin Siwas - warfen sich
jedesmal zahlreiche Fanatiker unter Freudengeheul vor die mit
Schneiden versehenen Räder des Wagens, auf dem das schwere
Götzenbild ans Ufer des Ganges gefahren wurde. Beim Klange
von Trompeten liefsen sie sich von den Rädern freiwillig in
Stücke schneiden. Anderwärts rief die Askese andere seltsame.
Auswüchse hervor.
Von den sogenannten Gymnosophisten, den Magiern
des Brahminismus, wissen wir nur sehr wenig. Sie waren die
strengsten Wächter der Naturerkenntnis und ursprünglich am
freiesten von Betrügerei. Sie verbreiteten sich auch über Afrika.
In Äthiopien lebten sie als Einsiedler und an den Nil-Ufern
erneuerten sie viele Phasen der asiatischen Theosophie; zahlreiche
Spuren davon finden sich in den Lehren der Derwische. Als
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Alte Mysterien.
fahrende Priester sollen sie eine Geheimlehre gehabt haben, als
deren Früchte und äufsere Kundgebung die Einfachheit ihrer
Lebensweise und die Reinheit ihrer Sitten betrachtet werden
können; in späteren Zeiten freilich arteten sie zu einer der aus-
schweifendsten und unsittlichsten Sekten Indiens aus.
Die Gymnosophisten gingen fast nackt (ihr Name bedeutet
»nackte Weise") und lebten von Kräutern, waren jedoch gegen
Menschen von geringerer Mäfsigkeit und Einfachheit nicht un-
duldsam. Sie glaubten an nur Einen Gott, an die Unsterblich-
keit der Seele und an die Seelenwanderung. Wenn sie durch
Krankheit oder Alter litten, bestiegen sie den Scheiterhaufen, denn
sie betrachteten solche Leiden für verächtlich. Alexander der
Grofse sah einen von ihnen sein Leben in dieser Weise beschliefsen.
Die Priesterschaften von Äthiopien und Ägypten standen
mit einander in lebhafter Verbindung. Osiris ist eigentlich eine
äthiopische Gottheit. Alljährlich kamen beide Priesterschaften
an den Grenzen der zwei Länder zusammen, um Ammon —
ein anderer Name für Jupiter — Opfer darzubringen und das
sogenannte Sonnentafelfest, das die Griechen »heliotrapeza" nann-
ten, zu feiern. Angesichts des Fetischismus, der in Afrika vor-
herrschte — und zwar teils infolge des Klimas, teils infolge der-
selben Umstände, aus denen der indische Fetischismus hervor-
ging - gebührt Bewunderung den Gymnosophisten, jener Nieder-
lassung von Denkern, die den Fortschritten des Despotismus
lange Widerstand leisteten und deren Vernichtung das Rachewerk
der Unduldsamkeit und der Gewaltherrschaft war.
Die Mysterien wurden, wie anderwärts, in unterirdischen
Höhlen gefeiert. In Indien waren die letzteren in die Natur-
felsen gehauen und sie übertreffen an Grofsartigkeit der Anlage
und Vollkommenheit der Ausführung alles sonstwo Vorhandene.
Besonders herrlich sind die Felsentempel zu Elephanta, Ellora
und Salsette, die aus grofsen Sälen, Palästen, Kapellen, Pagoden
und aus Zellen für tausende von Priestern und Pilgern bestehen,
- alles mit Säulen, Obelisken, Basreliefs, ungeheuren Götter-
standbildern, Elefanten und anderen heiligen Tieren vollgemeifselt.
Die Zeit der Einweihungszeremonien richtete sich nach
dem Stande des Mondes. Die Geheimnisse waren in vier Grade
geteilt, in deren ersten man schon nach Ablauf des achten Lebens-
jahres eingeweiht werden konnte. Ein Brahmine bereitete den
Bewerber auf den zweiten Grad vor, dessen Erprobungen haupt-
sächlich darin bestanden, dafs der Kandidat seine Zeit fast gänzlich
mit Gebeten, Waschungen, Fasten und dem Studium der Himmels-
kunde zubringen mufste. Er mufste im Sommer, während die
Sonne heifs herniederbrannte, zwischen vier lodernden Feuern
sitzen, im Winter nasse Kleider tragen, im Regen barhaupt gehen.
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Brahminen und Gymnosophisten.
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Seine Reinigung wurde durch allerlei mit dem Grab der Sonne
(Finsternis, Hölle, Sarg des Hiram, lauter Sinnbilder der ersten
drei Eigenschaften der Natur) zusammenhängende Proben voll-
endet und schliefslich brachte man ihn nächtlicherweile in die
glänzend erleuchtete Einweihungshöhle, an deren Ost-, West- und
Südseiten die drei Oberpriester safsen, die die Götter Brahma
(als Vertreter der Materie rot bemalt), Wischnu (als Vertreter des
Raumes blau bemalt) und Siwa (im Gegensatz zur schwarzen
Nacht der Ewigkeit weifs bemalt) darstellten und von angemessen
gekleideten Mystagogen (Mysterien-Erteilern) umgeben waren. Die
Riten begannen mit einer Anrufung der Sonne, die hier „purush“
genannt wurde, worunter man die »Lebensseele“ verstand, einen
Bestandteil von Brahms Allgeist. Nach einigen ferneren Zere-
monien mufste der Novize die Höhle dreimal umwandern und
nun wurde er durch sieben dunkle Gewölbe geleitet, wobei Ein-
geweihte die Klagen des Gottes Mahadewa um den Verlust
Siwas durch düsteres Geheul darstellten und den Kandidaten
durch Blitze, Geheul und scheufsliche Ungeheuer zu erschrecken
und zu verwirren trachteten. Nach Erreichung der letzten Höhle
ertönte die heilige Muscheltrompete, eine Flügelthüre öffnete sich
und der Neuling betrat ein von blendendem Licht und herrlichen
Düften erfülltes Gemach, das mit Bildsäulen und allegorischen
Gestalten, die mit Kleinoden beladen waren, geschmückt war.
Dieses Allerheiligste vertrat das Paradies und führte im Tempel
von Ellora auch wirklich diesen Namen. Man sagte dem No-
vizen, er müsse, die Augen unentwegt auf den Altar gerichtet,
das Herabsteigen der Gottheit in das pyramidenförmige Feuer,
das auf demselben loderte, erwarten; von Begeisterung oder
Schwärmerei erfafst, mochte er vielleicht wirklich glauben, Brahm*)
auf dem Lotus sitzend zu erblicken, den Zirkel und das Feuer
— die Sinnbilder der Ewigkeit und der Macht — in den Händen
haltend. Das Einweihungssymbol war eine aus sieben dreimal
geknüpften Fäden bestehende Schnur.
Der nunmehr für wiedergeboren geltende Novize durfte
eine Tiara, ein weifses Gewand und einen heiligen Gürtel an-
legen. Auf seine Stirne wurde ein gewöhnliches Kreuz (+), auf
seine Brust ein Antoniuskreuz (Tau T, crux ansata) gezeichnet.
Dann übergab man ihm den Schlangenstein als Gegengift gegen
Schlangenbisse und das zur Erlangung der Vollkommenheit
Wischnus dienende Salagramma (schwarzer Stein). Schliefslich
*) Wir sprechen manchmal von Brahm , manchmal von Brahma.
Der erstere ist das Ewige Leben, der letztere dessen Verkörperung. Die
beiden Worte entsprechen der Bodenlosen Gottheit und der Jungfrau
Sophia der christlichen Theosophie.
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Alte Mysterien.
vertraute man ihm den heiligen Namen des Sonnenfeuers an, der
auch das grofse Trimurti umfafste, d. h. das vereinigte Prinzip,
das dem Bestand aller Dinge zu Grunde liegt (= die indische
Dreieinigkeit). Dieses Wort war OM oder AUM; in der letz-
teren Gestalt vertrat es die erschaffende, erhaltende und zer-
störende Gewalt der Gottheit, personifiziert durch Brahma, Wischnu
und Siwa. Diesem Namen , dessen Sinnbild ein gleichseitiges
Dreieck ist, schrieben die Eingeweihten die wunderbarsten Fähig-
keiten zu, gerade wie die Royal-Arch-Freimaurer dem Worte
Jabulon. Man durfte es nur still denken, nicht aussprechen, denn
sein Aussprechen — so glaubte man — würde Himmel und Erde
erbeben lassen und sogar den Engeln Furcht einjagen. Dem
Neu-Eingeweihten wurden noch die verschiedenen Abzeichen und
Aporeme der Mysterien erläutert; auch sagte man ihm, dafs die
Kenntnis des OM ihn mit der Gottheit vereinige. Bei den Per-
sern bedeutete die Silbe HOM den Lebensbaum (Mann und
Baum in Einem), den Wohnsitz der Seele Zoroasters; gleich den
Indiern, bestraften sie die Enthüllung des Wortes mit dem Tode.
(Das „Jahwe“ der Hebräer durfte bekanntlich ebenfalls nicht aus-
gesprochen werden.) Dieser „heilige Name“, der die Verwerfung
der Vielgötterei in sich schliefst, bildet den goldenen Faden, der
die alten Geheimgesellschaften mit den modernen verbindet.
Zu den im Allerheiligsten sichtbaren Sinnbildern und Ab-
zeichen gehörte der Lingam (Phallus), der das männliche Prinzip,
die Schöpferkraft des höchsten Wesens darstellte. Er fand und
findet sich an den Wänden der meisten Hindutempel und sein
Dienst verpflanzte sich von Indien nach Ägypten, Griechenland,
Skandinavien und anderen Ländern. Ein solcher Kultus mufste
zu grofsen Mifsbräuchen führen; ganz besonders war dies bei
den Gymnosophisten der Fall.
Die Schaffenskraft der höchsten Gottheit wurde in Indien
aufserdem noch durch den Lotus versinnbildlicht. Der auch in
Ägypten heilig gehaltene Lotus, die Lilie des Nils, bildete das
grofse pflanzliche Amulett der Völker des Ostens. Die Hindus
dachten sich ihre Götter stets auf dem Lotus sitzend. Er be-
deutete auch die Freiheit der Seele nach der Befreiung aus ihrem
irdischen Schrein, dem Körper, denn er wurzelt in dem Schlamm
des Flufsbettes, entwickelt sich vom Keim zu einer vollkommenen
Pflanze, wächst über den Wasserspiegel hinaus und schwebt frei
in der Luft, unabhängig von jeder äufseren Stütze. Als Symbol
Siwas ruht er auf einem goldenen Tisch auf dem Gipfel des
Berges Meru, des heiligen Berges, den die Hindus, die Tataren,
die Mandschuren und die Mongolen als den Mittelpunkt der Erde
verehren. Man vermutet ihn im Norden Indiens und schreibt
ihm drei Gipfel zu — einen goldenen, einen sibernen und einen
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Die ägyptischen Mysterien.
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■eisernen — auf denen die Dreieinigkeit Brahma, Wischnu und
Siwa ruht Es handelt sich offenbar um die tatarische Hoch-
ebene, die im Süden vom Himalajagebirge begrenzt ist. Auch
die Juden pflegten Berge mit drei Spitzen heilig zu halten; der
ölberg bei Jerusalem z. B. galt ihnen als Wohnsitz der Gott-
heit. Im Buche Zachariä lesen wir, dafs während der drohenden
Zerstörung Jerusalems der Allmächtige seine Füfse auf die beiden
äufseren Gipfel des Ölberges setzte und dafs der mittlere sich
von Ost nach West spaltete, ein grofses Thal erzeugend.
Bevor wir dieses Kapitel schliefsen, müssen wir von den
Dschains sprechen, einer buddhistischen Sekte, die mit den
eigentlichen Buddhisten die Göttlichkeit der Vedas leugnet, die
Kasteneinteilung jedoch beibehält. Sie kennt vier Kasten; obenan
steht die Priesterkaste (die Brahminen). Man weifs, dafs deren
Mitglieder sich einem Einweihungszeremoniell (upanajana) unter-
ziehen; aber man weifs nicht, worin es besteht. „Dschain“
(oder „dschina") bedeutet »Eroberer"; während jedoch bei den
eigentlichen Buddhisten der Mensch durch Betrachtungen zum
„Eroberer“ wird, wird er es bei den Dschains durch Enthalt-
samkeit Auf dem Berge Abu (in Radschputana) besitzen sie
den prachtvollsten Tempel von ganz Indien. Er ist ein herrlicher
Marmorbau in Kreuzform und soll nicht weniger als 360 Millionen
Mark (? !) gekostet haben. Er bildet das Hauptziel der Wall-
fahrten der Dschains, die übrigens in Karlih (Präsidentschaft
Bombay) ein zweites grofses Heiligtum haben, einen Felsentempel.
Die ägyptischen Mysterien.
Hohes Alter der ägyptischen Kultur. — Altägyptische Tempel. - Ägyp-
tische Priester und könige. — Exoterische und esoterische Lehren. —
Ägyptische Götterlehre. — Der Phönix. — Das Kreuz. — Einweihungs-
örtlichkeiten. — Einweihungsverfahren. - Serapis-Mysterien. — Osins-
Mysterien. — Isis.
Ein langer, schmaler Streifen Landes, durch ungeheure
Überschwemmungen bewässert, von ausgedehnten Einöden um-
geben, durch hohe, steile Felsen vor den Einfällen der Nomaden-
stätnme geschützt, erfreute das alte Ägypten sich einer der
ältesten und glanzvollsten Kulturen. Ein Thal, ein Flufs und
eine Rasse genügten dort zur Hervorbringung einer Welt von
Wundern zu einer Zeit, da es in Europa noch Menschen gab,
die nackt gingen und sich die Haut färbten, wie z. B. die alten
Heckethorn*Knt»cher. Geheimbünde u. Geheimlehren. 3
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Alte Mysterien.
Bretonen, oder die — wie die Griechen — mit Pfeil und Bogen
ein Nomadenleben führten. Viele Tausende von Jahren vor dem
trojanischen Krieg hatten die Ägypter das Schreiben erfunden,
wie uns der jetzt im Berliner Museum aufbewahrte, aus der Zeit
Rhamses des Zweiten stammende hieratische Papyrus beweist,
welcher Vorschriften für die Behandlung zahlreicher Krankheiten
enthält. Die Ägypter kannten auch bereits viele der Bequem-
lichkeiten, die unser Stolz modern nennt. Die griechischen
Schriftsteller, von den ägyptischen Priestern »Kinder" genannt,
füllen ihre Werke mit Erinnerungen an jenes geheimnisvolle
Land; sie sprechen vom Vater Nil, vom hundertthorigen Theben,
vom Labyrinth, vom Meroe-See, von den Pyramiden, der Sphinx
und der die aufgehende Sonne begrüfsenden Memnonssäule.
Die ägyptische Chronologie, das Muster und Vorbild aller
anderen, ist in unvergängliche Denkmäler eingegraben. Aber
lange blieb alles für uns Geheimnis: die wegen ihrer flammen-
ähnlichen Form der Sonne heiligen Obelisken, die Labyrinthe,
die die denkende Seele vorstellenden menschenköpfigen Vögel,
die die Schaffenskraft andeutenden heiligen Pillenkäfer, die die
Kraft vertretenden Sphinxe, die das Leben und die Ewigkeit ver-
sinnbildlichenden Schlangen, die Hieroglyphen u. s. w. u. s. w.
Vielleicht blieben all diese Dinge ein ewiges Geheimnis auch für
das ägyptische Volk, welches in Furcht und Schweigsamkeit die
Pyramiden errichtete. Die Gesamtheit dieser Symbole bildete
die Sprache einer der umfassendsten und ausgedehntesten Geheim-
gesellschaften aller Zeiten.
Beim Durchwandern jener gigantischen Tempel, beim Durch-
schreiten jener Kreuzgänge, die nach vielen Windungen ins
Allerheiligste führen, mufs man unwillkürlich an die Stille und
Einsamkeit denken, die stets in diesen Räumen geherrscht hat,
welche nur die Auserwählten betreten durften, während heutzutage
jeder weltliche Fufs Zutritt hat. Der Tempel von Luxor ist
der gröfste auf der ganzen Erde. Er hat sechs Vorhallen mit
langen Reihen von Säulen, Kolossen, Obelisken und Sphinxen,
sowie sechs Kreuzgänge. Siebzig Jahrhunderte hindurch fügte
jedes neue Königsgeschlecht einen neuen Teil hinzu, sodafs die
Gläubigen sich vom Sitz der Gottheit immer weiter entfernt
sahen und das Wunder wie das Geheimnis immer gröfser wurde.
Die sechste Säulenhalle blieb unvollendet — ein Geschichtsbruch-
stück, das nie vollendet werden wird. Die Wände lind die
Säulen der Tempel sind mit religiösen und astronomischen Dar-
stellungen bedeckt. Daraus, dafs viele der letzteren menschliche
Wesen in verschiedenen Leidens- und Folterungsstadien zeigen,
schlofs man auf die Grausamkeit der ägyptischen Riten, bis man
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Die ägyptischen Mysterien.
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sich durch spätere Forschungen überzeugte, es handle sich da
nur um die den Sündern angeblich im Jenseits drohenden Strafen.
Da Wissen Macht ist, herrschte die Priesterkaste zuerst
und allein, denn nur sie war im Besitz des gesamten Wissens.
Zu ihrem eigenen Schutz bewaffnete sie einen Teil der Bevöl-
kerung, während sie die grofse Menge durch Aberglauben und
Korruption im Schach hielt. Allmählich jedoch lehnte sich der
Wehrstand gegen den Lehrstand auf, das Militär knickte die
Alleinherrschaft der Geistlichkeit und neben den Hohepriestern
begannen Könige zu regieren. Doch behielten die ersteren die
Oberhand. Die Pfaffen hatten den Nil entlang festungsartige
Tempel, die zugleich herrliche Wohnpaläste waren und auch als
landwirtschaftliche Anstalten, Handelsemporien und Karawanen-
stationen dienten. Sie ernannten und beherrschten die Könige
und regelten aufs genaueste deren Thun und Lassen. Ihnen
gehörten die höchsten Ämter; als Gelehrte, Richter und Ärzte
genossen sie die höchsten Ehren. Ihre bedeutendsten Schulen
befanden sich in Theben, Memphis, Heliopolis und Sais. Sie
besafsen einen grofsen Teil des Bodens, hoben Zehnten ein und
zahlten keine Steuern. Sie bildeten die auserwählte, bevorrechtete
und einzig freie Klasse der Bevölkerung.
Sie waren keine Anhänger des Götzenglaubens des Volkes;
doch betrachteten sie es als für sich selbst zu gefährlich, das Volk
aufzuklären. Sie unterliefsen dies daher und hielten ihre An-
schauungen von der Einheit Gottes geheim. Nur Jene, die sich
nach vielen Erprobungen dessen würdig erwiesen, wurden in die
Mysterien eingeweiht. Wie die Priesterschaften anderer Länder,
hatte also auch die ägyptische eine exoterische und eine
esoterische Lehre, ein Evangelium für die »dumme Menge“ und
ein anderes für den eigenen Gebrauch. Die Mysterien selbst
zerfielen in zwei Gruppen: die »kleineren“ oder Isis- und die
»gröfseren" oder Osiris- und Serapis-Geheimnisse. Die der Isis
wurden zur Zeit der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche gefeiert,
die des Serapis während der Sommersonnenwende und die des
Osiris um die herbstliche Tag- und Nachtgleiche.
Nun einiges über die ägyptische Götterlehre, doch nur
soweit zum Verständnis der Mysterien unerläfslich. Wie bereits
in der »Einleitung“ dargethan, hatten alle Sinnbilder und Zere-
monien sämtlicher alten Religionen ursprünglich eine tiefe und
allgemeine kosmische Bedeutung; doch war diese in der Blüte-
zeit der Mysterien schon vielfach verloren gegangen und hatte,
wie auch aus dem Nachstehenden hervorgehen wird, einer blofs
astronomischen Platz gemacht.
Osiris versinnbildlicht die Sonne. In Ägypten wurde er
als ein von einem Auge überragtes Scepter dargestellt, weil die
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Alte Mysterien.
Sonne alles sieht und beherrscht. Das Wort »Osiris" stammt
offenbar von „Iswara", einem der Beinamen Brahmas. Es be-
deutet »Höchster Herr“ und ist somit kein Eigenname, sondern
ein Titel. Dieselben Abenteuer, welche die Hindus von Brahma
erzählten, schrieben die Ägypter Osiris zu. Dieser wird von
Typhon getötet, einer aus dem Nilschlamm erzeugten Schlange.
Typhon ist aber nur eine Umstellung von Python, das von dem
griechischen av&o > herkommt (= faulen, verwesen, modern) und
auf die schädlichen Ausdünstungen deutet, die von dampfendem
Schlamm aufsteigen und die Sonne verbergen. Deshalb heifst
es z. B. in der griechischen Götterlehre, Apollo ebenfalls ein
Symbol der Sonne - habe mit seinen Pfeilen Python erschlagen,
d. h. die Nebeldünste mit seinen Strahlen zerstreut. Der Tötung
Osiris durch Typhon wohnt die weitere Bedeutung des vermeint-
lichen Verschwindens der Sonne zur Winterszeit inne. Nach
Osiris’ Tod begiebt sich seine Gattin Isis (- der Mond) auf die
Suche nach ihm und schliefslich findet sie seine Leiche in 14
Stücke zerschnitten, was auf die vierzehn Tage zwischen Voll-
mond und Neumond hinweist. Sie sammelt die Stücke, mit einer
Ausnahme, die sie durch ein anderes ersetzt, den Phallus, der
zu einem Kultus führte, welcher dem indischen Lingamdienst
ähnelte. Die Bewohner von Sidon nannten Isis Aschtarot
(— Astarte). Dieses Wort besagt »Herden", »Reichtümer", bild-
lich den Überflufs der Erde, während unter »asliera" (wörtlich
»Säule") der Phallus verstanden wurde, der »Mast des Isisschiffes“.
Galt der Menge Isis nur als der Mond, so war sie für die
Eingeweihten die Allmutter Hathor, die Urharmonie und Ur-
schönheit Jophis (griechisch Sophia). Zu Sais wurde ihr Abbild
als »verschleierte Isis" verehrt; die Inschrift lautete: „Ich bin
alles Gewesene, alles Vorhandene und alles Zukünftige, und kein
Sterblicher hat je meinen Schleier gelüftet.“ Kosmisch bedeutet
die Göttin Hathor die Finsternis, aus der das Licht hervorgeht
— die Nacht, welche die Sonne gebiert, das Urbild der Schwarzen
Jungfrauen des römischen Katholizismus.
Der Stier (Apis) bildete in der ganzen alten Welt einen
Gegenstand der Verehrung, weil einst das Tierkreiszeichen des
Stiers die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche eröffnete.
Das ägyptische Jahr begann mit dem Aufstieg des Hunds-
sterns (Sirius). Da nun auf den jährlichen Überschufs von einem
Vierteltag keine Rücksicht genommen wurde, fing jedes vierte
Jahr um einen Tag zu früh an. Demgemäfs begann das Jahr
immer an einem anderen Tag: der Reihe nach an jedem Tag
des Jahres während eines Zeitraums von 4x365 -- 1460 Jahren.
Die Ägypter glaubten, es müsse allen Jahreszeiten zum Segen
gereichen, wenn das Isisfest ein so bewegliches sei. Dasselbe
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Die ägyptischen Mysterien.
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wurde zusammen mit dem Siriusfest gefeiert, obwohl es vom
Hundsstern zeitlich oft sehr entfernt war. Daher gingen Ab-
bildungen von Hunden oder auch lebende Hunde vor dem Wagen
der Isis einher. Wenn dann im 1-461. Jahr das Isisfest wieder
mit dem Aufgang des Sirius zusammenfiel, so erwartete das Volk
ein fruchtbares Jahr, das durch einen wunderschönen Vogel dar-
gestellt wurde, den es Phönix (,.deliciis abundans“) nannte; es
glaubte, derselbe sterbe auf dem Altar der Sonne und aus seiner
Asche entstehe ein kleiner Wurm, der einen dem verbrannten
Vogel vollkommen gleichenden zur Welt bringe.
Von den astronomischen Zeichen sprechend, müssen wir
das Kreuz erwähnen. Dafs es eigentlich das Feuer bedeutet,
wissen wir bereits; in Ägypten jedoch kannte man es lediglich
als Nilmesser, dessen Querbalken je nach dem Stande des Flusses
hinauf oder hinunter geschoben wurde. Da man nun den Aus-
tritt des Nils als die Rettung Ägyptens betrachtete, zollte man
dem Kreuzzeichen bald Verehrung und schrieb ihm geheime
Tugenden zu, u. a. die Macht, Böses abzuwenden, weshalb es
in kleinem Format (Form T = Antoniuskreuz, Tau) Kindern und
Kranken um den Hals gehängt, wie auch auf den zur Einhüllung
der Mumien dienenden Schnüren oder Streifen angebracht wurde.
Kurz, das Kreuzzeichen galt als Amulett, wie später bei anderen
Völkern und noch jetzt bei den katholischen Christen. In den
ägyptischen Mysterien galt das Tau als Sinnbild des ewigen
Lebens, anderwärts aber wurde es als ein astronomisches Zeichen
verehrt. In Indien wurde der Novize durch das Zeichen des
Kreuzes geheiligt. Bei den meisten Völkern des Altertums be-
deutete es, weil es auf die vier Himmelsrichtungen hinweist,
das Weltall. Die Errichtung von Tempeln in Kreuzesform ist so
alt wie die Baukunst überhaupt - das beweisen schon die
grofsen Pagoden zu Benares und Mathura. Aber der ältere
und tiefere Sinn des Kreuzes bezieht sich, wie gesagt, auf das
Feuer und das Doppelwesen der Natur, ihren Dualismus, ihre
Gegensätzlichkeit. Das dreifache Tau ist das Abzeichen der
Royal-Arch-Freimaurer.
In Ägypten (wie auch in Indien, Medien, Persien und
Mexiko) war die Einweihungsstätte eine über unterirdischen
Höhlen errichtete Pyramide. Angesichts ihrer Gröfse, Form und
Stärke können die Pyramiden als künstliche Berge betrachtet
werden. Ihre Gestalt versinnbildlichte nicht nur die aufsteigende
Flamme, sie hatte einen tieferen Ursprung in der konischen
Form — der Urform aller natürlichen Produkte. Und die Grofse
Pyramide — das Grab Osiris' - wurde in solcher Lage und
Höhe errichtet, dafs während der Tag- und Nachtgleichen des
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Alte Mysterien.
Herbstes und des Frühlings die Sonne genau zu Mittag auf dem
Gipfel zu ruhen schien.
Der Einweihungsbewerber wurde von seinem Führer zu einem
in der Pyramide angebrachten tiefen, dunkeln Schacht geführt,
in den er, mit einer Fackel versehen, auf einer Leiter hinabstieg,
die sich an einer Innenwand befand. Unten angelangt, sah er
zwei Thüren, deren eine er verriegelt fand, während er die andere
leicht öffnen konnte. Die Schwelle überschreitend, hörte er die
Thür mit gewaltigem Getöse zufallen und erblickte einen ge-
schlängelten Gang, an dessen Mauern er Inschriften nach Art
der folgenden las: „Wer diesen Weg allein zurücklegt, ohne
nach rückwärts zu schauen, wird durch Wasser, Feuer und Luft
gereinigt werden. Die Todesfurcht überwindend, wird er aus
den Eingeweiden der Erde ans Tageslicht emporsteigen, um seine
Seele zum Empfang der Isismysterien vorzubereiten." Fort-
schreitend, gelangte der Kandidat zu einem von drei bewaffneten
Männern bewachten eisernen Thor; die drei Männer, deren glän-
zende Helme von sinnbildlichen Tieren überragt waren, ent-
sprechen dem Cerberus des Orpheus. Jetzt bot sich ihm die
letzte Gelegenheit zur Umkehr, falls er umkehren wollte. Ent-
schied er sich für die Fortsetzung des Weges, so hatte er zunächst
die Feuerprobe zu bestehen, indem er eine Halle durchschreiten
mufste, die mit allerlei brennenden Stoffen erfüllt war; den Fufs-
boden bedeckte ein Gitterwerk von rotglühenden Eisenstangen
mit engen Zwischenräumen, die der Neuling sorgfältig benutzen
mufste, wenn er sich nicht die Füfse verbrennen wollte. Nach
Überwindung dieses Hindernisses kommt die Wasserprobe an
die Reihe. Der Pilger mufs, sein Lämpchen auf dem Kopf,
einen breiten, dunkeln Kanal, der vom Nil gespeist wird, durch-
schwimmen. Jenseits erwartet ihn die schwere Luftprobe. Er
landet auf einer Terrasse, die zu einer Elfenbeinthüre führt, welche
sich zwischen zwei kupfernen Wänden befindet, in deren jede
ein ungeheures Kupferrad eingefügt ist. Nach einem vergeblichen
Versuch, die Thüre zu öffnen, erspäht er an ihr zwei grofse
Eisenringe; kaum hat er diese ergriffen, versinkt die Terrasse
unter seinen Füfsen, ein eisiger Windstofs verlöscht sein Lämp-
chen, die beiden Räder drehen sich mit furchtbarer Geschwindig-
keit und betäubendem Lärm, während er an den Ringen über
einem tiefen Abgrund hängt. Ehe er jedoch erschöpft ist, kehrt
die Terrasse zurück, die Elfenbeinthüre öffnet sich und er erblickt
einen herrlichen, glänzend erleuchteten Tempel voll Isispriester
mit den geheimnisvollen Abzeichen ihrer Verrichtungen, an der
Spitze der Oberpriester. Nunmehr hat er eine lange Reihe von
Fasttagen durchzumachen, zuletzt neunmal neun Tage umfassend.
Während der ganzen Zeit mufs er die strengste Schweigsamkeit
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Die ägyptischen Mysterien.
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beobachten; erst nach dem Bestehen dieser letzten Erprobung
wird er in die vollen Isismysterien eingeweiht. Vor der drei-
fachen Statue von Isis, Osiris und Horus (Horus bedeutet eben-
falls die Sonne) schwört er, die im Allerheiligsten empfangenen
Oeheimlehren nicht zu verraten. Dann trinkt er das ihm vom
Oberpriester dargereichte Lethewasser, um alles zu vergessen,
was er in seinem früheren — ungeheiligten — Zustand jemals
gehört. Nachher trinkt er vom Wasser der Mnemosyne (= Ge-
dächtnis), um alle neuen Weisheitslehren gut zu behalten. Ferner
wird er in den geheimsten Teil des heiligen Gebäudes geführt,
wo ein Priester ihm die Anwendung der daselbst befindlichen
Symbole erläutert. Endlich verkündet man öffentlich seine er-
folgte Einweihung in die Isis-Mysterien, die den ersten Grad der
ägyptischen Riten bildeten.
Der zweite Grad waren die Serapis-Mysterien , von denen
wir nur wenig wissen. Als Theodosius den Serapis-Tempel zer-
störte, wurden, unter der Erde Gänge und in ihnen Vorrichtungen
entdeckt, mittels deren die Priester die Einweihungskandidaten er-
probten. Geringfügige Anspielungen finden sich bei Apulejus,
Porphyrius und Herodot.
Der dritte Grad der ägyptischen Laieneinweihung bestand
in den Osiris-Mysterien, in denen die Legende von der Ermor-
dung Osiris durch Typhon dargestellt wurde. Der Kandidat
hatte den Gott zu verpersönlichen. (Dieses Verfahren wird von
den Freimaurern bei der Verleihung ihres dritten Grades, des
Meistergrades, genau nachgeahmt; nur tritt an Osiris' Stelle Hiram
Abiff, einer der drei Grofsmeister beim Bau des Tempels Salo-
monis.) Der vollkommen eingeweihte Novize hiefs „Al-om-dschak“
und die Lehre von der Einheit Gottes bildete das hauptsächlichste
der ihm anvertrauten Geheimnisse. Wie grofs und gefährlich
dieses Geheimnis war, läfst sich an dem Umstand ermessen, dafs
nach Ablauf von mehreren Jahrhunderten seit Einführung der
Mysterien Sokrates die Verkündigung derselben Lehre mit dem
Tode büfste. Nach Jamblichus starben die in die höchsten Ge-
heimlehren Eingeweihten für ihr eigenes Ich gleichsam ab; sie
gingen in der Gottheit auf und wurden verklärt. Weder Feuer
noch Eisen konnte ihnen etwas anhaben, kein Naturhindernis
hemmte ihren Schritt, der Hauch des göttlichen Geistes umwehte
sie. Wir haben es bei diesen heidnischen Einbildungen offenbar
mit den vermeintlichen Vorrechten der späteren christlichen
Mystiker und den angeblichen Verzückungen der römisch-katho-
lischen Heiligen zu thun.
Isis führte nicht nur viele Namen, sie wurde auch mit zahl-
reichen Abzeichen und Sinnbildern dargestellt, welche ihre viel-
fachen Eigenschaften vertraten. Das leuchtende Rund, die Schlange,
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Alte Mysterien.
die Kornähren und das Rassel-Instrument Sistrum bedeuteten die
Titelgottheiten der Mysterien der Hekate, des- Bacchus und der
eleusinischen wie jonischen Geheimnisse, d. h. die mystischen
Riten überhaupt, um derentwillen die Allegorie ersonnen wurde.
Die schwarze Palla, in welche die Göttin gehüllt ist, weist mit
ihrer Mond- und Sternen-Stickerei darauf hin, dafs die Riten in
der Nacht gefeiert wurden. Ihre Namen finden wir in dem fol-
genden Ausspruch, den Apulejus ihr in seinem »Goldenen Esel“
in den Mund legt:
»Sieh, Lucius, von deinen Bitten bewegt, bin ich bei dir -
ich, die ich die Natur bin, der Ursprung aller Dinge, die Königin
aller Elemente, die Ur-Erzeugerin der Zeitalter, die höchste der
Gottheiten, die Beherrscherin der Geister der Toten, das erste
der himmlischen Wesen, der Universalstoff, die einheitliche und
doch vielförmige Gestalt der unerschaffenen Wesenheit. Ich be-
herrsche mit meinem Wink die leuchtenden Berggipfel, die Winde des
Meeres, die Stille der unteren Reiche. Der ganze Erdball betet
meine Eingöttlichkeit an — in mannigfaltiger Weise, mit ver-
schiedenen Riten und unter allerlei Namen. Die Phrygier nennen
mich Pessinuntika, die Mutter der Götter; die Eingeborenen von
Attika: die kekropische Minerva; die schwimmenden Kyprer: die
Venus von Paphos; die pfeiltragenden Kreter: Diana Dictynna;
die dreizüngigen Sizilier: stygische Proserpina; die Eleusinier:
die alte Göttin Ceres. Noch andere nennen mich Juno oder
Bellona oder Hekate oder Rhamnusia. Die Äthiopier, Arier und
Ägypter, die in der alten Gelehrsamkeit bewandert sind, legen
mir meinen wahren Namen bei: Königin Isis."
Wir sehen also klar, dafs Isis den Eingeweihten nicht blofs
den Mond bedeutete. Im Allerheiligsten wurden die vielfältigen
Formen auf eine Einheit zurückgeführt; all die zahlreichen Götzen
verschwanden und machten Einer Gottheit Platz — der Urmacht,
dem Urgeist.
Krata Repoa.
Vorbereitung. — Erster Grad. — Zweiter Grad. — Das Thor des Todes. —
Die Schattenschlacht. — Balahate. Der sechste Grad. — Der höchste Grad.
»Krata Repoa“ hiefsen die höheren und geheimeren Grade
der ägyptischen Mysterien. Nur die Könige und Priester des
Landes konnten derselben teilhaftig werden und man bedurfte
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Krata Repoa.
•41
behufs Zulassung zur Bewerbung der besonderen Empfehlung
eines bereits Eingeweihten. Gewöhnlich ging die Empfehlung
vom König selbst aus. Die Priester von Heliopolis wiesen den
Bewerber an die von Memphis, von dort schickte man ihn nach
Theben, sodann wurde er beschnitten, worauf er sich verpflichten
mufste, keinen Wein zu trinken und entweder keine Hülsen-
früchte oder keine Fische zu essen. Ferner blieb er monatelang
in einer unterirdischen Höhle sich selbst überlassen und man
lud ihn ein, seine während dieser Zeit angestellten Betrachtungen
niederzuschreiben. Dann wurde er in eine Galerie gebracht,
wo er die auf den dortigen Hermessäulen eingemeifselten Sitten-
sprüche auswendig lernen mufste. Sobald er sie erlernt hatte,
erschien sein Thesmophor (Einführer), in der Hand eine dicke
Peitsche, die den Zweck hatte, profane Zuschauer von dem Thor
femzuhalten, durch das der Kandidat gehen mufste. Schliefslich
verband man ihm die Augen mit einem Tuch und fesselte ihm
die Hände mit Stricken.
Nach diesen Vorbereitungen wurde er zum »Thor der
Menschen" geführt, wo der Thesmophor die Schulter eines das
Thor bewachenden Portophors (Lehrlings) berührte, auf dessen
Klopfen hin das Thor sich öffnete. Nun sah der Neuling sich
dem Oberpriester gegenüber, dem er verschiedene Fragen beant-
worten mufste. Demnächst wurde er bei einem künstlichen Un-
wetter mit Sturm, Regen, Donner und Blitz umhergeführt. Legte
er hierbei keine Furcht an den Tag, so erklärte Menies (der
Erläuterer) ihm die Gesetze der Krata Repoa, mit denen er sein
Einverständnis kundgeben mufste. Sodann kniete er, wieder vor
den Oberpriester gebracht, vor diesem nieder — wobei die Kniee
nackt sein mufsten und schwor, während ihm die Spitze
eines Schwertes an die Kehle gesetzt wurde, Treue und Ver-
schwiegenheit; als Eideszeugen rief er Sonne, Mond und Sterne
an. Jetzt nahm man ihm die Binde von den Augen und stellte
ihn zwischen zwei Betilien (schlanke Säulen oder Pfeiler), neben
denen eine siebensprossige Leiter lag, die zu acht Thüren aus
verschiedenen Metallen führte, deren jedes reiner war als das
vorhergehende. Der Oberpriester redete die Anwesenden als
»Kinder der Arbeit der Himmelserforschung" an und ermahnte
sie, ihre Leidenschaften zu zügeln und ihre Gedanken auf Gott
gerichtet zu halten. Der Kandidat erfuhr nun, dafs die Leiter,
die er zu erklimmen hatte, das Sinnbild der Wanderungen der
Seele sei. Man teilte ihm die Ursachen von Wind, Donner und
Blitz mit und unterrichtete ihn in der Anatomie, der Heilkunde,
der symbolischen Sprache und der gewöhnlichen Hieroglyphen-
schrift Der Oberpriester vertraute ihm das Losungswort an
(»amoun" - Verschwiegenheit), mittels dessen die Eingeweihten
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42 Alte Mysterien.
einander erkannten, sowie eine pyramidenförmige Kappe und eine
besondere, Xylon genannte Schürze. Um den Hals trug der
Novize ein kragenartiges Kleidungsstück, das die Brust eng um-
spannte. Er hatte als Portophor (Lehrling) die Pflicht, das »Thor
der Menschen" zu bewachen, so oft ihn die Reihe traf.
Bewährte sich der Portophor, so wurde er nach einer
langen Fastenzeit in eine dunkle Zelle oder Kammer (»Endimion"
= Einladungsgrotte) gebracht und mit dem zweiten Grad, dem
eines Neokoris, bekleidet. Die schönen Gattinnen der Priester
reichten ihm Leckerbissen und suchten seine Liebe zu erregen.
Widerstand er den Versuchungen, so erschien sein Thesmophor,
katechisierte ihn und führte ihn in die Versammlung. Dort begofs
ihn der Wasserträger (stolista) mit Wasser, worauf der Thesmophor
eine lebende Schlange, auf ihn warf, um sie dann unter seiner
— des Neokoris — Schürze wieder hervorzuziehen. Behufs Er-
probung seines Mutes war der ganze Raum von Schlangen er-
füllt. Demnächst geleitete man ihn zu zwei Säulen, zwischen
denen ein Greif ein Rad vor sich her rollte. Die Säulen be-
deuteten Ost und West, der Greif die Sonne, die vier Radspeichen
die Jahreszeiten. Nun wurde der Neokoris im Gebrauch des
Richtscheits, in der Baukunst und der Geometrie unterwiesen,
mit einem schlangenumwundenen Stab versehen, in das Losungs-
wort „Heve“ (= Schlange) eingeweiht und mit der Geschichte
des Sündenfalls vertraut gemacht. Er hatte die Verpflichtung, .die
Säulen zu waschen. Das Erkennungszeichen bestand im Kreuzen
der Arme über der Brust.
Beim Aufrücken in den dritten Grad erhielt der Neokoris
den Namen Melanophor. Er wurde in eine Vorhalle geführt,
über deren Eingang die Inschrift »Thor des Todes" zu lesen
war. Die Wände dieser Vorhalle waren mit Darstellungen von
Särgen und einbalsamierten Leichen bemalt. Dieser Raum diente
zur Aufnahme der zu secierenden und einbalsamierenden Leichen,
ln der Mitte stand der Sarg des Osiris. Befragt, ob er an der
Ermordung des Gottes teilgenommen, antwortete er selbstver-
ständlich mit »Nein", worauf zwei Tapixeiten (= Totengräber)
ihn in einen Saal führten, in welchem er zahlreiche andere Me-
lanophoren in schwarzer Kleidung erblickte. Der bei solchen
Anlässen ebenfalls stets anwesende König sprach den Kandidaten
freundlich an und bat ihn, er möge für den Fall, dafs ihm der
Mut fehle, sich der nächsten Probe zu unterziehen, die goldene
Krone annehmen, die er — der König — ihm anbot. Aber
einer ihm vorher erteilten Weisung getnäfs warf er die Krone
zu Boden und trat sie mit Füfsen. Da rief der König: »Be-
leidigung! Rache!" und berührte mit seiner Opfer-Axt flüchtig
den Kopf des Prüflings. Sofort warfen die zwei Tapixeiten diesen
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Krata Repoa. -13
nieder, worauf die Pariskisten (Sektoren) ihn wie eine Mumie
einschnürten. Während alle Anwesenden in Thränen ausbrachen,
wurde er zu einem Thor geführt, dessen Inschrift lautete: »Heilig-
tum der Geister.“ Beim Öffnen des Thores empfingen ihn
Donner und Blitz. Der Höllenfährmann Charon nahm den
scheinbar Toten in sein Boot auf und führte ihn vor die Richter
der Unterwelt. Er sah Pluto, von Rhadamanthus, Minos, Orpheus,
Arthon, Nykreus und Alaster umgeben, auf dem Richterstuhl
thronen. Hier wurden sehr strenge Fragen bezüglich seines
Erdenlebens an ihn gestellt und das Urteil lautete stets dahin,
dafs er in der vermeintlichen Unterwelt zu verbleiben habe.
Man nahm ihm die Mumien-Umhüllung ab und lehrte ihn, nie
blutdürstig zu sein, nie eine Leiche unbegraben zu lassen, sowie
an die Auferstehung der Toten und an ein Jüngstes Gericht zu
glauben. Er mufste malen lernen, um Särge verzieren zu können.
Auch erhielt er Unterricht in der sogenannten » hierogramma-
tischen" Priester-Geheimschrift, in der die Geschichte Ägyptens
und verschiedene astronomische und kosmographische Werke
geschrieben waren. Das Erkennungszeichen war eine besondere
Art von Umarmung, welche die Macht des Todes andeuten sollte.
Das Losungswort lautete: »Ich zähle ^die Tage des Zornes"
(„monarch karon mini“).
Der unterirdische Aufenthalt dauerte, bis der Melanophor
eines höheren Grades würdig erachtet wurde, in der Regel
anderthalb Jahre. Der Thesmophor erschien nach Ablauf der
»Tage des Zornes“, gab ihm ein Schwert und einen Schild und
führte ihn durch allerlei finstere Gänge, bis sie einigen gräfslich
aussehenden Personen mit Fackeln und Schlangen in den Händen
begegneten und von ihnen angefallen wurden, wobei die An-
greifer »Panis!“ schrieen. Der Führer ermunterte den Melanophor,
sich tapfer zu verteidigen. Aber die Unholde nahmen ihn schliefs-
lich gefangen, verbanden ihm die Augen, legten ihm einen Strick
um den Hals, schleppten ihn in die zur Einweihung in den
vierten Grad der Krata Repoa dienende Halle und verschwanden.
Angesichts der Versammlung nahm man ihm die Binde von den
Augen und er erblickte an den Wänden der prachtvollen Halle
zahlreiche schöne Gemälde. Der König und der höchste Funk-
tionär (demiurgos) waren ebenfalls gegenwärtig. Alle Anwesenden
trugen den »Orden der Wahrheit", ein Abzeichen aus Saphiren.
Den König umgaben der Schriftführer, der Schatzmeister, der
Zeremonienmeister u. s. w. Der »odos« (= Redner) hielt an
den Christophor — dies der Name der Inhaber des vierten
Grades — eine Ansprache, in der er ihn zu seinem Mut be-
glückwünschte. Der Neuling mufste nun eine Schale »Kyke"
(ein aus Haferschleim, Wasser, Wein und Milch oder auch Honig
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44 Alte Mysterien.
gemischtes Getränk) bis zur Neige leeren, worauf er den Schild
der Isis erhielt, die Schuhe Anubis’ anzog, den Orkus-Mantel
umnahm und die Orkusmütze aufsetzte. Nun gab man ihm ein
Schwert in die Hand, mit dem er einer Person, die er in einer
Höhle antreffen werde, das Haupt abschlagen sollte, um es dem
König zu überbringen. Alle Anwesenden riefen aus: »Niobe,
dort ist die Höhle der Feindin!“
In der betreffenden Höhle sah der Christophor ein aufser-
ordentlich schönes Weib, das zu leben Schien, in Wirklichkeit
aber aus schönen Hautstücken kunstvoll zusammengestellt war.
Er ergriff es bei den Haaren, köpfte es und brachte das Haupt
dem König, der ihn ob seiner Kühnheit pries und ihm eröffnete,
er habe Oorgona getötet, die Gemahlin Typhons, die Ursache
des Todes Osiris’. Er erhielt die Genehmigung, die ihm ge-
schenkten Gewänder jederzeit zu tragen, sein Name wurde in
das Verzeichnis der Richter eingeschrieben, er durfte fortan un-
gehindert mit dem König verkehren und wurde aus der Hof-
küche verköstigt. Auch wurde ihm der erwähnte Wahrheitsorden
Isis als Eule darstellend - verliehen, der jedoch nur an-
läfslich der Einweihung eines Christophors getragen werden durfte.
Ferner vertraute man jjjm an, dafs der »grofse Gesetzgeber“
Joa heifse, welches Wort zugleich als Losungswort diente. Endlich
mufste er das Ammonitische (die Geheimsprache) lernen, da er
bald in die höchsten Mysterien eingeweiht werden sollte. Die
Christophoren hielten Kapitel ab, welche Pyxon hiefsen und bei
denen der Name Sasychis — ein ägyptischer Priester der grauen
Vorzeit — das Losungswort bildete.
Zu dem fünften Grad (balahate) war jeder Christophor
eo ipso berechtigt; derselbe konnte keinem versagt werden. Er
wurde in einen Saal geführt, wo er der einzige Zuschauer einer
Art von Theatervorstellung war. Mehrere Balahaten, an der
Spitze der »Orus", gingen umher, als ob sie etwas suchten.
Plötzlich zog der Orus sein Schwert und der Kandidat sah
Typhon, von Flammen umgeben, in einer Höhle sitzen. Der
Orus näherte sich dem aufstehenden Typhon und erschlug ihn
trotz seiner hundert Köpfe, seiner aufserordentlich langen Arme
und seines schuppenbedeckten Leibes. Der neue Balahate empfing
nun die Belehrung, dafs Typhon eigentlich das Feuer bedeute,
eines der furchtbarsten Elemente, ohne welches jedoch das Leben
auf der Erde unmöglich wäre. Auch wurde er in der Chemie
unterwiesen , wie denn auch das Losungswort der Balahaten
»Chymia" lautete.
Beim Aufrücken in den sechsten Grad wurde der Balahate
nach dem Betreten des Versammlungssaales mit Stricken oder
Ketten gefesselt. Dann brachte der Thesmophor ihn zum Thor
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Krata Repoa. 45
des Todes zurück, von welchem viele Stufen zu einer von Wasser
erfüllten Höhle führten, in der er die Leichen zahlreicher Ver-
räter der Mysterien schwimmen sah. Sein Begleiter sagte ihm,
dafs ihm für den Fall eines Verrates das gleiche Schicksal drohe,
und führte ihn zurück, damit er seinen Verschwiegenheitseid er-
neuere. Darauf erhielt er Unterricht in der Astronomie und
wurde vor der Astrologie und der Horoskopie gewarnt, den ver-
abscheuenswerten Quellen jedes Götzendienstes und Aberglaubens.
Zum «Thor der Götter" geleitet, sah er, nachdem dieses sich
geöffnet hatte, an den Wänden des betreffenden Saales die Bild-
nisse aller Götter, deren Geschichte der Demiurgos ihm erzählte.
Endlich lehrte man ihn einen priesterlichen Tanz, der den Lauf
der Himmelskörper nachahmen sollte. Das Losungswort war
Ibis, das Sinnbild* der Wachsamkeit.
Der siebente und höchste Grad der Krata Repoa umfafste
den Rest der Geheimnisse und konnte nur mit Zustimmung des
Königs und aller Inhaber dieses Grades verliehen werden. Nach
Abhaltung öffentlicher Umzüge (Pamylach genannt, d. h. die Be-
schneidung der Zunge) verliefsen die Mitglieder des Ordens
nächtlicherweile insgeheim die Stadt und zogen sich in einige
aufserhalb derselben auf einem Viereck erbaute Häuser zurück,
die im Volksmunde »maneras" hiefsen, weil man glaubte, dafs
die Manen abgeschiedener Menschen in ihnen umgingen. Diese
Häuser waren von Säulen umgeben, neben denen abwechselnd
Schilde und Särge lagen. Beim Eintreffen erhielt der neue
«Prophet“ — dies der Titel der Inhaber des siebenten Grades,
oder auch «Saphenat Panka“, d. h. ein Mann, der alle Geheim-
nisse kennt eine Schale Oimellas (wahrscheinlich eine Mischung
von Wein und Honig) und die Versicherung, dafs alle Prüfungen
vorüber seien. Auch händigte man ihm ein Kreuz von eigen-
tümlicher Geheimbedeutung ein, das er fortan stets tragen sollte,
und bekleidete ihn mit einem weiten, weifsgestreiften Gewände,
das die Bezeichnung »etangi“ führte. Dann wurde ihm das
Haupthaar abrasiert und er mufste stets eine viereckige Kappe
tragen. Er durfte alle in ammonitischer Sprache geschriebenen
heiligen Bücher lesen, und er konnte es, weil er den, «könig-
licher Strahl“ genannten Schlüssel zu dieser Sprache besafs.
Sein gröfstes Vorrecht bestand in seiner Stimmberechtigung bei
der Königswahl. Das Losungswort war «adon“, das Erkennungs-
zeichen das Kreuzen der Arme innerhalb der weiten Ärmel
des etangi.
Was die Worte »Krata Repoa“ bedeuten, ist unbekannt.
Der Orden selbst scheint erst im Jahre 1 785 bekannt geworden
zu sein, und zwar durch eine deutsche Broschüre, auf deren
Titelblatt weder ein Verfasser noch ein Drucker oder Verlags-
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46
Alte Mysterien.
ort genannt war. Der französische Freimaurer Razon, der 1821
eine Übersetzung dieser Broschüre herausgab, hält die Krata
Repoa für eine deutsche Erdichtung, die alles zusammenzufassen
scheine, was sich bei Schriftstellern des Altertums über Ein-
weihungsriten und dergleichen findet. Der Anonymus von 1785
giebt als Quellen für seine Angaben denn auch die folgenden
alten Autoren an: Porphyrius, Herodot, Jamblichus, Apulejus,
Cicero, Plutarch, Eusebius, Arnobius, Diodor von Sizilien, Ter-
tullian, Heliodor, Lucian, Rufinus.
Wandlungen der Isis-Legende.
Ausbreitung der ägyptischen Mysterien. — Dyonisische (bacchische) Mys-
terien. — Sabaziscne Mysterien. Kabirische Mysterien. — Eleusinischc
Mysterien. — Altjukatanische Mysterien. — Horn- und Elfenbeinthiiren. —
Unterdrückung der eleusinischen Geheimnisse. Die Thesmophorien. —
Der Zweck der griechischen Mysterien mehr sittlich als religiös. — Der
orphische Bund.
Die Ausstrahlungen der ägyptischen Geheimlehren erleuch-
teten und belebten die Geheimlehren von Phönizien, Kleinasien,
Griechenland und Italien. Wie in Ägypten Isis und Osiris,
waren sie auf Samothrake der Mutter der Götter, in Böotien dem
Bacchus, auf Cypern der Venus, auf Kreta dem Jupiter, in Athen
der Ceres und der Proserpina, auf Lemnos dem Vulkan, in
Amphissa Kastor und Pollux gewidmet und anderwärts anderen.
Ihr Zweck war aber überall der gleiche: der Glaube an nur
Einen Gott und an ein Jenseits.
Die dyonisischen oder bacchisehen Mysterien zerfielen in
..grofse“ und -.kleine". Die letzteren wurden alljährlich um die
herbstliche Tag- und Nachtgleiche gefeiert und zu ihnen hatten
auch weibliche Personen Zutritt. Man opferte und verzehrte ein
unreines Tier, worauf die Kandidaten nebst den Eingeweihten
sich unter heiligen Tänzen zum Tempel begaben. Den Kane-
phoren, welche goldene Gefäfse voll der auserlesensten Früchte
trugen, folgten die mit langen Stangen versehenen Träger des
Abzeichens der Schaffenskraft — ein Abzeichen, das die an-
wesenden Frauen ebenfalls, und zwar um den Hals, tragen
inufsten. Den Trägern, die mit Epheu (der dem Bacchus heilig
war) bekränzt waren, folgten als Weiber verkleidete Männer, die
sich wie betrunken zu benehmen hatten, ln der nächsten Nacht
wurden die Einweihungsfeierlichkeiten begangen, bei denen man
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Wandlungen der Isis-Legende.
■17
die Sage von Bacchus' Tötung durch die Titanen scenisch dar-
stellte; den Bacchus spielte der Aufnahmebewerber.
Die Feier der „grofsen" Geheimnisse erfolgte nur in jedem
dritten Jahr, und zwar zur Zeit der Frühlings-Tag- und Nacht-
gleiche in der Umgebung eines Sumpfes, wie das Saisfest der
Ägypter, ln der Nacht vor der Einweihung opferte die Gattin
des Oberpriesters einen Widder, wobei sie die Gemahlin des
Bacchus vorstellte; während sie sich in dieser Eigenschaft auf
den Thron setzte, riefen die Priester und die Eingeweihten (auch
die weiblichen): »Heil, Gattin! Heil, neues Licht!“ Nun wurde
der Kandidat durch allerlei schwierige Feuer-, Wasser- und Luft-
proben gereinigt, um schliefslich, myrtenbekränzt und in ein
Rehkalbfell gehüllt, ins Allerheiligste eingeführt zu werden.
Es gab Bacchus zu Ehren noch andere Mysterien: die
sabazischen. Sabazius, einer der Namen Bacchus’, war vermutlich
von Siwa abgeleitet, der in astronomischer Hinsicht das Planeten-
system mit seinen zahllosen Gestirnen bedeutete. Diese nachts
abgehaltenen Geheimnisse bildeten eine Darstellung der Liebschaft
zwischen Proserpina und Jupiter, der Schlangengestalt angenommen
hat. Dem Kandidaten wurde eine Schlange (nach einigen Quellen
eine goldene, nach anderen eine lebende) in den Busen geworfen
und er mufste ausrufen: „Evoe! Sabai! Baechis! Anes! Attes!
Hues!“ In den meisten Sprachen des Altertums bedeutete „Evoö“
oder „Eva“ sowohl „Leben“ als auch „Schlange"; daher der
Name des Weibes des ersten biblischen Menschen. Hierin ist
auch der Ursprung des Schlangendienstes der alten Welt zu
suchen. Als Moses den betrübten Hebräern in der Wüste eine
eherne Schlange zeigte, wufsten sie, dafs sie erhalten bleiben
werden. Wie Sabai (Sabazius), waren auch „Hues“ und „Attes“
andere Namen des Bacchus. Diese Mysterien erhielten sich bis
zum vollständigen Verschwinden des Heidentums; unter Domitian
gab es in Rom allein rund siebentausend Eingeweihte.
Wir gelangen nun zu den kabirischen Mysterien. Das
Wort „Kabiri“ (so nannte man die auf einigen griechischen
Inseln verehrten Naturgottheiten) bedeutet „mächtig" und kam
ursprünglich aus Phöniziern Es gab vier Kabiri: Aschieros,
Adiiochersus, Achiochersa, Kaschmala; sie entsprachen dem Pluto,
dem Kamillus, der Ceres und der Proserpina der Griechen.
Kamillus wurde von seinen drei Brüdern erschlagen, die seine
Zeugungsorgane wegtrugen; dieser allegorische Mord kam in den
geheimen Riten zum Ausdruck. Kamillus war identisch mit
Osiris, Adonis u. s. w., die alle die gleiche Verstümmelung er-
leiden und dadurch andeuten, dafs die Sonne im Winter ihre
Schaffenskraft verliert. Diese Mysterien wurden namentlich auf
Samothrake und Lemnos gefeiert. Die Priester hiefsen Kory-
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48 Alte Mysterien.
banten. Über die ganze Sache herrscht Unklarheit, denn diese
Mysterien sollen angeblich auch zu Ehren Atys’, des Sohnes der
Kybele, eingeführt worden sein. Da Atys die Sonne vertrat und
die Geheimnisse um die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche ge-
feiert wurden, erscheint es als zweifellos, dafs sie, gleich allen
übrigen Mysterien in der Zeit ihres Verfalls, den rätselhaften
Tod der Sonne im Winter und ihre Auferstehung im Frühling
darstellten. Die Feierlichkeiten dauerten drei Tage, deren erster
der Trauer galt; an ihm fällte man eine kreuzförmige Fichte, an
die man ein Bildnis Atys' befestigt hatte, denn der verstümmelte
Leichnam Atys’ war unter einer solchen Fichte entdeckt worden.
Arrf zweiten Tag wurden Trompeten geblasen, damit der Gott
aus seinem Todesschlaf erwache; am dritten feierte man unter
grofsen Freudenbezeugungen seine Auferstehung.
Was die eleusinischen Geheimnisse betrifft, so waren sie
Ceres geweiht, der griechischen Isis. An Osiris' Stelle trat Pro-
serpina; Osiris' Tod und Proserpinens Entführung in die Unter-
welt bedeuten einerlei, nämlich das Verschwinden der Sonne im
Winter. Ursprünglich blofs in der attischen Stadt Eleusis im
Schwang, verpflanzten diese Mysterien sich später nach Italien
und sogar nach England. Auch sie bestanden aus gröfseren
und geringeren; die letzteren dauerten, wie die dyonisischen und
kabirischen, neun Tage und waren aus Reinigungen und Opfern
zusammengesetzt, also lediglich vorbereitender Art. Die Ein-
weihungsriten der »gröfseren" Geheimnisse begannen damit, dafs
der Herold ausrief: »Ziehet euch zurück, ihr Profanen!“ Gleich-
zeitig wurde ein langes, schmales Stück Holz oder ein Rad in
der Luft so kräftig herumgewirbelt, dafs es einen grofsen Lärm
machte. Bei der Vorstellung erschien der Einweihungsbewerber
nackt, womit seine vollständige Hilflosigkeit und seine Abhängig-
keit von der Vorsehung angedeutet werden sollte. Mit einem
Kalbfell bekleidet, mufste er den Verschwiegenheitseid leisten.
Auf die Frage: »Hast du Brod gegessen?“ antwortete er: »Nein;
ich habe den heiligen Trank getrunken, bin aus dem Korb der
Ceres genährt worden, habe gearbeitet und bin ins Bett gestiegen.“
Unter »Bett“ ist das Pastös (Ort der Wiedergeburt) zu verstehen,
in dem er während der Prüfungszeit eingemauert war. Nun
mufste er sich einer Reihe von Erprobungen unterziehen, die
denen der anderen Mysterien mehr oder minder ähnelten.
Schliefslich gelangte er ins Innerste des Tempels, wo er die
Bildsäule der Ceres von blendendem Licht umgeben erblickte.
War er bisher ein »Novize“ (mystes) gewesen, so erhielt er jetzt
den Beinamen »epoptes“ (= Augenzeuge) und wurde in die Ge-
heimlehre eingeweiht. Der Oberpriester schlofs dann die Ver-
sammlung mit den aus dem Sanskrit korrumpierten Worten
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Wandlungen der Isis-Legende.
49
»Konx om pax*. Nach den Mitteilungen des Kapitäns Wilford
werden die sanskritischen Originalworte »Kamscha om pakscha“
noch jetzt bei den religiösen Versammlungen und Feierlichkeiten
der Brahminen gesprochen - ein Beweis mehr für den östlichen
Ursprung der Mysterien. »Kamscha“ bedeutet den Gegenstand
unserer glühendsten Wünsche; »om« = »Amen*; »pakscha* ■=■
Wechsel oder Glück. — Auch in den alt-jukatanischen Mysterien,
von denen wir übrigens sehr wenig wissen, kam eine ähnliche
Redewendung vor, indem die Priester ihre geheimen Versamm-
lungen mit den Worten »Kon-ex omon pault!“ schlossen; doch
sollen dieselben bei ihnen so viel bedeutet haben, wie »Fremd-
linge, entfernt euch!“
Apulejus' »Goldner Esel" und das sechste Buch von Vergils
»Aeneide* enthalten Schilderungen der Vorgänge bei der Ab-
haltung der eleusinischen Mysterien. Vergil läfst Aeneas und
seinen Führer nach Beendigung ihres Rundganges durch die
Unterwelt zum elfenbeinernen Thor der Träume hinausgehen.
Aufserdem gab es ein Hornthor, durch das der Einweihungs-
kandidat eintrat. Alle Einweihungshöhlen hatten zwei Thore:
den »Abstieg zur Hölle* und den »Aufstieg der Gerechten." Die
alten Dichter sagten, dafs aus dem Hornthor wirkliche, aus dem
elfenbeinernen trügerische Erscheinungen hervorgingen. Da nun
Aeneas und sein Führer die Hölle durch das Elfenbeinthor ver-
liefsen, glaubten manche Kritiker, dafs Vergil damit andeuten
wollte, alles, was er über die Untenveit mitgeteilt habe, sei Er-
findung. Dies aber konnte der Dichter nicht gut haben
andeuten wollen; was er meinte, war, dafs es thatsächlich ein
Jenseits gebe, dafs jedoch die Darstellungen desselben in den
Mysterien nur Schatten waren. Das Elfenbeinthor selbst war
nichts anderes als die Prunkthüre des Tempels, durch welche
die Eingeweihten nach Schlufs der Feierlichkeit herauskamen.
Die eleusinischen Mysterien überlebten alle übrigen ; sie
behaupteten sich noch in ihrem vollen Glanz, als die kabi-
rischen und die ägyptischen bereits verschwunden waren. Unter-
drückt wurden sie erst 396 n. Chr. Geb. durch Theodosius den
Grofsen, der in seinem christlichen Fanatismus gegen Anders-
gläubige die gröfsten Grausamkeiten beging.
Wir müssen hier noch die Thesmophorien erwähnen. Dieser
Ausdruck bedeutet ein Gesetzgebungsfest und bezieht sich im be-
sonderh auf die sinnbildlichen Riten, welche einen Bestandteil
des Ceresfestes bildeten. Von Ceres glaubte man nämlich, dafs
sie den Griechen gute Eigentums- und Landwirtschaftsgesetze
gegeben habe. Zur Erinnerung hieran trugen auserwählte Frauen
bei den mit den Thesmophorien verbundenen feierlichen Umzügen
(zu Eleusis) die Tafeln, auf denen jene Gesetze verzeichnet waren.
Heckethorn-Katscher, Geheimbünde u. Gehcimlchren. 4
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so
Alte Mysterien.
Von diesen Feierlichkeiten wissen wir nicht viel; aus den „Thes-
mophoriasuzae“ des Aristophanes erfahren wir, dafs sie im
Oktober stattfanden und drei bis vier Tage dauerten. Nur
weibliche Personen durften an ihnen teilnehmen; den Männern
war die Betretung des Tempels bei Todesstrafe verboten. Jeder
athenische Stamm wählte zwei ehelich geborene, verheiratete und
durch Tugendhaftigkeit hervorragende Frauen. Die Besitzer eines
Vermögens von mindestens drei Talenten hatten die Pflicht,
ihren Gattinnen das zur Bestreitung der Kosten des Festes er-
forderliche Geld zu geben. Da die Thesmophorien nicht nur
die Landwirtschaft (das Säen) und die Gesetzgebung, sondern
auch die engsten Beziehungen zwischen Gatte und Gattin be-
trafen, mufsten sich alle Ehepaare neun Tage lang gänzlicher
Enthaltsamkeit befleifsigen. So wie Ceres (= die Erde) die Abwesen-
heit Proserpinens (d. h. der Sonne) betrauerte, betrauerte während
der Thesmophorien die athenische Frauenwelt die Abwesenheit
des Lichtes der Liebe.
Der Zweck der Einweihung in die griechischen Mysterien
war mehr ein sittlicher als ein religiöser - im Gegensatz zu
den indischen und ägyptischen Geheimnissen, die mehr religiöser,
wissenschaftlicher und politischer Natur waren. Dies rührt daher,
dafs zur Zeit der Einführung der Mysterien in Griechenland die
Wissenschaft nicht mehr ein Vorrecht weniger bildete und das
politische Leben des Volkes dieses bereits zum thatkräftigen Bau-
meister der eigenen Gröfse gemacht hatte. Wir erblicken in den
griechischen Mysterien schon die Morgenröte einer neuen Zeit,
den Verfall der alten Naturverehrung und eine Hinneigung der
Menschen zu dem Bestreben, die Natur zu überwinden, also den
geraden Gegensatz zum Geiste des Altertums, der die vollständige
Unterordnung des Individuums unter die Einflüsse des Alls be-
vorzugte. Einer der ersten Vertreter der neuen Richtung war
Pythagoras, der seine Jünger in Exoteriker und Esoteriker teilte.
Die letzteren schlossen sich nach seinem Tode dem »orphischen
Bund“ an, dessen Name sich von dem sagenhaften Sänger
Orpheus herleitete. Die diesem zugeschriebenen Hymnen waren
vermutlich Werke des Onomakritos, der im sechsten Jahrhundert
vor Christi Geburt lebte, und zeugten von Frömmelei. Die
fahrenden Priester dieses Bundes, die „Orpheothelesten", wurden
als Quacksalber und Betrüger berüchtigt.
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Chinesische und japanische Mysterien.
51
Chinesische und japanische Mysterien.
Chinesische Metaphysik. Einführung der chinesischen Mysterien. — Ver-
gleichung zwischen Buddhismus und Christentum. Lao-tse. — Japa-
nische Mysterien. — Japanische Lehren. — Der tibetanische Grofs-Lama.
In der chinesischen Schöpfungslehre finden wir Spuren der
einst allgemein verbreiteten Kenntnis der Eigenschaften der ewigen
Natur. Die Materie — das erste stoffliche Prinzip — verfährt
aus sich selbst heraus und bringt die dualistischen (zweiheitlichen,
gegensätzlichen) Kräfte der Natur hervor. Dieses erste stoffliche
Prinzip, „tai-keik“ genannt, galt für das erste Glied in der Kette
der Ursagen, die äufserste Grenze inmitten der Unbegrenzbarkeit,
obgleich es inmitten des Nichts stets ein unendliches „Le"
(Prinzip der Ordnung) gegeben habe. Das Le wurde als un-
endlich bezeichnet, weil es sich durch keinerlei Gestalt darstellen
läfst, da es das »Ewige Nichts“ ist. Diese fragmentarische Über-
lieferung des ältesten metaphysischen Systems der Welt hat den
Spott vieler moderner Schriftsteller hervorgerufen; bei Licht
besehen aber ist sie trotz ihrer Unvollkommenheit oder Un-
beholfenheit im Ausdruck nichts andres als die Lehre der Theo-
sophen. Besonders auffallend macht sie sich in der Verehrung
geltend, die die Chinesen der Siebenzahl zollen — der Zahl des
Todes, der Zerstörung'- als dem stofflichen Ende und dem
himmlischen Anfang.
Die Chinesen übten bis zu einigen Jahrhunderten vor
Christus den Buddhismus in seiner einfachsten Form und beteten,
einen unsichtbaren Gott an. Aus den Lehren des Confucius,
der im fünften Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung lebte, geht
hervor, dafs es zu seiner Zeit keine Mysterien gab. Diese
wurden erst notwendig, als die Chinesen Götzendiener geworden.
Das Hauptziel der Einweihung war das Aufgehen in der Gottheit
O-mi-to Fo. »O-mi-to“ stammte von dem sanskritischen armida
(= unmefsbar) ; »Fo“ war einer der Namen Buddhas. Der
Buchstabe Y stellte den dreieinigen Gott vor und galt für ebenso
unaussprechlich wie die Tetraktys des Pythagoras oder das Tetra-
gramm der Juden, ln den chinesischen Mysterien spielte der
Regenbogen eine grofse Rolle als Symbol des Wiedererscheinens
der Sonne. Dies war übrigens auch in Mexiko der Fall.
Die allgemeine Ähnlichkeit zwischen dem Buddhismus und
dem römischen Katholizismus ist so grofs, dafs sie von den
Katholiken selbst anerkannt wird; nur schreiben diese sie dem
4*
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52
Alte Mysterien.
Umstand zu, dafs Satan die wahre Religion gefälscht und nach-
gemacht habe. Die Ähnlichkeit erstreckt sich, wie wir sehen
werden, sogar auf manche kleinen Einzelheiten.
Nach der Legende stieg Buddha vom Himmel herab, um
als Mensch geboren zu werden, und zwar zu dem ausgesprochenen
Zweck, allem Fleisch Frieden und Ruhe zu sichern, die Erde
von Kummer und Trauer zu befreien und die Wahrheit zu
predigen. Zur Zeit seiner Geburt erleuchtete ein helles Licht
das Weltall und die seinen Eintritt in die Welt ankündigenden
Gottheiten begrüfsten seine Mutter mit den Worten: „Hohe Freude
dir, Königin Maja! Juble und frohlocke, denn das Kind, welches
du geboren hast, ist heilig!" Maja war, gleich Maria, eine
Jungfrau. Simons Anbetung im Tempel erinnert lebhaft an die
Anbetung des Kindleins Buddha durch den ehrwürdigen Axiten.
Wie die buddhistische, hat auch die römische Kirche ein Ober-
haupt, und zwar ein unfehlbares, ferner die Ehelosigkeit der
Priester, Gebete in einer dem Volk unbekannten Sprache, Mönchs-
und Nonnenklöster, die Anbetung von Heiligen und anderen Ver-
mittlern zwischen Himmel und Erde, namentlich einer Jungfrau
mit einem Kind, sodann Gebete für die Toten, die häufige
Wiederholung eines Gebetes mit Hilfe des Rosenkranzes, „über-
flüssige" Wohlthaten und gute Werke, Selbstkasteiungen, Geifse-
lungen, einen zeremoniösen täglichen Gottesdienst mit Gesängen,
brennenden Kerzen , Weihwasserbesprengungen , Verneigungen
und Niederknieen, ferner Fast- und Festtage, Prozessionen, gött-
liche Bildnisse, Heiligenbilder, Wunderlegenden, die Reliquien-
verehrung, das Fegefeuer, das Sakrament der Beichte. Der
römische Katholizismus und einige andere Glaubensbekenntnisse
sind nichts andres als modernisierter Buddhismus. Die Über-
lieferung vom „Priester Johannes" („Prester John") hat ihren
Ursprung in der grofsen Übereinstimmung zwischen dem Budd-
hismus und einem durch Aberglauben arg entstellten Christentum.
Im zwölften Jahrhundert gab es nämlich in China einen grofsen
Mongolenstamm, der sich zum Buddhismus bekannte, den Rei-
sende irrigerweise für eine orientalische Sekte des Christentums
hielten; die unter den Mongolen lebenden nestorianischen Christen
nannten das Haupt der vermeintlichen Sekte „Priester Johannes“;
so entstand die Überlieferung, es gebe im Herzen Asiens eine
christliche Kirche, deren Päpste „Priester Johannes" heifsen.
Während Confucius der Religions-Gesetzgeber Chinas war,
war Lao-tse der grofse Philosoph der Chinesen und er übertraf
jenen an Tiefe und Selbständigkeit des Denkens. „Lao“ (= „Le")
wird von den Chinesen mit „ein unbestimmbares, ungreifbares,
aber dennoch Formen aufweisendes Ding" wiedergegeben, während
Lao-tse selbst darunter „Verstand, Verständnis“ zu verstehen
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Chinesische und japanische Mysterien. 53
scheint Seine Philosophie ist friedlich und liebevoll — Punkte,
in denen sie der christlichen Lehre vielfach ähnelt.
Was die alten Japaner betrifft, so glaubten sie, dafs die
Welt vor ihrer Erschaffung in einem Riesen -Ei eingeschlossen
war, bis dieses von einem Stier zerschlagen wurde. Das ist eine
Abart der bei so vielen alten Völkern vorkommenden Allegorie,
die sich auf den Stier des Tierkreises bezieht welcher dereinst
das Jahr eröffnete, die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche. Es ist
das derselbe Stier, den die Ägypter als Apis verehrten, den die
Israeliten in der Wüste als goldenes Kalb anbeteten und der in
den mitraitischen Mysterien geopfert wurde, um mit seinem Blute
die Erde zu befruchten. Die Japaner verehrten eine von ihnen
»Sohn des unbekannten Gottes“ genannte Gottheit (Tensio-dai-
sin), die sie als den Schöpfer der Sonne und des Mondes betrach-
teten. Die Einweihungsbewerber wurden durch künstliche Sphären
geleitet, die aus beweglichen Kreisen bestanden und die Um-
drehungen der Planeten darstellen sollten. Ein Spiegel bildete
das bedeutsame Sinnbild des allsehenden Auges der Haupt-
gottheit Der Schlufs der Vorbereitungszeremonien bestand darin,
dafs der Kandidat ins Pastös (= Ort der Wiedergeburt) eingesperrt
wurde, dessen Thor vermeintlich eine furchtbare Gottheit mit
gezücktem Schwert bewachte. Mancher Bewerber verfiel im Lauf
seiner Erprobung in einen so hohen Grad von Schwärmerei,
dafs er das Pastös durchaus nicht verlassen wollte und darin
blieb, bis er einfach verhungerte. Für ein solches Martyrium
war ewige himmlische Glückseligkeit in Aussicht gestellt. Wir
haben es da nur mit einer Abart des Buddhismus zu thun. Als
Xavier sah, wie sehr die Riten der Japaner denen der römischen
Katholiken glichen, rief er aus: »Der Teufel äfft die Kirche
Christi nach!» Wie der chinesische und tibetanische Buddhismus,
ähnelt der japanische Gottesdienst thatsächlich so sehr dem
römisch-katholischen, dafs man den Ausruf Xaviers, der
weder ein Gelehrter noch ein Philosoph war, ganz gut be-
greifen kann.
Die Japaner glaubten und glauben, dafs der Gott Tensio-
dai-sin zwölf Apostel habe und die Sonne - der Planetenheld
— mit Ungeheuern und den Elementen kämpfe. Die Priester
des Sonnentempels tragen feuerfarbene Mäntel und feiern
alljährlich vier Feste: den dritten Tag des dritten Monats,
den fünften des fünften, den siebenten des siebenten, den neunten
Tag des neunten Monats. Bei einem dieser Feste wird eine
dem Adonismythos ähnliche Sage zur Darstellung gebracht,
wobei die Natur von einem vielfarbig gekleideten Priester ver-
persönlicht wird. Die »Jammabos», d. h. die in die japanischen
Mysterien Eingeweihten, müssen sich für die Einführung durch
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Alte Mysterien.
längere Enthaltsamkeit vom Fleischgenufs und durch vielerlei
Reinigungen und Läuterungen vorbereiten.
Die Gottheit der Tibetaner Dalai-Lama - nimmt, wie die
Priester dem Volk einreden, Menschengestalt an. Die wahre
Religion jedoch — identisch mit der Schöpfungslehre — wird
nur in den fast unzugänglichen Mysterien gelehrt. Der Ober-
priester, d. h. die jeweilige Verkörperung des Gottes, wird der-
artig verehrt, dafs das Volk Pillen, die aus seinem Unrat gedreht
werden, ifst, weil es sie für heilig hält! Diese scheufsliche
Übung ist ein Ausflufs des Glaubens an die Seelenwanderung —
die der indischen Lehre von der Verwesung und Wiedererzeugung
entspricht - und soll in Wirklichkeit bedeuten, dafs sämtliche
Teile des Weltalls unablässig absorbiert werden, um in einander
überzugehen. Das ist die Schlange, die ihren eigenen Schweif
verzehrt. Die Lamawürde stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert;
im vierzehnten vollzog ein Teil der Geistlichkeit eine Spaltung
und bildete eine eigene Sekte. Die beiden rivalisierenden Reiigions-
gesellschaften werden nach der Kopfbedeckung ihrer Anhänger
»Rote Quasten" und »Gelbe Mützen" genannt.
Mexikanische und peruvianische Mysterien.
Die Eingeborenen von Amerika. — Mexikanische Gottheiten. — Grausam-
keit des mexikanischen Gottesdienstes. — Einweihung in die mexikanischen
Mysterien. — Die höheren Geheimnisse. — Menschenopfer. — Blutige Häute
als Gewandung. — Peruvianische Mysterien. — Die Einweihung bei den
Quiches.
Die Ethnologen wissen uns bis jetzt noch nichts über den
Ursprung der Urbewohner des amerikanischen .Festlandes zu
sagen. Wir wissen aber, dafs eine dieser Völkerschaften in vor-
geschichtlichen Zeiten eine hochentwickelte Kulturnation war.
Das geht aus den in Zentral-Amerika entdeckten Trümmern
schöner Städte hervor. Auch beweisen alte archäologischen Über-
bleibsel, dafs die Religion von Mexiko und Peru im grofsen
und ganzen dieselbe war wie die der asiatischen Völker - ganz
naturgemäfs, denn die moralischen und physischen Gesetze des
Weltalls sind überall die gleichen und in der gleichen Weise
wirksam, weshalb sie auch die gleichen Ergebnisse haben müssen,
nur dafs diese durch klimatische und andere örtliche Verhältnisse
mehr oder minder abgeändert werden.
Das Religionssystem der Mexikaner war von sehr düsterer
Strenge. Die hauptsächlichsten der vielen Gottheiten, die sie
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Mexikanische und peruvianische Mysterien. 55
verehrten, waren: Teotl, das unsichtbare höchste Wesen; Virococha,
der Schöpfer; Vitzliputzli oder Heritsilopochtli, der Gott der Barm-
herzigkeit (ihm wurden die blutigsten Opfer dargebracht — ein
Beweis dafür, dafs die mexikanischen Priester in dieser Beziehung
ebenso inkonsequent waren wie die fanatischen Pfaffen Europas,
die im Namen des Gottes der Barmherzigkeit Mitmenschen wegen
Andersgläubigkeit folterten und verbrannten); Teskalipuka, der
Gott der Rache; Quetsalkoatl (= »mit grünen Federn bekleidete
Schlange“), der mexikanische Merkur; Miktlaneiheratl, die Göttin
der Hölle; Tlalok-teatli (= Neptun); Ixciana (= Venus). Vitzliputzli,
dessen Name sich auf die Sonne bezog, schrieb man die Er-
neuerung der Welt zu. Man glaubte, er sei von einer Jungfrau
geboren, deren Befnichtung durch ein ihr vom Himmel in den
Schofs gefallenes Federbüschel erfolgt sei, welches in allen Regen-
bogenfarben geprangt habe. Er wurde in der Gestalt eines Furcht
einflöfsenden Mannes dargestellt und safs auf einer azurblauen
Kugel über einem geräumigen Altar, der während der mit der
Feier der Mysterien verbundenen Umzüge auf einer himmelblauen
Sänfte umhergetragen wurde. Er hatte eine blaue Stirne und
auf der Nase einen blauen Streifen. Bekanntlich bildete auch in
den Zelten der alten Juden Blau die vorherrschende Farbe. Hier
wie dort besafs diese eine astronomische Bedeutung. Auch
Wischnu war, wie wir bereits wissen, blau bemalt. In der
rechten Hand hielt Vitzliputzli eine Schlange, das Sinnbild des
Lebens. Darstellungen dieses Reptils finden sich auf sämtlichen
Tempeln Mexikos und Perus. Spuren des Schlangendienstes der
abendländischen Welt begegnen wir auch in den nordamerika-
nischen Staaten Ohio und Jowa, wo es tausend Fufs lange und
noch längere künstliche Schlangenhügel aus Erde giebt. Von
Teskalipuka glaubte man, er bestrafe die Sünden der Menschen
mit Pest, Hungersnot u. dgl. und sein Zorn könne nur durch
Menschenopfer besänftigt werden, weshalb ihm zu Ehren nicht
selten Tausende an einem Tag hingeschlachtet wurden.
Die mexikanischen Tempel waren voll schrecklicher Götzen,
die durchweg in Menschenblut gebadet waren. Die Kapelle
Vitzliputzlis wurde mit den Schädeln der ihm geopferten Menschen
geschmückt; die Wände und der Fufsboden waren zollhoch mit
Blut bedeckt; vor dein Götzenbild konnte man häufig die noch
zuckenden Herzen der getöteten Opfer sehen. Die Haut der
letzteren diente den Priestern als Kleidung. Dieser widerliche
Gebrauch rührte nach der Legende von dem Umstand her, dafs
Tosi, »die grofse Mutter», menschlichen Ursprungs war; Vitzli-
putzli schärfte, um ihr göttliche Ehren zu verschaffen, den Mexi-
kanern ein, sie zu ihrer Königin zu machen, sie dann zu töten,
ihr die Haut abzuziehen und mit dieser einen jungen Mann zu
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Alte Mysterien.
bedecken; so ihres Menschentums entledigt, wurde sie unter die
Götter versetzt. Eine andere empörende Unsitte, die ebenfalls
eine Folge dieser Sage war, werden wir später erwähnen.
Der Einweihungskandidat mufste sich ähnlichen, aber
gröfseren Schrecken, Leiden und Bufsen unterziehen wie den im
Morgenland üblichen. Er wurde mit Knotenstricken gegeifselt,
man schnitt ihm mit Messern ins Fleisch und steckte Schilfrohr
in die Wunden, damit das Blut rascher fliefse oder man brannte
die Wunden mit glutroter Asche — Erprobungen, unter denen
viele zu Grunde gingen. Die ..Reinigungen“ erfolgten nicht mit
Wasser, sondern mit Blut und des Bewerbers Gewand war schwarz
statt weifs. Vor der Einweihung erhielt er ein Getränk, das an-
geblich die Furcht bannen sollte, in Wirklichkeit aber nicht selten
geistesstörend wirkte. Sodann wurde der Kandidat in die finsteren
Einweihungshöhlen geführt, die sich unter dem Fundament des
mächtigen pyramidenförmigen Vitzliputzlitempels zu Mexiko be-
fanden und die Bezeichnung «Pfad der Toten" führten. Die
Mysterien, die er nun mitmachte, versinnbildlichten die Wan-
derungen der Götter, d. h. den Lauf der Sonne durch die
Zeichen des Tierkreises. Alles, was die Einbildungskraft er-
schrecken und den Mut erproben konnte, liefs man den Kandi-
daten erblicken und hören. Er vernahm das Geschrei Verzwei-
felter und das Ächzen Sterbender. Er kam an den Kerkern
vorbei, in denen die Unglücklichen vor ihrer Opferung gemästet
wurden, und durch Höhlen mit von halbgeronnenem Blut
schlüpfrig gewordenem Fufsboden. Bald sah er den zuckenden
Körper eines Sterbenden, dem soeben das Herz ausgerissen
worden, um dem blutdürstigen Gotte der Barmherzigkeit dar-
gebracht zu werden ; bald erblickte er im Dach die Öffnung,
durch welche die Opfer vom Altar hinabgestürzt wurden. Schliefs-
lich gelangte er am Ende der schier grenzenlosen Höhlenreihe
zu einer engen Steinspalte, durch die er geschoben wurde, um
von einer lauten Menge als ein wiedergeborener Mensch begrüfst zu
werden. Die weiblichen Personen entkleideten sich hierauf,
tanzten in nacktem Zustande dreimal einen bacchantischen Tanz
und gaben sich dann den zügellosesten Ausschweifungen hin.
Wie die morgenländischen Völker, hatten 'auch die Mexi-
kaner, aufser der exoterischen Lehre für die niedrigeren Ein-
geweihten, eine esoterische, die nur den Priestern zugänglich war
und auch diesen erst nach Darbringung eines Menschenopfers.
Die geheimsten Kenntnisse wurden ihnen um Mitternacht beigebracht,
und zwar unter Auferlegung äufserst strenger Verpflichtungen,
deren Verletzung unbarmherzig mit dem Tode bestraft wurde.
Die eigentliche Lehre war astronomischer Natur, indem, wie bei
den übrigen alten Völkern, bei den grofsen Festen das Ver-
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Mexikanische und peruvianische Mysterien.
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schwinden der Sonne beklagt und schliefslich bei dem ..Fest des
neuen Feuers" ihr Wiedererscheinen freudig gefeiert wurde. Nach
dem Auslöschen alles Feuers, selbst des heiligen im Tempel,
begab sich die ganze Bevölkerung der Stadt Mexiko unter An-
führung der Priesterschaft zu einem nahen Hügel. Dort wartete
man, bis die Plejaden in der Mitte des Himmels standen, worauf
ein Menschenopfer dargebracht wurde. Das zum Anzünden des
neuen Feuers durch die Priester benutzte Werkzeug legte man
auf die, dem zur Opferung bestimmten Gefangenen beigebrachte
Brustwunde; nach dem Anzünden des Feuers warf man den
Bedauernswerten auf den schon bereitstehenden ungeheuren
Scheiterhaufen und setzte diesen in Brand. Das mit Freuden-
geschrei empfangene neue Feuer wurde von Dorf zu Dorf ge-
tragen, dort in den Tempeln aufbewahrt und von hier aus in die
Wohnungen der Bevölkerung verteilt. Bei Sonnenaufgang erneute
sich das Jubelgeschrei.
Den gänzlich eingeweihten Priestern wurde ferner bei-
gebracht die Lehre von der Unsterblichkeit, von einer dreieinigen
Gottheit und von der Urbevölkerung, welche sich unter Anführung
Vitzliputzlis, der mit einem schlangenförmigen Stab in der Hand
in einem quadratischen Kasten safs, schliefslich auf einem lotus-
reichen See niederliefs, auf dem sie ihr Allerheiligstes errichtete.
Es war dies der See, in dessen Mitte die inselartige Stadt Mexiko
ursprünglich stand.
Dafs kein Priester ohne vorherige Opferung eines Menschen
Esoteriker werden konnte, haben wir bereits erwähnt. Diese
schreckliche Zeremonie mufsten die spanischen Eroberer oft an
ihren gefangen genommenen Landsleuten vollziehen sehen. Der
Oberpriester trug ein langes, scharfes Feuersteinmesser, ein
anderer Priester einen Holzkragen und vier Priester umstanden
einen pyramidenförmigen Opferstein, dessen oberes Ende rund-
erhaben war, so dafs der mit dem Rücken darauf gelegte Mann
derart gekrümmt wurde, dafs der Magen beim ersten Einschnitt
des Messers losgetrennt werden konnte. Zwei Priester hielten
dem Unglücklichen die Füfse, zwei die Hände fest, der fünfte
legte ihm den Holzkragen um; sodann trennte der Oberpriester
ihm den Magen los und rifs ihm das Herz aus, welches er zuerst
gegen die Sonne emporhielt und nachher einem der Götzen vorwarf,
während der Körper des Geopferten die Stiege hinab gestürzt
wurde, die sich um das ganze riesige pyramidenförmige Gebäude
wand. In dieser entsetzlichen Weise opferte man binnen wenigen
Stunden vierzig bis fünfzig Menschenleben. Häftlinge von hohem
Rang oder bewährtem Mut genossen das Vorrecht, diesem grau-
samen Tode zu entgehen und sogar ihre Freiheit zu erlangen,
falls es ihnen glückte, sechs mexikanische Krieger der Reihe
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SS Alte Mysterien.
nach zu bekämpfen; gelang ihnen das nicht, so wurden sie hin-
geopfert.
Die bereits erwähnte Benutzung der Haut der Opfer als
Hülle fand auch noch bei anderen Gelegenheiten statt. Bei ge-
wissen Festen kleidete man einen Mann in die noch rauchende
Haut des Opfers. Auch Könige und Qrofswürdenträger hielten
es nicht unter ihrer Würde, sich so zu verkleiden und dann in
den Strafsen um Almosen für wohlthätige Zwecke zu betteln,
und zwar so lange bis die Haut zu verwesen begann. An einem
gewissen Feiertag wurde ein Weib getötet und mit der Haut ein
Mann bekleidet, der in diesem Zustand zwei Tage lang mit
seinen Mitbürgern herumtanzte.
Die Inkas, die Beherrscher von Peru, rühmten sich, von
der Sonne und dem Mond abzustammen, die daher angebetet
wurden. Der Hauptgott der Peruvianer war jedoch Pacha-Kamak
(= «Der dem Weltall Leben Gebende“), dessen Name für so
heilig galt, dafs er nur den Eingeweihten mitgeteilt wurde. Dieser
Gottheit errichteten sie keine Tempel. Sie hatten auch einen
Götzen namens Tangatango (= »Einer in drei und drei in
Einem"). Ihre Mysterien, von denen wir fast gar nichts wissen,
wurden am ersten September -Mondtag gefeiert; man blieb die
ganze Nacht wach und öffnete bei Sonnenaufgang die östlichen
Thore des grofsen Tempels zu Cuzco, so dafs die Sonnenstrahlen
das dort angebrachte goldene Abbild der Sonne beleuchten
konnten. Decke und Wände dieses Tempels waren vollständig
mit Goldplatten bedeckt und das aus einem runden, von Strahlen
und Flammen umgebenen Gesicht bestehende Bildnis des grofsen
Tagesgestirns nahm fast eine ganze Wand ein. Sodann um-
wanderten die »Sonnenjungfrauen“ welchen, gleich den
römischen Vestalinnen, das heilige Feuer anvertraut war und die
sich ewiger Keuschheit befleifsigen mufsten — den Altar, während
die Priester den Versammelten die milden und gerechten Gesetze
von Peru erläuterten. Im Gegensatz zur Gottesverehrung ihrer
Nachbarn, der Mexikaner, war die der Peruvianer unblutig.
Immerhin aber kam es bei ganz besonderen Anlässen auch bei
ihnen vor, dafs ein Kind oder ein junges Mädchen geopfert
wurde; doch waren das seltene Ausnahmen.
Wir haben in einem früheren Kapitel bemerkt, dafs die die
Maja-Sprache redenden Völker Mysterien hatten. Einer dieser
Stämme, die Quiches von Xibalba, der im Herzen des Gebirges
von Guatemala lebte, besafs seine eigenen Einweihungsriten. Das
heilige Buch der Quicjies, »Popol-wuh“ genannt, sagt, dafs der
Kandidat zwei Flüsse zu passieren hatte einen aus Blut, einen
aus Morast - um die vier Strafsen zu erreichen, an deren Ende
ihn ein Priester erwartete. Dieser hiefs ihn niedersetzen, aber
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Die Druiden.
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der Sitz war glühend heifs. Nun verbrachte er die Nacht im
»Dunklen Hause“, wo er zwei Erprobungen bestand; die dritte
machte er im »Speerhause“ durch, wo er mit Speeren bewaffnete
Männer bekämpfen mufste, die vierte im »Eishause“, die fünfte
im »Tigerhause“, die sechste im »Feuerhause“, die siebente im
»Fledermaushause"; hier erschien der Gott der Fledermäuse,
Kamasotz, dem Kandidaten und enthauptete ihn, falls er nicht
auf seiner Hut war.
Die Druiden.
Etymologisches. — Tempel. — Einweihungsorte. — Riten. Lehren.
Politische und richterliche Macht. Priesterinnen. Verfall und Ende.
Die Geheimlehren der Druiden ähnelten vielfach denen der
morgenländischen Priester des Altertums und zerfielen in exo-
terische und esoterische. Sowohl in Gallien als auch in Britannien
geübt, erlangten die druidischen Riten ihre gröfste Ausbildung
in dem letzteren Lande, wo die Insel Anglesey als ihr Hauptsitz
galt Gewöhnlich wird das Wort »Druiden" vom griechischen
igf'» (= Eiche) abgeleitet, einem Baum, der als besonders heilig
verehrt wurde; doch läfst es sich auch vom gälischen »druidh“
ableiten, das einen »weisen Mann“ oder »Zauberer“ bedeutet.
Die Tempel, in denen die Druiden ihr heiliges Feuer auf-
bewahrten, standen zumeist auf Anhöhen und in dichten Eichen-
hainen. Ihre Bauart war entweder kreuzförmig, weil das Kreuz
als das Sinnbild der Wiedergeburt betrachtet wurde, oder kreis-
rund, weil der Kreis das Weltall bedeutete, oder flügelförmig, um
die Bewegung des göttlichen Geistes anzudeuten, oder schlangen-
artig, weil die Schlange das Symbol des druidischen Osiris
Hu — bildete, oder eirund, um an das Welt-Ei zu erinnern, aus
dem nach der Überlieferung vieler Völker das Weltall, nach
anderen Überlieferungen das erste Menschenpaar hervorging.
Der Bau wurde aus unbehauenen Steinen aufgeführt, deren Zahl
sich nach gewissen astronomischen Berechnungen richtete. Der
Mittelstein war gröfser als alle übrigen und genofs als Vertreter
der Gottheit hohe Ehren. Besonders hervorragend waren die
Steintempel von Stonehenge, Abury und Shap in England. Wo
kein Steinmaterial zur Verfügung stand, traten an dessen Stelle
rohe Erdaufschüttungen; in solchen Fällen bestand der Tempel
aus einem von Gräben umgebenen hohen Wall. An die Her-
stellung dieser Tempelhügel wandte man eine Riesenarbeit; so
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Alte Mysterien.
z. B. würde heutzutage nach Stukeleys Berechnung das Aufwerfen
eines Hügels wie der Silbury - Hill etwa zwanzigtausend Pfund
Sterling kosten.
Das Allerheiligste der Mysterien nannte man einen Kromlech
oder Dolmen. Es wurde als Pastös (Ort der Einweihung oder
Wiedergeburt) benutzt und bestand aus drei aufrecht stehenden
Steinen,’ auf denen ein flacher Querstein lag, so dafs eine Art
Zelle entstand. Doch bildeten diese Kromlechs oder Dolmens nur
einen kleinen Teil der ausgedehnten Räume, die zum Einweihungs-
Apparat notwendig waren. Der Oesamtsitz der Mysterien hiefs
Coer Sidi und umfafste eine lange Reihe von an den eigentlichen
Tempel angebauten Gebäuden mit zahlreichen Gemächern, Zellen,
Gewölben, Bädern, kunstvollen Gängen u. s. w., die mit den in
allen Mysterien üblichen Vorrichtungen zur Erschreckung und
Erprobung der Einweihungskandidaten versehen und in der Regel
unterirdisch waren.
Der Druidismus umfafste alle zu seiner Zeit in jenen
Ländern bekannten religiösen und philosophischen Studien. Die
Riten bezogen sich unzweifelhaft auf astronomische Thatsachen.
Die Hauptgottheiten lassen sich in zwei zusammenfassen: eine männ-
liche und eine weibliche, den grofsen Vater und die grofse Mutter:
Hu und Ceridwen, die in jeder Hinsicht Osiris und Isis oder
Bacchus und Ceres etc. entsprechen. Die Einweihungsfeierlich-
keiten fanden vierteljährlich statt; die genaue Zeit hing vom Lauf
der Sonne ab, namentlich vom Eintritt der Wenden und der
Gleichen. Das Jahresfest wurde am Vorabend des 1. Mai ab-
gehalten und mit dem Anzünden von Freudenfeuern auf sämt-
lichen Steinhügeln und Kromlechs des ganzen Landes eingeleitet
Dieselben brannten die Nacht hindurch und um sie herum
wurden zu Ehren der Sonne, die damals vermeintlich aus dem
Grabe stieg, Tänze mit Chorgesang aufgeführt. Das ausgelassene
Fest fand seine Fortsetzung bis zur Mittagszeit des ersten Mai;
sobald das Tagesgestirn im Zenith stand, zogen sich Priester und
Publikum in die Wälder zurück, um sich den schlimmsten
Orgien hinzugeben.
Die feierliche Einweihung von Kandidaten erfolgte um
Mitternacht und umfafste drei Grade: die Eubaten, die Barden
und die Druiden. Der Aufnahmebewerber wurde in einen Sarg
gelegt, womit der Tod Hu’s - d. h. der Sonne — angedeutet
werden sollte, während seine Auferstehung im dritten Grade das
Wiedererscheinen der Sonne versinnbildlichte. Die Erprobungen
seines Mutes ähnelten den bei den anderen Mysterien des Alter-
tums üblich gewesenen.
Das Fest des 25. Dezember wurde mit dem Anzünden
grofser Hügelfeuer behufs Verkündigung des Geburtstages des
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Die Druiden.
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Sonnengottes gefeiert. An diesem Tage — so glaubte man --
begann er, nach der vermuteten Wintersonnwende, zu wachsen
und allmählich aufzusteigen. Dieses Fest begingen nicht nur die
Druiden, sondern die ganze alte Welt. Die Feuer stellten die
Kraft und Glut der Sonne dar, während das benutzte Immergrün
die Einwirkung der erneuten Macht des Tagesgestirns auf die
Vegetation darstellte. Die Feier der Sommersonnwende fand
am 24. Juni statt Auch die christliche Kirche hat diese heid-
nischen* Festtage übernommen, den einen als Weihnachtstag, den
andern als Sankt-Johannistag, nur dafs an die Stelle der einstigen
astronomischen Bedeutung eine theologische getreten ist Der
Gebrauch von Immergrün in christlichen Kirchen zur Weih-
nachtszeit bildet eine Fortsetzung der gleichen Sitte der
Druiden.
Die Fiauptlehren der Druiden betrafen ein einziges höchstes
Wesen, ein Jenseits mit Belohnungen und Strafen, die Unsterb-
lichkeit der Seele und die Seelenwanderung. Ferner glaubten
sie, dafs das Wasser das eigentliche Urprinzip sei und vor der
Schöpfung in unbefleckter Reinheit vorhanden war. Diese Ansicht
stand offenbar im Widerspruch mit einer anderen ihrer Lehren :
dafs nämlich der Tag aus der Nacht hervorging, weil die letztere
(« das Chaos) vor der Erschaffung des ersteren bestand. Sie
hegten auch die Anschauung, dafs die Zeit nur ein aufgefangenes
Bruchstück der Ewigkeit sei und dafs es eine endlose Reihe von
Welten gebe. Im grofsen Ganzen glichen ihre Lehren denen
der Pythagoräer. Hohe Verehrung zollten sie den Zahlen 3, 7, 19
(= der Mondcyklus) und 147 - der letzteren, weil sie das
Ergebnis der Multiplikation der zweiten Potenz von 7 (49) mit
3 ist Auch auf das Wahrsagen hielten sie grofse Stücke ; sie
bedienten sich dabei, des Vogelfluges, der Menschenopfer, der
weifsen Pferde, des Kreiseziehens des Wassers, sowie des Lose-
ziehens. Doch besafsen sie auch beträchtliche wissenschaftliche
Kenntnisse.
Die Macht der Druiden überstieg häufig die der Herrscher.
Sie waren die einzigen Ausleger der Religion und hatten die
Aufsicht über alle Opferungen; ohne ihre Genehmigung durfte
keine Privatperson ein Opfer darbringen. Sie besafsen das Recht,
die Exkommunikation zu verhängen - die furchtbarste Strafe
nächst der Todesstrafe — von deren Folgen nicht einmal die
höchsten obrigkeitlichen Personen ausgenommen waren. Ohne
Zustimmung der Druiden konnte der grofse Reichsrat weder
Krieg erklären noch Frieden schliefsen. Sie schlichteten alle
Streitigkeiten durch unabänderliche Entscheidungen ur^d durften
auch zum Tode verurteilen. Ihre Altäre schwammen in Menschen-
blut Zuweilen brachten sie ganze Mengen von Männern, Frauen
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Alte Mysterien.
und Kindern, die in grofse Türme aus Flechtwerk gesperrt
waren, als Brandopfer dar, die zugleich zur Erhöhung des An-
sehens dieser ehrsüchtigen und blutdürstigen Priesterschaft dienten.
Sie zogen es — weil angeblich den Göttern angenehmer — vor,
Verbrecher zu opfern; mangelte es jedoch an solchen, so »be-
gnügten“ sie sich mit Unschuldigen. Solche Opfer wurden
insbesondere am Vorabend eines Krieges oder zu Zeiten eines
.grofsen nationalen Unglücks oder zur Erlangung der Genesung
gefährlich erkrankter hochstehender Persönlichkeiten dargebracht.
Die weifsgekleideten Priesterinnen, die einen Metallgürtel
trugen, weissagten die Zukunft aus der Beobachtung der Natur-
erscheinungen, noch lieber aber aus den Menschenopfern. Zu ihren
Aufgaben gehörte die Tötung der Kriegsgefangenen und der von
den Druiden zum Tode verurteilten Personen; aus den rauchenden
Eingeweiden der Umgebrachten und aus der Art, in der das
Blut aus den Wunden flofs, zogen sie ihre prophetischen Schlüsse.
Viele von ihnen führten ein Leben ewiger Keuschheit, während
andere sich der gröfsten Zügellosigkeit hingaben. Sie wohnten
auf einsamen , meerumspülten Felsen, und ihre Wohnungen
wurden von den Seeleuten für Tempel voll unnennbarer Wunder
gehalten. Manche dieser Priesterinnen wahrsagten den Schiffern,
die ihnen alle erdenklichen Kräfte zuschrieben; dies gilt nament-
lich von den neun Priesterinnen, die auf der Insel Sena oder
Liambis - nach der Sage der Geburtsort Merlins — lebten.
Die in der Nähe der Loire -Mündung wohnenden Druiden-
priesterinnen pflegten alljährlich ihren Tempel zu zerstören und
einen neuen zu bauen; passierte es nun einer, dafs sie etwas von
dem neuen „heiligen" Baumaterial fallen liefs, so stürzten sich
die übrigen unter gellendem Geschrei auf sie, um sie in Stücke
zu zerreifsen und ihre blutigen Glieder umherzustreuen.
Je weiter die Römer vordrangen, desto mehr verfiel die
Macht der Druiden. Schliefslich wurden sie 61 n. Chr. in ihrer
Hauptveste auf der insei Anglesey von Suetonius Paulinus —
der unter Nero Gouverneur von Britannien war — angegriffen,
gründlich geschlagen und in grofsen Mengen auf den Scheiter-
haufen verbrannt, welche sie selbst für die Römer vorbereitet
hatten, die sie gefangen zu nehmen gedachten. In Gallien
erhielten sie sich — namentlich auf dem Kap Finisterre und in
der Nähe der Insel Sena — um etwa zweihundert Jahre länger,
bis das Überhandnehmen des Christentums sie endgültig ver-
drängte. War aber der Druidismus als solcher auch beseitigt,
so blieben viele ihrer Religionsgebräuche doch noch lange
bestehen; in Britannien z. B. erwies es sich noch unter Kanut
(1 1. Jahrhundert) als notwendig, dem Volk die Anbetung der
Sonne, des Mondes und des Feuers zu verbieten, ln der Frei-
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Skandinavische Mysterien.
63
maurerei leben noch jetzt manche druidischen Übungen fort;
dieselbe ist im Grunde nichts anderes als Gestimverehrung und
einzelne Fachschriftsteller wollen beweisen, dafs die Freimaurerei
bald nach dem Edikt Kanuts und infolge desselben gegründet
wurde, sowie dafs der Grund der überaus strengen Geheim-
haltung eben in dem gänzlichen Verbot des Dniidismus zu
suchen ist.
Skandinavische Mysterien.
Die Drotten. - Ihre Ausrottung. — Das Rituale. — Astronomische Aus-
legung. — Das Julefest.
Die altskandinavische Priesterschaft hiefs die »Drotten" und
wurde von Sigge ins Leben gerufen, einem skythischen Prinzen,
der nach der Legende später den Namen Odin angenommen
haben soll. Diese Körperschaft bestand aus zwölf Personen, die
übrigens auch das Richteramt versahen; hierin ist der Ursprung
der zuerst in England, später in vielen anderen Ländern auf-
gekommenen zwölfgliedrigen Geschwornengerichte zu suchen.
Ihre Macht war so grofs, dafs sie die zur Opferung bestimmten
Menschen nach Belieben auswählen durften — sogar den Herr-
scher, wenn es ihnen pafste. Hieraus ergab sich das allseitige
Bestreben, sich mit diesen allmächtigen Priestern auf guten Fufs
zu stellen ; und da der Orden auf eine einzige Familie beschränkt
blieb, wurde er ungeheuer reich. Seine Willkürwirtschaft über-
stieg schliefslich alle Grenzen und nur darum, weil es derselben
ein Ende zu machen versprach, wurde das Christentum in Skan-
dinavien mit grofser Begeisterung aufgenommen. Vom Durst
nach Rache für die angehäufte Unbill, die sie erlitten, angetrieben,
tötete die Bevölkerung die Drotten, rifs ihre Paläste und Tempel
nieder, zerbrach die Standbilder ihrer Götzen und zerstörte alles
drum und dran des gotischen Aberglaubens. Nur was der
Vernichtung durch Menschenhand widerstand, blieb bestehen:
einige Kromlechs, einige großartige Rohstein-Denkmäler, mehrere
in Naturfelsen gehauene Höhlenreihen und eine kleine Anzahl
natürlicher Grotten, welche Einweihungszwecken gedient hatten.
Das ganze Rituale hatte eine astronomische Bedeutung.
Die Einweihungsstätten waren, wie bei den meisten übrigen
Mysterien, natürliche oder auch künstliche Höhlen und der Auf-
nahmebewerber mufste sich den schrecklichsten Erprobungen unter-
ziehen ; diese recht grausam zu gestalten, liefsen sich die Priester
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Alte Mysterien.
angelegen sein. Der Kandidat hatte aber - im Gegensatz zu
den morgenländischen Mysterien — nicht sieben, sondern neun
(neun ist die Quadratzahl der geheimnisvollen Dreizahl) unter-
irdische Räume zu durchwandern. Er empfing die Weisung,
den Leichnam Baldrs, des skandinavischen Osiris, zu suchen,
der von Loki, dem Fürsten der Finsternis, getötet worden war;
und er hatte die Aufgabe, den toten Sonnengott mit Aufbietung
aller Mittel ins Leben zurückzurufen. Dies gelang ihm denn
auch gewöhnlich, worauf er im Allerheiligsten auf ein nacktes
Schwert einen feierlichen Verschwiegenheitseid leisten und den-
selben durch das Trinken von Met aus einem Menschenschädel
bekräftigen mufste. Schliefslich wurde ihm das auch von den
Skandinaviern heiliggehaltene Kreuzzeichen aufgedrückt und ein
Zauberring — das Geschenk Baldrs des Guten — übergeben.
Im ersten Gesang der „Edda", offenbar eine Schilderung
der mit der Einweihung in die Mysterien verbundenen Zeremonien,
heifst es, dafs der Kandidat bestrebt sei, die im Besitz der Götter
(Äsen) befindlichen Kenntnisse zu erlangen. Er entdeckt einen
Palast, dessen unermefslich grofses Dach mit goldenen Schilden
bedeckt ist. Sodann begegnet er einem Mann, der damit be-
schäftigt ist, sieben Blumen aufwärts zu schleudern. Der Palast
bedeutet die Welt, das Dach den Ftimrnel, die goldenen Schilde
sind die Sterne, die sieben Blumen sind die sieben Planeten.
Nach seinem Namen gefragt, antwortet der Kandidat: „Gangler“,
d. h. Wanderer, hier jemand, der rings umher geht, um der
Menschheit Lebensbedürfnisse zu spenden. Damit ist die Sonne
gemeint, die der Einweihungsbewerber darstellt. Der Palast ist
der des Königs; so nannten die alten Mystagogen das Tages-
gestirn. Der Wanderer erblickt alsbald drei Sitze; auf dem
niedrigsten thront Flar, der „erhabene König“, auf dem mittleren
Jafuhar, „der dem Erhabenen Gleiche", auf dem höchsten Sitze
die Dreizahl. Diese drei Sitzenden entsprechen den von den
Neulingen der eleusinischen Geheimnisse erblickten Persönlich-
keiten: dem Hierophanten, dem Fackelträger (Daduchus) und
dem Altarpriester (Epibomit) ; sie entsprechen auch dem Meister
und dem ersten und zweiten Aufseher der Freimaurerei —
sinnbildlichen Vertretern der Sonne, des Mondes und des grofsen
Weltenbaumeisters (Deniiurgos). Aber die skandinavische Drei-
einigkeit wird gewöhnlich durch den Obergott Odin, dessen
erstgebornen Sohn Thor (den Vermittler zwischen Odin und den
Menschen, den Besitzer unbegrenzter Macht über das Weltall,
weshalb sein Haupt von zwölf Sternen umgeben dargestellt
wurde) und den Hermaphrodit Freya vertreten, welch letztere
man mit allerlei Abzeichen der Herrschaft über Liebe und Ehe
ausstattete.
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Skandinavische Mysterien.
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Die dem Neophyten erteilten Weisungen enthielten auch
die Belehrung, der gröfste und älteste Gott heifse »alfader“
(= Allvater) und habe zwölf Beinamen. Diese erinnern an die
zwölf Attribute der Sonne, die zwölf Konstellationen und die
zwölf höchsten Gottheiten Ägyptens, Griechenlands und Roms.
Zu den Göttern der skandinavischen Mythologie gehörte Baldr
der Gute, dessen Geschichte, wie schon erwähnt, den Gegenstand
der Einweihungszeremonien bildete. Baldr entspricht dem orien-
talischen Mithras, dem Geliebten der Sonne. Er sieht die ihm
drohende Gefahr vorher, denn er träumt davon. Die anderen
Götter der Walhalla — des Olymps der alten Skandinavier —
denen er seine Furcht mitteilt, beruhigen ihn und lassen, damit
ihm nichts geschehen könne, alle Dinge der Natur den Eid
leisten, dafs sie ihm nichts zuleide thun werden ; nur die Mispel
wird wegen ihrer aufserordentlichen Harmlosigkeit nicht zum
Schwur herangezogen. Zum Zeitvertreib bewerfen die Götter
Baldr mit allerlei gefährlichen Dingen, ohne ihn zu verletzen.
Höder der Blinde (= das Schicksal) beteiligt sich anfänglich nicht
an der Unterhaltung; aber Loki der Böse (= die Finsternis, der
Winter) giebt ihm einen Mispelzweig in die Hand und beredet
ihn, denselben zu schleudern. Die Folge ist, dafs Baldr tot
niederfällt. Deshalb pflegten die Druiden Skandinaviens, Galliens
und Britanniens um die Wintersonnwende Mispelzweige zu
sammeln; sie schnitten dieselben mit einem gebogenen Messer
ab, um den Abschnitt des Tierkreises anzudeuten, unter dessen
Walten die Ermordung Baldrs stattfand. In Snorros Edda findet
sich eine andere Sage, wonach Odin getötet wurde und Freya,
die skandinavische Isis oder Venus, ausging, um seinen Leichnam
zu suchen — genau dieselbe Legende, welche die Ägypter von
Osiris und Isis, die Griechen von Ceres und Proserpina er-
zählten; auch die astronomische Bedeutung ist die gleiche.
Einer der Hauptfeiertage der Skandinavier, wie der Druiden,
war das Fest der Wintersonnwende. Da es sich hier um die
längste Nacht des Jahres handelte, schrieb man ihr die Er-
schaffung der Welt aus der Urfinsternis heraus zu und nannte
sie »Mutter-Nacht“. Dieses Fest hiefs „Jule“ (aus Helios = Sonne
verdorben) und wurde mit Freudenbezeigungen gefeiert. In
England und Schottland gebrauche man für Weihnachten noch heute
Jas Wort „yule“ fast ebenso häufig wie das Wort „christmas“.
Heckethorn-Katscher, Geheimbunde u. Geheimlehren.
s
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ZWEITES BUCH.
Emana¥onisteN.
5*
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Die Kabbala.
Ursprung. - Hauptwerke. — Das Buch der Schöpfung. — Verschiedene
Arten der Kabbala. — Ezechiels Visionen. — Die Erschaffung aus dem
Nichts. — Das Wiederaufleben kabbalistischer Lehren. Rabbi Löb und
Jakob Franck. — Ein Urteil über die Kabbala.
Das Wort »Kabbala" ist von dem Namen des Hindus
Kapila, des Urhebers der Philosophie der Zahlen, abgeleitet.
Die Kabbala bildet das Gesamtergebnis der Bestrebungen der
judäischen Sekten und beschäftigt sich mit der mystischen Aus-
legung der Heiligen Schrift, sowie mit metaphysischen Grübeleien
über Gott und die sichtbaren und unsichtbaren Welten. Die
Juden glaubten, die Kabbala sei Moses von Gott selbst mit-
geteilt worden. Nun ist es zwar nicht ausgeschlossen und nicht
einmal unwahrscheinlich, dafs der Schriftsteller, der unter dem
Namen Moses geschichtlich wurde, seinen Nachfolgern irgend-
welche geheime Lehren hinterliefs; allein die phantastischen An-
schauungen der Kabbalisten über Engel (gutes Prinzip) und
Dämonen (böses Prinzip) sind rein chaldäisch; erst in Babylon
pfropften die Israeliten die Lehre von diesen zwei Prinzipien
auf ihren Monotheismus. Der Magier-Oberpriester Daniel, der
zugleich ein Prophet der Juden war, kann als der Hauptgründer
der Kabbala gelten, die zu Babylon entstand und als »die ver-
botene Frucht des fremden Weibes“ betrachtet wurde. Die alten
Juden hatten zwar Vorstellungen von Engeln, aber nur un-
bestimmte; sie schrieben den Engeln keine bestimmten Obliegen-
heiten zu, wenngleich sie jedem ihrer Patriarchen einen eigenen
»vertrauten“ Geist zuwiesen. Die alexandrinische Schule schmückte
jene chaldäischen Kenntnisse der Israeliten in erheblichem Mafse
weiter aus — Philo ergänzte Daniel. Namentlich der spekulative
Teil der Kabbala, der auf der Emanationslehre beruht, wurde in
der genannten Schule ausgebaut. Man verquickte die philo-
sophischen Systeme des Pythagoras und des Plato mit der
morgenländischen Philosophie; hieraus gingen später der Gnosti-
zismus und der Neoplatonismus hervor.
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70
Emanationisten.
Die ersten beglaubigten Äufserungen der Kabbala fanden
ungefähr in der Zeit zwischen dem ersten Jahrhundert vor und
dem ersten Halbjahrhundert nach Christi Geburt statt. Einerseits
die höhere Kultur der Juden, anderseits die Spitzfindigkeit der
Rabbinen und die grofse Tyrannei, die der Buchstabe des Gesetzes
ausübte, erwiesen sich der Ausbreitung theologischer Geheimlehren
förderlich. Die in Betracht kommenden Hauptwerke waren: das
Buch der Schöpfung („sefer jezira“), wahrscheinlich von Akiba
verfafst, und das Buch des Lichtes (zohar), das dem Rabbi Simon
ben Jochai, einem Jünger Akibas, zugeschrieben wird und aus
phantastischen Erläuterungen der Bücher Mosis besteht.
Zur Beurteilung des im „zohar" enthaltenen verworrenen
Zeugs genügt die Beschreibung des Aussehens Gottes. Dieser
wird als ein uralter Greis mit 1 000007 000 Locken aus weifser
Wolle und mit einem bis zum Nabel reichenden, schneeweifsem
Bart dargestellt, welcher dreizehn Abteilungen habe, deren jede
die tiefsten Geheimnisse umfasse.
Der Mischnalehrer Akiba wurde 135 n. Chr. wegen seiner
Beteiligung an dem Aufstande Barkochbas (= „Sohn des Sternes“)
hingerichtet. Sein „Buch der Schöpfung“ bildet einen Monolog
Adams über die Geheimnisse des Weltalls. Adam untersucht
die Kräfte und Fähigkeiten des Verstandes, der sich bemüht, das
gemeinsame Prinzip zu ergründen, welches alle Grundlagen der
Dinge verbindet. Hierbei wendet er eine der mosaischen ent-
gegengesetzte Methode an, indem er nicht von Gott zur Schöpfung
hinab steigt, sondern nach Betrachtung des Universums die
Einheit in der Vielfältigkeit, das Gesetz in der Erscheinung sucht
und so von der Schöpfung zu Gott hinaufsteigt. Diese Methode
war sehr ergebnis- und sinnreich, verleitete die Kabbalisten jedoch
zu phantastischen Vergleichen zwischen Himmel und Erde,
zwischen höheren und untergeordneten Mächten, zwischen den
Dingen und Gedankenzeichen. All dies führte zu mancherlei
Weissagungs- und Beschwörungskünsten und zu sonstigen höchst
widersinnigen Auswüchsen des Aberglaubens. Nach der kabba-
listischen Auffassung ist das Weltall, das von Pythagoras als ein
Sinnbild der geheimnisvollen Kräfte der Zahlen betrachtet wurde,
lediglich ein wundervolles Blatt, auf das der Schöpfer alles Bestehende
mittels der ersten zehn Ziffern und der 22 Buchstaben des
hebräischen Alphabets geschrieben habe. Die zehn abstrakten
Ziffern seien die allgemeinen Formen der Dinge, „die höchsten
Gedankenkategorien“. So z. B. vertrete 1 den Geist des leben-
digen Gottes, die allgemeine Schöpferkraft, 2 den Atem des
belebenden Geistes, 3 das Prinzip des Wassers, 4 das des Feuers.
Der Aufdruck der Buchstaben auf dem Universum sei unaus-
löschlich und nur mit Hilfe dieses Aufdrucks lasse sich die
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Die Kabbala.
7t
höchste Ursache entdecken und der Name Gottes, der der Welt
aufs Antlitz geschrieben sei, zusammenstellen. Nicht alle Buch-
staben haben gleiche Kräfte. Drei von ihnen - »die Mütter*
genannt — geniefsen Vorrang; sie beziehen sich auf die in
verschiedenen physischen und geistigen Verhältnissen vorhandenen
Dreiheiten. Sieben andere heifsen »doppelte*, weil aus ihnen
jene Dinge entstehen, die einander ewig entgegengesetzt sind.
Die zwölf übrigen, die »einfachen", vertreten die »zwölf Attribute“
des Menschen.
Es giebt zweierlei Kabbala : die theoretische und die
praktische. Die letztere befafst sich mit der Zusammensetzung
von Talismanen und Amuletten, ist folglich schwindelhaft und
daher nicht würdig, hier näher behandelt zu werden. Doch sei
die interessante Thatsache angeführt, dafs die praktische Kabbala
frühzeitig zur Hervorbringung der allgemein für modern ge-
haltenen spiritistischen Erscheinungen benutzt wurde; wie wir
aus der „Apologie“ wissen, waren in Tertullians Zeit Zaubertische
mit Schreibvorrichtung etwas Gewöhnliches. Friedrich Brentz,
ein i. J. 1610 getaufter Jude, setzte in einem gegen seine früheren
Glaubensgenossen gerichteten Buch auseinander, in welcher Weise
dieselben Tische hoben, die mit mehreren Zentnern belastet
waren.
Was die theoretische Kabbala betrifft, so zerfällt sie in die
der Buchstaben und die der Dogmen. Während diese eine
Zusammenfassung der von den Kabbala-Gelehrten gehegten meta-
physischen Anschauungen bildet, ist jene bemüht, die heiligen
Dinge in mystischer Weise durch eigentümliche Buchstaben-
deutungen zu erklären. Die Buchstaben-Kabbala oder Mischna
wird in drei Zweige geteilt. Der erste („Gematrie") prüft die
Worte auf den Zahlenwert ihrer Buchstaben; so z. B. ist der
Zahlenwert von „Mithras“ — der Name des indischen Sonnen-
gottes - 365, was der Anzahl der Tage des Sonnenjahres ent-
spricht Der zweite Zweig (»Notarikon") setzt einzelne Worte
aus den Anfangs- oder Endbuchstaben mehrerer oder vieler
anderer zusammen, während der dritte die Umstellung oder
Versetzung der Buchstaben - wir kennen das aus den modernen
Anagrammen — ins Auge fafst
Die kabbalistischen Ausdrucksweisen und Erdichtungen
wurden - namentlich sofern sie, was zuweilen der Fall war,
poetische Gedanken enthielten — von den Mystikern, Sektierern
und Alchymisten, wie begreiflich, gierig aufgegriffen. Zur Be-
urteilung des Reichtums der Kabbala an phantastischer und
mythologischer Legendenbildung (ihr betreffender Zweig wird
»Markawa" genannt) wird es genügen, die kabbalistische Schil-
derung der Visionen des Propheten Ezechiel flüchtig anzuführen.
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Emanationisten.
Ezechiel sieht Gott auf einem Thron sitzen, umgeben von selt-
samen geflügelten Gestalten : dem Mann, dem Stier, dem Löwen
und dem Adler — vier Zeichen des Tierkreises, »gleich dem
Glanz, den er am Flusse Chebar sah“, d. h. bei den wegen ihrer
astronomischen Kenntnisse berühmten Chaldäern. Die Rabbinen
nannten diese Visionen die Schilderung des himmlischen Wagens
und glaubten in ihnen tiefe Geheimnisse zu entdecken; Maimo-
nides führte sie auf die astronomischen Vorstellungen seiner Zeit
zurück; die Kabbala umgab sie mit unzählbaren Engelscharen.
Aufser mit den Engeln, die sie den Sternen, den Elementen, den
Tugenden, Lastern und Leidenschaften zuteilte, bevölkerte die
Kabbala die Welt mit Genien beider Geschlechter — Wesen, die
Mittelgeschöpfe zwischen Engeln und Menschen sind und etwa
den Naturgeistern der Rosenkreuzer entsprechen. Die guten
Engel stehen unter dem Oberbefehl Metatrons, der auch Sar-
hapanim (»Gottes Angesicht") heifst, während die bösen von
Samual (Samiel, Satan, Engel des Todes) beherrscht werden.
Aufser der indischen Seelenwanderung kennen die Kabbalisten
noch eine andere, die sie »Impregnation" nennen und die in
einer Vereinigung mehrerer Seelen in einem Körper besteht;
dieselbe findet statt, wenn eine Seele zur Erlangung der Ver-
klärung des Beistandes anderer Seelen bedarf.
In der Kabbala heifst das Urwesen »der Alte der Tage"
(der alte Ring des Lichtes) ; es ist unfafsbar, unendlich, ewig,
ein geschlossenes Auge. Vor seiner Selbstoffenbarung war alles
nachher Geschaffene in ihm; damals war es »das Nichts", »die
Nullwelt". Vor der Erschaffung der Welt erfüllte das Urlicht
Gottes alles, sodafs es keine Leere gab. Als nun das höchste
Wesen beschlofs, seine Vollkommenheiten zu offenbaren, zog es
sich in sich selbst zurück und vollbrachte die erste Ema-
nation, indem es einen Lichtstrahl ausschickte, der alles Vor-
handenen Ursache und Anfang war und die gesamten Schöpfungs-
und Vorstellungskräfte in sich vereinigte. Zunächst liefs Gott
einen nicht wahrnehmbaren Punkt entstehen: die Punktwelt, und
mit Hilfe dieses Gedankens schuf er eine heilige, geheimnisvolle
Form : das Weltall, das er in ein reiches Gewand hüllte. Aus
den Schöpfungs- und Vorstellungskräften ging der Erstgeborene
Gottes hervor: die Universalform, der Schöpfer und Erhalter,
das belebende Weltprinzip, Adam Kadmon, »Makrokosmos"
zubenannt. Aus diesem entstand der »Mikrokosmos“, d. h. der
Mensch, der alles in sich begreift, was der himmlische Ur-Mann
potentiell umfafst. Doch ehe »Ehn-sof" (der Endlose) sich in
der Form des Ur-Mannes offenbarte, waren andere Emanationen,
andere Welten einander gefolgt, die sogenannten »Funken“, die
desto schwächer wurden, je entfernter sie vom Mittelpunkt der
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Die Kabbala.
73
Emanation waren. Um Adam Kadmon herum entstanden die
zahllosen Kreise der nachmaligen Emanationen, welche keine
Wesen mit eigenem Leben sind, sondern Attribute Gottes, Gefälse
der Allmacht, Typen der Schöpfung. Die zehn Emanationen,
die von Adam Kadmon ausgingen, heifsen »sefirot“; es sind die
»Kräfte“ Philos und die „Aeonen“ der Gnostiker.
Wie die Apokalypse unter den Christen, hat die Kabbala
unter den Juden jederzeit einzelne eifrige Anhänger gehabt. Ein
solcher war der berühmte, 1609 verstorbene Hohe Rabbi Lob
von Prag. Er galt für so heilig, dafs kein weibgebornes Wesen
würdig erachtet wurde, ihn zu bedienen; er liefs sich von einem
Homunkulus bedienen, den er mit Hilfe seiner Zauberkünste
selber aus Lehm erzeugte. Mit allen Geheimnissen der Kabbala
aufs innigste vertraut, besafs er vermeintlich überirdische Kräfte;
aber er war klug genug, seine Kenntnisse für sich zu behalten
und nicht einmal Schüler anzunehmen. Um die Mitte des acht-
zehnten Jahrhunderts scharte Jakob Franck, ursprünglich ein
Schnapsbrenner in Polen, in Podolien zahlreiche jüdische An-
hänger um sich, die sich dem rabbinischen Dogmatismus ab-
wandten und zu den mystischen Lehren der Kabbala bekannten.
Da sie sich hauptsächlich an das weiter oben erwähnte Buch
Zohar hielten, nannte man sie die Zohariten, d. h. die Erleuchteten.
Anfänglich wurden sie von der römisch-katholischen Geistlichkeit,
die in ihren Lehren eine Annäherung ans Christentum erblickte,
beschützt; allein nach dem Tode des Bischofs von Podolien
erlitten sie seitens der Rabbinen so arge Verfolgungen, dafs ihr
Bund der Auflösung verfiel. Franck selbst wurde eingekerkert
und erst 1773 von den Russen in Freiheit gesetzt. Nunmehr
liefs er sich in Wien nieder, von wo man ihn jedoch bald aus-
wies. Er begab sich dann nach Offenbach, wo er viele Anhänger
gewann, von den Juden reiche Gaben erhielt und auf grofsem
Fufse lebte. Nach seinem 1791 erfolgten Tode löste sich der
Orden auf; doch findet man noch heute in Polen einzelne
Zohariten, die jetzt aber »christliche Juden“ genannt werden,
gewisse jüdische Riten üben und mystischen Lehren anhängen,
die sie geheimhalten.
Im Jahre 1740 gründete der podolische Jude Israel eine
andere kabbalistische Sekte, die »neuen Heiligen", die durch die
Benutzung des kabbalistischen Namens Jehovas Wunder vollbringen
zu können glaubten. Israels Anhang war so grofs, dafs er bei
seinem Tode nicht weniger als vierzigtausend Bundesmitglieder
hinterliefs.
Friedrich Bahrdt in seiner „Einleitung" zu Cornelius
Agrippas „Kabbala" und C. Friedrich Nicolai in seinen „Reisen
durch Deutschland und die Schweiz“ (1781) erwähnen die
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Emanationisten.
lateinisch geschriebene Kabbala des Kapuzinerpaters Tertius von
Regensburg; er benutzte sie zu Wahrsagungszwecken. Eine
ähnliche Kabbala wurde um 1790 in dem wahrscheinlich von
Professor Kanne herausgegebenen » Delphischen Orakel" ver-
öffentlicht.
Mit vollem Recht bezeichnete der Jesuit Pererius (1 535—1610)
in seinem Buche »De Magica" die Kabbala als ein »unwissen-
schaftliches, unsinniges, lächerliches System“. Dennoch konnte
noch im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts ein ge-
wisser Alphonse Louis Constant, der unter dem Pseudonym
Eliphas Levi Zahed eine Anzahl von Büchern schrieb, die von
den jetzigen »Okkultisten“ sehr geschätzt werden, mit seiner
feierlichen kabbalistischen Heraufbeschwörung des Apollonius von
Tyana das Interesse hervorragender Persönlichkeiten in so hohem
Grade erwecken, dafs Lord Lytton ihn zu sich nach Knebworth
einlud. Manche Formen des Aberglaubens sterben eben sehr
schwer aus!
Die Söhne der Witwe.
Ursprung der Religion der Liebe. — Manes. — Der Manichäismus. —
Man«' Laufbahn. - Verbreitung des Bundes. Lehren. — Ausläufer.
Dreihundert Jahre nach dem Auftreten Christi, zu einer
Zeit, da der Orientalismus bereits im Begriffe war, aus dem
Abendland zu verschwinden, ersann ein persischer Sklave mit
mächtiger Einbildungskraft eine zwar trostlose, aber höchst
originelle und abwechslungsreiche Religionslehre, die den Einflufs
Asiens auf Europa erneute und mit Hilfe der Kreuzzüge die
katholische Welt mit Zwiespalt und Auflehnung erfüllte. Dieser
rebellische Jünger Zoroasters und Erneuerer der alten Magier-
religion in einer eigenartigen Vermischung mit christlichen Formen
und gnostischen Sinnbildern entwickelte eine Thätigkeit von solcher
Ausdehnung, dafs sie von der modernen Kritik im Kern der Phi-
losophie eines grofsen Teils der im Schofs des Katholizismus
entstandenen Sekten erkannt wird. An der Spitze dieser gewaltigen
Verstandes- und Gewissensbewegung, die sich, um das römische
Joch abzuschütteln , zu den sonderbarsten Kundgebungen des
Aberglaubens hergab, standen der Gnostizismus und der Mani-
chäismus — orientalische Sekten, die letzten ruhmreichen Aus-
läufer einer Theogonie, die angesichts des Abfalls eines so grofsen
Teiles der Erdenbewohner den Versuch machte, die Anders-
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Die Söhne der Witwe.
75
gläubigen mit Hilfe von Geheimnissen und dichterischen Hirn-
gespinsten zu gewinnen.
Durch eine reiche persische Witwe von der Knechtschaft
losgekauft, erhielt Manes den Beinamen »Sohn der Witwe",
während seine Anhänger »Söhne der Witwe" hiefsen. Manes,
der ein einnehmendes Aufsere besafs, war in der alexandrinischen
Philosophie bewandert, in die Mysterien des Mithrasdienstes ein-
geweiht, hatte Indien bereist, China berührt und die Lehren der
Evangelisten kennen gelernt. Jedes der Religionssysteme, mit
denen er vertraut war, gewährte ihm einige Aufklärung und
Erleuchtung, aber keines befriedigte ihn gänzlich. Seine Eigen-
schaften befähigten ihn, die günstige Zeit, in der er lebte, für
schwierige Unternehmungen und phantastische Pläne auszunutzen.
Mit grofsem Scharfsinn und unbeugsamem Willen begabt, erfafste
er die Ausdehnungsfähigkeit des Christentums und machte sie
sich zu nutze, indem er gnostische und kabbalistische Ideen in
den Mantel christlicher Namen und Riten hüllte. Er bezeichnete
sich als den von Christus seinen Jüngern angekündigten „Tröster"
(Paraklet), schrieb sich eine grofse Überlegenheit über die
Apostel zu, verwarf das Alte Testament und mafs den Weisen
der Heiden eine viel höhere Weltweisheit bei als dem Juden-
tum. (270 n. Chr.)
Die Hauptlehren des Manichäismus beziehen sich auf
düstere Vorstellungen von einem absolutesten Dualismus, von
der Ewigkeit und vollständigen Bösartigkeit der Materie, von
der Nicht-Auferstehung des Leibes und von der Endlosigkeit des
bösen Prinzips. Im übrigen verquickt der Manichäismus Mithras
mit Christus, das Evangelium mit der Zend-Avesta, das Magiertum
mit dem Judentum. Manes verwirft Zoroasters unbekannten
Vater (das Endlose Wesen) gänzlich und teilt das Weltall in zwei
Gebiete, die mit einander unversöhnlich sind und von denen
eins dem andern überlegen ist: das des Lichts und das der
Finsternis. Das letztere überwindet das erstere, ohne es jedoch
zu unterdrücken oder zu überzeugen. Der Gott des Lichts
gebietet über zahllose Legionen von Kämpfern (Aeonen), welche
von zwölf „höheren" Engeln befehligt werden, die den zwölf
Zeichen des Tierkreises entsprechen. Die satanische Materie ist
von ähnlichen Heerscharen umgeben, welche, vom Zauber des
Lichts verlockt, dieses zu überwinden trachten — eine Gefahr,
die das Oberhaupt des Himmelreichs veranlafst, einer neuen Macht
Leben einzuflöfsen und die Bewachung der Himmelsgrenzen
anzuvertrauen. Diese neue Macht heifst „Mutter des Lebens«
und ist die Weltseele, der göttliche Urgedanke des höchsten
Wesens, die himmlische Sophia der Gnostiker. Als unmittelbarer
Ausflufs des Ewigen ist sie zu rein, um sich mit Stofflichem zu
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Emanationistrn.
vermengen ; aber ihr wird ein Sohn geboren, der erste Mensch,
und dieser unternimmt den grofsen Kampf gegen die bösen
Geister; als er zu unterliegen droht, kommt ihm der »Lebendige
Geist" zu Hilfe, führt ihn ins Reich des Lichtes zurück und erhebt
über die Welt hinaus den nicht durch Berührung mit den
Dämonen befleckten Teil der himmlischen Seele — eine voll-
kommen reine Seele, identisch mit dem Erlöser, mit Christus,
der das Licht und die Seele des ersten Menschen an sich zieht
und von der Materie befreit Hinter diesen abstrusen Lehren
verbirgt sich die mithraitische Sonnenanbetung.
Die Manichäer zerfielen in »Auserwählte“ und »Zuhörer".
Erstere mufsten auf alle materiellen Genüsse verzichten, die
geeignet sind, das himmlische Licht im Menschen zu verdunkeln,
während die »Zuhörer" sich minder streng halten durften. Beide
Gruppen konnten mittels Reinigung in einem grofsen See, der
im Monde lag (d. h. Taufe mit himmlischem Wasser) und
mittels Heiligung durch das Sonnenfeuer (d. h. Taufe mit himm-
lischem Feuer) die Unsterblichkeit erlangen. Das Sonnenfeuer
wurde für den Wohnsitz des Erlösers und der seligen Geister
gehalten.
Manes hatte eine sehr bewegte Laufbahn — gleichsam ein
Spiegel der Stürme, die sich gegen die von ihm gegründete Sekte
erheben sollten. Er errang nach seinem Loskauf die wandelbare
Gunst des Hofes und den Ruhm eines bedeutenden Arztes. Als es
ihm einmal nicht gelang, einem erkrankten Sohn des Herrschers
das Leben zu retten, wurde er verbannt, worauf er Turkestan,
Hindostan u. s. w. durchstreifte. Ein Jahr lang lebte er als Ein-
siedler in einer Höhle und nährte sich von Kräutern. Seine
Anhänger, die ohne jedes Lebenszeichen von ihm blieben,
erklärten, dafs er zum Himmel aufgestiegen sei und fanden damit
auch beim Volke Glauben. Schliefslich rief ihn der neue
Herrscher an den Hof zurück, errichtete ihm einen prachtvollen
Palast, überschüttete ihn mit Ehren und zog ihn in allen Staats-
geschäften zu Rate. Allein der nächstfolgende Fürst, Barahm,
verurteilte ihn auf Anstiften der Magier zum Tode und liefs ihn
lebendig martern.
Das Ableben des Urhebers der Sekte that ihrem Bestand
keinen Abbruch. Vielmehr wurde sie samt ihren Graden,
Erkennungszeichen, Losungsworten und Einweihungsriten von
schlauen Lenkern weitergeführt, die dadurch, dafs sie recht-
gläubige Redensarten im Munde führten und die Wiederher-
stellung der ursprünglichen Reinheit des Christentums als ihr
Ziel ausgaben, immer mehr Christen anlockten. Aber die Sekte
war, weil von dem rivalisierenden Persien ausgegangen, der
römischen Kirche ein Dorn im Auge. Darum war sie zwei-
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Die Söhne der Witwe.
77
hundert Jahre lang im oströmischen Reich verpönt und der
theodosische Kodex enthält viele Gesetze gegen sie. Dafür breitete
sie sich am Ende des vierten Jahrhunderts in Afrika und Spanien
aus. Unter der Herrschaft der Mutter des Kaisers Anastasius
(491-518) blühte sie ungestört, doch erneute Justinian die Ver-
folgungen und im neunten Jahrhundert liefs die teuflische Theo-
dora, die Gemahlin des Kaisers Theophil, über hunderttausend
Manichäer niedermetzeln. Unter anderen Namen (Patarini,
Katharen , Albigenser etc.) und mit anderer Bildersprache
breitete sich der Manichäismus nunmehr in Bulgarien, Frankreich,
der Lombardei u. s. w. aus; im Verein mit den Sarazenen be-
kriegten die Manichäer ganz offen den oströmischen Kaiser, wobei
ihrer Tausende auf dem Schlachtfeld oder auf dem Scheiterhaufen
ums Leben kamen.
Aus dem weltlichen Stamm der »Religion der Liebe«
gingen die sogenannten Ketzereien der Hussiten und Wycliffiten
hervor, die dem Protestantismus den Weg bahnten. Überhaupt
erstanden im finstern Mittelalter zahllose Legionen von Sektierern,
die durch ein gemeinsames Band verbunden waren und von
deren verborgenem Dasein wir eigentlich nur durch die Thatsache
ihrer Verfolgung oder Ausrottung Kenntnis erlangt haben. Einen
nicht geringen Teil ihres Rituals erbten zweifellos die Freimaurer
durch die Templer. Es gab ihrer viele an allen Höfen und sogar
zu Sankt Peter in Rom.
Die heilige Sprache der Manichäer war glutvoll und be-
ruhte auf jenem Einklang von Stimmen und Gedanken, den die
Pythagoräer »Sphärenharmonie“ nannten. Diese stellte zwischen
den mystischen Graden und den vermeintlichen Sphären mittels
verabredeter Ausdrücke und bildlicher Redensarten eine Ver-
bindung her; auch von den Albigensern und den Patarini weifs
man, dafs sie einander durch Zeichen erkannten. Ein proven-
qalischer Patarino, der i. J. 1240 nach Italien geflohen war, fand
dadurch, dafs er sich den »Brüdern« mit Hilfe von Losungs-
worten zu erkennen gab, überall freundliche Aufnahme; er fand
die Sekte allerorten trefflich organisiert - mit Kirchen, Bischöfen
und Aposteln, die in Frankreich, Deutschland und England eine
sehr thätige Propaganda entfalteten. Die Sprechweise der Mani-
chäer war zwar asketisch und liebevoll, also christlich; allein die
Bekehrten entfremdeten sich in ihrem Eifer immer mehr der
päpstlichen Kirche.
Die manichäischen Mysterien hatten zwei Hauptziele: zuerst
die früheren Neigungen und Anschauungen des Neulings un-
merklich umzugestalten, also ihn gleichsam ohne sein Wissen zu
lenken, und dann ihn allmählich in die verabredete Sprache
einzuweihen, was wegen ihrer Verwickeltheit und Mannigfaltigkeit
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78
Emanationisten.
sehr mühsam und zeitraubend war. Übrigens wurden nicht alle
Anhänger zu den höchsten Graden zugelassen. Wer rückfällig
wurde oder seinem früheren Ideenkreise nicht entsagen konnte,
blieb dauernd in der Kirche und gelangte nie ins Allerheiligste;
sie blieben eben Christen und aufrichtige „Zuhörer", die in ihrem
Neuerungseifer nicht selten den Tod erlitten, wie z. B. die Dom-
herren von Orleans, die König Robert i. J. 1022 zum Scheiter-
haufen verurteilte. Wer jedoch nicht zurückfiel, wurde in alles
eingeweiht, was den eigentlichsten Mitgliedern der Sekte zu wissen
frommte. Der Hauptzweck der letzteren richtete sich auf die
Zerstörung Roms und die Errichtung des in der Apokalypse
erwähnten himmlischen Jerusalem.
Die „Religion der Liebe“ endete weder mit dem Nieder-
metzeln der Albigenser, noch mit den Gesängen der Troubadours.
Vielmehr begegnen wir ihren Spuren noch 1550 in einer deut-
schen Sekte, welche vorgab, vom heiligen Geist eine über-
natürliche Erleuchtung zu empfangen, lind fünf Jahre später entstand
in Holland eine christliche Sekte, die sich „Familie der Liebe“
nannte und ihren Ursprung von einem gewissen Heinrich Nikolaus
aus Westfalen herleitete. Dieser Mann lehrte, das Wesentliche
der Religion bestehe im Empfinden der göttlichen Liebe, die
Vereinigung der Seele mit Christus verwandle dieselbe in die
Wesenheit der Gottheit und die Bibel sei allegorisch auszulegen.
Obgleich diese „Ketzereien“ nicht sehr bedenklich waren, wurde
die Sekte bei ihrem Auftauchen in England (um 1 580) verboten
und ihre Schriften wurden öffentlich verbrannt.
Die Gnostiker.
Beschaffenheit des Gnostizismus. Gnostische Lehren. Geschichte und
Entwicklung. Geist des Gnostizismus. Erkennungszeichen.
Den Grundideen des Platonismus begegnen wir auch in
den Lehrmeinungen der Gnostiker (= „die Wissenden«), die im
zweiten und dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung die Schulen
fortsetzten, welche zwischen dem Volksaberglauben und der ge-
heimen Philosophie Schranken zogen. Von diesem Gesichtspunkt
ist der Gnostizismus die verbreitetste aller Ketzereien und der
Vater vieler späterer Ketzereien, sogar des Arianismus; auch in
den Anschauungen der Alchy misten, der Mystiker und der mo-
dernen transcendentalen Philosophen kehrt er wieder.
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Die Gnostiker.
79
Die Gnostiker glaubten an ein unendliches, unsichtbares
Wesen, einen Abgrund der Finsternis, der in seiner Unfähigkeit,
unthätig zu bleiben, sich in Emanationen ausbreitete, welche desto
unvollkommener waren, je entfernter sie sich vom Mittelpunkt
ihres Urhebers befanden. Die Dreieinigkeit der Gnostiker besteht
aus der Materie, dem Dentiurg und dem Erlöser. Die höheren
Emanationen, die »Äonen«, haben teil an den Attributen der
göttlichen Wesenheit und sind mit Hilfe symbolischer Zahlen in
Klassen geteilt, ln ihrer Gesamtheit bilden sie das »Lichtmeer«
(pleroma), d. h. die vollkommene Erkenntnis. Eine der zwei
grofsen Hauptgruppen, in welche die Gnostiker zerfallen, hielt
den Demiurg für die letzte und unvollkommenste Emanation,
für ein Gemisch von Licht und Finsternis, von Stärke und
Schwäche, und glaubten, dafs er ohne die Mitwirkung des un-
bekannten Vaters diese Welt erschaffen habe, um in ihr die
Seelen gefangen zu halten, denn er sei das dem Ur-Guten ent-
gegengesetzte Ur-Böse. Er behafte die Seele mit dem Stofflichen,
von welchem sie durch Christus erlöst worden, einer der
erhabensten Mächte des Lichtmeeres, identisch mit dem göttlichen
Gedanken und Geist. Die Menschheit habe die Bestimmung,
sich vom stofflichen wieder zum ätherischen Leben empor-
zuschwingen, sich von der Natur loszumachen und diese zu be-
herrschen, um abermals ein Leben voll unsterblicher Schönheit
zu führen.
Nach der Ansicht der andern Gnostiker-Hauptgruppe ist
der Demiurg der Vertreter und das Werkzeug des höchsten
Gottes, den der göttliche Wille als »Jehovah« speziell über die
Juden gesetzt hatte. Die Menschheit zerfalle in drei Klassen:
die eigentlichen Erdenbewohner, die an die Materie gekettet sind;
die ätherischen Pneumatiker, die sich zum göttlichen Licht auf-
schwingen; die Psychiker, die blofs bis zum Demiurg emporsteigen
können. Die von Jehovah abhängigen Juden seien Psychiker,
die Heiden Erdmenschen, die »wahren« Christen (d. h. die
Gnostiker) Pneumatiker.
Simon Magus, sein Nachfolger Menander, der Millenniums-
Apostel Cerinthes und einige andere Männer des ersten Jahr-
hunderts gelten als die Stifter des Gnostizismus, der sich bald
in so viele Sekten zersplitterte wie er Apostel hatte. Das war
die nebelhafte Zeit des Gnostizismus. Bestimmtere Gestalt nahm
er an durch die im Anfang des zweiten Jahrhunderts entstandene
Sekte des Basilides von Alexandrien, die mehrere Mittelpunkte
in Ägypten, Syrien, Rom, Spanien u. s. w. hatte. Basilides, der
den Gnostizismus mit indischen und ägyptischen Phan-
tastereien verquickte, nahm 365 Aeonen oder Schöpfungscyklen
an, die er unter dem Gesamtnamen Abraxas zusammenfafste -
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Emanationisten.
ein Wort, dessen Buchstaben im Griechischen einen Zahlen wert
von 365 ergeben. »Abraxas» bedeutete in seinem tieferen Sinn
den höchsten Gott; auch die Worte »Mithras» und „Belenus*
bedeuten gleichzeitig 365 und den höchsten Gott, d. h. die Sonne.
Die Grundlehren des berühmten Gnostikers Valentinus
gingen dahin, dafs alle Menschen in ihren Urzustand der Voll-
kommenheit werden zurückversetzt werden, dafs — was übrigens
auch Zoroaster lehrte — die Materie, der Sitz alles Übels, durch
Feuer vernichtet werden wird und dafs die wieder vollkommen
gewordenen Geister zum Lichtmeer aufsteigen werden, um
daselbst die ganze Seligkeit einer vollständigen Vereinigung mit
ihren Genossen zu geniefsen. Auf den Valentinianern fufsten
die Ophiten — ein Name, der von der Schlange herrührte, die
durch die Versuchung Evas der Welt die Segnungen der Er-
kenntnis schenkte — und die Kainiten, welche behaupteten, Kain
sei - im Gegensatz zu dem blindgläubigen Abel - der erste
Gnostiker gewesen und aus diesem Grunde vom Demiurg
Jehovah verfolgt worden — ein Gedanke, auf welchem die
Tempellegende der Freimaurer beruht.
Von den übrigen gnostischen Sekten sind erwähnenswert:
die Antitakten (Gegner des Gesetzes), welche Hafs gegen alle
positiven Religionen und Staatsgesetze predigten (also Vorläufer
der modernen Edel-Anarchisten) ; die Adamiten, welche die Ehe
für ein Ergebnis der Sünde hielten, die Abschaffung jeder Be-
kleidung befürworteten, ihre schlüpfrigen Einweihungsriten »Para-
dies» nannten und alle fleischlichen Genüsse als erlaubt erklärten;
die Pepuzianer, welche ihre Mysterien mit Hilfe von Geister-
erscheinungen abwechslungsreicher gestalteten, unter denen sich
ein Weib befand, das mit der Sonne und mit zwölf Sternen
gekrönt war und den Mond unter den Füfsen hatte — die Isis
der Ägypter und die Ceres der Griechen. Die Pepuzianer ent-
nahmen ihre ganze Einweihungsredeweise der Apokalypse. In
dem berühmten Werk des Jesuiten Laurent Chifflet, der im
1 7. Jahrhundert lebte, ist ein gnostischer Stein mit sieben gleich-
großen kleinen Sternen und darüber einem gröfseren Stern
abgebildet; wahrscheinlich sollen das die sieben Planeten mit
der Sonne sein. Auf dem Stein sieht man auch zwei Kompasse,
ein Winkelmars und andere geometrische Sinnbilder. So sind
denn alle religiösen Mysterien mehr oder minder auf Astronomie
und Naturerscheinungen zurückzuführen.
Die heterogensten Grundzüge der Vielgötterei, des Pan-
theismus, des Monotheismus, die philosophischen Systeme Platos,
Pythagoras und Heraklits, der Mystizismus und Dämonenglaube der
Kabbala - aus alledem wurde der Gnostizismus zusammen-
gewürfelt. Und wenn die beispiellos mächtige und zahlreiche
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Die Essener.
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Geistesaristokratie der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung
diesen neuen Glauben annahm, so konnte sie sich nicht ent-
schliefsen, denselben vollständig mit den »Niedrigen und Geistes-
armen", den befreiten und unbefreiten Sklaven zu teilen. Neben
der Anziehungskraft seiner Lehren verdankte der Gnostizismus
zweifellos gerade seiner Ausschliefslichkeit - wegen welcher er
von den Kirchenvätern aufs heftigste als verdamnienswerte Ketzerei
verfolgt wurde — seine schnelle Ausbreitung nicht nur, sondern
auch seinen dauernden Einflufs auf die modernen Religions-
systeme.
Es heifst - bestimmt weifs man es nicht - dafs die
Gnostiker einander daran erkannten, dafs sie beim Händeschütteln
die Handfläche schwach kitzelten.
Die Essener.
Verbindung zwischen Judentum und Gnostizismus. — Essener und Thera-
peuten. — Lehren und Sitten. — Sekten-Unterschiede.
Die Zerstreuung der Juden im Herzen Asiens gab Anlafs
zu Versuchen, zwischen den Lehren des chinesischen Philosophen
Lao-tse und denen der Hebräer Ähnlichkeiten zu entdecken. Es
ist in der That unleugbar, dafs die Juden, während sie einerseits
ihre Glaubensartikel mit denen Zoroasters verquickten, anderseits
gnostische und kabbalistische Ideen auf der Erde verbreiteten. Und
Lao-tse ist von manchen Forschern als ein Vorläufer des Gnosti-
zismus betrachtet worden. Eine Stelle in den Schriften dieses
berühmten Religionsstifters lautet: »Vor dem Chaos, das dem
Entstehen des Weltalls vorherging, gab es ein einziges Wesen
unbegrenzt, schweigsam, unveränderlich und doch immer thätig
— das man die »Mutter des Universums“ nennen könnte. Ich
kenne dessen wirklichen Namen nicht, möchte es aber als
»höchsten Geist“ (Intelligenz) bezeichnen. Der Mensch hat sein
Vorbild in der Erde, die Erde im Himmel, der Himmel im
höchsten Geist und dieser in sich selbst.“
Nach ihrer Rückkehr nach Palästina zersplitterten sich die
Juden in mehrere Sekten : Pharisäer (ein wahrscheinlich von
»Parsi“ abgeleitetes Wort) und Sadduzäer, Chasidim und Zadi-
kim etc. Hinsichtlich des mosaischen Gesetzes waren die Phari-
säer Chasidim („Frömmler“), die Samaritaner, Essener und
Sadduzäer aber Zadikini („Gerechte"). Die ersteren zerfielen
Hecketho r n-K a tscher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 6
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Emanationisten.
später in Talmudisten, Rabbinisten und Kabbalisten. Allein
diejenigen Judensekten, bei denen das orientalische Element sich
am ausgeprägtesten zeigte, waren die Essener und die Therapeuten,
die oft mit einander verwechselt worden sind. Man hat vielfach
geglaubt, dafs der Therapeutismus nichts andres gewesen sei als
der höchste Grad des Essenismus; die beiden waren jedoch in
Wirklichkeit zwei grundverschiedene Sekten, die lediglich die
Moralvorschriften gemein hatten. Ihre Übungen waren keineswegs
ausschliefslich orientalisch, vielmehr .durch die alexandrinische
Schule auch mit abendländischen Überlieferungen, insbesondere
den Lehren des Pythagoras verknüpft. Die Essener näherten
sich mehr der zoroastrischen Lehre, dafs die Seele nach Möglich-
keit von stofflichen Einflüssen befreit werden müsse; darum übten
sie sich im Fasten und im Selbstkasteien. Die Therapeuten, die
%’orwiegend in Ägypten lebten, strebten nach der Vereinbarkeit
der orientalischen Lehren mit den alten Überlieferungen Griechen-
lands; deshalb wimmelt die Schilderung, welche der ihnen sehr
gewogene Philo von ihrer Gesellschaft entwarf, von morgen-
ländischen und pythagoräischen Ideen. Übrigens ist es zweifel-
haft, ob das Philo zugeschriebene Werk wirklich von Philo
herrührt; viele halten es für eine Lobpreisung des asketischen
Mönchtums durch einen christlichen Klosterbruder.
Einige Schriftsteller haben versucht, die Essener von der
ephesischen Priesterschaft abzuleiten ; sie fanden Spuren von
Ähnlichkeit zwischen den thrakischen Orphikern, den kretischen
Kureten und den ephesischen Priestern und vermuteten den Be-
stand einer gemeinsamen alten Lehre, für deren kräftigsten Ableger
sie Griechenland hielten. Es dürfte aber ganz sicher sein, dafs
gerade der essenische Ritus von griechischen Beimischungen
ziemlich frei war, während der therapeutische zahlreiche griechische
Elemente hatte. Viel wahrscheinlicher kamen die Essener von
den Chasidäern her (vergl. Makkabäer, 1 . Buch, 2. Kap., -12. Vers),
die infolge des Verrates des Alcimus ihre Verbindung mit dem
Tempel lösten. Die Chasidäer (wörtlich „Altgläubige“) waren
nicht, wie vermutet worden ist, Krieger; sie suchten — im
Gegenteil vor allem den Frieden (Makkabäer I., VIL, 13), denn
sie bildeten kein militärisches, sondern ein religiöses Gemein-
wesen.
Die Essener zeichneten sich durch einen sittlichen und
tugendhaften Lebenswandel aus. Sie mieden die Städte, wohnten
in Dörfern, trieben Ackerbau, übten Gütergemeinschaft und hielten
keine Sklaven. Ohne geradezu die Ehelosigkeit zu geloben,
unterliefsen doch die meisten die Verheiratung — aus Furcht
vor der Flatterhaftigkeit und Untreue des weiblichen Ge-
schlechts. Sie verlegten sich aufs Studium der Naturwissen-
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Die Essener.
83
schäften, namentlich der Heilkunde. Wer Essener werden wollte,
mufste allmählich eine Reihe von Erprobungen bestehen, die sich
auf mehrere Jahre verteilten. Eine Geheimgesellschaft mufsten
sie sein, weil sie Gegner der jüdischen Priesterschaft zu einer
Zeit waren, da diese Gegnerschaft wegen der Allmacht der
Priester für äufserst gefährlich galt Da nun die essenischen
Lehren notwendigerweise den hebräischen zuwiderliefen, mufsten
die Essener trachten, der Verfolgung durch das Pfaffentum zu
entgehen. Daher legten sie sich einen unverdächtigen Namen
bei („Essener“ rührt von „Essen“ her, dem Brustschild des
jüdischen Hohepriesters) und gebrauchten jede mögliche Vorsicht
bei der Aufnahme neuer Mitglieder. Ihr Geheimbund hatte vier
Grade; aber das Einweihungsverfahren war so eingerichtet, dafs
die in den dritten Grad Eingeweihten nur dann den vierten er-
langen konnten, wenn sie sich als vollkommen vertrauenswürdig
erwiesen ; andernfalls hatten sie keine Ahnung von der wirklichen
Natur des höchsten Grades und hielten dessen Inhaber nur für
die im Rang Höchsten, nicht aber für Träger einer geheimsten
Lehre. Ebenso halten es die Freimaurer noch heute; die Brüder
der ersten drei Grade wissen nichts von dem „grofsen" Ge-
heimnis.
Die Mitglieder der vier essenischen Grade hiefsen: 1. die
Treuen, 2. die Erleuchteten, 3. die Eingeweihten, 4. die Voll-
kommenen. Die „Treuen“ erhielten bei ihrer Aufnahme einen
neuen Namen, der nebst einem geheimen Zeichen auf einen weifsen
Stein graviert war, den der Neuling als Beweis seiner Bundes-
genossenschaft aufbewahrte. (Wahrscheinlich ist dies der in der
Offenbarung Johannis, II, 17, erwähnte Stein; dieses Buch war
— wohlgemerkt! — nicht christlichen Ursprungs.) Das ge-
bräuchlichste Zeichen war das Kreuz, doch benutzte man auch
andere Zeichen.
Die Therapeuten neigten mehr zur Betrachtung als zur
Arbeit. Sie waren gegen das weibliche Geschlecht minder ein-
genommen als die Essener und gestatteten den Frauen auch, an
den an einigen Feiertagen aufgeführten Tänzen teilzunehmen.
Dagegen verbannten sie den Wein von ihren sämtlichen Mahl-
zeiten — Bacchus und Venus zusammen scheinen sie sich nicht
zugetraut zu haben ! Sie glaubten, den Schlüssel zur richtigen
Auslegung der Bücher Mosis und die wahre Kenntnis der Kabbala
allein zu besitzen. Nach ihrer Überlieferung war Christus der
Sohn von Mitgliedern dieser Sekte, die das Kind zu der Rolle
erzogen, welche es nachmals spielen sollte.
Die Essener und die Therapeuten wohnten vornehmlich in
Ägypten und in der Gegend des Toten Meeres. Sie erhielten
sich bis ins vierte Jahrhundert unserer Zeitrechnung hinein.
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DRITTES BUCH.
CHRISTLICHE MYSTERIEN.
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Die Mysterien.
Verchristlichung der Horusmythe. - Christliche Mysterien. — Ähnlichkeit
der christlichen Riten mit heidnischen. — Entnahme christlicher Symbole
aus heidnischen. Feier der Mysterien. Astronomische Bedeutung des
Christentums. — Der gefesselte Prometheus. Beseitigung der Mysterien.
Kaum war die ägyptische Horussage infolge einer Ver-
kettung von Umständen in Alexandrien zur Christussage um-
gearbeitet, wurde diese mit Mysterien und entsprechenden Ein-
weihungsriten ausgestattet. Spuren davon finden sich bei allen
Evangelisten, namentlich bei Paulus. Manche glauben, Lukas XIV
enthalte die Erprobungen der christlichen Einweihung; andere sind
der Ansicht, Matthäus XVII bilde eine vollständige Erklärung
der Mysterien. Wenn diese Ausleger Recht haben sollen, so
mufs man sagen , dafs die Sprache der betreffenden Kapitel
ebenso rätselhaft ist wie die der Alchemisten. Aber die Geschichte
von der Verklärung auf dem ölberg ist eine unvollkommene
Schilderung der Abhaltung einer quasi-maurerischen Logenver-
sammlung des höchsten Grades.
Je gröfser — hauptsächlich infolge der ehrgeizigen Be-
strebungen des Cerinthus — die Verbreitung des Geheimbundes
wurde, desto mehr solcher Einweihungen gab es und so entstand
in der Kirche allmählich die geheime Disziplin. Cerinthus —
ironisch auch »Merinthus“ (= ,.Seil“) genannt — war in Wirk-
lichkeit ein Gnostiker und der heilige Johannes verabscheute ihn
so sehr, dafs er zu Ephesus nicht mit ihm zusammen baden
wollte, weil er fürchtete, das Dach könnte über dem Ketzer ein-
stürzen. Die Urkirche glaubte, das Evangelium Johannis sei
gegen Cerinthus gerichtet gewesen , wofür dieser sich dadurch
rächte, dafs er Johannes die Apokalypse zuschrieb.
ln den Schriften der Kirchenväter finden sich geheime Be-
zeichnungen und Unterscheidungen häufiger erwähnt. Der heilige
Augustin führt für die Anwendung der geheimen Disziplin seitens
der neuen Gläubigen drei Gründe an: Erstens sollten die
Mysterien und deren einfache Riten von den nicht gänzlich Ein-
geweihten und den Ungläubigen nicht verspottet werden; zweitens .
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Christliche Mysterien.
wollte man diesen Riten gröfsere Verehrung sichern; drittens er-
schien es zweckmäfsig, die »heilige Neugier“ der Katechumenen
(Neulinge) soweit zu erregen, dafs sie Neigung verspüren, in
die Geheimnisse vollends einzudringen.
Im Morgen- und im Abendland wurden wenigstens zwanzig
verschiedene menschgewordene Götter angebetet, denen durchweg
eine ganz ähnliche Geschichte angedichtet wurde wie dem Er-
. loser der Christenheit, und zwar sollen all diese Gottheiten oder
Religionsstifter lange vor Christus auf die Erde gekommen sein.
Die dem letzteren zugeschriebenen Wunder finden sich in Tempeln
bildlich dargestellt, die zur Zeit der Geburt Christi bereits uralt
waren. Wir haben im ersten Buch gesehen, dafs in sämtlichen
alten Mysterien der Tod des Sonnengottes (d. h. der Sonne im
Winter) die Hauptrolle spielte. Nach einigen Quellen wurde die
Darstellung dieses Todes in den christlichen Mysterien durch das
Töten eines Kindes nachgeahmt, was in den niedrigeren Graden
selbstverständlich den Tod Christi bedeutete. Die uralte Gewohn-
heit, den Anhängern einer neuen Religion die grausamsten
Bräuche zuzuschreiben, hatten auch die Römer; sie behaupteten,
dafs jeder Bewerber um die Aufnahme in den Schofs des Christen-
tums ein ihm vorgelegtes, in Mehl gehülltes männliches Kind
mit Wunden bedecken mufste, bis es tot war, worauf die Ver-
sammelten das Blut gierig aufsaugten, den Leichnam in Stücke
rissen und verzehrten; dadurch seien sie zu gegenseitiger Ver-
schwiegenheit verpflichtet gewesen. Die Eingeweihten zerfielen
in drei Gruppen: Hörer, Katechumenen, Getreue. Die »Hörer“
bildeten ein Noviziat, sie wurden auf den Unterricht in den
christlichen Dogmen vorbereitet. Einen Teil dieser Dogmen ver-
heimlichte man übrigens auch noch den Katechumenen ; die letzteren
wurden erst nach den vorgeschriebenen Reinigungen getauft, galten
dann für »Diener des Glaubens", hatten Zutritt zu den Tempeln
und erkannten einander am Kreuzeszeichen. Bei allen Einweihungen
vollzog man feierliche Tänze; der Ausdruck »vom Ball kommen«,
den der Rhetoriker Aelius Aristides ca. 1 50 Jahre n. Chr. G. ge-
braucht, bedeutet so viel wie »die Geheimnisse verraten."
Die meisten Hieroglyphen und Sinnbilder des Heidentums
behielt das Christentum bei. Die Rebe und ihre Verwandlung
in Wein spielten in den Bacchusriten eine grofse Rolle ; die
ersten Christen benutzten sie als Symbole für die Arbeit im
Weinberg des Glaubens. Die Kornähre der Ceres vertrat das
Brot, welches Christus unter seine Jünger verteilte. Die Palme
und die Krone, die bei den Heiden weltliche Siege andeuteten,
waren bei den Christen Abzeichen geistlicher Triumphe. Die
Flügel der Tauben wurden den Engeln und Cherubim verliehen.
Aus der Taube der Venus machte man den heiligen Geist, aus
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Die Mysterien.
89
Dianas Hirsch das Schmachten der Seele nach dem lebendigen
Wasser, aus Junos Pfau die Seele nach der Auferstehung. Der
Sphinx, dem Greif und der Chimäre der Mythologie dichteten
die Christen dieselbe Macht, böse Geister und Untreue abzu-
wenden, an, die früher dem Haupt der Gorgona zugeschrieben
worden war. Die Janusschlüssel drückten bei Petrus die Macht
aus, zu binden und zu lösen. Ursprünglich tmg der Ober-
priester einen Gürtel , von dem sieben Schlüssel und sieben
Siegel herabhingen - die Abzeichen der Geheimnisse, die er in
Verwahrung hielt. Das Kreuz war anfänglich ein nicht offen zur Schau
getragenes Symbol und erst im sechsten Jahrhundert kamen die
Kruzifixe auf. Auch der Fisch, den die Christen als Sinnbild des Er-
lösers betrachteten, war ein altes heidnisches und auch jüdisches Sym-
bol: Isis und der chaldäische Oannes wurden mit dem Fisch in
Zusammenhang gebracht, Wischnus erste Fleischwerdungsform war
die des Fisches, Joschua war der Sohn Nuns »des Fisches" etc.
Die Mysterien zerfielen in zwei Teile. Der erste hiefs:
»die Messe der Katechumenen", weil die letzteren dabei sein
durften; er umfafste den Gottesdienst vom Anfang bis zum
apostolischen Glaubensbekenntnis. Den zweiten nannte man
»Messe der Getreuen«; er bestand aus der Vorbereitung fürs
Opfer, aus dem Opfer selbst und aus dem Dankgebet. Sobald
dieser Teil der Messe begann, mufsten die Katechumenen hinaus-
gehen und die unter sich gebliebenen »Getreuen" sprachen zu-
nächst das apostolische Glaubensbekenntnis, worauf der Gebrauch
aller blumenreichen und rätselhaften Redensarten als überflüssig
unterblieb und die wahren Mysterien enthüllt wurden: die astro-
nomische Bedeutung des Christentums, die derjenigen der
Mysterien des Altertums sehr ähnelte. Hier sind uns nur einige
Andeutungen möglich, die jedoch vollauf genügen werden. Die
sieben Kirchen Asiens waren in den Augen der Urchristen die
sieben Monate März, April, Mai, Juni, Juli, August und September;
Christus stellte die Sonne dar und sein erstes Wunder, die Ver-
wandlung von Wasser in Wein , wird von dem grofsen Tages-
gestirn alljährlich vollbracht. Sein Todeskampf zu Gethsemane
stellte das Keltern der Reben vor, seine Höllenfahrt das Ver-
schwinden der Sonne im Winter; seine Kreuzigung auf dem
Kalvarienberg (calvus = kahl = der Strahlen beraubt) bedeutete das
Kreuzen des Äquators durch die Sonne im Herbst, seine Kreuzigung
in Ägypten ihre Äquatorkreuzung im Frühling. Die Enthauptung
Johannis des Täufers wurde dahin ausgelegt, dafs dem Janus
(Johannes, Aquarius) am 29.’ August dies ist der Johannis-
tag — durch die Horizontlinie der Kopf abgeschnitten wird.
Die »Getreuen« wufsten, dafs die heilige Jungfrau mit der
Jungfrau des Tierkreises identisch sei und auch mit der Göttin
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Christliche Mysterien.
Ceres, die dem Mann (Adam) das Ernteergebnis überreicht. Die
Vermählung der Jungfrau Maria mit Josef entspricht der astrono-
mischen Thatsache, dafs das Sternbild des Bärenhüters stets zu-
sammen mit dem Sternbild der Jungfrau aufgeht und untergeht.
Ein halbes Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung warf die
Christussage ihre Schatten voraus in Aeschylos' Tragödie «Der
gefesselte Prometheus.“ Die Kenntnis dieses Trauerspiels seitens
der Griechen macht es erklärlich, dafs die Athener sich weigerten,
an einen Jesus zu glauben, der unter den erstaunlichsten irdischen
und himmlischen Erscheinungen gekreuzigt worden sein sollte —
Erscheinungen, die von den Verbreitern der neuen Religion ein-
fach erdichtet worden waren. Sowohl Christus als auch Prome-
theus sterben auf einem Hügel ; beide unterwerfen sich dem
Befehl eines andern Gottes, um die Menschheit zu retten ; beiden
wird die rechte Seite durchbohrt; im Sterben geben beide Sühn-
opfer den gleichen Gefühlen Ausdruck, d. h. die Evangelien legen
Christus dieselben Worte in den Mund, die Aeschylos fünfhundert
Jahre vorher dem Prometheus zugeschrieben hat. Der letztere
hatte ferner einen Freund Oceanus oder Piereus (= Petrus), der
ihn in dem Augenblick verleugnete, da er ein Opfer der Sünden
der Menschheit wurde; der heilige Petrus that unter den gleichen
Umständen dasselbe. Man sieht also, aus welcher Quelle ein
Teil des Jesusmythos entnommen worden ist.
Die Mysterien hörten als überflüssig auf, als die Christen-
verfolgungen aufhörten. Als im siebenten Jahrhundert die Zahl
der »Getreuen“ sehr grofs geworden war, stiftete die Kirche die
kleineren Orden, darunter die »Thürsteher", welche an die Stelle
der Diakone traten. 692 wurde die Bestimmung getroffen, dafs
künftig jedermann zum öffentlichen christlichen Gottesdienst Zu-
tritt haben solle. Gleichzeitig erfolgte die gänzliche Abschaffung
der Geheimlehre. Aus der Kosmologie und Astronomie des
Ur-Christentums machte man ein Pantheon voll Götter und
Heiliger. Von den Mysterien blieb nichts übrig als der Brauch,
den Mefskanon leise zu murmeln. In der griechischen Kirche
ist auch noch der Rest vorhanden, dafs der Priester den Gottes-
dienst hinter einem Vorhang verrichtet; dieser wird während der
Erhebung der Hostie zur Seite gezogen, aber es wird angenommen,
dafs die Betenden das heilige Sakrament nicht sehen, weil sie
sich in dem betreffenden Augenblick niederwerfen.
Die Apokalypse.
Früher allgemein für rein christlichen Ursprungs gehalten,
wird dieses Buch seit einiger Zeit von ntafsgebenden Forschern
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Die Apokalypse.
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zum allergrößten Teil als eine jüdische Schrift betrachtet oder
eigentlich als eine jüdische Apokalypse, die nach dem Fall Jeru-
salems (70 n. Chr. G.) in ein christliches Gewand gehüllt wurde.
Die ersten drei Kapitel sind echt christlich, aber im vierten be-
ginnt das Buch von neuem und von hier bis zum Schluß ist es
— mit Ausnahme einiger eingeschobenen Stellen - rein jüdisch
oder vielmehr ein Mischmasch abendländischer, judäischer und
sektiererischer Lehren. Der größte Teil des Ganzen bildet eine
Beschreibung der heidnischen Mysterien, welche der christliche
Bearbeiter in die der christlichen Sagen verwandelt hat; für die
letzteren leistet das Werk dasselbe, was Apulejus' „Goldner Esel“
und das sechste Buch von Vergils »Aeneide" für die heidnischen
Mysterien leisten, denen jene, wie gesagt, vollständig entlehnt
sind. Das mit der Sonne bekleidete, auf dem Mond stehende
Weib, das die wahre Kirche versinnbildlicht, ist die ägyptische
Isis. Der durch die Aufsaugung des Wassers durch die Erde
vereitelte Angriff der überschwemmenden Schlange auf das Weib
und dessen Spröfslinge entspricht vollkommen dem Überfall der
diluvianischen Schlange Python auf Osiris (Latona, Horus) und
der Tötung dieses Untiers. Die auf den Wässern schwimmende
oder auf einem Ungeheuer reitende falsche Kirche — wo-
runter die heidnischen Mysterien zu verstehen sind — und deren
schliefsliche Versenkung in den Höllensee ist der Großen Mutter
des Heidentums nachgebildet, die auf dem Rücken des Löwen
übers Meer reitet und während der ihr zu Ehren gefeierten
Mysterien in den heiligen Hades-See versinkt.
Paulus selbst stellt einen Einweihungskandidaten vor und
demgemäß ähneln die seinem geistigen Auge vorschwebenden
Bilder gar sehr den Schaustellungen der Mysterien. Der Prophet
erblickt vor allem eine zum prachtvollen Himmelstempel führende
Thüre und der Darsteller des Hierophanten ladet ihn zum Ein-
tritt ein. Er wohnt nun der Entsiegelung des heiligen Buches
bei, wird aber sodann unverzüglich von einer Schar scheußlicher
Erscheinungen überfallen, unter denen sich am meisten bemerk-
bar machen eine gewaltige Schlange — das wohlbekannte Sinn-
bild des Grofsen Vaters — und zwei wilde Tiere, deren eines
dem Meere entsteigt, während das andere aus der Erde kommt.
Dieses Heer von Schreckensgestalten erinnert lebhaft an die
Hundeerscheinungen der Orgien und die vielförmigen Abbildungen
des Heldengottes, den man allgemein für einen Spröfsling des
Meeres hielt. Nachdem er den Ungeheuern glücklich entronnen,
wird der Prophet von dem ihn geleitenden Engel (Hierophant) vor
ein weibliches Wesen geführt, welches - gleich der dem Meere
entsteigenden und sich dem Kandidaten Apulejus zeigenden Isis
— auf dem Rücken eines wilden Seetieres über die Oberfläche
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Christliche Mysterien. •
vieler Gewässer dahinzuschweben scheint. Ebenso wie die Grofse
Mutter das erklärte weibliche Prinzip der Fruchtbarkeit war und
häufig durch systematische, vorschriftsmäfsige Hurerei versöhn-
lich gestimmt wurde, gilt auch die in Rede stehende weibliche
Gottheit für eine regelrechte Hure, die die Könige der Erde mit
dem goldenen Becher ihrer Prostituierung berauscht, was wieder
daran erinnert, dafs die heidnischen Eingeweihten aus einem
heiligen Becher einen Trunk thun mufsten. Auf ihrer Stirne ist
das Wort »Geheimnis" zu lesen, dessen Bedeutung zu erläutern
der Engel-Hierophant unternimmt.
Dem aus dem Meer geborenen Grofsen Vater wurde ein
dreifacher Zustand zugeschrieben: er lebte, er starb und er er-
stand wieder. Diese Wandlungen gelangten in den Mysterien
zur Darstellung. Dem dem Meer entsteigenden wilden Tier mifst
die Apokalypse dieselben drei Stadien bei ; im toten Zustand liegt
es - wie Horus, Osiris, Siwa, Wischnu — schwimmend auf
dem gewaltigen Ozean; bei seiner Auferstehung erhebt es sich
von den Gewässern ; ob lebend oder tot, stets hat es sieben Köpfe
und zehn Hörner — Ziffern, deren Urbilder wir aus den
Mysterien kennen. (Vergl. »Einleitung“). Und wie die Anbeter
des Grofsen Vaters sein besonderes Zeichen trugen und an seinem
Namen erkannt wurden , trugen auch die Anbeter des wilden
Seetieres dessen Zeichen und Namen.
Endlich geht der erste, düstere Teil dieser heiligen Mysterien
zur Neige und der zweite, freudige naht heran. Nachdem der
Prophet die Feinde Gottes in einen schrecklichen Feuersee ver-
sinken gesehen, der dem Höllensee der ägyptischen Mysterien
entspricht, wird er in eine glänzend erleuchtete Region gebracht,
die in genau derselben Weise ausgeschmückt ist wie das »Para-
dies“, welches das Endziel der Bewerber um die Aufnahme in
die Mysterien des Altertums war, während die profane Menge -*
die Zauberer, Mörder, Wollüstlinge, Götzendiener, Lügner u'. s. w.
— draufsen bleiben mttfs. Manche modernen Forscher können
in der Apokalypse weder Sinn noch Zweck erblicken.
Die Ausbreitung des Christentums zeitigte diesem auch
viele Gegner — offene und geheime. Die letzteren wollten statt
des Christentums ein reformiertes, mit christlichen Elementen
verquicktes Heidentum. Damals blühte der Weizen gewandter
Betrüger, indem infolge der Leichtgläubigkeit der Menschen zahl-
lose Sekten entstanden. Zu den erfolgreichsten Sektengründern
gehörten Apollonius von Tyana und Alexander aus Abonoteichos,
deren Lehren, Zeremonien und geheimnisthuerische Kniffe zum
grofsen Teil auf der religiösen und philosophischen Quack-
salberei des Pythagoras beruhten.
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VIERTES BUCH.
ischmaeliteN.
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Die Weisheitsloge.
Die Mahdilegende. - Abdallah. Ursprung der Quarmatiten. — Ent-
stehung der Fatimiten-Dynastie. - Die Loge von Kairo. Ausbreitung
der Lehren.
Die Araber hatten Persien unterjocht, doch trug dieses
Land das fremde Joch nur sehr unwillig. In der Spaltung, die
Mohammeds Anhänger nach dessen Tod entzweite, stellten die
Perser sich auf die Seite Alis, des Schwiegersohnes und Nach-
folgers des Propheten. Am Ende des achten Jahrhunderts waren
die beiden Hauptsekten des Islams bereits in zahllose Unter-
sekten zersplittert; aber ihnen allen war der Glaube an einen
künftigen Messias (Mahdi, Führer) gemeinsam. Die überspannte
Sekte der Ghulat hatte die nachträglich auch von anderen Sekten
angenommene Lehre ausgebrütet, dafs Ismael der letzte sichtbare
Imam (geistliches Oberhaupt) gewesen sei. Die Anhänger dieses
Unsinns hiefsen »Ischmaeliten“. Andere behaupteten, der zwölfte
Imam, Askerih, sei - Ali als den ersten angenommen — der
letzte sichtbare gewesen und er sei verschwunden, um in einer
Höhle zu Hilla am Euphrat unsichtbar das Ende der Welt ab-
zuwarten und dann als Mahdi wiederzuerscheinen. Auf diesen
noch gröfseren Unsinn baute ein kühner Abenteurer, Abdallah,
den Plan auf, Persien zu befreien und selber zur Macht zu ge-
langen; und auf dem gleichen Glauben beruht die Macht der
verschiedenen jetzigen Mahdis.
Abdallah, ein Enkel Harun-al-Raschids, wendete sich an die
sehr zahlreichen persischen Ischmaeliten und redete ihnen ein,
Ismaels Sohn Mohammed sei ein Prophet gewesen und habe eine
neue Religion gestiftet, welche die Lehren Ismaels bekräftige und
ihren Anhängern die Weltherrschaft sichern werde. Er fügte
hinzu, dafs es seit Erschaffung der Welt sechs Religions-Epochen
gegeben habe, deren jede sich durch die Menschwerdung eines
Propheten kennzeichne; die sechs Propheten seien Adam, Noah,
Abraham, Moses, Jesus und Mohammed gewesen, die die Auf-
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96
Ischmaeliten.
gäbe gehabt hätten, die Menschen zu immer gröfserer religiöser
Vollkommenheit emporzuführen. Die sieben Imams, die auf Ali ge-
folgt seien, waren die Ausleger des verborgenen Sinnes von Mo-
hammeds Religion und die Vorläufer der vollkommensten Lehre,
deren Sieg bevorstehe - derjenigen Mohammeds, des Sohnes
Ismaels. Und so wie Mohammed und jedem der fünf früheren
Propheten sieben Imams gefolgt seien, werde es auch nach
Mohammed sieben Imams geben. Der Imam habe die Aufgabe,
den Eingeweihten auseinander zu setzen, dafs jede Religion
zweierlei Auslegungen zulasse : eine offenkundige für die
Menge und eine geheime — die einzig wahre — für die Ein-
geweihten. Sich selbst gab Abdallah für den ersten der Imams
Mohammeds ben lsmael aus.
Der reiche persische Patriot Mohammed ben Hosain, der
den Beinamen Zaidan führte, war von Abdallahs Plänen so be-
geistert, dafs er ihm zwei Millionen Goldstücke schenkte. Aber
der Gouverneur von Susiana verfolgte Abdallah, der deshalb
nach Syrien entfloh, wo einer seiner Missionäre um 887 herum
den damals unter dem Beinamen Quarmat berühmt gewesenen
Hamdan bekehrte, der alsbald die Ischmaelitensekte der Quarma-
titen bildete, deren sich rasch entwickelnde Macht die Kalifen
zweihundert Jahre lang mit Angst erfüllte.
Nach Abdallahs Tod folgte ihm sein Sohn Seid im Amte
des geistlichen Oberhauptes. Dieser Imam behauptete, der er-
wartete fatimitische Messias, der Mahdi, zu sein. Als man ihm
mitteilte, dafs zahlreiche Gläubige in Afrika ihn sehnsüchtig er-
warteten, begab er sich unter dem Namen Obaid Allah dahin,
stürzte die über Tripolis und Tunis herrschende Aghlabiten-
Dynastie und gründete (909) die- berühmte Dynastie der Fati-
miten. Sein Grofsenkel Moizz-li-dinillah vertrieb die Bagdader
Kalifen aus Ägypten und gründete Kairo, das er zu seiner
Hauptstadt machte. Dort rief er die »Loge von Kairo“ ins
Leben, die eigentlich eine Universität mit vielen Büchern und
wissenschaftlichen Instrumenten war; allein obgleich als ihr offen-
kundiger Zweck der wissenschaftliche Unterricht galt, hatte sie
in Wirklichheit eine ganz andere Aufgabe.
Der Lehrplan umfafste neun Grade. Im ersten wurden
dem Schüler Zweifel eingeflöfst, zugleich aber auch das Vertrauen,
dafs der Lehrer sie lösen werde. Zu diesem Zweck stellte der
Lehrer spitzfindige und verfängliche Fragen, welche die Wider-
sinnigkeit der buchstäblichen Auslegung des Korans beweisen
sollten; auch deutete er dunkel an, dafs in dieser Schale ein
süfser, nahrhafter Kern verborgen sei. Wer zu dem letzteren
gelangen wollte, mufste sich unter furchtbaren Eidschwüren dem
Lehrer gegenüber zu blindem Glauben und Gehorsam verpflichten.
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Die Weisheitsloge.
97
Der zweite Grad lehrte die Anerkennung der Imams als gott-
gesandte Quellen aller Weisheit und Kenntnis. Im dritten erfuhr
der Schüler, dafs die Zahl der heiligen Imams der geheimnis-
vollen Ziffer sieben entspricht; im vierten, dafs Gott die Welt
mit sieben Gesetzgebern (»Sprecher“ genannt) beglückt habe,
deren jedem sieben Gehilfen (»Stumme“ genannt) zur Seite
standen; im fünften, dafs jeder dieser Gehilfen zwölf Apostel
hatte. Der sechste Grad führte dem Schüler die Vorschriften
des Korans vor Augen nebst der Lehre, dafs alle Religions-
dogmen den Regeln der Philosophie untergeordnet sein . sollten ;
auch empfing er Unterweisung in den Lehren des Plato und des
Aristoteles. Der siebente Grad beschäftigte sich. mit dem mysti-
schen Pantheismus. Im achten lernte der Eingeweihte die Gebote
des Koran nach ihrem wahren Wert beurteilen und im neunten
wurde ihm beigebracht, dafs an nichts geglaubt werden solle und
dafs alles erlaubt sei.
Die Ziele der Weisheitsloge von Kairo waren: die Besei-
tigung der menschlichen Verantwortlichkeit und Würde; die
Umgebung des Fatimitenthrones mit einer furchtbaren Leibwache,
einer Mördertruppe; die Errichtung einer geheimnisvollen Miliz,
die den Ruhm und die Macht des Kalifats von Kairo weit ver-
breiten und den verhafsten Thron von Bagdad stürzen helfen
sollte. 'Viele Missionäre wurden ausgesandt, deren einige in
Arabien und Syrien Anhänger gewannen, denen zwar die Pläne
des Bundes unbekannt waren, die aber unter schrecklichen Eiden
blinden Gehorsam schworen. Die Minierarbeit der Loge dauerte
ein Jahrhundert und ihre Lehren, die auf .das Leugnen aller
Wahrheit, Sittlichkeit und Gerechtigkeit hinausliefen, mufsten etwas
Außerordentliches zum Ergebnis haben. Wir werden im nächsten
Kapitel sehen, dafs der entsetzliche Schlag, den die Loge von
Kairo dem menschlichen Gewissen versetzte, zu einer ungemein
blutigen Erscheinung führte. Hier sei nur noch bemerkt, dafs
Hakem Biamrillah, der Stifter der Drusensekte, die wir ebenfalls
in diesem Buch behandeln werden, ursprünglich ein Mitglied
der Weisheitsloge war.
Heckethorn«Katscher. Geheimbunde u. Geheimlehren.
7
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9S
Ischmaeliten.
Die Assassinen.
Ursprung des Bundes. Hassan Sabbahs Ansehen. — Die sieben Grade.
Blinde Ergebenheit der Mitglieder. — Konrad von Montferrat und
Raschid-ad-din. — Das vorgeschwindelte Paradies. Hassans Blutdurst.
- Sein Nachfolger. Ermordung des Gesandten Raschid-ad-dins. - Die
Unterdrückung der Assassinen. Moderne Assassinen. — Aga Chan und
die Chodschas. — Die Benutzung der Assassinen seitens christlicher
Herrscher.
Nur Arabien und Syrien konnten der Schauplatz der
düsteren Thaten des »Alten Mannes“ oder »Herrn des Berges“
sein. Einer der days (Missionäre) der Weisheitsloge, Hassan
Sabbah, ein von Abenteurergeist erfüllter Mann, zeichnete sich so
sehr aus, dafs er grofses Ansehen errang. Das erregte den Neid
von Nebenbuhlern, die es denn auch durchsetzten, dafs er ver-
bannt wurde. Das Schiff, an dessen Bord er aufser Landes ge-
bracht wurde, machte während der Fahrt einen so furchtbaren
Sturm durch, dafs die ganze Mannschaft sich verloren gab. Da
rief Hassan mit feierlicher Miene: »Der Herr hat mir versprochen,
dafs mir nichts Schlimmes widerfahren werde.“ Der Sturm liefs
nach, die Matrosen schrieen: »Ein Wunder!“ und wurden die
ersten Anhänger des gottbegnadeten Mannes. Hassan bereiste
Persien als Prediger, gewann zahlreiche Anhänger, eroberte
i. J. 1090 Alamut und begründete dort seine Schreckensherrschaft.
Die Geschichte jener Zeit ist erfüllt von Hassans Namen.
Seine Macht reichte so weit, dafs sogar westeuropäische Könige
vor ihr zitterten. Philipp August von Frankreich hatte vor dem
»Alten Mann" so grofse Angst, dafs er keinen Schritt ohne seine
Leibwache zu machen wagte; und vielleicht vergab ihm der
sonst Unerbittliche wegen dieser aufsergewöhnlichen Furcht.
Anfänglich legte Hassan keine andere Absicht an den Tag als
die der Vergröfserung der Macht des Kalifats von Kairo. Bald
jedoch warf er die Maske ab, denn bei seinem wilden Charakter
konnte er nicht lange heucheln und sich verstellen. Er setzte
die neun Grade der Weisheitsloge auf sieben herab und stellte
sich selber als »Sidna« (so viel wie »Cid“) an die Spitze. Zu-
meist leitet man das Wort »Assassinen “ (Mörder) von Haschisch
(Hanf) ab, mit dessen bekanntem Absud die Bundesgenossen be-
rauscht wurden, wenn sie etwas Kühnes unternehmen sollten.
Doch dürfte diese Ableitung kaum zutreffen, denn den Haschisch-
genufs hatten alle orientalischen Völker mit einander gemein.
Vielleicht rührt der Ausdruck vom arabischen »hass“ (umbringen,
vernichten) her. Nach dem jüdischen Autor Benjamin ,(1173)
stammt die Bezeichnung »Assassinen “ von „asasa“ (= Fallen
legen) ab, und dies halten wir für am wahrscheinlichsten.
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Die Assassinen.
99
Hassan regelte den Inhalt der sieben Grade durch einen
Katechismus, den er selbst verfafste. Im ersten Grad wurde
dem Missionär empfohlen, die Eigenschaften des Kandidaten vor
dessen Aufnahme in den Bund aufmerksam zu beobachten; im
zweiten wurde ihm eingeschärft, das Vertrauen des Kandidaten
dadurch zu erringen, dafs er dessen Neigungen und Leiden-
schaften schmeichle; im dritten, ihm durch Darlegung der Wider-
sinnigkeit des Korans Zweifel einzuflöfsen; im vierten, ihm sowohl
das Versprechen, die Zweifel dem Lehrer vorzulegen, als auch
einen feierlichen Eid der Treue und des Gehorsams abzunehmen.
Im fünften Grad sollte der days dem Neuling mitteilen, dafs die
hervorragendsten Männer in Staat und Kirche dem Geheimbund
angehören; im sechsten sollte er ihn bezüglich des gesamten
Inhalts des bisherigen Unterrichts prüfen und die ihm bei-
gebrachten Kenntnisse befestigen. Im siebenten Grad erfolgte
die „Darlegung der Allegorie", d. h. die Enthüllung der eigent-
lichen Geheimnisse des Bundes.
Die Assassinen zerfielen in zwei Hauptgruppen: die „Selbst-
aufopfernden“ und die „Kandidaten". Die ersteren mifsaehteten
Strapazen, Foltern und Gefahren und gaben freudig das Leben
hin, falls es dem „Herrn vom Berge" beliebte, dies von ihnen
zu verlangen sei es zu seinem eigenen Schutz, sei es behufs
Ausführung seiner Mordbefehle. In weifse Tuniken mit roten
Schärpen gekleidet — die Farben der Unschuld und des Blutes
- gingen die Getreuen ohne Rücksicht auf Beschwerden oder
Entfernung auf die Tötung der ihnen bezeichneten Opfer aus.
Nur selten verfehlten ihre Dolche das Ziel, denn sie nahmen
stets die günstigsten Gelegenheiten wahr. Konrad von Montferrat
hatte mit einem der Nachfolger Hassans, Raschid-ad-din, Streit gehabt,
und als er überdies eine Anzahl gefangener Muselmanen nieder-
metzeln liefs, ersuchte Sultan Saladdin den aufgebrachten Raschid-
ad-din, Konrad umbringen zu lassen. Zu diesem Zweck Hefsen
sich zwei Assassinen taufen und beteten dann fortwährend in
seiner Umgebung, bis sich eine gute Gelegenheit bot, ihn zu
erdolchen. Einer der Mörder flüchtete sich in eine Kirche; als
er jedoch erfuhr, dafs Konrad noch nicht ganz tot sei,
wufste er es so einzurichten, dafs er Gelegenheit fand, ihm den
Todesstofs zu geben, worauf er sich ruhig verhaften liefs, um
unter gräfslichen Qualen zu Tode gemartert zu werden.
In welcher Weise ein so hoher Grad von blinder Ergeben-
heit erzielt wurde, darüber erzählt Marco Polo das nachstehende.
Bedurfte der Alte Mann eines Anhängers zur Ausführung einer
besonders kühnen That, wandte er eine interessante Kriegslist
an. In dem wegen seiner aufserordentlichen Schönheit berühmten
persischen Mulebat-Thal (in der jetzigen Provinz Sigistan) besafs
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100
Ischmaeliten.
er seinen Palast. Von den das Thal umgebenden hohen und
steilen Felsklippen aus war dasselbe völlig unzugänglich und die
vorhandenen Zugänge waren durch starke Festungen geschützt.
Das Thal enthielt die prachtvollsten Gärten, in denen sich herrlich
eingerichtete Pavillons befanden, die von den reizendsten Mädchen
bewohnt waren. Der zur Vollbringung des geplanten Unter-
nehmens ausersehene Assassine wurde berauscht gemacht, in
diesem Zustande ins Mulebat-Thal gebracht und dort völlig sich
selbst überlassen. Zu sich kommend, bewunderte er die grofs-
artige Landschaft und die ihn reichlich bewirtenden und ihm
schön thuenden Weiber, die ihm einredeten, er befinde sich im
Paradies. Ehe Übersättigung eintreten konnte, wurde er neuer-
dings in einen Rausch versetzt und in seine Wohnung zurück-
gebracht. Bald darauf liefs der »Herr vom Berge“ ihn vor sich
kommen, um ihm zu sagen, er habe ihn das Elysium kosten
lassen und wolle ihm den ewigen Aufenthalt daselbst gestatten,
falls er die betreffende That vollführe, ln dem Glauben an die
unbegrenzte Macht seines Gebieters erklärte der Assassine sich
dann zu allen Schandthaten bereit.
In jenem unnahbaren Horst war die Geierseele Hassans
mit ihrem Ehrgeiz allein. Diese Einsamkeit bildete seine Haupt-
stärke, aber sie scheint ihm manchmal denn doch zu grofs ge-
wesen zu sein, denn es heifst, er habe theologische Werke
geschrieben und sich viel mit religiösen Übungen abgegeben.
Er liefs mit Berechnung morden, teils um Ruhm und Macht zu
gewinnen, teils um Furcht einzuflöfsen und Erfolge zu erringen.
Er unterhielt eine geheime Taubenpost, die ihn oft mit über-
raschender Schnelligkeit von Ereignissen in grofser Entfernung
in Kenntnis setzte; seinen Anhängern aber schwindelte er vor,
er habe die Gabe, entfernte Vorgänge zu sehen. Ein persischer
Kalif beabsichtigte, den Assassinenbund zu bekriegen und aus-
zurotten; da fand er in seinem Bett auf dem Kissen einen Dolch
und dazu eine Zeile von Hassan: „Was du neben deinem Kopf
findest, kann auch in dein Herz versenkt werden." Er blieb bis
zu seinem Tode blutdürstig; eigenhändig tötete er seine beiden
Söhne - den einen wegen der Ermordung eines Missionärs
(days), den andern wegen Weingenusses. Offenbar wollte er
nicht eine Dynastie gründen, sondern einen Geheimbund.
Mit Hassans Tode hörte der blinde Gehorsam der Assas-
sinen nicht auf; auch seine Nachfolger konnten auf denselben
zählen. Als Heinrich, der Graf der Champagne, in der Nähe
des Gebietes des „Alten Mannes" zu thun hatte, wurde er von
dem bereits erwähnten Raschid-ad-din eingeladen, die Befestigungen
zu besuchen und er nahm die Einladung an. Inmitten der Be-
sichtigung gab Raschid zwei Getreuen ein Zeichen, worauf sie
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Die Assassinen.
101
sich ins Herz stachen und tot zu den Füfsen des erschreckten
Gastes niederfielen. »Du brauchst es nur zu wünschen», sagte
der »Meister“ kühl, »und sie alle werden sich auf einen Wink
von mir in deiner Gegenwart erdolchen." Eines Tages liefs der
Sultan den Alten Mann durch einen Abgesandten auffordern,
sich mitsamt seinen rebellischen Assassinen zu unterwerfen. Da
sagte der »Meister» in Anwesenheit des Abgesandten zu einem
Getreuen: »Erstich dich!“ und dieser that es; zu einem andern
sagte er: »Stürze dich vom Turm hinab!» und es geschah.
Nun wandte der Alte Mann sich an seinen Gast: »Siebzigtausend
Anhänger gehorchen mir ebenso blind - das ist meine Antwort
für deinen Herrn.» Übrigens war diese Ziffer wahrscheinlich
übertrieben; die Zahl der Assassinen wurde nie höher geschätzt
als vierzigtausend und viele von diesen waren keine »Selbst-
aufopferer», sondern blofs Kandidaten.
Den in der Nähe des Assassinengebietes begüterten Tempel-
rittern war es — wann, ist ungewifs - gelungen, sich den
Geheimbund mit zweitausend Dukaten jährlich tributpflichtig zu
machen. Raschid-ad-din, dem alle Religionen gleichgültig waren,
gedachte sich von dieser lästigen Abgabe dadurch zu befreien,
dafs er samt allen seinen Anhängern zum Christentum übertrete.
Er sandte daher i. J. 1172 einen Vertreter zu Amalrich, dem
König von Jerusalem, mit dem Anerbieten des Übertritts für den
Fall, dafs er — der König. — die Templer zum Verzicht auf den
Tribut bewege. Amalrich erklärte sich einverstanden und erteilte den
Tempelherren die Versicherung, er selbst werde ihnen die zweitausend
Dukaten alljährlich bezahlen. Sie erhoben keine Einwendung,
aber der ischmaelitische Abgeordnete wurde auf dem Heimwege
von einigen Templern ermordet, und zwar im Auftrag ihrer
Vorgesetzten, denen das Versprechen des Königs kein genügender
Ersatz für den Tribut dünken mochte. Als der über diese
Niedertracht empörte König die strenge Bestrafung der Verbrecher
forderte, begnügte sich der Meister des Tempels mit der Er-
klärung, er habe ihnen Bufsen auferlegt. Der aufgebrachte
Amalrich bemächtigte sich jedoch des Rädelsführers Du Mesnil
und warf ihn ins Gefängnis; da er jedoch bald darauf starb,
erlangte Du Mesnil seine Freiheit wieder. Mit dem Übertritt
der Ischmaeliten zum Christentum waFs aber selbstverständlich
vorbei.
Raschid-ad-din starb 1192. Da seine Nachfolger weder
seine Begabung hatten, noch sein Ansehen genossen, geriet die
Sekte in Verfall. 1256 fiel Hulagu, der Bruder Mongus, des
Grofs-Chans der Mongolei, in Persien ein und vertilgte alle
Assassinen, deren er habhaft werden konnte. Er liefs den letzten
Herrn von Alamut, Rokn-ad-din, hinrichten und bemächtigte sich
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Ischmaeliten.
des gröfsten Teiles seiner Festungen. Zwar erhielten, als vier
Jahre später der Mameluekensultan von Ägypten die Mongolen
besiegte, die Ischmaeliten ihre Festungen zurück, allein nur auf
eine Galgenfrist. Nach fünf Jahren mufsten sie dem ägyptischen
Sultan Tribut zu zahlen beginnen, 1270 erlitt das damalige
Assassinen-Oberhaupt Sarim bei dem Versuch, das ägyptische
Joch abzuschütteln, eine Niederlage und 1273 lieferten die Assas-
sinen all ihre Befestigungen dem Sultan Baibars I. aus. Diesem
fiel es nicht ein, sie ausrotten zu wollen; er zog es vielmehr
vor, sie auszunutzen. Ein halbes Jahrhundert später fand der
Reisende Ibn-Batuta sie in ihren alten Städten und Festungen
wohnen als »des Sultans Pfeile, mittels welcher er seine Feinde
trifft". Aus einer anderen Quelle, die aus derselben Zeit stammt
(Abu Tiras’ Sammlung von Anekdoten über Raschid-ad-din, 1324),
erfahren wir, dafs es den Assassinen gestattet war, ihre Lehren
auch fürder offen zu bekennen.
Genau genommen, besteht die Sekte noch heute, und zwar
in Persien und Syrien. Die persischen Ischmaeliten wohnen
zumeist in Rudbar, doch findet man sie über den ganzen Orient
verstreut; als Handelsleute dringen sie sogar bis zum Ganges
vor. ln A. Drummonds »Reisen durch verschiedene Teile Asiens“
(London 1754) heifst es: »Manche Schriftsteller behaupten, die
Ässassinen seien im 13. Jahrhundert von den Tataren gänzlich
ausgerottet worden. Aber ich habe so lange an diesem höllischen
Ort (Aleppo) gelebt, dafs ich wohl behaupten darf, ihre Brut
sei noch jetzt in den Gebirgen der Umgebung vorhanden.
Nichts ist diesen verfluchten Gourdins zu grausam, barbarisch
und verabscheuungswert." Als Rousseau, französischer Konsul zu
Aleppo, i. J. 1810 Persien bereiste, erfuhr er, dafs die Assassinen
damals Schah Chalilullah als ihr Oberhaupt anerkannten. Er
wohnte in Chek, einem kleinen Dorf zwischen Ispahan und Tehe-
ran, war angeblich ein Nachkomme Alis und erfreute sich
einer gottähnlichen Anbetung, sowie des Ansehens eines Wunder-
täters. Der Reisende Fraser erzählte von diesem Imam, dafs,
wenn er sich die Nägel schnitt, seine Anhänger sich um die
Abschnitzel balgten und dafs das Wasser, in welchem er sich
wusch, für heilig galt. Chalilullah fiel bei einem Aufstand gegen
den Gouverneur von Jesd und sein Sohn wurde sein Nachfolger.
1866 kam in Bombay ein seltsamer Rechtsstreit zur Ent-
scheidung. In dieser Stadt giebt es eine handeltreibende Gemeinde
— die Chodschas. Der Perser Aga Chan aus Mehelat (bei Chek)
hatte von den Chodschas 10000 Pfund Sterling gefordert als
Tribut, der ihm von ihnen alljährlich gebühre. Da sie die
Zahlung verweigerten, brachte Aga Chan die Sache vor Gericht,
bewies diesem, dafs er in gerader Linie von dem vierten Grofs-
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Die Roschenia.
103
meister von Alarnut abstamme und führte auch den Nachweis,
dafs die Chodschas der Assassinensekte angehören, zu welcher
sie etwa vierhundert Jahre vorher durch einen Ischmaeliten-
Missionär bekehrt wurden, der ein Buch schrieb, das die heilige
Schrift der Chodschas geblieben ist. Jetzt empfängt Aga Chan,
der den Prozefs gewann, von den Chodschas jährlich angeblich
sogar 20000 Pfund Sterling und lebt abwechselnd in den
indischen Städten Bombay, Puna und Bangalore; als der Prinz
von Wales vor etwa einem Vierteljahrhundert Indien bereiste,
machte er Aga Chan einen Besuch, weil dessen Vorfahr Raschid-
ad-din dereinst seinem Vorfahr Richard Löwenherz das Leben
geschenkt hatte.
Mehrere christliche Herrscher sollen sich der Konnivenz
mit den Unthaten der Assassinen schuldig gemacht haben,
darunter Richard Löwenherz, der angeblich Hassan bewegen
wollte, den König von Frankreich umbringen zu lassen; dafs er
an der Ermordung Konrads von Montferrat, die man ihm früher
ebenfalls in die Schuhe zu schieben pflegte, unschuldig war, ist
erwiesen. Der Neffe Barbarossas wurde von Papst Innozenz II.
exkommuniziert, weil er den Herzog von Bayern durch Assassinen
hatte töten lassen. In einem Brief an den König von
Böhmen klagte Friedrich II. über den Herzog von Österreich,
der ihm ebenfalls durch Assassinen habe ans Leben wollen.
Einige Geschichtschreiber erwähnen ferner, dafs 1 1 58 während
der Belagerung von Mailand im kaiserlichen Lager ein Araber
ertappt worden sei, als er im Begriffe stand, den Kaiser zu
erdolchen. Man weifs nicht, wer der Anstifter dieses Attentats
war; aber man weifs, dafs damals unter den europäischen Fürsten
grofses Mifstrauen herrschte und dafs infolgedessen die Macht
der Assassinen einen hohen Aufschwung nahm.
Die Roschenia.
Auch diese Sekte war ischmaelitischen Ursprungs. Ge-
gründet wurde sie von Bajesid Ansari, dem Sohn des Ulemas
Abdullah vom afghanischen Stamme der Wurmuder. Von seinem
Vater ebenfalls zum Geistlichen bestimmt, zog er es vor, Pferde-
händler zu werden. Als er einmal geschäftlich im Bezirk Kalind-
schir verweilte, lernte er einen Ischmaeliten kennen, der ihn mit
neuen religiösen Ideen erfüllte. Nach seiner Rückkehr begann
Bajesid, die neue Lehre zu predigen; da er damit jedoch weder
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104
Ischmaeliten.
bei seinem Vater noch bei seinen Mitbürgern Anklang fand, be-
gab er sich zum Sultan von Ningaschar (Afghanistan), der ihn
freundlich aufnahm. Allein dessen Unterthanen wollten von seiner
Propaganda nichts wissen. Weit leichter fiel es ihm, bei den in
der Gegend von#Peschawr lebenden Gharihel-Afghanen Proselyten
zu machen.
Bajesid teilte seine Anhänger in acht Chilwats (Klassen) und
brachte ihnen acht Sekers (Kenntnis-Grade) bei. Die Afghanen
unterrichtete er in afghanischer, die Hindus in indischer, die
Perser in persischer Sprache — so vielseitig war er! - und für
alle verfafste er Schriften, die selbst von seinen Gegnern als
sehr anziehend geschrieben bezeichnet wurden. Hatte ein Jünger
den achten Grad erlangt, so teilte Bajesid ihm mit, er habe die
Vollkommenheit erreicht und brauche sich um die Vorschriften
und Verbote des Gesetzes nicht mehr zu kümmern. Als sein
Anhang bereits ein beträchtlicher war, nahm er die bewährtesten
Jünger mit sich und liefs sich mit ihnen in den unwirtlichsten
Gebirgen Afghanistans nieder, um Kaufleute zu plündern, Brand-
schatzungen zu verüben und seine Religion mit Waffengewalt zu
verbreiten.
Seine eifrigsten Schüler sollen dem weiblichen Geschlecht
angehört haben. Die jungen Frauenspersonen benutzte er zur
Anlockung junger Männer. In den ersten Einweihungsgraden
blieben die Geschlechter gesondert, während sieden höheren Unter-
richt gemeinschaftlich erhielten. Je mehr Bajesids Ansehen stieg,
desto kühner verkündete er seine Lehren. Er leugnete jedes Fort-
leben nach dem Tode, liefs die vollkommen Eingeweihten ihren
Lüsten und Neigungen rückhaltlos fröhnen und gewährte ihnen das
unumschränkte Recht der Verfügung über Leben und Eigentum
aller Nichtmitglieder des Bundes, lin Laufe der Zeit verlegte er
sein Hauptquartier in den Bezirk Haschtnagar, den die Afghanen
für den Schauplatz ihrer ersten Ansiedlung in Afghanistan halten.
Dort gründete er eine Stadt und nahm den Titel »Pir roschan“
an (== »Vater des Lichts"); hiervon rührt der Name der Sekte
her: Roschenia, d. h. die Erleuchteten.
Als die Ausbreitung der neuen Religion die Regierung des
Moguls beunruhigte, machte Mahsan Chan Ghasi, ein hervor-
ragender Offizier, damals Gouverneur von Kabul, einen Einfall
in das Gebiet der Roschenia, nahm Bajesid gefangen und liefs
ihn nach Kabul bringen, wo er ihn mit halbrasiertem Kopf der
Neugier und dem Spotte der Volksmenge aussetzte. Durch Be-
stechung gelang es dem Häftling, zu entkommen, worauf er sich
mit seinem Anhang in das fast unzugängliche Hügelland von
Hrah zurückzog und, um die erlittene Schmach wettzumachen,
die Bekehrungsarbeit mit solchem Eifer und Geschick betrieb,
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Die Drusen.
105
dafs die Roschenia einen nationalen Charakter anzunehmen be-
gann und die neue Lehre fast als die Religion der Afghanen
betrachtet wurde. Der übermütig werdende »Vater des Lichts“
kündigte die Absicht an, Chorassan und Hindustan zu erobern.
Als er jedoch zu diesem Zweck in der Ebene von Ningaschar
erschien, stiefs er abermals mit Mahsan Chan Ghasi zusammen,
der die ungeschulten Roscheniatruppen aufs Haupt schlug. Baje-
sid selbst entfloh zwar, starb aber schon nach wenigen Tagen
an den Folgen der nach der Flucht erlittenen Strapazen.
Nach seinem Tode wandte sich sein ältester Sohn an die
ebenso zahlreichen wie begeisterten Bundesangehörigen mit der
folgenden Ansprache: »Folget mir, meine Freunde! Euer Pir ist
nicht tot, er hat nur seinen Platz seinem Sohn Scheich Omar
eingeräumt und ihm wie dessen Anhängern die Herrschaft über
die Welt übertragen.“ Kurz darauf fiel Omar in einer Schlacht
mit den Jusefzei, dem mächtigsten und tapfersten aller Afghanen-
stämme. Nur der jüngste der fünf Brüder, Dschellal-ed-din, blieb
am Leben, aber er fiel nach einiger Zeit dem Schwerte eines
Hasara-Soldaten zum Opfer. Ihm folgte sein Sohn Ahdad, der
bei der Belagerung seiner Veste Meaghae durch die Moguls um-
kam (um 1650 n. Chr. G.). Die Afghanen zogen sich mit seinem
Sohn Abd-el-kader in die Berge zurück, während die Tochter,
die nicht hatte entkommen können, sich beim Einzug der kaiser-
lichen Truppen das Leben nahm, um diesen nicht in die Hände
zu fallen. Ahdads Nachkommen standen an der Spitze der Sekte
bis etwa zum Jahre 1 700, um welche Zeit Cerimdad sich dem
Chan von Jrachan ergab, der ihn hinrichten liefs. Damit hatte
der Bund der Roschenia zu bestehen aufgehört.
Die Drusen.
Entstehung der Sekte. — Hakem und Darasi. — Die Religionsbücher. —
Hakems Ermordung und angebliches Verschwinden. — Sein Nachfolger
Ali. — Die Lehren der Drusen. — Einrichtungen, Bräuche, Eigenschaften.
— Losungsworte und Zeichen. — Ausbreitung. — Die Maroniten. — Die
Ansairih.
In manchen islamitischen Sekten begegnen wir noch heute
den ägyptischen und syrischen lschmaeliten. Es sind nur noch
geringe Spuren ihrer einstigen Beschaffenheit vorhanden, aber ihr
Profil zeigt sich in den Charakterzügen einiger der Ketzergruppen,
die in der Wüste oder im Libanongebirge leben — die türkische
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Ischmaeliten.
Regierung beunruhigend, die Reisenden in Erstaunen setzend und
der Wissenschaft als Gegenstand des Studiums dienend. Die
bemerkenswerteste dieser Gruppen ist die Sekte der Drusen, die
in Nord-Syrien lebt und seit dem Jahre 1020 unserer Zeitrechnung
besteht. Damals liefs Hakem Biamr-lllah, der sechste Kalif
von Ägypten, in Kairo öffentlich verkünden, er sei ein mensch-
gewordener Gott. Sein Beichtvater Darasi begünstigte diesen
Betrug sehr, stiefs aber auf so lebhaften Widerstand, dafs er
sich gezwungen sah, in die Libanonwüsten zu fliehen, w'O er,
von Hakem freigebig unterstützt, viele Araber bekehrte. An-
geblich soll er wegen des Predigens seiner Lehre getötet und so
der erste Märtyrer der neuen Religion geworden sein. Nach ihm
nannte man deren Anhänger „Drusen"; sie selbst aber nannten
und nennen sich „Unitarier“. Hakems Vezier, der persische
Mystiker Hamse, der vom Anfang an eifrig für die Göttlichkeit
seines Herrn eingetreten war, trat mit an die Spitze der von
Darasi eingeleiteten Bewegung und vor Ablauf von zehn Jahren
waren fast alle Araberstämme des Libanon zum Drusentum bekehrt.
Das letztere wurde also von dem Fatimiten-Kalifen Hakem,
dem Perser Hamse und dem Türken Darasi gegründet; Hakem
war der politische Urheber, Hamse der geistige Ausgestalter, Darasi
der Erläuterer und Apostel. Hamse umgab sich mit vier Ge-
hilfen, denen er hochtrabende Namen beilegte. Sich selbst nannte
er bescheiden „Allgemeine Vernunft“, „Mittelpunkt“, „Messias
der Völker“, „Jesus", „der (mit dem Gott Hakem auf immer)
Vereinigte“. 159 Jünger sandte er als Missionäre aus.
Die Drasen bezeichnen ihre Religionsbücher als „die
Sitzungen der Herrschenden und ihrer gelehrten Männer“; die-
selben zerfallen in sechs Bände: 1. „Das Diplom“, 2. „Die
Widerlegung“, 3. „Das Erwachen", 4. „Der erste der sieben
Teile", 5. „Die Treppe“, 6. „Die Vorwürfe“. Im Jahre 1817
erhielten sie eine siebente Schrift, „Das Buch der Griechen",
von einem Christen, der vorgab, sie in einer ägyptischen Schule
gefunden zu haben.
Hakem gehörte zu den schlimmsten Ungeheuern der Welt-
geschichte. Er schw’dgte im Blutvergiefsen und in den grau-
samsten Verfolgungen. In Ägypten erbitterte seine Ketzerei die
Rechtgläubigen und seine Roheit das ganze Volk. Seine eigene
Schwester, Sitt-el-Mulk, stand an der Spitze der Unzufriedenen
und liefs ihn durch verläfsliche Meuchelmörder erdolchen, als er
seinen gewohnten Spazierritt auf einem w'eifsen Esel machte. Da
Sitt-el-Mulk aber nicht den Glauben an Hakems Göttlichkeit zer-
stören wollte, mufsten die Mörder den Leichnam entkleiden und
spurlos beseitigen, die Kleider aber so anordnen, als wenn Hakem
noch in ihnen steckte. Als der Kalif nicht zurückkehrte und
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Die Drusen.
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man Boten nach ihm aussandte, kamen diese mit der Meldung
zurück, dafs sie nur die Gewänder gefunden. Da wurde das
Märchen in Umlauf gesetzt, die Gottheit habe sich, um die
Traue ihrer Anhänger zu prüfen, unsichtbar gemacht und werde
die Abtrünnigen nach ihrer Rückkehr bestrafen. Die Drusen
erklären das Wunder damit, dafs der Leib aus einem Stoff be-
standen habe, zart genug, um ohne Öffnung oder Zerreifsung
der Kleider aus diesen fahren zu können. Die in den Gewändern
bemerkbaren Dolchstiche werden für geheimnisvolle Andeutungen
der Gottheit gehalten.
Hakem hinterliefs zwei Söhne, die jedoch von der Sekte
nicht als solche anerkannt wurden. Ali Efs Sahir, der seinem
Vater im Kalifat folgte, soll zu Hamse gesagt haben: »Verehre
mich, wie du meinen Vater verehrt hast.“ Die Antwort soll ge-
lautet haben: »Unser Herr ist weder gezeugt worden, noch hat
er gezeugt.“ - »Dann sind ich und mein Bruder illegitim?“
- »Du sagst es selbst“ In seinem Zorn liefs Ali die ägyp-
tischen Drusen massenhaft niedermetzeln, falls sie sich weigerten,
zum Islam zurückzutreten. Viele entflohen nach Syrien zu ihren
Religionsgenossen. Um das über Hakems Willkürherrschaft em-
pörte Volk zu versöhnen, gab Ali jeden Anspruch auf Göttlich-
keit und die damit zusammenhängenden »Rechte" auf.
Die Drusen anerkennen Hakem als ihren »Propheten“ und
glauben an die Seelenwanderung; doch dürfte das bei ihnen, wie
einst bei den Pythagoräern, nur eine Redewendung sein. Sie
haben sieben religiöse und sittliche Gebote, deren erstes die
Wahrheitsliebe betrifft. Hierunter versteht man die Liebe zum
Unitarismus und die Verabscheuung der Vielgötterei. Den
Religionsgenossen schuldet man Wahrhaftigkeit und Vertrauen,
Andersgläubigen gegenüber darf und soll man falsch sein. Es
bestehen drei Grade: die Profanen, die Kandidaten, die Weisen.
Wer dem zweiten angehört, kann auf Wunsch zum ersten zurück-
kehren, darf indes bei Todesstrafe keine Enthüllungen machen.
Es wird vielfach geglaubt, dafs die Drusen in ihren geheimen
Versammlungen einen Kalbskopf anbeten; in Wirklichkeit ist der
Kalbskopf bei ihnen wahrscheinlich kein Anbetungsgegenstand,
sondern das Sinnbild des bösen und falschen Prinzips Iblis, des
Nebenbuhlers und Feindes Hakems, denn ihre heiligen Schriften
sprechen sich an vielen Stellen scharf gegen jeden Götzendienst
aus, und da in ihnen überdies das Judentum, das Christentum
und der Mohammedanismus mit einem Kalb verglichen wird,
kann von Verehrung des Kalbskopfes wohl keine Rede sein.
Die Drusen sind auch beschuldigt worden, zügellose Orgien zu
feiern und sogar ihre eigenen Töchter zu heiraten. Allein unter
ihnen lebende Christen haben bezeugt, dafs der »Unitarier“ nach
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Ischmaeliten.
seiner Einweihung alle ausschweifenden Gewohnheiten aufgiebt.
Die »Weisen“ (Eingeweihten) werden »Ockals“ genannt und
bilden eine Art Priesterschaft; sie führen oft ein Einsiedlerleben,
wodurch sie grofse Verehrung und hohes Ansehen erlangen.
Die Drusen haben die Überlieferung, dafs zur Zeit des
Erscheinens Gottes in der Gestalt Hakems die Welt 3430 Millionen
Jahre alt war. Sie glauben, gleich den englischen und amerikanischen
Chiliasten, an das nahe Bevorstehen des goldenen Zeitalters.
Sprechen sie mit Mohammedanern, so geben sie sich für Moham-
medaner aus; im Gespräch mit Christen geben sie sich als
Christen. Sie erklären diese Täuschung damit, dafs es ihnen
verboten sei, irgend etwas von ihrer Religion einem „Schwarzen“
— so nennen sie die Ungläubigen — zu verraten. Aus diesem
Grunde haben sie Erkennungszeichen und Losungsworte ange-
nommen. Im Zweifelsfall frägt der Druse: »Säet das Volk in
deiner Landesgegend Balsamsamen?" Lautet die Antwort: »Ja,
er wird in die Herzen der Getreuen gesäet", so ist der betreffende
ein Glaubensgenosse; aus den Antworten auf weitere Fragen er-
giebt sich dann, ob es sich blofs um einen Kandidaten oder um
einen Eingeweihten handelt Die Zeichen und Erkennungsphrasen
mufsten wiederholt abgeändert werden, weil ihre Bedeutung den
»Schwarzen“ bekannt geworden war — insbesondre als 1838 das
grofse Einsiedlerdorf Badschada (bei Chasbaja) von den Truppen
Ibrahim Paschas zerstört wurde, wobei die heiligen Schriften dem
Feind in die Hände fielen, was ihr vielfaches Bekanntwerden zur
Folge hatte.
Jedes Dorf hat Versammlungsräume, in denen die »Weisen“
— Männer und Frauen — jeden Donnerstagabend behufs Be-
sprechung religiöser und politischer Angelegenheiten Zusammen-
kommen. Die gefafsten Beschlüsse werden den im Hauptort
jedes Bezirks abgehaltenen Bezirksversammlungen mitgeteilt, welche
ihrerseits an die allgemeine Versammlung berichten, die in der
Libanonstadt Baklin stattfindet. Die auf dieser Versammlung an-
wesenden Vertreter der Dörfer verkünden bei ihrer Rückkehr die
erzielten Entschließungen und Entscheidungen. Wir haben es da
mit einer Art Familienrat zu thun, nur dafs an demselben blofs
die Eingeweihten teilnehmen können, während die übrige Be-
völkerung nichts dreinzureden hat. Die bürgerliche Verwaltung
ruht in den Händen der Scheiks, die allesamt dem Emir des
Libanon unterstehen. Die Drusen sind kriegerisch und dennoch
arbeitsam. Sie liefern niemand aus, der bei ihnen Zuflucht
sucht. Interessant und löblich ist ihre Verachtung des Cylinder-
hutes, den sie wegen seiner Ähnlichkeit mit einem Kochtopf ver-
lachen. Nach Burckhardt (»Reisen in Syrien und Palästina")
lautet einer ihrer Flüche: »Möge Gott dir einen Hut aufsetzen!“
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Die Drusen.
109
Ihre Zahl überschreitet nicht fünfzig- oder sechzigtausend. Im
Libanon besitzen sie rund vierzig Städte und Dörfer, im Anti-
Libanon etwa achtzig Dörfer mit ausschliefslich drusischer Be-
völkerung; aufserdem giebt es im Libanon fast 230 Dörfer, in
denen Christen und Drusen vermischt wohnen.
Die Drusen haben oft mit der christlichen Nachbarsekte
der Maroniten Krieg geführt. Nach ihrem Stifter Maro (etwa
400 n. Chr. O.) so benannt, waren die Mitglieder dieser Sekte
ursprünglich monothelitische Flüchtlinge, die sich nach der Thron-
besteigung Anastasius II. im Libanongebiet niedergelassen hatten;
Anastasius verfolgte sie so lange, als die türkische Regierung die
Drusen begünstigte. Obgleich die Drusen weniger kriegerisch
sind, besiegten sie doch gewöhnlich die Maroniten; als jedoch
der herrschende Emir Bence-Schihab nebst seinen Angehörigen
vom Mohammedanismus zum Maronismus übertrat, gewannen die
Maroniten die Oberhand. Als diese 1 860 im Interesse der Ver-
breitung des Christentums den Drusen den Krieg erklärten, leistete
die Türkei den letzteren Beistand. Nachträglich freilich stellte
die Pforte sich auf die Seite der Maroniten, teils, weil Europa
auf den Schutz der Christen drang, teils, weil die Maroniten be-
reits so geschwächt waren, dafs die Pforte gern die günstige
Gelegenheit ergriff, um die Macht der Drusen ebenfalls nach
Möglichkeit zu brechen. Seither unterstehen die Drusen einem
türkischen Gouverneur, doch lehnen sie sich zuweilen gegen
ihn auf.
Es giebt noch eine syrische Sekte: die Ansairih oder Nu-
seirijeh. Ihr mystischer Name lautet »Ams“ und besteht aus den
Anfangsbuchstaben der von ihr angebefeten geheimnisvollen Drei-
faltigkeit Ali, Mohammed und Selman-el-Farsi. (Der letztere war
ein Jugendgenosse des Propheten.) Diese Dreiheit löst sich schliefs-
lich in Licht (Himmel), Sonne und Mond auf; das Licht ist un-
begrenzt, die Sonne geht aus dem Himmel (Licht) hervor, während
der Mond aus beiden hervorgeht. Die Religion der Ams besteht
zum grofsen Teil aus christlichen, jüdischen und mohammedanischen
Elementen, vermischt mit altsabäischen Überbleibseln. Manche
ihrer Lehren befürworten die ausschweifendsten Bräuche, ins-
besondre im Verkehr zwischen den Priestern und den weiblichen Gläu-
bigen. Ihrer Gottheit verleihen sie in den Gebeten seltsame Namen,
wie »Löwe", »Bienenfürst" oder »Ende der Enden". Näheres und
Verläfsliches über ihre Religion zu erfahren, ist sehr schwer, da
dieselbe ebenso geheim wie nebelhaft ist und von den wenigsten
ihrer Bekenner verstanden wird. Doch teilt Burckhardt einige
interessante, freilich hier nicht gut wiederzugebende Einzelheiten
mit. Die Zahl der Nuseirijeh beträgt etwa Zweimalhunderttausend;
ihr Name rührt von dem Sektierer Nusairi her.
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no
lschmaeliten.
Die Derwische.
Die Derwische oder Fakire bilden einen islamitischen Mönchs-
orden. Zwar untersagte Mohammed das Mönchswesen, aber den-
noch traten schon dreifsig Jahre nach seinem Tode Mönche auf
und jetzt soll es nicht weniger als 72 Orden geben; freilich
sind zwölf von diesen älter als der Mohammedanismus. Die
vier Hauptorden sind:
1. Die Rifadscheh, die schwarze Fahnen und schwarze oder
dunkelbraune Turbans tragen und sich mit Gaukelei (Schlangen-
bändigen, Feuerfressen, Dolchverschlucken u. dgl.) beschäftigen.
2. Die Haderidscheh meist Fischer — mit weifsen Fahnen
und Turbans. 3. Die Seid Bidani, gestiftet von Seid Achmed el
Bidani, dem bedeutendsten Heiligen der ägyptischen Moslims; sie
sind in mehrere Sekten zersplittert und ihr Beruf ist der von
Komikern oder Spafsmachern. Sie tragen eine absonderliche
Tracht und ihre Farben sind rot-weifs. 4. Die Seid Ibrahim, die
grüne Fahnen und Turbans tragen; alles, was man sonst noch
von ihnen weifs, ist, dafs sie in Alexandrien ein Kloster haben.
Die ägyptischen Derwische sind Schiiten, die türkischen da-
gegen Sunniten. Bemerkenswert ist, dafs rechtgläubige Männer
von hoher Stellung und grofser Intelligenz Derwische werden,
trotzdem die Ulemas Gegner der von ihnen für Ketzer gehaltenen
Derwische sind. Die einzige Erklärung hierfür läge darin, dafs
diese angesehenen Personen die persischen Sufih-Dichter lesen,
deren Lehre mit der der Derwische übereinstimmt: jene Form
des Spiritualismus, die auf den Pantheismus hinausläuft und lehrt,
dafs Gott in allen spirituellen Dingen ist eine Annäherung
an den buddhistischen Materialismus.
Die Derwische haben ihre »Pfade", die zumeist von zwölf
Offizieren geleitet werden, wobei der älteste »Hof“ die übrigen
überwacht. Der Herr des Hofes heifst »Scheik" und er hat
seine Vertreter und Kalifen. Der ganze Orden besteht aus vier
Graden, »Säulen" genannt. Der erste heifst »Menschheit" und
setzt »Auflösung in den Scheik" voraus. Im zweiten dem
„Pfad" erlangt der Anhänger die »Selbstvernichtung im Grün-
der des Pfades", im dritten („Kenntnis") das „Aufgehen in den
Propheten", d. h. die Inspiration. Der vierte Grad führt den Ein-
geweihten zu Gott, d. h. er wird ein Teil der Gottheit und er-
blickt diese in allen Dingen. Schliefslich kann der Scheik ihm
noch den Ehrentitel „Kalif" verleihen. Die im Orient weit-
verbreitete Meinung, dafs die Derwische mit den Freimaurern in
geheimer Verbindung stehen, ist selbstverständlich unsinnig.
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FÜNFTES BUCH.
KETZER UNP RITTER.
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Ketzer.
Übergang von den alten zu den neueren Einweihungen. — Geist der
alten und der neueren Geheimgesellschaften. — Die Adamiten. — Die
Circumcellier. — Die Albigenser, ihre Ziele und Glaubensartikel. Die
Katharer. — Ihre Lehren und Anschauungen. — Ihre Verfolgung. - Die
Waldenser. - Die Luziferianer. Ursprung der Teufelsapbetung. — Ver-
schiedene Sekten. — Die Religion der Troubadours. Schwierigkeit des
Verständnisses der Troubadours. — Grade und Liebeshöfe.
Bisher haben wir gesehen, dafs die Geheimnisse der Ge-
heimgesellsehaften und Geheimlehren nur den höheren Klassen
zugänglich waren, während den Massen die Wahrheiten vorent-
halten wurden, deren Enthüllung die Herrschaft der Herrschenden
geschädigt oder gefährdet haben würde. Unten bemerkten wir
Vielgötterei und Aberglauben, oben Theismus, Rationalismus, ab-
strakte Philosophie. Nunmehr gelangen wir zur Betrachtung
eines Zustandes des Übergangs von den alten zu den neueren
Einweihungen. Wir haben es da mit einer auffallenden sozialen
Erscheinung zu thun, die sich von allem, was uns im Altertum
begegnet ist, so sehr unterscheidet, dafs sie geradezu einen neuen
Ausgangspunkt bildet.
Die Geheimgesellschaften des Altertums waren theologischer
Natur und die Theologie lehrte oft Aberglauben; aber im
Innersten des Allerheiligsten belächelte sie das hintergangene Volk
und zog die besseren Geister, .die sich gegen das Joch der
Angst auflehnten, an sich, um sie in einen, freier Männer
würdigen Glauben einzuweihen. Da jene Theologie einerseits
nicht grausam war und andererseits Kunst und Wissenschaft
förderte, mag man ihr manches vergeben und hinter dem Fern-
halten der wahren Erkenntnis vom Volke nicht niedrige Berech-
nung suchen, sondern ehrliche Überzeugung oder höchstens kluge
Vorsicht. Die höheren Schichten der neueren Zeit haben keine
religiösen und politischen Geheimnisse, denn sie besitzen kein
Wissensvorrecht mehr, auch keine Einweihungsmysterien, die den
Kenntnisreicheren das Recht verleihen würden, sich zu den Mächt-
Heclccthorn-Katicher, Geheimbiinde u. Geheimlf hren. 8
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Ketzer und Ritter.
habern zu zählen. Daher sind die Geheimbünde der Übergangs-
zeit volkstümlich und religiös - natürlich nicht im Sinne der
offiziellen, sondern einer aufrührerischen und sektiererischen Kirche.
Da nun zu einer Zeit, in welcher das Ansehen der Kirche alles
überstrahlt und alle Adern des Staates mit Religion durchsetzt
sind, kein Wechsel ohne Ketzerei herbeigeführt werden kann,
mufs die Ketzerei notwendig den Grundzug jeder politischen oder
geistigen Auflehnung bilden. Die Ketzer bedienen sich des
Leugnens oder Verwerfens offizieller Glaubensartikel, um die
verhafste Pfaffenherrschaft zu stürzen und der bürgerlichen Frei-
heit die Wege zu ebnen.
Die erste Wiege der neuen Verschwörer war naturgemäfs
das Papsttum, aus dem sie schon sehr frühzeitig hervorgingen.
Im zweiten Jahrhundert erregten die Adamiten Aufsehen. Sie
behaupteten, durch den Tod Christi den Unschuldszustand er-
langt zu haben, in welchem Adam sich vor dem Sündenfall be-
fand, und sie wurden beschuldigt, bei ihren Versammlungen
ganz nackt zu beten. (Diese Sekte wurde im 1 5. Jahrhundert
von dem Vlämen Picard wieder ins Leben gerufen.) Mehr Be-
deutung hatten die Circumcellier, Ableger der Donatisten, d. h.
der Anhänger Donati, des schismatischen Bischofs von Karthago,
der bereits um 311 gegen die Verderbtheit der römischen Kirche
predigte. Die unerbittlichen Verfolgungen, welche die Anhänger
Donati zu erdulden hatten, machten viele derselben zu Fanatikern,
die bandenweise im Lande umherzogen (circum cellas), um
Reformen zu predigen, allerlei Unbill gutzumachen, Sklaven zu
befreien, Schuldforderungen zu erlassen u. s. w. - alles ohne
Vorwissen der Meistbeteiligten. Manche dieser Fanatiker wollten
durchaus Märtyrer sein und nahmen sich daher das Leben, indem
sie ins Feuer sprangen, sich die Kehle durchschnitten oder sich
in tiefe Abgründe stürzten. Nach dreizehn- bis vierzehnjährigem
Bestand wurde die Sekte von den weltlichen Behörden unter-
drückt Im 12. und 1 3. Jahrhundert gab es in Deutschland eine
Ketzersekte gleichen Namens, welche die Autorität der Päpste,
Bischöfe und Priester, sowie die Gültigkeit und Berechtigung des
Kirchenbannes leugnete.
Eine der ausgebreitetsten und thatkräftigsten Ketzersekten
war die der Albigenser, so genannt nach ihrem Hauptsitz, der
Stadt Albi, von wo aus sie sich über ganz Südfrankreich ver-
breitete. Ein Sprofs des Manichäismus, befruchtete sie ihrerseits
die Keime der Templer, der Rosenkreuzer und aller Vereinigungen,
die den Kampf gegen kirchliche oder staatliche Bedrückung fort-
setzten. Doch wich ihr Ziel von dem aller nachmaligen Sekten
insofern ab, als sie ihre Streiche ausschliefslich gegen das päpst-
liche Rom richtete, wie denn auch die an ihr mit Hilfe des
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Ketzer.
IIS
Staates genommene Rache echt päpstlich war in ihrer pfäffischen
Wut Die Albigenser, die man die Ohibellinen Frankreichs nennen
kann, verbanden sich mit allen romfeindlichen Elementen —
namentlich mit Friedrich II. und den Arragoniern — zur Ver-
fechtung der Rechte der weltlichen Herrscher gegen die Über-
hebungen des heiligen Stuhles. Dante, der von ihren kaiser-
freundlichen Lehren angekränkelt war, bildete demgemäfs einen
Gegenstand des welfischen Hasses.
Toulouse war das Rom der Albigenserkirche, die genau so
wie die offizielle ihre Seelenhirten, Bischöfe, Provinzial- und
Generalversammlungen hatte und um ihr Banner die Dissidenten
eines grofsen Teiles Europas scharte, die alle den Untergang
Roms und die Wiederherstellung des jerusalemitischen Reiches
anstrebten. Die Erhebung in der Provence wurde durch die
Umstände und Verhältnisse, unter denen sie stattfand, beträchtlich
begünstigt. Die Kreuzzügler hatten den morgenländischen Mani-
•chäismus neubelebt und Europa in unmittelbare Berührung ge-
bracht mit dem verkünstelten Griechenland wie mit dem moham-
medanischen und pantheistischen Asien. Der Osten steuerte
überdies Aristoteles und dessen arabische Erläuterer, sowie die
Spitzfindigkeiten der Kabbala bei. Die Philosophie, der Repu-
blikanismus und die Gewerbe griffen den päpstlichen Stuhl an.
Mehrere vereinzelte Aufstände hatten den allgemein herrschenden
Geist geoffenbart und Massenschlächtereien hatten ihn nicht kirre
gemacht. Der Rationalismus der Waldenser — auf die wir als-
bald zu sprechen kommen — verband sich mit dem deutschen
Mystizismus des Rheins und Hollands, wo die Arbeiter sich gegen
die Grafen und die Bischöfe erhoben. Thatsächlich fand jeder
Apostel, der Sittenreinheit, Geistesreligion und Urchristentum
predigte, Anhänger und das Jahrhundert des heiligen Ludwig
{Ludwig IX., 1226—70) war die Hauptzeit des Unglaubens im
Schofs der römischen Kirche.
Das albigensische Ketzertum machte an den Küsten des
Mittelländischen Meeres so grofse Fortschritte, dafs es von den
Kaisern und Fürsten offen begünstigt wurde und dafs mehrere
Länder sich von Rom lossagen zu wollen schienen. Nicht zu-
frieden damit, Rom bereits als gestürzt zu betrachten, wandten
sich die Albigenser plötzlich den Kreuzfahrern zu — in der
Hoffnung, Jerusalem in einen glanzvollen, mächtigen Nebenbuhler
Roms zu verwandeln, es zum Hauptsitz der Sekte zu machen,
das Urchristentum an seiner Urstätte wiederherzustellen und auf
Erden das himmlische Jerusalem zu errichten, mit Gottfried von
Bouillon als König. Denn es war Gottfried, der Rom mit Feuer
und Schwert überzogen, den »von Priestern gewählten" Gegen-
kaiser Rudolf erschlagen und den Papst aus der heiligen Stadt
s*
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Ketzer und Ritter.
vertrieben hatte, wofür ihn die Troubadours mit allen Attributen
der Reinheit, Frömmigkeit und Keuschheit überhäuften.
Obgleich — oder eigentlich weil — von Rom überwacht,
unterstützte Italien die neuen Lehren. Ein Hauptherd der
Katharer (=■ »die Reinen“) war Mailand, das 1166 in seiner
Bevölkerung mehr Ketzer als Katholiken zählte. Um 1 1 50 gab
es auch in Florenz schon Katharer und insbesondere das weib-
liche Geschlecht verschaffte der Sekte durch überaus eifrige
Propaganda in dieser Stadt eine so grofse Macht, dafs sie eine
Umwälzung zu Gunsten der Ghibellinen bewirken konnte. In
Orvieto (1 163), Verona, Ferrara, Modena etc. erlitten die Katharer
arge Verfolgungen. 1224 sammelten sich sehr zahlreiche Katharer
in Kalabrien, Neapel und selbst Rom an, aber am verbreitetsten
war die Sekte jedenfalls in Toskana und der Lombardei. 1307
verfolgte die Inquisition Dolcino, das Oberhaupt der katharistischen
Sekte der »Apostoliker" (so genannt, weil sie das. Christentum
der Apostel wiederherstellen wollten und den Sturz des damals
' höchst angefaulten Papsttums vorhersagten). Er flüchtete sich
mit 1400 Anhängern auf einen Hügel im Bezirk Vercelli; aber
sie wurden gefangen und getötet. Die Inquisition liefs Dolcino
Glied für Glied in Stücke reifsen und die Stücke nachher vom
Henker öffentlich verbrennen. Gegen diejenigen Apostoliker,
welche entwischt waren, ordnete der Papst eine Art Kreuzzug an,
dessen Teilnehmern er einen vollständigen Ablafs gewährte.
Fünfzehn Jahre später wurden dreifsig Apostoliker zu Padua auf
dem Marktplatz lebendig verbrannt.
Da die Katharer ihre Lehren streng geheim hielten — die
eigentlichen Ziele sogar den in die geringeren Grade Eingeweihten
gegenüber — wissen wir darüber nicht viel. Sie ähnelten , so
weit man sie kennt, teils denen der Manichäer, teils denen der
Albigenser. Sie glaubten an die Seelenwanderung, und zwar
sollten behufs Erlangung des »Lichtes« sieben Wandlungen er-
forderlich sein; doch dürfte das nur eine allegorische Redewendung
für ihre sieben Grade und das Ziel der Einweihung gewesen
sein. Die Entstehung der sichtbaren und der unsichtbaren Welt
schrieben sie zwei verschiedenen Schöpfern zu; die sichtbare sei
das Werk des bösen Geistes — weshalb sie die biblische
Schöpfungsgeschichte, den Glauben an die Menschwerdung Christi,
das Fegefeuer, die Hölle u. s. w. verwerfen mufsten. Sie neigten
dem Kommunismus zu, waren Gegner der Ehe, führten ein
arbeit- und sparsames Leben, übten Wohlthätigkeit, gründeten
Schulen und Krankenhäuser, machten zu Bekehrungszwecken weite
Land- und Seereisen, sprachen den Behörden das Recht zur Ver-
hängung der Todesstrafe ab und mifsbilligten den Selbstmord
durchaus nicht, ln der Mifsachtung des Kreuzes gingen sie den
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Ketzer.
117
Tempelrittern voran; sie konnten nicht begreifen, wie Christen
es über sich bringen können, den Todesbehclf ihres Erlösers
zu verehren, und sie hielten das Kreuz für das Sinnbild des bösen
Tieres der Apokalypse. Ihren Gottesdienst hielten sie in Wäldern,
Höhlen oder versteckten Thälern ab. Gegen sie erhob man, wie
im Lauf der Zeiten gegen die Mithraiten, die Urehristen, die
Gnostiker, die Juden, die irischen Katholiken, die christlichen
Missionäre in China etc., die Beschuldigung des Ritualmordes;
es hiefs, dafs sie Kinder verbrennen, die Sterbenden erdrosseln
oder aushungern und dergleichen Unsinn mehr. Sie besafsen
vier Sakramente und die »Tröstung“ bestand im Auflegen der
Hände oder in der Taufe durch den heiligen Geist, welche von
den Sünden lossprach und ewige Seligkeit sicherte. In Zeiten
der Verfolgung wurden die Feierlichkeiten abgekürzt und nachts
an verborgenen Plätzen abgehalten, wobei die brennenden Fackeln
die Feuertaufe versinnbildlichten. Zu den Einweihungsriten ge-
hörte das Vorlesen der ersten achtzehn Verse des Evangeliums
Johannis. Zur Erinnerung an seine Einweihung erhielt der
männliche Neuling ein unter dem Hemd zu tragendes Kleidungs-
stück aus Leinen oder Schafwolle, der weibliche einen Gürtel,
der ebenfalls auf dem blofsen Leibe getragen wurde.
Die bereits erwähnte Sekte der Waldenser (Vaudois) ent-
stand im zwölften Jahrhundert und verdankte ihre Gründung dem
reichen Lyoner Bürger Peter Waldo (oder Waldus), einem Ab-
kömmling jenes Lyoner Thomas Waldus, der zu den ersten ge-
hörte, die die Lehren der römischen Kirche öffentlich verwarfen.
Ihre Bestrebungen glichen vielfach denen der Albigenser. Von
der offiziellen Kirche verfolgt, breitete sie sich über einen grofsen
Teil von Europa aus. Im dreizehnten Jahrhundert hetzte der Papst
ihr einen Kreuzzug an den Hals - vergeblich. Zur Zeit der
Reformation rechnete man die Waldenser zu den Protestanten;
doch unterschieden und unterscheiden sie sich von diesen in vielen
Glaubenspunkten und bilden noch heute eine besondere Sekte.
Es giebt ihrer in vielen Teilen Europas; im Königreich Sardinien
wurde ihnen erst 1848 die Gleichberechtigung mit den Katholiken
gewährt. Nach Rulman Merswin (1370-80) gab es zu seiner
Zeit eine in den Schweizer Bergen verborgen lebende Waldenser-
gerneinde, die sich »Gottes Freunde“ nannte. Auch die Ana-
baptisten, die Lollarden, die Begharden und die Beguinen waren
Ableger oder Ausläufer der Waldenser.
Aus den Katharen gingen die Luziferianer hervor, die
»Teufelsanbeter" (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen
Sekte, die unter Theodosius dem Grofsen vom Bischof von Cagliari,
Luzifer, gegründet wurde und kurze Zeit bestand). Diese ost-
frieständische Sekte, welche im zwölften oder dreizehnten Jahr-
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Ketzer und Ritter.
hundert ins Leben trat, entstand dadurch, dafs die Ostfriesländer,
als sie sich weigerten, dem Bischof von Bremen Zehnten zu
zahlen, einfach für Ketzer erklärt wurden. Der ob seiner
Heuchelei und Grausamkeit berüchtigte Konrad von Marburg
ergriff die Partei der Kirche und schickte dem Papst einen blöd-
sinnigen Bericht, den Gregor IX. für bare Münze nahm und
zum Gegenstand seiner Bulle von 1233 machte. Wir lassen
hier den wesentlichsten Inhalt des in der Bulle wiedergegebenen
Berichts folgen:
Bei der Einweihung eines Kandidaten liefsen ihm die Luzi-
ferianer zunächst einen Frosch oder eine Kröte — manchmal so
grofs wie eine Gans, noch öfter wie ein Backofen ! ! — erscheinen,
dessen Zunge und Speichel er mit dem Munde aufsaugen mufste.
Sodann erschien ihm ein bleicher Mann aus Haut und Knochen;
er mufste ihn küssen, wodurch er jede Erinnerung an den
katholischen Glauben verlor. Ferner kam aus einer Bildsäule
heraus ein schwarzer Kater, dessen Hintern alle Anwesenden
küfsten. Nunmehr wurden die Lichter ausgelöscht und die
schlimmsten Ausschweifungen begangen. Nach dem Wiederan-
zünden der Kerzen erschien ein Mann, dessen Oberleib die
Sonne an Glanz übertraf, während der Unterleib dem einer
Katze glich. Dieser Mann empfing ein abgerissenes Stück der
Kleidung des Neueingeweihten als Unterpfand dafür, dafs derselbe
fürder ihm angehöre. Diese Sekte huldigte der Ansicht, dafs
Gott Luzifer ungerechterweise in die Hölle verbannt habe und
dafs der Satan schliefslich wieder in seinen einstigen Zustand der
Glorie und des Ruhmes werde eingesetzt werden.
Es ist Thatsache, dafs im dunklen Mittelalter die von welt-
lichen und kirchlichen Unterdrückern grausam gequälten, plan-
mäfsig an Aberglauben gewöhnten Massen, wenn sie sich von
den Göttern und den Heiligen verlassen sahen , sich in ihrer
Verzweiflung manchmal um Schutz an den Teufel wandten und
dafs so allmählich eine Art Teufelsanbetung entstand. Wie die
frommen »Ewigen Evangelisten", glaubten denn auch die Luzi-
ferianer an die dereinstige Wiedereinsetzung des Teufels; alles
andere aber ist Unsinn — ersonnen, um die Sekte zu schädigen.
Soviel man weifs, hatten die Luziferianer Erkennungszeichen
und Losungsphrasen. Sie pflegten einander mit den Worten zu
begrüfsen: »Luzifer, dem Unrecht geschah, griffst dich.“ Um
von ihren Versammlungen Uneingeweihte fernzuhalten, fragten
sic jeden Eintretenden: »Stechen die Dornen heute?" Natürlich
konnten nur die Eingeweihten die richtige Antwort geben. Die
Zusammenkunftsorte hiefsen »Keller der Reue». Schon am Ende
t es dreizehnten Jahrhunderts war es der römischen Kirche ge-
lungen, die Sekte gänzlich auszurotten.
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Ketzer.
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Es gab noch viele andere Ketzersekten, deren Namen ent-
weder von dem ihrer Stifter oder von dem ihrer Entstehungsorte
herrührten: die Messalianer, die Bogumilen, die Kainianer, die
Enkrafiten u. s. w.; doch spielten sie keine besondere Rolle. Sie
alle lieferten jahrhundertelang der offiziellen Kirche, namentlich
der Inquisition, zahlreiche Opfer für Scheiterhaufen und Folter-
kammer. Mit der Beschuldigung der Ketzerei wurde sehr oft
die der Hexerei verbunden. Thomas Stapleton, der unter Königin
Elisabeth nach Holland auswanderte, um der Verfolgung durch
die Katholiken zu entgehen, schrieb ein Buch über die auffallend
grofse gleichzeitige Zunahme der Geistlichkeit und des Hexen-
wesens und nannte diese beiden »Obel“ die »Zwillingskinder
des Teufels". Lange galt es für verdammenswerte Ketzerei,
nicht an Hexerei und Zauberei zu glauben.
Die ohnehin vorhandene Freundschaft zwischen den Albi-
gensern und den Troubadours wurde durch die Verfolgungen
nur noch gekräftigt. Sie sangen und kämpften für einander und
ihr Gesang erstickte auf den flammenden Holzstöfsen. Wir gehen
wahrscheinlich nicht fehl, wenn wir die Troubadours als die
Organisatoren jener ausgedehnten Verschwörung gegen die römische
Kirche betrachten — als die Bahnbrecher einer Erhebung, die
nicht auf schnöden Ehrgeiz und materielle Interessen, sondern
auf eine Religion der Liebe gerichtet war. Die provenqalischen
Troubadours sind uns heute allerdings fast unverständlich und wir
wissen die ihnen gewidmeten Lobpreisungen Dantes, Petrarcas
und Chaucers nicht mehr zu würdigen; aber es sei fern von
uns, ihre Begeisterung für Wahnsinn zu halten oder ihnen die
Erfolge abzusprechen, die sie zweifellos errangen. Wir thun wohl
am besten, anzunehmen, dafs diese Ketzerpioniere, an dem klaren
Ausdruck ihrer Gedanken verhindert, dieselben in dunkler, ver-
steckter Weise zur Darstellung brachten, wie denn wohl auch
die prunkvollen und feierlichen Liebeshöfe darauf berechnet waren,
das wachsame Auge der päpstlichen Inquisition über die »Logen“
der Albigenser hinwegzutäuschen. Derlei ist auch zu politischen
Zwecken wiederholt geschehen. Immerhin gab es auch Trouba-
dours und Minnesänger, die offen gegen die Mifsbräuche der
Kirche und den sittenlosen Lebenswandel der Geistlichkeit auf-
traten; so z. B. Walther von der Vogelweide, Peter Cardinal u. a.
Die Ergüsse der Troubadours waren stets an eine Dame gerichtet,
die aber nie genannt wurde; doch war das Geheimnis nur ein
scheinbares, denn die angerufene Geliebte war, wie Dantes
Beatrice, nur das Sinnbild der gereinigten Religion der Liebe,
als Jungfrau Sophia personifiziert.
Die Troubadours hatten vier Grade, aber der »Roman der
Rose" spricht von drei und vier Graden, was abermals die ge-
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Ketzer und Ritter.
heimnisvolle Siebenzahl ergiebt. Die soeben genannte Dichtung
schildert ein Schlofs mit siebenfachen Mauern und zahlreichen
sinnbildlichen Gestalten, deren Bedeutung man erklären können
mufste, um ins Schlofs eingelassen zu werden. Die Troubadours
hatten ihre geheimen Erkennungszeichen. Was die vorhin bereits
erwähnten Liebeshöfe betrifft, so waren die darin unter umständ-
lichen Zeremonien zuerkannten Grade leichtfertiger und unsitt-
licher Natur, folglich mit den reinen Sitten der Albigenser un-
vereinbar. Wir dürfen deshalb wohl annehmen, dafs sich hinter
diesen galanten Spielereien weit ernstere Dinge verbargen. Ist
es nicht bemerkenswert, dafs diese Liebeshöfe und die Trouba-
dours überhaupt gleichzeitig mit den Albigensern verschwanden ?
Militär und Religion.
Die Gralsritter gaben vor, das Gefäfs der Wahrheit zu
suchen , welches einst das Blut des Erlösers enthielt Das war
nur ein bildlicher Ausdruck für das Bestreben, der christlichen
Kirche wieder ihre apostolische Gestalt zu verleihen und die
treue Befolgung der Vorschriften des Evangeliums herbeizuführen.
Die Ritter safsen an einem runden Tisch (Tafelrunde), an dem
es keinen ersten und keinen letzten gab. Ihre Zulassung erfolgte
erst nach vielen schweren Erprobungen. Die Zahl ihrer Grade
betrug zuerst drei, später sieben und nach der vermutlichen Ver-
schmelzung mit den Albigensern, Templern und Ghibellinen drei-
unddreifsig. Die Hauptgrade waren : Page, Schildknappe, Ritter,
und als die drei wichtigsten militärisch-religiösen Orden jener
Zeit müssen die Tempelherren, die Johanniter (Malteser) und die
Deutschen Ritter bezeichnet werden.
Die Ordensritter waren die militärischen Apostel und
Missionäre der Religion der Liebe, stolze soldatische Troubadours,
die, um das Banner des Rechts und der Gerechtigkeit geschart,
gegen die ungeheuerlichen Mifsbräuche der Pfaffenwirtsehaft
kämpften, die »Witwe11 (die gnostische Kirche?) trösteten, die
»Söhne der Witwe“ — d. h. die Anhänger Manes' — beschützten,
sowie Riesen, Drachen, Inquisitoren und Kirchenmänner besiegten.
Die gewaltige Stimme des rasenden Roland, welche den Granitfelsen
der Berge Sprünge beibrachte, ist die Stimme jener sogenannten
Ketzerei, die ihren Weg nach Spanien fand und dem Ausspruch
Ludwigs XIV., dafs es keine Pyrenäen mehr gebe, zuvorkam.
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Militär und Religion.
121
Selbstverständlich sprechen wir hier nicht von dem Rittertum der
Feudalzeiten, sondern von dem romfeindlichen Rittertum, das aus
dem Schofse des Manichäismus und Katharismus hervorging.
Aber schon zu jener Zeit handelte die römische Kirche nach
dem Grundsatz, zu lenken, was sie nicht unterdrücken konnte;
und da sie vor dem Spiritualismus dem ritterlichen ebenso
wie dem mystischen oder dem platonischen — mit Recht grofse
Furcht hatte, leitete sie seinen Strom, statt gegen ihn schwimmen
zu W'ollen, mit viel Schlauheit in Betten, in denen er dem Papst-
tum nicht nur nicht schadete, sondern geradezu aufserordentlich
nützte.
Die Dichter der Tafelrunde- und Grals-Romantik wraren
wohlvertraut mit den gallischen Dreiheiten, den keltischen Sagen
und den Geheimnissen der theologischen Lehren der Barden.
Diese Romantik hatte ihren Ursprung in den Erscheinungen der
natürlichen Welt und der heilige Gral war nur eine verkleinerte
Arche Noäh. Die Geliebte der Ritter war in der Anfangszeit
des Rittertums die Jungfrau Sophia, d. h. die personifizierte
Philosophie. Die bei den Einweihungsriten gebrauchten Rede-
wendungen und geleisteten religiösen Gelübde, das Haarschneiden
der Ritter und viele andere Umstände beweisen die Irrigkeit der
Annahme, die „Liebe" des Rittertums sei eine irdische -- wenn-
gleich noch so edle und vergeistigte - gewesen.
Ganz besonders gilt dies von dem Orden der Freiwilligen
Ritter, dessen Satzungen gar sehr denen der Templer und
Johanniter ähnelten. Das war der religiöseste aller Ritterorden;
seine Mitglieder afsen nur zweimal täglich, tranken blofs Wasser
und führten überhaupt einen streng soliden Lebenswandel. Ihre
Kleidung war dreifarbig und die Farben waren dieselben, die
Dante an Beatricens Kleidung bemerkte. Abgesehen von ihren
besonderen Pflichten, waren sie allen Regeln des Rittertums unter-
worfen; sie mufsten die Schwachen gegen die Starken schützen,
Ruhestörungen wettmachen und die apostolische Religion ver-
teidigen. Es heifst, dafs sie sich ein Abzeichen ihrer Verbrüderung
auf den rechten Arm einbrannten ; doch ist das vielleicht blofs eine
Versinnbildlichung der Taufe durch das Feuer und den heiligen
Geist, die zu den wesentlichsten Riten der Religion der Liebe
gehörte.
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Ketzer und Ritter.
Die Tempelherren.
Stiftung des Ordens. Seine Eide und Gelübde. Seine Anfänge. —
Sein Banner. — Sein Reichtum. — Die Komtureien. — Der Pariser Temple.
Beschuldigungen und Angriffe. — Hinterlistiges Verfahren dem Grofs-
meister gegenüber. Einkerkerungen und Anklagen. - Verbrennung zahl-
reicher Ritter. Jacob von Molay. — Geheimnisse der Templer. - Ein-
weihung. Erklärung des Verfluchens und Bespeiens des Kreuzes. —
Angebliche Ausschweifungen. —Die Templer Gegner der römischen Kirche.
— Baphomet. — Unterdrückung des Ordens und Verwendung seines
Vermögens.
Die Gründung des Templerordens erfolgte 1118 und zwar
baute man ihn teilweise auf einen älteren Orden auf, wie aus
einer in der Louvre-Bibliothek befindlichen Handschrift hervor-
geht, die den Titel führt: „Nostes sur les freres mages, ecristes
par un contemporain des Chevaliers Templiers qui en estes."
in dem genannten Jahr traten neun tapfere und fromme Ritter
zur Bildung eines Bundes zusammen, der die Merkmale des
Mönchs- mit denen des Ritterwesens vereinigen sollte. Sie
wählten zur Schutzherrin »die süfse Mutter Gottes", verpflichteten
sich, nach den Regeln des heiligen Augustin zu leben und
schworen, ihre Arme, ihre Schwerter, ihr ganzes Leben der Ver-
teidigung der Geheimnisse des christlichen Glaubens zu weihen,
dem Grofsmeister unbedingten Gehorsam zu leisten, um Christi
willen nötigenfalls jederzeit sich jeder Gefahr auszusetzen und
selbst einer dreifachen feindlichen (ungläubigen) Übermacht nicht
zu weichen. Sie gelobten ferner Keuschheit und Armut und ver-
sprachen, weder zu einem andern Orden überzugehen, noch
einen fufsbreit Landes abzutreten. König Balduin II. wies ihnen
einen Teil seines Palastes in der Nähe der Tempelkirche an,
deren Abt ihnen einen die beiden Gebäude verbindenden Weg
iiberliefs. Demgemäfs nannten sie sich »Tempelmilitär“.
Während der ersten neun Jahre lebten sie in so grofser
Armut, dafs die zwei eigentlichen Stifter, Hugo von Payens und
Gottfried von Saint-Omer, zusammen blofs ein Schlachtrofs be-
sagen — ein Umstand, der auf dem Ordenssiegel durch die
Darstellung zweier auf einem Streitrols sitzenden Ritter verewigt
erschien. Bald bestätigte Papst Honorius den Orden, als dessen
Hauptkleidungsstück er einen weifsen Mantel vorschrieb, dessen
Brustteil später auf Anordnung Eugens III. mit einem roten
Kreuz versehen wurde. Das Ordensbanner — aus schwarz und
weifs gestreiftem Tuch — hiefs „beauseant" (= die altfranzösische
Bezeichnung für „Schecken") und dieses Wort wurde zum Kriegs-
ruf der Templer. Auf dem Banner erschien nebst einem Kreuz
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Die Tempelherren.
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die lateinische Inschrift: »Nicht uns, o Herr, gieb Ruhm, sondern
Deinem eigenen Namen.“
Der Orden breitete sich immer mehr aus und zahlreiche
mächtige Fürsten schenkten ihm grofse Besitzungen und sonstiges
beträchtliches Eigentum. König Alfons von Arragon und Navarra
machte die Templer sogar zu seinen Erben, doch verweigerte
das Land die Bestätigung dieser Schenkung. Es dauerte nicht
lange und der Orden war die reichste Körperschaft Europas;
er brachte es in Asien, Afrika und Europa auf rund neun-
tausend Komtureien mit dem für jene Zeit geradezu ungeheuer-
lichen Jahreseinkommen von 112 Millionen Francs. Morgen-
ländische Komtureien gab es in Jerusalem, Tripolis, Antiochien
und auf Cypem, abendländische in Portugal, Kastilien, Leon,
Arragonien , Frankreich , Flandern , den Niederlanden, England,
Schottland, Irland, Deutschland, Italien und Sicilien.
Solange Jerusalem in den Händen der Christen war, blieb
diese Stadt der Hauptsitz des Ordens; später wurde derselbe
nach Paris verlegt und zwar in den eigens erbauten historischen
»Temple.« Dort fand Philipp der Schöne i. J. 1306 Zuflucht
und Schutz, als ein Volksaufstand gegen ihn ausgebrochen war;
der habsüchtige König erwies sich, wie wir alsbald sehen werden,
den Rittern gegenüber undankbar, die unvorsichtig genug ge-
wesen sein sollen, ihm ihre unermefslichen Schätze zu zeigen.
Bekanntlich diente derselbe Riesenbau während der grofsen Revo-
lution als Gefängnis für Ludwig XVI. Erst vor kurzer Zeit
wurde der »Temple“ niedergerissen.
Am Ende des 12. Jahrhunderts zählte der Orden etwa
dreifsigtausend Mitglieder, zumeist Franzosen, weshalb denn auch
der Großmeister gewöhnlich ein Franzose war. Die Templerflotte
monopolisierte den Levantehandel und dem Orden standen im
Orient überall grofse Streitkräfte zur Verfügung. Von der ur-
sprünglichen Armut und Demut war keine Rede mehr. Palästina
war für die Christen verloren, ohne dafs die Templer sich um
die Wiedereroberung bemühten ; dagegen zogen sie ihre nur für
den Dienst Gottes bestimmten Schwerter häufig in den Fehden
und Feldzügen der Länder, die sie bewohnten. An die Stelle
der Frömmigkeit traten bei ihnen Stolz und Anmafsung. Der
sterbende Richard Löwenherz sagte: »Ich überlasse die Habgier
den Cisterciensern, den Luxus den Bettelmönchen, den Stolz den
Tempelrittern.“ Vielleicht war es übrigens weniger Stolz als
Machtbewufstsein , zuweilen wohl auch nur berechtigtes Selbst-
gefühl. Die englischen Templer hatten zu Heinrich III. gesagt:
»Du wirst König bleiben, solange Du gerecht sein wirst.“ In
Kastilien verbanden sie sich mit den Johanniter-Rittern gegen den
König. Ob sie aber wirklich, wie es heifst, die Errichtung eines
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Ketzer und Ritter.
grofsen abendländischen Reichs oder gar eine Weltherrschaft an-
strebten - wie der deutsche Ritterorden, die Malteser-Ritter oder
die Jesuiten von Paraguay — ist sehr zweifelhaft, da sie (die
Templer) zu sehr verstreut waren, uni sich mehr als eines
einzelnen Staates bemächtigen zu können; wie hätte der Orden
eine Aufgabe bewältigen sollen, für welche nicht einmal die
Truppenmacht Karls des Grofsen genügte? Begründeter waren
die Beschuldigungen, dafs der Orden durch seinen Wettkampf
mit den Johannitern das Königreich Palästina gefährdete, mit
Ungläubigen Bündnisse schlofs, Cypern und Antiochia bekriegte,
König Heinrich II. von Jerusalem entthronte, Griechenland und
Thrakien verwüstete, jeden Beitrag zum Lösegeld für den heiligen
Ludwig verweigerte, sich für Arragon und gegen Anjou erklärte
(in den Augen des Königs von Frankreich ein unverzeihliches
Verbrechen!) u. s. w. In den Augen dieses Königs war jedoch
das gröfste Verbrechen des Ordens sein grofser Reichtum und
deshalb sann er auf dessen Untergang.
Philipp der Schöne brauchte nämlich dringend Geld, und
zwar viel, sehr viel Geld. Der Sieg von Mons war ärger gewesen
als eine Niederlage, ein wahrer Pyrrhussieg, denn er hatte
ihn zu Grunde gerichtet. Der König mufste Guyana wieder
abtreten und stand im Begriff, Flandern zu verlieren. Wegen
einer neuen Steuer war in der Normandie ein Aufstand aus-
gebrochen, sodafs er sie aufheben gemufst. Die Bevölkerung
der Hauptstadt hegte gegen die Regierung eine so feindselige
Gesinnung, dafs Versammlungen von mehr als fünf Personen
verboten wurden. Philipp zerbrach sich den Kopf darüber, wie
unter solch schwierigen Verhältnissen Geld zu beschaffen wäre.
Bei den Juden war nichts mehr zu holen, denn mittels Kerkers,
Geldstrafen und Folterungen hatte man ihnen bereits alles erprefst.
Da konnte nur irgend eine umfassende Güter-Einziehung helfen ; aber
es mufste eine sein, welche die Klassen, von denen die Macht
des Königs abhing, nicht nur nicht vor den Kopf stofsen, sondern
sie auch noch in den Glauben versetzen sollte, es handle sich
lediglich um die Bestrafung von Übelthätern gegen die Gesetze
des Staates und die Gebote der Religion — beileibe nicht um
schnöde Geldsucht. So veranlagte denn Philipp der Schöne die
Verleumdung der Tempelherren durch Schriften, in denen ihnen
Ketzerei, Ungläubigkeit und allerlei schwere Verbrechen vor-
geworfen wurden. Grofse Wichtigkeit mafs man den Beschuldi-
gungen bei, welche zwei Renegaten erhoben, deren einer als
Templer vom Grofsmeister wegen vieler Missethaten zu lebens-
länglichem Kerker verurteilt worden war, aber die Flucht er-
griffen hatte.
Jetzt forderte Philipp den Papst (Klemens V.), dem er zum
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Die Tempelherren. IIS
heiligen Stuhl verholfen hatte, auf, die fünfte der Bedingungen
zu erfüllen, unter denen er dies gethan. Die ersten vier Be-
dingungen hatte der König sofort genannt, die Nennung der
fünften aber hatte er sich für eine geeignete Zeit Vorbehalten,
und zweifellos dachte er hierbei an die Ausrottung des Templer-
ordens. Der erste Schritt des heiligen Vaters war, den Grofs-
meister, Jakob von Molay, nach Paris zu locken, und zwar durch
die Vorspiegelung, dafs es sich um eine Beratung über Mafs-
regeln zur Wiedererlangung Palästinas handle. Der Grofsmeister
kam thatsächlich 1307 aus Cypem in Begleitung von sechzig
Rittern nach Paris und brachte 1 50000 Goldgulden und zwölf
Pferdeladungen Silber mit sich. Diesen Schatz verwahrte er im
„Temple“. Der tückische König wiegte ihn in Sicherheit, indem
er ihn mit der ausgesuchtesten Aufmerksamkeit behandelte, ihn
zum Taufpaten eines seiner Söhne machte und ihn bei der
Leichenfeier seiner Schwägerin einen Zipfel des Bahrtuches tragen
liefs. Aber sehr bald liefs er ihn und sein ganzes Gefolge ver-
haften und sandte an die mafsgebenden Provinziaibehörden den
geheimen Befehl, am 13. Oktober 1307 alle Tempelherren im
ganzen Lande zu ergreifen und ihr Eigentum einzuziehen. Dem-
gemäfs wurden Tausende von Rittern eingekerkert.
ln dem Verfahren, welches man gegen den Orden einleitete,
erhob man die folgenden Anklagen: Verleugnung Christi, der
Mutter Gottes und der Heiligen; Anspeien und mit Füfsen treten
des Kreuzes; Anbetung - in einer finstern Höhle — , eines
Götzen in Gestalt eines, mit einer alten Menschenhaut bedeckten
Mannes mit zwei glänzend leuchtenden Karfunkeln statt der
Augen; Salbung dieses Götzen mit dem Fett gerösteter Kinder;
Verehrung desselben als des höchsten Gottes; Anbetung des
Teufels in Gestalt einer Katze; Verbrennung der Leichen der
Ordensritter und Verabreichung der Asche — mit Speisen und Ge-
tränken vermengt - an die jüngeren Templer. Ferner wurden
die Ritter mancherlei widernatürlicher Verbrechen, furchtbarer
Ausschweifungen und abergläubischer Scheufslichkeiten beschul-
digt, die nur von Tollhäuslern begangen werden könnten und
die nur in unwissenden, blöden Hirnen Raum finden. Behufs
Erzielung von Geständnissen wurden die Unglücklichen gefoltert,
und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch in England,
denn Eduard II. vereinigte sich mit Philipp zur Vernichtung des
Ordens. Viele Ritter machten , um nicht länger gemartert zu
werden, Scheingeständnisse, zahllose andere starben unter der
Folter, ohne etwas zu gestehen, während noch andere sich im
Gefängnis das Leben nahmen oder selbst aushungerten.
Der schändliche Prozefs dauerte jahrelang und die Ver-
folgung erstreckte sich bald auch auf andere Länder. Auf
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Ketzer und Ritter.
Cypem, in Deutschland und Spanien wurde der Orden gänzlich
freigesprochen. In Italien, England und Frankreich schien er
eine Zeit lang günstige Aussichten zu haben, denn der Papst
begann, sich auf seine Seite zu stellen, weil es den Anschein
hatte, als wollten Philipp der Schöne und Eduard II., die den
gesamten französischen und englischen Besitz der Templer an
sich gerissen hatten, den heiligen Vater um seinen Anteil an dem
Raub betrügen. Da die Könige ihm jedoch nachträglich
wieder Zugeständnisse machten, liefs er die Templer im Stich.
Freilich beklagte er sich schliefslich darüber, dafs sein Anteil zu
gering ausgefallen sei.
Eine grofse Anzahl von Rittern wurde hingerichtet. Eines
Tages führte man ihrer 59 auf die Felder hinter dem Pariser
Antoniuskloster, wo Scheiterhaufen errichtet worden waren. Man
bot den Bedauernswerten die Begnadigung an für den Fall, dafs
sie gestehen sollten; aber kein einziger gestand und so wurden
sie alle langsam geröstet, ln Senlis wurden neun Templer ver-
brannt, anderwärts ebenfalls viele. Der Orofsmeister blieb 5 */»
Jahre lang eingekerkert — zweifellos unterwarf man ihn wieder-
holt der Tortur — bis er schliefslich am 18. März 1313 nebst
dem Grofs-Präzeptor des Ordens, Guy, den Feuertod erlitt;
beide beteuerten bis zum letzten Augenblick die Falschheit der
gegen die Templer erhobenen Beschuldigungen.
Selbtverständlich legen wir wenig Gewicht auf gewaltsam
erprefste Geständnisse und auf Anklagen aus Rache, Habgier
oder Unterwürfigkeit; aber dafs die Satzungen, Glaubenslehren
und Riten des Templerordens gewisse Geheimnisse und Be-
sonderheiten aufwiesen, die sie von den Anschauungen, Dogmen
und Zeremonien der anderen religiös-militärischen Vereinigungen
beträchtlich unterschieden, liegt auf der Hand. Der lange Aufent-
halt in Palästina, das von aus Konstantinopel vertriebenen schis-
matischen Griechen und Ketzern wimmelte; der Wettkampf mit
den Johannitern; die Berührung mit den Sarazenen; der Verlust
des heiligen Landes, der die Templer zum Müfsiggang ver-
urteilte und ihnen in den Augen der Welt schadete; all dies und
noch manches andere trug zur Umgestaltung des Ordens in
einer Weise bei, die mit seiner ursprünglichen Verfassung im
Widerspruch stand. So vermengten sich im Lauf der Zeit mit
den anfänglichen Ideen und Bräuchen neue, die im Widerspruch
standen mit der strenggläubigen Denkungsart, welcher diese
militärische Religionsbrüderschaft ihre Entstehung und Stärke zu
verdanken hatte.
Während die »Kirche“ das Haus Christi genannt werden
kann, war der »Tempel“ das Haus des heiligen Geistes. Die
Templer erbten ihre Religion von den Manichäern, den Albigen-
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Die Tempelherren.
127
sem und anderen Sekten mit ritterlichem Charakter. Ihre Ein-
weihungsbräuche, ihre Denkmäler u. s. w. bewiesen das Vorherrschen
der Religion des Geistes in den Geheimlehren des Tempels.
Was die Art der Einweihung betrifft, so ist oft behauptet
worden, sie habe nächtlicherweile in Gegenwart des Ordens-
kapitels unter strengem Ausschlufs aller Laien stattgefunden, sei
von zügellosen Riten begleitet gewesen und der Aufnahme-
bewerber habe das Kreuz — für das so viele Templer ihr Leben
gelassen hatten - verleugnen, verfluchen und anspeien müssen.
Höchst wahrscheinlich war die letztere Beschuldigung einigermafsen
begründet, doch giebt es für diesen Brauch eine Erklärung, und
zwar die folgende.
Eine solche Mifshandlung des Kreuzes darf nicht Wunder
nehmen in einem Zeitalter, in welchem man Kirchen in Theater
verwandelte, heilige Dinge durch groteske Darstellungen ent-
weihte und die Mysterien des Altertums Christus und den
Heiligen zu Ehren nachahmte. Man denke auch an die erstaun-
lichen Scenen, die nachmals in den Heiligenschauspielen dar-
gestellt wurden. Nun denn, der Bewerber um den Templergrad
wurde zuerst als ein Sünder, ein schlechter Christ, ein Abtrünniger
eingeführt, der seine scheinbare Schlechtigkeit, seine Verleugnung
Christi u. s. w. häufig dadurch bekundete, dafs er das Kreuz
anspie. Der Orden nahm es auf sich, den Sünder zu bessern
und ihn desto höher zu erheben, je tiefer sein Fall gewesen.
So simulierte beim Fest der Idioten der Kandidat einen Zustand
der Blödheit und der Erniedrigung, aus dem ihn die Kirche
befreien sollte. Anfangs richtig aufgefafst, wurden diese Komödien
später falsch ausgelegt und erregten Anstofs bei den Gläubigen,
denen der Schlüssel des Rätsels fehlte. Die Templer hatten bei
sich ähnliche Zeremonien eingeführt. Sie waren Sprossen der
Katharer und der Manichäer. Die Katharer aber mifsachteten das
Kreuz und hielten es für ein Verdienst, dasselbe mit Füfsen zu
treten. Bei den Templern war dieser Brauch, wie aus ihrem
grofen Prozefs hervorging, nur eine Versinnbildlichung des drei-
mal wiederholten Verrates des heiligen Petrus.
Was die Beschuldigung lasterhafter Übungen im Ritus
betrifft, so ist sie entweder gänzlich unwahr oder nur von ein-
zelnen Örtlichkeiten und Graden wahr. Aus den Gerichts-
verhandlungen ergab sich, dafs viele Ritter von den Bräuchen,
deren man sie beschuldigte, nicht einmal gehört, die Baphomet-
büste (vgl. weiter unten) niemals gesehen hatten und nie auf-
gefordert worden waren, sich an Zügellosigkeiten zu beteiligen.
Wenn vereinzelte Ritter Ausschreitungen verübten, so durfte man
diese nicht dem ganzen Orden zur Last legen. Übrigens waren
in jenen Zeiten widernatürliche Verbrechen so verbreitet, dafs
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Ketzer und Ritter.
selbst die wirkliche Verübung solcher durch die Templer hätte
milde beurteilt werden müssen. Mufste doch z. B. damals jeder
Bewerber um einen Bischofssitz beschwören, sich weder der
Nonnenverführung, noch der Sodomie, noch der »Bestialität“
schuldig gemacht zu haben. Alle gegen die Templer erhobenen
Anklagen waren vorher gegen die Katharer, die Albigenser und
die Johanniter erhoben worden, und Papst Klemens V. erliefs
vier Tage nach der Bulle, mittels welcher er den Templerorden
unterdrückte, eine andere, in der er zugab, daß das ganze Beweis-
material gegen den letzteren lediglich auf Verdächtigungen hinaus-
gelaufen sei.
Übrigens mag die eventuelle Mifshandlung des Kreuzes
und die dadurch bewirkte Verewigung des Verrates Petri noch
einen ganz besonderen Grund gehabt haben. Die gnostischen und
kabbalistischen Sinnbilder, die auf und in Templergrabstätten
entdeckt worden sind, bekräftigen die Thatsache, dafs der Orden
sich während und infolge seines langen Aufenthalts im Orient
den Lehren der Gnostiker und Manichäer näherte, welche ihm
minder arg erschienen als die der päpstlichen Kirche. Auch
kannte er den Mifserfolg, den die Verkündigung der Kreuzigung
Christi in Athen hatte (und zwar wegen des Aeschylosschen
Trauerspiels »Der besiegte Prometheus"; vergl. den Abschnitt
»Christliche Mysterien"). So mochte er denn auf den Gedanken
gekommen sein, dafs Christus, gleich den übrigen ähnlichen
Gottheiten , nur ein von der Kirche vielfach mifsbrauchtes
religiöses und dichterisches Sinnbild der Sonne sei, und daher
mochte er Peter verleugnet und sich an Johannes gehalten haben
— ein geheimes Schisma, das nach einigen Schriftstellern ebenso
sehr wie der grofse Reichtum des Ordens zu dessen Verbot
durch den heiligen Stuhl geführt haben soll.
Diese Erklärung liefert auch einen Schlüssel zu der Be-
deutung und dem Namen des Götzen, den die Tempelherren
angeblich anbeteten. Es war das ein Mann mit langem, weifsem
Bart. Man nannte , ihn „Baphomet“ und dieser Name hat den
Scharfsinn vieler Kritiker auf die Probe gestellt, aber die einzige
erwähnenswerte Erklärung seiner Bedeutung ist die Nicolaische,
wonach das Wort aus dem griechischen ßaipi) /ir/nc (= »Taufe der
Weisheit") entstand und das Bildnis Gott darstellte, den »all-
gemeinen Vater“. Was die Bedeutung des Kopfes betrifft, so
war er sicherlich eines der gnostisch-kabbalistischen Symbole,
die die Templer angenommen hatten. Die Kabbalisten pflegten
Gott an und für sich durch ein bartloses, den schöpferischen Gott
durch ein bärtiges Haupt darzustellen; jenes versinnbildlichte die
Unveränderlichkeit, dieses das stetige Wachstum. Den Templern
symbolisierte die Büste den einzigen Gott; wenn der Hierophant
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Die Tempelherren.
129
sie den Neueingeweihten zeigte, sprach er das arabische Wort
»jalla* aus (= »das Licht Gottes») und der Neuling wurde
als »Freund Gottes" angesprochen. Da nun aber damals das
Leugnen der Dreifaltigkeit mit Folterung und Verbrennung bestraft
wurde, behandelten die Templer die Sache begreiflicherweise
aufserst geheim.
Durch eine vom 6. Mai 1312 datierte päpstliche Bulle
wurde der Templerorden unterdrückt. König Philipp und
Klemens V. rissen das bewegliche Vermögen der Tempelritter in
ihren Staaten an sich. Den übrigen französischen und italienischen
Besitz erhielten die Johanniter - sehr wider den Willen Philipps,
der sich aber schadlos hielt, indem er ihnen so hohe Abgaben
und Strafgelder auferlegte, dafs sie fast ganz verarmten. Ein
Teil der deutschen Besitzungen wurde dem deutschen Ritterorden
zugewiesen, die spanischen (17 Städte und Schlösser) benutzte
der König zur Gründung des Ordens unsrer lieben Frau von
Montesa, der den Zweck hatte, die Mauren zu bekämpfen. Der
König von Portugal unterdrückte den Orden nicht, sondern
änderte seinen Namen in »Christusorden“ ab. Dieser besteht
noch heute und hat seit 1789 drei Klassen: Grofskreuz, Komtur
und Ritter.
Heckethorn~Katscher, Geheimbünde u. Geheimlehren.
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SECHSTES BUCH.
GEHEIMGERICHTE. .
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Die heilige Feme.
Entstehung und Zweck. — Gerichtsstellen. — Einrichtungen und Benen-
nungen. -- Sprache und Vorschriften. — Gerichtsverfahren. — Vollstreckung
der Urteile. — Verfall des Bundes. — Das Küssen der Marienstatue.
Die unter dem Oesamtnamen -.Heilige Feme" bekannten
westfälischen Geheimgerichte entstanden in der %'on Gewaltthätig-
keit und Zügellosigkeit erfüllten Zeit, welche Deutschland nach
der Ächtung Heinrichs des Löwen durchmachte, also etwa um
die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Die Macht des Kaisers
war tief gesunken, die kaiserlichen Gerichte funktionierten nicht
mehr, das Recht war der Gewalt gewichen, die Feudalherren be-
drückten das Volk aufs ärgste. Die Ergreifung der Schuldigen
ohne Ansehen der Person und ihre Bestrafung ohne vorherige
Verständigung von dem ihnen drohenden Schicksal - das war
Zweck und Daseinsgrund der Heiligen Feme. Dieser Geheim-
bund betrachtete sich als ein Werkzeug der öffentlichen Rache
behufs Züchtigung von Verbrechern und erfreute sich der gröfsten
Achtung seitens des leidenden Volkes. Auf dieser Achtung beruhte
das Ansehen der gerichtlichen Gesellschaft.
Romanschreiber haben die Feme mit Dunkel, Geheimnis und
Entsetzen umgeben; gewifs ist denn auch, dafs sie später ent- und
ausartete. Anfänglich jedoch bildete sie, wie eine unbefangene '
Forschung lehrt, lange den besten, vielleicht den einzigen guten
Gerichtshof des Landes, und ihre einzige Heimlichkeit bestand
in der Schnelligkeit, mit der sie Verbrechen entdeckte und ihre
Urteile vollzog. Ihre Verhandlungen wurden viel häufiger unter
freiem Himmel abgehalten als in unterirdischen Gewölben oder
trüb erleuchteten Höhlen, ln Dortmund gingen sie sogar auf
dem Marktplatz, in Nordkirchen auf dem Kirchhof vor sich.
Mit Vorliebe hielt man sie unter Bäumen oder in nächster Nähe
von Bäumen ab. Sie fanden nicht nachts, sondern morgens
bald nach Tagesanbruch statt.
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Geheimgerichte.
Das Thätigkeitsgebiet der Feme beschränkte sich auf West-
falen, welches damals das ganze Land zwischen dem Rhein und
der Weser, zwischen Hessen und Friesland umfafste. Das Wort
»Vehm» oder „Feme“ stammt nach Leibniz von „fama" (das
auf der Volksstimme beruhende Recht). Aber das eigentliche
Wurzelwort dürfte das altdeutsche »fern“ (= Verurteilung) sein.
Dazu kommt, dafs das altdeutsche »Fern» eine geschlossene
Gesellschaft oder etwas Abgesondertes bedeutete; so z. B. hiefsen
die behufs Mästung beiseite gethanen Schweine „Femschweine“
und das ihnen aufgedrückte Unterscheidungszeichen nannte man
»Femmal“. Um sich nun von anderen Gesellschaften zu unter-
scheiden, legte sich der Bund der Freien Richter den Namen
»Heilige Feme“ bei. Seine Gerichtshöfe hiefsen auch »Fem-
dinge“, »Freistühle", »heimliche Gerichte“, »heimliche Achten",
»heimlich beschlossene Achten», »verbotene Gerichte“.
Jedermann hatte das Recht, eingeweiht zu werden. Ein in
Dortmund entdeckter Femkodex, dessen Lektüre den Uneinge-
weihten bei Todesstrafe verboten war, spricht von drei Graden:
»Stuhlherren“, »Schöppen» und »Fronboten“. Es gab zweierlei
Verhandlungen: das »offenbare Ding" und die »heimliche Acht.“
Um etwaige Warnungen von in contumaciam Verurteilten durch
Unbefugte zu verhüten, hängte man jeden bei einer geheimen
Verhandlung betroffenen Uneingeweihten sofort. Die Bundes-
mitglieder nannten sich » Wissende ». Die Feme bestrafte
Vergehen gegen den christlichen Glauben, das Evangelium
und die Zehn Gebote. Von ihrer Gerichtsbarkeit ausgeschlos-
sen waren Weiber, Kinder, Geistliche, der Hochadel, Juden
und Heiden.
Die Bundesgenossen hatten vermutlich eine Geheimsprache;
wir dürfen das aus den Anfangsbuchstaben S.S.S.G.G. schliefsen,
welche sich in den im Herforder Archiv aufbewahrten Fern-
schriften finden und denen von einigen Gelehrten die Bedeutung
»Stock, Stein, Strick, Gras, Grein» zugeschrieben wird. Bei
Mahlzeiten sollen die Mitglieder sich dadurch zu erkennen ge-
geben haben, dafs sie die Spitze ihres Messers dem Rand und
die Zinken der Gabel der Mitte des Tisches zukehrten. Die
Eidschwüre glichen an Furchtbarkeit denen der höheren Grade
der Freimaurerei, und Genossen, die sich als falsch erwiesen,
erlitten einen schrecklichen Tod. Jeder Eingeweihte mufste u. a. be-
schwören, die Feme vor allem zu beschützen, was von der Sonne
beschienen oder vom Regen durchnäfst oder zwischen Himmel
und Erde gefunden wird; keinen Verurteilten von der über ihn
verhängten Strafe zu verständigen; nötigenfalls selbst die eigenen
Eltern und andere Verwandte zur Anzeige zu bringen; sich bei
Eidbruch dem Fluch aller aussetzen und sich sieben Fufs höher
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Die heilige Feme.
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als üblich hängen lassen zu wollen. Eine Eidesformel, die man
aus dem Dortmunder Stadtarchiv kennt und die der Kandidat
barhaupt, knieend und mit zwei Fingern der rechten Hand auf
dem Schwerte des Vorsitzenden aussprechen mufste, lautete wie
folgt: „Dafs ich nunmehr will die Fern bewahren, hüten und
halten für mich, für Wasser und Feuer, vor Sonn, vor Mond,
vor Stern, vor Laub, vor allen Kreaturen, und vor alle dem,
das Gott zwischen Himmel und Erden je hat werden lassen . . .
Und das er soll fürbringen für diesen freien Stuhl, will er nicht
lassen, weder durch Lieb noch um Leid, noch um Gold und
Silber und Edelgestein, um Vater, Mutter, noch um Schwester,
Bruder, noch um keinerlei Ding, das Gott hat lassen werden,
und will füro stärken die Fern und das Gericht und diese vor-
benannte Punkten alle nach meiner Macht und möge halten,
dafs mir Gott helfe und alle Heiligen.“
Was das Gerichtsverfahren betrifft, so wurde es mit der
von einem Freischöppen vorgebrachten Anklage eingeleitet. So-
dann erfolgte die Vorladung des Angeschuldigten; wehe dtm Un-
gehorsamen! Bundesgenossen wurden sofort in geheimer Ver-
handlung abgeurteilt, während Uneingeweihte zunächst vors offene
Gericht kamen, welches sie dann dem geheimen überwies. Die Vor-
ladungen mufsten auf Pergament geschrieben und mit mindestens
sieben Siegeln versehen sein. Der ersten und dritten Vorladung
mufste man binnen sechs Wochen und drei Tagen, der zweiten bin-
nen sechs Wochen nachkommen. War der Aufenthaltsort eines An-
geklagten unbekannt, so wurde die Vorladung an einem Kreuz-
weg angebracht oder am Fufs eines Heiligensta'ndbildes oder an
einer Armenbüchse in der Nähe eines Kruzifixes oder einer
Kapelle an der Landstrafse befestigt. Handelte es sich um einen,
sein eignes befestigtes Schlofs bewohnenden Ritter, so sollten
die betr. Schöppen unter irgend einem Vorwand in das ge-
heimste Gemach der Burg dringen und die Vorladung an den
Mann bringen; nötigenfalls genügte es jedoch, wenn sie sie ans
Thor befestigten, die Schildwache hiervon verständigten und vom
Thor drei Spähne abhauten, die ihnen dem Freigrafen gegenüber %
als Beweis für die Erfüllung ihrer Aufgabe dienten.
Wer keiner der drei Vorladungen nachkommen konnte oder
wollte, wurde auf Grund der Vorschriften des »Sachsenspiegels“
in contumaciam verurteilt. Jeder Ankläger hatte sieben Zeugen
mitzubringen, die aber nicht über den Thatbestand, sondern
über die Glaubwürdigkeit des Anklägers aussagen mufsten. Eine
solche gleichmäfsige Aussage von sieben Personen genügte zur
sofortigen Verurteilung des Angeschuldigten zur Reichsacht und
zum Tode.
Der Hals des Verurteilten wurde zum Halfter, sein Leib
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Geheimgerichte.
zum Verzehrtwerden durch Vögel oder Raubtiere verdammt, sein
Hab und Gut für verfallen, sein Weib als Witwe, seine Kinder
als Waisen erklärt. Er selbst war nunmehr „fern bar", d. h.
durch die Feme strafbar, und wenn drei Eingeweihte ihm wo
immer begegneten, hatten sie das Recht und die Pflicht, ihn an
den nächsten Baum zu knüpfen. Dem Gerichtshof safs der Frei-
graf vor, auf dessen Tisch ein entblöfstes Schwert und ein Halfter
aus Weidenzweigen lag. - Erschien jedoch ein Angeklagter, so
durfte er, ebenso wie sein Ankläger, dreifsig Zeugen stellen;
beide konnten sich durch Sachwalter vertreten lassen und nötigen-
falls an das allgemeine Kapitel des Geheimgerichts der Reichs-
kammer zu Dortmund Berufung einlegen. Jedem endgültigen
Todesurteil folgte die Hinrichtung durch Aufknüpfung auf dem
Fufse. Nach der Verurteilung übergab der Freigraf dem An-
kläger ein mit seinem Siegel versehenes Schriftstück, dessen er
sich bedienen konnte, wenn er zur Vollstreckung des Urteils der
Hilfe anderer bedurfte; jeder „Genosse“ mufste ihm dann bei-
stehen, und wäre es selbst gegen die eigenen Eltern. Der Um-
stand, dafs die Verurteilung durch die Feme erfolgt war, wurde
dadurch bekundet, dafs man in den Baum, an den der Ange-
klagte gehängt worden, ein Messer steckte. Leistete das Opfer
Widerstand, so erstach man es mit Dolchen und liefs einen
Dolch im Körper stecken.
Den in contumaciam Verurteilten spürten ohne deren Kennt-
nis mindestens hunderttausend Eingeweihte nach. Niemand durfte
das Urteil verraten; wer es that, beging Hochverrat und ver-
wirkte das Leben. Nur der Kaiser war des Geheimnisses entbunden.
Schon durch die Andeutung, „auch anderswo sei gutes Brot zu
haben“, setzte man sich der Todesstrafe aus. Kein Wunder,
dafs die Feme grofsen Schrecken verbreitete. Ihre Vorladungen
waren gefürchteter als selbst die des Kaisers. 1470 wurde so-
gar auch der letztere von drei Freigrafen vorgeladen ; er erschien
zwar nicht, trat aber auch nicht gegen die Kühnen auf. All-
mählich hörte die Feme auf, ein guter Ersatz für öffentliche
Unbill zu sein. Durch die Zulassung ungeeigneter Elemente zur
Mitgliedschaft und durch den Mifsbrauch des Vorladungsrechtes
verfiel der Bund der Entartung. Später durch Ruprecht und die
Arensberger Reformen umgestaltet und durch die Osnabrücker
Vorschriften in ihrer Macht beschränkt, bestand die Feme noch
längere Zeit mit geringer gewordenen Mifsbräuchen weiter; allein
die vortrefflichen bürgerlichen Einrichtungen Maximilians und
Karls V., das Schwinden des Geistes der Zügellosigkeit, die
Einführung des römischen Rechts und die Ausbreitung des Pro-
testantismus trugen dazu bei , die Bevölkerung mit Abneigung
gegen die ihr jetzt im Lichte der Barbarei erscheinende Geriehts-
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Die Beati Paoli.
137
barkeit der Heiligen Feme zu erfüllen.1) So starb diese lang-
sam ab und ihre letzte Verhandlung fand 1 568 zu Celle statt.
Doch blieben noch Spuren zurück, bis endlich 1811 die fran-
zösisch-westfälische Gesetzgebung den letzten Freistuhl (den von
Gemen) aufhob.
Einer Überlieferung zufolge wurden viele der von der
Feme zum Tod verurteilten Personen durch das »Küssen der
Marienstatue" hingerichtet. Das Gericht beauftragte das Opfer,
das in einem Kellergewölbe untergebrachte bronzene Standbild
der Heiligen Jungfrau zu küssen. Bei der ersten Berührung
öffnete sich die riesige Statue mittels einer Flügelthür und der
Unglückliche wurde durch einen Mechanismus hineingeschoben,
worauf sich die Thür wieder schlofs. Das enge Innere war mit
scharfen, spitzen Pflöcken, Nägeln und Klingen besät, die den
Verurteilten zerstachen und zerschnitten, während eine Vorrich-
tung an der Thür ihm die Augen zerstörte. Nach kurzer Zeit
öffnete sich eine Fallthür, durch welche er in eine cylindrische
Vorrichtung fiel, in der er von scharfen Messern noch ärger zu-
gerichtet wurde. Dann fiel er in noch zwei, immer engere
Cylinderpaare, die ihn in kleine Stückchen zerhackten, welche
schliefslich in einen Bach fielen, der sie wegschwemmte.
Die Beati Paoli.
Diese siciliaijische Gesellschaft hüllte sich in so dichtes
Geheimnis, dafs wir nur äufserst wenig von ihr wissen. Nicht
nur auf Sicilien erregte sie Schrecken, sondern auch in Kalabrien,
wo sie zuerst entdeckt und von den Lehnsmännern, die ihre
Macht durch sie bedroht sahen, in grausamer Weise unterdrückt
wurde. Der beim Volk sehr beliebte Bund, welcher den Über-
griffen des Königtums und des Adels entgegenarbeitete, vergafs
sich zuweilen, verlor die Selbstbeherrschung und machte sich
verwerflicher Handlungen schuldig — ganz wie die Heilige Feme,
') Was die Mifsbräuche betrifft, so findet man das Beste darüber
in Theodor Lindners erschöpfendem Buch, das nicht weniger als 670 eng-
bedruckte Seiten umfafst. Er hebt namentlich hervor, dafs hochstehende
oder einflufsreiche Verurteilte es in ihrer Macht hatten, das Femurteil
durch einen andern Freistuhl aufheben zu lassen, und dafs der Bestand
der Feme vielen Schurken Gelegenheit gab, ehrliche Menschen ins Un-
glück zu stürzen. An der Ftand amtlicher Urkunden weist Lindner nach,
dafs es zur Blütezeit der Feme mit der öffentlichen Ordnung am aller-
ärgsten bestellt war. Er meint, dafs die Feme später die Rechtsprechung
nur noch mehr verwirrte, statt sie zu verbessern und zu klären.
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138 Geheimgerichte.
mit der er auch in Verbindung stand. Aber obgleich seine
Satzungen denen der westfälischen Vereinigung ähnelten, ist sein
eigentlicher Ursprung in jener geistig- religiösen Bewegung zu
suchen, die wir im V. Buch geschildert haben und aus welcher
die romfeindliche Thätigkeit der Albigenser und vieler anderen
Ketzersekten hervorging. Einer jener Ketzer war der Abt Gio-
achimo oder Giovacchino, dessen Weissagungen und seltsame
Aussprüche sich in Johannes von Parmas Buch »Das ewige
Evangelium“ wiederfinden, an welches sich die sicilianischen
Geheimrichter zu halten pflegten. Dieses Sammelsurium von
gnostischen und kabbalistischen Absonderlichkeiten *) wurde von
den Beati Paoli dem Alten und dem Neuen Testament vorge-
zogen. Statt an den Dualismus Gott-Teufel zu glauben, machten
sie Gott zum Schöpfer des Obels und des Todes — des Übels,
weil er den geheimnisvollen Apfel in den mystischen Garten
(Paradies) gelangen liefs; des Todes, weil er die Sintflut an-
ordnete und Sodom und Gomorrha zerstörte.
Fast alles, was wir über die Beati Paoli wissen, verdanken
wir dem im Jahre 1 840 veröffentlichten und noch wenig bekannt
gewordenen Bericht eines sicilianischen Schriftstellers. Derselbe
ist sehr interessant und sei hier auszugsweise mitgeteilt:
»Anno 1185, bei der Hochzeitsfeier der Prinzessin Kon-
stanze von Sicilien, die den nachmaligen Kaiser Heinrich VI.
heiratete, wurde das Dasein einer neuen, lästerlichen Sekte ent-
deckt, die sich »Rächer« nannte und in ihren nächtlichen Ver-
sammlungen jedes unter dem Vorwände des Gemeinwohls be-
gangene Verbrechen guthiefs. Der König ordnete eine strenge
Untersuchung an; das Oberhaupt, ein gewisser Arnulf aus Ponte
Corvo, wurde verhaftet und nebst seinen Hauptmitschuldigen
zum Henkertod verurteilt, während die minder Schuldigen mit
Brandmarkung davonkamen. Das gemeine Volk glaubt, dieser
geheime Rächerbund bestehe noch heute auf Sicilien und ander-
wärts, und zwar unter dem Namen »Beati Paoli". Einige Elende
gehen selbst soweit, diese frevelhafte Gesellschaft zu lobpreisen.
Besonders viele Mitglieder hatte sie in Palermo, darunter den
am 17. Dezember 1704 gehenkten Josef Amatore und den am
') Johannes von Parma lebte im 12. Jahrhundert und sein genanntes
Buch wurde 12S8 auf Anordnung Papst Alexanders IV. öffentlich ver-
brannt. — Der Cistercienserabt Gioachimo genofs den Ruf eines grofsen
Propheten; Richard I. jedoch, der seine Bekanntschaft gesucht hatte, er-
klärte ihn nach längerem Gespräch für einen »müfsigen Schwätzer“ und
keine seiner Weissagungen in betreff der Ereignisse im Heiligen Land
ging in Erfüllung. Doch scheint er nicht unbegabt gewesen zu sein.
Er schrieb viele theologische Werke und Dante erwähnt ihn im 12. Ge-
sang des »Paradieses“.
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Die Beati Paoli.
t39
27. April 1725 Hingerichteten Rechnungsrevisor Oirolanio Am-
mirata. Die meisten Mitglieder endeten böse: entweder durch
die Hand der Gerechtigkeit oder durch die Dolche ihrer eigenen
Bundesgenossen. Das letzte Mitglied war der berüchtigte paler-
mitanische Fuhrmann Vito Vituzzo, der dem Galgen entging,
weil er rechtzeitig vom Übclthun abliefs und nachmals den
ganzen Tag in einer Kirche verbrachte, was ihm den Spitznamen
»Kirchenmaus“ eintrug. Die Lehrmeister der schändlichen Beati
Paoli waren abtrünnige Ketzer, die da behaupteten, dafs die
Macht des Hohepriestertums ihnen durch die Offenbarung eines
Engels übertragen worden sei. Das Haus, in welchem sie ihre
Versammlungen abhielten, steht noch jetzt in der Canceddistrafse,
und ich habe es besucht. Durch einen Thorweg gelangt man
in einen Hof, unterhalb dessen sich das einstige Zusammen-
kunftsgewölbe befindet, welches durch ein im Pflaster angebrach-
tes Gitter das Tageslicht empfängt. Am Fufse der Treppe sieht
man einen Steinaltar, neben diesem eine kleine, finstere Kammer
mit einem steinernen Tisch, auf dem die mörderischen Richter
ihre Urteile ausfertigten. Die ziemlich grofse Haupthöhle ist
mit steinernen Wandbänken und mit Verschlagen für die Waffen
versehen. Die Versammlungen wurden nachts bei Kerzenlicht
abgehalten. Die Ableitung des Namens »Beati Paoli“ [wörtlich
»gesegnete Paulusse“) ist unbekannt. Wahrscheinlich hiefs der
Gründer der Sekte Paul oder er nahm diesen Namen als den
eines Heiligen an, der vor seiner Bekehrung ein Mann des
Schwertes war".
Trotz der schlimmen Meinung, die der Verfasser dieses
Berichtes von dem Geheimbund hat, scheint dieser dereinst eine
nützliche Thätigkeit entfaltet zu haben, denn noch jetzt hört man
nicht selten einen Sicilianer, der eine Unbill erlitten hat, wegen
welcher er sich nicht an die ordentlichen Gerichte wenden kann,
ausrufen: »Ja, w-enn die Beati Paoli noch bestünden!"
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140
Geheimgerichte.
Die Inquisition.
Hohes Alter der geistigen Inquisition. — Gründung der formalen Inqui-
sition. — Das Konzil von Tours. — Dominique de Guzman. — Die .Miliz
Christi." — Ausbreitung der Inquisition. — Torquemada. - Umfang der
Thätigkeit. — Gerichtsverfahren. — Beschaffenheit der Kerker. — Nicht-
Öffentlichkeit der Verhandlungen. — Folterung ohne Blutvergiefsen. —
Der Inquisitionspalast. — Die Folterkammer. — Allerlei Folterungsarten. -
Verurteilung und Hinrichtung. — Autodafe-Umzug. — Peter Ärbues. —
Die Judenaustreibung. — Die Nachfolger Torquemadas. — Philipp II. und
die Inquisition. — Die Inquisition unter Philipp III., Philipp IV. und
Karl II. — Aufhebung der Inquisition durch Napoleon I. — ihre Wieder-
einführung. — Ihre endgültige Beseitigung. — Der falsche Nuntius in
Portugal. — Reinwaschungsversuche.
Zwar nicht der Form, wohl aber dem Geiste nach bestand
die Inquisition seit den ältesten Zeiten des Christentums. Die
sogen. Kirchenväter hörten nicht auf, das Gift ihres Fanatismus
gegen Andersgläubige zu verspritzen. Nicht selten lagen sie sich
auch gegenseitig in den Flaaren und manchmal würden sie,
wenn es in ihrer Macht gestanden hätte, gewifs mit Vergnügen
Ketzerverbrennungen vorgenommen haben. Als Konstantin »der
Grofse" (!) die christliche Kirche allmächtig gemacht hatte, be-
gann die Ketzerriecherei Triumphe zu feiern, indem es zu wirk-
lichen Hinrichtungen kam; der Gnostiker Priscillian wurde z. B.
auf Anstiften des Heiligen Augustinus im Jahre 385 in Trier vom
Leben zum Tode befördert. Die nächsten sechs Jahrhunderte
waren zu sehr mit Kriegen und politischen Ränken erfüllt, als
dafs man Zeit gehabt hätte, sich um die »Ketzer« zu kümmern.
Vom 8. bis zum 1 1 . Jahrhundert gab es übrigens wohl über-
haupt keine. Als jedoch Hildebrands päpstliches System zur
vollen Ausgestaltung gelangte und sich unterfing, alles religiöse
Denken beherrschen zu wollen, erhob sich viel Widerspruch,
d. h. »Ketzerei" und damit begannen die Ketzerverfolgungen
von neuem. Die Entscheidung Papst Urbans II., dafs die Er-
mordung einer mit dem Kirchenbann behafteten Person kein
Verbrechen bilde, wurde zum bürgerlichen Gesetz erhoben ; des-
gleichen die Lehre des Heiligen Augustin, dafs die Ausrottung
der Ketzer der Kirche gegenüber Pflicht und an den Ketzern
selber ein gutes Werk sei. Der „engelgleiche Doktor,“ Thomas
von Aquino (1 224 — 74), legte die Worte des Apostels, dafs man
den Umgang mit zweimal ermahnten Ketzern meiden solle, dahin
aus, die beste Art der Vermeidung bestehe in der Verbrennung!
Diese Lehren fanden bei den Königen und der Geistlichkeit so
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Die Inquisition.
14t
viel Anklang, dafs die Zahl der lebendig Verbrannten eine immer
gröfsere wurde.
1 163 tagte zu Tours ein Konzil, das der Inquisition greifbare
Gestalt verlieh, um »die verfluchte Ketzerei, die sich in der Um-
gebung von Tours zeigte, mit aller Strenge der Kirchengesetze
zu unterdrücken - eine Pflicht der Bischöfe.“ 35 Jahre später
schickte Innocenz 111. die ersten Wander-Inquisitoren nach Frank-
reich mit der Vollmacht, über Ketzer zu Gericht zu sitzen.
Weltliche und kirchliche Fürsten sollten diesen Richtern dazu
verhelfen, »die Füchse (Waldenser, Katharer, Patarini) einzu-
fangen, die der Satan zur Verwüstung des Weinberges des Herrn
ausgesandt hat." Die »Hilfe“ war eine ungemein kräftige und
die beiden Inquisitoren konnten daher eine umfassende Thätig-
keit als Ketzerverbrenner entfalten. Aber nicht nur in Frank-
reich, sondern überall, wo die Hand der Päpste sie erreichen
konnte, wurden Ketzer verfolgt, namentlich in Italien, wo z. B.
der berühmte Arnold von Brescia im Gefängnis erdrosselt und
dann öffentlich verbrannt wurde, weil er gegen die Verbrechen
des Heiligen Stuhls gepredigt hatte.
Den Anstofs zur Einrichtung der eigentlichen (»Heiligen“)
Inquisition gab die Ermordung Peters von Castelnau durch die
Albigenser, gegen die er predigte. Sobald sein Tod ruchbar
wurde, sprach man ihn heilig und das vierte lateranische Konzil
(1228) genehmigte und organisierte auf Vorschlag Honorius' II.
die Inquisition, deren Grundgedanke von Dominique de Guz-
man, dem Stifter des Dominikanerordens, herrührte. Das Konzil
befahl, dafs jeder Ketzer dem Arm der Gerechtigkeit ausgeliefert
und sein Vermögen zu Gunsten der Kirche eingezogen werde.
Der Papst forderte die Monarchen auf, alle Ketzer aus ihren
Staaten zu vertreiben, widrigenfalls er die letzteren jedem be-
liebigen Eroberer überantworten werde. Wer Ketzer irgendwie
begünstigte oder in sein Haus aufnahm, sollte in Bann gethan
und ehrlos erklärt werden, nicht erben können und kein christ-
liches Begräbnis erhalten. Guzman, der sich auf seine Domini-
kaner wegen ihres allzu gewalttätigen und daher leicht schäd-
lichen Fanatismus nicht genügend verlassen zu können glaubte,
richtete eine besondere »Miliz Christi“ ein, eine Art Religions-
polizei, die sich aus allen Gesellschaftsklassen vom Hochadel bis
zum Strafsenräuber zusammensetzte. Diese unsichtbar wirkende
Denunziantenbande, in der Narren und Verbrecher die Haupt-
rollen spielten, bildete das geheime Element der Inquisition und
sie leistete Entsetzliches.
Zunächst hauptsächlich in Spanien thätig (seit 1233), machte
die Inquisition bald auch in Italien und Deutschland Fortschritte.
Anno 1308 verfolgte sie den Templerorden aufs grausamste.
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Geheirngerichte.
1415 verbrannte sie in Konstanz Johannes Hufs. Überhaupt
gab es immer mehr öffentliche Verbrennungen, namentlich in
Spanien. Hier blieb sie lange auf Arragonien beschränkt. Aber
Ferdinand führte sie 1481 auch in Kastilien und allmählich in
allen seinen Staaten ein. Er hatte guten Grund, sie zu begün-
stigen. War er doch immer geldbedürftig und die Inquisition
bot ihm ein Drittel des Erlöses alles eingezogenen Eigentums
an; auch versprach sie ihm einen grofsen Teil der Reichtümer
der spanischen Juden. Dazu kam, dafs sie ihn insgeheim von
vielen der jederzeit gegen ihn verschwornen arragonischen und
kastilischen Adeligen befreite und dafs er — Ferdinand — durch
die Unterdrückung der Ketzerei dem Himmel zu dienen glaubte.
Auch Isabella war der Inquisition wohlgeneigt - so sehr, dafs
sie den Papst bewog, die in Spanien gefällten Urteile inappellabel
zu erklären.
Sixtus IV. ernannte 1483 den bösartigen Fanatiker Thomas
de Torquemada zum ersten Grofs-Inquisitor von Spanien. Dieser
berüchtigte Mann, der achtzehn Jahre im Amt blieb, verurteilte
alljährlich durchschnittlich zehntausend Personen zum Hunger-,
Feuer- oder Foltertod. In den ersten sechs Monaten seiner
mörderischen Thätigkeit liefs er in Sevilla allein fast dreihundert
»Marranos“ (getaufte Juden oder Mauren) verbrennen und siebzig
auf Lebenszeit einkerkern. In derselben kurzen Zeit wurden im
übrigen Spanien zweitausend Marranos lebendig verbrannt Die
Zahl seiner sonstigen Opfer im ersten Halbjahr betrug 17 000!!
Er war so verabscheut, dafs er sich beim Ausgehen stets von
250 Vertrauten begleiten liefs und aus Furcht vor Vergiftung
immer das Horn eines Einhorns auf seinem Tisch liegen hatte,
weil dasselbe nach einem maurischen Aberglauben die Eigen-
schaft besitzen sollte, Gifte zu entdecken und unwirksam zu
machen. Seine Grausamkeiten hatten so viele Klagen im Gefolge,
dafs selbst der Papst überrascht war und ihn dreimal zur Recht-
fertigung verhielt. Unter seinem Walten fanden besonders in
Sevilla so zahlreiche Hinrichtungen statt, dafs der dortige Präfekt
behufs leichterer Bewältigung des »Dienstes" auf den Gedanken
kam, aufserhalb der Stadt ein ständiges Steingerüst errichten zu
lassen, auf dem sich vier Riesenstandbilder aus Gips befanden,
die innen hohl waren und die Bestimmung hatten, die Verurteilten
aufzunehnien; diese wurden hier wie in einer Darre langsam zu
Tode geröstet! Die Trümmer dieses Gerüstes, welches »que-
madero* (= Krematorium) hieTs, wurden noch 1823 gezeigt.
Was das sogenannte Gerichtsverfahren betrifft, so begann es
mit einer mündlichen oder schriftlichen Angeberei, wobei gleich-
giltig war, aus welch immer unreinen Quelle dieselbe stammte.
Alljährlich am dritten Fastensonntag wurde in den Kirchen das
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Die Inquisition.
143
„Denunziations-Edikt“ verlesen, das den Gläubigen an die Seele
band, der Inquisition binnen sechs Tagen bei Strafe des grofsen
Bannes alle zu ihrer Kenntnis gelangten, dem reinen Glauben
zuwiderlaufenden Thatsachen mitzuteilen. Die Angeber blieben
nicht unbelohnt Wer ein so guter Christ war, dafs er seinen
Vater, Sohn oder Bruder oder einen anderen nahen Verwandten
anzeigte, erhielt von den Päpsten einen vollständigen Ablafs.
Karl V. gewährte jedem, der entweder zehn Ketzer denunziert
hatte oder ein Familiaris der Inquisition - die sich „Heiliges
Amt* nannte — geworden war, Befreiung von allen Steuern und
Fronarbeiten. Wegen der unglaublichsten Nichtigkeiten wurde
man der Ketzerei verdächtigt. Wer am Samstag ein frisches
Tischtuch auflegen liefs, galt für einen Judenfreund; legte man
eins am Freitag auf, setzte man sich dem Verdacht aus, zum Mo-
hammedanismus hinzuneigen. Wer bei Juden speiste oder -
nach jüdischem Brauch - am Vorabend einer Reise in Gesellschaft
von Freunden zu Abend afs oder wer ein Horoskop stellte,
konnte leicht verurteilt werden. Der Sevillaner Bürger Wilhelm
Franco wagte nicht, dagegen aufzutreten, dafs ein Priester seine
Gattin verführt hatte; er äufserte nur, sein Weib sei im Fege-
feuer, aber das genügte, um ihm die lebenslängliche Einkerkerung
im Inquisitionsgefängnis einzutragen.
Die Verhaftungen erfolgten gewöhnlich nachts und die
Opfer wurden in Wagen davongeführt, deren Räder mit Leder-
reifen versehen waren , während die vorgespannten Maultiere
Schnürschuhe anhatten, deren aus Tauwerk und dickem Leder
bestehende Sohlen das Herannahen des Gespanns unhörbar
machten. Diese Schuhe waren eine Erfindung Dezas, des zweiten
Grofsinquisitors, und eine Anzahl derselben fand sich im In-
quisitions-Arsenal zu Malaga- vor, als es 1820 gewaltsam ge-
öffnet wurde. Der Gefangene gelangte zumeist sofort in die
unterirdischen Kerker der Inquisition und sein Besitz unter
Sequester. Sehr selten erhielt er etwas zurück oder wurde er
selbst wieder in Freiheit gesetzt. Allerdings schrieben die
Satzungen des „Heiligen Amtes" die Entlassung eines Angeklagten
für den Fall vor, dafs zwölf Zeugen von rein katholischem Blut
zu seinen Gunsten aussagten; aber es gelang nur ganz aus-
nahmsweise, zwölf solche Zeugen zusammen zu bringen, denn
wer sich für einen Verdächtigen einsetzte, lief Gefahr, selber für
einen Ketzer gehalten oder doch als ein solcher angeschuldigt
zu werden.
Die Zellen befanden sich zuweilen dreifsig Fufs unter der
Erde, mafsen weniger als hundert Quadratfufs und beherbergten
zuweilen je acht bis zehn Häftlinge! Die ganze Einrichtung
bestand aus einer Lattenpritsche und einem Unratgefäfs, das
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m Qeheimgerichte.
nur ein- bis zweimal wöchentlich geleert wurde. Niemand durfte
sich beschweren, wenn er nicht geknebelt und gepeitscht werden
wollte. Unter solchen Umständen kamen begreiflicherweise viele
Selbstmorde vor. Noch 1819 nahmen sich zu Valencia die
sechs Insassen einer Zelle das Leben, indem sie einander er-
drosselten, während der letzte sich durch das Einatmen der
giftigen Ausdünstungen des Unratgefässes umbrachte. Manche
Häftlinge liefs man verhungern ; andere blieben jahrelang in einer
Zelle, ohne dafs es zu einer Verhandlung gegen sie kam. Wenn
jemand verschwand, mutmafsten seine Verwandten und Freunde,
er sei der Inquisition in die Hände gefallen.
Kam aber ein Häftling vor die Inquisitoren, so mufste er
in ihrer Gegenwart auf der scharfen Kante eines von zwei X ge-
tragenen dreieckigen Holzstückes sitzen. Die Verhandlungen waren
angeblich öffentlich ; in Wirklichkeit war das Publikum ein ein-
geladenes und bestand aus verläßlichen, »guten“ Katholiken.
Wie schwindelhaft die satzungsmäfsige Öffentlichkeit war, geht
aus dem Umstand hervor, dafs die Marranos dem König Ferdinand
vergeblich 600000 Dukaten dafür anboten, dafs er die Verhand-
lungen wirklich öffentlich seia lasse; der Grofsinquisitor Ximenes
bewirkte die Ablehnung des Anerbietens und später — unter
Karl V. — auch die Zurückweisung des erhöhten Angebots von
800000 Dukaten, für jene Zeit eine ungeheure Summe.
Das Empörendste ist, dafs der Gefangene ermahnt wurde,
zu gestehen, ohne dafs man ihm mitteilte, wessen er beschuldigt
war! Wulste er nicht, was er bekennen sollte oder stimmte sein
Geständnis nicht mit der gegen ihn erstatteten Anzeige überein,
so brachte man ihn, um ihm das gewünschte Geständnis zu er-
pressen, in die Folterkammer. Da die Inquisitoren zu „fromm“
waren, um Christi Verbot des Blutvergiefsens zu mißachten, er-
sannen sie die höllischsten Martern, bei denen kein Blut floß,
die Gefolterten aber dennoch beinahe - und oft wirklich -
umkamen. Die Inquisitoren leugneten nicht, daß auch Un-
schuldige unter der Folter sterben können; aber sie meinten,
das schade nicht, denn ein wirklich guter Katholik komme ja
doch sofort ins Himmelreich !
Der „Inquisitionspalast" umfaßte den Gerichtesaal, die
Beamtenbureaux, die Kerkerzellen, die sogen. Barmherzigkeits-
oder Bufszellen, die Folterkammern, endlich die Wohnung des
Großinquisitors. War ein Gefangener reich, so wurde er zuerst
in eine der Barmherzigkeitszellen gebracht, die im ersten Stock-
werk lagen. Verstand er sich dazu, sein ganzes Vermögen der
Inquisition zu überlassen, se entließ man ihn nach mehrmonat-
licher Haft, arm an Mammon, aber reich an geistlicher Gnade.
Ließ er sich nicht so leicht „bekehren", so kam er in eine
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Die Inquisition.
145
Bufszelle (unter dem Dach des Palastes), die nur sehr wenig
Licht hatte und deren ganze Einrichtung in einem Rollbett und
einem Schemel bestand. Blieb eine längere Einzelhaft ohne den
gewünschten Erfolg, so wurde der Unglückliche in eine unter-
irdische, fast ganz finstere Kerkerzelle mit Doppelthüren und
fünf Fufs dicken Mauern gebracht. Das Unratgefäfs leerte man
nur jeden vierten Tag. Wie die Nahrung beschaffen war, läfst
sich an der Thatsache ermessen, dafs für jeden Häftling kaum
8 Pfennig pro Tag ausgesetzt waren, worin überdies der Gewinn
des Kerkermeisters mit inbegriffen sein mufste!
Was die Folterkammern betrifft, so war besonders die des
päpstlichen Palastes zu Avignon mit teuflischem Scharfsinn ein-
gerichtet. Das Jammern und Stöhnen der Gemarterten wurde
durch allerlei sinnreiche Einrichtungen nach aufsen hin unhörbar
gemacht, und die Verbrennung der Verurteilten erfolgte in einem
grofsen Rundsaai, der einem Glasofen ähnelte und oben in
einen engen, trichterförmigen Schornstein auslief. Dieser Bau
wurde bis zum Jahre 1850 den durchreisenden Fremden gezeigt,
seither aber auf Befehl der Kirchenbehörden gesperrt Mit Recht,
denn er zeigte die Kirche in einem allzu häfslichen Licht.
Die Inquisition wendete in der Regel eine Gruppe von
dreierlei Foltern an : die Strick-, die Wasser- und die Feuerfolter.
Bei der ersteren wurden dem Opfer die Arme nach hinten ge-
bunden, und zwar mittels des einen Endes eines langen Seils,
das über eine an der Decke angebrachte Riemenscheibe lief.
Nun hob ihn das Seil hoch in die Höhe, wodurch die Arme
über dem Kopf zusammengekrümmt und die Schultergelenke aus-
gerenkt wurden. Plötzlich gab der Strick nach und der Ge-
marterte fiel bis etwa einen Schuh vom Boden, was die Gelenk-
pfannen fast ausrifs und den ganzen Körper furchtbar erschütterte.
Zuweilen erfolgte eine Verschärfung dieser Qualen dadurch, dafs
während des Aufzugs der Rücken des Opfers mit einer, mit
scharfen Spitzen besetzten Walze in Berührung kam und dadurch
schrecklich zerfleischt wurde. In Spanien dauerte die Strick-
folter eine ganze, in Rom eine halbe Stunde. Eine andere Art
derselben bestand darin, dafs man den Gefangenen auf einem
hölzernen Lager befestigte, ihm Arme und Beine mit dünnen
Seilen umwand und dann diese mit Hilfe von Winden so stramm
anzog, dafs sie tief ins Fleisch schnitten.
Wer trotz der Strickfolter standhaft blieb, wurde der Wasser-
folter unterworfen, und zwar gewöhnlich noch in der Strickfolter-
stellung! Man bedeckte ihm Nase und Mund mit einem dicken
Tuch, auf welches ein Dominikaner durch einen Trichter langsam
Wasser schüttete. Das Opfer erstickte langsam, das Blut trat
ihm aus den Augen und der Nase und dabei ermahnte ihn sein
Heckethorn-Kattcher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 10
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146
Geheimgerichte.
satanischer Peiniger fleifsig, »dem Gekreuzigten zuliebe zu ge-
stehen.“ Gänzlich ersticken liefs er es freilich nicht; vielmehr
wurde bald zur Feuerfolter geschritten. Nachdem man den Häft-
ling auf den Boden gelegt und wehrlos gemacht hatte, ent-
blöfste man seine Sohlen, rieb sie mit Öl oder Fett ein und
hielt eine tragbare Flamme dagegen. Erklärte er sich infolge
seiner entsetzlichen Schmerzen zu einem Geständnis bereit, so
wurde das Feuer entfernt; fiel das Geständnis nicht befriedigend
aus, so wurde es wieder angelegt und marterte den Unglück-
lichen noch mehr. Der Inquisitor Juan de Roma wendete eine
andere Feuerfolter an : er liefs die Beine der Angeklagten in mit
kochendem Talg gefüllte Stiefel stecken.
Zu den schuftigsten Erfindungen der Inquisition gehörte
die Art, wie sie die Vorschrift umging, dafs niemand mehr als
einmal gefoltert werden dürfe. Wenn man sah, dafs bei an-
dauernder Fortsetzung der Tortur das Opfer voraussichtlich sterben
würde, hielt man einfach inne und erklärte, die Folterung in der
Schwebe zu lassen. Sie wurde begonnen, aber nicht beendet,
sondern nur »unterbrochen" und von Zeit zu Zeit nach Belieben
»fortgesetzt“. Auch weibliche Personen wurden gefoltert —
ohne Rücksicht auf ihre Schwäche oder ihr Schamgefühl. Do-
minikaner pflegten nackte Frauen wegen des geringsten Disciplinar-
vergehens zu schänden und nachher zu peitschen! Der ver-
hältnismäfsig milde Grofsinquisitor Ximenes Cisneros (1 507 — 1 7)
-der übrigens trotz seiner »Milde" jährlich über 250 Personen
lebendig verbrennen liefs — verbot diese Niederträchtigkeiten bei
Todesstrafe.
Von je zweitausend Angeklagten entging nur einer (also
'/jo °l oO der Verurteilung zum Tode oder zu lebenslänglichem
Kerker. Diese »Glücklichsten“ — man nannte sie die »Ver-
söhnten" — mufsten barhaupt, einen Strick um den Hals, einen
grünen Wachsstock in der Hand und in ein Sanbenito (ein sack-
artiges, häfsliches Gewand mit schwarzen, gelben und weifsen
Streifen) gekleidet, im Gerichtssaal oder in der Kirche erscheinen,
um die ihnen zugeschriebenen Ketzereien abzuschwören. Sie
mufsten das Sanbenito sehr lange tragen und sich mehreren
anderen erniedrigenden, drückenden Bedingungen unterwerfen;
auch wurde ihr Vermögen unfehlbar ganz oder gröfstenteils ein-
gezogen. Den zum Tode Verurteilten legte man ein noch ab-
scheulicheres Sanbenito an, das mit dem von Flammen um-
züngelten und von Teufeln umtanzten Bildnis des Opfers bemalt
war; sie wurden dann von Mönchen auf den Richtplatz geführt
und in Gegenwart des Grofsinquisitors — oft auch des Hofes —
der Inquisitionsbeamten und einer Volksmenge lebendig verbrannt,
wenigstens diejenigen, welche ihre Unschuld bis zuletzt behaup-
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Die Inquisition. H7
teten, während die Reuigen unmittelbar vor dem Verbrennen
»gnadenhalber“ erdrosselt wurden. Die öffentlichen Ketzerver-
brennungen kamen schliefsiich so sehr in Mode, dafs man in
Spanien und Portugal die festlichsten Anlässe - Thronbesteigungen,
Heiraten von Königen oder Königskindern, Prinzengeburten etc.
— am liebsten durch möglichst grofse Autodafes feierte.
ln der Nacht vor einem Autodafe begab sich eine Prozession
von Holzhauern, Dominikanern und »Vertrauten" vom Inquisitions-
gebäude zum Richtplatz. Dort wurden Scheiterhaufen errichtet
und neben dem bereits vorhandenen Altar ein grünes Kreuz
aufgepflanzt und mit schwarzem Krepp verhüllt. Das Kreuz
versinnbildlichte die Trauer der Kirche um die zu verbrennenden
Ketzer. Nach seiner Aufstellung kehrte die Prozession zurück;
nur die Dominikaner blieben, um zu beten und Psalmen zu
singen. Früh morgens erschien der Autodafe-Umzug, in welchem
sich der Reihe nach befanden: Lanzenträger, Priester, Träger der
zu verbrennenden Bildnisse von flüchtig gewordenen Ketzern,
Träger von Särgen mit den zu verbrennenden Gebeinen oder
Leichen der im Gefängnis verstorbenen Angeklagten, die reuigen
Ketzer, die »verstockten“ Opfer, alle in Sanbenitos, die »Ver-
trauten“, die Inquisitoren, endlich der Träger des Inquisitions-
banners. Verurteilte, von denen zu befürchten stand, dafs sie
die Menge ansprechen könnten, wurden geknebelt. Jeder »Ketzer“
trug eine Wachskerze und war von zwei Mönchen begleitet, die
— je nachdem — ihm entweder Trost zusprachen oder ihn zur
Reue ermahnten. Nach Ankunft des Zuges wurden die Un-
glücklichen auf die Scheiterhaufen gehoben und an die in der
Mitte der letzteren errichteten Pfähle gekettet. Das Volk schrie
nun: »Machet den Hunden Bärte!“ Das geschah, indem die
Henker den Opfern so lange mit brennendem Heidekraut um-
wundene Holzstäbchen ins Gesicht warfen, bis dieses schwarz
und versengt war. Unter Karl V. wurden auf seinen Befehl
auch weibliche Ketzer lebend verbrannt.
Die Inquisitoren begnügten sich nicht immer mit der
blofsen Verbrennung, sondern verschärften dieselbe zuweilen
durch teuflische Qualen. Manchem Verurteilten wurde vor dem
Verbrennen die Zunge ausgerissen oder in einen angemessen
gespaltenen Knebel eingezwickt. Andere wurden zuerst lebendig
geschunden, dann mit Salz und Bimssteinpulver bestreut und
schliefsiich, in Ketten schwebend, über glühenden Kohlen lang-
sam geröstet. Im Jahre 1535 gewährten die Inquisitoren Franz
dem Ersten, König von Frankreich, an einem einzigen Tag
sechsmal den Hochgenufs, Ketzer über Flammen in Ketten hin
und her schaukeln zu sehen, bis der verkohlte Leichnam in die
Flammen fiel.
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Geheimgerichte.
Doch kehren wir zur Geschichte der Inquisition zurück.
Die Bevölkerung von Arragonien hatte sich der Einführung des
»Heiligen Amtes“ von allem Anfang an heftig widersetzt und
war aufs höchste erbittert ob der Massenverbrennungen. Um
die Inquisitoren abzuschrecken, ermordete man den ärgsten von
ihnen, Peter Arbues, am Altar. Sofort versetzte ihn die Kirche
unter ihre Märtyrer, Königin Isabella errichtete ihm ein Stand-
bild, sein Leichnam wurde als wunderthätig erklärt und im
19. Jahrhundert sprach Pius IX. ihn heilig. Statt abschreckend
zu 'wirken, zog die Mordthat eine Verschärfung der Verfolgungen
der Inquisition nach sich. Den verhafteten Mördern des grausamen
Bedrückers haute man, ehe sie gehenkt wurden, die Hände ab;
die Leichen schnitt man in Stücke, welche an den Landstrafsen
zur Ausstellung gelangten. Der nächste Schritt Torquemadas
war, das Königspaar zur Vertreibung der Juden aufzufordem.
Diese boten, um die Gefahr abzuwenden, dem König 30000
Dukaten als Beitrag zu den Kosten des Krieges mit Granada
an. Ferdinand und Isabella waren bereit, hierauf einzugehen;
da erschien der fanatische Grofsinquisitor mit einem Kruzifix in
der Hand und sagte zu den Majestäten: »Judas verriet seinen
Herrn für dreifsig Silberlinge, Eure Hoheiten wollen ihn jetzt
für dreifsig Goldstücke zum zweitenmal verkaufen. Hier haben
Sie ihn, nehmen Sie ihn hin und schliefsen Sie das Geschäft
rasch ab!" Die Folge war das Dekret vom 31. März 1-492,
welches verfügte, dafs alle Juden bei Todesstrafe und Vermögens-
verlust die Staaten des edlen Paares bis zum 31. Juli desselben
Jahres verlassen müssen. Etwa 800000 Juden mufsten fast
mittellos auswandern, da die Frist zu kurz war, um 'den Besitz
angemessen verwerten zu können. Tausende von Männern,
Frauen und Kindern gingen unterwegs an Entbehrungen und
Strapazen zu Grunde. Die bald nachher erfolgte Eroberung
Granadas wurde als ein Zeichen betrachtet, dafs der Himmel
die Vertreibung der Juden billige und belohne. Daher beging
Ferdinand zur Feier des Sieges allerlei Grausamkeiten.
Torquemadas Nachfolger Deza führte die Inquisition in
Granada, Neapel und Sicilien ein. ln den neun Jahren seiner
Amtsführung liefs er 2592 Personen lebendig und 829 in effigie
verbrennen; 32 000 verurteilte er zur Einkerkerung oder zu den
Galeeren und zur Gütereinziehung. Unter dem Grofsinquisitor
Adrian Boeijeus und dessen Nachfolgern gab die Reformation
Anlafs zu zahllosen Ketzerverbrennungen in Spanien, Neapel,
Venedig, Flandern, auf Malta und Sardinien, ln den amerika-
nischen Kolonien Spaniens wurden tausende von Indianern hin-
gerichtet, weil sie sich weigerten, die »milde» Religion ihrer
Unterdrücker und Aussauger anzunehmen oder weil sie nach
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Die Inquisition.
149
ihrer Taufe verdächtig waren , wieder rückfällig geworden zu
sein. Unter Valdes, dem achten Grofsinquisitor, wurde eine
sehr reiche Greisin von neunzig Jahren verhaftet, weil ein Diener
sie beschuldigt hatte, gesagt zu haben: »Es giebt Christen, die
weder den Glauben noch das Gesetz achten." Wegen Mangel
an Beweisen verblieb sie fünf Jahre lang in den unterirdischen
Kerkern der Inquisition; dann unterwarf man sie der Folter
durch Stricke, Wasser und Feuer. Sie starb während der Fol-
terung, worauf ihre Leiche verbrannt, ihr ganzes Vermögen ein-
gezogen, ihre Kinder enterbt und ehrlos erklärt wurden. Sogar
Karl V., der die Inquisition so sehr gefördert hatte, wurde von
ihr nach seinem Tode als Ketzer verurteilt und sein Beichtvater
erlitt den Feuertod.
Philipp II. dehnte die Gerichtsbarkeit des »Heiligen Amtes“
auf die ganzen Niederlande aus. Trotz des Widerstandes der
Bevölkerung konnte der Herzog von Alba innerhalb fünf Jahren
18 (XX) »Ketzer“ verbrennen oder henken lassen. Als der Druck
unerträglich wurde, erhob sich das Land und schüttelte das
spanische Joch auf immer ab. Als Philipp erfuhr (1559), dafs
in einer entlegenen Stadt bei einem Autodafe dreifsig Personen
verbrannt worden waren, bat er die Inquisitoren, ihm doch auch
den Genufs eines solchen Schauspiels zu verschaffen; man suchte
nun nach Ketzern mit solchem Eifer, dafs der König schon nach
wenigen Wochen in Valladolid sogar vierzig Unterthanen zu
seiner Freude auf einmal verbrennen sehen konnte. Eines der
Opfer, eine hervorragende Persönlichkeit, flehte ihn auf dem
Weg zum Marterpfahl um Gnade an. »Nein!“ lautete die Ant-
wort. »Selbst meinen eigenen Sohn würde ich den Flammen
überliefern, wenn er bei der Ketzerei beharrte." Während der
langen Regierungszeit dieser gekrönten Hyäne amtierten sechs
Grofsinquisitoren , einer ärger als der andere. Eines Tages
wurden in Sevilla 800 Anhänger Luthers — wirkliche oder an-
gebliche auf einmal verhaftet. Auch in Peru, Mexiko, Car-
tagena, in der spanischen Flotte, im Heer und sogar unter den
Zollbeamten gelangte die Inquisition zur Einfühning. 1680 wurde
zu Ehren der Hochzeit Karls II. mit einer Nichte Ludwigs XIV.
in Madrid ein Autodafe abgehalten, dem das neuvermählte Paar
beiwohnte und bei welchem 118 Opfer hingerichtet wurden;
davon fanden 21 den Feuertod bei lebendigem Leib. Die »Feier«
dauerte bis halb zehn Uhr abends und hatte 290 Holzhauern
Arbeit gegeben ! ! !
Für die Macht der Inquisition in Spanien sei ein interessantes
Beispiel angeführt. Als sie Philipp 111. im Beginn seiner Re-
gierungszeit nötigte, einem Autodafe beizuwohnen, konnte er sich
der Thränen nicht erwehren beim Anblick einer jungen Jüdin und
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iso
Oeheimgerichte.
einer jungen Maurin, die blofs des Glaubens ihrer Väter wegen
verbrannt wurden. Dieses Mitleid erklärten die Inquisitoren für
ein Verbrechen, das nur durch Blut gesühnt werden könne. Der
König mufste sich einem Aderlafs unterziehen und der Henker
verbrannte das Blut! Dafs die Inquisition über dem König
stand, geht auch daraus hervor, dafs bei den Autodafes der Thron
des Grofsinquisitors höher war als der des Herrschers. Der
Inquisitor Tabera liefs den Erzpriester von Malaga auf zwei
Jahre einkerkern, weil dieser, als er mit der Wegzehrung zu
einem Sterbenden eilte, nicht stehen blieb, um den zufällig daher-
kommenden Inquisitor Vorbeigehen zu lassen!
Allmählich jedoch machte selbst in Spanien die Aufklärung
solche Fortschritte, dafs der Umfang und die Grausamkeit der
Thätigkeit der Inquisition immer mehr abnahmen; unter Fer-
dinand VI., Karl III. und Karl IV. erfolgten insgesamt blofs 245
Verurteilungen — hauptsächlich von Freimaurern und Jansenisten
— und darunter nur 14 zum Tode. Endlich schlug sogar die
Stunde der Beseitigung der schändlichen Einrichtung in Spanien;
in . den meisten anderen Ländern' war sie schon früher abge-
schafft worden. Am 4. Dezember 1808 forderte Napoleon I.
die Behörden von Madrid zur Unterwerfung auf. Als der Grofs-
inquisitor ablehnte, gab der Kaiser den schriftlichen Befehl: „Die
Inquisitoren sind einzukerkern, das Heilige Amt hat zu bestehen
aufgehört und sein Einkommen ist einzuziehen.“ Oberst Luma-
nuski erhielt den Auftrag, vom Madrider Inquisitionspalast Besitz
zu ergreifen. Da die Patres die Aufforderung zur Übergabe
mifsachteten und überdies den Herold der Franzosen erschossen,
schritten diese zum Angriff und betraten nach langem Kampf
das Gebäude. Es kostete grofse Mühe, den unterirdischen Teil
desselben zu entdecken: den Gerichtssaal, die Zellen, die Folter-
kammern u. s. w. In manchen Zellen fand man die verwesten
Leichen von in der Einzelhaft verhungerten Gefangenen, in
anderen rund hundert völlig nackte Häftlinge: Männer, Frauen,
Kinder, die selbstverständlich sofort bekleidet und in Freiheit
gesetzt wurden. Beim Anblick der Folterwerkzeuge gerieten die
napoleonischen Soldaten in solche Wut, dafs sie eine Anzahl der
Mönche den ärgsten Torturen unterwarfen. 1814 stellte der mit
Hilfe Englands wieder auf den Thron gesetzte Ferdinand VII. die
Inquisition wieder her und ernannte einen Grofsinquisitor (den
45.), der die Gefängnisse, Galeeren und Strafansiedelungen mit
„Ketzern“ — insbesondere Freimaurern — füllte. Aber die
Herrlichkeit dauerte nicht lange, denn schon nach sechs Jahren
vereinigten sich alle spanischen Provinzen zu einem allgemeinen
Aufstand, brachen die Macht der Gewaltherrschaft, besiegten die
Inquisition, befreiten ihre Gefangenen, rissen ihre Gebäude nieder
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Die Inquisition.
1S1
und verbrannten ihre Folterwerkzeuge. Zwar trat 1 823 — nach
der Wiedereinsetzung Ferdinands mit Hilfe französischer Truppen
abermals ein Rückschlag ein, allein derselbe war angesichts
des Volkswillens und der englischen Drohungen nicht von langer
Dauer; die Inquisition konnte sich nur bis 1826 behaupten und
ihren Wirkungskreis blofs auf ganz vereinzelte Opfer erstrecken.
Interessant ist die Art der Einführung der Inquisition in
Portugal. Im Jahre 1 539 tauchte in Lissabon ein päpstlicher
Abgesandter auf, der gekommen zu sein erklärte, um Portugal
mit der Inquisition zu beglücken. Er brachte dem König einen
Brief des Papstes und überreichte umfassende Vollmachten hin-
sichtlich der Ernennung eines Grofsinquisitors und der anderen
Beamten des Geheimgerichts. Der Mann war ein geriebener
Schwindler namens Juan Peres aus Saavedra, ein Fachmann im
Fälschen von Unterschriften und Siegeln. Zur Bestreitung seines
Hofstaates — sein Gefolge zählte über hundert Personen -
hatte er zu Sevilla im Namen der päpstlichen Kammer riesige
Beträge geborgt. Es wunderte und reizte den König, dafs der
Papst ihm von der Entsendung eines Nuntius nicht vorher Mit-
teilung gemacht hatte, allein er liefs sich von dem Hochstapler
beruhigen, der denn auch sofort die Inquisition einrichtete, einen
Grofsinquisitor ernannte und an die Sammlung eines Stamm-
vermögens schritt. Ehe aus Rom Nachrichten eintreffen konnten,
hatte Peres mehr als 200000 Dukaten beisammen. Bevor er
jedoch zu fliehen vermochte, platzte die Bombe; er wurde gepeitscht
und zu zehn Jahren Galeerenstrafe verurteilt. Das Schönste aber
ist, dafs der wackere Papst nachträglich die Gründung des Spitz-
buben guthiefs und anordnete, dafs das Heilige Amt in Portugal
bestehen bleibe; über die Art der Einführung tröstete er den
König mit der Erklärung hinweg, dafs dieselbe die Wirksamkeit
und das Wesen der segensreichen Einrichtung nicht beeinträch-
tigen könne.
Einige allzu parteiische Autoren haben die Inquisition rein-
zuwaschen versucht. Sie behaupten, dieselbe sei einst zur Rein-
haltung der Religion erforderlich gewesen. Unsinn! Als ob
irgend ein Mensch oder eine Körperschaft sich das Recht an-
mafsen dürfte, irgend jemand wegen seines Glaubens zur Rechen-
schaft zu ziehen! Als ob irgend ein Gericht das Recht hätte,
sich in Gewissensfragen zu mengen! Auch die beschönigende Be-
hauptung, dafs die Inquisitoren mehr grausam als fanatisch waren,
ist falsch. Sie waren überhaupt nicht fanatisch, sondern lediglich
grausame, habgierige Heuchler. Fanatiker sind gewöhnlich von
tadelloser Sittlichkeit, während diese Leute, wie überhaupt das
ganze spanische Pfaffentum, der ärgsten Sittenverderbnis hul-
digten — so sehr, dafs Papst Paul IV. infolge der vielen Be-
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Gehei tngerichte.
schwerden eine Untersuchung anstellen liefs, die freilich von
der Inquisition wegen des allzu grofsen drohenden Skandals
niedergeschlagen wurde. Fast möchten wir Hoffmann, dem
neuesten Geschichtschreiber der Inquisition, Recht geben, wenn
er meint, dafs die modernen Entschuldiger des Heiligen Amtes
noch grausamer sein müssen als die Inquisitoren waren, denn
während die Unmenschlichkeit der letzteren durch den wilden
Religionsfanatismus jener Zeiten einigermafsen begreiflich er-
scheine, zeuge deren Verteidigung heutzutage von einer wahren
Tigernatur !
Der Ku-Klux-Klan.
Der wohlbekannte moderne Geheimbund dieses Namens
entstand kurz 'nach dem nordamerikanischen Bürgerkrieg und
verbreitete sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in den Süd-
staaten der Union. Nach der Niederlage der Südstaaten bildeten
die befreiten Neger ein Element der Unordnung und Unruhe,
so dafs die Weifsen von einer ihrem Leben und Eigentum, ihrer
Ehre und Tugend gefährlichen Anarchie bedroht waren. Zahl-
reiche Schwarze wollten unter keinen Umständen arbeiten, streiften
vielmehr hungrig und bewaffnet umher, während man in den
Nordstaaten mit grofsem Eifer daran dachte, die Neger in jeder
Hinsicht zur herrschenden Klasse des Südens zu machen. Agi-
tatoren unterstützten die Zügellosigkeit der Schwarzen, der Umfang
des Verbrechertums nahm immer mehr zu, die Gesetze erwiesen
sich als unwirksam und die Regierungen der Südstaaten waren
diesen heillosen Zuständen nicht gewachsen. Der unter den
Weifsen herrschenden Angst machte der Bund (Klan) der Ku-Klux
ein Ende, indem er eine umfassende Lynchjustiz organisierte.
Die Mitglieder trugen Anzüge („Leichentücher“ genannt)
aus schwarzem Baumwollstoff. Dieser wurde insgeheim in die
Wohnungen der Weifsen geschickt, deren Frauen und Töchter
die nötige Schneiderarbeit besorgten und die fertigen Kleider
dem geheimen Boten übergaben, der sich durch ein eigenartiges
Klopfen ans Thor zu erkennen gab. Die weibliche Bevölkerung
hegte Vertrauen in den Willen und die Fähigkeit der Ku-Klux,
sie zu beschützen. Im „Dienst“ trugen die Mitglieder auch
einen hohen, spitz zulaufenden Hut mit übers Gesicht gezogenem
schwarzen Schleier. Für ihre langen nächtlichen Ritte borgten
sie sich von den Landwirten Pferde, welche sie am nächsten
Tag zurückstellten. Das Geheimnis der Mitgliedschaft wurde so
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Der Ku-Klux-Klan.
153
unverbrüchlich gehütet, dafs es niemals gelungen sein soll, ein
Mitglied mit Erfolg vor Gericht anzuklagen, obgleich die Bundes-
regierung gegen die Gesellschaft ein besonderes Gesetz schuf,
auf Grund dessen Präsident Grant im Oktober 1871 zwei Pro-
klamationen erliefs, und obgleich in neun Grafschaften von Süd-
Karolina wegen des »Klan" die Habeas-Corpus-Akte aufgehoben
wurde. Wenn in kleinen Städten zur Bundesgamison gehörige
Soldaten sich laut über ^fafsregeln gegen die Ku-Klux unter-
hielten, erschienen am Abend vor dem Wachhause Leichentuch-
träger in so grofser Anzahl, dafs die kleine Garnison künftig
schwieg. Die Thätigkeit der Ku-Klux bestand gröfstenteils im
Entwaffnen gemeingefährlicher Neger, im Lynchen berüchtigter
Übelthäter — kurz, darin, dafs sie die eine Schreckenswirtschaft
durch eine andere lahmzulegen suchten. Ganz besonders ver-
legten sie sich auf die Bestrafung der Dieberei, die bei den
Negern aufserordentlich gäng und gäbe war; auch mit 'den
Hehlern hatten sie kein Erbarmen.
Allmählich hörte der Daseinsgrund des „Klan" auf, aber
die Gesellschaft bestand weiter und zwar, wie das in solchen
Fällen oft vorkommt, in einer entarteten Form als Deckmantel
für raub- und rachsüchtige Lumpen und Schurken oder für ge-
heimnis- und schreckenliebende Abenteurer. Damit hörte auch
die strenge Geheimhaltung auf und so kam es, dafs z. B. im
November 1883 sieben Ku-Klux, deren Rädelsführer ziemlich
reich waren, von einem Bundesgericht des Staates Georgia zu
längeren Gefängnisstrafen verurteilt wurden, weil sie eine Anzahl
von Negern, die bei den Kongrefswahlen für einen Gegenkan-
didaten gestimmt hatten, grausam mifshandelten und anschossen.
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SIEBENTES BUCH.
MYSTIKER.
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Die Alchimisten.
Die Astrologie eine geheime Ketzerei. — Entartung der Astrologie. — Interesse
und wissenschaftliche Bedeutung der Alchimie. Die Tinktur. — Ziele
der Alchimie. — Geschichte der Alchimie. — Alchimistische Geheimgesell-
schaften. - Niedergang der Alchimie. — Dunkelheit der Ausdrucksweise. —
Persönliches Schicksal der Adepten.
Die mystische Astronomie der alten Völker rief die Schicksals-
Astrologie hervor, die uns heute lächerlich abergläubisch erscheint,
im Mittelalter jedoch einen Hauptgegenstand des Studiums bildete
und ursprünglich einen weitverbreiteten Rückschlag gegen die
römische Kirche bedeutete, weshalb ihre Anhänger von Rom aufs
heftigste befehdet wurden. Sie fand die eifrigste Pflege bei den
Juden und erfreute sich des Schutzes der der päpstlichen Ober-
hoheit abgeneigten Fürsten. Die Kirche verbrannte nicht nur
die betreffenden Bücher, sondern auch deren Verfasser mit be-
sonderer Vorliebe. Im Laufe der Zeit trat bei der Astrologie,
wie bei so vielen anderen Dingen, eine kindische Entartung und
Fälschung ein, indem spätere Geschlechter die einstigen Sinn-
bilder für bare Münze nahmen und die früheren Anspielungen
buchstäblich auffafsten. Hermes Trismegistos, der Gesetzgeber
Ägyptens — von dem in den samothrakischen Mysterien die
Rede war und der oft mit einem Widder an der Seite dargestellt
wurde, welcher den neuen Lauf der Äquinoktialsonne, des Er-
oberers der Finsternis, einleitete lebte in der Astrologie wieder
auf. Viele von christlichen Gnostikern und Neoplaton isten ver-
fafste astrologische Werke wurden ihm zugeschrieben und
man hielt ihn für den Vater der nach ihm benannten »Hermetik“,
welche die Grundzüge der Astrologie und der Alchimie um-
fafste — zweier »Künste“, die grofsenteils auf Schwindel be-
ruhten, aber dennoch die Vorläufer zweier glänzender, moderner
Wissenschaften geworden sind: der Astronomie und der Chemie.
Zwar ist die Prophezeiung des Göttinger Doktors Girtanner,
dafs im 19. Jahrhundert die Umwandlung der unedlen Metalle
in edle allgemein bekannt und im Schwang sein werde, nicht
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Mystiker.
in Erfüllung gegangen; allein die Alchimie ist noch immer ge-
eignet, die Neugier anzuregen und die Einbildungskraft zu reizen.
Der Schein des Wunderbaren, der ihre Lehren umgiebt, ihre
Mischung aus Wahrheit und Täuschung, aus Wirklichkeit und
Phantasterei, der eigenartige Ruf ihrer Adepten — all dies wird
die Geister stets mächtig anziehen. Übrigens beruhte sie, gleich
so vielen anderen Schwärmereien von grofser und anhaltender
Verbreitung, nicht auf Falschheiten, sondern auf mifsverstandenen
Wahrheiten. Die Forschungen der Alchimisten nach den Mitteln,
unedle Metalle in edle zu verwandeln, beruhten naturgemäfs auf
den einfachsten metallurgischen Experimenten; sehr wahrscheinlich
glaubte der erste Messing-Erzeuger anfänglich, es sei ihm ge-
lungen, unvollkommenes Gold zu erzeugen.
Die ersehnte Umwandlung hätte durch die Umwandlungs-
tinktur erfolgen sollen. Den Menschen gelang es niemals, diese
zu entdecken, obgleich sie in der Natur von jeher vorhanden
war, und zwar als die Kraft, welche einen grünen Halm in eine
goldene Kornähre verwandelt, einen sauren, unreifen Apfel mit
Süfsigkeit und aromatischem Saft erfüllt oder aus Holzkohle
Diamanten macht. Könnte man der in der Natur allenthalben
verbreiteten »Tinktur" habhaft werden und mit ihrer Hilfe die
in den Metallen gefangen gehaltene Tinktur in Bewegung setzen
bezw. loslösen, so liefse sich die Umwandlung in Gold — d. h.
die Offenbarung des verborgenen Lebens, der Urkräfte der Natur
(vgl. »Einleitung") — wohl bewirken. Da sich jedoch diese
Tinktur oder Geheimkraft der Natur wegen ihrer Immaterialität
nicht fassen läfst, suchten die Alchimisten nach etwas Un-
erreichbarem.
Die Bestrebungen der Alchimie hatten drei Ziele: die
Suche nach dem Stein der Weisen behufs Goldmacherei; die
Entdeckung einer Panacee (= Lebenselixir); die Erfindung eines
allgemeinen Lösemittels zur Vermehrung der Fruchtbarkeit jedes
Samens. Diese Zwecke glaubten die Alchimisten durch die
»Tinktur" erreichen zu können, in der sie eine elektrische Lebens-
kraft erblickten. Folglich kann die Alchimie in ihren Anfängen
als ein Behelf zur Erforschung von Mitteln gelten, die Materie
wieder zu ihrem Urzustand zurückzuführen, von dem sie sich
vermeintlich entfernt hatte. Was der Äther des achten Himmels
für das Seelische, das galt den Alchimisten das Gold hin-
sichtlich des Stofflichen, und die damals bekannten sieben Metalle,
welche die Namen der »sieben Planeten" führten (Sonne = Gold,
Mond = Silber, Saturn = Blei, Venus oder Jupiter = Zinn, Merkur
oder Mars •= Eisen, Mars oder Merkur = Legirung, Jupiter oder
Venus = Kupfer), bildeten die aufsteigende Reinigungsleiter, welche
den sieben Höhlen oder Stufen der alten Mysterien entsprach.
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Die Alchimisten.
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Die Alchimie war somit entweder eine physische Einweihung
oder eine geistliche; die erstere diente oft nur zur Verschleierung
der letzteren, d. h., wo man anscheinend lediglich metallurgische
Kunststücke zu machen suchte, beschäftigte man sich in Wirklich-
keit sinnbildlich nicht selten mit philosophischen Problemen,
reinigte man blofs Leidenschaften, liefs man den menschlichen
Geist durch die Retorte gehen, um ihn zu läutern.
Die Alchimie blühte in Ägypten schon sehr frühzeitig.
Angeblich soll auch der weise Saiomo sich mit ihr beschäftigt
haben. Ihre Hauptblüte begann jedoch erst zur Zeit der Ver-
nichtung der alexandrinischen Bibliothek. Die leichtgläubigen
Sarazenen, die sehr viel von Talismanen und Himmelseinflüssen
hielten, griffen «die Wunder der Alchimie gierig auf, deren Aus-
über daher an den glänzenden Höfen Almansors und Harun-al-
Rasehids Schutz, Schüler und Entlohnung fanden. Dennoch gab
es bis zum II. Jahrhundert nur einen berühmten Alchimisten:
den Araber Abu Mussah Dschafar al Sofi, genannt Geber. ’ Seine
Umwandlungsversuche brachten ihn auf mehrere chemische und
medizinische Entdeckungen; auch als Astronom war er bedeutend.
Nach Europa kam die Goldmacherkunst durch die Kreuzfahrer
und im 1 3. Jahrhundert wurde sie durch Albertus Magnus, Roger
Bacon und Raimundus Lullus erneut. In England liefs Eduard 111.
sich von den Alchimisten Le Rouse und De Dalby Experimente
vormachen. Heinrich VI. ermunterte Adelige, Ärzte, Gelehrte
und Priester, den Stein der Weisen zu suchen. Diesen zu be-
sitzen, behauptete später namentlich der hochberühmte Paracelsus
— eigentlich »Philippus Aureolus Theophrastus von Hohenheim
genannt Bombastus" — den seine Anhänger »Fürst der Ärzte,
Philosoph des Feuers, Trismegistos der Schweiz, Reformator der
alchimistischen Philosophie, getreuer Geheimschreiber der Natur,
Meister des Lebenselixirs und des Steins der Weisen, grofser
Monarch der chemischen Geheimnisse" nannten. Er führte für
das gesuchte All-Lösemittel die Bezeichnung „alcahest“ ein (viel-
leicht aus »Allgeist“ verdorben?).
Auch die Rosenkreuzer, von denen wir bald sprechen
werden, befafsten sich mit alchimistischen Geheimnissen und sie
waren thatsächlich Nachfahren der; Alchimisten. Aus diesem
Grund haben wir die letzteren hier eingereiht, obgleich sie keine
eigentliche Geheimgesellschaft waren. Doch gab es immerhin
auch alchimistische geheime Vereinigungen. So lesen wir in der
dem grofsen Werk »Thesaurinella chymica-aurea tripartita" von
Benedictus Figulus vorangehenden Widmung an Kaiser Rudolf II.:
»Gegeben in der Reichsstadt Hagenau im Jahre des Heils 1607
und im 197. Jahre der Regierung des wahren Beherr-
schers des Olymps, Angelus Hagith. “ Auch ist in der
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Mystiker.
Widmung ein Graf Bernhard erwähnt — offenbar eines der
Häupter des Ordens — der in Italien in einen aus 14-15 Mit-
gliedern bestehenden Alchimistenverein eingeführt worden sei.
Ferner wird Paracelsus als der „Monarch“ dieses Ordens be-
zeichnet, der, wie sich aus dem Datum 197 (anno 1607) ergiebt,
im Jahre 1410 gestiftet worden sein mufs und nach Figulus
gerade um 1607 mit dem Rosenkreuzer-Orden verschmolzen
wurde. Ob es derselbe war, den Raimundus Lullus in seinem
„Theatrum Chymicum« erwähnt, weirs man nicht; dieser soll
schon vor 1400 bestanden und sein Oberhaupt „König der
Physiker" genannt haben.
In England verlor man alles Vertrauen zur Hermetik, als
der Gelehrte James Price sein Versprechen, in Gegenwart der
Mitglieder der Wissenschaftlichen Gesellschaft Gold zu machen,
nicht halten konnte und daher Selbstmord beging (1783). Drei-
zehn Jahre später waren in Deutschland Gerüchte verbreitet vom
Vorhandensein einer grofsen „Hermetischen Gesellschaft*; in
Wirklichkeit bestand diese aber nur — abgesehen von einer
gröfseren Anzahl von „Ehrenmitgliedern" — aus zwei Personen:
einem gewissen Bährens und dem Verfasser der „Jobsiade",
K. A. Kortüm. Die napoleonischen Kriege, die Europa ver-
wüsteten, liefsen das Interesse an der Alchimie erlahmen und
blofs die höheren Kreise von Karlsruhe unterhielten sich bis 1812
insgeheim mit der Goldmacherspielerei.
Paracelsus teilte die Alchimisten in zwei Klassen: Leute,
die nützlichen Studien obliegen und solche, die sich mit Phan-
tastereien abgeben und mystischen Schund schreiben , den sie
dann Hermes Trismegistos, Aristoteles, Albertus Magnus und
anderen Koryphäen in die Schuhe schieben. Die Ausdrucksweise
dieser Bücher ist heute völlig unverständlich, wie das folgende
Beispiel zeigen wird. Die Umwandlungskraft, genannt „der
grüne Löwe", sei in nachstehender Weise zu erlangen: „Im
Bette des grünen Löwen werden die Sonne und der Mond ge-
boren, die einander ehelichen und einen König zeugen. Dieser
nährt sich von des Löwen Blute, welches der Vater und die
Mutter des Königs ist, die gleichzeitig sein Bruder und seine
Schwester sind. Ich fürchte das Geheimnis zu verraten, das
vor jedem, der das Philosophenfeuer nicht zu beherrschen weifs,
zu bewahren ich meinem Meister versprochen habe." So dunkel
der Rede Sinn auch sei, die Adepten, für die allein eine solche
Sprache berechnet war, verstanden sie. Dasselbe gilt auch von
anderen Wissenszweigen. Wenn z. B. in einer Abhandlung,
welche dem Hermes Trismegistos zugeschrieben wird, dem For-
scher die Weisung gegeben wurde, den fliegenden Vogel zu
fangen und zu ertränken, damit er nicht mehr fliege, so war
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Jakob Böhme.
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damit die Fixierung des Quecksilbers durch Vermischung mit
Oold gemeint.
Obwohl die Alchimisten der Chemie durch ihre Forschungen
grofse Dienste leisteten, führten sie ein trauriges, buntbewegtes
Dasein und starben gewöhnlich in gröfster Armut, wenn es ihnen
nicht noch schlimmer erging, selbst falls sie rechtschaffen waren.
Gerecht war aber das Geschick, welches einen der berühmtesten
Hermetiker ereilte, Bragadino, der vor dreihundert Jahren lebte
und sich als arger Schwindler erwies. Er gab den Teufel für
seinen Sklaven und seine beiden wilden schwarzen Hunde für
Dämonen aus, lockte mehreren Machthabern für sein angebliches
Umwandlungsgeheimnis grofse Summen heraus und wurde, als
man hinter seine Schliche gekommen war, in München gehenkt.
Jakob Böhme.
Wesen und Aufgabe des Mystizismus. — Böhmes Verdienste. - Sein
Einflufs auf die Wissenschaft. - Sein Leben. - Die Philadelphier.
Die Mystiker sind gewissermafsen die Fortführer der antiken
Mysterien , welche für viele Völker die einzige Weltweisheit,
Wissenschaft und Freiheit bildeten. Sie sind die Priester der
Unendlichkeit, die Rationalisten des Gebets. In ihrer Sanftmut
huldigen sie der weitestgehenden Duldsamkeit; sie bemitleiden
und begreifen alle Welt, sie verz.eihen sogar dem Teufel. Mittels
Synthesen und Verzückungen gelangen sie zu einem reinen und
einfachen Verständnis des sogenannten »Übernatürlichen“, das
sie mehr mit dem Herzen und der Einbildungskraft verehren
als mit den gelehrten Trugschlüssen der Theologie. Darum
ähneln die Mystiker aller Glaubensbekenntnisse einander so sehr.
Der Fürst der Mystiker war fraglos Jakob Böhme — so
sehr, dafs ihm gegenüber alle anderen recht unbedeutend er-
scheinen: als blofse Schwärmer, deren Überschwenglichkeiten
manchmal dichterisch, aber stets phantastisch waren und der Welt
niemals nützten, weil sie nicht auf den Wahrheiten der Ewigen
Natur beruhten. Freilich war auch Böhme ein Schwärmer, aber
einer von der Art des Kolumbus, denn er vermochte mit dein
geistigen Auge eine verborgene Welt zu erblicken, die Welt der
Eigenschaften der Ewigen Natur, und das grofse Geheimnis der
Erde und des Weltalls zu lösen. Er war entschieden ein Mittel-
punktsphilosoph, der von seinem Standpunkt die ganze Sphäre
von innen und aufsen übersehen konnte, nicht blofs ein Segment
Heckeihorn. Kattchcr, Geheimbünde u. Gehcimlehren,
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Mystiker.
ihres Äufsern. Er erkannte daher nicht nur die Wirkungen,
sondern auch die Ursachen der Dinge. Zweifellos enthalten seine
Schriften viel Falsches und Unhaltbares, Vieles, was als alchi-
mistische und kabbalistische Träumerei bezeichnet werden mufs;
namentlich die Schriften des Paracelsus scheint er gut gekannt
zu haben. Sind aber seine Schlufsfolgerungen oft schief, so trifft
er doch in grundlegenden Dingen immer das Richtige. Nach
Ausscheidung alles Zweifelhaften und Irrigen bleibt noch so
vieles übrig, das von der Wissenschaft und der Praxis als un-
umstöfslich wahr dargethan ist, dafs man kaum glauben sollte,
all dies sei von einem Mann erdacht und verkündet worden, der
völlig ungelehrt war und niemals ein Experiment machte - und
noch dazu in einer Zeit, da keine seiner wissenschaftlichen
Wahrheiten irgend einem Mann der Wissenschaft auch nur auf-
gedämmert war.
Hätte Böhme die Welt auch mit nichts anderem vertraut
gemacht als mit den sieben Eigenschaften der Natur (vgl. «Ein-
leitung"), diesem Schlüssel zu allen Naturgeheimnissen, so würde
er schon deshalb für immer zu den gröfsten Leuchten der
Wissenschaft zählen. Wie ein ungebildeter Schuhmacher zu
solcher Erkenntnis kam, ist schier unfafsbar. Er war der erste,
der diese Dinge vorbrachte, und vor ihm gab es kein Werk, aus
dem er hätte schöpfen können. Nirgends eine Spur früherer
Kenntnis der sieben Eigenschaften; nur die von jeher allgemeine
Verehrung der Siebenzahl war bekannt. Böhme mufs entweder
eine aufserordentliche Intuition besessen haben oder ein grofses
Genie gewesen sein. Die heutige Wissenschaft verlacht ihn als
einen verrückten Träumer, wie die Königliche Gesellschaft (die
englische Akademie der Wissenschaften) über die elektrischen
Entdeckungen Benjamin Franklins lachte; weil dieser ein aus-
übender Buchdrucker war, könne er nichts von Elektrizität wissen
und noch weniger ein Problem lösen, dem nicht einmal die ge-
lehrtesten Akademiker gewachsen gewesen waren. Auch das grofse
Intuitivgenie Priefsnitz, ein Bauer, der kaum schreiben konnte,
wurde ob seiner Wasserheilkünste verhöhnt. Was könnte ein
ungebildeter Schuster unsere heutigen Gelehrten lehren ? ! In
Wirklichkeit aber bergen die Schriften Böhmes die Keime aller
bisherigen und wohl auch künftigen Entdeckungen auf dem Ge-
biete der Naturwissenschaften.
Denjenigen, die etwa geneigt sein sollten, uns wegen unsrer
hohen Verehrung für Böhme zu verspotten, möchten wir nahe-
legen, seine Schriften doch einmal so genau zu studieren wie
wir es gethan; dann werden sie das Spotten unterlassen. Dazu
kommt, dafs wir uns der Gunst erfreut haben, beim Studium
Böhmes von dem bedeutendsten Böhmeforscher unsrer Zeit ange-
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Jakob Böhme.
163
leitet zu werden. Wir haben daher ein gewisses Recht auf Be-
achtung unsrer hohen Meinung von Böhme, dessen Einflufs auf
die moderne Wissenschaft übrigens ein tiefgehender und anhal-
tender, wenngleich nur mittelbarer war. Selbst Newton hatte
dem einfachen Schuster viel zu verdanken, aus dessen Schriften
er eigenhändig umfangreiche Auszüge machte. Der grofse Eng-
länder lernte von dem deutschen Mystiker, dafs die Anziehungs-
kraft das oberste Naturgesetz sei — das Gesetz, dessen wissen-
schaftliche Ausgestaltung er bekanntlich bewerkstelligte. Er stellte
sogar Öfen auf, mit deren Hilfe er monatelang eifrig an der
Erfindung der „Tinktur« arbeitetete, von der in Böhmes Schriften
so viel die Rede ist. Ein besonders grofser Einflufs Böhmes
macht sich bemerkbar in den Werken des modernen deutschen
Physikers Franz Xaver v. Baader, dessen Forschungen auf den
Offenbarungen unseres Mystikers beruhten, die der genannte
Gelehrte freilich keineswegs vollkommen verstand. Die gröfsten
Denker des 18. und des 19. Jahrhunderts haben aus Böhmes
Büchern geschöpft; die philosophischen Systeme von Leibniz,
Schelling, Laplace, Hegel, Fichte u. a. tragen deutlich seinen
Geistesstempel. Da aber keiner dieser Weltweisen ihn genügend
erfafste, sind ihre Systeme durchweg unbefriedigend geblieben.
Goethe war in den Böhmeschen Schriften wohlbewandert und
aus diesen lassen sich viele Anspielungen in des Altmeisters
Werken leicht erklären, während die landläufige Goethekritik ent-
weder mit ihnen gar nichts anzufangen weifs oder sich zu den
lächerlichsten Erläuterungen versteigt. Nur ein Beispiel. Was
haben die „Kommentatoren" nicht alles versucht, um die Be-
deutung der „Mütter« plausibel zu machen, zu denen Faust auf
der Suche nach Helena hinabsteigen soll! Diese „Mütter« sind
aber nichts anderes als die drei ersten Eigenschaften der Natur
(vgl. „Einleitung“), und die Weisungen, welche Faust vor seinem
Abstieg in die Unterwelt von Mephisto empfängt, bilden eine
poetisch-philosophische Schilderung jener Eigenschaften. Jammer-
schade, dafs die heutigen Gelehrten Böhme nicht studieren!
Thäten sie es, so würden die Darwins, Tyndalls, Huxleys u. s. w.
manche ihrer Theorien und Hypothesen unausgesprochen gelassen
haben. In Bezug auf Biologie sollten sie namentlich das herr-
liche Kapitel lesen, das mit den Worten anfängt: „Wir sehen
und befinden, dafs ein jedes Leben essentialisch ist, und dann
befinden wir, dafs es im Willen steht, denn der Wille ist das
Treiben der Essentien.« („Sechs Punkte«, L 1.) Ganz beson-
ders könnte die Theologie über alle ihre Hauptfragen bei Böhme
gründlichste Belehrung finden. Da er aber keinen akademischen
Grad hatte und nicht einmal Professor war, stöfst er bei den
Gelehrten auf mehr Geringschätzung als selbst der Spiritismus!
11*
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164
Mystiker.
1575 in Görlitz geboren, mufste er in seiner Kindheit
Vieh hüten. In seiner Einsamkeit befafste er sich mit stetiger
Naturbetrachtung. Bald fühlte er sich als Dichter und glaubte
zu grofsem bestimmt zu sein. Er legte allen Naturstimmen eine
geheime Bedeutung bei, hörte in ihnen die Stimme Gottes und
meinte, Gott selbst offenbare sich ihm mittels der Natur. Mit
15 oder 16 Jahren kam er zu einem Görlitzer Schuhmacher in
die Lehre. Die sitzende Lebensweise förderte seinen Hang zum
Mystizismus. Infolge seiner grofsen Sittenstrenge und Ver-
schlossenheit wurde er teils für stolz, teils für verrückt gehalten.
Da er keinerlei Unterricht genossen hatte, waren seine Ideen
begreiflicherweise verworren, unklar, unzusammenhängend. 1 594
verheiratete er sich. Er war ein guter Gatte und Vater, blieb
jedoch ein Träumer. Schliefslich liefs er sich durch häufige
Traumerscheinungen, welche er der Einwirkung des Heiligen
Geistes zuschrieb, zum Niederschreiben seiner Gedanken bewegen.
Sein erstes und bekanntestes, aber inhaltlich wie stilistisch
schwächstes Werk hiefs „Aurora". Es zog ihm die Gegnerschaft
der Geistlichkeit zu, welche die Obrigkeit veranlafste, ihm das Weiter-
schreiben zu verbieten. Viele Jahre hindurch fügte er sich dem
Verbot, dann aber packte ihn sein Denken so gewaltig, dafs er
nicht länger widerstehen konnte und die letzten sechs Lebens-
jahre ausschliefslich der Niederschrift von Büchern widmete, unter
denen besondere Hervorhebung verdienen: „Das dreifache Leben",
»Von sechs Punkten", „Göttliche Beschaulichkeit“, „Das über-
sinnliche Leben“, „Das grofse Geheimnis“ und „Signatura Rerum“.
In allen stofsen wir neben vielem Wunderlichen, Unstichhaltigen
und Unverständlichen auf grofsartige Stellen von erstaunlich
tiefer Erkenntnis, allumfassender Tragweite und grundlegender
wissenschaftlicher Bedeutung. Manche poetischen Schönheiten
Böhmes sind so grofs, manche seiner Anschauungen von Gott
und Natur so erhaben, dafs sie von keinem noch so berühmten
Dichter irgend einer Zeit übertroffen worden sind, und das will
viel heifsen.
Zu seinen Lebzeiten waren seine — durchweg deutsch ge-
schriebenen — Werke nur handschriftlich im Umlauf. Lange
vor der ersten gedruckten deutschen Ausgabe, die übrigens höchst
fehlerhaft war (1682), erschienen Übersetzungen ins Holländische
und Englische. Einige der Bücher wurden von Saint-Martin,
dem „unbekannten Philosophen“, ins Französische übertragen.
Der beste Erläuter^r Böhmes war der Deutsche Dionys Andreas
Freher, der aber zumeist englisch schrieb; seine blofs handschrift-
lich vorhandenen Werke befinden sich teils im Britischen Mu-
seum, teils in der Bibliothek des Dr. Williams in London.
Böhme starb 1624. Seine letzten Worte waren: „Jetzt gehe
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Emanuel Swedenborg.
165
ich ins Paradies ein.“ Er gründete weder eine Sekte noch einen
Geheimbund; dazu war er zu sehr in sich gekehrt und zu welt-
abgeschieden. Statt Schüler um sich zu scharen und an die
Erwerbung von Ruhm zu denken, liefs er, gleich der Sonne,
sein Licht unbewufst leuchten, unbekümmert darum, ob es frucht-
baren oder unfruchtbaren Boden beschien. Aber eine Engländerin
namens Jane Lead stiftete am Ende des 1 7. Jahrhunderts die
»Philadelphier« (»Engelsbrüder"), eine Gesellschaft, die auf Böhmes
Lehren fufste, sich jedoch mehr mit leeren Visionen abgab und
weder wissenschaftliche noch religiöse Ergebnisse zeitigte. Diese
Vereinigung bestand blofs etwa sieben Jahre und ihre Mitglieder
hatten nur sehr nebelhafte Vorstellungen von der Tragweite und
dem wahren Sinn der Schriften ihres grofsen Leitsterns.
Emanuel Swedenborg.
Sein Lebenslauf. — Finanzmann und Mystiker. — Schriften und Lehren. —
Die Übereinstimmungen. — Swedenborgianische Sekten. — Neu-Jerusalem,
Avignoner llluminaten, Erleuchtete Theosophen, Philosophischer Schotten-
ritus, Wahrheitsforscher, Philadelphier, Swedenborg-Ritus, Allgemeine Aurora.
Der schwedische Mystiker, von dem wir im Nachstehenden
sprechen, hat die Aufmerksamkeit der Welt in viel höherem Grad
erregt als Böhme, obgleich er an Bedeutung hinter diesem weit
zurücksteht. Während der grofse Deutsche uns greifbare und
wertvolle, auf aufserordentlicher Naturerkenntnis beruhende wissen-
schaftliche Kenntnisse hinterliefs, haben wir dem Schweden nichts
zu verdanken als einige dichterische Ideen und eine Fülle von
verrücktem Unsinn. Immerhin war Swedenborg ein hochbegabter
Mensch, denn er vereinigte in sich die einander eigentlich ent-
gegengesetzten Merkmale des Dichters, des Träumers und des
Mannes der Wissenschaft.
Sein Wissensdurst war so grofs, dafs er sich die gesamten
Kenntniszweige seiner Zeit aneignete und im Alter von 28 Jahren
zu den allergelehrtesten Männern seines Landes gehörte. 1 716 — 1 7
besuchte er englische, holländische, französische und deutsche
Universitäten, 1718 besorgte er für Karl XII. die Landbeförderung
einer Anzahl von Schiffen von einer Küste zur andern. Drei
Jahre später besuchte er viele europäische Bergwerke und beschrieb
sie dann in seinem umfangreichen Werk »Daedalus Hyperboreus“.
Nachher befafste er sich eingehend mit Theologie, um plötzlich
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166
Mystiker.
Mystiker zu werden, als welcher er die Theologie oft bekämpfte.
Als er Einkehr in sich hielt und die Wunder der Gedankenwelt
zu entdecken begann, war er bereits 55 Jahre alt. Statt irdischer
Bergwerke, erforschte er fortan die Tiefen der Seele. Seine
»Offenbarungen" zogen ihm die Feindschaft der Geistlichkeit
zu, doch konnte diese ihm, weil er sehr angesehen und geachtet
war, nichts anhaben. 1751 erklärte Graf Hopken im Reichstag,
die wertvollsten Schriften über Finanzwesen seien die Sweden-
borgschen. Ein mystischer Finanzmann oder finanzieller Mystiker
- das war gewifs noch nicht dagewesen! Doch haben wir im
19. Jahrhundert eine ähnliche Erscheinung erlebt: den hervor-
ragenden schottischen Mystiker Lawrence Oliphant, der zugleich
ein gewiegter Geschäfts- und kluger Weltmann war. Sweden-
borg lebte viel in London, wo er auch starb (1772 im 85. Lebens-
jahr) und wo es eine reiche »Swedenborg-Gesellschaft“ giebt,
die seine, etwa fünfzig Bände umfassenden Werke herausgiebt
und verbreitet und dem Mystiker in England noch heute zahl-
reiche Anhänger gewinnt. Ihm waren übrigens auch viele astro-
nomische, chemische und medizinische Entdeckungen zu ver-
danken und hinsichtlich der Schädellehre mufs er als Vorläufer
Galls gelten.
So widersinnig der gröfste Teil seiner Schriften auch sei,
so läfst sich in ihnen doch ein gewisses System entdecken; »ist
es auch Unsinn, hat es doch Methode.“ Wer z. B. »Neu-Jeru-
salem“ oder »Reise zur Sternenwelt“ aufmerksam liest, mufs
erkennen, dafs der abstrusen Sprache eine verborgene Bedeutung
innewohnt. Ein Mann von seiner hohen Bildung kann eine so
illusorische Ausdrucksweise nicht anwenden, ohne ihr einen Sinn
unterzulegen, umsoweniger als er so viel von »Übereinstimmungen“
sprach, in denen er selbst der geringsten Kleinigkeit eine geheime
Bedeutung zuschrieb. Er bekannte sich zur Religion der Menschen-
freundlichkeit und nannte daher die abstrakte Vorstellung vom
vollkommenen Menschen »Menschgott“ oder »Jesus Christus";
jene die Vollkommenheit anstrebenden Wesen bezeichnete er als
Engel und Geister, ihre Vereinigung als Himmel, das Gegenteil
als Hölle.
Einen seiner Hauptgedanken hat Swedenborg in seinem
»Neu-Jerusalem" niedergelegt: das Göttliche im Herzen jedes
Menschen, verdolmetscht durch die Menschlichkeit. »Das Rechte
ohne Eigennutz wollen oder thun, heilst den Himmel im eignen
Innern aufrichten und in der Gesellschaft von Engeln leben.
Das Gewissen jedes Einzelnen ist sein Himmelskompendium; da
ist alles vorhanden: die Erfassung und Heiligung aller Pflichten
und Rechte." Über das mystische oder sektiererische Leben sagt
er: »Zwischen Gut und Böse besteht derselbe Unterschied wie
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Emanuel Swedenborg.
167
zwischen Himmel und Hölle. Wer in Übel und Irrtum verharrt,
gleicht der Hölle und die Liebe zur Hölle ist der Gegensatz
der Liebe zum Himmel. Die eine Liebe hafst und bekämpft die
andere bis zum Tode. Die Bestimmung des Menschen ist, mit
der Seele in der geistigen, mit dem Leib in der natürlichen Welt
zu leben. Jedem Menschen wohnen daher zwei Individualitäten
inne: eine geistige oder innerliche und eine natürliche oder
äufserliche. Der innerliche Mensch befindet sich recht eigentlich
im Himmel und im Verkehr mit himmlischen Geistern schon
während seines irdischen Daseins, das kein wahres, sondern nur
ein fingiertes Leben bildet. Da der Mensch ein zwiefältiges
Wesen ist, hat er eine zwiefältige Gedankenwelt - eine höhere
und eine niedrigere — sowie zweierlei Sprache und zweierlei
Liebe. Darum ist der natürliche Mensch heuchlerisch und falsch,
denn er ist doppelt, während der spirituelle Mensch notwendig
aufrichtig und wahr ist, weil er einfach und eins ist; in ihm hat
der Geist das natürliche Element erhöht und angezogen, das
Äufserliche sich mit dem Innerlichen identifiziert. Diese Er-
höhung wurde von den Alten erreicht, die in irdischen Dingen
auf deren himmlische Übereinstimmungen achteten.“
Zur Wissenschaft von den »Übereinstimmungen“ kehrt
Swedenborg immer wieder zurück. Er spielt damit auf die Ein-
weihungsmysterien der Alten an, auf das »wahre" Leben, welches
dem fingierten Einweihungstod folgt, auf den mystischen Himmel,
der in den Augen der Ägypter und Griechen nichts anderes war
als der Tempel. »Die Wissenschaft der Übereinstimmungen war
die höchste Wissenschaft der Alten. Die Asiaten und die Ägypter
drückten dieselbe in Hieroglyphen aus, welche, als sie unver-
ständlich wurden, Götzendienst hervorriefen. Nur die Über-
einstimmungen können die geistigen Augen öffnen, die spirituelle
Welt entschleiern und zum Erfassen des Übersinnlichen führen.“
An einer anderen Stelle heifst es: »Wollt ihr wissen, was der
Glaube und das Erbarmen eigentlich sind, so denket euch statt
dieser Begriffe die Begriffe Wärme und Licht und ihr werdet
alles verstehen. Der Kern des Glaubens ist die Wahrheit, d. h.
die Weisheit; der Grundzug des Erbarmens ist die Zuneigung,
d. h. die Liebe. Liebe und Weisheit oder Erbarmen und Glaube
oder das Gute und das Wahre bilden das göttliche Leben im
Menschen.“ ln der Schilderung der Himmelsgefilde kommt eine
Stelle vor, in welcher der Swedenborg geleitende Engel (vielleicht
der Logenaufseher?) sagt, dafs alle Dinge ringsumher Ȇber-
einstimmungen der Engelswissenschaft“ seien, dafs die Pflanzen,
die Früchte, die Steine etc. einander entsprechen, d. h. mit ein-
ander übereinstimmen. Wie es im Leben drei Grade gebe, gebe
es auch drei Himmel und die Daseinsbedingungen ihrer respek-
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168
Mystiker.
tiven Insassen stimmen mit denen der in die drei maurerischen
Grade Eingeweihten überein.
»Neu-Jerusalem« kann übrigens auch noch als ein Protest
gegen die Herrschaft des Papstes gelten, die von Swedenborg,
wie von allen Sektierern, verabscheut wurde. Gleich den Albi-
gensern, suchte er ihr Schicksal in der Apokalypse. Er erklärte,
die verderbte römische Geistlichkeit müsse einer besseren Priester-
schaft weichen, die verfallene und götzendienerische Kirche einem
neuen Tempel Platz machen. Um das Gewicht seiner Worte zu
erhöhen, fügte er hinzu: »Was ich euch sage, habe ich im
Himmel erfahren,“ womit er wahrscheinlich den Einweihungs-
himmel meinte. Unsere wenigen Auszüge werden zur Kenn-
zeichnung des Geistes der Swedenborgschen Schriften genügen.
Aus ihnen geht hervor, dafs man den geheimen Sinn der meisten
Riten, Abzeichen und Geheimgesellschaften nur dann ergründen
kann, wenn man die doppelte und oft sogar dreifache Bedeutung
der betreffenden Figuren etc. kennt und beachtet. Jedes Sinnbild
ist ein Mysterium ; alle in geheimen Versammlungen vorkommenden
Namen, Formeln, Gegenstände u. s. w. deuten auf verborgene
Wahrheiten hin, deren Enthüllung wahrscheinlich gefährlich wäre,
weshalb sie eben doppelt und dreifach verschleiert werden.
Die hauptsächlichste der Sekten, die auf Grund der mys-
tischen Werke unseres Schweden entstanden sind, ist die »Neue
Kirche des himmlischen Jerusalem". Ihre Mitglieder glauben an
des Meisters wunderbare Weissagungen, an dessen Gespräche
mit Engeln, an die seraphischen Heiraten der Auserwählten, und
sie halten sich für die »wahren« Jünger Christi, weil Swedenborg
die »Sonne der Barmherzigkeit“, welche das ganze Weltall er-
leuchtet und erwärmt, die »Welterlöserin" nennt. Die gröfste
Verbreitung hat diese »Kirche“ in England. Einige andere
Sekten rühmen sich, in die tiefsten Geheimnisse ihres Leitsterns
eingedrungen zu sein. Am bemerkenswertesten ist die der
»Illuminaten von Avignon«. Der Benediktinermönch Pernetti
und der polnische Edelmann Gabrianca, ein Freimaurer, waren
die Ersten, welche die Schwärmereien Swedenborgs mit seltsamen
Riten und Zeremonien verquickten. Die von ihnen gegründete
Illuminatengesellschaft (nicht zu verwechseln mit der baierischen,
von der wir im 9. Buch sprechen werden) hatte ihren Hauptsitz
in der provengalischen Päpstestadt und Zweiglogen in den gröfsten
Städten Frankreichs. Die Mitglieder befafsten sich mit Philosophie,
Astronomie und Sozialwissenschaft.
Damit Paris sich nicht mit einem Zweig des Avignoner
Bundes begnügen müsse, sondern einen eigenen Sweden-
borgianischen Ritus habe, rief der Freimaurer Chartanier, damals
Meister vom Stuhle der Pariser Loge »Sokrates«, 1766 unter Ab-
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Emanuel Swedenborg.
169
änderung des Avignoner Ritus den Orden der »Erleuchteten
Theosophen« ins Leben. Nach Entfaltung einer eifrigen Pro-
paganda in Frankreich errichtete er auch in London eine Loge,
welche jedoch nicht lange bestand, obgleich sie anfänglich viel
Anklang fand. Ein anderer Ausläufer des Avignoner Ritus war
der ebenfalls von Pemetti, der ein Alchimist war, geschaffene
»hermetische“ Ritus, der, weit mehr alchimistischer als frei-
maurerischer Natur, später von dem Pariser Arzt Boileau, einem
Anhänger Pernettis, in ausschliefslich maurerischer Richtung um-
gestaltet wurde und dann die Bezeichnung »Philosophischer
Schottenritus" führte. Diese beiden Ritenvarianten wurden nach-
mals zu zwölf Graden vereinigt, deren letzter, »Erhabener Meister
des leuchtenden Ringes" genannt, sich rühmte, von Pythagoras
abzustammen. 1780 entstand in Frankreich eine »Akademie der
erhabenen Meister des leuchtenden Ringes“, deren Einweihungs-
lehren den angeblichen Philosophemen des Weisen von Samos
entsprachen.
Eine andere Swedenborgianische Vereinigung maurerischer
Natur war die Pariser Loge »Die vereinigten Freunde“, deren
Mitglieder, zu denen u. a. auch Condorcet gehörte, sich „Phila-
letiker“ (Wahrheitssucher) nannten. Der Gründer war der könig-
liche Schatzmeister Lavalette de Langes. Dieser Orden hatte
zwölf Grade (»Klassen" oder »Kammern"); die ersten sechs
hiefsen Niedrige, die übrigen Hohe Maurerei. Wie alle maurerischen
Gesellschaften, wollten auch die Wahrheitsforscher die Menschen
zu ihrer ursprüngliche^ Tugend und Freiheit zurückführen. In
ihrer Logenbücherei besafsen sie eine reiche Fülle von Werken
und Handschriften über Geheimbünde; auch hatten sie ein
grofses chemisches Laboratorium und ein naturgeschichtliches
Museum. Nach dem Tode de Langes' (1788) löste sich der
Bund auf. Eine ähnliche Loge entstand 1780 in Narbonne. Die
Mitglieder nannten sich »Philadelphia“ (nicht zu verwechseln
mit den Londoner Philadelphiern der Jane Lead; vgl. »Jakob
Böhme“) und zerfielen in drei »Tempel“ und zehn »Klassen«
oder »Zirkel". Nach den drei ersten maurerischen Graden
kamen: der vierte, welcher die »vollkommenen Meister“, die
»Auserwählten“ und die »Architekten" umfafste; der fünfte (die
»erhabenen Schotten«); der sechste »(Ritter des Ostens" und
»Fürsten von Jerusalem“); die übrigen vier Grade führten die
Bezeichnung »I. bis 4. Kapitel des Rosenkreuzes“ und waren
von phlosophisch-physikalischer Maurerwissenschaft , sowie von
allerlei mystischen Kenntnissen erfüllt, die für geeignet gehalten
wurden, den menschlichen Geist zu stärken und zu erbauen.
Der eigentliche »Swedenborg-Ritus« war eine Abart des
Avignonischen. Gestiftet wurde er 1783 vom Marquis de Thome,
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170
Mystiker.
welche die „wahre" Bedeutung der Lehren des nordischen Mystikers
erfafst zu haben glaubte. Dieser Ritus hat jetzt noch mehrere
Logen im Norden Europas. Seine sechs Grade sind: Lehrling.
Genosse, Meister-Theosoph, Erleuchteter Theosoph, Blauer Bruder,
Roter Bruder. In demselben Jahre (1783) trat zu Paris der
Orden „Allgemeine Aurora" ins Leben, der sich in erster Reihe
mit Mesmerismus befafste und in welchem Cagliostro eine grofse
Rolle spielte.
Der Martinismus.
Bei keiner mystischen Vereinigung seit Böhmes Zeit war
der Einflufs seiner Schriften ein so auffallender wie beim Mar-
tinismus. Dieser Orden wurde von dem portugiesischen Juden
Martinez • Paschalis gestiftet und von dem sogenannten „unbe-
kannten Philosophen", dem Marquis de Saint-Martin, reformiert.
Paschalis, der zum gnostischen Christentum übergetreten war,
begann 1 7 54 seine Propaganda damit, dafs er in mehreren fran-
zösischen Städten — insbesondere Marseille, Bordeaux, Toulouse
und Lyon — Jünger um sich scharte. Zwar legten alle für ihn
die gröfste Verehrung und Ergebenheit an den Tag, aber kein
einziger wurde ein Epopt, d. h. niemand drang in seine eigent-
lichen Geheimnisse ein. Seine Geheimlehre scheint ein ver-
worrenes Gemisch von Gnostizismus mit christlichem Judentum
und Kabbala gewesen zu sein. Übrigens schoben ihm seine
Jünger, weil sie ihn nicht verstanden, viele Ansichten in die
Schuhe, die er nicht hegte. Sehr grofses Gewicht legte er auf
die von Böhme gründlich nachgewiesene Allmacht des Willens.
Gleich dem Görlitzer Schuster lehrte Paschalis, dafs Verstand
und Wille die einzigen wirklich thätigen Naturkräfte seien, dafs
der Mensch die Naturerscheinungen durch energisches Wollen
meistern und sich mittels eines genügend festen Willens sogar
bis zur Erkenntnis des höchsten Wesens (ens) aufschwingen könne.
Martinez verwarf grundsätzlich alle auf Gewalt gegründeten
Staaten und jede auf Übereinkommen und Herkommen beruhende
Gesellschaft; sein Ideal war die Wiederkehr der patriarchalischen
Zeiten.
Wie seine Lehre, war auch sein Leben lückenhaft und ge-
heimnisvoll. Heute tauchte er plötzlich irgendwo auf, ohne dafs
jemand ahnte, woher er kam. Morgen verschwand er wieder
und man wufste nicht wohin. Oft erschien er gerade dort, wo
man ihn am allerwenigsten erwartete. Von 1768 bis 1778 lebte
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Rosen kreuzer.
171
er abwechselnd in Paris oder Lyon. Plötzlich machte er eine
überseeische Reise, um schon 1779 auf San Domingo zu sterben.
Vielleicht hielt er diese unberechenbaren Bewegungen für not-
wendig zur Erhaltung oder Steigerung seines Ansehens. De
Maitre teilt mit, dafs der Martin istenorden eigentlich »Ritus der
erwählten Priester oder Kahanim“ hiefs und dafs von dessen
höheren Graden die in die niedrigeren Grade Eingeweihten keine
Ahnung hatten. Man kennt die Namen - aber nicht das
Rituale — von neun Graden: Lehrling, Geselle, Meister, Grofs-
erwählter, Kahen-Lehrling, Kahen-Geselle, Kahen-Meister, Grofs-
Architekt, Komturritter. Der Eifer mehrerer Mitglieder — unter
denen sich Saint-Martin, Holbach und Duchamteau befanden —
hielt den Bund noch einige Zeit nach dem Tode Paschalis' aufrecht.
Der mehrerwähnte Saint-Martin, der auch ein gründlicher
Böhmeforscher war (vgl. »Jakob Böhme"), gestaltete den Mar-
tinismus um und teilte ihn in zwei »Tempel" mit zusammen
zehn Graden. Der erste »Tempel" umfafste die Lehrlinge, die
Gesellen, die Meister, die Altmeister, die Erwählten, die Grofs-
architekten und die Meister des Geheimnisses, der zweite die
Fürsten von Jerusalem, die Palästinaritter und die Kadoschritter.
Unter Saint-Martin verbreitete sich die Vereinigung von Lyon
aus über die gröfsten Städte Frankreichs, Deutschlands und
Rufslands. In letzterem Land war der berühmte Fürst Repnin
(1734 -1801) sein Protektor. Gegenwärtig ist der Martinismus
ausgestorben.
Rosenkreuzer.
Verdienste der Rosenkreuzer. Zweifelhaftigkeit ihres Ursprungs. — Chris-
tian Rosenkreuz. — Fachliteratur. — Zwecke und F.rgebnisse der An-
dreäschen Schriften. — -Gaukeleien“. — Rituale und Zeremonien. — Die
mystische Tafel. — Englische Rosenkreuzer. — Fludd. — Heydon. — Ab-
leitung des Bundesnamens. — Die Rolle der Rose in Mysterien. — Behaup-
tungen und Vorschriften. — Die Poesie im Rosen kreuzertu m und das
Rosenkreuzertum in der Poesie. — Die Haager Loge. — Eine rosen-
kreuzerische Handschrift. - Eine neue Rosenkreuzerverfassung. — Herzog
Emst August. — Schroepfer, Bischofswerder, Wöllner, Pianco. - Rosen-
kreuzer auf Mauritius. - Moderne englische Rosenkreuzer.
Ein poetischer Glorienschein umgiebt den Rosenkreuzer-
orden. Zauberische Phantasielichter umspielen seine anmutigen
Trugbilder, und das Geheimnis, mit dem er sich zu umgeben
wufste, erhöht den Reiz seiner Geschichte. Aber sein Glanz
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Mystiker.
war der eines Meteors. Er durchblitzte das Reich der Phantasie
und des Geistes vorübergehend, um alsbald auf immer zu ver-
schwinden, allerdings nicht ohne einige dauernde und liebliche
Spuren seiner Laufbahn zu hinterlassen. Die Dichtkunst und
die Belletristik verdanken ihm viele fesselnde Schöpfungen. Die
meisten europäischen Litteraturcn enthalten hunderte von ange-
nehmen oder prächtigen Werken , welche auf der Philosophie
der Rosenkreuzer beruhen, der man nicht bestreiten kann, dafs
viele ihrer Ideen ungemein geistreich waren und sich an speku-
lativer Geisteshöhe mit den Leistungen der indischen Sophisten
messen konnten. Die Alchimie war im grofsen Ganzen zu einer
unwürdigen Täuschung herabgesunken; sie suchte lediglich welt-
lichen Gewinn und befafste sich fast nur mit irdischen Schlacken.
Die Rosenkreuzer vergeistigten und verfeinerten sie, indem sie
der aussichtslosen Suche nach dem Stein der Weisen ein edleres
Ziel steckten als die Erlangung von Reichtum: nämlich das Öffnen
der geistigen Augen, damit der Mensch befähigt werde, die über-
sinnliche Welt zu erblicken und sich mit innerlicher Erleuchtung
zu erfüllen, die zu wahrer Erkenntnis führen würde. Die Rosen-
kreuzer betrachteten die Umwandlung der Metalle als eine Analogie
der Zurückleitung des Menschen zum reinen Urzustand. Die
echten Rosenkreuzer kann man daher als Geistes-Alchimisten oder
Theosophen bezeichnen.
Der Ursprung des Bundes ist sehr zweifelhaft. Nach
manchen Quellen stammt er von einer seit dem 14. Jahrhundert
bestandenen Vereinigung von Physikern und Alchimisten her, die
den Stein der Weisen suchten. In der That bereiste ein gewisser
Niccolo Barnaud Deutschland und Frankreich behufs Gründung
einer hermetischen Gesellschaft, und aus der Vorrede zu dem
Buch »Echo des Vereins vom Rosenkreuz" ist zu entnehmen,
dafs im Jahre 1597 Versammlungen zur Gründung eines alchi-
mistischen Geheimbundes stattfanden. Dafs eine solche Gesell-
schaft wirklich bestand, geht aus einem andern Werk hervor,
welches 1605 unter dem Titel »Wiederaufbau des verfallenen
Pallas-Tempels" erschien und eine Rosenkreuzer- »Verfassung"
wiedergab. Fünf Jahre später behauptete der Notarius Haselmeyer
in einer Handschrift die, sämtliche Satzungen des Ordens ent-
haltende »Fama fraternitatis" gelesen zu haben. Diese »Fama“
erschien 1614 gedruckt in dem Büchlein »Allgemeine Umgestal-
tung der Welt", welches berichtet, im 14. Jahrhundert habe der
Deutsche Christian Rosenkreuz, nach Erlernung der »erhabenen
Wissenschaft" im Morgenlande, eine solche Gesellschaft ins Leben
gerufen. Dort wird von ihm ferner erzählt, dafs, als er 1378
Arabien bereiste, einige Philosophen, die er nie gesehen hatte,
ihn mit seinem Namen ansprachen und ihn viele geheime Künste
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Rosenkreuzer.
173
lehrten, darunter die der Verlängerung des Lebens. Nach seiner
Rückkehr soll er einen grofsen Anhang gehabt und später im
Alter von 150 Jahren aus Lebensüberdrufs einen Selbstmord be-
gangen haben. 1604 liefs ein Rosenkreuzer sein Grab öffnen,
in welchem sich seltsame Inschriften und eine Handschrift in
Goldbuchstaben vorfanden. Die Grotte, in der dieses Grab ge-
funden wurde, scheint nach der davon entworfenen Schilderung
eine mithraitische Höhle gewesen zu sein.
Das 1615 veröffentlichte Werk »Confessio fraternitatis rosae
crucis“ enthält eine Darlegung der Zwecke und des Geistes des
Ordens. Auch die „Thesaurinella chymica-aurea“ des Figulus
(vgl. »Die Alchimisten") dürfte ein rosenkreuzerisches Buch ge-
wesen sein. Michael Meyers »Themis aurea, hoc est, de legibus
fraternitatis rosae crucis“ (Köln 1615) gab sich als eine Samm-
lung aller Satzungen und Bestimmungen des Bundes. Die ein
Jahr später in Strafsburg veröffentlichte deutsche Schrift »Die
chymische Hochzeit Christiani Rosenkreuz", ein komischer Roman,
bildet eine Satire auf die alchimistischen Luftschlösser jener Zeit.
Der Verfasser war Johann Valentin Andreä, lutheranischer Pastor
zu Herrenberg bei Tübingen. Das Publikum nahm Andreäs
satirische Erdichtungen für bare Münze, so dafs zahlreiche billigende
und verurteilende Flugschriften und offene Briefe über die er-
sonnene Brüderschaft erschienen. Andreä selbst verwarf in spä-
teren Veröffentlichungen das Rosen kreuzertu m. Allerhand Be-
trüger gaben vor, zum Bund zu gehören und »enthüllten" dessen
angebliche Geheimnisse in Druckschriften, deren litterarischer
Wert kaum gröfser war als der wissenschaftliche.
ln Andreäs rosenkreuzerischen Schriften verbargen sich
politische Zwecke, insbesondere die Förderung der lutherischen
Religion, zu der sich auch die Rosenkreuzer selbst bekannten.
Andreä machte zwei Reisen nach Österreich: 1612 zur Zeit der
Thronbesteigung des Kaisers Matthias und 1619 kurz nach dessen
Tod. In Linz hatte er Unterredungen mit mehreren lutherischen
Adeligen, mit deren Hilfe er behufs Förderung des Protestantismus
einige Rosenkreuzerlogen stiftete; doch erhielten allmählich so
viele Katholiken Zutritt, dafs die Tendenz nachgerade in die
gegenteilige umschlug, was Andreä veranlafste, dem Rosenkreuzer-
tum den Rücken, zu kehren und sich, wie gesagt, gegen dasselbe
auszusprechen. In Österreich hatte er übrigens auch die »Brüder-
schaft Christi“ gegründet, zu der viele Mitglieder des protestan-
tischen Adels gehörten, die jedoch nach dreijährigem Bestand von
der Regierung verboten wurde; den Todesstofs erhielt sie dann
durch den mit Genehmigung des Papstes geschaffenen katholischen
Orden vom »blauen Kreuz“.
Nicht mehr von Andreä beeinflufst, zersplitterten sich die
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Mystiker.
Rosenkreuzer bald in eine Anzahl unabhängiger Logen, die aber
meist nur kurze Zeit bestanden, weil sie rasch zu Fallen für den
Fang bemittelter Gimpel entarteten. Allein unter Kaiser Joseph II.
erlebten die Rosenkreuzer, gleich anderen Geheimgesellschaften,
eine neue Blüte. Die Freimaurerei kam so sehr in Mode, dafs
die Damen maurerische Abzeichen als Amulette trugen, wie auch
Müffe, die den Maurerschürzen nachgebildet waren. Schliefslich
unterdrückte der Kaiser alle Geheimbünde mit Ausnahme der
Freimaurerei. Das Patent, welches er ihr 1785 gewährte, begann
folgendermafsen: »Wir halten es für nötig, zu erklären, dafs die
sogenannten Maurerischen Gesellschaften, deren Geheimnisse uns
unbekannt sind, weil wir niemals genug neugierig waren, um
ihren Gaukeleien nachzuforschen ..." Die Unterdrückung
aller anderen Orden führte viele derselben - auch die Rosen-
kreuzer — in die Arme der Freimaurerei.
Die »Gaukeleien“ der Rosenkreuzer waren die der »Ver-
fassung" von 1763. Wir lassen eine kurze Beschreibung folgen.
In dem Versammlungssaal, in welchem die »Einweihung" statt-
fand, befand sich die »tabella mystica" (= »geheimnisvolle Tafel“),
die wir sofort eingehender behandeln werden. Den Fufsboden
bedeckte ein grüner Teppich, auf dem die folgenden Gegenstände
standen oder lagen: eine auf einem siebenstufigen Gestell
schwebende Glaskugel, in zwei Teile — Licht und Finsternis
bedeutend — geteilt; drei Armleuchter, zu einem Dreieck zu-
sammengestellt; neun Gläser als Sinnbilder der männlichen und
der weiblichen Eigenschaften; eine Kohlenpfanne, ein Zirkel, eine
Serviette u. a. m. Der Kandidat wurde von einem Mitgliede ein-
geführt, das ihn in ein Zimmer brachte, auf dessen Tisch sich
Kerzen, Federn, Tinte, Papier, Siegellack, zwei rote Stricke und
ein nacktes Schwert befanden. Der Aufnahmebewerber wurde
gefragt, ob er fest entschlossen sei, ein Jünger der wahren Weis-
heit zu werden; er antwortete bejahend, legte Hut und Degen
ab und bezahlte die Aufnahmegebühren. Nun wurden ihm die
Hände gefesselt, die Augen verbunden und ein roter Strick um
den Hals geworfen, an dem er zur Logenthür geleitet wurde, an
die sein Einführer neunmal leise anklopfte. Dann öffnete der
Thürhüter und fragte:
»Wer ist da?"
»Ein irdischer Leib,“ erwiderte der Einführer, »welcher
seinen Geistmenschen in der Unwissenheit gefangen hält.“
Thürhüter: Was willst du, dafs man ihm thun soll?
Einführer: Seinen Leib töten und den Geist reinigen.
Thürhüter: So bringe ihn herein an den Ort der Gerechtigkeit.
Die Beiden treten ein und stellen sich vor dem Kreis auf.
Der Kandidat läfst sich auf ein Knie nieder; zu seiner Rechten
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Rosen kreuzer.
175
steht der Meister mit einem weifsen Stab, zu seiner Linken der
Einführer mit einem Schwert. Diese beiden haben ihre Schürzen
angelegt. Es entwickelt sich folgendes Gespräch.
Meister: Menschenkind, ich beschwöre dich durch alle
Grade der profanen Freimaurerei und bei dem unendlichen Zirkel,
welcher alle Kreaturen und die höchste Weisheit in sich fafst, dafs
du mir sagest, zu was Ziel und Ende du ^inhero gekommen bist.
Kandidat: Um Weisheit, Kunst und Tugend zu erlangen.
Meister: So lebe! Doch dein Geist soll von neuem über
deinen Körper herrschen. Du hast Gnade gefunden; steh' auf
und sei frei!
Der Neuling wird entfesselt; betritt den Kreis und legt drei
Finger auf den Stab und das Schwert, die von dem Meister und
dem Einführer kreuzweise gehalten werden. So spricht er den
ihm vorgesprochenen Eid nach, durch den er sich verpflichtet,
ein tugendhaftes Leben zu führen und vor den Bundesbrüdern
keine Geheimnisse zu haben. Sodann macht man ihn mit dem
Siegel, dem Losungswort und dem Erkennungszeichen des Ordens
bekannt, verleiht ihm dessen Hut und Degen und erläutert ihm
den Inhalt der »geheimnisvollen Tafel.“ Auf die „Arbeit" folgt,
wie bei den Freimaurern, die „Erfrischung.“
Die „tabella mystica“ enthielt neun senkrechte und dreizehn
wagerechte Abteilungen. Die erste Abteilung zeigte die Zahlen,
die zweite die Namen der Ordensgrade. Dem niedrigsten Grad
gehörten die „Juniores" an, die fast nichts wufsten, dem höchsten
die „Magi“, denen gar nichts verborgen war und die — gleich
Moses, Hermes, Hiram - alle Dinge in der Gewalt hatten. Ihr
Kleinod war ein gleichseitiges Dreieck. Die Tafel besagte auch,
dafs die „Magi“ sich in jedem zehnten Jahr zu Smyrna ver-
sammelten, die „Magistri“ (die Inhaber des achten Grades) alle
neun Jahre in Camra (Polen) oder Paris, die „Juniores" jedes
zweite Jahr an einem jedesmal festzusetzenden Orte. Was die
Aufnahmegebühren betrifft, so bezahlte jeder „Junior“ drei, jeder
„Magus" neunundneunzig Mark Goldes; die „Minores“, welche „die
philosophische Sonne kannten“ und „Wunderkuren vollbrachten“,
entrichteten beliebige Beträge.
ln England erregten Andreäs Schriften grofse Aufmerksam-
keit. Dort war Robert Fludd der Hauptkämpe des Rosenkreuzer-
tums; er schrieb zwei einschlägige lateinische Werke (1616 und
1617). Sein Nachfolger war der 1629 geborene Heydon; in
einem seiner rosenkreuzerischen Bücher („An apologue for an
epilogue“) kommt die folgende verrückte Stelle vor: „Moses war
der Vater der Rosenkreuzer. Manche sagen, dafs diese dem
Orden des Elias oder des Ezechiel angehören, während andere
sie für die Offiziere des Generalissimus der Welt halten. Sie
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176
Mystiker.
sind die Augen und Ohren des grofsen Königs; sie sehen und
hören alles, denn sie sind — wie es Moses war — seraphisch
erleuchtet: Erde zu Wasser geläutert, Wasser zu Luft, Luft zu
Feuer." Solchen Blödsinn konnte man damals der Lesewelt
zumuten! In einem anderen Werk behauptete Heydon, es sei
ein Verbrechen, zu essen (er selbst hütete sich freilich, nicht zu
essen), da die Luft eine zur Ernährung der Menschen vollkommen
hinreichende »zarte Fettigkeit“ enthalte, und es selbst bei den
gefräfsigsten Personen genügen würde, einen Umschlag von ge-
kochtem Fleisch auf die Magengegend zu legen!!! Man sieht,
dafs es wirklich nichts Neues unter der Sonne giebt, denn
Heydon war im Punkte des Essens der Vorläufer des »Animis-
mus" des Breslauer Professors und »wirklichen Geheimrates“
Dr. Lucian v. Pusch, der seine »Freiländer" nach längerer Trai-
nierung schliefslich von Äther leben läfst! Anno 1646 entstand
in London eine rosenkreuzerische Vereinigung behufs Ausführung
des in Baco's »Nova Atlantis“ dargelegten Planes, d. h. der Er-
richtung des Hauses Salomonis. Der Teppich in der Loge dieses
Bundes stellte die Säulen des Hermes vor; sieben Stufen -
von denen vier die vier Elemente, drei das Salz, den Schwefel
und das Quecksilber versinnbildlichten - führten zu einer Art
Bühne, auf der die Symbole der sechstägigen Weltschöpfung zu
sehen waren. Einige der »Brüder" waren Freimaurer, aber sie
hielten aufser den Erkennungszeichen nichts geheim.
Das Wort » Rosen kreuzer“ wird gewöhnlich von dem mut-
mafslichen Stifter des Ordens, Rosenkreuz, abgeleitet. Manche
Forscher leiten es jedoch von dem Wappen der Familie Andreä
ab: ein Kreuz und vier Rosen. Andere Schriftsteller, und zwar
neuere, behaupten, es sei aus »ros" (= Tau) und »crux*
(= Kreuz) zusammengesetzt, wobei »crux“ für »lux“ (= Licht)
stehe, das Licht aber nach Ansicht der Rosenkreuzer Gold er-
zeuge, während der Tau von den Alchimisten als ein kräftiges
Lösemittel betrachtet wurde. Dagegen wendet Waite in seiner
»Wahren Geschichte der Rosenkreuzer“ (London 1887) in ein-
leuchtender Weise ein, dafs die Rosenkreuzer die Rose und das
Kreuz deshalb als Abzeichen wählten, weil sie eifrige Protestanten
waren und Luther fast vergötterten, Luthers Siegel aber ein kreuz-
gekröntes, aus der Mitte einer Rose emporragendes Herz war.
Indessen dürfen wir bei aller Plausibilität dieser Erklärung nicht
vergessen, dafs Kreuz und Rose von jeher in den mystischen
Systemen der Welt Sinnbilder von hoher Wichtigkeit waren.
Wir begegnen ihnen schon in der frühesten indischen Götter-
lehre, indem Lakschemi, die Gattin Wischnus, in einer Rose mit
108 Blättern gefunden wurde (daher 108 als Zahl der Perlen
<1es indischen Rosenkranzes!) und die Hindus das Kreuz als
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Rosen kreuzer.
177
das Sinnbild der Schöpfung betrachteten. Auch in den eleusi-
nischen Mysterien und bei Apulejus spielte die Rose eine her-
vorragende Rolle. Ganz klar ist der Ursprung des Wortes
.Rosenkreuzer" also nicht.
Dafs das Rosen kreuzertum einigermafsen mit den ritterlichen
Orden der Troubadours und der Albigenser zusammenhing, läfst
sich nicht leugnen. Wie diese, hafsten auch die Rosenkreuzer
das Papsttum und nannten den Katholizismus die Religion des
Hasses; den Papst selbst hielten sie für den Antichrist. Im
übrigen waren sie ziemlich ruhmredig, denn sie behaupteten,
weder Hunger noch Durst zu fühlen, weder Krankheiten noch
dem Alter unterworfen zu sein, wohl aber sich unsichtbar machen
zu können, Geister zu befehligen und für Perlen uhd Edelsteine
Anziehungskraft zu besitzen; auch erklärten sie, dafs ihr Bund
den Zweck verfolge, alle Wissenschaften — namentlich die Me-
dizin - aufzufrischen und durch Geheimkünste genügende Reich-
tümer zu erlangen, um die Könige und sonstigen Machthaber
mit den zur notwendigen Umgestaltung der menschlichen Gesell-
schaft erforderlichen Mitteln versehen zu können. Ihre fünf
hauptsächlichsten Pflichten waren: Kranke unentgeltlich zu heilen,
öffentlich die Tracht ihres Aufenthaltslandes zu tragen, den
Jahresversammlungen des Ordens beizuwohnen, das Bundesge-
heimnis hundert Jahre lang zu bewahren und auf dem Sterbebett
einen Nachfolger zu ernennen.
Der Mailänder Giuseppe Francesco Borri — derselbe, der
wegen seines Auftretens gegen die Mifsbräuche des Papsttums
von der römischen Inquisition auf Lebenszeit eingekerkert wurde
und anno 1695 im Gefängnis starb — schrieb ein Buch, »Schlüssel
zum Kabinett Borris“, dem wir viel verdanken von unserer
Kenntnis des »dichterischen Glanzes, der den Orden umgab."
Aus diesem Werk erfahren wir, dafs die Rosenkreuzer allem
Aberglauben von Zauberei, Hexerei und Teufelsverkehr kräftig
entgegentraten, das Vorhandensein von Dämonen, Kobolden und
anderen Ausgeburten des Mönchswahns leugneten und dagegen
erklärten, dafs der Mensch von zahllosen schönen und wohl-
thätigen Wesen umgeben sei, die durchweg den Wunsch hegen,
sich ihm nützlich zu erweisen. Es seien dies die Elementar-
oder Naturgeister. Die Luft sei von Sylphiden, das Wasser von
Undinen oder Najaden, die Erde von Gnomen, das Feuer von
Salamandern erfüllt. All diese »Geister“ könne der Rosenkreuzer
sich dienstbar machen, einkerkern (und zwar in Ringe, Spiegel
oder Steine), nach Belieben herbeirufen und zur Beantwortung
seiner beliebigen Fragen zwingen. So grofs die Macht dieser
Geschöpfe auch sei und so wenig sie durch Raum oder Stoff
beschränkt seien, habe der Mensch doch etwas vor ihnen voraus :
Heckcthora* Kätscher, Geheimbunde u. Geheimlehren. 12
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Mystiker.
die unsterbliche Seele; aber wenn es einem solchen Wesen ge-
linge, die Liebe eines Menschen zu erringen, könne es ebenfalls
unsterblich werden. (Auf diesen und ähnlichen poetischen Phan-
tastereien der Rosenkreuzer beruhen u. a. Fouquös »Undine“
und Popes »Lockenraub".) Da die Naturgeister aus nur einem
Element bestehen, und noch dazu blofs aus dessen reinsten Be-
standteilen, können sie Tausende von Jahren leben. Die Rosen-
kreuzer glaubten ferner an die »signatura rerum“, d. h. an die
Lehre, dafs alles Sichtbare äufserlich den Stempel seiner inner-
lichen — spirituellen — Wesenheit trage. Auch meinten sie,
dafs der Mensch durch grofse Tugendhaftigkeit schon auf Erden
einen Blick in die spirituelle Welt thun und den Stein der Weisen
finden könne, der »mit der himmlischen Wesenheit in engem
Zusammenhang steht“. Ihr »heiliges Wort“ war INR1; diese
vier Buchstaben bedeuteten nach ihrer Angabe nicht »Jesus Na-
zarenus Rex Judaeorum", sondern »Igne Natura Regenerando
Integrat.“
1622 wurde Ludwig Conrad aus Bingen als Rosenkreuzer,
» Montanus" genannt, aus einer Haager Rosen kreuzerloge ver-
trieben, die im Haag einen prächtigen Palast besafs, aber auch
in Amsterdam, Danzig, Nürnberg, Hamburg, Mantua, Venedig
und anderen grofsen Städten Zusammenkünfte abhielt. Der
Meister wurde »Imperator“ genannt. Die Mitglieder tmgen
öffentlich eine schwarze Schnur, in den Versammlungen jedoch
ein goldnes Band, an dem ein goldnes Kreuz und eine goldne
Rose befestigt waren. Die Mitgliedskarte bestand in einem Per-
gament mit vielen Siegeln, deren Anlegung mit grofsen Umständ-
lichkeiten verbunden war. Bei öffentlichen Umzügen wurde eine
kleine grüne Fahne getragen. Der erwähnte Montanus erzählte
in seinem Buch »Einführung in die Hermetik", er habe sein
und seiner Gattin Vermögen, insgesamt 1 1 000 Thaler (für jene
Zeit eine gewaltige Summe), den Interessen jener Loge geopfert,
sei nach seiner gänzlichen Verarmung ausgestofsen worden und
habe versprechen müssen, die Geheimnisse zu hüten. »Dies
habe ich gethan, denn es gab nichts zu enthüllen.“ Die an-
geblichen Geheimnisse sollen in einem Büchlein enthalten gewesen
sein, das sich ebenso angeblich »Sinceri Renati Theophi losophia
theoretico-practica“ betitelt und kaum zu beschaffen ist. Die
Haager Loge soll sich im Anfang des 1 8. Jahrhunderts auf-
gelöst haben.
Aus einer Bemerkung zu schliefsen, welche Dr. v. Harless
in seinem Werke »Jakob Böhme und die Alchimisten" (2. Auf-
lage: Leipzig 1882) macht, mufs um 1641 in Deutschland eine
rosen kreuzerische Vereinigung bestanden haben. Der Genannte
schreibt: »Seitdem ist es mir gelungen, Einsicht in ein, meines
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Rosen kreuzer.
179
Wissens bisher unbekanntes rosenkreuzerisches Manuskript zu
bekommen. Dasselbe wurde in den 60er Jahren des 18. Jahr-
hunderts zu Leipzig gefertigt. Es enthält abschriftlich einen
Statutenentwurf der Rosenkreuzer unter der Aufschrift: „Testa-
mentum». Das Original mufs aus der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts stammen. Dies ergiebt sich daraus, dafs in den
Statuten die Pflicht der Verschwiegenheit namentlich gegen katho-
lische Ordensleute durch Hinweisung auf einen Vorfall einge-
schärft wird, welcher infolge zu grofser Vertraulichkeit und
Offenherzigkeit im Jahre 1641 zwei rosenkreuzerischen Brüdern
in Österreich grofses Unheil gebracht habe. Das Manuskript
enthält teils die Statuten oder Regeln der Verbrüderung, teils
Anweisung zu alchimistischen Operationen. Aus dem ersten
Teil hebe ich hervor, dafs nach diesem „Testamentum“ der
Orden unter einem Obersten mit dem Titel „Imperator“ stand,
als Hauptsitze oder Zentralpunkte des Ordens Ancona, Nürnberg,
Hamburg und Amsterdam genannt werden, übrigens nur wenige
Mitglieder an einem Orte beisammen wohnen durften, den Wohn-
sitz alle zehn Jahre ändern und sich auch in Bezug auf ihre
Existenz der gröfsten Geheimhaltung befleifsigen sollten. Die
Lehrzeit dauerte sieben Jahre. Grufs und Erkennungszeichen
bestand in folgender Formel: Anrede: „Ave frater!“ Antwort:
„roseae et aureae". Der Erste: „crucis". Dann beide aufeinander:
„Benedictus deus qui dedit nobis signum“. Hierauf gegenseitige
Vorzeigung des „signum“, bestehend in einem in Metall gravierten
Siegel, von welchem efn Exemplar mir ebenfalls zu Gesicht kam.“
Da Dr. v. Harless inzwischen gestorben ist und in seinem
Buch den Aufbewahrungsort des Manuskripts nicht angegeben
hat, konnten wir der Sache nicht weiter nachgehen. Doch scheint
die in Rede stehende Gesellschaft mit der in der „Thesaurineila"
erwähnten (vgl. „Die Alchimisten") identisch gewesen zu sein.
Anno 1714, also etwa hundert Jahre nach den Veröffent-
lichungen Andreaes, erschien eine neue Rosenkreuzer-Verfassung
unter dem Titel „Dje wahre und vollkommene Bereitung des
Steines der Weisen der Brüderschaft vom Gold- und Rosenkreuz,
von Sincero Renato, Breslau." Dieses Werk zerfällt in zwei
Teile: „practica ordinis minoris“ und „practica ordinis majoris".
Hieraus geht hervor, dafs der Orden in zwei Brüderschaften
gesondert war. Die höhere hiefs „Brüderschaft vom Goldkreuz"
und ihr Abzeichen war ein rotes Kreuz, während das der nied-
rigeren, die sich „ Brüderschaft vom Rosenkreuz“ nannte, ein grünes
Kreuz bildete. Aus diesen Daten zu schliefsen, war der Orden
eigentlich ein alchimistischer. Wie in der Haager Loge und bei
den Illuminaten (vgl. „Gesellschaftliche Wiedergeburt“, Abschnitt
„Illuminaten“), nahm auch hier jeder Eingeweihte einen fingierten
12*
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180
Mystiker.
Bundesnamen an. Nur unverheiratete Männer wurden aufge-
nommen. Wollte ein Mitglied heiraten, so durfte er es nur unter
der Bedingung thun, dafs er mit seiner Frau blofs »philosophisch»
lebe. Auch schrieben die Satzungen vor, dafs Eingeweihte, die
den Machthabern in die Hände fallen, eher den Tod erleiden als
die Bundesgeheimnisse verraten sollten.
Der erste moderne Schriftsteller, der sich offen als Rosen-
kreuzer bekannte, war Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar,
der 1742 sein Büchlein »Theosophische Andachtsübungen« in
rotem Maroquineinband in kleiner Auflage veröffentlichte. Die
Schlufsvignette deutet an, dafs die »letzte grofse Vereinigung von
Brüdern“, von der der Herzog spricht, die Rosenkreuzer waren.
Die »Allgemeine Verfassung« eines von Freimaurern gestifteten
neueren deutschen Rosenkreuzerordens wurde im Jahre 1763 fest-
gestellt. Sie beruhte auf der »Themis aurea« des Michael Maier,
des gewesenen Leibarztes und Alchimisten des Kaisers Rudolf.
Aus diesem Wiederaufleben des Rosenkreuzertums suchten viele
Abenteurer Vorteil zu ziehen. Der Nürnberger Kaffeesieder
Johann Georg Schroepfer z. B. errichtete in seinem Hause eine
Loge (1777) und wufste sich einen so grofsen Anschein aus-
schließlicher Geheimkenntnisse zu geben, dafs die Herzoge von
Braunschweig und Kurland — welch letzterer ihn einst hatte
peitschen lassen — ihn nach Dresden beriefen und dort offen
begünstigten. Er hinterging seine Gönner mit angeblichem
Geisterspuk und allerlei Zaubererscheinungen, die er in Wirk-
lichkeit mittels Zauberlaternen und Konkavspiegeln hervorrief.
Als man. ihm hinter seine Schliche kam und ihm daher 'jede
weitere Geldunterstützung entzog, erschofs er sich in der Nähe
von Leipzig.
Dieser ganz gewöhnliche Betrüger hinterliefs Nachfolger.
Der Major und nachmalige preufsische Kriegsminister Johann
Rudolf Bischofswerder (1741 -1803) und der Geistliche Johann
Christoph Wöllner (1732—1800), später als preufsischer Kultus-
minister sehr bekannt geworden, waren die Nachfolger Schroepfers.
Unter dem Schutz des Kronprinzen Friedrich Wilhelm errichteten
sie in Berlin eine Rosenkreuzerloge. Die Folge war, dafs die
freisinnigen Regierungsgrundsätze Friedrichs des Grofsen unter
dessen Nachfolger bald einem »religiösen« Verfolgungsgeist wichen.
Während die beiden sonderbaren Minister den König mit dem
Vorführen von Gespenstererscheinungen und mit Trinkgelagen
unterhielten , bewogen sie ihn zum Erlassen des berüchtigten
Religionsedikts von 1788, welches sich gegen das Überhand-
nehmen der »gottlosen« Bahrdtschen Illuminatenbewegung rich-
tete und die Press-Zensur wieder einführte. Das von einem Ex-
Mitglied der in Rede stehenden Loge, »Meister Pianco«, verfafste
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Rosenkreuzer.
18)
Buch ,.Der Rosenkreuzer in seiner Nacktheit“ (1782) bildete
einen mit Enthüllungen verbundenen heftigen Angriff auf die
Rosenkreuzer, allein der Betrug erhielt sich noch einige Zeit
aufrecht.
Ober den soeben genannten Pianco finden sich in dem
anonymen Werk »Das Ganze aller geheimnisvollen Ordensver-
bindungen“ (Leipzig 1805), dessen Verfasser offenbar ein gründ-
lich Eingeweihter war, die folgenden Mitteilungen: »Er war lange
ein Freimaurer, ehe er ein Rosenkreuzer wurde. Sein Oberhaupt
war halb Mensch, halb wildes Tier. Kein rechtschaffener Christ
konnte mit ihm zu thun haben, ohne fürchten zu müssen, bei
lebendigem Leib geschunden zu werden. Wurden Zweifel ge-
äufsert, so stiefs er Lästerungen aus, deren sich selbst der ärgste
Bösewicht geschämt haben würde. Pianco schüttelte den Staub
der Kammer dieser Person von seinen Füfsen und entzog sich
der Gesellschaft solcher Heiden.“ Derlei spricht nicht gerade
für eine günstige Zusammensetzung der Rosenkreuzerbrüderschaft,
»deren Bär angeblich nur nach den sanftesten Melodien zu
tanzen pflegte“.
Waite berichtet über eine Rosenkreuzergesellschaft, die um
1 794 auf der Insel Mauritius bestand. Er sagt, dafs seine Quelle
eine wörtliche Abschrift der »Aufnahme des Dr. Bacstrom" tin
jene Vereinigung durch den Grafen v. Chazal giebt »In diesem
Schriftstück verspricht Dr. Bacstrom u. a., die ihm mitzuteilenden
geheimen Kenntnisse nie zu verraten, würdige Personen einzu-
führen (auch Frauen hatten Zutritt und sie hiefsen »Kreuz-
schwestern"), das »grofse Werk möglichst bald zu beginnen«,
ferner, »der Kirche nichts zu schenken“ und das »gegorene me-
tallische Umwandlungsmittel" niemand zu geben, es sei denn
einem Rosenkreuzer." Die Urkunde trägt das »philosophische“
Siegel der Gesellschaft. Dieses zeigt einen Kreis, in welchem
sich ein Quadrat befindet, das ein Dreieck einschliefst, in dem
ein Mann aufrecht steht, neben dessen Haupt und Füfsen allerlei
kabbalistische Zeichen angebracht sind.
Waite verdanken wir auch die Mitteilung, dafs in England
vor 1836 eine pseudo-rosenkreuzerische Vereinigung bestand.
Die jetzige Londoner Rosenkreuzergesellschaft wurde vor etwa
dreifsig Jahren umgestaltet und seither können nur Freimaurer
Aufnahme finden. »Die Funktionäre sollen sein: drei Magi, ein
Obermeister, ein Generalschatzmeister, ein Generalsekretär, sieben
Älteste, ein Organist, ein Fackelträger, ein Herold, ein Tempel-
hüter und ein Medailleur. Die Mitglieder sollen alljährlich
viermal Zusammenkommen und einmal gemeinsam speisen. Jeder
Neuling hat einen lateinischen Merkspruch anzunehmen, den er
seiner Unterschrift im schriftlichen Verkehr mit dem Orden hin-
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Mystiker.
zufügen rnufs.“ Das Geschmeide des höchsten Magus ist ein
Ebenholzkreuz mit goldenen Rosen, überragt von einer goldenen
Krone; es wird an einem karmesinroten Sammtband um den
Hals getragen. Das Geschmeide der anderen Funktionäre besteht
in einem rautenförmigen, weifs emaillierten Goldplättchen, in
dessen Mitte das Rosenkreuz sichtbar ist, welches von einer
goldenen Mitra überragt wird, auf deren Krempe das Wort LUX
in rosenroten Schmelzbuchstaben leuchtet, während die Mitte (der
Mitra) ein kleines rosenrotes Kreuz aufweist. Dasselbe Geschmeide,
jedoch ohne Mitra und ohne das gestickte Kreuz, wird von den
gewöhnlichen »Brüdern“ an einem zollbreiten grünen Band ge-
tragen. 1871 teilte der Bund seinen Mitgliedern mit, sein Ziel sei
lediglich, litterarische Untersuchungen und Altertumsforschungen
anzustellen. 'Er umfafste damals 134 „fratres“; die meisten
wohnten in London, die anderen verteilten sich auf Bristol, Man-
chester, Edinburgh etc. Die Seele des Ganzen war Robert Went-
worth Little und als Grofsschutzherr fungierte Lord Lytton. Dafs
die Mitglieder keinerlei „rosenkreuzerische" Wissenschaft treiben,
geben sie selbst zu. Von 1868 bis 1879 gab der Orden eine
kleine , geheime Vierteljahrsschrift, den „Rosenkreuzer“, heraus;
dieselbe war Waites Quelle und auf sie seien jene Leser ver-
wiesen, die sich für den Gegenstand etwa näher interessieren.
Asiatische Brüder.
Entstehung. — Lehren. — Markus ben Bind. — Einteilung. — Einweihung.
— »Ritter und eingevreihte Brüder.“ — »Weise Meister." — Die »königlichen
Priester." — Organisation des Ordens. — Rosen kreuzerische Abenteurer. —
Fraxinus und Gordianus. — Der betrogene Schulmeister. — »Theoretische
Brüder."
Der Orden der Asiatischen Brüder entstand wahrscheinlich
um 1780. Seine Oberhäupter wurden erst 1788 bekannt, doch
vermutete man schon früher, dafs Baron Ecker und Eckhofen
zu ihnen gehörte. Dieser Mann, der zuerst in Wien und später
in Schleswig lebte, erwarb sich durch seine Schriften einen
grofsen Ruf ; allein die Abergläubischen verschrieen ihn als einen
furchtbar bösen Zauberer. Von Italien aus verbreitete sich der
Geheimbund nach Rufsland. Ohne das Rosenkreuzertum zu
lehren, beruhte er auf rosenkreuzerischer Grundlage und nannte
die Inhaber seines dritten Hauptgrades »wahre Rosenkreuzer."
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Asiatische Brüder.
183
Seine Versammlungen führten die Bezeichnung »Melchisedek-
Logen“ und seine »Meister“ hiefsen »die verehrungswürdigen
Häupter der sieben Kirchen Asiens“. Der Orden, dessen Titel
eigentlich »Orden der Ritter und Brüder des Heiligen Johannes
des Evangelisten aus Asien in Europa" lautete, nahm auch Juden,
Türken, Perser und Armenier auf.
Die Lehren des Bundes zerfielen in moralische (Anweisung,
durch das Lösen der sieben Siegel die Geister zu beherrschen)
und physikalische; die letzteren betrafen die Goldmacherei und
die Bereitung von wunderwirkenden Geheimmitteln. Kabbalis-
tischer Unsinn spielte in seinem Hausrat eine beträchtliche Rolle.
Die Namen der Grade waren dem Hebräischen entnommen und
versinnbildlichten deren Merkmale. Die Ergebnisse der wissen-
schaftlichen Forschungen der »Meister" wurden den »Aspiranten*
nicht mitgeteilt; diese mufsten selber alles zu ergründen trachten.
In Wirklichkeit scheinen die Meister überhaupt nichts dergleichen
mitzuteilen gehabt zu haben; ihre »Geheimnisse« waren offenbar
nur in der Einbildungskraft leichtgläubiger Uneingeweihter vor-
handen. Allerdings wäre es nicht gut angegangen, dies offen
einzugestehen. . . .
Blicken wir den Asiatischen Brüdern hinter die Kulissen,
so bleibt von ihrem Scheinglanz nichts übrig. Trotz des hoch-
trabenden Bundestitels waren ihre Lenker recht armselige Kerle.
Am thätigsten in der Förderung der Ordensinteressen erwies sich
ein Mitglied, das den Namen »Markus ben Bind" angenommen
hatte. Er führte allerlei Phantastereien ein, und die meisten
Papiere des Bundes waren sein Privateigentum, bis die Ober-
häupter ihm sie herauslockten. Die einzige Entschädigung, welche
sie ihm für die Papiere gewährten, war die Ernennung zum
Archivar; als er sich hierüber beklagte, wurde er bestraft. Sie
anerkannten und bewunderten seine »hohe Weisheit“ (die freilich
in erster Reihe in der Bereicherung des Ritus durch kabbalistische
und hebräische Redensarten bestand) und nutzten ihn aus, ohne
jedoch die goldnen Berge zu halten, die sie ihm versprachen.
Verlangte er Geld, so wiesen sie ihn ab; brauchten sie doch
selber sehr viel! Schliefslich lehnte er sich auf, trat aus und
ergötzte die Aufsenwelt durch Enthüllungen.
Die Zahl der Grade betrug fünf; zwei davon waren »Er-
probungs“- und drei »Haupt“-Grade. Der erste Probegrad,
»Sucher“ genannt, zählte nie über 10 Mitglieder. Die Probezeit
dauerte vierzehn Monate. Zweimal monatlich wurden den »Suchern“
Vorträge gehalten. Die Tracht, die sie bei den Zusammenkünften
trugen, bestand aus einem runden schwarzen Hut mit schwarzen
Federn, einem schwarzen Mantel, einer schwarzen Schärpe mit
drei rosenförmigen Knöpfen, einem Schwert mit schwarzer Troddel,
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184
Mystiker.
weifsen Handschuhen und einem schwarzen Band, an welchem
ein Doppel-Dreieck hing. Auf der linken Seite des Mantels
war ebenfalls ein Doppel-Dreieck eingestickt Auch der zweite
Erprobungsgrad („Die Leidenden") hatte blofs zehn Inhaber.
Die Probefrist dauerte nur sieben Monate. Waren die „Sucher"
lediglich Theoretiker, Lernende, so erwartete man von den
„Leidenden“ praktische naturwissenschaftliche Untersuchungen.
Sie trugen schwarze Rundhüte mit schwarzen und weifsen Federn,
schwarze Mäntel mit weifsem Futter und Kragen sowie gold-
gestickten Doppel-Dreiecken, schwarze Schärpen mit weifsem
Rand und drei Rosen, weifse Handschuhe, endlich Degen mit
schwarzen und weifsen Quasten.
Die Inhaber des ersten Hauptgrades („Ritter und einge-
weihte Brüder aus Asien in Europa“) hatten auf dem Kopf
einen schwarzen Rundhut mit weifsen, schwarzen, gelben und
grünen Federn. Der schwarze Mantel, dessen Futter und Kragen
weifs waren, wies goldne Spitzen und auf der linken Brust ein
gesticktes rotes Kreuz mit vier grünen Rosen auf; inmitten jeder
Rose befand sich ein kleines grünes Schild mit einem aus den
Buchstaben M und A bestehenden Monogramm. Die gleichen
Abzeichen, aber in emailliertem Gold, wurden an einem roten
Band getragen. Den Anzug vervollständigten: eine rosenrote
Schärpe mit grünem Rand und drei roten Rosetten; weifse, mit
einem roten Kreuz und vier grünen Rosen bestickte Handschuhe;
ein Schwert mit weifsen, schwarzen, gelben und roten Troddeln.
Die Einweihung in diesen ersten Hauptgrad erfolgte in
einem schwarzverhängten Saal, dessen Fufsboden und Einrichtung
mit schwarzem Tuch bedeckt waren. Zur Beleuchtung dienten
sieben Armleuchter; sechs hatten je fünf Arme, während der in
der Mitte stehende siebente einen weifsgekleideten Mann mit
goldenem Gürtel darstellte. Der Stuhl des Meisters stand unter
einem schwarzen Baldachin auf einer die Mitte des Saales ein-
nehmenden Estrade, zu der drei Stufen hinanführten. Ein Stück
der Hinterwand war offen, aber durch sieben Quasten zusammen-
gehalten, sodafs das dahinter befindliche „Allerheiligste" dem
Blick verborgen blieb. Dieses Allerheiligste bestand in einer
'zehnsäuligen Balustrade, in der sich ein Abbild der Sonne inner-
halb eines vom göttlichen Feuer umflammten Dreiecks befand.
Unter dem mannförmigen Leuchter lag der Teppich der drei
maurerischen Grade, umgeben von 9 Lichtern; ein zehntes Licht
war in einiger Entfernung am Fufse des Meisterstuhles sichtbar.
Auf der rechten Seite stand ein Tischchen, auf dem das Buch
der Satzungen , ein grüner Stab, an beiden Enden rot, und ein
flammendes Schwert mit der eingravierten Ziffer 56 lägen.
Der in einem Nebenraum wartende „Leidende“ wurde zu-
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Asiatische Brüder.
ISS
nächst dreimal gefragt, ob er eingeweiht zu werden wünsche.
Auf die bejahende Antwort hin befahl der Grofsmeister, ihn
hereinzubringen. Der Kandidat las auf einem roten Schild über
der Thür in Goldbuchstaben die Worte: »Dies ist die Thür des
Ewigen; die Gerechten treten hier ein.“ Der Einführer klingelte
zweimal, der Grofsmeister einmal, die Thür öffnete sich, der
»Leidende“ schritt bis zum Tisch vor und machte dreimal das
Meisterzeichen. Er empfing nun die Mitteilung, dafs er aufge-
nommen sei und mufste eine Erklärung unterzeichnen, die ihn
verpflichtete, die Kapitelgeheimnisse niemals zu enthüllen. Nach
einigen kindischen Förmlichkeiten wurde er zum »Reinigungs-
tisch“ geleitet, auf welchem drei Säulen standen, deren jede ein
Licht trug. Das eine Licht hatte die Gestalt eines Mannes mit
dem Dreieck, das andere die eines Weibes mit dem umgekehrten
Dreieck, das mittlere die eines Mannes mit dem Doppeldreieck.
Auf dem Tische befanden sich ferner: eine Schale mit Salz-
wasser, eine andere mit trockenem Salz, ein Löffel, ein mit Ysop
und roter und grüner Seide umwundenes Zedernholzbündel.
Vor dem „Reinigungstisch" wird dem Kandidaten Rock
und Weste ausgezogen, der Hemdkragen geöffnet und der rechte
Arm entblöfst. Nun kniet er nieder und der Grofsmeister be-
sprengt ihm den Hals dreimal mit dem Salzwasser, dabei sagend:
„Möge der Allerbarmer dir die Kenntnis deiner Waffen, deiner
Lanze und der Vierzahl verleihen!" Sodann berührt er ihm
den rechten Arm und spricht: „Möge der Allmächtige dir in der
Schlacht Kraft verleihen!" Bei der Berührung der Brust sagt
er: »Möge der Allgerechte dich als Eroberer im Mittelpunkt
ruhen lassen!“ Nachdem der „Leidende" wieder angekleidet
worden ist und der Grofsmeister das Allerheiligste geöffnet hat,
erfolgt die Eidesleistung und schliefslich wird der Neuling zum
Ritter geschlagen. Der Grofsmeister berührt ihm die rechte
Schulter und sagt: „Möge der Unendliche dir für den Kampf
Stärke, Schönheit und Weisheit verleihen!“ Bei der Berührung
der linken Schulter spricht er: „Im Namen der hochwürdigsten
und weisesten sieben Väter und Beherrscher der sieben unbe-
kannten Kirchen Asiens nehmen wir dich als Ritter und einge-
weihten Bruder auf." Schliefslich berührt er den Kopf und fügt
hinzu: „Möge der Ewige dir das Licht der Vierzahl gewähren,
damit du vom ewigen Tod befreit werdest!" Nach allseitiger
Umarmung und einigen abschliefsenden Worten des Grofsmeisters
servieren die Diener Brot, Salz, Wein, Lammfleisch und — als
Sinnbild des alten und des neuen Bundes Gottes mit den
Menschen — — Schweinebraten!
Den zweiten Hauptgrad - „Weise Meister" genannt —
konnte nur die höchste Autorität des Ordens, das Sanhedrim,
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1S6
• Mystiker.
verleihen, denn in diesem Grad begann die Offenbarung der
Geheimnisse. Worin diese bestanden, hat kein „Laie“ je er-
fahren; wohl aber wissen wir, wie die merkwürdig bunte Tracht
der „weisen Meister" aussah: grüner Hut mit weifsen, schwarzen,
gelben und roten Streifen; roter Mantel mit grünem Kreuz und
grünem, mit einem auf rotem Grund in Gold gestickten Mono-
gramm der Buchstaben J und C versehenen Rosen; grünes, rot-
gerändertes Band mit drei grünen Rosetten und einem Anhängsel
in Gestalt eines goldenen Kreuzes mit weifsem, schwarzem, gelbem
und rotem Schmelz; weifse Handschuhe, innen und aufsen mit
roten Kreuzen und grünen Rosen verziert; Degen mit grünen
und roten Quasten.
Auch der dritte Hauptgrad („königliche Priester“ oder
„wahre Rosenkreuzer" oder „Melchisedekgrad“) konnte nur vom
Sanhedrim verliehen werden. Die Zahl der Inhaber war auf
72 beschränkt. Die Prunkhaftigkeit ihrer Gewandung übertraf
alles Dagewesene. Die Farben des Hutes waren: grün, rosa,
gold; die vorn aufgeschlagene Krempe wies das Wort „Jehova“
in Goldstickerei auf; die Federn waren weifs, rot, gelb, schwarz
und grün. Ein eng anliegendes rosafarbenes Unterkleid mit
vielfarbigen Manschetten wurde durch eine um die Hüfte ge-
wundene Schärpe ergänzt, die mit Rosetten in weifs, rot und
anderen Farben bestickt war. Schuhe und Strümpfe waren aus
rosa Seide. Auf der linken Brust des grüngefütterten Mantels
befand sich ein Punkt, von dem viele Strahlen ausgingen. Den
Hals schmückte eine goldene Kette, deren gewöhnliche Glieder
stellenweise mit Schildchen abwechselten, auf denen aufser den
Monogrammen M und A sowie J und C ein Baum eingraviert
war, an dessen rechter Seite ein Mann, auf der linken ein Weib
stand, mit der einen Hand die Schamteile bedeckend, mit der
anderen den Baum berührend. Am Ende der Kette hingen die
Urim und Thummini. Weifse Handschuhe, innen und aufsen
mit grünen und roten Rosen ausgestickt, vervollständigten die
bunte Tracht.
Das Sanhedrim durfte seine Geschäfte von, aus seinem
Schofs heraus gewählten Ausschüssen führen lassen. Die nächst-
hohe leitende Stelle war das Hauptkapitel , dann kamen die
Provinzialkapitel. Jede dieser „Behörden" hatte eigene Beamte
mit hochtrabenden Titeln freimaurerischen Gepräges. Die Mit-
gliedschaft kostete viel Geld, denn der Orden war eine Gebühren-
falle ersten Ranges. Bei der Einweihung mufste man zwei Du-
katen zahlen, bei der Gründung einer Meisterloge sieben Dukaten
für das Recht, zwei Dukaten für den Teppich, zehn Kreuzer für
jeden Bogen der Satzungen, bei der Errichtung einer höheren
Meisterloge zwölf Dukaten. Ein Provinzialkapitel kostete 25, ein
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Asiatische Brüder.
1S7
Hauptkapitel 50 Dukaten. Jeder Bruder zahlte dem höheren Meister
einen Monatsbeitrag von 30 Kreuzern, aufserdem eine seinen
Mitteln entsprechende Gebühr für aufserordentliche Ausgaben. Über
die Verwendung all der vielen Gelder ist nichts Näheres bekannt.
1781 erschien in Wien eine »Ansprache an die Rosen-
kreuzer alten Systems“. Der Orden scheint von einem, sich
Fraxinus nennenden Provinzial-Grofsmeister der vier vereinigten
Hamburger Freimaurerlogen erneut worden zu sein. Wie sehr
dieser Mann sich auf die Schafschur verstand, ergiebt sich aus
den Mitteilungen des Maurers „Cedrinus", der für seine Ein-
weihung in die Rosenkreuzergrade allmählich nicht weniger als
1 50 Thaler zu entrichten hatte. Als Cedrinus seine Unzufrieden-
heit mit den häufigen Erpressungen zu äufsern begann, be-
schwichtigte ihn Fraxinus mit der Ernennung zum Grofssiegel-
bewahrer der Logen. Dadurch erlangte er Einblick in die selt-
samen Geheimnisse der Grade-Fabrikation und in die Logen-
korruption. Er zerschlug sich mit Fraxinus, stellte dessen Treiben
öffentlich blofs und wurde dafür als meineidig ausgestofsen.
Ein anderer rosenkreuzerischer Abenteurer, der um dieselbe
Zeit von sich reden machte, war der Tübinger »Bruder“ Gor-
dianus, der ohne ersichtliche Erwerbsmittel ein Wohlleben führte
und daher für einen Alchimisten gehalten wurde. Ein Schul-
meister, dessen unbekannt gebliebener Name mit L. anfing,
wünschte Rosenkreuzer zu werden und wendete sich dieserhalb
an Gordianus, der ihm sagte, dafs der Orden den Zweck habe,
die Ideen J. V. Andreäs auszuführen und dafs die Aufnahme-
bedingungen folgende seien: ewige Verschwiegenheit bezüglich
der Bundesgeheimnisse, Einführung eines neuen Mitgliedes
binnen sechs Wochen (als Beweis der Fähigkeit, das Vertrauen
der Mitmenschen zu erringen) und Entrichtung einer Einweihungs-
gebühr von 50 Thalern. Der arme Teufel brachte das Geld
mit Mühe auf und empfing eine sonderbare lateinische Quittung
(gedruckt). Alsbald schlug Gordianus ihm vor, hermetische und
magische Schriften aus dem Lateinischen ins Deutsche zu über-
setzen. L. that dies, erhielt aber keine Entschädigung für seine
Arbeiten, die Gordianus in einer von ihm herausgegebenen
Zeitschrift veröffentlichte; dagegen gab G. ihm das Versprechen,
ihn bald mit den Oberhäuptern des Ordens bekannt zu machen,
die ihm grofse und wertvolle Geheimnisse anvertrauen würden.
Der Schulmeister wurde ungeduldig, zog Erkundigungen ein und
erfuhr, dafs G. sich einmal gerühmt habe, eine Gesellschaft von
Betrügern und Betrogenen gründen zu wollen. Die Vorwürfe
L.s beantwortete er mit einem schriftlichen Rechtfertigungsversuch,
doch verschwand er bald aus Tübingen, worauf L. die ganze
Geschichte zur Warnung anderer veröffentlichte.
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188
Mystiker.
Ableger der Asiatischen Brüder waren die Theoretischen
Brüder, deren Rituale einem 1785 erschienenen Buch zufolge
das Nachstehende war. Der Kandidat muCste bereits in den
schottischen Ritus eingeweiht sein. Er wurde in einen durch
Armleuchter beleuchteten Saal geführt, an dessen oberem Ende
sich eine viereckige Erhöhung befand, mit einem schwarzen Tuch
bedeckt, auf dem eine Bibel, eine schwarze gestickte Schürze und
die Bundessatzungen lagen. Auf dem Teppich lag eine von zwei
Ringen umgebene Kugel. Aus dem einen Ring brachen Strahlen
hervor, welche ein Oewölke erhellten, in dem die sieben Pla-
neten sichtbar waren. Die Kugel bedeutete die Loge, die beiden
Ringe vertraten das männliche (agens) und das weibliche Prinzip
(patiens). Der Eid beschränkte sich auf Treue und Verschwiegen-
heit hinsichtlich des Ordens sowie Beschäftigung mit dem Studium
der Natur. Die Schürze war weifs und gestickt, ihr Futter
schwarz. Das Geschmeide - aus vergoldetem Messing — be-
stand in zwei strahlenden Dreiecken mit dem Namen »Jehovah*
in hebräischen Buchstaben auf der Vorder- und den Zeichen
G ? ? auf der Rückseite: es war an einem schwarzen Band
befestigt Als Erkennungszeichen diente das Erheben der rechten
Hand mit ausgestrecktem Daumen und Zeigefinger; das Gegen-
zeichen war, dafs man die ersten drei Finger aufs Herz legte.
An die Stelle des Händedrucks trat das Umfassen der Taille des
»Bruders“ mit dem rechten Arm. Das Losungswort war Chaos",
ln Hamburg betrug die Eintrittsgebühr 40 Mark Goldes, der
Monatsbeitrag 18 Schillinge. Es gab neun Grade. Die Ein-
weihung in den letzten kostete zwar volle 99 Mark Goldes; dafür
wurde man aber auch ein echter »Magus“, d. h. man kannte
alle Geheimnisse der Natur, hatte alle Engel, Teufel und Menschen
in der Gewalt und der Stein der Weisen war die geringste der
Errungenschaften, deren man sich rühmen durfte. Dieser Orden
soll nach seiner Angabe Logen unterhalten haben in Hamburg,
Wien, Berlin, Königsberg, Stettin, Danzig, Breslau, Leipzig,
Nürnberg, Augsburg, Innsbruck, Prag, Paris, Venedig, Neapel,
Malta, Lissabon, Bergen -op- Zoom, Krakau, Warschau, Basel,
Zürich, Smyrna und Ispahan.
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ACHTES BUCH.
gesellschafts feiNplicHe
Vereinigungen.-)
*) Hierher gehören auch einige der im 4. Buch behandelten Ver-
einigungen, namentlich der Assassinenbund und die Derwische. Wegen
des Zusammenhangs ihres Ursprungs mit den im 4. Buch geschilderten
Religionssystemen haben wir sie, um diesen Zusammenhang nicht zu zer-
reifsen, lieber dort untergebracht als im S. Buch.
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Die Thugs.
Name und Ursprung. — Vorfahren und Kultus. — Überlieferungen. —
Einweihung. — Von der Ermordung befreite Personen. — Märtyrer. —
Unterdrückung. — Ein moderner Fall von Thagismus.
Kurz nach der Eroberung von Seringapatam (1799) wurden
in dieser indischen Provinz etwa hundert »Phansigars“ (Räuber)
ergriffen. Damals wufste man noch nicht, dafs dieselben einem in
verschiedenen Teilen Indiens verbreiteten Geheimbund erblicher
Mörder und Plünderer angehörten. Erst als im Jahre 1807
zwischen Tschittur und Arkot mehrere Phansigars gefangen ge-
nommen wurden, erlangten die Behörden Kenntnis von dem
Vorhandensein und bald auch von dem Wesen und Treiben der
seither so berüchtigt gewordenen »Thugs" oder ..Thags", die aber,
wie gesagt, auch als »Phansigars“ (wörtlich: Schlingenmenschen)
bekannt waren. Thug oder Thag soll von thaga (hintergehen)
abgeleitet sein, weil die Thugs sich ihrer Opfer dadurch bemäch-
tigen, dafs sie sie hinterlistig in falsche Sicherheit wiegen. Be-
sonders zahlreich waren sie früher in Mysore und den Balaghat-
Bezirken, im Karnatik und in der Gegend von Tschittur. Slee-
man glaubt, dafs sie von den Überbleibseln der Armee des
Xerxes, welche in Griechenland einfiel, abstammen; wahrscheinlich
aber ist ihr Ursprung in Wirklichkeit ein viel späterer. Sie selbst
behaupten, zuerst nach der Ausrottung der Assassinen von Alamut
nach Indien gekommen zu sein. Es ist denn auch nicht un-
wahrscheinlich, dafs einzelne der den Schwertern der Moguls
entronnenen Flüchtlinge nach Indien kapien. Das Vorhandensein
von Ischmaeliten in Indien - sie nannten sich Bohras — war
bekannt, ehe der Bestand der Thug-Organisation entdeckt wurde,
ln ihrem Jargon dem Ramasch - nennen sich die Thugs
noch jetzt stets. »Bohras"; sie thun dies vermutlich, um ihre
eigentliche Thätigkeit zu verhüllen, denn in Hindostan giebt es
eine sehr ausgebreitete, hauptsächlich aus friedliebenden Handel-
treibenden bestehende Sekte gleichen Namens. Eine der Thtig-
Sekten nennt sich »Aulen".
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192
Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
Eine bei den Thugs besonders beliebte Art, junge Männer,
die Wertsachen mit sich führen, anzulocken, geht dahin, dafs
eine hübsche junge Frauensperson scheinbar sehr bekümmert am
Rande der Landstrafse sitzt und durch eine erdichtete Leidens-
geschichte das Mitleid ihres Opfers erregt, das ihr dann in den
Dschungel folgt, wo es von der im Hinterhalt lauernden Bande
sofort erdrosselt wird. Eine Bande besteht aus 10 bis 50 Mann
und beobachtet ihr Opfer nötigenfalls tagelang scharf, um eine
für den Mord geeignete, sicheres Gelingen versprechende Gelegen-
heit abzuwarten. Nach jedem Mord wird eine »Tupaunih" ge-
nannte religiöse Feier abgehalten. Die Verteilung der Beute ist
durch alte, feste Vorschriften geregelt: der Rumal (Schlingen-
werfer) erhält den gröfsten, der Schumsia (der die Hände des
Opfers haltende Mann) den zweitgröfsten Anteil u. s. w. Doch
giebt es auch Banden, welche Gütergemeinschaft üben.
Der Thagismus begeht seine schweren Verbrechen infolge
seiner hohen Verehrung der menschenfeindlichen Göttin Bhowani
oder Kali (von „kala" = Zeit), die ihr einziges Vergnügen in
möglichst vielen Menschenopfern findet. Es ist dies dieselbe
furchtbare Gottheit, an deren Jahresfest in Indien Tausende von
Fanatikern sich von ihrem schweren Wagen freiwillig unter ver-
zücktem Geschrei zu Tode rädern lassen. Nach der indischen
Legende entsprang sie, wie Minerva dem Haupte Jupiters, dem
brennenden Auge auf der Stirn Schiwas, eines Teiles der brah-
minischen Dreifaltigkeit. Sie vertritt das böse Prinzip, schwelgt
in Menschenblut, ist die Herrin der Pest, lenkt die Stürme und
Orkane und denkt stets nur ans Zerstören und Vernichten. Die
lebhafte indische Phantasie stellt sich diese Schreckensgestalt
folgendermafsen vor: azurblaues, gelbgestreiftes Gesicht; wilder,
grausamer Blick; borstiges, aufgelöstes, pfauenschweifartig auf-
gerädertes Haupthaar mit hineinverflochtenen grünen Schlangen;
um den Hals ein bis nahe zu den Knieen reichender Kragen aus
goldenen Schädeln; Blut ausströmende Lippen; rüsselartige
Zähne, die über die Unterlippen hinunterreichen; acht bis zehn
Arme; in jeder der acht bis zehn Hände eine Mordwaffe oder
ein bluttriefender Menschenkopf; ein Fufs steht auf einer mensch-
lichen Leiche. Das Voll^ opfert ihr in ihren Tempeln Hähne
und Stiere; aber ihre eigentlichen Priester, die Thugs, die »Söhne
des Todes", stillen den Hunger dieses Vampyrs mit Menschen-
opfern.
Nach der thagistischen Überlieferung wollte Kali ursprüng-
lich das ganze Menschengeschlecht mit Ausnahme ihrer eigenen
Anbeter vertilgen; daher befahl sie den letzteren, alle in ihre
Gewalt fallenden Menschen umzubringen. Anfänglich wurden
die Opfer mit dem Schwert getötet, und zwar so massenhaft,
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Die Thugs.
193
dafs die Erde bald gänzlich entvölkert worden sein würde, wenn
es der „Erhalter" Wischnu nicht rechtzeitig verhindert hätte,
indem er aus dem Blute der Gemordeten immer wieder neue
Menschen schuf und dadurch die böse Absicht Bhowanis ver-
eitelte. Der Gegenschachzug der Göttin bestand darin, dafs sie
ihren Anhängern verbot, fürder mit dem Schwert zu töten und
sie anleitete, dies durch Erdrosselung zu thun, also ohne Blut-
vergiefsen. Auch verlieh sie ihnen grofse Schlauheit und hohen
Mut, damit ihnen ihr Vorhaben stets bestimmt glücke. Und um
sie vor der Entdeckung durch die Obrigkeit zu schützen, ver-
sprach sie, die Opfer selber zu begraben und jede Spur zu ver-
wischen. Sie hielt denn auch Wort, bis ihr einmal ein Thug
in frevelhafter Neugier nachspürte, um zu erfahren, was sie mit
den Leichen anfange. Sie erwischte ihn beim Spionieren und
sagte zu ihm: „Niemand kann am Leben bleiben, nachdem er
eine Göttin von Angesicht zu Angesicht gesehen; aber ich will
dir das Leben schenken und dich, sowie alle deine Bundes-
genossen damit bestrafen, dafs ich euch nicht mehr beschützen
werde. Künftig will ich die Leichen der von euch Umgebrachten
nicht mehr begraben und verbergen, sondern es euch überlassen,
die zu eurer Sicherheit nötigen Schritte zu thun. Und obgleich
ich euch den heiligen Spaten zum Aufwerfen der Gräber über-
lasse, werdet ihr nicht immer davonkommen; vielmehr werdet
ihr zuweilen der weltlichen Gerechtigkeit in die Hände fallen —
und das soll eure ewige Strafe sein. Nur die euch von mir verliehene
höhere Klugheit und Geschicklichkeit soll euch verbleiben. Von
nun an werde ich euch nur durch Anzeichen leiten, die ihr
eifrig zu Rate ziehen müsset."
Hiervon rührt der ausgeprägte Vorbedeutungs-Aberglaube
der Thugs her. Diese weissagen aus dem Vogelflug, aus dem
Geheul des Schakals und besonders aus der Art, wie das Beil,
das sie werfen, fällt; ihr Weg richtet sich nach der Fallrichtung
des Beils. Steht eine Bande im Begriff aufzubrechen, und sieht
sie dabei welches Tier immer von links nach rechts über den
Weg iaufen, so gilt dies für ein so ungünstiges Anzeichen, dafs
der Streifzug an dem betreffenden Tag unterlassen wird.
Der erste Mord, den eine Bande auf einem Streifzug be-
geht, heifst sonoka, das vom Anführer gegebene Zeichen zur
Erdrosselung jhirnih, der Begräbnisplatz bell. Geht die Er-
drosselung leicht von statten, so wird sie ku-sul genannt; bietet
sie Schwierigkeiten, heifst sie bi-sul; wird gleichzeitig ein Paar
getötet, so nennt man dieses bhitrih. Mit dem Namen bunguhs
bezeichnet man die Flufs-Thugs, die in ihren Booten den Ganges
auf und nieder segeln und, sich für Besucher heiliger Wallfahrts-
orte ausgebend, ihr Opfer aufs Boot locken, um es nach der
Heckcthorn-Kattcher, Geheimbiinde u. Gehcimlcbren. 13
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194
Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
Erdrosselung durch die eigens zu diesem Zweck an den Seiten
des Fahrzeuges angebrachten Öffnungen ins Wasser gleiten zu
lassen; um für den Fall eines Scheintödes das Wiedererwachen . un-
möglich zu machen, wird dem Umgebrachten zur Vorsicht noch
das Rückgrat gebrochen.
Wer in diese fürchterliche Sekte aufgenommen werden
wollte, mufste ein langwieriges, strenges Noviziat durchmachen,
in dessen Verlauf er überzeugende Beweise seiner »Würdigkeit“
zu liefern hatte. War die Zustimmung zu seiner Zulassung
einmal erfolgt, so wurde er von dem Mitglied, das ihn eingeführt
und empfohlen hatte, zu einer mystischen Taufe geleitet, bei
welcher Gelegenheit man ihn in ein weifses Gewand hüllte und
ihm die Stirn mit Blumen bekränzte. Sein Pate stellte ihn nun
dem geistlichen Oberhaupt (gurhu) vor, das ihn in einen Fest-
raum führte, wo ihn zahlreiche Bandenhäuptlinge erwarteten,
welche die Frage, ob sie den Bewerber in den Geheimbund
aufnehmen wollen, bejahend beantworteten. Jetzt begaben sich
alle ins Freie, wo die Häuptlinge rings um den Gurhu und den
Neuling niederknieten, um zu beten. Aufstehend, erhob der
Gurhu seine Hände gen Himmel und sagte: »Ö Bhowany,
Mutter der Welt! Nimm du, deren Anbeter wir sind, deinen
neuen Diener auf, gewähre ihm deinen Schutz und sende uns
ein Zeichen deiner Zustimmung!“ Sobald sie in den Bewegungen
eines Vogels, eines Säugetiers oder einer Wolke ein solches
Zeichen zu erkennen glaubten, erhoben sich die Versammelten
und begaben sich in den Festraum zurück, wo sie in Gemein-
schaft mit dem Neuaufgenommenen eine Mahlzeit einnahmen.
Damit waren die Einweihungsfeierlichkeiten zu Ende.
Der Novize, der von nun an ein »sahib-zada“ ist, beginnt
seine thagistische Laufbahn entweder als Totengräber (lugha) oder
als Ausforscher (bhil) von geeigneten Plätzen zu geplanten Er-
drosselungen. Hat er sich einige Jahre hindurch als tüchtig und
treu bewährt, so kann er zum Erdrossler (bhuttota) aufrücken.
Dieses Aufrücken ist ebenfalls mit allerlei Zeremonien verbunden.
An dem für diese bestimmten Tag begiebt der Kandidat sich
unter Führung seines Gurhu in einen in den Sand vertieften,
von geheimnisvollen Hieroglyphen umgebenen Kreis, um Kali
anzubeten. Dort verweilen sie vier Tage, während welcher Zeit
der Kandidat nur Milch geniefsen darf. Am fünften Tag über-
giebt ihm der Priester die in heiligem Wasser gewaschene und
mit Öl gesalbte Erdrosselungsschlinge und erklärt ihn nach
einigen religiösen Zeremonien für einen bhuttota. Dieser leistet
einen furchtbaren Verschwiegenheitseid und schwört ferner, un-
ablässig an der Zerstörung des Menschengeschlechts mitwirken
zu wollen.
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Die Thugs.
195
Übrigens sind viele Personen vor den Überfällen der
Thugs sicher. Bei der Einweihung sagt der Gurhu zum Neuling:
„Mein Sohn, du hast den ältesten und der Gottheit wohl-
gefälligsten Beruf erwählt Du hast geschworen, jedes mensch-
liche Wesen, welches dir das Schicksal in die Hände liefert, um-
zubringen. Aber es giebt auch Menschen, die von unseren Ge-
setzen ausgenommen sind und deren Tötung unsrer Gottheit
mifsfallen würde.“ Es sind dies die Angehörigen bestimmter
Kasten und Stämme, ferner alle Lahmen, Schielenden und Ver-
unstalteten, sodann die Wäscherinnen und alle ohne männliche
Begleitung reisenden weiblichen Personen. Die letzteren, weil
Kali eine weibliche Gottheit ist; dennoch wurden in späteren
Zeiten viele Frauen erdrosselt. Die strenggläubigeren Thugs
pflegten den Verfall des Thagismus von der ersten Ermordung eines
Weibes zu datieren und die eingerissene Praxis zu mifsbilligen.
Die Thugs hatten Heilige und Märtyrer; die hervorragendsten
und am meisten verehrten waren Thora und Kudull. Die von
den Engländern zum Tode verurteilten Thugs starben für ihre
blutdürstige Göttin mit derselben Begeisterung, mit der sie ihr
zu Ehren andere umgebracht hatten - umsomehr als sie über-
zeugt waren, unmittelbar nach ihrer Hinrichtung ins Paradies
einzugehen. Sie erbaten sich nur die Gunst, gehenkt oder er-
drosselt zu werden, statt durch das Schwert oder das Beil zu sterben,
denn sie hegten gegen das Blutvergiefsen den gröfsten Abscheu.
Als die anglo-indische Regierung das Wesen des Thagismus
genau kennen gelernt hatte, traf sie strenge Mafsregeln zu seiner
Unterdrückung. Sie schuf zu diesem Zweck eine eigene Behörde,
liefs zahlreiche Thugs hinrichten oder einkerkern und errichtete
in Verbindung mit dem Lahorer Gefängnis eine thagistische
Arbeitsschule. 1882 wurde diese geschlossen und die Insassen
bei Stellung unter Polizeiaufsicht freigelassen. Manche dieser
Fanatiker hatten unglaublich viele Mordthaten vollbracht. Einer,
der 1825 zu Lucknow gehenkt wurde, war der Erdrosselung von
etwa sechshundert Personen überführt worden. Ein anderer, der
achtzig Jahre alt war, bekannte, es auf 999 Opfer gebracht zu
haben und nur deshalb nicht auf 1000, weil eine runde Zahl
bei den Thugs nicht zum guten Ton gehöre. Allein trotz aller
Strenge ist die Ausrottung noch immer nicht gänzlich gelungen;
religiöse Geheimgesellschaften haben eben eine zähere Lebens-
kraft als politische. Es giebt noch immer Thugs, wenngleich sie
nicht mehr sehr zahlreich sind und ihre Opfer nicht mehr zu
erdrosseln, sondern zu vergiften pflegen. Der Thagismus hat
sich jederzeit des geheimen Schutzes einzelner eingeborener
Herrscher erfreut, die dafür einen Teil der Beute erhielten, und
dem mag wohl noch immer so sein.
13*
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196 Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
Ein Thug, der während des indischen Aufstandes zum
Denunzianten seiner Bundesbrüder wurde, gestand, drei Frauen
und nahezu hundert Männer erdrosselt zu haben. Und doch
hatte dieser Kerl ein einnehmendes Äufsere und liebenswürdige
Manieren. Nur wenn er von seinen Blutthaten erzählte, geriet
er in dieselbe Begeisterung, mit der ergraute Krieger von ihren
blutigen Heldenstücken sprechen. (Der Unterschied zwischen
diesen und jenen ist, bei Licht besehen, nicht sehr grofs; hier
wie dort überflüssiges Töten einem Aberglauben zu liebe!) Das
verhinderte ihn aber nicht, den Behörden zweihundert seiner
Religionsgenossen in die Hände zu liefern. Als der jetzige Prinz
von Wales 1876 die thagistische Abteilung des Lahorer Kerkers
besuchte, rühmte sich ihm gegenüber ein Greis namens Soba
Singh ganz stolz, 36 Menschen umgebracht zu haben und zwei
andere Sträflinge zeigten ihm das Erdrosselungsverfahren. Am
6. Januar 1882 wurde im Pendschab ein gewisser Scharfu
auch Scharif-ad-din genannt - gehenkt, der 1867 ein Thug
geworden war und dann bis 1879 nach seinem eigenen Geständ-
nis % Personen vergiftet hatte. Die örtliche Polizei veröffent-
lichte seine Biographie, um die Verhaftung der übrigen Mit-
glieder seiner Bande zu erleichtern.
Die Brenner.
Ursprung und Organisation der Gesellschaft. — Rechtspflege. — Gottes-
dienst.- — Eheschliefsung. — Die Grofsmeister. — Vernichtung der Gesell-
schaft. — Tod eines alten Brenners.
Die »Chauffeurs“ (Brenner) bildeten eine französische Ge-
heimgesellschaft, der erst am Schlufs des achtzehnten Jahrhunderts
ein Ende gemacht wurde und die auf Raub und Mord beruhte.
Ihre Entstehung geht auf die Zeit der Religionskriege zurück, die
Frankreich unter Heinrich III., Heinrich IV. und Katharina von
Medici verwüsteten. Katholische Forscher haben die Vermutung
aufgestellt, dafs die ursprünglichen Mitglieder die besiegten Hu-
genotten waren, die sich einem Räuberleben hingaben, um an
ihren Überwindern Rache zu nehmen. Dieser Annahme wider-
spricht aber schon die eine Thatsache sehr, dafs das geheime
Rituale der Gesellschaft eine Art Messe umfafste. Viel wahr-
scheinlicher ist, dafs, wie so manche andere in anarchischen
Zeiten entstandene ähnliche Brüderschaft, auch diese aus allerlei
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Die Brenner.
197
Verbrechern, Armen, Opfern der Ungerechtigkeit und verschiedenen
sonstigen Unzufriedenen bestand.
Die Brenner waren eine von einem einzigen Oberhaupt
geleitete kompakte Körperschaft Sie hatten eine eigene Religion
und einen mündlich vererbten Kodex von Civil- und Kriminal-
gesetzen, die streng gehandhabt und eingehalten wurden. Jeder
Aufnahmewerber fand Aufnahme in den Bund; aber den Vorzug
erhielten Kandidaten, die sich bereits durch grofse Verbrechen
ausgezeichnet hatten. Die Mitglieder zerfielen in drei Grade,
deren jeder in Dekurien mit je einem »guapo" (Haupt) eingeteilt
war. Die »Spione" gehörten nur lose zur Vereinigung, »ein-
geweiht“ waren sie nicht.
Gleich den Jesuiten, liebten es die Chauffeurs, Genossen
durch Erziehung von Jugend auf heranzubilden. Ganze Fa-
milien gehörten dem Bunde an und die Kinder empfingen früh-
zeitig Unterricht im Auskundschaften sowie im Begehen kleiner
Diebstähle und ähnlicher Verbrechen, die dann je nach Kühnheit
und Geschick belohnt wurden, während jedem Mifserfolg eine
angemessene Strafe folgte, namentlich körperliche Züchtigung.
Diese war oft sehr hart und hatte auch noch den Nebenzweck,
die Knaben an das Ertragen von Schmerzen zu gewöhnen. Man
könnte fast glauben, dafs jene Banditengesellschaft sich die Ge-
setze des Lykurg zum Vorbild genommen hatte. Im Alter von
vierzehn oder fünfzehn Jahren wurde der Knabe in den ersten
Grad eingeweiht Unter allerlei religiösen Feierlichkeiten leistete
er einen Eid, mittels dessen er »den Blitz und Zorn des Himmels"
auf sich herabrief für den Fall, dafs er seine Pflichten gegen
den Bund jemals vernachlässigen sollte. Sodann nahm er das
Schwert entgegen, das er künftig zur eigenen Verteidigung und
zu der seiner Genossen benutzen sollte.
Die Macht des »Grofsmeisters" war fast unbegrenzt. Er
verwaltete das Gesellschaftsvermögen , verteilte die Beute nach
Gutdünken und verfügte über die Beförderungen wie über Lohn
und Strafe. Jeder »Profane“ — d. h. Nicht-Genosse - durfte
bestohlen oder beraubt werden ; davon lebte man ja. Aber wehe
dem, der sich gegen einen Bundesbruder verging! Das erstemal
wurde er mit dem dreifachen Wert des Gestohlenen bestraft, im
Wiederholungsfall schwerer, schliefslich zuweilen sogar mit dem
Tode, ln Gefahr mufste man einander beistehen, die Ehre der
Gattinen der Brüder mufste geachtet werden, uneheliche Ver-
bindungen jeder Art — Konkubinat und Prostitution — waren
bei strengen Strafen verboten.
Die Handhabung der Rechtspflege war eine recht summarische.
Der Angeschuldigte wurde vor eine Volksversammlung der Mit-
glieder geladen, von der gegen ihn erhobenen Klage in Kennt-
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19S
Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
nis gesetzt, den Zeugen gegenübergestellt und dann freigesprochen
oder verurteilt. Letzterenfalls niufste er, je nach der verhängten
Strafe, sofort die Strafsumme erlegen oder die Tracht Prügel
in Empfang nehmen oder ohne weitere Umstände sich an dem
nächsten Baum aufknüpfen lassen.
Der Gottesdienst der Brenner war eine Art Karikatur des
kirchlichen unj erinnert in manchen Punkten an die Gebräuche
der englischen Erdarbeiter. An den Feiertagen lasen ihre Priester
die Messe und flehten den Segen des Himmels herab auf die
Ziele und Pläne der Gesellschaft. Ihre Predigten bestanden
hauptsächlich in Weisungen bezüglich der besten Arten, den
Zweck des Bundes zu erreichen und den Verfolgungen der
»Profanen" zu entgehen. Seltsam war die Hochzeitszeremonie.
Am Hochzeitstage erschienen Braut und Bräutigam in Begleitung
des Brautführers und einer Brautjungfer vor dem Priester, der
zuerst irgend einen haarsträubenden Unsinn aus einem schmutzigen
alten Buche las und dann einen Stock mit Weihwasser besprengte, den
er zwei Hauptzeugen anvertraute, die ihn zusammen in die Höhe
hielten. Auf Geheifs des Priesters mufste der Bräutigam über
den Stock springen; jenseits erwartete ihn die Braut, die ihn
umarmte und emporhob, um dann ihrerseits über den Stock in
die Arme des Bräutigams zu springen und von ihm möglichst *
lange in die Höhe gehoben zu werden. Von der Zahl der
Sekunden, während der die Braut den Bräutigam hochhalten
konnte, zog man Schlüsse auf das künftige Eheglück und den
voraussichtlichen Kindersegen des jungen Paares. Während dieser
Mutmafsungen safs das letztere auf dem Stock und der Priester
steckte der Braut den Ehering an den Finger. Fast genau in
der gleichen Weise geht die Vermählung der englischen Erd-
arbeiter noch heute vor sich.
Was die Scheidung betrifft, so konnte sie nicht nur wegen
Untreue, sondern vernünftigerweise auch wegen Unverträglichkeit
erfolgen. Der Priester bemühte sich nach Kräften, eine Aus-
söhnung zu vermitteln; gelang ihm dies nicht, so sprach er
öffentlich die Scheidung aus, während er den Stock, der bei der
Eheschliefsung des Paares benutzt worden war, über dem Kopf
des Weibes entzweibrach. Darnach durfte sich jeder Teil beliebig
bald anderweit verheiraten.
Die Gesellschaft, welche über einen grofsen Teil des nord- i
westlichen Frankreich verbreitet war, bediente sich eines eigenen,
nur den Eingeweihten verständlichen Jargons und hatte, wie alle
geheimen Vereinigungen, ihre Abzeichen, Losungsworte und Hände-
drücke, an denen die Genossen einander erkannten. Sie zählte
viele Tausende von Mitgliedern. In die Öffentlichkeit drang die
Kenntnis von ihrem Bestehen zuerst durch das gegen sie im
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Die Brenner.
199
letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts vom Gerichtshof zu
Chartres eingeleitete Strafverfahren, welches zahlreiche rätselhafte
Morde, Brandlegungen und Räubereien als Thaten von Chauffeurs
feststellte. Der damalige Grofsmeister des Bundes hiefs Franz
der Schöne, so genannt wegen seiner aufsergewöhnlichen Schön-
heit. Vor seiner Einweihung war er wegen gewalttätigen Raubes
eingesperrt worden, aber aus ‘dem Kerker entflohen; der Bund
wufste ihn für sich zu gewinnen und machte ihn nach dem
Tode des Grofsmeisters, Johannes des Zieglers, einstimmig zu
dessen Nachfolger. Zur Zeit jenes grofsen Prozesses wurde er
abermals verhaftet, ergriff jedoch wieder die Flucht — wahr-
scheinlich hatte er das Gefängnispersonal bestochen — und seit-
her hat man nie mehr von ihm gehört Damals ging das
Gerücht, er habe sich den Chouans (d. h. der Cottereauschen
Schleichhändlerbande) angeschlossen und sei schliefslich den
Folgen seiner Ausschweifungen erlegen. In Chartres wurden
Hunderte von Brennern hingerichtet; die meisten entkamen in-
dessen und gingen zu den Chouans über.
Am ärgsten hausten die Chauffeurs während der Schreckens-
herrschaft, jenem düstersten Zeitabschnitt der französischen Re-
volution. Nächtlicherweile drangen sie in gröfseren Banden in
einzelstehende Fläuser und in Adelsschlösser, unterschiedslos Arm
und Reich beraubend. - Tagsüber erschienen Kinder und alte
Weiber in allerlei Verkleidungen und unter den verschiedensten
Vorwänden an Örtlichkeiten, wo raubenswerte Gegenstände ver-
mutet wurden, um zu spionieren, und auf Grund ihrer Berichte
ging man dann vor. Zuweilen verkleideten Brenner sich als
Nationalgardisten und verlangten im Namen des Gesetzes Zutritt.
Stiefsen die Eindringlinge auf Widerstand, so wendeten sie Gewalt
an; andernfalls begnügten sie sich mit dem Plündern. Hegten
sie den Verdacht, dafs die Beraubten ihnen noch vorhandene
Schätze verheimlichten, so banden sie ihnen die Hände auf dem
Rücken zusammen, brachten ihnen Messerschnitte oder Dolch-
stiche bei oder schlitzten ihnen den Bauch auf, warfen sie zu
Boden und machten unter ihren Füssen Feuer an (daher der
Name »Chauffeurs" oder Brenner), bis sie unter furchtbaren
Qualen starben oder das Versteck der Schätze verrieten; wer
nicht starb, pflegte infolge der Mißhandlungen lebenslänglich ein
Krüppel zu bleiben.
Interessant ist die Art und Weise, wie die Gesellschaft
unschädlich gemacht wurde. Ein junger Mann, der von einer
Brennerbande gemartert worden war, beschlofs, sich an dem
Geheimbund zu rächen, indem er denselben an die Obrigkeit
verriet. Er verständigte sich mit der Polizei von Chartres über
einen Plan. Zunächst beging er, um die Aufmerksamkeit der
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200
Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
Chauffeurs auf sich zu lenken, am helllichten Tage auf dem
Marktplatz von Chartres einen abgekarteten Taschendiebstahl an
einem Gendarmen. Dieser that, seiner Weisung gemäfs, als be-
merkte er nichts; wohl aber gingen die gerade anwesenden
Brenner — stets streiften einige umher — in die Falle, indem
sie ihrem Grofsmeister die scheinbar kühne That — Beraubung
eines Sicherheitsorgans! — hinterbrachten. Ein so waghalsiger
und gewandter Dieb mufste dem Geheimbund angehören; er
wurde daher aufgesucht und empfing vorteilhafte Anerbietungen
für den Fall seines Eintritts. Anfänglich schien er sehr abgeneigt,
schliefslieh aber gab er nach und alsbald entfaltete er den bei Neu-
lingen üblichen Eifer. Er fehlte bei keiner Versammlung und machte
sich schleunig mit allen Geheimnissen, Zeichen, Losungsworten,
Verstecken, Verfahren u. s. w. bekannt; endlich erfuhr er auch
von dem sichersten Zufluchtsort der Mitglieder - einem wilden
Gehölz bei Chartres, das zugleich als Beute-Niederlage diente.
Kaum war zur Beratung über einen grofsen Streifzugsplan eine
Vollversammlung für einen bestimmten Tag angesetzt worden, eilte
der falsche »Bruder11 nach Chartres, um die Polizei-Behörde zu
verständigen, die während der Versammlung das Gehölz von
einer zahlreichen Mannschaft umzingeln liefs. Die überfallenen
Bundesgenossen fielen entweder im Kampf oder sie wurden ge-
fangen genommen. Dies geschah im Jahre 1799. Immerhin
entwischte eine Anzahl und sie setzten ihre verbrecherische
Thätigkeit jenseits des Rheins unter Führung des berüchtigten
Schinderhannes fort, bis die Bande 1803 erwischt und samt
ihrem Hauptmann zu Mainz hingerichtet wurde. Das war der
letzte Todesstofs, den die Brenner erhielten.
Der letzte ehemalige Chauffeur starb 1883 bei Cannes
(Südfrankreich). Er hiefs Yves Conedie und erreichte ein Alter
von 105 Jahren. Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte
er, wie die Zeitungen nach seinem Tode berichteten, »in acht-
barer Zurückgezogenheit“ ; in seiner Jugend aber war er ein gar
wilder Geselle gewesen. Einmal — so erzählte er selbst —
schund er seine eigene Gattin bei lebendigem Leib, weil sie
ihm mit seinem ganzen Gelde durchgegangen war. Ein andermal
entführte er einen Regierungskommissar, der seinen (Conedies)
guapo — dessen Nachfolger übrigens er selber wurde — hatte
guillotinieren lassen, und liefs ihn erst nach Zahlung eines schweren
Lösegeldes frei.
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Die Garduna.
201
Die Garduna.
Ursprung der Gesellschaft. — Organisation. - Geist des Bundes. Er-
kennungszeichen und Losungsworte. - Entstehungs-Legende. -- Unter-
drückung der Garduna. — Reisenden-Versicherung durch Räuber. — Die
Garduna in Südamerika.
Ferdinand der Katholische gehörte zu den abergläubischten
und bigottesten Tyrannen, die je gelebt. Unter ihm wurde die
Inquisition in Spanien allmächtig; er war es, der Kolumbus in
schändlicher Undankbarkeit in Ketten heimbringen liefs. Er
hielt sich für einen klugen Diplomaten, war aber stets nur das
Werkzeug einer habgierigen, blutdürstigen Geistlichkeit. Als
dieses Ungeheuer beschlofs, seine civilisiertesten Unterthanen
die Mauren - und seine arbeitsamsten - die Juden - auszurotten,
hiefs es alle Landstreicher und das ganze Gesindel zur Teilnahme
an diesem „heiligen“ Krieg willkommen, der angeblich den ein-
zigen Zweck hatte, die Ketzerei auszumerzen und den „echten“
Glauben zu fördern. Übrigens hatten schon lange vor Fer-
dinands Regierungszeit Übelthäterbanden Spanien durchstreift
und mit der geheimen Unterstützung der katholischen Geistlich-
keit, die einen Teil der Beute erhielt, die Häuser zahlloser
Mauren und Juden geplündert, wobei sie zuweilen einem Wider-
stand leistenden „Ketzer“ das Haus über dem Kopf anzündeten
— zur gröfseren Ehre der Kirche und des Staates. Gehörten
doch die spanischen Juden einem „verfluchten Geschlecht“ an!
Und waren die Mauren, die das Land auf eine höhere Stufe
gebracht hatten, nicht „Feinde“? Folglich konnte die Kirche es
nur billigen, dafs der Staat die Mauren und Juden aus dem
Weg schaffen wollte.
Unter Ferdinand, wie gesagt, schlossen die Räuber sich
nur zu gern diesem „verdienstlichen“ Kreuzzug an. Da die
Räuber einerseits gute Soldaten zu sein pflegen, anderseits ge-
wöhnlich fromme und gehorsame Kinder der Kirche sind, ist
es leicht begreiflich, dafs sie bei Ferdinand in hoher Gunst
standen. Als dieser jedoch seinen Hauptzweck erreicht und die
Macht der Mauren in Spanien gebrochen hatte, überliefs er die
Freibeuter sich selbst und sie kehrten zu ihrer früheren Be-
schäftigung, der blofsen Räuberei zurück. Obgleich nun unter
Ferdinand und der ebenfalls von den Pfaffen beherrschten
Isabella fast zwei Millionen Mauren und Juden aus dem Lande
vertrieben wurden, verblieben ihrer noch sehr viele. Diese
liefsen sich, um bleiben zu dürfen, taufen, wurden jedoch von
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
den »echten" spanischen Christen mit der grölsten Geringschätzung
behandelt und stets nur „marranos" (= Schweine) genannt, ob-
gleich viele von ihnen Oberhäupter oder Mitglieder reicher und
angesehener Familien waren. Nun denn, der König und die
Inquisitoren gingen mit Vorliebe darauf aus, solche Personen des
Rückfalls in die Ketzerei anzuklagen, damit sie verbannt und ihr
Vermögen eingezogen werden könne. Da die Räuber das genau
wufsten, verlegten sie sich auf die Plünderung der Häuser von
Marranos; und so lange der König und die Kirche einen Teil
der Beute erhielten, drückte Themis beide Augen zu. Als jedoch
die Räuber den Tribut zu verweigern begannen, öffnete Themis
beide Augen und hielt es für ihre Pflicht, auf die Ausrottung jener
Missethäter hinzuarbeiten, die sich erfrechten, dem König und
der Inquisition den Raubanteil vorzuenthalten, der ihnen ja doch
»von rechtswegen" als Belohnung für die strenge Unterdrückung
der Ketzerei gebührte.
Als behufs Vertreibung oder Verhaftung der Räuberbanden
im ganzen Lande Polizei und Militär in Bewegung gesetzt wurden,
beschlossen die bislang vereinzelten Banden, sich zum Zwecke
gegenseitigen Schutzes zu einem Geheimbund zu vereinigen.
Es war dies die »Garduna" (= Marder; in Spanien nennt man
einen besonders gewandten Dieb einen »garduno") und sie.
stattete sich alsbald mit dem ganzen erforderlichen Apparat ge-
heimer Zeichen, Losungsworte, Einweihungsriten u. s. w. aus.
Ihre Beziehungen zur Inquisition nahmen einen rein geschäft-
lichen Charakter an, blieben aber selbstverständlich geheim; es
war eine Art stiller Teilhaberschaft. Der Hauptsitz der Gesell-
schaft befand sich in Sevilla, wo alle gröfseren Raub-, Brand-
und Mord-Streifzüge geplant und vorbereitet wurden. Angesichts
der hohen Protektion, deren sich der Bund bei Hofe und seitens
der Kirche erfreute, ist es leicht erklärlich, dafs er bald Tausende
von Mitgliedern zählte.
Die Garduna war in drei Klassen mit insgesamt neun
Graden geteilt. Zur untersten Klasse gehörten die Neulinge
("Chivatos" = Ziegen genannt), die die niedrigsten Arbeiten zu
verrichten hatten: das Tragen der Beute, das Auskundschaften,
das Wachestehen u. s. w. Stand einer von ihnen während einer
»Operation" seiner Vorgesetzten Wache, so ahinle er, falls Gefahr
drohte, eine rierstimme nach: nachts die Eule, den Frosch, die
Grille oder die Katze, tagsüber den Hund. Ferner die «cober-
teras“ (= Decken), zügellose Weiber, die sich entweder in Privat-
häuser schlichen , um Diebsgelegenheiten auszuspionieren, oder
die die Aufgabe hatten, Männer an abgelegene Orte zu locken,
wo sie dann beraubt und oft auch ermordet wurden. Gewöhn-
lich jedoch verwendete die Garduna als Lockvögel junge, schöne
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Die Garduna. 203
Weiber, meist die Maitressen hervorragender Mitglieder. Zur
ersten Klasse zählten schliefslich die .fuelles" (=> Blasebälge),
alte Männer von ehrwürdigem Aussehen, die ebenfalls als Spione
dienen. Sie geberdeten sich sehr fromm, sprachen stets salbungs-
voll, zeigten sich fleifsig in der Kirche, kurz: sie waren schein-
heilig und schmeichelten sich dadurch bei vielen Familien ein,
deren Geheimnisse sie dann zu Gunsten der Garduna ausbeuteten.
Auch dienten sie der Inquisition als Vertraute.
ln der zweiten Klasse finden wir zunächst die „floreadores“
(= Athleten), äufserst lasterhafte Kerle, zumeist entlassene oder
entsprungene Galeerensträflinge oder durch den Henker gebrand-
markte Verbrecher. Ihre Sache war es, Reisende auf der Land-
strafse anzufallen und zu berauben. Ferner sind zti nennen die
ob ihrer grofsen Treffsicherheit stolzen „ponteadores" (= „Nieder-
stecher"), ungemein gewandte Schwertkämpfer. Über ihnen
standen die „guapos“ (= Oberhäupter), tüchtige Fechter, die zur
Anführung und Ausführung schwieriger oder wichtiger Unter-
nehmungen berufen waren. ■ Zur höchsten Klasse gehörten die
Magister (Priester), die die Einweihungen leiteten und für die
Aufrechthaltung der Satzungen, Gebräuche und Überlieferungen
des Bundes sorgten. Die „capatazes" (= Befehlshaber) wohnten
in den Provinzen, in welchen die Garduna verbreitet war, als
Vertreter des Grofsmeisters („hermano mayor“, wörtlich „gröfster
Bruder"), der nicht selten ein hervorragender Höfling war und
kraft seiner unumschränkten Gewalt den Bund mit eiserner Strenge
zu lenken pflegte. Ist es nicht sonderbar, dafs zahllose Menschen,
die sich gegen die gesetzlichen Gewalten auflehnen, sich von
einer einzelnen Person willig tyrannisieren lassen? Aber wahr-
scheinlich könnten gesellschaftsfeindliche Vereinigungen — Räuber-
banden, Assassinen, Thugs, Chauffeurs u. dgl. - ohne diese
knechtische Disziplin nicht bestehen.
Die Garduna lernte von der Heiligen Inquisition jedes
Verbrechen verüben, das Aussicht auf Gewinn bot. Die Magister
des Bundes hatten einen regelrechten Tarif, zu dessen Sätzen
eine beliebige Anzahl von Mitgliedern für irgendwelche Schand-
that gemietet werden konnte: Raub, Mord, Verstümmelung, Meineid,
Urkundenfälschung, Mädchenentführung, Gefangennahme persön-
licher Gegner und Verkauf derselben als Sklaven in überseeischen
Undern. All dies war auf Bestellung zu haben und die Mit-
glieder der Garduna erwiesen sich in der Ausführung solcher
Aufträge stets als höchst gewissenhaft. Der bedungene Preis
wurde zur Hälfte bei Erteilung des Auftrags, zur Hälfte nach
dessen Ausführung bezahlt. Diese Mietgelder flössen nur zu
einem Drittel in die Taschen der gedungenen Personen; der
Rest wurde halb in die Bundeskasse, halb in die Handkasse für
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Gesel lschaf tsfei nd I iche Verei n igu ngen .
laufende Ausgaben eingezahlt. Dafs die Garduna vorzügliche Ge-
schäfte machte, geht schon aus der einen Thatsache hervor, dafs sie
bei Hofe hochstehende Personen reichlich subventionieren konnte,
damit dieselben die Bundesinteressen schützten und förderten.
Auch unter den Richtern, Kerkergouverneuren u. s. w. hatte die
Garduna geheime Verbündete, denen die Aufgabe zufiel, verhaf-
teten oder verurteilten Genossen die Flucht zu ermöglichen oder
zu erleichtern.
Wollte ein Mitglied der Garduna sich in Gesellschaft Un-
bekannter vergewissern, ob ein -.Bruder« anwesend sei, so legte
er wie zufällig den rechten Daumen auf das linke Nasenloch;
daraufhin meldete sich ein etwa gegenwärtiger Genosse, indem
er sich ihm näherte und ihm das Erkennungswort ins Ohr
flüsterte. Der andere antwortete mit dem Gegen-Losungswort
und schliefslich wurde der Sicherheit halber noch der geheime
Händedruck ausgetauscht. Nun konnten sich die beiden beliebig
in einem für jeden Nichtbruder unverständlichen Jargon unter-
halten. Was die Religion der Garduna, die sich für eine Reli-
gionsgesellschaft hielt oder ausgab, betrifft, so waren ihre Riten
die der päpstlichen Kirche, und wie die letztere auf zahlreichen
Legenden beruht, hatte die Garduna ebenfalls ihre Legende,
und zwar die folgende.
Als die „Söhne Beelzebubs" — so nannten die frommen
Spanier die Mauren - zum erstenmal in Spanien einfielen,
flüchtete sich die wunderthätige Madonna von Cordova ins
Christenlager; dennoch gewährte Gott, um „sein« Volk für
dessen Sünden zu züchtigen, den Fremdlingen den Sieg über
die Rechtgläubigen und gestattete ihnen über die Christen zu
herrschen, die sich in die asturischen Berge zurückzogen, um
nach bestem Können den Kampf gegen die „Feinde Gottes
und Bedrücker des Landes“ fortzusetzen. Die täglich und
stündlich angeflehte Madonna liefs ihre Getreuen einige Waffen-
erfolge erringen, sodafs sie nicht, wie es der Himmel eigentlich
gewollt, gänzlich vernichtet wurden. Sie vermochten zwar nicht,
die Mauren aus Spanien zu vertreiben, konnten aber ihre Frei-
heit und ihre Religion aufrechthalten. Damals nun lebte in den
Einöden der Sierra Morena ein alter Einsiedler namens Apollinare,
auch Cal Polinario genannt, ein Mann von strengstem Lebens-
wandel und grofser Heiligkeit, ein ganz besonders inniger An-
beter der Mutter Gottes, die ihm eines Morgens erschien und
ihn folgendertnafsen ansprach:
„Du weifst, wie viel Böses die Mauren deinem Vaterland
und der Religion meines Sohnes zufügen. Die Sünden der
Spanier haben durch ihre Gröfse den Zorn des Allerhöchsten
so sehr erregt, dafs er euch von den Mauren besiegen liefs.
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Die Garduna.
20S
Als jedoch mein Sohn die Erde betrachtete, hatte ich den glück-
lichen Einfall, ihm von deinen zahlreichen Tugenden zu erzählen;
seine Stirn wurde sofort klarer und ich benutzte den günstigen
Augenblick, um ihn anzuflehen, Spanien durch dich von seinen
grofsen Leiden zu befreien. Er erhörte meine Bitte und ich
komme, um dir meine Befehle zu erteilen. Schare die Tapferen
und die Vaterlandsliebenden um dich, führe sie in meinem
Namen gegen den Feind und gieb ihnen die Versicherung, dafs
ich stets an ihrer Seite sein werde. Und da sie für die gute
Sache des Glaubens zu kämpfen haben, sage ihnen, dafs sie
schon hiernieden ihren Lohn finden werden, denn sie dürfen
sich nach Recht und Billigkeit den gesamten Besitz der Mauren
aneignen — gleichviel in welcher Weise. In den Händen der
Feinde Gottes könnten Reichtiimer zur Unterdrückung der Re-
ligion dienen, während sie von den Rechtgläubigen nur zur
Verherrlichung der Religion benutzt werden würden. Auf,
Apollinare! Organisiere und lenke den grofsen Kreuzzug! Ich
gebe dir volle Gewalt und salbe dich mit Hirmnelsöl. Nimm
diesen Knopf, den ich selber vom Mantel meines himmlischen
Sohnes abgetrennt habe; er hat die Eigenschaft, sich zu verviel-
fältigen und endlose Wunder zu wirken. Wer einen solchen
Knopf um den Hals trägt, ist gefeit gegen die Waffen der
Mauren, die Wut der Ketzer und plötzlichen Tod.“
Die Heilige Jungfrau verschwand, nachdem sie den Ein-
siedler gesalbt, unter Zurücklassung eines köstlichen Duftes. Cal
Polinario gründete nun die »Heilige“ Garduna, die, wie wir
gesehen, von Himmels wegen das Recht hatte, zu rauben und
zu morden. Daher wurde auch kein gröfserer Streifzug ohne
die vorherige Abhaltung religiöser Feierlichkeiten unternommen;
und war man sich nicht klar, in welcher Weise ein Reisender
anzufallen war oder dergleichen, so holte- man sich aus der
Bibel Rat.
Wie die meisten anderen Gehei mgesellschaften , schrieb
auch die Garduna ihre Satzungen etc. nicht nieder, sondern
pflanzte sie mündlich fort; dagegen führte sie über ihre Thätig-
keit eine Art kurzer Chronik. Dieses Buch wurde, als Don
Manuel de Cuendias 1821 mit seinen Bergjägern die Garduna
ausrottete, nebst anderen Schriftstücken im Hause des Grofs-
meisters Francis Cortina beschlagnahmt und bildete die Haupt-
grundlage des gegen den Geheimbund angestrengten grofsen
Prozesses. Aus dieser Chronik, welche im Sevillaer Gerichts-
archiv aufbewahrt wird, ging hervor, dafs die Garduna in Toledo,
Cordova , Barcelona und vielen anderen Städten des Landes
Zweigniederlassungen hatte und dafs ihre Verbindung mit der
Inquisition bis tief ins 1 7. Jahrhundert hinein eine sehr innige
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
war. ln den 147 Jahren von 1520 bis 1667 erteilten die In-
quisitoren ihr 1986 Aufträge, für deren Ausführung fast
200000 Frank bezahlt wurden — für damals gewaltig viel Geld!
Aus den in Rede stehenden Aufzeichnungen erfuhr man, dafs
rund ein Drittel der Verbrechen des Bundes in Entführungen
von Frauenspersonen - hauptsächlich auf »Bestellung" seitens
der Inquisition — ein Drittel in Mordthaten und der Rest in
Raub, Plünderung, falschem Zeugnis und anderen Verbrechen
bestand. Auf Grund der Chronik konnten die Behörden auch
viele Mitglieder der Gesellschaft verhaften; sie wurden sofort
vor Gericht gestellt und am 25. November 1822 erfolgte die
Hinrichtung des letzten Grofstneisters, und von siebzehn Rädels-
führern auf dem Marktplatz von Sevilla.
Die Garduna war somit unterdrückt, doch gab es in den
spanischen Bergen auch weiter - und giebt es sogar noch
heute — Räuberbanden. Diese hatten, gleich der Garduna, in
allen Städten und in den meisten Landstrafsen-Einkehrhäusern
Versicherungsagenten , die den Reisenden für mäfsige Beträge
Freiheit von Erpressungen oder Überfällen seitens anderer Räuber
gewährleisteten. Im Jahre 1823 z. B. brauchten Reisende von
Madrid nach Cadiz, wenn sie unterwegs ungeschoren bleiben
wollten, nur die Wagen eines gewissen Pedro Ruiz zu benutzen;
der Fahrpreis war dreimal so hoch als der der gewöhnlichen
Fuhrwerke, aber die Passagiere waren vor jedem Überfall sicher.
Der Wirt zu den »Drei Kreuzen“ in Merida (Estremadura) ver-
kaufte für 40 Frank ein schützendes Losungswort. Der vorhin
erwähnte Don Manuel de Cuendias erzählt in seiner Bearbeitung
von F^reals »Geschichte der Inquisition", er habe im Jahre 1822
dem Pater Alexis für das Losungswort »Vade retro!“ (= Geh’
zurück!) 40 Frank gezahlt. Als er nun bei dem sogenannten
»Beichtstuhl“ ankam - einem Platz, auf dem ein Reisender
umgebracht werden konnte, ohne seine Mörder auch nur zu
sehen - erschienen vier Räuber; allein kaum hatte er sie mit
den Worten »Vade retro!" angesprochen, machten sie kehrt und
schlugen sich ins Gebüsch.
Später wurde in Südamerika eine Garduna gegründet; 1846
bestand sie nachweislich in Brasilien, Peru, Argentinien und
Mexiko, ln diesen Ländern konnte man sich jedes Feindes für
wenige Dollars entledigen; die Ansprüche der gedungenen Meuchel-
mörder waren nicht hoch.
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Die Camorra.
207
Die Camorra.
Ursprung. — Ableitung des Namens. - Verschiedene Klassen. Orade. -
Einweihungsriten. — Mittelpunkte. — Jargon. - Ungeschriebene Vorschrif-
ten. — Die Gefängnis-Camorra. — Die Strafsen-Camorra. — Allerlei camor-
ristische Erpressungen. — Soziale Ursachen der Camorra. — Die politische
Camorra. — Unterdrückungsversuche und Verfolgungen. Camorristische
Mordthaten.
Die neapolitanische Camorra, wohl die unheilvollste Ver-
einigung, die es in Europa je gegeben, war und ist ein Sammel-
surium von Gaunern, Schwindlern, Dieben, Erpressern und Übel-
thätern jeder Art Über die Herkunft des Namens ist man im
Dunkeln, doch dürfte er ziemlich sicher spanischen Ursprungs
sein. Das spanische Wort, „camorra" bedeutet so viel wie Zank
oder Streit und mit „camorrista" bezeichnet der Spanier eine
streitsüchtige, zänkische Person. Da nun diese Worte in Italien
vor der spanischen Usurpation unbekannt waren, läfst sich an-
nehmen, dafs sie, wie auch die durch sie bezeichneten Zustände,
von Spaniern im Neapolitanischen eingeführt wurden. Überdies
wissen wir ja, dafs es verwandte Gesellschaften in Spanien sehr
lange vor der Entstehung der neapolitanischen Camorra gegeben
hat. Hier ein Beispiel aus dem »Don Quijote“. In dem Be-
richt über Sancho Pansas Abenteuer auf der Insel Barataria lesen
wir, dafs er eines Nachts zwei kämpfenden Männern begegnete
und auf seine Frage nach der Ursache des Streites die Auskunft
erhielt, dafs der eine Mann in einer Spielhölle viel Geld gewonnen,
der andere aber zugesehen, in mehreren Zweifelsfällen zu seinen
Gunsten gesprochen — »obgleich er es eigentlich nicht mit
seinem Gewissen vereinbaren konnte" — und nunmehr ein Ge-
schenk von acht Realen gefordert hatte, während der Gewinner
ihm nur vier bewilligen wollte. Die neapolitanischen Spielhöllen-
Camorristen machen regelmäfsig Anspruch auf ein solches Ge-
schenk, das sie »barattolo“ nennen; in Spanien hiefs es „barato".
Beachtung verdient auch eine andere Ableitung des Wortes
»Camorra", nämlich die von „gamurra" (spanisch „chamarra"),
das im altneapolitanischen Dialekt eine Bluse bedeutet; damit
soll wohl angedeutet werden, dafs die Mitglieder Blusenträger,
d. h. Proletarier sind. Über die Entstehung des Bundes weifs
man nichts; die Überlieferung verlegt die Zeit ins Jahr 1820.
Was die Organisation betrifft, so giebt es vielerlei Camor-
risten. Z. B. die „eleganten“, die, wie schon erwähnt, die Spieler
brandschatzen; ferner jene, die die Ladenbesitzer, Droschken-
kutscher, Kahnführer u. s. w. schröpfen; sodann die Gefängnis-
Camorristen, die an den Häftlingen Erpressungen verüben. Früher
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Oesel lschaf tsfei nd 1 i che Vereinigungen.
gab es auch eine politische Camorra und eine .Mordthaten be-
gehende.
Die Kerker lieferten dem Geheimbund zahlreiche Mitglieder.
Der junge Häftling, der ein Camorrist werden wollte, begann
seine Lehrzeit im Gefängnis, wo er für die eingesperrten Camor-
risten die erniedrigendsten Dienste thun mufste. Gab er im
Laufe der Zeit Beweise von Mut und Eifer, so rückte er zum
picciotto di sgarro“ auf. „Picciotto" bedeutet „Bursche“; was
aber „sgarro“ bedeutet, wissen nicht einmal die Bundesgenossen
selber. Vielleicht ist das Wort von sgarare („den Sieg erringen“)
oder von „sgarrare" (mifsverstehen) abgeleitet. Übrigens hatten
die Grade nicht überall die gleichen Namen, bezw. dieselben
Namen bezeichneten nicht immer die gleichen Grade. An manchen
Orten hiefs der Neuling „tamurro“, der Inhaber des zweiten
Grades „picciotto d'onore“ und erst, der des dritten „picciotto
di sgarro“. In den Glanzzeiten der Gesellschaft mufste der Be-
werber um den Sgarro-Grad besondere Hingebung an den Tag
legen. Er mufste um die Erlaubnis bitten, jemand zu ver-
stümmeln oder nötigenfalls umzubringen. War gerade kein solcher
Auftrag zu vergeben, durfte der Kandidat sein Messer gegen
einen durch das Los bestimmten „Bruder" ziehen; für den
letzteren war die Sache nicht sehr gefährlich, denn die Camor-
risten waren zumeist geübte Fechter, da es in Neapel und sogar
in den Gefängnissen geheime Schulen gab, in denen die Bundes-
genossen einander im Gebrauch des Dolches unterwiesen. Über-
dies handelte es sich da blofs um ein Scheingefecht, bei welchem
der Bewerber nur den Arm seines Gegners ritzen sollte, worauf
die Kämpfenden einander umarmten und die Einweihung des
Kandidaten erfolgte.
In den ersten Zeiten der Camorra war die Erprobung eine
viel schwierigere. Die „Genossen“ umstanden eine auf dem
Fufsboden liegende Münze und auf ein gegebenes Zeichen bückten
sich alle gleichzeitig, um mit ihren Messern auf die Münze los-
zustechen, welche der Kandidat aufheben mufste. Dabei wurde
ihm oft die Hand zerstochen, aber er wurde zum „picciotto di
sgarro“ gemacht. Sein Noviziat dauerte drei bis sechs Jahre,
während welcher Zeit er nur Pflichten, aber keine Rechte hatte.
Gewöhnlich teilte man ihn einem „Bruder" zu, der ihn mit den
schwierigsten Aufgaben betraute und ihn nur selten mit einer
Hand voll Kupferstücke belohnte. Der Picciotto mufste stets
heran, wenn es sich darum handelte, Blut zu vergiefsen oder
einen Todesstreich zu führen, und er übernahm derlei gern, weil
er rascher aufzurücken hoffte. Der durch das Los bestimmte
Picciotto erhielt, wenn er sich von der Polizei erwischen liefs,
sechs bis zwanzig Jahre Galeeren, aber er wurde ein vollwertiger
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Die Camorra.
209
Cainorrist. Solche Mordthaten beging man nicht für Geld, sondern
»der Ehre halber“, denn die Neapolitaner verehrten den Dolch,
wie die «höhere“ Kulturwelt das Schwert verehrt.
Anläfslich der Aufnahme des Picciotto in den Camorristen-
grad versammelten sich die gerade anwesenden »Brüder" um
einen Tisch, auf dem ein Dolch, eine geladene Pistole, ein Glas
mit scheinbar vergiftetem Wein oder Wasser und eine Lanzette
lagen bezw. standen. Der Picciotto wurde in Begleitung eines
Barbiers eingelassen, der ihm eine Ader öffnete. Der Kandidat
tauchte seine Rechte ins eigene Blut, streckte sie dann aus und
schwor, die Geheimnisse der Gesellschaft bewahren und ihre
Aufträge getreulich ausführen zu wollen. Ferner ergriff er den
Dolch, stiefs ihn in den Tisch, spannte den Hahn der Pistole
und führte das Glas an die Lippen, um anzudeuten, er sei, falls
der Meister es befehle, bereit, sich umzubringen. Der Meister
hielt ihn vom Trinken zurück, hiefs ihn niederknieen, legte ihm
die Rechte auf den Kopf, feuerte mit der Linken die Pistole in
die Luft ab, zerschmetterte das Glas mit dem Scheingift, zog den
Dolch aus dem Tisch und schenkte ihn dem neuen Camorristen,
den er schliefslich umarmte ein Beispiel, das von allen An-
wesenden befolgt wurde. Nunmehr hatte der Eingeweihte An-
spruch auf alle Rechte, Vorteile und Begünstigungen des Bundes
und seine Aufnahme wurde sämtlichen Sektionen mitgeteilt.
Übrigens trat an die Stelle der soeben geschilderten umständ-
lichen Einweihungsfeier oft die viel einfachere, dafs der Neuling
blofs bei zwei gekreuzten Dolchen einen Treuschwur leistete.
Auf die Einweihung pflegte eine Mahlzeit auf dem Lande zu
folgen; fand die Einweihung unter Häftlingen statt, so wurde die
Bewirtung im Gefängnis selbst veranstaltet.
Die Camorristen sind in »Mittelpunkte“ geteilt, deren es
in Neapel zwölf giebt. Jeder »Mittelpunkt" zerfällt in mehrere
Unterabteilungen (»paranze"), deren jede selbständig vorgehen
kann; allerdings gab es eine Zeit, in welcher sämtliche »Mittel-
punkte", deren jeder ein Haupt hat, den Lenker des »Mittel-
punktes" von Vicaria als Oberhaupt anerkannten. Das letzte
dieser Oberhäupter war ein gewisser Aniello Ausiello, der eines
Tages verschwand, ohne dafs die Polizei seiner jemals hätte hab-
haft werden können. Das Haupt jedes »Mittelpunktes“ wird von
den Mitgliedern des letzteren gewählt und ohne sie kann es keine
wichtigere Mafsregel treffen. Alle Einnahmen des »Mittelpunktes“
fliefsen in seine Kasse, denn er hat das Recht der Verfügung
über sämtliche Ausgaben; hierbei stehen ihm ein Rechnungsführer
(»contarulo“), ein Schatzmeister (»capo carusiello“) und ein Schrift-
führer (»segretario") zur Seite. Aufser diesen Beamten giebt es
noch einen Proviantmeister (»capo stanze“) und einen »Rufer“
Heclcethorn-Katscher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 14
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210 Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
(chiamatore), dem die Pflicht oblag, die Gefangenen, mit denen
man sprechen wollte, in den Sprechraum des Gefängnisses zu
rufen. — Die Verteilung der Spielgeschenke (barattolo) erfolgte
allsonntäglich und das Haupt des ..Mittelpunktes« behielt selbst-
verständlich den Löwenanteil für sich.
Es wird von Interesse sein, einige der wichtigeren Aus-
drücke des carnorristischen Jargons kennen zu lernen. Der Leiter
eines »Mittelpunktes« heifst »niasto« (Meister) oder „si masto«
(Herr Meister). Trifft ein Bundesgenosse seinen Vorgesetzten auf
der Strafse, so salutiert er und fragt: »Masto, volete niente«?
(»Meister, wollet ihr nichts?«) Die gewöhnlichen Genossen
werden mit »si« (Abkürzung von »signore«) angesprochen. Ein
Auftrag wird mit »ubbidienza« (=> Gehorsam) bezeichnet, töten
mit „freddare“ (»kaltmachen“), eine Leiche mit »dormente«
(= Schläfer), ein Beraubter mit »agnello« (Lamm) oder »soggetto«
(Unterthan), der gestohlene Gegenstand mit „morto" (= der Tote).
Ein Messer nennt man »punta« (»Spitze), oder' »misericordia«
(Mitleid), ein ganz flaches zweischneidiges »sfarziglia«, eine Kanone
»bocca« (Mund), einen Revolver »tictac« oder »bobotta«, die
Patrouille „gatti neri« (schwarze Katzen) oder »sorci« (Mäuse),
den Polizeikommissär „capo lasagna« (unter »lasagne« versteht
man eine Art langer, flacher Maccaroni), den Polizeisergeanten
„lasagnaro“ (Lasagnehändler), den gewöhnlichen Schutzmann „aspa-
rago" (Spargel), einen Spion „palo“ (Stange), einen Piaster „serpen-
tina“. Nimmt ein Picciotto das Verbrechen eines andern auf
sich, so sagt man : „l'accollava" (= er hat ihn umarmt). „Guappo“
(= ein Unbekannter) bedeutet einen den niedrigsten Volksschichten
angehörigen Camorristen, „chirurgo“ (Wundarzt) einen camor-
ristischen Taschendieb, der sich durch gewaltsames Strecken oder
durch eine entsprechende Maschine den Zeigefinger behufs Er-
leichterung des „Geschäfts" derart verlängern läfst, dafs er die
Länge des Mittelfingers erreicht.
Es ist nicht wahrscheinlich, dafs die Camorra jemals ge-
schriebene Satzungen hatte; wohl aber hat sie mündlich über-
lieferte, die aus 24 Artikeln bestehen. Die wichtigsten mögen
hier auszugsweise Platz finden. Kein Angehöriger der Polizei
darf Mitglied werden. Dagegen dürfen Bundesgenossen Poli-
zisten werden, um den Bund von etwa gegen ihn geplanten
Maßregeln verständigen zu können. Vergehen gegen den Bund
sind vom Grofsmeister und von sechs „camorristi proprietarii"
(d. h. solchen Genossen, denen andre unterstehen) abzuurteilen.
Genossen, die ihren Verschwiegenheitseid brechen, werden hin-
gerichtet. Das gleiche Schicksal trifft - jeden, der durch Hand-
lungen oder Unterlassungen die Sicherheit der Geheiingesellschaft
gefährdet; Sünder dieser Art darf jedes beliebige Bundesmitglied
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Die Camorra.
211
umbringen, doch nur in Gegenwart zweier Genossen als Zeugen.
Wer den Versuch macht, den Grofsmeister persönlich kennen zu
lernen, wird mit dem Tod bestraft. Camorristen, die das 50. bis
60. Lebensjahr erreicht oder im „Dienst" Verletzungen erlitten
haben, sind zu vorübergehender oder dauernder Unterstützung
berechtigt; unter Umständen erhalten auch die Witwen Pensionen.
Verhaftete Genossen werden während ihrer Gefangenschaft reichlich
mit Geld, Waffen usw. versehen.
Die Mitglieder der „camorra elegante" kleiden sich zumeist
alle gleichmäfsig, tragen ihre Hüte in der gleichen Weise und
halten ihre Spazierstöcke wagrecht zwischen zwei Fingern der
rechten Hand. Wer einen „eleganten" Camorristen beleidigt, gilt
als Beleidiger aller Angehörigen dieser Klasse, deren jeder an
dem Beleidiger Rache üben darf. — Das Stehlen ist gestattet,
doch müssen die betr. Gegenstände einigermafsen wertvoll sein,
da die Camorra sonst blamiert sein würde.
Wir haben bereits erwähnt, dafs die Camorra wenigstens
früher allgegenwärtig war. Zur Zeit der Bourbonen war sie
sogar in den Gefängnissen stark vertreten. Jeder neue Häftling
wurde von einem Camorristen um eine Spende für die Lampe
der Madonna gebeten und mufste nachher von allem, was er afs,
trank und rauchte, sowie von jedem Geldgeschenk, das er von
Freunden erhielt, der Camorra Tribut zahlen. Weigerte er sich,
so lief er Gefahr, zu Tode geprügelt zu werden. Wurde ein
„besserer“ Häftling in die Vicaria gebracht, so erhielt er nicht
selten von der Camorra ein Messer zu seiner persönlichen Ver-
teidigung. In jedem Kerker gab es ein camorristisches Waffen-
lager „pianta“ (Pflanze) genannt, das von den Behörden nie
entdeckt wurde. Man darf annehmen, dafs die Gefängnis-Camorra
ursprünglich blofs den Zweck hatte, unter der schmählichen
Herrschaft der Bourbonen die von den Beamten entsetzlich mifs-
handelten Häftlinge zu beschützen. Thatsächlich pflegten die
Camorristen in den Strafhäusern einigermafsen Ordnung zu
schaffen und die Kerkermeister nahmen oft ihre Hilfe in Anspruch,
wenn es sich darum handelte, aufrührerische Sträflinge zur
Vernunft zu bringen.
Anfänglich gab es überhaupt nur eine Gefängnis-Camorra ;
erst durch entlassene Häftlinge entstand in den ersten dreifsiger
Jahren die Strafsen-Camorra. Diese arbeitete dann gruppen- oder
bandenweise. Beim Herannahen der Patrouille wurde katzenartig
gemiaut, beim Auftauchen eines nächtlichen Fufsgängers hahn-
mäfsig gekräht; waren der Passanten mehrere beisammen, erfolgte
ein langer Seufzer; ein Niesen, wenn ein Überfall nicht lohnend
schien. Schien dagegen die Beraubung vielversprechend, wurde
ein Ave Maria gesungen; ein Gloria Patri ertönte, wenn ein
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Qesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
erwartetes Opfer auftauchte. Betrat ein Camorrist einen ihm
fremden Versammlungsort des Bundes, so deuteten seine etwaigen
Bekannten die Thatsache der Bekanntschaft den Anwesenden da-
durch an , dafs sie die Augenlider mehrmals aufschlugen , die
Hände in die Hosentaschen steckten und zur Decke emporblickten.
Die Stadt-Camorra drang früher in die höchsten Kreise.
Königliche Hoheiten standen in Verbindung mit Schmugglern
und bezogen einen Teil des Gewinns. Bestochene Minister
beschützten die Camorra. Bischöfe, Leiter von Wohlthätigkeits-
anstalten, zahlreiche Regierungsbeamte etc. waren in die Schand-
wirtschaft dieses Geheimbundes verwickelt Marc-Monnier erwähnt
einen Camorristen, den er in Neapel gekannt hatte und der, ob-
gleich ein Falschspieler und Hochstapler, bei Hofe empfangen
wurde, weil er als guter Fechter gefürchtet war. Das Gros der
Camorristen jedoch verlegte und verlegt sich auf die Aussaugung
der unteren Schichten. Zu einer Zeit konnte kein Strafsenbettler
auf seinem Posten bleiben, ohne der Camorra Steuer zu zahlen.
In den niedrigsten Spelunken Neapels, wo zerlumpte Bettler Tag
und Nacht Karten spielen, sahen Camorristen zu und erhoben
auf jede Partie einen Zoll von 10 °/„ des Gewinnes. Mit welchem
Recht - das weifs man nicht; aber das Recht ist nie bestritten
worden.
Wurde bekannt, dafs ein reicher Mann im Begriff stehe,
sich an der Versteigerung eines Hauses zu beteiligen, so erhielt
er den Besuch eines Camorristen, der ihm unter der Androhung
sonstiger Überbietung durch den Geheimbund eine angemessene
Summe erprefste. Die Schmuggler und die Besitzer von Freuden-
häusern lieferten an die Camorra einen beträchtlichen Teil ihres
Einkommens ab. Angesichts der elenden Beschaffenheit der
Polizei betrauten die hervorragenderen Kaufleute Camorristen
mit der Überwachung des Lade- und Löschverkehrs. An jedem
Stadtthor, auf jedem Zollamt, Verzehrungssteueramt und Bahnhof
sah man Camorristen die Kutscher und Träger tributpflichtig
machen. Die Obst zur Stadt bringenden Handelsgärtner mufsten
für jeden Korb einen Soldo entrichten. Auch mit dem Halten
gesetzwidriger Lotteriebureaus verdiente die Gesellschaft viel Geld.
Kurz, der Geheimbund spekulierte auf alle menschlichen Laster
und Schwächen. Unter den Bourbonen steckte er sogar die
neapolitanische Armee an; als er versuchte, sich auch an das
italienische Heer heranzumachen, wurden die betreffenden .Mit-
glieder mit einem das Wort „Camorrist“ tragenden Plakat öffent-
lich an den Pranger gestellt.
Der Hauptdaseinsgrund der Camorra liegt in dem ent-
setzlich knechtischen Zustand, in welchem das Volk von Neapel
unter den Bourbonen schmachtete, die gemeine Verbrecher
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Die Camorra.
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beschützten, um sich ihre Dienste zu sichern, während die in-
telligenten Kreise, welche freisinnige Einrichtungen forderten, aufs
niederträchtigste verfolgt wurden. Die Geistlichkeit sorgte dafür,
dafs die Massen tief in Aberglauben und Unwissenheit stecken
blieben, und die geistig höher Stehenden wagten nicht, energisch
aufzutreten. Unter solchen Umständen konnte eine Vereinigung
wie die Camorra nur zu leicht entstehen, und da sie gut organi-
siert war, mufste sie mächtig werden und blühen. In Sumpfboden
gedeihen naturgemäfs Sumpfpflanzen.
Da die Camorra vor 18-48 die Politik gänzlich aus dem
Spiele liefs, legte ihr die Regierung nichts in den Weg. Im
Gegenteil: die Polizei bediente sich ihrer geradezu und das Haupt
jedes der zwölf neapolitanischen „Mittelpunkte“ erhielt von der
Geheimpolizei monatlich hundert Dukaten, wogegen die höheren
Polizeibeamten zusammen ein Drittel der auf Schwindel beruhen-
den Einnahmen der Gesellschaft bekamen. Zuweilen gelang der
letzteren die Entdeckung von Verbrechen, die der Polizei ent-
gangen waren. - In dem bourbonischen Polizeigesetze von 1822
hiefs es, dafs die Mitglieder geheimer oder halbgeheimer Ver-
einigungen bis zum dritten Grad zur Einkerkerung in Ketten,
die Lenker aber zum Galgentod und zu Geldstrafen von 1000
bis -1000 Dukaten zu verurteilen seien; und ein Gesetz von 1828
besagt, „das Zusammenkommen von zwei Personen genüge zur
Annahme der Geheimbündelei.“ Trotz alledem wurde der
Camorra kein Haar gekrümmt
Nach 18-48 trieb die Camorra auch Politik. Als die Ver-
schwörer gegen die Regierung in ihrer Unfähigkeit, das Volk
aufzurütteln, den Versuch machten, die Camorra für ihre Ziele
zu erwärmen, erreichten sie lediglich, dafs der Geheimbund sie
tüchtig brandschatzte. Als jedoch die Polizei einige Camorristen,
die ihr Brot auf ehrlichem Wege verdienen wollten, einsperrte,
wandte die Gesellschaft sich der Politik zu. Nach der er-
zwungenen Bewilligung einer Verfassung durch Franz II. im
Juni 1860 erfolgte eine Amnestie, welche zahlreichen Camorristen
die Kerkerthore öffnete. Das erste, was sie thaten, war, die
Polizeikommissäre zu überfallen, ihre Papiere zu verbrennen und
die Gendarmen mit Knütteln totzuschlagen. Die Sanfedisten -
d. h. der für den König und das Gottesgnadentum eingenommene
Teil des Pöbels — drohten die Stadt zu plündern und sie hatten
bereits Niederlagen behufs Aufbewahrung der Beute gemietet.
Da verbündete sich der neue Polizeipräfekt Liborio, um Neapel
vor der Plünderung zu bewahren, mit der Camorra und er er-
reichte sein Ziel, indem die Camorristen in Gestalt einer Bürger-
garde die Ordnung bis zur Ankunft Garibaldis aufrecht hielten.
Aber sie blieben Camorristen. Eines Tages bemächtigten sie
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
sich der Verzehrungssteuer, sodafs der Regierung im ganzen nur
25 Soidi abgeliefert wurden. Da liefs die Regierung neunzig
Camorristen verhaften und am nächsten Tage gingen an den
Stadtthoren 3400 Lire ein. Als der 1848 er Patriot Silvio Spaventa
Polizeiminister wurde, liefs er bei dem ersten gröfseren Diseiplinar-
vergehen der Bürgergarde über hundert Camorristen einsperren,
schaffte die seltsame Bürgergarde ab und ersetzte sie durch eine
regelrechte Sicherheitswache.
Auch sonst trat Spaventa kräftig gegen die Camorra auf;
doch glückte es ihm nicht, sie auszurotten, denn sie war der
Bevölkerung schon zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen
und wurzelte bereits tief in den Landessitten. Zwar wurden die
Häupter der »Mittelpunkte“ beseitigt, allein die Gesellschaft
behielt ihre Organisation unter anderen Leitern bei. Im Laufe
der Zeit kamen die eingesperrten »Genossen" aus dem Gefängnis
und nahmen ihre gesellschaftsfeindliche Thätigkeit wieder auf.
Zur Verbannung auf Mittelmeer-Inseln verurteilt, entflohen viele,
kehrten nach Neapel zurück und verursachten Unruhen, bei denen
sie schrieen: »Nieder mit Spaventa!“ Bei den Wahlen mafsten
sie sich einen grofsen Einflufs an, indem sie mit ihren Keulen
die Religion und Politik der Wähler lenkten. Allnächtlich wurden
in den Strafsen Neapels Personen überfallen und ausgeraubt;
auch die Zahl der Einbrüche stieg in besorgniserregender Weise.
Das war 1 862 - bis zur Verhängung des Belagerungszustandes
über die südlichen Provinzen. La Marmora und Aveta beschlossen,
diese Gelegenheit zur Vernichtung der Camorra zu benutzen.
Im September liefsen sie etwa dreihundert der schlimmsten Ca-
morristen einkerkem — teils im Florentiner Zellengefängnis, teils
auf den Tremiti-Inseln. Aber das nützte nicht viel, denn wenn
der Geheimbund sich auch zuweilen ruhig verhält, so tritt er
doch von Zeit zu Zeit mit erneuter Kraft auf auch seit der
Begründung der Einheit Italiens.
Im September 1877 machte die neue italienische Regierung
einen angestrengten Versuch, die Camorra zu unterdrücken. Als
Angelpunkt wählte sie den Marktplatz von Santa Anna della Paluda,
wo kein Bauer seine Gartenfrüchte verkaufen konnte, ohne von
der Camorra besteuert zu werden. Eines Tages liefsen die
Behörden den Markt und dessen Umgebung von Detektivs,
Schutzmännern und Militär umzingeln und plötzlich gleichzeitig
sämtliche Ausgänge schliefsen. Als von Flucht oder Widerstand
keine Rede mehr sein konnte, wurden 57 Camorristen ergriffen,
mit langen Seilen zusammengebunden und zur Polizei gebracht,
um baldigst verurteilt und in Partien von je zehn eingesperrt
zu werden. Eine ähnliche Razzia, die einige Tage später auf
dem Fischmarkt abgehalten wurde, führte zur Dingfestmachung
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Die Camorra.
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von 59 der berüchtigtsten »Genossen«. Aber der Bund hing
mit solcher Zähigkeit an seinen »Rechten", dafs schon am zweiten
Tag nach der ersten Razzia wieder Camorristen auf dem er-
wähnten Obst- und Gemüsemarkt erschienen und die. alten An-
sprüche erhoben; freilich erhielten sie nichts und wurden ver-
haftet. Als dann ihre Gattinnen auftraten, um im Namen der
Gefangenen den Tribut zu fordern, niufsten auch sie unver-
richteter Dinge ins Strafhaus wandern. Doch gelang es nicht,
die Camorra gänzlich zu unterdrücken ; vielmehr erregte sie noch
mehrmals grofses Aufsehen.
Im August 1877 wurde in der Nähe von Neapel ein her-
vorragender Camorrist namens Vincenzo Borelli von Bundes wegen
ermordet, weil er im Verdacht stand, im Dienste der Polizei
Spionage zu treiben. Sechs »Genossen“ waren in einer Weinstube
zusammengekommen, um zu losen, wer die Thal vollbringen solle.
Das Los traf einen gewissen Rafael Esposito (= »Findling“), der
ohnehin auf Borelli wegen eines Streites zwischen den beiden
nicht gut zu sprechen war. Esposito erschofs Borelli aus dem
Hinterhalt und wurde von einigen Soldaten ergriffen, jedoch von
einer ihm günstig gesinnten Menge befreit. Diese begleitete die
Leiche des Ermordeten unter Schmähungen ins Totenhaus, mifs-
handelte sie, machte Esposito zum Helden des Tages, sammelte
für ihn Geld und verbarg ihn. Da die Polizei aber gar sehr
hinter ihm her war, stellte er sich ihr nach drei Tagen selber.
Zahlreiche »Verehrer“ gaben ihm, den Weg mit Blumen be-
streuend und ihm Geld und Zigarren aufdrängend, das Geleite
zum Gefängnis. Damals wurden noch 78 andere Camorristen
verhaftet und als Mitschuldige Rafaels vor Gericht gestellt; allein
die Camorra bedrohte die Richter und die Geschworenen mit
ihrer Rache und so wurden denn »mildernde Umstände" in
Betracht gezogen, auf Grund welcher die Verbrecher mit leichten
Strafen davonkamen. Im April 1885 führte die Angeberei eines
»Genossen“ abermals zu einer Gerichtsverhandlung gegen zahl-
reiche Camorristen. Eine Anzahl derselben wurde auf Ischia
interniert und dort war ihre erste Sorge, einen »innern Kreis
der Camorra“ zu bilden, dessen Vorsitzender Anspruch auf alles
Gestohlene hatte - der Dieb erhielt nur einen Anteil und
gegen Entrichtung eines Teiles der Gewinnste das Hazardspielen
gestattete. Wir sehen, dafs die Regierung des geeinigten Italien
das Wiederaufleben der bourbonischen Gefängnis-Camorra nicht
zu verhindern vermochte. Überhaupt fehlt noch immer viel zur
gänzlichen Ausrottung des Geheirnbundes, der einen so bösartigen
Krebsschaden des neapolitanischen Lebens bildet.
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
Die Mala Vita.
Dieser Geheimbund scheint ein Ableger der Camorra zu
sein, denn der zweite und dritte Grad heifsen „Picciotto“ und
»Camorrist«. Der erste ist der der ..giovanotti“ (= Neuling).
Die Mitglieder des dritten Grades nennt man »Onkel“, dessen
Haupt »Weiser Meister". Jeder Grad hat sein eigenes Haupt
und seine eigene Rechnungsführung. Im April 1891 machte die
Gesellschaft zum erstenmal öffentlich von sich reden; damals
wurden in Bari 1 79 Mitglieder verhaftet und vor Gericht gestellt,
und zwar infolge der Angebereien und Enthüllungen von neun
»Genossen«. Seinen Namen (»Mala Vita« = »Böses Leben«)
soll der Bund dem Titel eines aufserordentlich beliebten Romans
von Degia Como entnommen haben. Die Aufnahme eines Mit-
gliedes ist mit grofsen Vorbereitungen und Schwierigkeiten ver-
bunden. Man niufs dem Oberhaupt durch einen »Genossen«
empfohlen sein und ein andrer Genosse stellt über die »Würdig-
keit" des Bewerbers eingehende Nachforschungen an. Die be-
treffenden Unterhandlungen werden in einer Art Diebesjargon
geführt.
Hat sich die Verwaltung des Bundes für die Zulassung
eines Kandidaten entschieden, so wird eine Versammlung ein-
berufen. In dieser erfolgt zunächst eine formelle Abstimmung
und dann tritt der Neuling ein, um im Bundesjargon Red’ und
Antwort zu stehen und schliefslich in sehr geheimnisvoller Weise
eingeschworen zu werden. Mit einem Fufs in einem offenen
Grab stehend, mit dem andern angekettet, mufs er beschwören,
Vater, Mutter, Gattin, Kinder, kurz: alles, was ihm teuer, zu ver-
lassen, sich gänzlich den Zielen der Mala Vita zu widmen, Demut
und Selbstverleugnung zu üben. Nach der Einweihung hält das
Haupt eine phantastische Ansprache, darauf berechnet, dem Novizen
einen Begriff beizubringen von den furchtbaren Strafen, die er
erleiden würde, falls er die Geheimnisse und Interessen der
Gesellschaft verriete. Niemand, der einmal Gendarm, Polizist
oder Zollbeamter war, kann Mitglied werden.
Der Hauptzweck der Mala Vita scheint Räuberei zu sein.
Die auf den Raubzügen erzielte Beute und die für gefangene
Reisende bezahlten Lösegelder fliefsen gröfstenteils in die all-
gemeine Kasse behufs Verteilung unter alle Genossen, während
der Rest den Mitgliedern des dritten Grades zufällt, wobei das
Haupt den Löwenanteil erhält. Die Verletzung der Satzungen
oder die Nichtbefolgung von Befehlen wird mit Folterung oder
Tod bestraft. Das Urteil wird in einer Vollversammlung erbracht,
die auch die Henker und zwar durch das Los bestimmt. Wer
sich weigert, die über den Schuldigen verhängte Strafe zu voll-
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Die Mala Vita. - Die Mafia.
217
strecken, erleidet wegen Ungehorsams dieselbe Strafe. Jeder
Bundesgenosse mufs sich bestimmte Zeichen auf den Leib tätto-
wieren. lassen, an denen er nötigenfalls erkannt werden kann.
Zu diesen Zeichen gehören: Engel, Teufel, Schlangen, tanzende
Weiber, das Bildnis Garibaldis, der Löwe von San Marco u. s. w.
Bei dem erwähnten Prozefs (1891) erläuterten die Angeber,
in welcher Weise sie als Gefangene im Auftrag der Bundes-
leitung anderen eingesperrten „Genossen" Briefe oder Geld zu-
komnien liefsen und die gegen Kerkermeister, „sitzende“ Nicht-
mitglieder und andere Personen gerichteten Mifshandlungsbefehle
den für deren Ausführung in Aussicht genommenen Häftlingen
überbrachten. Das Beweisverfahren enthüllte ein wohlorganisiertes
System gewalttätigen und erpresserischen Vorgehens gegen ganz
unschuldige Menschen, sowie eine umfassende Racheübung gegen-
über Leuten, die des Verkehrs mit der Polizei verdächtig er-
schienen. Die meisten Angeklagten wurden vom Gericht zu
schweren Kerkerstrafen verurteilt. Dafs die Gesellschaft trotzdem
fortbestand, geht schon aus der Thatsache hervor, dafs bereits
im Mai 1892 abermals etwa 160 junge Leute im Alter von
zwanzig bis dreifsig Jahren wegen Zugehörigkeit zur Mala Vita
verhaftet wurden ; sie hatten sich durchweg Räubereien, Überfälle
und andere Gewalttätigkeiten zu schulden kommen lassen und
ihr Anführer hatte rund fünfundzwanzig Jahre auf den Galeeren
zugebracht. Auch diese Bande wurde streng bestraft, aber die
Mala Vita besteht trotzdem weiter.
Die Mafia.
Ein Ehrenkodex. — Verbreitung und Entstehung der Gesellschaft. — Mano
fratema. — Ursprung des Wortes ..Mafia". — Die Mafia in den Ver-
einigten Staaten.
Auch dieser sicilianische Geheimbund ist eine Art Camorra.
Sein Zweck und sein Verhalten ähneln denen der Camorra gar
sehr; doch haben sie eine starke Beimischung von Räuberei und
Blutdurst. Sein Ehrenkodex — die „Omerta" — zwingt jedes
Mitglied, ein ihm oder seinen Angehörigen zugefügtes Unrecht
selber zu rächen, statt es vor Gericht zu bringen. Man ist also
zur Vendetta verpflichtet. Auch darf kein Mafiuso vor Gericht
gegen einen Verbrecher zeugen; vielmehr mufs er ihn möglichst
verbergen und beschützen. Ohne Erprobung im Zweikampf
wird niemand in den Bund aufgenommen; auch niemand, der
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218
Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
sich einer ehrlosen Handlung schuldig macht. Hierunter versteht
die Mafia: Taschendiebstahl, Feigheit, polizeiliche Angeberei,
Zeugenschaft vor Gericht und dergleichen. Die Mafiusi nennen
sich »ehrenhafte Jünglinge" (giovani d’onore) und zerfallen in
Schutzbefohlene und Thätige. Nur die letzteren empfangen einen
Anteil am Erlös des Schmuggels und des Brandschatzens von
Landwirten und Grundherren. Es ist der Gesellschaft bislang
gelungen, ihre geheimen Erkennungszeichen, Losungsworte u. s. w.
vor der Aufsenwelt zu verbergen. Sie hat Mitglieder in allen
Bevölkerungsschichten vom Stutzer bis zum Kuppler, Fälscher
und Zuhälter.
Sehr oft empfängt nach der Verhaftung eines Mörders oder
Einbrechers der Gefängnisdirektor einen Wink, dafs der Schuldige
ein Mafiuso ist, und fortan wird er recht rücksichtsvoll behandelt.
Nachher weigern sich die Geschworenen gewöhnlich, ihn zu ver-
urteilen und er wird dann wegen Mangel an Beweisen frei-
gesprochen. Als 1885 das Treiben der Mafia im italienischen
Parlament zur Sprache kam, wurde nachgewiesen, dafs sie sogar
im Vorzimmer des Generalprokurators von Palermo vertreten sei,
und gegen den Befehlshaber der zu ihrer Ausrottung entsendeten
königlichen Truppen erhob man geradezu die Beschuldigung, er
stecke mit dem Geheimbund unter einer Decke, falls er nicht
gar ein Mitglied desselben sei. Das Ergebnis der stürmischen
Debatten war, dafs die Mafia ungeschoren blieb.
Der Ursprung der Gesellschaft mufs in den früheren
politischen Verhältnissen der Insel Sicilien gesucht werden. Seit
ihrer Vereinigung mit Neapel als »Königreich beider Sicilien"
um die Mitte des 1 8. Jahrhunderts war sie von Statthaltern mifs-
regiert worden. Eine Ausnahme bildete nur die Zeit der ersten
französischen Republik und des ersten Kaiserreichs. Damals lebte
^der von Napoleon vertriebene neapolitanische Hof auf der un-
glücklichen Insel unter dem Schutz englischer Truppen und
Schiffe. Die Verfassung, welche der König auf Wunsch Englands
erliefs, machte die Abschaffung aller Feudalrechte nötig. Dem-
gemäfs mufsten die zahlreichen Lehnsmänner und Anhänger, die
im Dienste des Adels, der Geistlichkeit und der Grofsgrund-
besitzer standen, entlassen werden und sie wurden einfach Räuber.
Da der bourbonische König diesen waghalsigen, tollkühnen Kerlen
nicht beikommen konnte, nahm er ihre Rädelsführer in seine
Dienste und schuf mit ihrer Hilfe, um die Sicherheit einiger-
mafsen wieder herzustellen, eine ländliche Gendarmerie. Freilich
beging diese die Räubereien und Erpressungen, die sie hätte
verhindern sollen, selber. Um nicht Schlimmeres zu erfahren,
JieTs die Bevölkerung sich die Brandschatzungen ruhig gefallen.
Aus der den Bock ais Gärtner spielenden Gendarmerie entwickelte
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Die Mafia.
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sich allmählich die Mafia, welche immer mächtiger wurde. Die
niedrigeren Klassen hielten sie bald für eine furchtbare Gewalt,
die der Regierungsgewalt überlegen sei und betrachteten es schliefs-
lich als nützlich und ehrenvoll, ihr anzugehören. Dafs sie noch
heute besteht, liegt an den Zuständen in den Schwefelgruben
und an den landwirtschaftlichen Verhältnissen Siciliens. In den
Minen leisten zahllose Kinder, Männer und Weiber in schreck-
lichstem Elend eine äufserst anstrengende Arbeit. In der Land-
wirtschaft werden die Bauern durch die »Mittelsmänner“ zu Grunde
gerichtet, die die Güter pachten und in kleinen Parzellen zu
ungeheuren Preisen an die Bauern weiterverpachten. Die letzteren
werden durch die Not dem Verbrechen in die Arme getrieben.
Die Mafia hat ihren Hauptherd in der Umgebung von
Palermo. Niemand kann jenseits der Stadtthore zwei Kilometer
weit wandern, ohne Gefahr zu laufen, beraubt oder ermordet zu
werden. Der 1883 auf Sicilien entdeckte Geheimbund »Mano
fraterna“ (= Bruderhand) war ein Ableger der Mafia; ihre Mit-
glieder nannten sich »Werkzeuge der allgemeinen Rache" und
leugneten, Räuber oder Erpresser zu sein.
Was bedeutet das Wort »mafia“ und woher stammt es?
Man schreibt dessen Erfindung Guiseppi Mazzini zu und that-
sächlich war es vor dem Erscheinen des berühmten Agitators auf
Sicilien unbekannt. Die einzigen Klassen, zu denen er Vertrauen
hatte, waren die untersten und er scheint in der That die die
ganze Insel unsicher machenden Diebe und Strolche zu einer
Geheimgesellschaft vereinigt zu haben, die angeblich »Oblonika“
geheifsen haben soll — eine Bezeichnung, welche Mazzini aus
den lateinischen Worten »obelus (= Spiels) und »nico« (= ich
winke) zusammensetzte. »Oblonika" würde also besagen: »Ich
winke mit dem Spiefs", eine Umschreibung für »Ich drohe mit
dem Dolch". Die Mafia soll ursprünglich ein geheimerer, innerer
Kreis der Oblonika gewesen sein und ihr Name sich aus den
Anfangsbuchstaben der Worte des Satzes »Mazzini autorizza furti,
incendi, avvelenamenti" (= »M. gestattet Diebstähle, Brandlegungen,
Vergiftungen") zusammengesetzt haben. Ob dem aber wirklich
so ist, weifs man nicht bestimmt. Die Mafiusi nennen ihre Ver-
brechen ihr Brot (»pavi"), weil sie von denselben leben.
Im Oktober 1890 wurde David Hennessy, der Polizeichef
von New -Orleans, ermordet, und zwar durch Mitglieder der
Mafia, die gegen das Ende der sechziger Jahre in die genannte
amerikanische Grofsstadt verpflanzt wurde. Im Mai 1890 hatte
eine Bande von dort ansässigen Italienern eine andre Bande von
Landsleuten, genannt »Stoppaghera“, aus einem Hinterhalt über-
fallen und sechs Personen getötet oder verwundet. Es handelte
sich um einen Racheakt und die Polizei beschlofs, mit der Vendetta,
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Gesellscliaftsfeindliche Vereinigungen.
welche unter den Italienern von New-Orleans bereits über vierzig
Mordthaten gezeitigt hatte , gründlich aufzuräumen. Man ver-
haftete sechs Personen und klagte sie an , aber während des
Prozesses wurden sämtliche Zeugen ermordet Dennoch erfolgte
die Verurteilung der Angeklagten, allein die Verteidigung erwirkte
die Anordnung einer neuen Untersuchung und diese schwebte
noch, als Hennessy umgebracht wurde, weil er das Treiben der
Mafia eingehend erforscht hatte und dadurch zur Kenntnis von
Thatsachen gelangt war, deren Enthüllung wahrscheinlich zur
Verurteilung der sicilianischen Gurgelabschneider geführt haben
würde. Der Polizeileiter war längst vor einem drohenden Atten-
tat gewarnt worden und hatte sich daher mit einer ständigen
Eskorte umgeben ; da indessen nichts Böses geschah, entliefs er
dieselbe eines Sonntags und am nächsten Mittwoch wurde er
um Mitternacht auf der Strafse erschossen. Elf Sicilianer wanderten
als verdächtig ins Untersuchungsgefängnis und einer von ihnen
gestand, dafs in einer geheimen Versammlung zehn Mafiosi durch
das Los zur Begehung des Attentats bestimmt worden waren.
Die durch Todesdrohungen eingeschüchterten Geschworenen
sprachen sechs Angeklagte trotz überwältigender Schuldbeweise
frei. Doch erfolgte eine neue Anklage und daher die Rück-
sendung der Missethäter ins Grafschaftsgefängnis. Da wurde das
letztere eines Tages nach Aufreizung durch einen gewissen
Parkerson von einer grofsen bewaffneten Volksmenge erstürmt,
in der sich jedoch auch hervorragende Kaufleute, Professoren,
Beamte, Redakteure etc. befanden. Dieselbe schleppte die Sicilianer
heraus und hängte oder erschofs sie. Diese That wurde tags
darauf in vielen Versammlungen öffentlicher Körperschaften zwar
bedauert, aber gleichzeitig als notwendig gebilligt. Der Vorfall
führte zu einer vorübergehenden diplomatischen Spannung zwischen
Italien und den Vereinigten Staaten.
Seither hat es die Mafia von New-Orleans nicht wieder
gewagt, die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen ; doch übt sie
ihre schlimme Thätigkeit zweifellos im geheimen weiter aus.
Vor den Ereignissen von 1890 wufste sie die Bürgerschaft derart
zu tyrannisieren, dafs diese sie viel mehr fürchtete als sie selbst
die Gesetze fürchtete. Die meisten dortigen Mafiusi lebten aus-
schliefslich von Verbrechen und die übrigen hielten sich Geschäfts-
konkurrenten durch Todesdrohungen vom Halse. Jedesmal, wenn
ein Mafiuso vor Gericht stand, erhielten einzelne Geschworene
schriftliche und versiegelte Warnungen, durch welche sie sich
nicht selten zur Freisprechung verleiten liefsen.
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Bettler, Strolche und Diebe. 22t
Bettler, Strolche und Diebe.
Innerhalb dieser Gattungen von Miifsiggängern und Übel-
thätern bildeten sich zuweilen Vereinigungen, die durch geheime
Zeichen und Redensarten zusammengehalten wurden, welche einem
gemeinsamen Zweck dienten, wie das gegenwärtig die Jesuiten
und Räuber zu thun pflegen und wie es früher die Garduna
(vgl. weiter oben ..Die Garduna“) oder die Banden des Schinder-
hannes thaten. Im Mittelalter wurde Frankreich von den „truands"
durchstreift, einer Bande fahrender Bettler, die einen eigenen König,
ein eigenes Gesetzbuch und eine eigene Sprache hatten, welche
man in späteren Zeiten ..argot" nannte. Wahrscheinlich stammt
diese Bezeichnung von dem griechischen Wort Ap/o; = Müfsig-
gänger, träger Kerl; die truands hiefsen dann später auch „argo-
tiers". Der berüchtigte Cartouche vereinigte seine Räuberbande
zu einem Bund mit eigener Sprache und eigenen Gesetzen. Der
Dialekt der englischen Bettler und Diebe wird als „Cant" oder
„Hausierer-Französisch“ bezeichnet. Die Kesselflicker haben ein
besonderes Rotwelsch von keltischem Gepräge, „schelta" genannt
und bei den meisten berufsmäfsigen Landstreichern im Gebrauch.
In den betreffenden Kreisen Italiens wird „gergo“, in Spanien
„Germania", in Böhmen „hantyrka", in Portugal „calao“ ge-
sprochen. Die Dialekte der cirkassischen Diebe und Räuber
heifsen „schakopse" und „forschipse". In Asien ist ein als
„balaibalati“ bekanntes Rotwelsch — hauptsächlich aus verderbten
arabischen, persischen und türkischen Worten zusammengesetzt
sehr verbreitet. Sogar die hottentottischen Vagabunden haben
einen besonderen Jargon: das „Cuze-cat“. Der wohlbekannte
levantinische Jargon „lingua franca" ist ein Gemisch aus italieni-
schen, neugriechischen, deutschen, spanischen, türkischen und
französischen Brocken, während die europäischen Diebs- und
Bettlersprachen aus verdrehten und andere Bedeutungen haben-
den Worten der betreffenden Landessprachen in seltsamer Mischung
mit hebräischen und zigeunerischen Ausdrücken gebildet sind.
Die Redewendungen der unterschiedlichen Rotwelsche bestehen
meistens aus Metaphern und phantastischen Anspielungen, die
oft einen sehr witzigen und manchmal sogar einen recht poetischen
Anstrich haben.
Gewisse Formen des Aberglaubens haben die Vagabunden
selbst der von einander entferntesten Länder gemein. Vieles von
diesem Aberglauben ist ebenso seltsam wie empörend. Diebe
und Bettler erkennen einander an gewissen Zeichen, so z. B.
halten sie, wenn sie einen Berufsgenossen vor sich zu haben
glauben, die Finger derart, dafs sie den Buchstaben C des Taub-
stummenalphabcts bilden, oder sie schliefsen ein Auge und schielen
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
mit dem zweiten. Fechtbrüder belehren ihre »Kollegen“ über
die geschäftlichen Aussichten des Betteins in bestimmten Dörfern
oder Häusern dadurch, dafs sie geheime Zeichen mit Kreide an
Mauern oder Thore schreiben oder in Baumrinden schneiden oder
mit dem Stock in den Schnee graben. Die Bettler verehren den
heiligen Martin (geh. um 316) als ihren Schutzherrn, und zwar
weil er, ehe er Priester wurde, als Soldat in Amiens bekanntlich
seinen Mantel entzweischnitt, um die Hälfte einem frierenden
Bettler zu schenken. Jene Bettler jedoch, die Krüppel sind oder
sich für solche ausgeben, haben einen andern Schutzpatron: den
heiligen Ägidius. Dafs die Diebe nicht gern in Gruppen
»arbeiten®, sondern allein oder höchstens zu zweien, ist bekannt.
Manche ihrer bildlichen Redensarten sind urkomisch, namentlich
was das Londoner Diebsrotwelsch betrifft. »Die Katze und die
Kätzchen stehlen® heifst so viel wie Quart- und Pint-Trinkgefäfse
stehlen; »den Wagen umschwirren® bedeutet den Taschendiebstahl
im Omnibus; den Taschendieb nennt man »Taucher®, die Tret-
mühle »Maikäfer®; unter »flummux« (= stecken bleiben oder in
Verlegenheit bringen) versteht man »eines Monats Gefängnisstrafe
sicher sein®.
Von den heutigen vereinigungsartig verbundenen Räuber-
banden sind die italienischen wohl die bekanntesten, weil sie auch
im Ausland nicht selten von sich reden machen. Die Schinder-
hannesbande, welche an der Scheide des 18. und des 19. Jahr-
hunderts an beiden Ufern des Oberrheins ihr Unwesen trieb,
hörte nach der Hinrichtung ihres Hauptmanns und von achtzehn
Mitgliedern (1803) zu bestehen auf. Um dieselbe Zeit versetzte
eine sehr zahlreiche Räuberbande die Gegend von Aachen in
Schrecken ; es waren dies die berüchtigten »Ziegenreiter von
Mersen® — so genannt, weil der Volksaberglaube meinte, dafs sie
während ihrer Streifzüge auf Ziegen ritten, die man für verkleidete
Teufel hielt. Ihr geheimes Haupt war ein gewisser Kirchhof, Arzt
und Ökonom des Herzogenroder Klosters, der um 1 804 verhaftet,
im Kloster gerichtlich behandelt wurde und unter der Folter
starb, während 32 seiner Banditen teils in Frankreich und Holland,
teils in Deutschland selbst, hingerichtet wurden. Kirchhof ver-
pflichtete seine Leute durch förmliche Verträge zur strengsten
Verschwiegenheit, widrigenfalls ihnen ein grausamer Martertod
drohte. Und das war keine leere Drohung, wie eines von vielen
Beispielen darthun möge. Ein gewisser Hannickel zerschmetterte
einem des Verrates beschuldigten Genossen alle Knochen, schnitt
ihm Nase und Oberlippe ab und übergofs ihn aufserdem mit
Mistjauche, um seine Qualen zu vergröfsern.
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Die Jesuiten.
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Die Jesuiten.
Wieso sind die Jesuiten gesellschaftsfeindlich und ein Geheinibund? —
Geheime »Kongregationen“. - Einweihungs-Erprobungen. - Der Eid. -
Das Segnen des Mörderdolches. — Billigung des Tyrannenrnordes. - Ge-
heime Vorschriften. — Die ..secreta monita* authentisch. — Jesuiten-
moral. — Ein verloster Beichtvater.
Zu den Geheimbünden gehört der Jesuitenorden schon
deshalb, weil er in Ländern, die ihm verboten sind, unter falschen
Namen verbleibt oder sich in dieselben einschleicht, oder weil
er sich mit wirklichen , eigentlichen Geheimgesellschaften ver-
bündet oder auch weil er in fast allen Ländern der Erde zahl-
reiche Helfer oder Vertreter hatte und vielfach noch hat, die,
ohne offenkundig zu ihm zu gehören, seine Grundsätze verbreiten
und seine Interessen wahrnehmen; es sind dies die sogenannten
„jesuites de robe courte." Und was seine Gesellschaftsfeindlich-
keit betrifft, so besteht sie in seiner Gegnerschaft gegen die
bürgerliche und Religionsfreiheit, in seiner Sucht nach Selbster-
höhung und in seinem Bestreben, jeden Fortschritt in Litteratur
und Wissenschaft zu bekämpfen. Die Jesuiten begnügten sich
nicht mit dem beispiellosen Einflufs, den sie durch ihre Thätig-
keit als Beichtväter, Prediger und Schullehrer erlangt hatten;
vielmehr gründeten sie in Italien und Frankreich um 1 563 auch
noch einige geheime „Kongregationen", die sich in unterirdischen
Kapelfen oder an anderen verborgenen Plätzen versammelten und
eigene Katechismen etc. hatten, die jedes Mitglied vor seinem Tode
zurückgeben mufste. Näheres findet sich in der in der Pariser
Nationalbibliothek aufbewahrten französischen Handschrift „Ge-
schichte der jesuitischen Kongregationen und Brüderschaften von
1563 bis zur Gegenwart“ (1709).
Allmählich war es den Jesuiten gelungen, in den meisten
katholischen Staaten den Jugend-Unterricht in die Hände zu
bekommen. Dadurch kamen sie in die Lage, die Ausbildung
der jungen Geister ihren geheimen Zwecken anzupassen. Die-
jenigen Zöglinge nun, welche sich nach vielen Jahren als blinde
Fanatiker und ebenso „fromme" wie mutige Männer bewährten,
wurden „eingeweiht“. Die Probezeit dauerte nur vierundzwanzig
Stunden, war aber schrecklich. • Ihr ging langes und strenges
Fasten voraus, das den Körper schwächte, die Einbildungskraft
jedoch entflammte, und unmittelbar vor der Erprobung wurde
dem Kandidaten ein sehr starkes Getränk verabreicht. Die Prüfungs-
erscheinungen ähnelten denen der antiken Mysterien ; sie bestanden
nämlich in Höllenspuk, Totenbeschwörungen, Teufelserscheinungen,
künstlichem Donner und Blitz, wandelnden Skeletten und der-
gleichen mehr. Der Neophyt wurde scharf beobachtet. Zeigte
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Oesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
er Furcht oder gar Schrecken, so blieb er auf immer beim ersten
Grad stecken. Dieser umfafste die „coadjutores temporales", die
blofs niedrige, untergeordnete Arbeiten zu verrichten hatten. Im
ganzen gab es vier Grade; der zweite war der der „Scholastiker“
und aus seiner Mitte wurden die Jugendbildner genommen; die
Inhaber des dritten hiefsen „coadjutores spirituales". Nur die
Mitglieder des vierten Grades, die „Professi“, erlangten Kenntnis
von allen Geheimnissen des Ordens.
Bestand der Kandidat die Erprobungen des ersten Grades
gut, d. h. ohne Zeichen von Angst, so wurde er zu geeigneter
Zeit in den zweiten eingeweiht. Hier waren die Prüflingen von
der gleichen Art, aber ihr Mafsstab war ein gröfserer. Nach
langem Fasten wurde er mit verbundenen Augen in eine geräumige
Höhle geführt, in der er wildes Geheul und Gebrüll hörte.
Er durchschritt sie unter Gebeten, die für diesen Anlafs ge-
schrieben waren, und mufste an ihrem Ende durch eine enge
Öffnung kriechen. Während er dies that, nahm ihm eine un-
sichtbare Hand die Binde von den Augen und er sah sich dann
in einem viereckigen unterirdischen Gelafs, dessen Boden mit
einem Leichentuch bedeckt war, auf dem drei Lämpchen standen,
welche die umherliegenden und stehenden Todtenschädel und
Skelette trüb beleuchteten. Es war dies eine „Beschwörungshöhle“
oder „Schwarze Kammer", deren Vorhandensein durch Unter-
suchungen weltlicher Gerichte wiederholt erwiesen worden ist
Dort verbrachte er längere Zeit im Gebet, wobei er, ohne es zu
wissen, aufmerksam beobachtet wurde. War man mit ihm zu-
frieden, so standen plötzlich er wufste nicht, wieso, wahr-
scheinlich mit Hilfe einer verborgenen und gut geölten Fallthür —
zwei Jesuiten vor ihm, die Erzengel darstellten und ihm, ohne
ein Wort zu sprechen, ein blutgetränktes, mit Hieroglyphen be-
decktes weifses Band um die Stirn banden; auch hängten sie
ihm ein kleines Kruzifix und ein angeblich Reliquien enthaltendes
Täschchen um den Hals. Schliefslich entkleideten sie ihn, warfen
seine Kleider auf einen in einer Ecke vorbereiteten kleinen Scheiter-
haufen und malten ihm mit Blut zahlreiche Kreuze auf den Leib.
Jetzt trat der Hierophant mit seinen Gehilfen ein. Die
letzteren, in blutbefleckte Gewänder gekleidet, banden ihm ein
rotes Tuch um die Hüften, stellten sich neben ihn und hielten
ihre Dolche bogenförmig über seinen Kopf. Alle knieten auf
einen eigens ausgebreiteten Teppich nieder, um eine Stunde lang
zu beten, wonach der Scheiterhaufen in Brand gesetzt wurde.
Nun öffnete sich eine Wand und unter bald heiteren, bald
düsteren Musikklängen zog an dem Kandidaten eine lange Reihe
von Gespenstern , Geistern , Engeln und Dämonen vorbei.
Während dieses schauerlichen Umzuges legte er folgenden Eid ab:
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Die Jesuiten.
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»Im Namen des gekreuzigten Christus schwöre ich, die
Bande zu lösen, die mich annoch mit Vater, Mutter, Brüdern
und Schwestern, Verwandten und Freunden verknüpfen oder mit
dem König, den Behörden und jeder Obrigkeit, der ich jemals
Treue, Gehorsam, Dankbarkeit oder Dienstbereitschaft geschworen
haben mag. Ich sage mich vom Ort meiner Geburt los, um
künftig in einem andern Kreise zu leben. Ich schwöre, meinem
neuen Vorgesetzten . . . alles zu offenbaren, was ich gethan,
gedacht, gelesen, erfahren, beobachtet oder entdeckt haben werde.
. . . Ich schwöre, meinem Vorgesetzten so ganz anzugehören,
als wäre ich eine leb- und willenlose Leiche. Endlich schwöre
ich, den Versuchungen aus dem Wege zu gehen und alles, was
zu meiner Kenntnis gelangt, mitzuteilen, wohl wissend, dafs der
Dolch mich überall, wo ich auch sein möge, ebenso schnell
treffen kann wie der Blitz.“
Nach Ablegung dieses Eides nahm der Novize in einem
benachbarten Gemach ein Bad, worauf er mit einem neuen weifsen
Leinenanzug bekleidet wurde, um schliefslich mit einer üppigen
Mahlzeit bewirtet zu werden, bei der er sich zur Entschädigung
für den ausgestandenen Schrecken und das lange Fasten nach
Herzenslust gütlich thun konnte.
Bezeichnend war die Feierlichkeit des Dolchsegnens, welche
vorgenommen wurde, wenn der Jesuitenorden es für angezeigt
hielt, einen König oder irgend eine andre hervorragende Per-
sönlichkeit umbringen zu lassen. Neben der Finstern (Schwarzen)
Kammer lag in der Regel eine sogenannte, »Meditations-Zelle“,
in deren Mitte ein kleiner Altar mit einem verschleierten Gemälde
stand, umgeben von scharlachrot brennenden Fackeln und Lampen.
Hier nahm der zur Vollbringung des Meuchelmordes ausersehene
Ordensbruder die nötigen Weisungen entgegen. Auf einem Tisch
befand sich ein mit seltsamen Hieroglyphen und auf dem Deckel
mit einer Darstellung des Lammes bemaltes Kästchen, das den
für die ßlutthat bestimmten Dolch enthielt. Dieser wurde von
einem der Funktionäre der Gesellschaft Jesu aus dem Kästchen
genommen, von seiner Leinenhülle befreit und dem Hierophanten
übergeben, der ihn küfste, mit Weihwasser besprengte und einem
Diakon reichte. Der letztere befestigte ihn an einem Rosenkranz,
den er dem Betreffenden um den Hals hängte, wobei er ihm
sagte, er sei »von Gott auserwählt“, diese oder jene Persönlich-
keit zu töten. Nun beteten die Anwesenden folgendermafsen
für das Gelingen des geplanten Attentats:
»Und du, unbesiegbarer und furchtbarer Gott, der du
beschlossen hast, unsern Erwählten, deinen Diener, mit der Ver-
nichtung des Tyrannen und Ketzers zu betrauen, gieb
ihm die nötige Kraft und verleihe ihm die vollkommene Weihe,
Heckethor n* Kätscher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 15
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
indem du seine That mit Erfolg krönst. O Gott, vermehre seine
Stärke hundertfach, damit ihm das edle Unternehmen gelinge.
Schütze ihn mit der mächtigen und göttlichen Rüstung deines
Sohnes und deiner Heiligen. Flöfse ihm den Wagemut ein, der
jede Furcht mifsachtet, und stähle seinen Leib in Gefahr wie
auch angesichts des Todes!"
Nach diesem äufserst charakteristischen Gebet, das keines
Kommentars bedarf, wurde das Altarbild entschleiert und der
„ Auserwählte" erblickte das Bildnis des Dominikaners Clement,
wie ihn eine Engelschar auf ihren Flügeln zu himmlischem
Glanz emporträgt. Der Diakon setzte dem Zukunftsmörder
eine Krone — Symbol der Himmelskrone - aufs Haupt mit den
Worten: »Habe, o Herr der Heerscharen, die Gnade, mit wohl-
wollenden Augen herabzublicken auf den Diener, den du als
deinen Arm erkoren hast, die hohen Befehle deiner ewigen Ge-
rechtigkeit auszuführen. Amen!" Dieser schamlosen Blasphemie
folgten neuerliche Wandelbilder von Geistern, Gespenstern, Ske-
letten, Dämonen u. s. w., dann war die freche Komödie zu Ende.
Handelte es sich um „Tyrannen“, die gegen die Jesuiten
waren, so bekannten sich diese offen als Anhänger des Tyrannen-
mordes. Das that sogar der berühmte Erzbischof Bellarmin, Jesuit
und Inquisitor, obgleich er nicht einmal Ungeziefer zu vertilgen
erlaubte, weil dessen Erdenleben sein einziges Dasein bilde! Gegen
das Töten von Ketzern hatte er freilich nichts einzuwenden; er
schrieb vielmehr ein Buch, in welchem er ihre Ausrottung empfahl.
Was das berühmte oder vielmehr berüchtigte Buch der
„secreta inonita" betrifft, so enthält die Vorrede die Mahnung,
es nicht Fremden in die Hände fallen zu lassen, da sonst leicht
eine ungünstige Meinung von dem Orden entstehen könnte. Die
Titel der einzelnen Kapitel sprechen für sich: 1. Verfahren bei
Errichtung einer neuen Anstalt. 2. Wie die Ordensbrüder sich
die Freundschaft von Fürsten und anderen hochstehenden Per-
sonen erwerben und bewahren können. — 3. Verhalten der Ge-
sellschaft Jesu gegenüber Persönlichkeiten von hohem Einflufs im
Staat. 4. Winke für Prediger und Beichtväter von Königen
und anderen Grofsen. - 5. Verhalten gegen die Geistlichkeit
und gegen Klosterorden. — 6. Wie reiche Witwen zu gewinnen
sind. — 7. Wie man Witwen fesselt und über ihr Vermögen
verfügt. 8. Wie man die Kinder von Witwen bewegt, sich
einem Leben religiöser Einsamkeit zu weihen. — 9. Die Ver-
mehrung des Anstaltsbesitzes. — 10. Von der strengen Mannes-
zucht des Ordens. — II. Verhalten der Brüder gegen die aus
der Gesellschaft Entlassenen. 12. Von denen, die man im
Orden behalten und hochstellen soll. — 13. Die Wahl junger
Leute, die in den Orden aufgenommen werden sollen, und wie
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Die Jesuiten.
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man sie an ihn fesselt. — 14. Von den Entlassungsgründen. -
15. Verhalten gegenüber Nonnen und frommen Frauen. — 16.
Wie man vorschützt, irdische Güter zu mifsachten. — 17. All-
gemeine Mittel zur Förderung der Ordensinteressen.
Die Jesuiten haben versucht, die Authenticität der »geheimen
Vorschriften“ zu leugnen; es ist aber nie gelungen, die Geschichte
der Entdeckung dieses Buches zu entkräften. Als Papst Clemens XIV.
die Gesellschaft Jesu im Jahre 1773 aufhob, besafs diese in den
Niederlanden u. a. auch eine Niederlassung zu Roermond. Die
holländische Regierung hatte einen Liquidierungsausschufs ein-
gesetzt, welcher den Staatsrat Zuytgens mit der Aufnahme des
Inventars betraute. Dieser Mann erregte bald den Verdacht, zu
Gunsten des Ordens gewisse Urkunden etc. beiseite geschafft zu
haben; darum erhielt er den strengen Befehl, sämtliche Papiere
einzusenden. Nun denn, unter ihnen befand sich eine Nieder-
schrift der »secreta monita“. Diese Thatsache wird erhärtet durch
das im Brüsseler Archiv aufbewahrte »Protokoll der Verhand-
lungen des infolge der Aufhebung der Gesellschaft Jesu entsandten
Ausschusses." Das erwähnte Manuskript stimmt sowohl mit der
von Pater Berthier dem letzten Pariser Jesuitenbibliothekar
vor der Revolution hinterlassenen lateinischen Handschrift,
als auch mit der im Jahre 1661 zu Paderborn gedruckten Aus-
gabe der »Monita“ überein.
Aber selbst wenn die »geheimen Vorschriften“ nicht von
einem Jesuiten verfafst sein sollten, bilden sie doch eine vortreff-
liche Verkörperung der Grundsätze, nach denen die Jesuiten sich
jederzeit thatsächlich gerichtet haben. Stets hat bei ihnen der
Zweck die Mittel geheiligt und zu ihren Mitteln gehörte jede
Art der Täuschung und des Verbrechens »ad ittajorem Dei gloriani".
Als infolge des Fallissements des Jesuiten Lavalette (1760) der
Orden seine »Konstitutionen“ ausliefern mufste, entdeckte man
in ihnen Lehren wie z. B. die folgenden : Nach dem Jesuiten pater
Taberna ist es »wahrscheinlich, dafs ein Richter, der behufs
Fällung eines ungerechten Urteils bestochen wird, das Geld be-
halten darf, denn 58 Jesuitendoktoren sind dieser Ansicht." Wann
ein Mönch sein Ordenskleid daheimlassen darf, ohne dem Kirchen-
bann zu verfallen? »Wenn er in demselben Anstofs erregen würde,
z. B. wenn er unerkannt ein Haus der Schande besuchen will."
Emanuel Sa lehrt: »Versprechen sind nicht bindend, wenn man
sie ohne die Absicht macht, sie zu halten.“ (Reservatio mentalis!)
»Christenkinder dürfen ihre Eltern,“ sagt Fagundez, »der Ketzerei
selbst dann anklagen, wenn sie wissen, die Eltern würden ver-
brannt werden.“ Doch genug von der planmäfsigen Niedertracht!
Wir wollen mit einem pikanten modernen Beispiel von
Jesuitenmoral sehliefsen. Als 1852 das Geld zum Bau der Jesuiten-
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
kirche in der Pariser Rue Sevres nicht mehr ausreichte und alle
Mittel zur Erlangung des noch nötigen Betrages erschöpft waren,
erbot sich der jüngste Ordensbruder — zugleich der beliebteste
Beichtvater und Prediger des adeligen Viertels — als Treffer
einer zu veranstaltenden Lotterie. Er schrieb hundert Lose für
weibliche Beichtkinder und liefs in vertraulicher Weise verlauten,
dafs die Gewinnerin des Treffers drei Tage lang nach Belieben
über ihn - Pater Lefevre — verfügen könne! Die Damen rissen
sich förmlich um die Lose ! Die Skeptiker lachten und die Ketzer
spöttelten, aber - die Kirche konnte vollendet werden. Ja, ja,
der Zweck heiligt die Mittel ....
Die Skopzen.
Verrückte russische Geheimsekten : die Selbstverbrenner, die Selbstopferer,
die Flagellanten. — Dr. Pelikan und die Skopzen. — Anfängliche Ge-
schichte der Skopzen. — Die Seliwanow- Legende und ihr historischer
Untergrund. — Ausbreitung der Sekte. — Ihre weitere Geschichte. — Eine
Entdeckung in Morschansk. — Glaubenslehre und Gottesdienst. — Die
Feuertaufe. — Nutzlosigkeit der Verfolgung.
In Rufsland hat nicht nur die politische, sondern auch die
religiöse Geheimbündelei von jeher eine grofse Rolle gespielt.
Zu den wahnwitzigsten unter den jetzigen Sekten gehören die in
Sibirien sehr zahlreichen „soschigateli“, die den freiwilligen Feuer-
tod für das Mittel halten, sich von der Unreinheit und Sünd-
haftigkeit dieser Welt zu befreien. Sie pflegen sich — Männer
und Weiber — in Gruppen von 15 bis 100 in grofsen, mit
Reisig gefüllten Gruben oder Scheunen zu verbrennen, ln der
Gegend von Tjumen sollen i. J. 1867 nicht weniger als 1700
Personen diesen Tod gewählt haben. Die „morelstschiki" (-= Selbst-
opferer) ziehen dem Feuer das Eisen vor und halten es für heilige
Pflicht, einander zu töten. 1 868 brachten auf einem Landgut an
der Wolga 47 Männer und Weiber einander mit Dolchen um.
Nicht minder verrückt sind die „Flagellanten“, die zuweilen auch
den Nichtbrüdern gefährlich werden, wie z. B. im Sommer 1869
einmal im Gouvernement Saratow. Die Flagellanten des dortigen
Städtchens Balaschow, mehrere hunderte an Zahl, griffen bei der
Rückkehr von einer ihrer fanatischen Übungen plötzlich die
Zuschauer an, sie mit ihren Geifseln und Knotenstricken derart
bearbeitend, dafs mehrere das Leben einbüfsten ; andere wurden
auf offener Strafse verbrannt, ohne entfliehen zu können. Aber
keine russische Sekte hat in neuerer Zeit so viel von sich reden
gemacht wie die der Skopzen (oder Kastraten). Und während
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Die Skopzen.
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die vorstehend erwähnten Sekten fast gänzlich aus ebenso un-
wissenden wie wilden Fanatikern bestehen, gehören zu den Skopzen,
wie wir alsbald sehen werden, auch Männer aus den »besseren“
Klassen, reiche und nicht ungebildete- Leute.
Dafs das Leben seltsamere Blüten treibt als die Einbildungs-
kraft, geht aus den Thatsachen hervor, welche sich durch die
wiederholten gerichtlichen Verfolgungen der Skopzen in verschie-
denen Teilen Rufslands ergeben haben. Unsere nachstehenden
Mitteilungen fufsen gröfstenteils auf den betreffenden amtlichen
Berichten, deren Kern der russische Geheimrat Dr. E. Pelikan,
Vorsitzender des Medizinalrates, veröffentlichte, der viele Skopzen
persönlich gekannt und untersucht hatte. Sein Buch bildet text-
lich und illustrativ eine erstaunliche Sammlung von Schrecknissen,
welche man kaum für möglich halten würde, wenn sie nicht gericht-
lich erhärtet wären. Wir dürfen nicht daran denken, uns hier
auf die Mitteilung von näheren Einzelheiten einzulassen.
Aus dem Schofs der Flagellantensekte, die in Rufsland seit
1733 besteht, gingen um 1757 die Anfänge des Skopzentums
hervor. Von diesem erlangte die Regierung im Jahre 1771 die
erste Kenntnis. Die erste Entdeckung geschah im jetzigen Gou-
vernement Orlow, wo der Bauer Andrei Iwanow überführt wurde,
dreizehn andere Bauern zur Selbstverstümmelung überredet zu
haben und zwar unter Mitwirkung des Bauern Kondratji Seliwanow
aus Stolbowo (Gouvernement Orel). Auf Grund einer in
St Petersburg vorgenommenen gerichtlichen Untersuchung erhielt
Iwanow die Knute und wurde dann nach Sibirien verbannt, wo
er vermutlich starb. Seliwanow entfloh und verbreitete mit Hilfe
eines gewissen Alexander Schilow seine Lehre in der Gegend von
Tambow. 1 775 ergriffen, wurde er zur Knute und zur Ver-
bannung nach Sibirien verurteilt Mehrere seiner Anhänger liefs
man verhaften, peitschen und ins Zuchthaus stecken. Das nützte
nichts, das Skopzentum nahm vielmehr zu. Seliwanow entkam
aus Sibirien, wurde jedoch 1 797 erwischt und nach Petersburg
gebracht, wo der Kaiser mit ihm eine Unterredung hatte, nach
welcher er ihn als verrückt in ein Irrenhaus sperren liefs. Allein
Pauls mystisch angelegter Nachfolger Alexander 1. liefs sich von
der Baronin Krüdner, die Seliwanow für einen Heiligen hielt,
bereden, den sonderbaren Schwärmer freizulassen, der nunmehr
einige Jahre des Glanzes und Ansehens in den Häusern seiner
Bewunderer verlebte und insbesondere vom Staatsrat Alexei
Michailow Jelanski beschützt wurde, einem einstigen polnischen
Hofkämmerer, der insgeheim selber ein Skopze war.
Das Haus, welches Seliwanow mit Vorliebe bewohnte, wurde
von seinen Anhängern »Haus Gottes“, »himmlisches Zion“ und
»Neu-Jerusalem" genannt, weil sie glaubten, er sei der wieder-
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Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
gekehrte Christus. Gleichzeitig hielten sie ihn für den Zar
Peter III., der von der unbefleckten Jungfrau geboren sei, die
als Kaiserin Elisabeth Petrowna den Thron bestiegen habe. Nach
der Skopzenlegende regierte Elisabeth nur zwei Jahre und übertrug
dann die Herrschaft einer ihr sehr ähnelnden Hofdame, um sich
in die Einsamkeit zurückzuziehen, und zwar zuerst ins Haus des
Skopzensehers Filinion im Gouvernement Orel und später nach
Bjelogrod (Provinz Kursk), wo sie unsichtbar — hinter einer
Gartenwand — bis 1865 die Anbetung ihrer Getreuen entgegen-
nahm. Von dem ..Erlöser“, wie Seliwanow auch genannt wird,
glaubt man, er sei in Holstein geboren worden, habe sich bei
Erreichung der Mannbarkeit kastriert, dieselbe Operation an vielen
anderen vollzogen und zahlreiche Wunder gewirkt. Auf den
Thron gesetzt, habe er heiraten müssen, allein seine Gemahlin,
Katharina II., verachtete ihn wegen seiner »Feuertaufe" und wollte
ihn umbringen lassen. Rechtzeitig gewarnt, entfloh er in der
Uniform einer Schildwache, die denn auch statt seiner ermordet
wurde. Obgleich die Kaiserin den Irrtum kannte, liefs sie die
Schildwache mit kaiserlichen Ehren begraben. Der verschwundene
Zar erschien nach einiger Zeit als der Bauer Seliwanow wieder,
als welcher er seine Bekehrungsthätigkeit fortsetzte, wobei ihm
der »Vorläufer des Erlösers“ - der vorhin erwähnte Schilow
an die Hand ging. Schliefslich sei er auf Befehl der Regierung
gepeitscht und nach Sibirien verschickt worden ; doch habe Paul 1.
bei seiner Thronbesteigung ihn, da er in ihm seinen Vater sah,
nach Rufsland zurückbringen lassen, um ihm die Krone wieder-
zugeben. Als Seliwanow jedoch sagte, er könne Paul nur dann
als seinen Sohn anerkennen, wenn dieser sich der Selbstkastrierung
unterziehe, geriet der Zar in Zorn und liefs den »Erlöser“ in
die Festung Schlüsselburg sperren. Unter Alexander 1. sei Seli-
wanow freigelassen worden und das Zarenpaar habe sich zu seinem
Glauben bekehrt. Der Skopze Sladownikow räumte ihm eine präch-
tige Wohnung ein und es gelang ihm, viele zu überzeugen, dafs er
Christus sei, »der wahreGott“. Später sei er, weil die Regierung dem
übermäfsigen Üherhandnehmen des Kastratentums steuern wollte, im
Kloster von Suzdal interniert worden. Die Skopzen glauben, dafs
er noch lebe und zu geeigneter Zeit wieder den russischen Thron
besteigen werde, nach welchem Ereignis die »Feuertaufe" allgemein
werden würde. Da aber nach christlicher Anschauung dem Wieder-
erscheinen Christi das Auftauchen des Antichrist vorhergehen mufs,
behaupten die Skopzen, dieser sei bereits erschienen und zwar
in der Person Napoleons, den sie für einen Bastard Katharinens II.
und des Teufels halten und der ihrer Meinung nach jetzt in der
Türkei lebt, sich aber dereinst ebenfalls zum Skopzentum bekehren
und dann nach Rufsland zurückkommen werde!!!
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Die Skopzen.
231
Wie erklärt es sieh, dafs die Skopzen Peter III. für den
Erlöser halten? Peter 111. — ein Enkel Peters des Orofsen und
Sohn von dessen Tochter Anna Petrowna, die mit Herzog Karl
Friedrich von Holstein vermählt war bestieg den Thron im
Jahre 1762. Unter seinen Vorgängern waren die ..Leute Gottes",
namentlich die Flagellanten, grausam verfolgt und hingerichtet
worden; man ■ liefs ihnen die Zunge ausreifsen und verbrannte sie
lebendig. Peter III. jedoch begnadigte sie unmittelbar nach seiner
Thronbesteigung und gewährte ihnen vollständige Religionsfreiheit
Dies der Grund, aus welchem sie ihn als ihren Erlöser be-
trachteten, und da er in ihren Augen Christus ist, halten sie ihn
für unsterblich. Die geschichtlich wahre Ursache seiner Er-
mordung — bereits ein halbes Jahr nach dem Regierungsantritt -
war die Unzufriedenheit der Kaiserin mit den von ihm ein-
geführten freisinnigen Neuerungen. Die vorhin erwähnte Akulina
Iwanowna, die sich für die Zarin Elisabeth ausgab, war das Kind
armer Eltern in Lebedschan (Provinz Tambow) und hiefs in
Wirklichkeit Katassanowa. Seliwanow selbst starb 1832 hoch-
betagt im Kloster von Spasso-Eufemius, wohin er zwölf Jahre vorher
aus Suzdal gebracht worden war. Damals (1820) wurden viele
überfanatische Skopzen im Kloster von Solowetz interniert, da-
runter Sossonovitsch, der sich später vom Skopzentum lossagte
und dem Archimandriten dieses Klosters die strengsten Geheim-
nisse der Sekte enthüllte.
Aus den Verbreitungskarten Pelikans geht hervor, dafs die
letztere von 1805 bis 1839 in den meisten Teilen Rufslands
verbreitet war, ganz besonders in Petersburg, in Kursk und am
Schwarzen Meer. Um 1822 nahm sie in Cherson und der Krim
beträchtlich zu; in der Hauptstadt gehörten ihr damals namentlich
viele Gold- und Silberschmiede an. Zwischen 1840 und 1856
sank die Zahl ihrer Mitglieder in Petersburg und am Weifsen
Meer erheblich. Nikolaus I. verfuhr gegen die Skopzen mit
gröfster Strenge; er verbannte sie massenhaft nach Sibirien, an-
dere flohen in die Donaufürstentümer und liefsen sich haupt-
sächlich in Galatz und Bukarest nieder, vor allem aber in Jassy,
wo angeblich sämtliche Droschkenkutscher Skopzen sein sollen.
Von 1860 bis 1870 nahm das Kastratentum in Rufsland in
hohem Mafse zu und drang in Gegenden, die es vorher kaum
gekannt hatten. Die »Getreuen« sind ungemein eifrige Pro-
selytenmacher, doch nehmen sic ausschliefslich Russen auf; oder
können Angehörige andrer Völker nicht bewogen werden, sich
auf den Wahnwitz der Skopzen einzulassen ?
1 865 beschwerte sich die russische Uferbevölkerung des Asow-
schen Meeres lebhaft über die grofse Verbreitung des Skopzen-
tums. Das hatte eine Untersuchung zur Folge, welche die
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232
Gesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
Verbannung vieler »Getreuen“ — darunter die als Prophetin ver-
ehrte Bäuerin Babanin — nach Sibirien herbeiführte. Bald zeigte
sich, dafs die Asowschen Brüder nur einen Zweig der Sekte
bildeten und dafs diese ihren Hauptsitz in der Stadt Morschansk
(Provinz Tatnbow) hatte, ln der letzten Nacht des Jahres 1869
wurde der dortige Polizeileiter, der sich in einer Gesellschaft
befand, um Mitternacht hinausgerufen und ein Diener übergab
ihm einen Brief des Kaufmanns Ploticyn, der ihm zehntausend
Rubel in Banknoten mit der Bitte sandte, drei eingesperrte Frauen
auf einige Stunden zu entlassen; am Morgen würden sie ins
Gefängnis zurückkehren. Der redliche Mann übergab Brief und
Geld dem Strafgerichtshof. Dieser liefs Ploticyn verhaften und
bei ihm eine Haussuchung vornehmen. Da stellte sich nun
heraus, dafs sein Wohngebäude eigentlich aus einer Gruppe von
Häusern bestand, die vier Keller hatten, in denen sich, aufser
Bargeld im ungefähren Betrag von zwei Millionen Rubeln, ein
umfangreicher Briefwechsel vorfand, welcher viele reiche Kauf-
leute in verschiedenen Gegenden des Landes blofsstellte. Ploticyn
und 31 andre Skopzen wurden zum Verlust aller bürgerlichen
Rechte und zur Verschickung nach Sibirien verurteilt; der Bauer
Kusnezow, der sich und elf andre Personen verstümmelt hatte,
erhielt vier Jahre Strafarbeit in den sibirischen Bergwerken und
das Bestechungsgeld flofs in den Staatsschatz. Die auf Grund
der Morschansker Entdeckungen eingeleiteten gerichtlichen Ver-
folgungen erstreckten sich auf viele Landesteile und dauerten bis
tief ins Jahr 1872 hinein. Die Veröffentlichung der Verhand-
lungen wurde der Presse untersagt Die minder schuldigen Ver-
urteilten kamen mit Kloster-Internierung davon; durch sie er-
fuhren die Mönche manches Geheimnis der Sekte. Besonders
interessant sind in dieser Hinsicht die im Jahre 1875 in einem
Buche (»Vorträge in der Kaiserlichen Gesellschaft für Geschichte
und Altertum") veröffentlichten Berichte des Klosters von Solowetz.
Die »Feuertaufe“ ist das Thor zur vollkommenen Erlösung,
das »Siegel Gottes". Es giebt eine höhere, die für verdienst-
licher gilt: das »grofse Siegel" (hierunter versteht man die Aus-
schneidung der gesamten Geschlechtsteile), und eine geringere:
das »kleine Siegel" (die einfache Kastrierung). Die ganz streng-
gläubigen Skopzen verpönen jeden geschlechtlichen Umgang, auch
den zwischen Ehegatten, als sträflich. Sie sagen, dafs Eltern, die
einem Kinde das Leben geben, eine »furchtbare Sünde" begehen.
Aus diesem Grunde herrscht in manchen Skopzengemeinden der
Brauch, dafs jeder »Getreue“, ehe er (oder sie) in die tiefsten
Geheimnisse der Sekte eingeweiht wird, die Namen seiner Eltern
auf einen Zettel schreiben und diesen dann mit Füfsen treten
mufs. Doch giebt es auch Gemeinden , welche verehelichte
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Die Skopzen.
233
Kandidaten erst nach der Geburt des ersten Kindes aufnehmen ; der
Bukarester Zweig gestattet vor der »Operation« sogar zwei Kinder.
Die religiösen Übungen bestehen in Hymnengesang, Steg-
reif-Ansprachen , Prophezeiungen und wilden Tänzen , welch
letztere an die der Derwische erinnern. Wird jedoch ein Neu-
ling eingeführt, so giebt es nichts dergleichen, sondern man
beschränkt sich darauf, ihm »rechtgläubige“ Lehren über seine
religiösen und sittlichen Pflichten zu erteilen; doch wird die
Belehrung immer aufregender, um im Neophyten allmählich die
nötige Begeisterung wachzurufen , welche ihn schliefslich dazu
führen soll, das schreckliche Verstümmelungsopfer auf sich zu
nehmen und das von ihm geforderte Gelübde zu leisten, mittels
dessen er erklärt, »freiwillig zum Erlöser gekommen zu sein« und
sich verpflichtet, »alle heiligen Geheimnisse vor dem Zar, den
Prinzen, den Eltern, Freunden und Verwandten geheim zu halten
und sich lieber foltern, töten oder verbrennen zu lassen, als den
Feinden die Geheimnisse zu verraten.“
Die Versammlungen beginnen in der Regel zu später Nacht-
stunde und dauern bis zum Morgengrauen. Gewöhnlich werden
sie in einem der verborgenen Beträume abgehalten, die es in
den Häusern sehr vieler Skopzen giebt. Diese Häuser baut man
mit Vorliebe in möglichster Entfernung von anderen Wohn-
gebäuden. In der Mitte befindet sich ein Hof, umgeben von
Scheunen, Remisen und Wohnräumen, aus denen geheime Thüren
auf den Viehhof führen, welcher mit einem dritten Gehege ver-
bunden ist, in dem ein Bienenhaus steht, das mit hohen Pfählen
eingezäunt ist Hier giebt es geheime Öffnungen in den Garten
hinein, aus welchem ein Ausgang auf die Felder führt. Während
der Versammlung sind an verschiedenen Punkten Wachen auf-
gestellt, die bei drohender Gefahr oder auch nur verdächtigen
Erscheinungen Warnungszeichen geben, die das Auseinandergehen
der Anwesenden zur Folge haben, wobei die besonders Furcht-
samen durch den Viehhof, das Bienenhaus und den Garten ins
Freie flüchten.
Bei den Andachtsübungen tragen die Männer lange, weite,
weifse Hemden von seltsamem Schnitt, breite weifse Hosen und
um die Hüften einen Gürtel, der das Hemd zusammenhält. Die
Frauen sind ebenfalls in weifse Überhemden gekleidet, dazu
tragen sie blaue Gewänder (in der Stadt aus Zitz, auf dem Lande
aus Nanking); den Kopf bedecken sie mit einem weifsen Tuch.
Zumeist tragen beide Geschlechter weifse Strümpfe, doch er-
scheinen sie bisweilen barfufs. In der Hand halten sie Taschen-
tücher, die sie »Fahnen« nennen. Die Mitglieder der Sekte
werden vor der Kastrierung »Esel« und «Ziegen«, nach der-
selben »weifse Lämmer« und »weifse Tauben« genannt. Es giebt
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234 Oesellschaftsfeindliche Vereinigungen.
auch eine Art heiligen Abendmahls, bei welchem »geweihte“ Brot-
stückchen zur Verteilung kommen. Die Weihe des Brotes erfolgt
dadurch, dafs man es auf kurze Zeit in die Öffnungen des
Schlüsselburger Schilow-Denkmals legt. Der orthodoxe Priester
Iwan Sfergejew, der sich auf Befehl seiner Vorgesetzten in das
Vertrauen eines hervorragenden Skopzen eingeschlichen hatte,
berichtete über das Bestehen einer menschenfresserischen, em-
pörenden »Fleisch- und Blut-Kommunion“. Diese Beschuldigung
ist nicht gerichtlich erwiesen ; da es aber feststeht, dafs die
Flagellanten eine derartige Kommunion kannten oder kennen,
das Skopzentum aber, wie erwähnt, aus deni Geifslertum hervor-
gegangen ist, kann es möglich sein, dafs Sfergejews Behauptung
auf Wahrheit beruht. Auf einen Wahnwitz mehr oder weniger
kommt es den »Getreuen“ vielleicht nicht an.
Nach der skopzischen Glaubenslehre war das Hauptgebot
Christi, dafs der Mensch, um »erlöst" zu werden, sich der »Feuer-
taufe" unterziehen, d. h. sich mittels eines glühend heifsen Eisens
kastrieren müsse! Angeblich habe Jesus persönlich das Beispiel
gegeben, welches von den Aposteln, den Heiligen und den Ur-
christen — einschliefslich Origenes - befolgt worden sei. (Die
Malerei der orientalischen Christen stellt bekanntlich die Heiligen
stets bartlos dar.) Nur aus Rücksicht auf die Schwäche Vieler
habe man später gestattet, das glühende Eisen durch ein scharfes
Messer zu ersetzen. Übrigens kommt es den besonders »frommen“
Skopzen durchaus nicht darauf an, welches Werkzeug sie benutzen;
daher werden recht oft auch Sensen, Äxte, Glasstücke, Blech-
stücke und dergleichen mehr verwendet. Die »Operation" erfolgt
an den verschiedensten Plätzen, wie es die Gelegenheit gerade
mit sich bringt : zumeist auf dem Felde oder in Bauernhäusern,
häufig aber auch auf der Landstraße, im Badezimmer, im Wasser-
klosett, in Scheunen, Gefängnissen, Kellern, Booten, Wäldern,
Wagenschuppen, sogar auf dem Friedhof und unter Brücken.
Seit ungefähr 1815 werden auch weibliche Personen kastriert;
auf zehn Männer kommen jetzt etwa vier Frauen. Es giebt sogar
ziemlich viele weibliche »Getreue“, die die »Operation« an an-
deren vollziehen. Die Zahl der Skopzen läfst sich selbstver-
ständlich nicht feststellen; im Jahre 1874 waren 5444 Personen
als solche bekannt, darunter 1465 Weiber. Die Mehrzahl besteht
aus Bauern, doch befinden sich unter ihnen auch sehr viele
Soldaten, Bürger, Kaufleute, Gutsbesitzer, in geringerer Zahl
Staatsbeamte, Priester, Offiziere, Adelige. Die männlichen Mit-
glieder der Sekte erkennt man an ihrem aufgedunsenen Äufsern
und ihrem runzeligen, bartlosen Gesicht.
So wünschenswert die Ausrottung dieser so scheußlichen
Fanatikersekte auch sein möge, ist es bisher doch durchaus nicht
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Die Mucker.
23S
gelungen, ihrer Herr zu werden. Weder die Peitschung noch
die Verbannung, weder die Internierung noch die Einkerkerung
hat viel genutzt - oft sogar das Gegenteil. Auch die 1850
eingeführte Mafsregel, männliche Skopzen in Trauerkleider zu
stecken, ihnen Narrenkappen aufzusetzen und sie so von Poli-
zisten umherführen zu lassen, um sie dem öffentlichen Gespött
auszusetzen, hat häufig nur dazu geführt, die Reihen der „Ge-
treuen“ zu vermehren, weil man sie eben für Märtyrer hält.
Was die Geistlichkeit betrifft, so ist sie in Rufsland zu sehr
mifsachtet, um dem Obel mit Erfolg entgegentreten zu können;
überdies drücken manche Kirchen fürsten geradezu beide Augen zu,
weil reiche Skopzen grofse Summen zur Erbauung oder Aus-
schmückung orthodoxer Kirchen zu spenden pflegen. Es giebt
nur zwei Mittel, dem Oberhandnehmen der Sekte wirksam zu
steuern. Erstens müfsten alle als Skopzen erkannten Personen
in entlegene, dünn bevölkerte Gegenden gebracht werden und
bis zum Tode unter strenger Aufsicht stehen, damit sie keine
Proselyten machen können. Zweitens müfste durch Einführung
beträchtlich verbesserter Volksbildungsmethoden - an Stelle der
annoch üblichen planmäfsigen Volksverdummung — auf das
Aussterben oder doch Abnehmen des Aberglaubens hingearbeitet
werden.
Von den neueren Skopzenprozessen, die zur Kenntnis des
Auslandes gelangt sind, verdient besondere Erwähnung der im
Dezember 1893 in Petersburg gegen einen sechzigjährigen Bankier
und seine Nichte durchgeführte. Er wurde wegen Selbstver-
stümmelung zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, während sie
10 Jahre Zwangsarbeit erhielt, weil sie sich hatte verstümmeln
lassen. An Strenge fehlt es also nicht, aber sie nützt wenig.
Die Mucker.
Diese abstofsende Sekte, ein krankhafter Ableger des Pie-
tismus, tauchte zuerst gegen Ende des 1 7. Jahrhunderts auf, doch
erhielt sie ihren eigentlichen Namen erst nach ihrer, etwa hundert
Jahre später erfolgten Erneuerung. Der ursprüngliche Bund
wurde von dem Marburger Theologiestudenten Gottfried Justus
Winter gestiftet, der einigen sächsischen und hessischen Pietisten-
zirkeln angehört hatte. Er wurde später mit Eva v. Vesias bekannt
und sehr vertraut, was ihren Mann, Johannes v. Vesias in Eise-
nach, bewog, sich von ihr scheiden zu lassen, worauf Eva wieder
ihren Mädchennamen — v. Buttler - annahm und sich zu
Winter gesellte, um mit ihm in der Eschweger Anstalt (mit rund
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236
Gesellschaftsfeindliehe Vereinigungen.
zwanzig Insassen) zu leben, die er zum Zweck der freien Aus-
übung ihrer gemeinsamen »Religion* gegründet hatte. Bald
wurden die Behörden auf die Sekte aufmerksam ; ihre Nach-
forschungen ergaben die unzweifelhafte Unsittlichkeit des Treibens
der »Mucker* und führten zu deren Landesverweisung. Winter
und Eva liefsen sich dadurch jedoch nicht abschrecken, sondern
wandten sich an den Herzog von Sayn-Wittgenstein, der ihnen
auf seinem zum Nassauischen gehörigen , aber unabhängigen
Besitz die ungestörte Ausübung ihres Glaubens gestattete und
das Gut Safsmannshausen verpachtete. Dort täuschten sie durch
Scheinheiligkeit das Publikum über ihre empörenden Ausschwei-
fungen, allein allmählich gelangten diese durch Einschleicher und
Abtrünnige zur öffentlichen Kenntnis. Der Herzog sah sich ver-
anlafst, eine Untersuchung anzuordnen, doch führten Bestechungen
und die Geschicklichkeit des Sachwalters Dr. Vergenius, der bei
der Wetzlarer Reichskammer eine grofse Rolle spielte, zur Frei-
sprechung der »Brüder* und der Herzog ernannte Winter sogar
zu seinem Privatsekretär.
Infolge dieses Triumphs wiegten die Mucker sich allzusehr
in Sicherheit und legten sich keinen Zwang mehr auf. Eva
geberdete sich wie eine zweite Messalina und brachte den männ-
lichen »Heiligen* die Lehre bei, dafs die vollkommene Heiligkeit
nur durch den geschlechtlichen Verkehr mit ihr selbst erreichbar
sei! Die Geburt und der alsbaldige plötzliche Tod eines Kindes
in der scheinheiligen Gemeinde - ein Ereignis, das trotz der
ebenso grausamen wie abstofsenden Vorsichtsmafsregeln eintrat,
die man gegen dessen Eintreten ergriffen hatte — brachte die
Blase zum Platzen. Der Herzog liefs .die »Heiligen* durch ins-
geheim in den Wänden ihrer Wohnräutne angebrachte Öffnungen
beobachten und so wurden die begangenen argen Ausschweifungen
enthüllt. Vor Gericht legten die Schuldigen ein Geständnis ab.
Indessen gelang es den meisten Rädelsführern, aus dem Gefängnis
zu entkommen und nach Luyde zu fliehen, einem Städtchen in
der Nähe von Pyrmont. Dieser vornehme Kurort verhalf den
»Brüdern* zu reichen Proselyten, mit deren Hilfe ein neuer
Bund ins Leben gerufen werden konnte. Aber die Herrlichkeit
dauerte auch in Luyde nicht lange, denn infolge der umständ-
lichen Anzeige eines gewissen Sebastian Reuter wurden zwanzig
Mitglieder verhaftet, darunter Winter und Eva; doch entwischten
diese beiden abermals und man weifs nicht, was nachher aus
ihnen geworden. Die nicht freigesprochenen Häftlinge wurden
zur öffentlichen Peitschung verurteilt.
Einen ähnlich gearteten Bund — »die Theosophen*, vom
Publikum jedoch »Mucker* genannt — entdeckte man 1835 zu
Königsberg in Preufsen. Der Stifter war Johann Heinrich Schön-
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Die Mucker.
237
herr (geb. 1771 in Memel, gest. 1826 in Königsberg). Zwei
seiner Anhänger, die Pastoren Ebel und Diestel, erklärten, seine
»dualistisch-gnostische" Lehre laufe darauf hinaus, dafs das Fleisch
durch den geschlechtlichen Verkehr geheiligt werde. Das Treiben
dieser Sekte, zu welcher selbstverständlich auch weibliche Personen
gehörten, führte schliefslich zu einer gerichtlichen Untersuchung,
die aber niedergeschlagen wurde, weil sich herausstellte, dafs
viele hochgestellte Personen in die Sache verwickelt waren ; doch
verloren die zwei erwähnten Pastoren ihre Stellen und Diestel
wanderte überdies ins Zuchthaus.
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NEUNTES BUCH.
GESELLSCHAFTLICHE
Wiepergeburt.
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Illuminaten.
Verschiedene Illuminatenorden. — Weishaupt und sein Orden. — Organi-
sation der Illuminaten. — Einweihung in den Priester- und den Regenten-
Sad. — Die höheren Mysterien. - Nomenklatur und Geheimschrift. —
eheime Papiere und Briefe. — Widerlegung der gegen den Orden er-
hobenen Beschuldigungen. — Unterdrückung des Weishauptschen Bundes.
- Französische Illuminaten. — Einweihungszeremonien. — Glaubwürdig-
keit der Berichte über die Vorgänge in Ermenonville.
Ziemlich viele Seiden oder Geheimbünde haben sich » Illu-
minaten « genannt. So z. B. am Ende des 16. Jahrhunderts in
Spanien die »Alombrados“. Zu diesen zu gehören, wurde
Ipatius v. Loyola, der Stifter des Jesuitenordens, verdächtigt und
daher fast einen Monat lang von den Salamancaer Inquisitoren
in Haft gehalten, bis sie sich durch das Lesen seiner .Geistlichen
Übungen“ von seiner Unschuld überzeugten. Anno 1654 ent-
standen in Frankreich die »Guerinets“, gleich den Alombrados
Schwärmer und Geisterseher. Unter dem Namen »Illuminaten“
gab es in der zweiten Hälfte des 1 8. Jahrhunderts eine Mystiker-
vereinigung in Belgien. Hier aber wollen wir nur von dem be-
kanntesten Bund dieses Namens sprechen, dem eigentlichen
»llluminaten-Orden“, dem von Adam Weishaupt, einem lngol-
städter Universitätsstudenten, gestifteten.
Dieser ebenso gelehrte wie ehrgeizige Jüngling besafs einen
ausgesprochenen Hang zum Mystischen und fafste die Gründung
eines philosophisch-politischen Bundes ins Auge. Mit 22 Jahren
wurde er schon Universitätsprofessor für Kirchenrecht zu Ingol-
stadt Da der betr. Lehrstuhl vorher zwanzig Jahre lang in den
Händen der Jesuiten war, grollten ihm diese und verfolgten ihn
nach Kräften. Er blieb ihnen nichts schuldig, hafste sie redlich
und schärfte seinen späteren Anhängern ein, ihnen aus dem Weg
zu gehen »wie der Pest“. Diese Abneigung fand auch viel-
fachen Ausdruck in den. Satzungen des Illuminatenordens, den
Weishaupt — der das Pseudonym »Spartacus“ annahm — 1776
Heckethom-Katscher, Geheimbunde u. Geheimlehren. 1b
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(
242 Gesellschaftliche Wiedergeburt.
ins Leben rief. Es dauerte Jahre, bis es ihm gelang, das
Rituale und die »Verfassung» endgültig festzustellen. Um die
Sache rascher zu fördern, trat er mit den Freimaurern in Ver-
bindung, indem er der Münchner eklektrischen Loge »Theodor
zum Guten Rat» beitrat. Er wollte das Illuminatentum auf die
Freimaurerei pfropfen und veranlafste durch die Beschaffenheit
seiner ersten Grade viele Freimaurer, llluminaten zu werden;
doch blieben die meisten wieder aus, als sie sich überzeugten,
dafs Weishaupt keine Spielerei, sondern ernste Arbeit erwartete.
Ihm schwebte nämlich die Milderung der durch Unwissenheit
wie auch durch politische Willkür und kirchliche Tyrannei ver-
ursachten Übelstände vor.
Den Orden teilte Weishaupt in drei Klassen, deren jede
in mehrere Grade und teilweise auch Untergrade zerfiel, und
zwar folgendermafsen :
I. Baumschule oder Kinderstube: 1. Vorbereitungsaufsatz;
2. Noviziat; 3. Minervalis; 4. llluminatus minor.
II. Maurerei: 1. Symbolische: a. Lehrling; b. Geselle;
c. Meister. 2. Schottische: a. llluminatus major oder schottischer
Novize; b. llluminatus dirigens (= »leitender Erleuchteter“) oder
schottischer Ritter.
III. Mysterien: 1. Geringere: a. Epopt oder Priester;
b. Prinz oder Regent 2. Höhere: a. Magus oder Philisoph;
b. Rex oder König oder Areopagrichter.
In den beiden ersten Klassen wurde der Kandidat lediglich
erprobt und für die dritte vorbereitet. Bewährte er sich nicht
als vertrauenswürdig, so rückte er nicht auf. Erwies er sich
jedoch als tüchtig, so erfolgte allmählich seine Einweihung in die
gesamten höheren Mysterien, die alles in den früheren Klassen
Gelernte überden Haufen warfen und von deistischen Lehren und radi-
kalen Plänen erfüllt waren, welchen aber nichts Unsittliches oder
Revolutionäres anhaftete; es handelte sich eben nur um Auf-
klärung radikaler oder eigentlich sehr freisinniger Art.
Dem zur Einweihung in den Priestergrad zugelassenen
Kandidaten wurden die Augen verbunden und er dann in einem
Wagen, der einen Umweg machte, in das betreffende Gebäude
gebracht. In einem bestimmten Gemach befreite man ihn von
der Binde und hiefs ihn, die Schürze der schottischen Ritter und
das Antoniuskreuz anzulegen, den Hut aufzusetzen, das Schwert
in die Hand zu nehmen und vor der ersten Thür auf seine Be-
rufung zu warten. Nach kurzer Zeit ertönte eine feierliche Stimme:
»Tritt herein, Verwaiseter, die Väter rufen dich. Tritt herein
und verschliefs’ die Thür hinter dir!» Er betrat nun einen
prachtvoll erleuchteten Saal, dessen Wände mit schweren roten
Tapeten bekleidet waren und in dessen Hintergrund unter einem
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Illuminaten.
243
Baldachin ein Thron stand. Vor diesem befand sich ein Tisch,
auf dem eine Krone, ein Scepter, ein Schwert, Goldketten und
andere Wertgegenstände lagen, während auf einem in der Nähe
angebrachten roten Kissen die Kleidung der Inhaber des Priester-
grades zur Schau gelegt war. Stühle gab’s nicht, nur einen
einzigen niedrigen Sessel ohne Lehne. Der Kandidat wurde er-
sucht, zwischen den Dingen auf dem Tisch und den Kleidern
auf dem Kissen zu wählen. Entschied er sich wider alles Er-
warten für erstere, so war’s aus — man jagte ihn davon. Wählte
er aber das Gewand, so riefen alle Anwesenden: »Heil, du Edler!«
Dann mufste er sich auf jenen niedrigen Sitz setzen und der
Erläuterung seiner künftigen Pflichten lauschen, die hauptsächlich
auf die Belehrung der Uneingeweihten hinausliefen.
Nunmehr öffnete sich im Hintergrund eine Thür, durch
die der »Einführer" des Neulings eintrat, in ein Priestergewand
gekleidet, welches aus einer bis zu den Füfsen reichenden weifsen
Wolltoga bestand, dessen Halsteil und Ärmel mit scharlachroten
Seidenbändem eingefafst waren; die Hüften umspannte ein Seiden-
gürtel von derselben Farbe. (Der Diakon trug aufserdem ein
etwa fufslanges rotes Kreuz auf der linken Brust.) Jetzt wurde
der Kandidat in das innere Zimmer geführt, wo er einen mit
rotem Tuch bedeckten Altar erblickte, über dem entweder ein
gemaltes oder ein geschnitztes Kruzifix hing, während auf dem
Altar selbst eine rotgebundene Bibel, das Buch der Ordensriten,
ein Schüsselchen mit Honig und ein Krüglein voll Milch zu
sehen waren. Zu beiden Seiten des vor dem Altar stehenden
Diakonus, über dessen Haupt ein brennendes Lämpchen hing,
safsen die »Priester" auf rotgepolsterten Bänken. Der Kandidat
wurde ermahnt, den Feinden der Menschheit — böse Gelüste,
Unterdrückungsgeist, Täuschung — zu entsagen. Nachdem er
versprochen, dies zu thun, legte er seine maurerische Kleidung
ab. Nach der ferneren Zusicherung, dem Orden treu bleiben zu
wollen, hüllte man ihn in das Priestergewand, worauf er den ge-
schlossenen Bund durch den Genufs von etwas Milch und Honig
besiegelte. Den Schlufs der Feier bildete ein langer Vortrag
wissenschaftlich-sittlicher Art.
Der Händedruck der »Priester“ bestand darin, dafs man
eine Faust machte und dabei den Daumen senkrecht in die Höhe
hielt, worauf der andere ebenfalls eine Faust machte und mit ihr
die des ersten einschliefslich des Daumens umspannte. Das
Losungswort war INRI. Als Erkennungszeichen diente das flache
Kreuzen beider Hände auf dem eignen Kopf.
Der nächsthohe Grad (»Regent«) wurde nur solchen Per-
sonen verliehen, die infolge hoher Bildung, bewährter Treue und
angesehener gesellschaftlicher Stellung befähigt und geeignet er-
16*
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244
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
schienen, die Ziele des Geheimbundes zu fördern. Der Ein-
weihungsort bestand aus drei Gemächern. Im letzten befand sich
unter einem Baldachin ein roter, erhöhter, reichverzierter Thron
für den Provinzial ; rechts davon eine etwa 7 ' hohe weifse Säule,
die eine auf einem roten Kissen ruhende Krone trug. Von der
Säule hingen ein künstlicher Palmzweig und ein Hirtenstab aus
weifsem Holz herab. An der rechten Seite des Thrones stand
ein Tisch mit roter Decke; darauf lagen die Gewänder eines
»Regenten»: weifsledemer Harnisch mit eingesticktem roten Kreuz;
weifser Mantel mit ebenfalls rotem Kreuz, roten Aufschlägen und
rotem Kragen ; hoher weifser Hut mit roten Federn ; Halbschuhe
mit roten Schnüren. (Das Kreuz auf dem Kürafs des Provinzials
war von goldenen Strahlen umgeben.) Der Saal war rot ver-
hängt und schön beleuchtet Vorläufig befand sich darin der
auf dem Thron sitzende Provinzial allein, während die anderen
»Regenten“ im mittleren Raum weilten. Das für die Vorbe-
reitungen bestimmte erste Zimmer war schwarz verhängt und in
der Mitte stand auf einer Plattform ein menschliches Skelett, zu
dessen Füfsen eine Krone und ein Schwert lagen. Hier wurde
der Kandidat mit gefesselten Händen allein gelassen, damit er
dem folgenden Zwiegespräch lausche, welches im mittleren Ge-
mach stattfand :
»Wer hat den Sklaven zu uns hereingeführt?“
»Er kam und klopfte an.“
»Was will er?“
»Er sucht Freiheit. Er bittet euch, ihn von seinen Banden
zu befreien."
»Warum wendet er sich nicht an die, die ihm die Bande
angelegt haben?"
»Die wollen ihn nicht befreien, sie ziehen Vorteil aus seiner
Sklaverei.“
»Wer hat ihn denn in die Knechtschaft gebracht?"
»Die Gesellschaft, der Staat, die falsche Religion.“
»Gilt bei ihm Ansehen der Person? Frage ihn, wer der
Mann gewesen, dessen Gerippe jetzt vor ihm steht, ob es ein
König, Edelmann oder Bettler war.“
»Er kennt ihn nicht; nur dieses sieht er, dafs es ein Mensch,
einer von uns gewesen. Dieser Charakter, ein Mensch zu sein,
ist ihm allein wichtig.“
»Gut, führe ihn herein.“
Der Kandidat durfte jetzt den mittleren Raum und schliefs-
lich den letzten Saal betreten, wo ihm nach kurzem Katechisieren
die Regentengewandung verliehen wurde. Das Losungswort
dieses Grades war „Redemtis“; das Erkennungszeichen bestand
darin, dafs man dem anderen beide Arme entgegenstreckte; statt
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Illuminaten.
245
der Hand ergriff man die Ellbogen so, als wolle man den Bundes-
bruder in die Höhe heben.
Was die höheren Mysterien betrifft, so hat Freiherr v. Knigge
seine Absicht und Aufgabe, sie schriftlich auszuarbeiten, nicht ver-
wirklicht Aus Andeutungen in Weishaupts Schriften wissen wir
jedoch, dafs der „ Philosophen “-Orad auf dem Spinozismus be-
ruhte (Materiellität alles Vorhandenen; Identität von Gott und
Welt; alle Religionen Menschenerfindung) und dafs dem »Königs«-
Grad die Lehre Vorbehalten blieb, jeder Bauer, Bürger oder
Familienvater sei ein Souverän - wie zur Zeit der patriarcha-
lischen Lebensweise, zu der die ganze Menschheit zurückkehren
müsse, weshalb jede Staatsautorität abzuschaffen sei. Wie schon
bemerkt, wollte Weishaupt mit dem Inhalt dieser zwei höchsten Grade
nur die vertrauenswürdigsten Ordensmitglieder bekannt machen ;
doch ist derselbe durch die Entdeckung seiner Papiere, auf die wir
alsbald zurückkommen werden, in die Öffentlichkeit gedrungen.
Nach Weishaupt war die Hauptperson im Bunde der vor-
hin erwähnte Freiherr v. Knigge, der berühmte Verfasser von
»Der Umgang mit Menschen". Innerhalb des Ordens hiefs er
»Philo*. Alle Genossen nahmen Pseudonyme an; so z. B.
nannte sich der Rechtsgelehrte Zwack „Cato“, der Buchhändler
Nicolai „Lucian* u. s. w. Auch die Städte und Länder, in denen
es Genossen gab, erhielten fingierte Namen: Bayern hiefs „Achaia“,
München »Athen«, Heidelberg »Utika“, Frankfurt »Theben« etc.
Für ihren Briefwechsel unter einander benutzten sie die persische
Zeitrechnung, welche mit dem Jahre 632 v. Ch. beginnt. Ihr
Jahr fing am 21. März an. Das Wort »Orden« schrieben sie
niemals aus, vielmehr ersetzten sie es durch das Zeichen O- Bis
zur Einweihung in die höheren Grade korrespondierten sie in
der folgenden Chiffernschrift:
a b c d e f g h i(j) k / in n o
12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 13 14
P q r s t u(v) w x y s.
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24.
Die in die höheren Grade Eingeweihten bedienten sich statt
der Ziffern einer der zwei nachstehenden Geheimschriften:
gu *■ r € ^1,1 f S, 3
h, < T i* : □ ?■ -L X X , © J O, ©
t vt*': 8
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246
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
Dem Orden traten Geistliche, Ärzte, Prälaten, Fürsten und
Herzoge bei. Zwar wurden gewifs die wenigsten in die höheren
Grade eingeweiht, aber immerhin schien der Bund sich gedeih-
lich entwickeln zu sollen. Da erlangte der Kurfürst von Bayern
durch einige verräterische Mitglieder Kenntnis von den politischen
Grundsätzen des Ordens und in seiner Beunruhigung unterdrückte
er diesen in seinem ganzen Staatsgebiet. Nun erst drang näheres
über die Einweihungsriten und Lehren der Illuminaten in die
Öffentlichkeit, und zwar hauptsächlich durch die geheimen Papiere,
die man 1786 und 1787 bei den Bundesgenossen Zwack und
Baron Bassus fand, deren Wohnungen man gesetzwidrig durch-
suchen liefs. Einem Schriftstück war zu entnehmen, dafs von
den leitenden Persönlichkeiten als ein Hauptmittel der Förderung
der Ordensinteressen empfohlen wurde, die Frauen für die Sache
zu gewinnen - bei einem guten Zweck in der That keine üble
Idee. Wir lesen da:
.■Durch Weiber wirkt man oft in der Welt am meisten. Bei diesen
sich einzuschmeicheln, sie zu gewinnen suchen, sei eines eurer feinsten
Studien. Mehr oder weniger werden sie alle durch Eitelkeit, Neugierde,
Sinnlichkeit und Hang zur Abwechslung geleitet. Wir sollten sie lehren,
wie sich von der Tyrannei der öffentlichen Meinung befreien, wie sich
unabhängig machen. Das wird sie anfeuem, mit Eifer für uns zu ar-
beiten“ etc.
Und ein in dem geheimen Briefwechsel gefundenes Schreiben
enthielt die folgenden Stellen, die sich auf einen Antrag eines
Genossen bezogen, der im Bunde den Namen Herkules führte:
»Der Vorschlag des »Herkules“, eine Minervalschule für Mädchen
anzulegen, verdient alle mögliche Aufmerksamkeit. Die Weiber haben
zu viel Einflufs auf die Männer, als dafs man es hoffen könnte, die Welt
zu bessern, wenn sie nicht gebessert sind. Nur die Art, es anzufangen,
macht die Schwierigkeit und nie w'erden es die Eltern, besonders die mit
Vorurteilen eingenommenen Mütter zugeben , dafs andere sich mit der
Erziehung ihrer Töchter abgeben. Es mufs also mit erwachsenen Mädchen
und mit Weibern der Anfang gemacht werden. »Herkules" schlägt
Ptolemai Magi Frau vor, und ich habe nichts dagegen. Ich schlage
meine vier Stieftöchter mit vor; sie sind gute Mädchen und besonders die
älteste, ein sehr gutes Mädchen von 24 Jahren, die sehr viel Belesenheit
hat, über alle Vorurteile hinweg ist. Sie haben viele Bekanntschaften ; es
wäre bald eine kleine Societät eingerichtet. Keine Mannsperson sollte zu-
gelassen werden ; das würde sie anfeuern, und sie werden weiter gehen,
als wären wir zugegen. Man überlasse sie sich selbst und sie werden
unsre grofsen Apostel werden Aber ich zweifle an einer langen
Dauer dieser Societät, denn die Weiber sind launisch und ungeduldig . . .
Der Reiz der Neuheit wird bald abgestreift sein . . .* etc.
Ein gewisser persönlicher Umstand , welcher Weishaupt
betraf und durch den geheimen Briefwechsel bekannt wurde,
schadete dem Ruf des Ordens sehr, obgleich derselbe mit den
von letzterem vertretenen Grundsätzen durchaus nichts zu schaffen
hatte. Die Feinde der Illuminaten benutzten noch einen Umstand
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Illuminaten.
247
zu deren Schaden. Es wurden nämlich folgende Schriftstücke in
der Handschrift Zwacks aufgefunden : die Beschreibung einer eisernen
Kiste, die, wenn gewaltsam geöffnet, explodiert und ihren Inhalt ver-
nichtet; das Rezept einer sympathetischen Tinte; Ratschläge, mit
beiden Händen schreiben zu lernen, mehr als Eine Geheimschrift
anzuwenden u. s. w.; ein Wink, in welcher Weise Siegelabdrücke
abgelöst werden können, damit man sie anderweit nochmals benutze. >.
Dazu eine Sammlung von hunderten solcher Abdrücke, ein Ver-
zeichnis der Eigentümer der betreffenden Siegel und ein Packet
mit 85 Bildnissen von Münchner Damen, deren einige zur Auf-
nahme in die geplante weibliche llluminatenloge empfohlen wurden.
Robison, der diese Dinge in seinen »Beweisen einer Ver-
schwörung“ vorbringt, unterdrückt die Thatsache, dafs Zwack, der
ein Richter und Ratsherr war, in einem offenen Brief alle gegen
die Illuminaten vorgebrachten schmählichen Beschuldigungen
widerlegte. Zwack wies nach, dafs der Gedanke, den Einflufs
der Frauenwelt nutzbar zu machen, einem Essay über die Möpse
entnommen war und dafs er (Zwack) die erwähnten Rezepte,
Ratschläge etc. aus den Werken des Jesuiten Kircher und anderer
geistlichen Autoren abgeschrieben habe; sie hätten lediglich zu seiner
Belehrung als Strafrichter und zu seiner privaten Unterhaltung
gedient und hätten mit dem llluminatentum nicht das Geringste zu
thun. Die 85 Bildnisse aber seien von der Polizei aus dem Kleider-
schrank seiner Gattin gestohlen worden! 1798 erschien in einer
Londoner Monatsschrift ein Brief, in welchem Augustus Böttiger
aus Weimar Robison beschuldigte, falsche Behauptungen aufgestellt
zu haben; er erbot sich, jedem Interessenten in Großbritannien auf
Wunsch richtige Aufschlüsse zu erteilen. In der That waren die
vermeintlichen schrecklichen Folgen der Lehren der Illuminaten
Hirngespinste Robisons und anderer Gegner.
Weishaupt verlor seine Professur und wurde aus Bayern
verbannt; man wollte ihm zwar ein Ruhegehalt von 800 Gulden
gewähren, er lehnte dasselbe jedoch ab. Er ging zunächst
nach Regensburg, das damals nicht zu Bayern gehörte; später
trat er in den Dienst des Herzogs von Sachsen-Gotha. Zwack,
ebenfalls des Landes verwiesen, liefs sich vom Fürsten von Salms
anstellen — demselben, der bald darauf bei den Unruhen in
Holland eine so grofse Rolle spielte. Der Bestand des Illumi-
natenordens war ein viel zu kurzer, als dafs er seine Zeit oder
gar die Zukunft in nennenswerter Weise — geschweige denn
dauernd — hätte beeinflussen können. Überdies wollte er seiner
Zeit zu sehr vorauseilen. Aber obgleich eine Frühgeburt, übte
er doch einigen Einflufs auf die französische Revolution; vielleicht
gab er auch Bahrdt die Grundidee zu seinem »Deutschen Bund",
von dem wir weiter unten sprechen werden.
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248
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
1782 fafsten Weishaupt und Knigge den Plan, das Illu-
minatentum in Frankreich einzuführen, wo es bereits eine Anzahl
von Anhängern hatte, darunter Mirabeau, der in Berlin »ein-
geweiht« worden war, wohin Ludwig XVI. ihn in geheimer
Mission geschickt hatte. Nach seiner Rückkehr weihte er seiner-
seits Talleyrand ein. Der Weimaraner Qeheimrat Bode (»Amelius“)
und Wilhelm Frhr. v. Busch (»Bayard“), die bald darauf nach
Paris kamen, setzten die Propaganda fort und zogen namentlich
Freimaurer heran. Die eifrigsten und zuverlässigsten Proselyten
traten zu einem »Geheimen Ausschufs der Vereinigten Freunde"
zusammen. Das grofse Schlots zu Ermenonville, in welchem
Rousseau seinen Lebensabend zubrachte und wo er auch be-
graben liegt, soll der Hauptsitz der französischen Illuminaten
gewesen sein. Vorsitzender der dortigen Loge war der bekannte
Betrüger Saint-Germain.
Ein um 1790 erschienenes Buch stellte die Riten, Eide
und Lehren der französischen Illuminaten als ganz fürchterlich
hin, wie die nachstehenden kurzen Einzelheiten darthun werden.
Zu Ermenonville wurde der Kandidat am Tage seiner be-
vorstehenden Einweihung durch einen langen und finstern Gang
in einen grofsen, schwarzverhängten Saal geführt, wo er beim
schwachen Schein einiger Grablaternen in Leichentücher gehüllte
Leichname erblickte. In der Mitte stand ein aus Menschen-
skeletten erbauter Altar. Gespenster durchzogen den Saal und
verschwanden, üble Gerüche hinterlassend. Sodann erschienen
zwei als Gespenster verkleidete Männer, händigten dem Auf-
nahmewerber ein Kreuz ein, hängten ihm ein Amulett um den
Hals, banden ihm ein rosafarbenes, mit Blut beschmiertes, mit
dem Bildnis unsrer Lieben Frau von Loretto bemaltes Band um
die Stirn, legten seine Kleider auf einen vorläufig noch unan-
gezündeten Scheiterhaufen, malten ihm mit Blut Kreuze auf den
Leib und umwickelten seine Schamteile mit Bindfaden. Plötzlich
stürzten fünf schrecklich anzusehende Gestalten in blutbefleckten
Gewändern und mit Dolchen bewaffnet hervor, warfen sich zu
seinen Füfsen nieder und beteten. Demnächst zündete man den
Scheiterhaufen an und verbrannte die Kleider. Aus den Flammen
erhob sich eine halbdurchsichtige Riesengestalt, die fünf Schreckens-
gestalten verfielen in furchtbare Zuckungen und von der Decke
her sprach die Stimme eines unsichtbaren Hierophanten dem
Neuling die folgenden Schwüre u. s. w. vor, die er wiederholen
mufste:
»lm Namen des Gekreuzigten schwöre ich, alle Bande
lösen zu wollen, die mich mit Vater, Mutter, Brüdern, Schwestern,
Gattin, Verwandten, Freunden, Herrin, König, Vorgesetzten, Wohl-
tätern oder irgendwelchen anderen Menschen verknüpfen, denen
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Itluminaten.
249
ich Treue, Gehorsam, Dankbarkeit oder Dienstleistung versprochen
habe ... Ich nenne meinen Geburtsort, um künftig in einer
andern Sphäre zu leben, die ich aber nicht erreichen werde,
solange ich nicht dieser vergifteten, vom Himmel verfluchten
Erde entsagt haben werde. Von heute an will ich meinem neuen
Vorgesetzten alles verraten, was ich sehen, hören und entdecken
werde. Auch will ich nach Dingen forschen, die mir ohne mein
Auskundschaften entgehen könnten. Ich will die Aqua Toffana
als ein sicheres, schnell wirkendes und notwendiges Mittel ehren,
die Erde von denen zu befreien, die die Wahrheit schmähen oder
sie uns entreifsen möchten. Ich will Spanien, Neapel und jedes
andre verfluchte Land ebenso vermeiden wie jede Versuchung,
das in dieser Stunde Erfahrene nach aufsenhin zu verraten. Der
Blitz trifft nicht so rasch wie der Dolch, der mich überall, wo
ich auch sein möge, erreichen kann.»
Nach der Beeidigung stellte man vor den Neuling einen
siebenarmigen Leuchter mit angezündeten schwarzen Wachskerzen
und eine Schüssel Menschenblutes. Er trank von dem Blut ein
halbes Glas und wusch sich in dem Rest. Nach dem Losbinden
der Schamteile nahm er ein Bad und schliefslich wurde er mit
einer Schüssel Wurzeln und Kräuter bewirtet. Die ganze „Feier“
sieht sehr theatralisch aus und war in Wirklichkeit gewifs nicht
so schrecklich. Die Geschichte klingt überhaupt wenig glaub-
würdig - schon wegen der ungemein auffallenden Ähnlichkeit der
angeführten Eidschwüre mit denen der in die einstigen Jesuiten-
logen (vgl. „Die Jesuiten") Eingeweihten. Vielleicht sind die
Schilderungen wahr, beziehen sich aber nicht auf wirkliche lllu-
minaten. Übrigens — wer weifs? Unmöglich ist es nicht, dafs
in Ermenonville thatsächlich solch lächerlicher Unfug getrieben
wurde. Marquis Jouffroi -(„Lexikon der sozialen Irrtiimer") be-
hauptet sogar, daselbst seien die gröblichsten Ausschweifungen
begangen worden.
Nachschrift des Bearbeiters.
Nachträglich empfange ich von Herrn Leopold Engel in
Dresden (Striesenerstrafse 41), der das llluminatenorgan „Das
Wort“ herausgiebt und dem ich das vorstehende Kapitel zur
Begutachtung eingeschickt hatte, ein interessantes Schreiben, aus
dem einige Stellen anzuführen ich für meine Pflicht halte:
„ ... Der Illuminatenorden nach Weishaupt besteht noch
immer und ich bin dessen Kustos. Doch ist er ganz anders
organisiert und in seinen Lehren, denen die Weishauptschen nur
teilweise zu Grunde liegen, ganz bedeutend erweitert. . . Der Sitz
ist Berlin; dort ist unsre rechtskräftige Vertretung, wir stehen
unter Gesetzesschutz und erfüllen alle polizeilichen Forderungen,
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250
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
werden auch durchaus nicht als staatsgefährlich betrachtet . . .
Das Ordensblatt vom 1 5. Dezember 1 899 wird alle Klarlegungen
enthalten. Ich bin jederzeit bereit, Interessenten, die dem Orden
nähertreten wollen, Auskunft zu erteilen und die Mittel an die
Hand zu geben, das System zu prüfen. . . .*
Hiernach kann man den heutigen Illuminatenorden höchstens
noch einen halbgeheimen Bund nennen.
Die Deutsche Union.
Diese Geheimgesellschaft , die von Robison und Barruel
aus Unkenntnis der Verhältnisse in übertrieben schlechtem Lichte
dargestellt worden ist, war vermutlich nichts andres als eine
kaufmännische Spekulation des Theologen Karl Friedrich Bahrdt,
der eine hohe litterarische Begabung besafs, aber nicht nach
strengen sittlichen Grundsätzen handelte, ln einer Flugschrift
»An die Freunde der Vernunft, der Wahrheit und der Tugend!“
behauptete er das Vorhandensein einer Vereinigung von 22 Pro-
fessoren, Staatsmännern und Privatpersonen behufs Ausbreitung
der Naturreligion, Ausrottung des Aberglaubens und Herbei-
führung der Freiheit durch die Aufklärung. »Zu diesem Zweck
haben wir einen Geheimbund gegründet, welchem beizutreten
wir alle Gleichgesinnten einladen, die von der Wichtigkeit jener
Ziele durchdrungen sind." Die Gesellschaft (d. h. Bahrdt) wollte
eigene Zeitschriften und Werke herausgeben. Sie war eine Art
Ableger des Illuminatenordens. Ein gewisser Röper, den Bahrdt
aus Mitleid als Sekretär angestellt hatte, denunzierte ihn als Ver-
fasser einer Broschüre, welche das 1788 erlassene Wöllnersche
»Religionsedikt“ (vgl. » Rosenkreuzer ") verhöhnte. Daraufhin
wurde Bahrdt eingesperrt; im Gefängnis schrieb er seine Denk-
würdigkeiten,*) die 1790 in vier Bänden erschienen. Der erz-
reaktionäre Wöllner befehdete die Deutsche Union wegen ihrer
freisinnigen Richtung. Bahrdt selbst behauptete, nicht der Ver-
fasser jener Satire zu sein, sondern sie blofs in Druck gelegt
zu haben; die Handschrift selbst habe er aus Berlin zugesandt
erhalten. Bei Göschen in Leipzig erschien 1789 ein heftiger
Angriff auf die Deutsche Union in Gestalt eines anonymen
Buches, betitelt »Mehr Anmerkungen als Text", welches von
manchen dem weimarischen Geheimrat J. J. C Bode, von anderen
dem Verleger Göschen selber zugeschrieben wurde.
*) „Geschichte und Tagebuch meines Gefängnisses, nebst geheimen
Urkunden über die Deutsche Union". (Berlin, bei Friedrich Vieueg dem
altem.)
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Französische Gesellenverbindungen.
2S1
Da Bahrdt einem reinen Deismus huldigte und auch in
politischer Hinsicht sehr fortschrittlich gesinnt war, hatte er sowohl
in den herrschenden Klassen als auch unter dem bigotten Bürger-
stand zahlreiche Feinde. Daher verlor er die Anstellungen, die
er in verschiedenen Städten erhielt, immer wieder, so dafs er
schliefslich genötigt war, in Halle ein Wirtshaus zu errichten.
Nach seinem Tode (1793) wurde es von seinem Bund ganz still.
Aus des letzteren innerer Geschichte sind einige Einzelheiten er-
wähnenswert. 1777 war Bahrdt in London, wo er Freimaurer
wurde. Nach Deutschland wiedergekehrt, empfing er von einem
hochgestellten Funktionär des Wetzlarer Reichskammergerichts,
v. Ditfurth, die Anregung, eine Vereinigung zu gründen, welche die
wahren Ziele der Freimaurerei (Wiederherstellung der Menschen-
rechte und freier Gebrauch der Vernunft) verwirklichen sollte.
Einige Jahre später (1785) erhielt Bahrdt einen anonymen Brief,
enthaltend den Plan zur Deutschen Union und gezeichnet «Einige
Maurer, Ihre grofsen Bewunderer.“ ln demselben Jahr besuchte
ihn ein Engländer, der in ihn drang, eine Loge ins Leben zu
rufen, die er dann mit der englischen Maurerei in Verbindung
bringen wollte. Bahrdt zeigte ihm den Plan zum Deutschen
Bund und derselbe fand seinen vollen Beifall. Bahrdt gründete
nun eine Loge, die aber für eine kaufmännische Spekulation
gehalten wurde. Dieselbe soll noch nicht die Deutsche Union
gewesen sein; diese sollen nach einigen Quellen vielmehr die
Schreiber jenes anonymen Briefes 1787 gestiftet haben. Es heifst,
dafs sie Bahrdt zum Beitritt einluden und dafs er sich »mit
Freuden" um die Ausbreitung der Gesellschaft bemühte; er soll
ihr seine ganze Zeit gewidmet und im Jahre 1788 durch sie
sogar einen Verlust von tausend Thalern erlitten haben.
Französische Gesellenverbindungen.
Organisation. — Anlehnung an die Freimaurerei. — Behördliche Ver-
bote. — Überlieferungen. - Namen und Grade. — Gesellcnbräuche. —
Bräuche der Köhler und Holzhauer. — Bräuche der Sattler, Schuhmacher,
Hutmacher und Schneider. — Unruhen und Zwistigkeiten.
Der Ursprung der Handwerkervereinigungen reicht in die
Zeit zurück, da die unterdrückten Arbeiter und der vernach-
lässigte Bürgerstand den Wunsch hegten, der Raubsucht des
Feudaladels Widerstand zu leisten, sich den Ertrag der eigenen
Arbeit zu sichern, den Umfang des Geschäfts zu vergröfsem und
dessen Gewinn zu erhöhen, dabei aber auch freundschaftliche
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252
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
Beziehungen unter einander herzustellen. Allein während diese
alten Körperschaften sich gegen den Geburts- und Geldadel
wendeten, blieben sie ihrerseits keineswegs vom Geiste der Oli-
garchie frei. Einst war der Unterschied zwischen Meister und
Geselle kein so ausgeprägter wie später und jetzt. Wie noch
heute vielfach in Mitteleuropa, so wohnte in den ersten Jahr-
hunderten des Mittelalters auch in Frankreich der Geselle bei
seinem Meister und afs an dessen Tisch mit ihm zusammen.
Konnte der Knappe des Ritters im Lauf der Zeit selber Ritter
werden, so durfte der Geselle, sobald er tüchtig geworden, sich
als Meister etablieren, wenn er die erforderlichen Mittel besafs.
Allmählich aber genügten Kapital und Tüchtigkeit nicht mehr zur
Erlangung der Meisterschaft; es wurde auch verlangt, dafs der
Geselle zwei bis drei »Wanderjahre" hinter sich bringe, um sich
zu vervollkommnen und die in verschiedenen Gegenden des
Landes üblichen verschiedenen Arbeitsweisen seines Handwerks
kennen zu lernen. Nach seiner Rückkehr mufste er ein »Meister-
stück" verfertigen; fand dieses den Beifall des Meisterausschusses,
so wurde er Meister; andernfalls durfte er nicht auf eigene Rech-
nung arbeiten, sondern blieb Geselle. So bildeten die Meister
eine dem Gros der Arbeiter feindliche Arbeits-Aristokratie mit
selbstischen Interessen, die denen der Gesellen entgegengesetzt
waren.
Die Folge dieses Zustandes, welcher auch die Absonderung
der Meister von den Gesellen mit sich brachte, war ein Rück-
schlag, der, weil er sich nicht in offener Auflehnung zu äufsern
vermochte, die Gestalt geheimer Brüderschaften mit besonderen
Rechten und Bräuchen annahm. Dazu kam, dafs der an der
Selbständigkeit verhinderte Arbeiter es nicht, wie der Meister,
nötig hatte, an der Scholle zu kleben, sondern von Stadt zu Stadt
und unter Umständen sogar von Land zu Land ziehen konnte,
folglich in die Lage kam, nützliche Erfahrungen zu sammeln, an
denen es ihm fehlen mufste, wenn er immer in einer und der-
selben Werkstätte verblieb. So entwickelte sich der Brauch der
langen »Wanderschaften" in ganz Frankreich, so entstanden die
vielen Gesellenverbindungen („compagnonnage"), deren Bestand
den ansässigen Arbeitern eine Quelle des Vergnügens war, während
sie für den Wanderburschen eine dringende Notwendigkeit bildeten,
weil sie ihm die Möglichkeit boten, sich gegen die Ungerechtig-
keiten der Gesetzgebung und der Meister zu schützen.
Die französischen Gesellenverbindungen erhielten sehr früh
einen freimaurerischen Anstrich. Der »Tempel" der Maurer spielt
auch bei ihnen eine grofse Rolle. Der von dem biblischen
Salomo so grundverschiedene Salomo der Sage ist einer ihrer
Patriarchen. Wie die maurerischen Zeremonien, haben auch die
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Französische Oesellenverbindungen. 253.
der Gesellen viel mit der »sittlichen Baukunst" zu thun, welche
der Tugend Tempel, dem Laster Kerker errichten will. Die Um-
armungen der »compagnons" erinnern an die sinnbildlichen
Händedrücke der Freimaurer, ihre Küsse an den Bruderkufs des
alten Rittertums.
Dafs die ,, com pagnon nage" schon vor Franz I. bestand,
geht aus einem Edikt hervor, welches dieser König — obgleich
er der Schutzherr der Carbonari war (vgl. »Die Carbonari*) -
gegen die Gesellenverbindungen erliefs, um den Mitgliedern zu
verbieten, eidliche Verpflichtungen einzugehen, einen Vorsitzenden
zu wählen, sich in Gruppen von mehr als fünf vor den Werk-
stätten zu versammeln, im Hause der Meister oder in den Strafsen
Stöcke oder Degen zu tragen, Versuche zu Erhebungen zu machen
und bei Beginn oder Beendigung der Lehrzeit Gelage zu ver-
anstalten. Ein Erlafs vom Jahre 1723 untersagt jede »Ver-
einigung, Versammlung, Gemeinsamkeit oder Verbrüderung“ von
Arbeitern. Ein Parlamentsdekret von 1778 erneuert dieses Verbot
und schärft den Schänkenbesitzern ein, weder Ansammlungen
von mehr als vier Gesellen zuzulassen, noch die sogenannte
»Pflicht" (»devoir«) irgendwie zu begünstigen. Ein Beschlufs
der Pariser Geistlichkeit vom Jahre 1655 besagt:
»Die angebliche devoir besteht in den drei Vorschriften,
Gott zu ehren, das Eigentum des Meisters zu schützen und den
Genossen Hilfe zu leisten. Aber die Genossen entehren Gott,
entweihen die Geheimnisse unserer Religion und richten die
Meister zu Grunde, indem sie, wenn einzelne Mitglieder der Ver-
bindung sich über ungerechte Behandlung beklagen, die Arbeiter
zum Verlassen der Werkstätten bewegen. Die Gottlosigkeiten,
die sie begehen, sind in den verschiedenen Gewerben verschieden ;
aber in allen mufs jedes Mitglied vor seiner Aufnahme auf das
Evangelium schwören, weder Vater, noch Mutter, ncch Gattin
oder Kinder, weder Geistliche noch Laien wissen zu lassen,
was es in der Verbindung thun oder erfahren wird. Zu diesem
Zweck wählen sie eine Herberge, die sie »Mutter“ nennen und
in der sie zwei Stuben haben; in der einen vollziehen sie ihre
verabscheuenswerten Riten, in der andern feiern sie ihre Feste.“
Schon früher hatte die Geistlichkeit die Vereinigungen der
Schneider- und der Schuhmachergesellen wegen Ketzerei und
Ehrlosigkeit bei den Pariser Behörden angezeigt und die theo-
logische Fakultät hatte den Arbeitern bei Strafe des grofsen
Kirchenbannes verboten, »verderbliche Versammlungen“ abzu-
halten. Um den Verfolgungen des Pfaffentums zu entgehen,
versammelten sich die Gesellen in denjenigen Teilen des Tempel-
viertels, welche Freistätten bildeten; aber ein Erlafs vom 11. Sep-
tember 1651 vertrieb sie auch von dort.
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254
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
Die „compagnonnage“ zerfiel in zwei grofse Parteien: die
Genossen „der Pflicht“ und die „der Freiheit*. Die letzteren
nannten sich „Kinder Salomos“, die ersteren waren Anhänger
von „Jakob" und „Soubise“. Die „Genossen der Pflicht“ heifsen
nach ihrer Angabe so, weil sie vermeintlich von den Arbeitern
abstammen, die zur Zeit der Ermordung Hirams ihrer Pflicht
treu blieben. Die andre Partei hinwiederum behauptet, dafs ihre
Verbindung von Salomo selbst gegründet worden sei. Nach den
recht verworrenen Überlieferungen der französischen compag-
nonnage baute Salomo den Tempel und war Jakob der Sohn
eines berühmten Baumeisters namens Joachim aus Saint-Romily.
Jakob habe während einer Reise in Griechenland von Salomos
Aufforderung gehört und derselben Folge geleistet. Von Hiram
mit der Errichtung zweier Säulen betraut, habe er sich seiner
Aufgabe mit so grofsem Eifer und Geschick entledigt, dafs er
von Hiram sofort zu seinem Mitmeister gemacht worden sei.
Nach Vollendung des Tempels sei er mit Meister Soubise — in
Jerusalem sein unzertrennlicher Gefährte - nach Gallien zurück-
gekehrt Die auf ihn (Jakob) eifersüchtigen Jünger des Soubise
wollten ihn ermorden, doch flüchtete er in einen Sumpf, dessen
Schilf ihn verbarg. Indes sei er später von den jungen Leuten
wieder entdeckt und umgebracht worden. Soubise, der von dem
Mordplan seiner Jünger keine Ahnung gehabt, habe Jakob lange
betrauert, später auf dem eigenen Sterbebett die „Genossen“ über
ihre „devoir" belehrt und ihnen aufgetragen, bei ihren Riten
zur Erinnerung an Jakob den „Kufs brüderlicher Zuneigung"
einzuführen und ein Schilfrohr aufzubewahren. Das letztere
entspricht der Akazie der Freimaurer. Eine Variante dieser
Legende besagt, dafs Soubise an der Ermordung seines Freundes
Jakob teilgenommen und nachmals aus Verzweiflung einen Selbst-
mord begangen habe. Es liegt auf der Hand, dafs wir es da
mit einer neueren Lesart der Geschichte von Hiram, Osiris und
so vielen anderen Helden und Göttern der antiken Welt zu thun
haben. Die Tempellegende stellt Salomo als an der Tötung
seines Architekten mitschuldig hin.
Die „Kinder Salomos“ bezeichneten und bezeichnen sich
mit verschiedenen Namen. So nennen sich die Steinmetze „Wölfe“;
sie haben zwei Grade: Gesellen und Jünglinge. Die Zimmer-
leute und die Grobschmiede heifsen „Gavots" und sind in drei
Grade eingeteilt: aufgenommene Gesellen, fortgeschrittene Ge-
sellen, eingeweihte Gesellen. Sie alle feiern den Gedenktag des
Todes Hirams. Die „Söhne des Meisters Jakob" legen sich
ebenfalls mancherlei Namen bei, z. B. „Passants», „ Devorants" etc.
Die „Söhne des Vaters Soubise" nennen sich „Drilles" (lustige
Gesellen), „Heitere", „Füchse", „Hunde“. Die letztere Bezeich-
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Französische Gesellenverbindungen. 255
nung soll angeblich an den Hund erinnern, der Hirams Leichnam
entdeckte; wahrscheinlicher ist aber, dafs sie vom Hundsstern
(Sirius) herrührt und dafs »Soubise“ nichts andres ist als eine
Korrumpierung des Bacchusnamens »Sabazius" (vgl. »Eleusinische
Mysterien"). Je gröfser die Zahl der Gewerbe wurde, die sich
der compagnonnage anschlossen, desto mehr Lostrennungen und
Absonderungen erfolgten naturgemäfs; so entstanden die »Re-
bellen", die »Unabhängigen», die »Füchse der Freiheit" etc.
Winkelmafs und Zirkel waren die Symbole der Gesellen-
verbindungen. Die Mitglieder benannten einander mit den Namen
der Gegenden ihrer Herkunft und liefsen sich wechselseitig Hilfe
und Gastfreundschaft angedeihen.. Die Vereinigung vertrat
an den Wanderburschen Mutterstelle; sie gab ihnen im Notfälle
Speise, Trank und Obdach und ermöglichte ihnen so, Arbeits-
löhne, die hinter den marktläufigen zurückblieben, abzulehnen.
Der Einweihungskandidat mufste seine Lehrzeit hinter sich haben ;
er wurde mit den Erkennungszeichen, Losungsworten und Hände-
drücken bekannt gemacht, trug ein Band von bestimmter Farbe
auf dem Hut und in einem Knopfloch und erhielt einen Stock
von bestimmter Länge sowie Ohrringe in Gestalt von Winkel-
mafs und Zirkel. Auf Arm und Brust wurde er mit einem Er-
kennungsmal versehen. Beim Antritt der Wanderschaft begleiteten
seine Freunde ihn zur Stadt hinaus; einer trug ihm das Ränzel,
der zweite sang ein Abschiedslied, dessen Refrain die übrigen
mitsangen, ‘ mehrere nahmen Bierflaschen und Gläser mit. Beim
Abschied w'urden die Flaschen leergetrunken und dann mitsamt
den Gläsern ins Feld geworfen, ln manchen Gewerben befestigte
man bei diesem Anlafs eine der leeren Flaschen an einen Baum
und alle — mit Ausnahme des Fortziehenden — bewarfen sie
mit Steinen. Das sollte den Tod des heiligen Märtyrers Stephanus
durch Steinigung versinnbildlichen. Der Wandergeselle sagte:
»Freunde, ich verabschiede mich von euch, wie sich die Apostel
von Christus verabschiedeten, als sie auszogen, um das Evan-
gelium zu predigen."
Die uralte Verbindung der Köhler, deren Schutzpatron der
heilige Theobald ist, hatte früher drei Grade: Aspirant (»guepier"),
Meister und Hauer. Für den Aspiranten breitete man auf den
Fufsboden ein weifses Tischtuch - aus, auf welches ein Salznapf,
ein Becher Wassers, eine angezündete Fackel und ein Kruzifix
gestellt wurden. Der knieende Kandidat schwor beim Salz und
' beim Wasser einen Verschwiegenheitseid, worauf man ihn lehrte,
wie er die »Brüder“ im Walde erkennen und sich ihnen zu er-
kennen geben könne. Schliefslich wurde ihm die Bedeutung der
Symbole erklärt : das Tischtuch war das Leichentuch, in das jeder
Mensch einmal gehüllt wird; die Fackeln stellten die am Totenbett
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Gesellschaftliche Wiedergeburt.
brennenden Kerzen vor, das Kruzifix die Erlösung, das Salz die
theologischen Tugenden. Dieses düstere Rituale war besonders
im Jura, in den Alpen und im Schwarzwald üblich. Der Kate-
chismus der Holzhauer enthält Stellen von rührender Schlicht-
heit. ln den ungeheuren Forsten verstreut und vereinsamt,
richten sie den Blick auf den Himmel über sich und auf die
Erde unter sich und huldigen einer zärtlich-leidenschaftlichen,
sittlich hochstehenden Brüderlichkeit. Hier eine Stelle voll Ent-
sagung und Menschenliebe:
„Woher kommst du, Vetter der Eiche?«
„Aus dem Walde.«
„Wo ist dein Vater?«
„Erhebe deine Augen gen Himmel.«
„Und wo ist deine Mutter?«
„Blicke auf die Erde.«
„Welchen Kultus weihst du deinem Vater?«
„Huldigung und Verehrung.“
„Was gewährst du deiner Mutter?«
„Im Leben meine Pflege und nachher meinen Leib.“
„Wenn ich Hilfe benötige, was wirst du mir geben?«
„Ich werde meinen Tagelohn und mein bitteres Brot mit
dir teilen; auch sollst du in meiner Hütte ausruhen und dich
an meinem Feuer wärmen.«
Eine Holzhauerverbindung, die sich „Der verlorne Sohn«
nannte, hatte noch düsterere Riten. Drei Thüren eines sym-
bolischen Turmes trugen die Aufschriften: „Die Vergangenheit
täuscht mich«, „ Die Gegenwart quält mich«, „Die Zukunft schreckt
mich." Ein Dreieck mit den Initialen: S. J. P. sollte an die
Weisheit Salomos (S.), die Geduld Hiobs (J.) und die Reue des
verlornen Sohnes (P.) erinnern. Auf der weifsen Schürze war
ein schwarzgerändertes Herz abgebildet, über welches eine rote
Thräne rann — eine blutige Verzweiflungsthräne. Die Schwere
und der Jammer des Lebens wirkte auf die Einbildungskraft dieser
armen Waldbewohner bedrückend. Doch glaubten sie an die
Heilkraft der Zeit und eines ihrer Sinnbilder trug die Inschrift:
„Die Zeit macht allem ein Ende.“ Eine Köhlerverbindung, von
der wir nichts Näheres wissen, hiefs „Weniger Teufel als schwarz",
womit wohl gesagt sein sollte, dafs das rufsige Äufsere ein reines
Innere nicht ausschliefse.
Die Sattler- und Schuhmacherverbindung hatte besondere
Einweihungsfeierlichkeiten. In dem betreffenden Saal oder Gemach
stand ein wohlgezimmerter Altar mit Kruzifix, Gebetbuch und ^
den übrigen gottesdienstlichen Behelfen. Nach dem Gottesdienst,
in welchen allerlei seltsame Phrasen eingeflochten wurden,
empfing der Neuling Unterweisung in den Riten des „devoir«,
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Deutsche Oesellenverbindungen. 2S7
in den Erkennungszeichen und Losungsworten, sowie in der
sinnbildlichen Bedeutung der betreffenden Gegenstände und
Geschmeide. Noch näher standen den antiken Einweihungsriten
die Aufnahmezeremonien der Hutmacher mit ihren »Reinigungen"
und ihren Totensagen, ln einem grofsen Saal sah man auf einer
Estrade ein Kreuz, eine Dornenkrone, einen Palmzweig und die
sonstigen Behelfe der Leidensgeschichte Christi, wie auch ein
grofses Waschbecken voll Wassers. Der Christus darstellende
Kandidat machte dessen verschiedene Leidensstationen durch und
kniete dann vor dem Becken nieder, um sich zum Zeichen seiner
Wiedergeburt durch die Taufe mit dem Wasser übergiefsen zu
lassen. Die ersten Urheber dieser Feierlichkeit hegten gewifs
die besten Absichten, aber im Lauf der Zeit entartete dieselbe
zu einer Bierklubposse. Bei den Schneidern wurde der Auf-
nahmewerber in ein Gemach geführt, in dessen Mitte ein weifs-
gedeckter Tisch stand, auf dem ein Brotlaib, ein umgekippter
Salznapf, drei Hut Zucker und drei Nadeln lagen. Nachdem er
die Leidensstationen Christi zurückgelegt hatte, erfolgte seine
Bewirtung in einem andern Raum, wo angeblich sehr pikante
Gemälde hingen, die die galanten Abenteuer dreier Schneider-
gesellen dargestellt haben sollen.
Die Einweihungszeremonien verliehen den Verbindungen
und deren einzelnen Mitgliedern eine gewisse Wichtigkeit und
trugen viel zur Aufrechthaltung des Gemeingeistes bei. Anderseits
fehlte es innerhalb der compagnonnage nicht an Anmafsung,
Ausschliefslichkeitssucht , Unduldsamkeit , Eifersüchteleien und
heftigen Fehden. Die letzteren führten in Lyon, Marseille und
Bordeaux wiederholt zu argen Unruhen. Um die Mitte des
18. Jahrhunderts standen z. B. die Lyoner Steinmetzgesellen
einander in zwei feindlichen Parteien gegenüber, deren eine die
andre schliefslich aus der Stadt verjagte; der Versuch, zurück-
zukehren, hatte die furchtbarsten Gewaltthätigkeiten zur Folge,
bei denen viel Blut flofs. Auch heutzutage noch kommen
Zwistigkeiten innerhalb des einen oder des andern Gewerbes zu-
weilen vor. Die Pariser Zimmerleute legten ihre alte Fehde erst
vor wenigen Jahren bei; sie einigten sich nämlich dahin, dafs
die »Genossen der Pflicht" nur auf dem rechten Seine- Ufer
arbeiten dürfen, während das linke den »Genossen der Freiheit"
Vorbehalten bleiben soll. Sie halten sich denn auch getreulich
an diese Abmachung. Wie sehr die Gesellen der Pflicht und die
der Freiheit einander einst hafsten, zeigt ein Liedchen, das bei
den ersteren in früheren Zeiten sehr im Schwang war und in
welchem es heifst: »All diese infamen Gavots werden in die
Hölle kommen und dort wie Teufel in den Flammen brennen!"
Heclcethorn- Kätscher, Gehcimbünde u. Gcheimlehren. 17
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Gesellschaftliche Wiedergeburt.
Deutsche Gesellenverbindungen.
Jäger-Redensarten. — Einweihung. — Einweihung eines Böttchers. — Merk-
würdige Bücher über den Gegenstand. — Dascinsgründe der Gesellen-
verbindungen. — Die Zünfte. — Kalandsbrüder.
Die Wälder, in denen Räuber hausten, bargen die ersten
Keime der deutschen Gesellenverbindungen mit ihren rauhen aber
sehr bezeichnenden Sitten. Die Köhler und die Jäger bedurften
gegenseitiger Erkennungsbehelfe, um nicht an Feinde zu geraten.
In den »Altdeutschen Wäldern“ der Gebrüder Grimm finden
wir eine Sammlung von über zweihundert waidmännischen Aus-
drücken und Redensarten. Die Fragen und Antworten der
wandernden Handwerksburschen besitzen eine grofse Ähnlichkeit
mit denen der Waidmänner; die Betonung ist dieselbe und beide
machen einen ausgedehnten Gebrauch von den sinnbildlichen
Zahlen 3 und 7. Die Formeln beziehen sich naturgemäfs auf
das Jagdleben; z. B.:
Frage: Lieber Waidmann,
Was wittert dich heut an?
Antwort: Ein edler Hirsch und ein Schwein,
Was kann mir besser geseyn ?
Frage: Sag' mir an, mein lieber Waidmann,
Warum wird ein Jäger ein Meisterjäger genannt?
Antwort: Ein gerechter und ein gewisser Jäger hat von Fürsten
und Herren die Vergunst,
Er solle genannt werden ein Meister der sieben freien
Kunst.
Frage: Sag' mir, mein lieber Waidmann,
Wo hast du das schöne hübsche Jungfräulein lassen stehn?
Antwort: Ich habe sie gelassen zu Holz
Unter einem Baum stolz,
Unter einer grünen Buchen —
Da will ich sie suchen.
Wohlauf einer Jungfrau in einem weifsen Kleid,
Die wünscht mir heute Glück und alle Seligkeit.
Wohl in demselben Thauschlag
Da seh ich allezeit eben nach.
Da ward ich verwundt,
Da macht mich die schöne Jungfrau gesund.
Ich wünsche dem Jäger Glück und Heil,
Dafs ihm werd’ ein guter Hirsch zu teil.
Die Handwerksgesellen waren mit einander viel inniger ver-
bunden als die Jäger; daher nahmen sie in ihre Brüderschaft
neue Genossen nicht ohne lange und feierliche Erprobungen auf.
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Deutsche Oesellenverbindungen.
259
Ihre Katechismen sind durchweg vom Geiste brüderlicher Zu-
neigung und gewissenhafter Pflichterfüllung - in sittlicher wie
bürgerlicher Hinsicht - belebt. Sie waren in Grade geteilt, und
es ist bemerkenswert, dafs die deutschen Gesellen von jeher mit
den Losungsworten, den Erkennungszeichen und dem Hände-
druck der Freimaurer bekannt waren. Die Maurergesellen zer-
fielen in » Wortmaurer« und »Schriftmaurer"; die ersteren be-
wiesen ihre Kenntnis des Handwerks durch ihre Kenntnis der
Zeichen und Losungsworte, die anderen durch Vorzeigung schrift-
licher Verträge. Es gab Gesetze, welche den Maurermeistern vor-
schrieben, den Gesellen, die sich mit den richtigen Erkennungs-
zeichen und Losungsworten einführten, Arbeit zu geben. Einzelne
Städte besafsen in dieser Beziehung gröfsere Vorrechte als andere;
so z. B. berechtigte die Kenntnis des Wetzlarer Losungswortes
zur Arbeit im ganzen Deutschen Reich. Drei Wanderjahre
waren für den deutschen Gesellen unerläfslich und zumeist trat
er die Wanderschaft im Frühling an. Gegenwärtig giebt es in-
folge der Eisenbahnen, die das Reisen bequemer und billiger
machen, in den deutschen Ländern weit weniger reisende Hand-
werksburschen als früher.
Jedes Handwerk hatte seine eigene Art der Einweihung,
doch ähnelten die Riten und Förmlichkeiten einander selbst-
verständlich vielfach. Wir wollen als ein interessantes Beispiel
die mit der Aufnahme in die Gesellenverbindung der Böttcher
verknüpften Zeremonien schildern. Vor allem wurde um die Er-
laubnis gebeten, den aufzunehmenden Burschen — »Ziegenfeil-
schürze" genannt — in die Versammlung der Genossen einzu-
führen. Der Einführer sagte ungefähr: »Jemand - ich weifs
nicht, wer es ist - folgt mir mit einer Ziegenhaut: ein Fafs-
daubenmörder, ein Holzverderber, ein Verräter. Er steht auf der
Schwelle und erklärt sich unschuldig. Er tritt herein und ver-
spricht, ein guter Geselle zu werden, nachdem wir ihn roh be-
hauen haben werden.“ Die Erlaubnis wurde erteilt, der Bewerber
setzte sich auf einen auf dem Tisch stehenden Schemel, von dem
die Anwesenden ihn hinunterzuwerfen trachteten. Der Einführer
hielt ihn jedoch aufrecht und nun folgte die Biertaufe. Sodann
wurde der Neuling aufgefordert, sich »einen feinen, kurzen
Namen“ zu wählen, »der den Mädchen gefällt“, sowie sein
Scherflein zu den Kosten der Biertaufe beizutragen. Auch er-
teilte man ihm zahlreiche Weisungen bezüglich seines Verhaltens
auf der Wanderschaft. Er sollte sich von den anfänglichen
Schwierigkeiten nicht abschrecken lassen. Diese stellte man sich
folgendermafsen vor.
Nach Durchquerung eines von Gefahren erfüllten Forstes
erreicht der Wanderbursche eine freundliche Wiese, auf der er
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Gesellschaftliche Wiedergeburt.
einen vollbehangenen Birnbaum erblickt. Soll er sich unter
diesem niederlegen und warten, bis ihm die verlockenden Früchte
in den halbgeöffneten Mund fallen? Soll er auf den Baum
steigen? Nein, sonst würde der betreffende Landwirt ihn sehen
und durchprügeln. Er soll den Baum schütteln, sich mit der
herabfallenden Frucht erfrischen und etwas liegen lassen für
einen möglicherweise nachkommenden Genossen, der vielleicht
nicht kräftig genug sein würde, den Baum zu schütteln. Weiter-
wandernd, gelangt er zu einem Strom, dessen Brücke blofs aus
einem Baumstamm besteht. Auf diesem begegnet er einem
jungen Mädchen mit einer Ziege. Was soll er thun? Das
Mädchen und die Ziege ins Wasser stofsen, um seinen Weg fort-
setzen zu können? Nein, sondern die Ziege auf die Schulter,
das Mädchen auf den Arm nehmen und so die Brücke über-
schreiten. Später kann er das Mädchen heiraten, die Ziege fürs
Hochzeitsmahl schlachten und sich aus ihrem Fell eine Schürze
machen lassen. Nach der Ankunft in einer Stadt soll er in der
von einem Böttchermeister gehaltenen Herberge einkehren und
auf seiner Hut sein, falls das Wirtstöchterlein ihm den Weg zu
seinem Schlafzimmer zeigt. Am nächsten Tag soll er auf die
Suche nach Arbeit ausgehen. Vielleicht bietet sich solche bei
drei Meistern : der erste ist reich an Holz und Reifen, der zweite
hat drei hübsche Töchter und bewirtet seine Gesellen reichlich
mit Bier und Wein, der dritte aber ist arm. Bei welchem soll
der Wanderbursche einstehen? Beim ersten würde er wahr-
scheinlich ein tüchtiger Böttcher werden; beim zweiten wäre er
glücklich, denn er könnte viel trinken und mit den schönen
Mädchen tanzen. Aber er solle ebenso bereit sein, für den armen
Meister zu arbeiten wie für die anderen.
Nach dem Empfang dieser und vieler ähnlichen Belehrungen
läuft der Neuling auf die Strafse und schreit »Feuer!“ Die Ge-
nossen halten ihn zurück und begiefsen ihn reichlich mit kaltem
Wasser. Den Schlufs der Feierlichkeiten bildet eine Mahlzeit
Es giebt viele deutsche Bücher über die merkwürdigen
Sitten und Bräuche in den verschiedenen Handwerken. Eines
betitelt sich:
»Neu verbesserter Müller Ehren-Krantz;
Oder rechtgemessener Urkund
Von dem wahrhaftigen Cirkels Grund.
So dem Mühlhandwerk zu Ehren gethan
Ein Mühlknapp namens Georg Bohrmann.“
Wir geraten da in maurerischen Symbolismus hinein. Ein
Holzschnitt zeigt einen Kreis mit mystischen Sätzen, und die Er-
läuterung besagt, dafs alles aus oder durch den Kreis erschaffen
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Deutsche Oesellenverbindungen.
261
worden sei. Dann folgt die Geschichte der Bäcker auf Grund
der Bibel, ferner eine poetische Reiseschiiderung mit Beschrei-
bungen der berühmtesten Mühlen von Schlesien, Mähren, Ungarn,
Böhmen, der Lausitz etc Die Namen der angeblich berühmtesten
drei Müller, die je gelebt, sind in einem Dreieck wiedergegeben.
Das Werk schliefst mit einer Anrufung des Baumeisters des Welt-
alls. Ein anderes Buch behandelt die »Gebräuche des ehrsamen
Bäckergewerbes. Wie Jedermann sich in der Herberge und bei
der Arbeit betragen soll. Gedruckt zu Nutz und Frommen der
Wanderburschen". Der Titel eines dritten • lautet: »Ursprung,
Alter und Ruhm der ehrsamen Kürschnerzunft. Eine genaue Be-
schreibung filier Formalitäten, die seit undenklichen Zeiten bei
den Einweihungen der Meister und den Prüfungen der Gesellen
beobachtet wurden. Alles getreulich geschildert von Jakob
Wahrmund. « Sämtliche Zünfte pflegen sich eines hohen Alters zu
rühmen, des höchsten jedoch die Kürschner, denn sie sagen, Gott
selber sei schon zu Adams Zeiten ein Kürschner gewesen, denn
nach der Bibel habe er für Adam und Eva nach dem Sündenfall
Fellschürzen gemacht.
Man könnte die Gesellenverbindungen eine Arbeitsritter-
schaft nennen. Ihre Riten, Symbole und Überlieferungen sind
blofs ihre greifbare Form. Einer ihrer Daseinsgründe lag in der
Notwendigkeit, dafs die Arbeiter bei Ankunft in einer ihnen noch
fremden Stadt gleichsam Freunde finden und eine »Ansprache“
haben, widrigenfalls sie infolge der Ausschliefslichkeit der fest-
gefügten Zünfte auf sich selbst angewiesen gewesen wären. Ein
zweiter Daseinsgrund war in der Möglichkeit zu suchen, etwaige
Bedrückungen seitens der Meister mit vereinten Kräften zu be-
kämpfen, überhaupt durch gemeinsames Zusammenwirken un-
gleiche Kräfte auszugleichen. Aus demselben Grunde entstanden
im Mittelalter - in welchem die Regierungen zum Bedrücken ge-
rade genug stark, zum Beschützen aber zu ohnmächtig waren, so
dafs der einzelne schutzlos der Willkür preisgegeben blieb —
in manchen Ländern geheime Gesellschaften für Recht, Gerechtig-
keit und Sicherheit.
Die Zünfte hatten den gleichen Ursprung; doch kann man
sie, obwohl sie ihren Einflurs oft insgeheim ausübten, nicht zu
den Geheimgesellschaften rechnen. Nicht selten bedienten sich
Könige ihrer im Kampf gegen die Aristokratie. So z. B. Ludwig
der Fette, der selber einen Verein gründete, die »Volksgemeinde",
welche die Aufgabe hatte, dem feudalen Raubritterwesen zu
steuern. Während in England die Einführung des Maschinen-
betriebs in die Industrie das Kleingewerbe bereits fast ganz ver-
drängt hat, wodurch das alte Verhältnis zwischen Meister und
Gesellen aufgehört hat, lebt dieses Verhältnis in anderen Ländern
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Gesellschaftliche Wiedergeburt.
— namentlich in Deutschland und Österreich-Ungarn — noch in
ziemlicher Ausdehnung fort.
Im 12. Band von Hermann Rolletts »Neuen Beiträgen zur
Chronik der Stadt Baden bei Wien“ (Baden 1899) finden wir
den wörtlich folgenden interessanten »Färberbrauch bei Ein-
wanderung fremder Gesellen“, der in Wien an Sonntagen in der
Herberge bis 1848 in Übung war:
1. Alt Gesell. Als mit Vergunst, ihr Bursch und du mein
lieber Bruder, so wollt ich dich im Namen der ganzen löblichen
Brüderschaft befragt haben , ob du und deine Mitgesellen , von
mir und meinen Mitgesellen, ein öffentliches Geschenk begehrst,
für gut anzunehmen, oder nicht.
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, ja freilich, warum nicht.
2. Alt Gesell. Als mit V'ergunst, ihr Bursch und du mein
lieber Bruder, es ist allzeit allhier in dieser k. k. Residenzstadt
Wien der Gebrauch gewesen, wenn fremde Gesellen eingewandert,
oder einer von seinen Meister oder Wittfrau Feierabend bekommen
oder genommen hat, so ist ihnen allzeit von mir und meinen
Mitgesellen ein öffentliches Geschenk, Ehr und Gutthat erzeugt
und erwiesen worden; solches habe ich und meine Mitgesellen
nicht aufgebracht, solches werde ich und meine Mitgesellen nicht
abbringen, wir wollen es beim alten verbleiben lassen. Als mit
Vergunst, ihr Bursch und du mein lieber Bruder, so wollt ich
dich im Namen der ganzen Brüderschaft befragt haben, wo hast
du das Handwerk gelernt.
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, ich habe es in Baden
bei Wien gelernt
3. Alt Gese I. Als mit Vergunst, wo hast du das letzte
mahl gearbeitet?
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, ich habe in Potsdam
bei Berlin gearbeitet
4. Alt Gesell. Als mit Vergunst, was ist dir von Meister
und Gesellen anbefohlen worden?
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, es ist mir nichts an-
befohlen worden, als Liebs und Guts und einen freundlichen
Grufs, habe ich den Einen oder Anderen nicht gebracht, so bin
ich ihn noch schuldig zu bringen, darauf wünsch ich Euch Ihr
Brüder einen guten Tag, Glück zu wegen des Ehrsammen Hand-
werk, Meister und Gesellen von Potsdam, lassen Euch Brüder
ganz freundlich grüfsen, wegen des Ehrsammen Handwerk.
Gesellen in Arbeit. Wir sagen Meister und Gesellen Dank,
dir auch Willkommen wegen des Ehrsammen Handwerk.
15. Alt Gesell. Als mit Vergunst, ihr Bursch und du mein
lieber Bruder, so sollt ihr auch wissen, was auf unseren öffent-
lichen Geschenk für Gewohnheit gehalten werden, es geht vor
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Deutsche Oesellenverbindungen.
263
den Geschenk eine Umfrage herum, wenn Einer oder der Andere,
auf Einen etwas weis, so kann er solches vermelden und anzeigen,
weil das öffentliche Geschenk vorhanden, der Willkum [Trinke
gefäfs], Bier und Brod, auf den Tisch steht und eine ganze löb-
liche Brüderschaft bei einander versammelt ist; wofern aber Einer
oder der Andere nichts weis, so wollt er stille sein, fröhlich guter
Dings zu sein, desgleichen werd ich auch mit Ihm zu sein. Als
mit Vergunst, sei gebethen, und beantworte die Anfrage.
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, dafs ich meine Anfrage
sage, ihr gunsthaftige Burschen, junge und alte zugleich, wie uns
der liebe Gott,' heutigen Tages, so wunderbarlicher Weise, bei-
einander versammelt hat, so weis ich auf Einen gut Ehrlichen
Gesellen nichts, als Liebs und Guts, was Treu und Ehr zusteht,
ist aber ein gut ehrlicher Gesell vorhanden , der etwas wieder
mich weis, dafs ich etwas über das ganze löbliche Handwerk
gethan oder verbrochen habe, so wollt er solches vermelden, und
anzeigen, wofern er aber nichts weis, so wollt er stille sein, fröh-
lich guter Dings zu sein, desgleichen werd ich auch mit Ihm zu
sein; als mit Vergunst, weiter weis ich nichts, als was Treu und
Ehr zusteht.
6. Alt Gesell. Als mit Vergunst, hast ausgeredt?
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, ja!
Alt Gesell. Als mit Vergunst, setz dich nieder, sollst Aus-
geschenkt werden, nach Handwerksgebrauch und Gewohnheit.
7. Alt Gesell. Als mit Vergunst, ihr Bursch und du mein
lieber Bruder, so sollst auch wissen, was auf unseren öffentlichen
Geschenk für Artikeln verbothen sind. Als mit Vergunst zum
1. mahl, wer den öffentlichen Willkumm ohne Vergunst angreift,
aufhebt oder niederstellt, der soll in der Gesellen Straffe sein.
Als mit Vergunst zum 2. mahl, wer den öffentlichen Willkum
angreift, eh er seinen Groschen erlegt hat, der soll in der Ge-
sellen Straffe sein. Als mit Vergunst zum 3. mahl, wer Gottes
Gaben mifsbraucht, der soll in der Gesellen Straffe sein. Als
mit Vergunst zum 4. mahl, wer mehr Bier verschüttet, als er mit
der Hand verdecken kann, der soll in der Gesellen Straffe sein.
Als mit Vergunst zum 5. mahl, wer flucht oder schwört, unter
den Geschenk, der soll in der Gesellen Straffe sein. Als mit
Vergunst zum 6. mahl , wer ohne Vergunst aufsteht oder gar
hinausgeht, der soll in der Gesellen Straffe sein. Als mit Ver-
gunst zum 7. mahl , wer Handschuh oder Blaufarbstab während
den Geschenk fallen läfst, der soll in der Gesellen Straffe sein.
Als mit Vergunst zum 8. mahl, wer mit Augen winkt, mit Finger
zeigt, oder mit Füfsen stofst, der soll in der Gesellen Straff sein.
Als mit Vergunst zum 9. mahl, wer Karten oder Würfeln begehrt,
unter den Geschenk, der soll in der Gesellen Straffe sein. Als
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Gesellschaftliche Wiedergeburt.
mit Vergunst zum 10. mahl, wer von den öffentlichen Willkum
einen Schild herunter fallen läfst, der soll in der Gesellen Straffe
sein. Als mit Vergunst zum 11. mahl, wer ein Glas Bier unter
währenden Geschenk mit Absatz stehen läfst, der soll in der Ge-
sellen Straffe sein. Als mit Vergunst zum 12. mahl, wer unter
den Geschenk den Alt Gesellen in die Rede fällt, ein Wochen
Lohn ohne Gnad. Als mit Vergunst, ihr Bursch und du mein
lieber Bruder, es sind die Artikel so viel, dafs ich nicht alle
sagen kann; darnach wirst du dich zu richten wissen, und vor
Schaden zu hütten, darauf stell ich dir den öffentlichen Willkum
vor, wird dir vorgestellt von mir als Alt Gesell 'im Namen der
ganzen löblichen Brüderschaft, es ist dir auch zu. getrunken
worden von denjenigen Gesellen, die vor 8 oder 14 Tagen hier
ausgeschenkt wurden, und wirst bescheid thun, auf diejenigen
Gesellen, die noch auf frischer grünen Haide lauffen; hilf Gott,
das Sie möchten herein kommen, damit sie auch aus diesen Will-
kum einen Trunk daraus bescheid thun, ist es nicht aus diesen,
so ist es aus einen Anderen, dann trink ihn aus, trinkst du ihn
nicht aus, so erlegst du deinen Groschen, den wir haben unser
Bier und Brod nicht zu Verschenken, wir müssen es den Herbergs-
vater und der Frau Mutter mit baarem Gelde bezahlen.
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, ihr Bursch und du
mein lieber Bruder Alt Gesell, ich bin ein schwacher Trinker,
ich bin den Trunk nicht gewohnt, hier erleg ich meinen Groschen.
Als mit Vergunst ergreiffe ich den öffentlichen Willkum und
trinke auf das Wohl allen Arbeits Gesellen, so wie auch auf die
Gesellen, die noch auf frischer grüner Haide lauffen, Hilf Gott,
dafs Sie möchten hereinkommen, damit Sie auch aus diesen Will-
kum einen Trunk daraus bescheid thun, ist es nicht aus diesen,
so ist es aus einen Andern.
8. Alt Gesell. Als mit Vergunst, ihr Bursch und du mein
lieber Bruder, lafs dir unser Bier und Brod wohl schmecken,
seid Ihr gern bei uns, so sind wir gern bei Euch. Nimm ein
bischen Brod, stecks in Salz, und dann im Hals, dann schmeckt
der Trunk darauf.
Fremder Gesell. Als mit Vergunst, euer Bier und Brod
und eure Weis, gefällt mir wohl, seid Ihr gern bei uns, so sind
wir gern bei Euch.
9. Alt Gesell. Als mit Vergunst, defswegen sollt Ihr grofsen
Dank haben, dafs Ihr gerne bei uns seid.
Fremde Gesellen. Als mit Vergunst, defshalb sind wir
auch so stark gelauffen.
10. Alt Gesell. Als mit Vergunst, ihr Bursch und du mein
lieber Bruder, so wünschen wir dir und deinen Mitgesellen, viel
Glück und Heil auf den Weg. Grüfs Meister und Gesellen, wo
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Deutsche Gesellenverbindungen.
265
das Handwerk Redlich und Ehrlich ist, wenn es nicht Redlich
und Ehrlich ist, hilf es Redlich und Ehrlich machen, hilf Straffen
nach billigen Sachen, straff dafs der Beutel kracht, und das Herz
im Leibe lacht, gieb aber acht, dafs es dich und deine Mitgesellen
nicht schuldig macht.
Im 13. Jahrhundert gab es in ganz Mitteleuropa - insbe-
sondere in Deutschland, Frankreich und Ungarn - ,, Kalands-
brüder*, die Wohlthätigkeit übten, unentgeltlich Totenmessen
lasen und bei ihren Zusammenkünften geselligen Vergnügungen
huldigten. Da sie ihre Versammlungen immer am 1. jeden
Monats abhielten, nannten sie sich » Kalandsbrüder", denn bei den
Römern hiefs der Monats-Erste »calendae", woher übrigens auch
das Wort »Kalender“ stammt. Männer (auch Priester) und Frauen
hatten Zutritt, nur Mönche und Nonnen nicht. Die »Brüder“
waren trotz ihres Messelesens offenbar keine Kostverächter — das
geht aus ihren nachstehenden Tischgesetzen hervor:
Der Wirt soll geben zur Not
Out Bier und gut Brot;
Vier gute Schüsseln zurichten,
Die er mit nichten
Darf gar übermehren.
Kuchen, Käse, Nüsse, Beeren —
Dergleichen reicht man wohl hinterdrein,
Sonst nichts. Auf keinerlei Weis’ soll man Wein
Zum Kaland schenken,
Ihn irgendwie durch Willkür kränken.
Doch ist es zweifelhaft, ob diese Enthaltsamkeit auch wirk-
lich stets geübt wurde, denn später erhielten die Kalandsbrüder
den Spitznamen »Feuchte Brüder" und »kalendern“ bedeutete so
viel wie reichlich trinken. Noch heute hat die Volkssprache
mancher Gegenden für »schmausen“ den Ausdruck »kalendern".
Geistliche, die zur Gesellschaft gehörten, hiefsen »Kalandsherren“.
Nach der Reformation starb die Vereinigung allmählich ab.
Über ihre Gebräuche und Erkennungszeichen wissen wir nichts
Näheres. Das Berliner Bürgergefängnis pflegte man »Kalands-
halle« zu nennen, weil das Gebäude ursprünglich den Kalands-
brüdem als Versammlungsort gedient hatte.
Deutsche Studenten.
Der deutsche »Bursche* (vom mittelhochdeutschen »burse",
d. h. »bursarii*, da die Schulgebäude »bursae* hiefsen) be-
trachtet die Bevölkerung seiner Universitätsstadt als »Philister*
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Gesellschaftliche Wiedergeburt.
und reibt sich nicht selten an ihr. Es giebt zweierlei Studenten-
verbindungen: die Burschenschaften, denen Söhne aller Gegenden
oder Länder angehören können, und die Landsmannschaften,
die nur Söhne einer bestimmten Provinz oder eines bestimmten
Staates aufnehmen. Jede Verbindung hat ihre eigenen Satz-
ungen und Funktionäre, sämtliche aber haben einen gemein-
samen Komment. Die Nicht-Korpsstudenten werden von den
Korpsstudenten geringgeschätzt und »Kameele", »Finken“ u. dgl.
genannt Die »Frösche" (so nennt man die Gymnasiasten) dürfen
an den Zusammenkünften der »Burschen“ nicht teilnehmen. Die
Neulinge wurden in alten Zeiten »Pennale» genannt, weil sie
den älteren Studenten die Federbüchsen .nachtragen mufsten;
später erhielten sie wegen ihrer Furchtsamkeit den Scherznamen
»Füchse“; hat ein Anfänger vom Hause viel Geld mitgebracht,
so heifst er »Goldfuchs“. Im zweiten Semester rückt der »Fuchs"
unter komischen Zeremonien zum »Brandfuchs" auf, im zweiten
Jahrgang zum »Jungbursch", im dritten zum » Altbursch"; später
wird er ein »altes Haus» oder ein »bemoostes Haupt“. Die Er-
probungen beim Aufrücken bestehen hauptsächlich in tüchtigen
Trink- und Rauchleistungen; drohender »Katzenjammer“ darf
nicht vom Trinken bis zur Sinnlosigkeit abschrecken. Der
»Fuchs» trachtet, ein »flotter Bursch» zu werden und ist stolz,
wenn ein »altes Haus» ihn zu seinem »Leibfuchs" macht.
Beleidigt ein »Philister" einen Korpsstudenten, so kommt
er in »Verruf». Früher traten die Burschenschaften oft zusammen
mit ihren »Stiefelwichsern* gegen die Bürgerschaft auf. Der Ruf
»Burschen 'raus!» pflegte die kleinen deutschen Universitätsstädte
in Schrecken zu versetzen. Zuweilen (wie in Göttingen 1823,
in Halle 1827, in Heidelberg 1830 etc.) bestraften die Studenten
die zum grofsen Teil von ihnen lebende Stadt dadurch, dafs sie
streikten, d. h. abreisten und erst nach Erfüllung ihrer Beding-
ungen zurückkehrten. Die ihnen solchermafsen geleistete Genug-
tuung war manchmal eine recht ausgiebige. Die Tabakpfeife
heifst »Stinktopf», die Bürgertöchter sind »Geier», die Freuden-
mädchen »Besen», die Gläubiger »Manichäer». Die Korps-
studenten verbringen einen grofsen Teil ihrer Zeit mit dem Rauchen,
dem Kneipen, den Mensuren u. s. w.; das richtet häufig ihre
Gesundheit zu Grunde, hindert sie in sehr vielen Fällen jedoch
nicht daran, etwas Tüchtiges zu lernen und es im Leben recht
weit zu bringen.
Bis tief ins 1 7. Jahrhundert hinein war die Immatrikulierung
mit Bräuchen verbunden, die in vielen Punkten lebhaft an die
Einweihungsriten der antiken Mysterien erinnern. Damals nannte
man den noch nicht eingeschriebenen Zukunftsstudenten »beanus»
(eine Korruption des französischen Wortes bec jaune oder be-
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Deutsche Studenten.
267
jaune = Gelbschnabel). Der beanus stellte sich dem Fakultäts-
Dekan mit der Bitte um Aufnahme vor. Sobald eine gewisse
Mindestzahl von beani beisammen war, bestimmte der Dekan
einen Tag zur Feier der Einschreibung (depositio). An diesem
Tag erschien aufser den »Gelbschnäbeln“ der »Einschreiber"
(depositor) mit seinem Handwerkszeug und einem Amanuensis
vor dem Dekan, legte Hanswurstkleider an, hiefs die jungen
Leute dasselbe thun und »schmückte" sie dann noch mit Scherz-
artikeln, namentlich gehörnten Hüten und Kappen. Auch ver-
teilte er unter sie Scheren, Holzkämme, Äxte, Hobel, Beile,
Sägen, Rasiermesser, Spiegel, Schemel und andere Gegenstände.
Nun stellte er die beani in Reih und Glied auf und marschierte
an ihrer Spitze in den Festsaal, wo er an den Dekan und das
aus Studenten bestehende »Publikum“ eine Ansprache hielt
Darauf schlug er mit einem Kleien- oder Sandsack auf die beani
los, die unter komischem Geberdenspiel hin und her sprangen,
um den Schlägen zu entgehen. Weiter stellte er ihnen eine An-
zahl von Fragen und gab ihnen Rätsel auf; wer nicht rasch
antworten konnte, wurde mit dem Sack geprügelt, bis ihm Thränen
in die Augen traten. Jetzt gaben sie ihm die vorhin empfangenen
Gegenstände zurück und legten sich derart auf den Fufsboden
nieder, dafs ihre Köpfe einander fast berührten. Der Einschreiber
machte sich nun daran, ihnen im Scherz die Schultern zu hobeln,
die Nägel zu feilen, die Füfse abzusägen, die Ziegenhörner ab-
zuhauen, die — früher eigens in den Mund gesteckten - Satyr-
zähne mit grofsen Zangen auszuziehen u. s. W. u. s. w. Demnächst
mufsten sie sich auf lehnenlose, einbeinige Stühle setzen; der
Einschreiber band ihnen schmutzige Servietten vor, seifte sie mit
Ziegelstaub oder Schuhwichse oder noch unangenehmeren Dingen
ein und rasierte sie so scharf, dafs sie oft weinten. Das sodann
folgende Kämmen mit den Holzkämmen fiel recht rauh aus und
das Haar wurde mit Hobelspänen bestreut Nach all diesen »Er-
probungen« verjagte der Einschreiber die jungen Leute mittels
des Kleien- oder Sandsacks aus dem Saal, legte seinen possen-
haften Anzug ab, zog seine gewöhnlichen Gewänder an und be-
fahl den beani, das Gleiche zu thun, worauf er sie in den Saal
zurückführte, um sie in kurzer lateinischer Rede dem Dekan zu
empfehlen, der ebenfalls lateinisch antwortete, mit guten Rat-
schlägen nicht sparte, jedem einige Salzkörner - als Sinnbild
der Weisheit — zu essen gab, ein paar Tropfen Weines über
ihre Köpfe sprengte und ihnen endlich das schriftliche Ein-
schreibungszeugnis einhändigte. An der Altdorfer Universität, die
1809 mit der Erlanger vereinigt wurde, soll die »depositio« —
wie man diese Zeremonie nannte - sogar noch 1763 vollzogen
worden sein.
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26S
Gesellschaftliche Wiedergeburt.
Diese Studenteneinweihungen, in denen Luther eine symbo-
lische Darstellung der Mifshelligkeiten und des Ungemachs des
Menschenlebens erblickte, weisen eine unverkennbare Ähnlichkeit
mit den Einweihungen der alten Mysterien und der Freimaurerei
auf. Die etwas rohen Verkleidungsspäfse und Erprobungen gleichen
in vielen Punkten denen gar mancher Oeheimbünde. Wer eine
treffliche und köstliche Satire auf das deutsche Studentenleben
lesen will, dem seien E. T. A. Hoffmanns » Lebensansichten des
Katers Murr" empfohlen.
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ZEHNTES BUCH.
POLITISCHE
GEHEIMGESELLSCHAFTEN.
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Chinesische Geheimgesellschaften.
Die frühesten geheimen Gesellschaften Chinas. — Die Gelbmützen. — Die
Weifse Lilie. — Die Familie der Himmelskönigin. — Der Hung-Bund. —
Neuere Gesellschaften. — Der Taeping-Aufstand. — Der Ghi-Hin-Bund.
- Logen. — Organisation. — Aufnahme von Mitgliedern. — Siegel des
Hung-Bundes. — Ko-lao-Hui. — Tschen-kin Lung. — Ausrottungsversuche.
Der älteste chinesische Geheimbund, von dem wir Kenntnis
haben, bestand gegen das Ende der Han-Dynastie (etwa 185 n.
Chr.). Drei verbündete Patrioten verteidigten damals den Thron
gegen die aufrührerischen »Gelbmützen“, einen Geheimbund,
dem die Blüte der »Literaten« angehörte. Seither gab diese
Gesellschaft nur selten ein Lebenszeichen; aber im Anfang des
achtzehnten Jahrhunderts verpflichteten sich fünf Mönche und
sieben Laien eidlich, die gegenwärtige tatarische Tsing- Dynastie
zu stürzen und die frühere chinesische Ming-Dynastie wieder ein-
zusetzen. Diese Verschwörer besiegelten ihren Eid dadurch, dafs
sie ihren eigenen Armen Blut abzapften, es mischten und aus-
tranken. Sie gründeten den Bund der Weifsen Lilie (pe-lin-kiao)
und bauten auf eine Weissagung, die dahin ging, dafs einer von
ihnen Kaiser werden werde. Die Anführer waren ein gewisser
Wang-Iung und ein Bonze Namens Fan-ui. Der erstere nahm
die Stadt Schu-tschang-hien ein, wurde aber bald vertrieben, ver-
haftet und nebst vielen seiner Anhänger hingerichtet. 1777 tauchte
die pe-lin-kiao wieder auf, jedoch nur, um bald eine grofse
Niederlage zu erleiden, nach welcher man den Rädelsführern —
unter denen sich auch zwei Frauen befanden — die Köpfe ab-
schnitt, die dann in Käfigen öffentlich zur Schau gestellt wurden.
Auch im Jahre 1800 verschworen sich zwei Geheimgesell-
schaften erfolglos gegen die herrschende Dynastie: die „Wunder-
bare Vereinigung" und die Tsing-lien-kiao. Die letztere hielt
man für eine Fortsetzung der Pe-lin-kiao unter anderem Namen.
Während der Regierungszeit des Kaisers Kia-King (1 799 - 1 820)
entstand die „Familie der Himmelskönigin" (Th’ien-hamo-hoi'h),
272
Politische Geheimgesellschaften.
die ihren Sitz im Süden des Reiches hatte und auch in Korea,
Siam und Kochinchina verbreitet war. Entdeckt und scheinbar
ausgerottet, lebte diese Gesellschaft als der »Große Hungbund“
wieder auf. »Hung" heifst Flut und dieser Name sollte an-
deuten, dafs der Bund die Erde überschwemmen werde. Damit
es den Anschein habe, dafs nicht alle seine Mitglieder zu einer
und derselben Vereinigung gehören, erhielten die Zweige ver-
schiedene Namen, darunter diejenigen einiger früherer Geheim-
gesellschaften — z. B. Dreieinigkeitsverein, Halle des blauen
Lotus, Bezirk der goldenen Orchidee u. dgl. m. Diese Ableger
erregten bald die Aufmerksamkeit der Regierung, von der sie
eine Zeitlang im Schach gehalten wurden.
Um 1826 herum hatte der Hung-Bund ein Oberhaupt
namens Kwang San, der sich zumeist in dem Bergwerksbezirk
von Lukut aufhielt, wo besonders viele Bundesgenossen lebten.
Einmal soll er, um sich in eine wilde Stimmung zu versetzen,
die mit Wein vermengte Galle eines Ermordeten ausgetrunken
haben.
Die Leitung des Hungbundes lag in den Händen dreier
Personen: des eigentlichen Oberhauptes, Koh genannt (= »des
Älteste“), und der beiden Hiong Thi (-=> »jüngere Brüder“). Die
auf der Halbinsel Malakka bestandenen Zweigvereine nannten
ihre je drei Leiter Tai-koh (= »ältester Bruder"), Ji-koh (•= »zweiter
Bruder“) und San-Koh (— »dritter Bruder"). Den Verschwiegenheits-
eid mufste der Aufnahmebewerber vor einem Götzenbild knieend
leisten. Während seines Schwures mufsten auch die beiden
Hiong Thi niederknieen — der eine zu seiner Rechten, der
andre zu seiner Linken — um zwei scharfe Schwerter in der Form
eines Dreiecks über sein Haupt zu halten. Der Eid bestand aus
36 Punkten, deren wichtigster der folgende war: »Ich schwöre,
dafs ich weder Vater noch Mutter, weder Bruder noch Schwester,
weder Gattin noch Kind, sondern ausschließlich die Brüderschaft
kennen werde. Wohin diese führt oder wo diese verfolgt, werde
ich folgen oder verfolgen; ihre Feinde werden meine Feinde
sein." Zur Bekräftigung des Eides schnitt sich der Kandidat in
einen Finger und liefs drei Blutstropfen in eine Schale Arrak
träufeln; die drei Oberhäupter thaten nun dasselbe und leerten
dann die Schale. Zur weiteren Verstärkung des Schwures köpfte
der Neuling einen weifsen Hahn, womit angedeutet werden
sollte, dafs auch er seinen Kopf verlieren würde, falls er sich als
treulos erwiese.
1850 machte der berühmte Rebellenführer Tae-ping-wang
einen neuerlichen Versuch, die Ming-Dynastie wieder einzusetzen,
von welcher abzustammen er vorgab. Er nannte sich »König
des Friedens" und erklärte, der jüngere Bruder Christi und mit
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Chinesische Geheimgesellschaften.
273
der Aufgabe betraut zu sein, ein »Weltreich der Getreuen“ zu
errichten. Er hatte sicherlich keine Kenntnis von den Schwärmereien
der europäischen Rosenkreuzer, die in ihrer »Thesaurinella chymica-
aurea“ das Erscheinen einer geheimnisvollen Persönlichkeit weis-
sagten - des Elias Artista, der die Herrschaft Christi in einer
neuen Welt aufrichten werde; dennoch gab er (Tae-ping-wang)
sich für eine ähnliche Persönlichkeit aus.
Nach der Niederlage und dem Tode dieses merkwürdigen
Mannes hörte man nichts mehr von der Hung-Liga, bis im Früh-
ling 1863 die Polizei bei einer Haussuchung in Padang auf
Sumatra - der betreffende Chinese war eines Diebstahls ver-
dächtig - zufällig ein Packet aufstöberte, das die Satzungen,
Eidesformeln, Einweihungsgeheimnisse, Sinnbilder- Erklärungen,
geheime Zeichen, die Beschreibung der Fahnen, den Katechis-
mus etc. des Bundes enthielt. So erfuhr man, dafs dieser noch
bestehe und 1870 trat er wieder thätig auf. Damals nahm sein
Wirken namentlich in Sarawak so bedrohliche Formen an, dafs
die Regierung ein Gesetz schuf, welches schon die blofse That-
sache der Mitgliedschaft mit dem Tode bestrafte. Die Unruhen,
welche 1872 in Singapore ausbrachen, wurden von den Zweigen
der Liga in den Straits-Settlements angezettelt; damals waren die
Hauptrebellen die »sam-sings" (= »kämpfende Männer“), die für
die Strafsenhausierer eintraten, gegen die die Behörden äufserst
strenge Mafsregeln getroffen hatten. Der Bund, welcher sich
stets vieler Morde, Brandlegungen, Folterungen und Verstümme-
lungen schuldig gemacht hat, entwickelte in den Jahren 1883 und
1885 abermals eine recht lästige Thätigkeit. Namentlich die
»Schwarzflaggen" — Überbleibsel der Tae-pings — und die
»Weifsen Lilien“ traten eifrig gegen die Tsing-Dynastie auf. Die
Polizeiberichte aus Perak — einem Schutzstaat auf der Halb-
insel Malakka besagten, dafs i. J. 1 888 geheime Gesellschaften
»endlose Verwirrung und Angst erzeugten“, obgleich ein Jahr
vorher vier Mitglieder der Ghi-Hin-Vereinigung wegen ihrer
Vertretung der Interessen dieses Bundes zu zwanzig Jahren Ge-
fängnis verurteilt worden waren. Die Hälfte der in Perak leben-
den Chinesen gehört geheimen Gesellschaften an.
Die »Straits Times“ vom 1 7. September 1889 enthielt einen
ausführlichen Bericht über die Gerichtsverhandlung gegen eine
Gruppe von Mitgliedern des Sarawaker Ghi-Hin-Bundes, auch
Sam-Tian genannt. Die sechs Rädelsführer wurden erschossen;
elf eifrig thätige Genossen, welche Nichtmitglieder geprügelt, be-
droht oder umgebracht hatten, empfingen je 72 Stockstreiche und
wanderten auf unbestimmte Zeit in den Kerker, während sieben andere,
gegen die nichts Besonderes vorlag, freigesprochen wurden, aber
schwören mufsten, jede Verbindung mitdem Geheimbund aufzugeben.
Heckethorn-Katscher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 13
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274
Politische Geheimgesellschaften.
Ende 1895 erhob sieh eine Anzahl von Mohammedanern
gegen die chinesische Regierung und nahm die Hauptstadt der
Provinz Kan-su ein. Ihnen schlossen sich die zentralchinesischen
Geheimgesellschaften an. Ihr Erfolg war jedoch von sehr kurzer
Dauer; bereits nach wenigen Wochen gelang es, den Aufstand
zu unterdrücken und fünfzehn der Anführer zu enthaupten. Die
übrigen entkamen, damnter der bekannte Hongkonger Arzt Sun-
Jet-Sun, auch Sun Wen genannt. Im Oktober 1896 wurde er
in der chinesischen Gesandtschaft zu London gefangen gehalten,
bis auf Lord Salisburys Betreiben seine Freilassung erfolgte. Er
behauptete, von Angestellten des Gesandten ins Gesandtschafts-
gebäude gelockt worden zu sein.
Die politischen Geheimgesellschaften Chinas dürfen trotz
ihrer ernsten Fehler nicht gänzlich verurteilt werden. Vielmehr
mufs man bedenken, dafs ihre Aufstände sich gegen die Unter-
drückung der Chinesen durch Fremdlinge wenden. Die nicht-
chinesische Mandschudynastie der Tsings beherrscht das unge-
heuere „Reich der Mitte» in einer beispiellos willkürlichen, un-
gerechten, grausamen Weise mit Hilfe strenger, blutrünstiger Ge-
setze und eines furchtbar bestechlichen und habgierigen Be-
amtenstandes.
Einem auf völlig authentischen Quellen fufsenden, 1866 in
Batavia veröffentlichten englischen Fachwerk entnehmen wir die
nachstehende Schilderung einer Loge des Hungbundes. Die Loge
ist quadratisch gebaut und von Mauern umgeben, die in den
vier Himmelsrichtungen je ein Thor haben. Die Fanden sind
mit Dreiecken geschmückt, dem mystischen Sinnbild der Einig-
keit. Der „Saal der Treue und Loyalität", in welchem die Neu-
linge eingeschworen werden, enthält den Altar und die neun-
stöckige Pagode, in der sich die Bildnisse der fünf mönchischen
Stifter des Bundes befinden. Nur an entlegenen Orten, die sich
der Aufmerksamkeit der Mandarinen entziehen, errichtet man
Logen; in den Städten und in verkehrsreichen Gegenden ver-
zichtet man auf Logen und trifft sich im Hause des örtlichen
Vorsitzenden. Das Handwerkszeug der Logen besteht aus vielen
Dingen; am wichtigsten sind das „Diplom“ und der „Scheffel",
der u. a. den „roten Stab" enthält, den man gegen Verletzer
der Bundessatzungen anwendet. Sodann finden sich vor: zahl-
reiche Fahnen, eine Schreibtafel, eine Wage, ein Fufsmäfs aus
Jade, die Schere, mit der dem Neuling das Haar abgeschnitten
wird etc.
Die Oberleitung der Grofsen Hung-Liga ist den Grofs-
meistern der fünf Hauptlogen anvertraut. Die Angelegenheiten
jeder einzelnen Loge werden verwaltet von einem Präsidenten,
einem Vizepräsidenten, einem „Meister», zwei „Einführern", einem
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Chinesische Geheimgesellschaften.
275
Finanzbeamten, dreizehn »Räten", mehreren „Agenten“ („Gras-
schuhe“, „Eisenplanken“ oder „Nachtbrüder" genannt) und
mehreren untergeordneten, Blumen im Haar tragenden Funktionären.
In Friedenszeiten treten nur Freiwillige dem Bund bei,
während dieser, wenn er etwas Ernstes im Schild führt, Drohungen
und Gewalt anwendet, um neue Mitglieder zu bekommen. Der
Aufnahmebewerber wird, wie in der Royal-Arch-Freimaurerei, in
den „Saal der Treue und Loyalität“ unter einer „Schwerter-
brücke“ eingeführt, d. h. die „Brüder" halten ihre Schwerter der-
art empor, dafs sie einen Bogen bilden. Nach der Eidesleistung
folgt die Zopfabschneidung, die jedoch unterbleibt, wenn der
Neuling unter Chinesen lebt, die sich der tatarischen Vorschrift
des Zopftragens fügen. Sodann wird ihm das Gesicht gewaschen
und zum Zeichen der Reinheit und des Beginns eines neuen
Lebens ein langes weifses Gewand angezogen. Die Füfse be-
kleidet man ihm mit Strohschuhen, einem Abzeichen der Trauer.
Nunmehr wird er zum Altar geführt, damit er neun Grashalme
und eine Weihrauchstange opfere; zwischen jeder Opferung
wiederholt er eine angemessene Strophe. Hierauf wird eine rote
Kerze angezündet und die Anwesenden beten Himmel und Erde
an, wobei sie drei Becher Weines gemeinsam austrinken. Jetzt
werden drei Lampen angezündet: die „siebensternige“, die „kost-
bare Reichslampe“ und die „Hung-Lampe“. Die Versammlung
bittet die Götter, die Bundesgenossen zu beschützen. Jeder An-
wesende sticht sich in den Mittelfinger und läfst einige Bluts-
tropfen in eine halb mit Wein gefüllte Schale fallen, die dann
von den Neuaufgenommenen geleert wird, deren jeder ferner
einen weifsen Hahn köpft, um anzudeuten, dafs der gleiche Tod
allen ungetreuen Genossen drohe. Jeder Neuling empfängt ein
Diplom, zwei Dolche, drei Hung-Medaillen und ein Buch, das
den Eid, die Satzungen, die geheimen Zeichen u. s. w. des Bundes
enthält. Die Erkennungszeichen sind zahlreich; siebeziehen sich
auf die Art, ein Haus zu betreten, seinen Regenschirm nieder-
zulegen, den Hut in der Hand zu halten, seinen Thee zu trinken,
die Schuhe zu tragen und vieles andere zu thun.
Henry Pöttinger bezog sich wahrscheinlich auf eine Ge-
heimgesellschaft, als er 1843 in einer diplomatischen Depesche
an Lord Aberdeen schrieb: „Nach Beendigung des Gesanges
nahm der chinesische Kommissär Ke-dsching von seinem Arm
ein goldenes Armband, gab es mir und teilte mir mit, er habe
es in seiner Kindheit von seinem Vater empfangen, es enthalte
eine geheimnisvolle Inschrift und ich würde in China überall,
wo ich es vorwiese, brüderlich aufgenommen w'erden."
Jedes Mitglied des Hungbundes ist im Besitz eines farbigen
Seiden- oder Baumwoll -Abdrucks des Bundessiegels, dessen
is*
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276
Politische Geheimge ellschaften.
Original das Oberhaupt der Liga aufbewahrt. Es ist immer fünf-
eckig und hat eine scheinbar sinnlose chinesische Inschrift von
vermutlich abgekarteter geheimer Bedeutung. Hier ein Beispiel.
Innerhalb des Fünfecks befindet sich ein Achteck mit sechzehn
Zeichen, welche in wörtlicher Übersetzung so lauten: „Der älteste
Bruder vereinigt Schlachtordnung. Jedermann bereitet sich Zeichen
Anführer vor. Angeschwollener Bergstrom breitet sich in Kanälen
aus. Heute ist zehntausend Jahre.“ Viele Mitglieder tragen den
Siegelabdruck als Amulett und alle halten seine Bedeutung streng
geheim. Als Talisman mag das Siegel gegen Verwundung oder
Tod auf dem Schlachtfeld ebenso wirksam sein wie im fünf-
zehnten Jahrhundert die von einem Passauer Scharfrichter ver-
kauften Waren, als deren Inschrift ein neugieriger Soldat die Worte
entdeckte: „Feigling, verteidige dich!“
Heutzutage scheint die mächtigste Geheimgesellschaft Chinas
die Ko-lao Hui zu sein, die ursprünglich eine rein militärische
Vereinigung war zum wechselseitigen Schutz gegen die Er-
pressungen und Veruntreuungen der mit der Besoldung und Ver-
pflegung der Truppen betrauten Civilbeamten. Allmählich wurden
auch Nichtsoldaten zugelassen. Es heifst, dafs der Neuling bei
seiner Aufnahme einen Hahn töten und dessen Blut rein oder
mit Wein gemischt trinken tnufs. Angeblich benutzt man bei
den Versammlungen einen Zirkumferentor, dessen Bewegungen
geheimen Einflüssen zugeschrieben werden. Der Mitgliednach-
weis besteht in einem kleinen rechteckigen Stück Leinwand oder
Baumwollstoff, das mit einigen chinesischen Zeichen gestempelt
ist; wer im Besitz einer solchen Mitgliedskarte betroffen wird, den
lassen die Behörden ohne Umstände hinrichten.
Die Ko-lao Hui ist ausländer- und missionsfeindlich und
man vermutet, dafs sie die eigentliche Anstifterin aller neueren
chinesischen Angriffe und Überfälle auf Ausländer, insbesondere
auf christliche Missionäre sei. Freilich tragen namentlich die
letzteren durch unvernünftigeso der rücksichtsloses Verhalten nicht
selten selber die Schuld an den bedauernswerten Vorfällen, über
welche die Presse seit Jahren leider so oft berichten mufs. Nur
zu häufig mifsachten, verletzen oder verhöhnen einzelne fanatische
oder unüberlegte Missionäre die berechtigten Empfindungen der
Eingeborenen absichtlich oder unabsichtlich und erregen dadurch
Zorn und Hafs.*) Oder sie und andre Ausländer vergehen sich
gegen die Staatsverträge zwischen China und den Mächten und
werden, wenn dann die Bevölkerung Rache übt, von ihren
*) Näheres über diesen ebenso interessanten wie wichtigen Gegen-
stand findet sich in Leopold Kätschers „Was in der Luft liegt“ (Leipzig
1S99), Abschnitt: „Fremdenhafs und Christenverfolgungen in China“,.
S. 195-2)3.
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Chinesische Geheimgesellschaften.
277
heimischen Regierungen gedeckt, obgleich sie im Unrecht sind.
Unter solchen Umständen ist die Abneigung der Chinesen gegen
die »weilsen Teufel" begreiflich. Die Ko-lao Hui hat bereits
wiederholt Flugschriften unter Titeln wie »Die Teufelslehrer sollten
getötet werden" u. dgl. verteilen lassen, worin die christlichen
Missionäre der ärgsten Verbrechen gegen Leben und Sitten be-
schuldigt wurden - selbstverständlich irrigerweise.
Die Ko-lao Hui ist auch antidynastisch. 1891 liefs sie in
mehreren Provinzen aufreizende Plakate ankleben; die Obrigkeit
liefs dieselben sofort entfernen, doch prangten sie alsbald wieder
an den Strafsenecken. Im September des genannten Jahres organi-
sierte dieser Oeheimbund einen Aufstand und zwei Monate
später fiel sein berühmtes Oberhaupt Tschen-kin Lung den Be-
hörden in die 'Hände. Er war in einem Oasthause erwischt, ge-
knebelt und gefesselt worden und wurde an Bord einer bereit-
stehenden Dampfbarkasse nach Shanghai gebracht, wo eine äufserst
geheime Untersuchung gegen ihn stattfand. Aufser einem Dolch
mit vergifteter Klinge wurden bei ihm mehrere amtliche Schrift-
stücke des Bundes gefunden, in denen er als »achter grofser
Fürst“ angesprochen war. Bei den Verhören verhielt er sich
sehr wortkarg; auch das Foltern bewog ihn nicht zum Verrat.
Er sagte blofs: »Ersparet euch die Mühe und mir den Schmerz;
seiet überzeugt, dafs es Männer giebt, die bereit sind, ihr Leben
zu lassen für eine gute Sache, die diesem Land auf Jahrtausende
hinaus Glück bringen wird." Sein weiteres Schicksal ist un-
bekannt.
Die Hui-Liga hat mehrere Ableger; da diese aber eigentlich
gegenseitige Hilfsvereine sind, schenkt die Regierung ihnen wenig
Aufmerksamkeit. Einer der gröfsten ist die »Goldene Lilie", die
in West-China gut gedeiht und deren Mitglieder sich in vier
Abteilungen um die weifse, die schwarze, die rote und die gelbe
Fahne scharen.
Nach einem englischen amtlichen Bericht von 1892 ist es
mit Hilfe eines drei Jahre vorher erlassenen Gesetzes gelungen,
die chinesischen Geheimgesellschaften in den Straits-Settlements
gröfstenteils zu unterdrücken. Aber es wird wohl noch hübsch
lange dauern, bis das Dreieinigkeits-Element gänzlich ausgerottet
sein wird. Namentlich der Hung-Bund schlummert blofs; aus
ihm sind viele kleine Gesellschaften hervorgegangen, welche in
öffentliche Häuser, Singspielhallen, Kaufläden u.s.w. Strolchgruppen
entsenden, die unter Androhung von Überfällen und Geschäfts-
störungen Erpressungen verüben müssen. Die »kämpfenden’
Männer“ dieser Vereine werden von den Leitern in den Logen
mit dem Erlös solcher Brandschatzungen erhalten.
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278
Politische Geheimgesellschaften.
Die Comuneros.
Einleitende Bemerkungen. — Älteste spanische Geheimgesellschaften. — Die
Freimaurerei in Spanien die Vorläuferin der Comuneros. — Die Comu-
neros. — Einweihungsriten. — Klerikale Geheimgesellschaften.
Nach einer Phrase der philosophischen Schule der Ge-
schichtschreibung, einem angenehmen historischen Aberglauben,
befreite der Sturz Napoleons 1. Europa. Allerdings bewirkten
die Schlacht bei Belle-Alliance und der Wiener Kongrefs, dafs
einige Könige ihre verlorenen Throne wiedererlangten, aber von
einer Befreiung Europas zu reden, war lediglich bequeme Selbst-
täuschung oder auch Täuschung. An die Stelle des einen
Tyrannen traten wieder mehrere — das war der ganze Unter-
schied. Immerhin hatte der Meteor Bonaparte auf seiner Flug-
bahn den „beschränkten Unterthanen verstand" der Landesväter-
Anbeter in den verschiedenen eroberten Staaten einigermafsen
erhellt, so dafs er die „Göttlichkeit" des Herrschertums nicht mehr
blindgläubig hinnahm. Die Folge war, dafs in allen Ländern,
deren Throne in Wien wieder aufgerichtet wurden, politische Ge-
heimgesellschaften entstanden, also in Spanien, Italien, Österreich,
Deutschland, Frankreich. Manche dieser Vereinigungen waren
von den betreffenden Fürsten selbst gefördert worden, solange
das erstrebte Ziel deren Wiedereinsetzung war; als jedoch nach
der Wiedereinsetzung die Geheimgesellschaften, bezw. die von
ihnen vertretenen Völker die Forderung stellten, dafs den letzteren
verfassungsmäfsige Rechte und Freiheiten gewährt werden, wen-
deten die Könige sich gegen ihre früheren Helfer und Wohl-
thäter. Daher mufsten sich dann diese gegen jene wenden.
Was insbesondere Spanien betrifft, so gab es dort schon
vor der französischen Revolution Geheimgesellschaften, die teils
antimonarchisch, teils zu Gunsten einer Pfaffenherrschaft gesinnt
waren. Zu den letzteren gehörte der Bund der „Verteidiger der
Unbefleckten Empfängnis“ (die „concepcionistas“), der seine
glühende Verehrung Ferdinands VII. und der Kirche so weit
trieb, die Rückkehr der herrlichen Zeiten der Inquisition herbei-
zusehnen. Seine Anführer trachteten im eigenen Interesse, die
Leitung der Staatsangelegenheiten in die Hände zu bekommen;
dafs ihnen dies teilweise leider auch gelang, beweist die traurige
Wirtschaft der Bourbonen. Wahrscheinlich aus dem Schofs der
concepcionistas gingen die „Beschützer des Glaubens“ hervor —
verhüllte Jesuiten, die sich 1 820 ausbreiteten und für den Thron,
die Kirche, aber meistens jedoch für sich selbst wirkten. Unter
Ferdinand VII. erstanden auch die „Königsanhänger", die den
Herrscher in ihrem eigensten Interesse in seiner rückschrittlichen
Politik unterstützten.
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Die Comuneros.
279
Nach der französischen Invasion (1809) war die Frei-
maurerei in Spanien offen wieder zugelassen und in Madrid ein
Grofs-Orient errichtet worden; doch vermied sie das Gebiet der
Politik und beschränkte sich auf Volkserziehung und Wohlthätig-
keit. Der Sturz des Königs Joseph und die Wiederkehr der
Bourbonen machten diesen Bestrebungen ein Ende. 1816 trat
eine Anzahl von aus der französischen Gefangenschaft zurück-
gekommenen spanischen Soldaten und Offizieren zu unabhängigen,
ganz geheimen Logen zusammen, die in der Hauptstadt einen
Grofs-Orient hatten und mit den wenigen französischen Logen,
welche sich mit Politik befafsten, in Verbindung standen.
Zu den letzteren gehörte die Pariser Loge der »Anhänger
Zoroasters“, welche mehrere in Paris wohnhafte spanische Offi-
ziere aufnahm, u. a. den Kapitän Luezada, der nachmals die
Flucht des Patrioten Mina begünstigte. Die Erhebung auf Leon
war das Werk der wiederhergestellten spanischen Freimaurerei,
die die Vorbereitungen dazu von langer Hand getroffen hatte.
Bald nach diesem Sieg brachen Eifersüchteleien aus, in
deren Verfolg viele »Brüder“ austraten und 1821 den »Bund
der Comuneros" ins Leben riefen — ein Name, den sie im Hin-
blick auf den weltgeschichtlichen Aufstand der Städte wählten,
welcher 1 520 ausbrach, weil Karl V. den Versuch gemacht hatte,
deren alte Freiheiten zu beseitigen. Damals wurden die Comu-
neros in der Schlacht von Villalar geschlagen und der Aufstand
unterdrückt. Die modernen Comuneros fanden beim jungen
Spanien so grofsen Anklang, dafs ihre Mitgliederzahl bald auf
etwa sechzigtausend anwuchs. Auch Frauen wurden aufge-
nommen ; sie hatten eigene Logen, »Türme" genannt, die von
einem »Grofskastellan“ geleitet wurden. Dieser Geheimbund
hatte den Zweck, die Befreiung der Menschheit zu fördern, die
Rechte des spanischen Volkes gegen Mißbräuche und Übergriffe
seitens des König- und Priestertums zu schützen und die Be-
dürftigen zu unterstützen. Der radikalste Flügel befürwortete die
Enthauptung oder mindestens Verbannung des Monarchen, drang
damit aber nicht durch.
Der Aufnahmebewerber wurde zuerst in den »Waffensaal*
geführt, wo man ihn über die Pflichten der Mitglieder belehrte,
worauf man ihn mit verbundenen Augen in einen anderen Raum
geleitete. Dort erklärte er, dem Bund beitreten zu wollen. Nun
rief ein als »Schildwache" funktionierender Bruder laut: »Lasset
ihn vortreten, ich will ihn zum Wachthause des Schlosses be-
gleiten!“ Nach der Nachahmung des Herablassens einer Zug-
brücke und des Aufziehens eines Fallgatters wurde der Kandidat
ins Wachlokal gebracht; hier nahm ihm die »Schildwache“ die
Binde von den Augen und liefs ihn allein. Er fand die Wände
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I
280 Politische Geheimgesellschaften.
mit Waffen, Trophäen, patriotischen und kriegerischen Inschriften
bedeckt Bald erschien der Gouverneur und redete ihn folgender-
mafsen an: »Du stehst jetzt unter dem Schild unseres Obersten
Padilla*). Wiederhole nun inbrünstig den Eid, den ich dir vor-
sprechen werde." Durch den Schwur unternahm der Neuling,
für eine freiheitliche Verfassung zu kämpfen und jedes dem
Vaterland zugefügte Unrecht rächen zu helfen. Der frisch-
gebackene Ritter bedeckte sich mit dem Padillaschild, die an-
wesenden Mitritter zückten ihre Schwerter auf ihn und der
Gouverneur sagte: »Der Schild unseres Schirmherrn Padilla wird
dich vor jeder Gefahr schützen, dir das Leben und die Ehre
retten; solltest du aber deinen Eid brechen, so werden wir dir
diesen Schild entreifsen und diese Schwerter in die Brust bohren."
Sowohl die Freimaurer als die Comuneros strebten nach
grofsetn politischen Einflufs; allein die ersteren hatten mehr Er-
fahrung, siegten daher bei den Wahlen und brachten ein
Ministerium nach ihrem Sinn zustande. Hieraus entwickelte sich
ein Zwist, der das Land erschütterte und die Sache der Freiheit
schädigte. 1832 versuchten die Comuneros vergebens, die Frei-
maurerpartei zu stürzen ; dann vereinigten sich die beiden Ge-
heimgesellschaften zum Zweck der Überwindung der Reaktionäre.
Es gelang ihnen auch, den von einigen italienischen Flücht-
lingen nach Spanien gebrachten Carbonarismus zu unterdrücken.
Wie selbstsüchtig diese Gesellschaften übrigens auch sonst bei
aller wirklichen oder angeblichen Vaterlandsliebe waren und wie
sehr sie ihre eigene Macht im Auge hatten, geht aus der In-
konsequenz hervor, mit der sie in Amerika verfuhren, indem sie
— wie es ihnen grade in den Kram pafste — aus Brasilien ein
Kaisertum und aus Mexiko eine Republik machten.
Auch die Königspartei gründete geheime Gesellschaften.
Auf die von Ferdinand VII. begünstigten Concepcionistas (1823),
die wir bereits erwähnt haben und die ebenfalls schon ange-
führten »Beschützer des Glaubens" (1825) folgten 1827 die
»Zerstörungsengel", deren Leiter der Minister Calomarde war.
Geistliche Schriftsteller haben umsonst zu leugnen versucht, dafs
der letztgenannte Bund bestanden habe. Die Thätigkeit dieser
klerikalen Vereinigungen bedeckte den ohnehin verächtlichen
Herrscher mit Schmach lind untergrub den Wohlstand der Be-
völkerung, indem sie das Land in Vernichtungskriege stürzte. Im
allgemeinen Iäfst sich sagen, dafs die spanischen Geheimgesell-
schaften jener Zeit in vier Parteigruppen zerfielen:
1. Die »aristokratische", die von England her lebhaft
•) Juan Padilla war der Anführer des Coinuncros-Aufstandes von 1520.
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Die Hetairia.
281
unterstützt wurde und sowohl die Wiederherstellung der Ver-
fassung als auch einen Dynastiewechsel anstrebte.
2. Die „Mineros“. Vom General Miner angeführt, be-
standen sie zumeist aus Militärs. Den »Aristokraten" nahe ver-
wandt, wurden sie von England freigebig subventioniert und auch
von der amerikanischen Regierung begünstigt.
3. Die diesen beiden Parteien entgegengesetzte »repu-
blikanische."
4. Die »Comuneros", die ebenfalls die Republik wünschten,
aber auf andrer Grundlage als die „republikanische" Partei, die
deshalb von ihnen bekämpft wurde.
Die Hetairia.
Ursprung. - Die Hetairia von 1812. — Die Hetairia von 1 S1 4. - Er-
kennungszeichen und Losungsworte. - Galatis' kurze I .aufbahn. — Ver-
halten des Direktoriums. - Ipsilantis Vorgehen. - Seine Verfehlungen. -
Fortschritte des Aufstandes. — Vorrücken der Türken. — Ipsilantis
Schwierigkeiten. — Sein Sturz, sein Manifest, seine Gefangenschaft und
sein Tod. — Schicksal der Hetairisten. — Georgakis Tod. — Fannakis
Tod. — Mittelbare Erfolge der Hetairia von 1814. — Die Hetairia von 1894.
Die griechische Hetairia (- „Freundesbund“) gehört, gleich
dem italienischen Carbonaribund, zu den wenigen geheimen Ge-
sellschaften, welche, weil eine ganze Nation hinter ihnen stand,
ihr Ziel erreichten. Der Ursprung der Hetairiabewegung läfst
sich auf den griechischen Dichter Konstantin Rhigas zurückführen,
der in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts lebte und
einen Aufstand gegen die Türken plante. Die österreichische
Regierung, in deren Gebiet er reiste, lieferte ihn der Pforte aus,
die ihn 1798 in Belgrad hinrichten liefs. Doch pflanzten sich
seine Absichten fort und so entstand 1812 zu Athen der Verein
„Hetairia Philomuse“, dessen Hauptzweck zunächst — angesichts
der Schiffsladungen von Kunstschätzen, die Lord Eigin nach Eng-
land schaffen liefs — der Schutz der griechischen Altertums-
denkmäler bildete. Nebstbei hofften die Mitglieder, durch An-
wendung friedlicher Mittel die soziale und politische Lage
Griechenlands heben zu können, wobei sie auf fremde Herrscher
und auf den Wiener Kongrefs bauten. Den letzteren für die Sache
zu gewinnen, liefs sich Graf Capo d'Istria angelegen sein, der
Privatsekretär, Günstling und Vertraute des Zars. Die Kongrefs-
mitglieder hatten den Kelch der Vergnügungen bis zur Neige
geleert und es mochte ihnen eine angenehme Abwechslung dünken,
sich für altgriechische Kunst und neugriechischen Fortschritt zu
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Politische Geheimgesellschaften.
interessieren. Minister, Prinzen und Könige zeigten sich zum
Tragen des goldenen oder eisernen Ringes bereit, auf dem das
Abzeichen der Philomuse, der alt-attische Obolus, eingraviert war.
Kaiser Alexander sowie die Kronprinzen von Bayern und Württem-
berg traten dem athenischen Verein bei und unterstützten ihn
auch materiell.
Da jedoch nicht daran zu denken war, mit Hilfe solcher
Männer Griechenland vom türkischen Joch zu befreien — dies
war das Ziel der Anhänger des Märtyrers Rhigas geblieben
wurde 1814 zu Odessa, wo sich russische und griechische In-
teressen zu begegnen pflegten, eine neue, rein politische Hetairia
gegründet, ein wirklicher Geheimbund. Die Gründer waren
Ikufas aus Arta, ein wenig bekannter Kaufmann, der noch weniger
bekannte Freimaurer E. Xanthos aus Patmos und der am wenigsten
bekannte Athanas Tsakalow, ebenfalls aus Patmos. Für ihre
Freiheitsbestrebungen wählten sie den Schleier des Geheimnisses,
um nicht dem Mifsgeschick Rhigas zu verfallen. Hinsichtlich
der Äufserlichkeiten und des Formelwesens hatte Xanthos als
Freimaurer und Tsakalow als einstiger Gründer eines Pariser
Geheimvereins griechischer Studenten einige Erfahrung.
Die Hetairia von 1814 hatte sieben Grade: die Brüder,
die Lehrlinge, die Priester von Eleusis, die Schäfer, die Prälaten,
die Eingeweihten , die vollkommen Eingeweihten. Die beiden
letztgenannten Grade trugen einen militärischen Charakter und
ihre Mitglieder sollten in einen etwaigen Freiheitskrieg ziehen.
Die Aufnahmebewerber mufsten nachts in einer Kapelle nieder-
knien und vor einem Auferstehungsbild Treue, Verschwiegenheit
und Gehorsam schwören. Den »Brüdern“ wurde gesagt, sie
mögen ihre Waffen nebst je fünfzig Patronen bereithalten; den
»Priestern von Eleusis", dafs der Zweck des Bundes die Er-
langung der Unabhängigkeit Griechenlands sei; sonst wurde
beim Aufrücken in einen höheren Grad wenig Positives mit-
geteilt — die Hauptsache war ein eindrucksvolles Zeremoniell.
Wie die meisten Geheimgesellschaften, blieb auch die He-
tairia nicht frei von Selbstsucht, Falschheit und Humbug. Da
die »Priester“ Kandidaten einführen durften, die ihnen gewisse
Beträge bezahlen mufsten, war der Priestergrad sehr gesucht
Manchem Kandidaten mochte es sonderbar erscheinen, dafs der
Priester ihn einerseits auf das Evangelium schwören liefs und
ihm anderseits mitteilte, dafs er ihn auf Grund der ihm vom
Hohepriester übertragenen Machtvollkommenheit einweihe. Die
Leiter des Bundes entblödeten sich nicht, sich eines geheimen
Einverständnisses mit dem russischen Hof zu rühmen; man
deutete sogar an, Zar Alexander sei der Grofsmeister. Diese
Dinge sind der Hetairia zum Vorwurf gemacht worden, allein
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Die Hetairia.
283
da nichts auf Erden vollkommen ist, kann man auch von einem
revolutionären Militärbund nicht gut erwarten, dafs er fehlerfrei
sei. Wenn den Unterdrückern keine gesetzlichen Mittel zur Ver-
fügung stehen, ist es erklärlich, wenn sie zu Hinterlist und
Täuschung greifen.
Einige Erkennungszeichen und Losungsworte waren sämt-
lichen Graden gemeinsam, während andere blofs den Mitgliedern
der höheren Grade bekannt waren. Die „Brüder“ grüfsten durch
Berührung der Brust des Anderen mit der rechten Hand unter
gleichzeitigem Aussprechen des albanischen Wortes sipsi (= Pfeife);
die Antwort des Eingeweihten lautete „sarrukia“ (= Sandalen).
Die „Lehrlinge" sagten „Lon“; war der Angesprochene ein
Bundesgenosse, so ergänzte er das Wort mit der Schlufssilbe „don“.
ln den höheren Graden waren die Formeln verwickelter. Die
„Priester“ fragten und antworteten: „Wie befindest du dich?" —
»So gut wie du.“ — „Wie viele hast du?“ — „Ebenso viele
wie du.“ Gehörte der Angesprochene bereits dem dritten Grad
an, so antwortete er: „Ich habe sechszehn.“ Zur Vorsicht fragte
der Erste dann: „Hast du nicht mehr?“ und der Zweite ant-
wortete ebenso vorsichtig: „Sage mir die erste und ich will dir
die zweite nennen." Nun sprach der eine die erste, der andre
die zweite Silbe eines türkischen Wortes aus, welches „Gerechtig-
keit“ bedeutet. Das Erkennungszeichen bestand in einer eigen-
artigen Berührung der rechten Hand unter Knacken der Finger-
gelenke, nachherigem Falten der Arme und schliefslichem Aus-
wischen der Augen. Die „Prälaten“ drückten einander beim
Händeschütteln das Gelenk mit dem Zeigefinger, stützten den
Kopf auf die linke Hand und legten die rechte aufs Herz; die
Antwort bestand im Reiben der Stirne. Bestand ein Zweifel, so
erfolgte der Austausch der vorhin angeführten geheimnisvollen
Phrasen der „Priester" und nachher das gegenseitige Aussprechen
der einzelnen Silben des mystischen Wortes va-an-va-da.
Anfänglich war der Bund wenig zahlreich. 1819 bestand
die oberste Leitung aus den drei Gründern und vier anderen
Personen: Galatis, Komisopulos, A. Sekeris und A. Gasis; später
traten noch hinzu : Leventis, Dikäos, Ignatios und Mavrokordato,
schliefslich auch Patsimadis und Alexander Ipsilanti. Galatis
schädigte die Sache der Hetairia bald so sehr, dafs er ihr beinahe
verhängnisvoll geworden wäre. Ob seines Eintritts ins Direktorium
ungemein eitel, ging er nach Petersburg und gab sich dort für
den Abgesandten der Hellenen aus, was die Polizei zu seiner
Verhaftung veranlafste. Die Prüfung seiner Papiere brachte das
ganze Geheimnis der Hetairia an den Tag. Der Zar schwankte
zwischen seiner Vorliebe für die Griechen und seiner Abneigung
gegen Aufstände, doch liefs er sich von Capo d’Istria bewegen,
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Politische Geheimgesellschaften.
Oalatis in Freiheit zu setzen und ihm sogar Schmerzensgeld zu
zahlen. Später, als Skufas den kühnen Gedanken hatte, sich in
Konstantinopel niederzulassen, um den Feind gelegentlich an Ort
und Stelle angreifen zu können, erregte Galatis den Verdacht,
mehr an seinen eigenen Vorteil zu denken als an den des Vater-
landes; er verlangte nämlich immer Geld und stiefs, wenn es
ihm verweigert wurde, Drohungen aus, wobei er sich auf seine
Vertrautheit mit dem Minister Halet Efendi , den Günstling
Mahmuds berief. Die Hetairia beschlofs, sich seiner zu ent-
ledigen. Eines Tages beauftragte ihn das Direktorium mit einer
Reise und liefs ihn von einigen verläfslichen Bundesmitgliedern
begleiten, deren einer ihn unterwegs in einem geeigneten Augen-
blick erschofs.
Skufas war kurz zuvor gestorben, aber infolge der Blindheit
der Pforte blieb Konstantinopel der Sitz der Hetairia. Die oberste
Leitung hielt ihre Sitzungen im Hause Xanthos' und setzte eine
planmäfsige Agitation ins Werk, ln allen Provinzen des Reiches
gab es Ober-Aufseher, die, mit Geld und Vollmachten versehen,
die Bundessache in ihren Bezirken selbständig fördern durften
und nur die allerwichtigsten Angelegenheiten dem Direktorium
zu unterbreiten brauchten. Aus Rufsland zurückgekehrte Soldaten
wurden nach Morea und Hydra geschickt. Damit die Hetairia
den wertvollsten strategischen Platz, Maina, in die Hände bekomme,
bewog der eingeweihte Patriarch Gregor den mächtigen Gouver-
neur desselben, Petras Mavromichalis, zum Verrat. Die Send-
linge des Geheimbundes verstanden es, Stämme, die einander
seit Jahrhunderten befehdet hatten, zu versöhnen und für die
Sache der Hetairia zu gewinnen. Die Folge von alledem war,
dafs die letztere bereits 1820 in allen Teilen des Peloponnes,
auf den Cykladen, den Sporaden, den jonischen Inseln, an den
Küsten von Klein-Asien und selbst in Jerusalem Anhänger hatte.
Bald stellte sich die Notwendigkeit heraus, der Gesellschaft
ein Oberhaupt zu geben. Man hatte nur die Wahl zwischen
dem Soldaten Alexander Ipsilanti und dem Diplomaten Capo
d'Istria. Der letztere lehnte die offene Unterstützung des Bundes
ab, weil Zar Alexander nicht als Schutzherr desselben gelten
wollte. So trat denn Ipsilanti an die Spitze, was zur Folge hatte,
dafs die Hoffnungen der Verschwörer auf die Unterstützung
Rufslands immer höher stiegen. 1820 hielt Ipsilanti es für an-
gezeigt, Petersburg zu verlassen und nach Odessa zu gehen, um
mehr inmitten der Bewegung zu sein. Da ihm jedoch die
wichtigsten Eigenschaften eines Generals fehlten, liefs er sich von
der Begeisterung hinreifsen, der er ringsum begegnete. Obgleich
die Geldbeiträge in so geringem Mafse einflossen, dafs er sich
privatim Geld borgen mufste, blieb er vertrauensselig. Im Juli
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Die Hetairia.
2SS
ernannte er zwei Oberbefehlshaber: Georgakis für die »Donau-
Armee“ und Perrhävos für die »Epirus- Armee". Er selbst be-
schlofs, seinen ersten Angriff auf die türkische Macht in die Donau-
Fürstentümerzu verlegen, wobei er fürden Fall, dafsdie Pforte Truppen
nach Bukarest senden sollte, auf den Beistand Rufslands rechnete.
Bald wurde seine Lage kritisch. Ein gewisser Äsimakis,
ein Hetairist, verriet im Verein mit dem Bruder des ermordeten
Galatis alle Einzelheiten der Verschwörung an die türkische
Polizei. Das aus Petersburg zurückgekehrte Bundesmitglied Ka-
marinos enthüllte öffentlich die Nichtigkeit der russischen Ver-
sprechungen — dafür liefs ihn das Direktorium umbringen. Die
Hetairia suchte auch von dem Streit zwischen Ali Pascha und
dem Sultan Nutzen zu ziehen. Ali wurde damals in seiner
Hauptstadt von den besten Truppen des Sultans belagert und
versprach der Hetairia, mit ihr gegen den gemeinsamen Feind
Zusammenwirken zu wollen. Ipsilanti glaubte nicht länger zögern
zu sollen. Im März 1821 verlegte er seinen Wohnsitz nach
Jassy, von wo aus er an die Griechen, die Moldauer und die
Wallachen pomphafte Proklamationen erliefs. In einem an die
in Sachen der neapolitanischen Revolution versammelten Herrscher
und Diplomaten gerichteten »Manifest" lud er Europa, namentlich
Rufsland, zur Förderung der griechischen Unabhängigkeit ein.
Aber Metternich war ein schroffer Gegner der letzteren und der
Zar, der sich soeben kräftig gegen einen Aufstand ausgesprochen
hatte, konnte nicht gut für einen andern eintreten. Vielmehr ver-
kündete er — natürlich in Unkenntnis der heimlichen russischen
Hilfe-Versprechungen , welche sein Liebling Capo d'lstria der
Hetairia gemacht hatte - mit grofsem Nachdruck sein Festhalten
an der Heiligen Allianz und seine Abneigung gegen jederlei
Revolution. Ipsilantis Thätigkeit wurde streng getadelt und sein
Name aus der russischen Armeeliste gestrichen. Die russischen
Truppen am Pruth erhielten den Befehl, unter keinen Umständen
an den Unruhen in den Donau-Fürstentümern teilzunehmen und
der Pforte wurde versichert, dafs die russische Regierung diesen
Unmhen vollkommen fernstehe. Capo d'lstria aber mufste an
seinen Freund Ipsilanti, den er insgeheim ermutigt hatte, schreiben,
er dürfe von Rufsland weder moralische noch materielle Unter-
stützung erwarten, da Rufsland sich an der Untergrabung des
türkischen Reichs durch geheime Gesellschaften nicht beteiligen könne.
Inzwischen hatte Ipsilanti alles vernachlässigt, was seinem
Unternehmen hätte den Erfolg sichern können. Statt die Ober-
leitung zu zentralisieren oder die Truppen zu konzentrieren, be-
ging er einen Schnitzer nach dem andern. Er beschränkte sich
darauf, die Donau-Fürstentümer für ein russisches Hauptquartier
zu halten und abzuwarten, bis der Zar ihn auf den griechischen
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286 Politische Geheimgesellschaften.
Thron setzen werde. Als ob der Sieg bereits errungen wäre,
verteilte er unter die zahlreichen Verwandten und Schmeichler,
die ihn umgaben, Zivil- und Militärposten. Häuptlinge von ein paar
hundert Abenteurern ernannte er zu Generalen und seine Brüder
stellte er an die Spitze seiner imaginären Armeekorps, dabei
Persönlichkeiten, die der Revolutionssache von grofsem Nutzen
hätten sein können, vernachlässigend und vor den Kopf stofsend,
Plünderer begünstigend, die Niedermetzelung friedlicher türkischer
Bewohner Jassys ruhig duldend. Auch liefs er einen reichen
Bankier unter einem leeren Vorwand verhaften und erst nach
Zahlung eines Lösegeldes von sechzigtausend Dukaten in Freiheit
setzen - ein Willkürakt, infolge dessen viele Reiche sich auf
russisches oder österreichisches Gebiet zurückzogen, denn sie fanden
die Mifswirtschaft der »Befreier" noch ärger als die der Türken.
Schliefslich verliefs Ipsilanti an der Spitze von zweitausend
Mann — die er aber überall für zehntausend ausgeben liefs —
Jassy und begab sich nach Bukarest. Einen Aufruf, den er von
Fokschani aus an die »Dazier“ erliefs, blieb erfolglos; dagegen
erhielt er dort Verstärkungen durch die Arnauten des Karavias
und durch die zweihundert Reiter des patriotischen Helden
Georgakis. Bald erwuchs ihm auch Hilfe seitens des »Heiligen
Bataillons", das aus fünfhundert Jünglingen bestand, die den
reichsten und vornehmsten Griechenfamilien angehörten. Diese
modernen Thebaner trugen schwarze Gewänder und auf der
Brust ein Kreuz mit der Inschrift: »In diesem Zeichen wirst du
siegen.“ Die Mütze »zierte" ein Totenschädel mit gekreuzten
Armknochen darunter. Diese kleine Schar iibertraf die übrigen
Streitkräfte Ipsilantis an Tapferkeit und Manneszucht, doch dämpfte
Ipsilanti durch seine Politik der Langsamkeit und des Zauderns
ihre Thatkraft. In Bukarest, wohin er erst am 9. April kam, er-
klärten sich die restlichen Bojaren und die höhere Geistlichkeit zu
Gunsten seiner Bestrebungen — in der Hoffnung, dafs die Führer
der irregulären Truppen, die sich Ipsilanti angeschlossen hatten,
die anarchischen Elemente der Revolution dem allgemeinen Ziel
unterordnen werden. Aber nur Georgakis unterstellte sich dem
Oberfehl Ipsilantis, während Wladimiresko und Savas dies ver-
weigerten; der letztere soll angeblich insgeheim sogar an der
Wiederherstellung der türkischen Oberhoheit gearbeitet haben.
Ipsilanti hatte nichts Dringenderes zu thun als — ein
Theater zu errichten, Schauspieler anzustellen und täglich in der
prunkvollen Uniform eines russischen Generals spazieren zu gehen.
Die Offiziere quälten die reichen Bürger mit willkürlichen Requi-
sitionen und die zuchtlose Mannschaft lebte ebenfalls auf Kosten
der Bevölkerung. Nur das Heilige Bataillon enthielt sich jeder Aus-
schreitung. Bald erliefs der Patriarch gegen Ipsilanti und die
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Die Hetairia.
287
Hetairia den Bannfluch der Kirche, worauf die Geistlichkeit und
die Bojaren sich von der griechischen Sache zurückzogen und
Savas wie Wladimiresko die letztere offen verleugneten. Im
Namen der griechischen Nation richtete Ipsilanti an den Zar und
dessen Gesandten in Konstantinopel eine Anzahl von Forderungen,
vor deren Erfüllung er seine Stellung nicht niederlegen zu wollen
erklärte. Kühne Ratgeber empfahlen ihm, durch Bulgarien nach
Epirus zu marschieren, den in Janina belagerten Ali Pascha zu
entsetzen und mit dessen Hilfe dann Griechenland zu befreien ;
aber teils war er nicht der Mann für solche waghalsige Unter-
nehmungen, teils hielt er diesen Plan für eine Falle, weil
Wladimiresko denselben befürwortete. Er wendete sich daher
nicht donauwärts, sondern -- fast ohne jede Artillerie - nord-
wärts gegen die Karpathen und beabsichtigte für den Fall, dafs
die Türken ihn ernstlich bedrohen sollten, sich auf öster-
reichisches Gebiet zu flüchten, wobei er hoffte, dafs der russische
Gesandte in Konstantinopel ihm und seinen Truppen freien
Durchzug verschaffen würde. Mittlerweile mufste er sich auf
einen baldigen Zusammenstofs mit den türkischen Truppen ge-
fafst machen, welche mit russischer Erlaubnis in die Donau-
fürstentümer einrückten, um den Aufstand zu unterdrücken. Er
liefs Schanzen aufwerfen und Bajonett-Übungen abhalten, wobei
er fortfuhr, seiner »Armee" einzureden, Rufsland werde ihm bald
zu Hilfe kommen.
ln der zweiten Maiwoche überschritten die Türken die
Donau und am 13. Mai erfolgte vor Galatz das erste Treffen,
bei dem die Hetairisten durch ihre Tapferkeit manchen Fehler
ihrer Anführer wettmachten. Etwa siebenhundert Aufständische
hielten mit zwei Kanonen drei Redouten auf der nach Braila
führenden Strafse besetzt. Befehligt waren sie von Athanasios
aus Karpenisi, der alles so geschickt anordnete, dafs sie sich
längere Zeit gegen eine fünffache Feindeszahl hätten halten
können, wenn nicht der gröfste Teil, aus vorübergehend ange-
worbenem undisziplinierten Gesindel bestehend , bei der ersten
Annäherung der Türken davongelaufen wäre, so dafs die Ver-
teidigung der Redouten auf Athanasios mit seiner Handvoll
Griechen beschränkt blieb. Die kleine Schar kämpfte wacker
bis in die Nacht hinein, und nachdem der Kampf aufgehört
hatte, gelang es ihr mittels einer kleinen Kriegslist, unbemerkt
zu entkommen. Sie marschierte insgeheim nach Jassy, wo die
gröfste Verwirrung herrschte. Fürst Kantakuzeno, dem Ipsilanti
die Verteidigung der Stadt anvertraut hatte, konnte sich nur
wenige Tage halten; als Mitte Juni die türkischen Truppen heran-
rückten, zog er sich nach Bessarabien zurück und riet Athanasios,
mit seinen Leuten dasselbe zu thun. Sie aber erklärten ihn für
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Politische Geheimgesellschaften.
einen Feigling und drückten den festen Entschluß aus, für die
griechische Freiheit zu sterben oder zu siegen. Athanasios
widerstand denn auch mit vierhundert Mann und acht Kanonen
hinter einer schwachen Baumbarrikade bei Skuleni acht Tage
lang einer mehrfach überlegenen Feindesschar. Er starb wie
ein grofser Patriot und von den Seinigen blieben kaum hundert
übrig, die auf das jenseitige Ufer des Pruth entflohen.
Die Moldau war also verloren. Ende Mai hatte inzwischen
der Pascha von Silistria Bukarest besetzt und Ipsilanti lagerte
hilflos in Tergovist. Seine Truppen , selbst das Heilige
Bataillon nicht mehr ausgenommen , waren gründlich demo-
ralisiert und seine Zwistigkeiten mit Savas — der Bukarest ohne
Umstände übergeben hatte — und mit Wladimiresko hörten nicht
auf. Letzteren, der sich als gefährlicher Ränkeschmid erwies, liefs
er übrigens bald crschiefsen. Am 8. Juni stiefs die schleunig
vorwärts eilende Vorhut der türkischen Heeresmacht auf eine
griechische Abteilung unter Anastasius aus Argyrokastro. Zu
dessen Verstärkung entsandte Ipsilanti aus Tergovist eine Ab-
teilung unter dem Befehl Dukas’; allein Dukas lief samt seinen
Mannen auf und davon, was im Hauptlager einen so schlimmen
Eindruck machte, dafs Ipsilantis Soldaten unter Zurück-
lassung der Bagage zu fliehen begannen. Nun begab sich
Ipsilanti unter grofsen Hindernissen nach Ribnik, um für den
Notfall in der Nähe der österreichischen Grenze zu sein. Übrigens
verfügte er trotz alledem noch über 7500 Mann und vier
Kanonen. Georgakis hielt es für ratsam, den gesunkenen Mut
der Truppen durch einen Angriff auf das strategisch hochwichtige
Dragatsehau zu heben, das die Türken mit zweitausend Mann
besetzt hielten. Er ordnete denn auch alles so vortrefflich an,
dafs er am 19. Juni (1821) den Feind mit fünftausend Mann
umzingelte und einen leichten Sieg erfochten haben würde, wenn
nicht einerseits die Türken, um fliehen zu können, das Dorf in
Brand gesteckt hätten und anderseits der ebenso unfähige wie
schlechte Karavias durch seinen Neid und seine Ehrsucht alles
verdorben hätte, indem er das Heilige Bataillon ins Verderben
führte. Mit Mühe rettete Georgakis die letzten hundert Mit-
glieder des Bataillons nebst zwei Kanonen und der Fahne.
Dieser verlorene Tag zerstörte alle Hoffnungen Ipsilantis.
Der letztere floh nach Kosia, von wo aus er die österreichische
Regierung um die Erlaubnis bat, die Grenze zu überschreiten.
Ihm drohte Gefahr von seinen eigenen Leuten, die davon sprachen,
ihn den Türken auszuliefern, welche auf seinen Kopf einen Preis
ausgesetzt hatten. Von Mannszucht war keine Spur mehr, die
Soldaten beraubten und töteten einander. Als der gröfste Ehren-
mann erwies sich andauernd Georgakis; er ermöglichte Ipsilanti
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Die Hetairia.
289
die Flucht und begab sich dann zu seinem Freund Farmakis
nach Adschile, um, seines Eides eingedenk, den Kampf für die
Befreiung Griechenlands fortzusetzen, während Ipsilanti fortfuhr,
mit Täuschungen zu arbeiten. Er setzte falsche Gerüchte und
Briefe in Umlauf, wonach Kaiser Franz der Pforte den Krieg
erklärt habe, österreichische Truppen die Donaufürstentümer be-
setzen würden und er selbst demnächst mit dem kaiserlichen
Gouverneur eine Unterredung haben werde. Aber kaum hatte
er unter dem Namen „Alexander Komorenos“ ungarisches Ge-
biet betreten, wurde er verhaftet und in Arad gefangengesetzt.
Dort suchte er sich von dem Verschulden, seine Waffengenossen
im Stich gelassen zu haben, dadurch reinzuwaschen, dafs er seine
Mifserfolge anderen in die Schuhe schob. Auf Grund der be-
treffenden Verträge zwischen Österreich und der Türkei mufste
er, wenn er nicht ausgeliefert werden wollte, sein schriftliches
Ehrenwort geben, dafs er keinen Fluchtversuch machen werde.
Sodann wurde er in der von Sümpfen umgebenen oberungarischen
Festung Munkäcs eingekerkert und später, als seine Gesundheit
sehr litt, in der böhmischen Festung Theresienstadt. 1827 er-
langte er infolge des Einschreitens des Zars seine Freiheit und
ein Jahr später starb er, nachdem seine Familie zu Grunde ge-
gangen war und das griechische Volk für seine Unabhängigkeit
erfolgreicher gekämpft hatte als die Hetairisten der Donaufürsten-
tümer. Übrigens bemächtigte sich des Gefangenen von Munkäcs
die Romantik und schliefslich gelangten die Griechen dahin, ihn
für einen Märtyrer ihrer Freiheit zu halten.
Da der Aufstand mit der Flucht Ipsilantis als beendet be-
trachtet werden konnte, kämpfte der Rest seiner Mannen nur noch
ehrenhalber und wurde von den Türken ziemlich rasch aufge-
rieben. Wer sich auf Treu und Glauben ergab, wurde er-
barmungslos hingerichtet; ebenso der Verräter Savas trotz seines
türkenfreundlichen Eifers. Am schwersten und spätesten konnte
man mit den zwei besten Männern der Bewegung fertig werden
mit Georgakis und Farmakis, die entschlossen waren, weder
dem Schutz Österreichs noch dem Mitleid der Türken zu ver-
trauen und daher in die Moldau zurückkehrten. Die Zahl der
Truppen des kranken Georgakis, der auf einer Sänfte getragen
werden mufste, schmolz während des ebenso langen wie müh-
samen Marsches auf 350 Mann zusammen. Die Bauern ver-
rieten den Türken jede seiner Bewegungen und daher war er
schon vor Erreichung der Moldau auf allen Seiten umgeben.
Dazu kam seine Unklugheit, sich in eine Sackgasse zu flüchten,
indem er das in einer tiefen Schlucht mit nur einem Ausgang
gelegene Kloster Sekko befestigte. Zwar warf er die türkische
Vorhut bei ihrem ersten Angriff (17. September) zurück, aber
Heckethorn-Katacher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 19
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290 Politische Geheimgcsellschaften.
schon drei Tage später überfielen viertausend türkische Soldaten
das Kloster und setzten zunächst den Glockenturm in Brand, in
den sich Georgakis mit elf Griechen geflüchtet hatte. Georgakis
gelang es, den Pulvervorrat anzuzünden, wobei er mit zehn
seiner Genossen und einer Anzahl Türken umkam. Farmakis
hielt sich mit den letzten zweihundert Griechen noch elf Tage
lang gegen eine riesige Übermacht. Als ihm die Lebensmittel
und die Munition ausgingen, vereinbarte er unter der Bürgschaft
des Paschas von Braila und des österreichischen Konsuls die
Übergabe unter ehrenvollem freien Abzug mit den Waffen. Aber
unmittelbar vor dem geplanten schriftlichen Abschlufs dieses
Übereinkommens entflohen 33 Griechen, die dem Landfrieden
nicht trauten, und die übrige Mannschaft wurde niedergemetzelt.
Die Offiziere schickte man behufs Hinrichtung nach Silistria,
während Farmakis selbst in Konstantinopel grausam gefoltert und
dann enthauptet wurde.
Obgleich die Hetairia also eigentlich nichts ausrichtete,
stiftete sie doch mittelbar Nutzen. Die von den Türken in den
Donaufürstentümern nach Unterdrückung des Aufstandes verübten
Schändlichkeiten hatten nämlich den Ausbruch ernster Zwistig-
keiten zwischen Petersburg und Konstantinopel zur Folge und
schliefslich kam es zum russisch-türkischen Krieg von 1828 29,
in welchem das griechische Volk, mit echten Mitteln kämpfend,
mehr Glück hatte als die Hetairia mit ihren künstlichen gehabt
hatte. Dieser Geheimbund bestand noch, aber nur als schwäch-
liches Kind; er konnte in dem Krieg keine besondere Rolle mehr
spielen und mufste mit dem Erlangen der Unabhängigkeit Griechen-
lands aussterben. Erst 1894 lebte die Hetairia wieder auf und
zwar wegen der Kretafrage, die infolge der ewigen Einmischung
der Grofsmächte in die Angelegenheiten der Türkei nicht zur
Ruhe kommen wollte.
Was diese neueste Hetairia betrifft, so wurde sie itn
* November 1894 von einem jungen Offizier der griechischen
Armee nebst vierzehn Waffengenossen gegründet — zu dem
ausgesprochenen Zweck, den »Nationalismus" (d. h. wohl Chau-
vinismus) wiederzubeleben und der Befreiung aller dem Sultan
noch unterthanen Griechen die Bahn zu ebnen. Die Gründer
erklärten ihr Vorgehen mit der angeblichen Vernachlässigung der
griechischen Interessen in Macedonien seitens der Athener Re-
gierung. Im Laufe des Jahres 1895 traten dem Geheimbund
zahlreiche Offiziere und angesehene Bürgerliche bei. Ein Jahr
später entfachte die Gesellschaft in Macedonien eine aufständische
Bewegung, schickte Waffen und Munition nach Kreta und drängte
den König, das Heer zu reorganisieren. Als 1 897 der griechisch-
türkische Krieg ausbrach, gehörten der Hetairia viele hochstehende
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Die Carbonari.
29t
Staatsdiener, Offiziere, Richter, Professoren u. s. w. an und sie er-
freute sich der weitestgehenden Unterstützung des Kabinettchefs
Delyannis, durch dessen Vermittlung grofse Waffen- und Mann-
schaftssendungen erfolgten und der König die Erlaubnis zum Ein-
fall in türkisches Gebiet erteilte. Bekanntlich erlitten in dem
Krieg die Griechen eine Niederlage nach der anderen, so dafs der
anfangs beträchtliche Mut der Truppen bald gänzlich in die
Brüche ging. Die Hetairia, deren Ziel so arg gescheitert war,
löste sich auf und ein Ende 1897 eingesetzter Parlaments-
Ausschufs ging so weit, diese Geheimgesellschaft verbrecherischer
Handlungen zu beschuldigen ; doch war der Justizminister schlau
genug, das weitere Verfahren in dieser Sache niederzuschlagen.
Die Carbonari.
Vermeintliche Ursprünge und erste Geschichte. — Wirkliche Entstehung. —
Die Carboneria. — Die Holzhauer. — Die Vendita. — Einweihungsriten. —
Die vier Grade. — Bedeutung der Sinnbilder. Zeremonien und Vor-
schriften. — Die ausonische Republik. — Der geheimste Carbonaro-Grad. —
Johannes Witts Lebenslauf. — Ein carbonaristischer Plan für England. —
Der Carbonarismus und König Murat. Gerichtsverhandlung gegen die
Carbonari. Die Bourbonen und der Carbonarismus. Neugründung
des Calderaribtindes — Des Königs Rache. — Wiederaufleben des Car-
bonarismus. Die Carbonari und die Kirche. — Die Carbonari in Ober-
Italien, Frankreich, Deutschland und Spanien. — Die Giardiniere. .
Die Carbonari (=■* Köhler) halten ihren Bund für ungemein
alt. Manche haben sogar an die Abstammung von Philipp von
Macedonien, dem Vater Alexanders des Grofsen, geglaubt und auf
diesen sagenhaften Ursprung den hohen Grad der Thebanischen
Ritter zu gründen versucht. Andere gehen nur bis zur Zeit des
Papstes Alexander III. zurück, da in Deutschland Vereinigungen
gegen die Raubritter entstanden und die Köhler in den endlosen
deutschen Forsten sich gegen Räuber und Feinde zusammen-
thaten. Mit Hilfe von Worten und Zeichen, die nur ihnen
bekannt waren, leisteten die Köhler einander Beistand. Kunz
von Kauffungens Absicht (1455), die sächsischen Prinzen zu ent-
führen, wurde durch einen Köhler vereitelt, dessen Dazwischen-
kunft allerdings nur eine zufällige war. Im Jahre 1514 zwangen
die Köhler den Herzog Ulrich von Württemberg unter Todes-
drohungen zur Aufhebung gewisser drückender Waldgesetze.
Ähnliche Verbindungen entstanden in vielen gebirgigen Ländern
und sie umgaben sich mit grofser Geheimthuerei. Ihre Mitglieder
19*
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Politische Geheimgesellschaften.
hielten so treu zu einander und zum Geheimbund, dafs in Italien
das Sprichwort in Umlauf war: »Auf Carbonaro-Ehre.“
Der Umstand, dafs bei den Festen der Carbonari der Grofs-
meister auf den französischen König Franz I. zu toastieren pflegte,
rührte von der folgenden Überlieferung her. Während der
schottischen Unruhen unter der — übrigens völlig erdichteten —
Königin Isabella flüchteten sich zahlreiche hervorragende Personen,
um dem Tyrannenjoch zu entgehen, in die Wälder. Um jeden
Verdacht einer sträflichen Verbindung von sich abzulenken, be-
schäftigten sie sich mit Holzhauerei und Köhlerei. Unter dem
Vorwand des Verkaufs der Kohle kamen sie in die Dörfer, wo
sie leichter mit einander Zusammentreffen und Pläne etc. aus-
tauschen konnten. Hierbei wandten sie verschiedene Erkennungs-
zeichen und Losungsworte an. Da sie in den Wäldern keine
Wohnungen hatten, bauten sie sich aus Baumzweigen rechteckige
Hütten. Ihre Wohnungen (vendite) waren in »baracche" geteilt,
deren jede von einem hervorragenden »Guten Vetter" (Carbonaro)
errichtet wurde. In jenem Riesenforst lebte der Einsiedler Theobald,
der sich den angeblichen Köhlern anschlofs und ihre Pläne be-
günstigte, weshalb die Carbonari ihn zum Schutzherrn machten.
Nun ereignete es sich eines Tages, dafs Franz I. sich auf der
Jagd an den Grenzen seines Reiches in der Nähe von Schott-
land (! !) plötzlich von seinem Gefolge getrennt sah, den Weg
verlor, auf eine der baracche stiefs, in dieser gastfreundlich
bewirtet und in den Geheimbund eingeweiht wurde. Nach seiner
Rückkehr nach Frankreich habe er sich als dessen Protektor
erklärt.
Der Ursprung dieser Sage ist wahrscheinlich in dem Schutze
zu suchen, den Ludwig XII. und Franz I. den Waldensern
gewährten, die sich in die Dauphin^ geflüchtet hatten. Der er-
wähnte Einsiedler Theobald soll von den ersten Grafen von Brie
und der Champagne abgestammt sein. Obgleich reich und
hochgestellt, liebte er die Einsamkeit und verliefs das Vaterhaus,
um sich mit seinem Freund Gautier in einen schwäbischen Forst
zurückzuziehen, wo sie als Einsiedler von gelegentlichen Arbeiten,
namentlich aber dem Herstellen von Schmiede-Holzkohle lebten.
Nachdem sie mehrere Pilgerfahrten unternommen, liefsen sie
sich in der Nähe von Vicenza nieder. Theobald starb 1066,
wurde von Papst Alexander III. heilig gesprochen und von den
Carbonari zu ihrem Schutzpatron erwählt. Als solchen rufen *
sie ihn in ihren Hymnen an und man sieht in den vendite
gewöhnlich ein Bild hängen, das ihn vor seiner Hütte sitzend
darstellt.
Den ersten Spuren eines Köhlerbundes mit politischen
Zwecken begegnen wir im zwölften Jahrhundert. Wahrscheinlich.
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Die Carbonari.
293
bildete er einen Ausfluls der damaligen strengen Waldfrevel-
gesetze. Um jene Zeit gab es im französischen Departement
Jura auch grofse, in ihren Riten den Carbonari ähnliche Ver-
bindungen, die sich »fendeurs" (= Holzhauer) nannten. Den
Nebentitel »gute Vetterschaften“, den sie führten (»bons cousi-
nages"), nahmen auch die Carbonari an. Mächtige Grand-
seigneurs, Mitglieder des verfolgten Templerordens, schlossen mit
ihnen geheime Verträge. Es scheint auch, dars die Fendeurs den
ersten und die Carbonari den höheren Grad der Geheimgesell-
schaft „Carboneria" bildeten. Mit Hilfe der Genueser »könig-
lichen Carboneria“ dürfte die französische Regierung vor der
Grofsen Revolution den Versuch gemacht haben, die alte oli-
garchische Regierung zu stürzen und Genua für Frankreich zu
erobern. Sicher ist, dafs zwischen 1770 und 1790 die meisten
Mitglieder der französischen Kammern dem Holzhauerbund an-
gehörten, der auch noch unter Napoleon I. zu bestehen fortfuhr.
Nach Süd-Italien gelangte die Carboneria durch zurückgekehrte
neapolitanische Flüchtlinge, die in Deutschland und der Schweiz
eingeweiht worden waren. Bereits 1 807 sprach der neapolitanische
Polizeiminister Salicetti von einer carbonaristischen Verschwörung
gegen die französische Armee im Neapolitanischen. Vorläufig
jedoch war der Bund noch machtlos. Als 1809 der napoleo-
nische Krieg mit Österreich ausbrach und daher ein grofser
Teil der französischen Truppen aus Italien zurückgezogen wxrden
mufste, wurde zu Capua die erste Hauptloge (vendita) gegründet.
Diese besteht aus einem scheunenförmigen Raum aus Holz,
doch mit Ziegelfufsboden — einer Nachahmung des Mosaikbodens
der Freimaurerlogen. Die Stühle haben keine Lehnen. Am
Ende des Saales steht auf drei Beinen ein Holzblock (statt eines
Tisches), an welchem der Grofsmeister sitzt; an den Seiten stehen
zwei gleiche Blöcke für den Redner und den Schriftführer. Auch
für die beiden »Gehilfen“ des Grofsmeisters sind solche Blöcke
vorhanden. Auf dem Block des Grofsmeisters müssen die folgen-
den sinnbildlichen Gegenstände liegen oder stehen : ein Leintuch,
etwas Wasser, etwas Erde, Salz, Blätter, Stäbe, Feuer, ein Kreuz, eine
Weifsdornkrone, eine Leiter, ein Zwirnknäuel, ein blaues, ein rotes
und ein schwarzes Band (Rauch, Feuer und Kohle bedeutend),
ein leuchtendes Dreieck mit den Anfangsbuchstaben der Losungs-
worte des zweiten Grades, links davon ein Dreieck mit dem
Wappen der Vendita, rechts drei durchsichtige Dreiecke mit den
Anfangsbuchstaben der geheimen Worte des ersten Grades. Der
Grofsmeister und seine beiden Gehilfen hatten je ein Beil in
der Hand. Die Meister sitzen an der einen Wand, die Lehr-
linge an der entgegengesetzten. Diese Daten entnehmen wir
dem »Carbonari-Codex», der am eingehendsten in einem Buche
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294
Politische Geheimgesellschaften.
(»Geschichte der süditalienischen Geheimgesellschaften, insbe-
sondere der Carbonari“, London 1821) des getauften Juden
Baron Bertholdi mitgeteilt ist, der lange russischer Gesandter
beim Heiligen Stuhl war.
Das Einweihungszeremoniell der Carbonari ist in seiner seit
dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts festgestellten Gestalt
das folgende. Der Grofsmeister eröffnet die Loge und fragt:
»Erster Gehilfe, wo wird der erste Grad verliehen?"
Antwort: „In der Hütte eines guten Vetters, in der Loge
der Carbonari.“
»Wie wird der erste Grad verliehen?“
„Ein Holzblock wird mit einem Tuch bedeckt, auf dem
die Grundlagen liegen: Wasser, Feuer, Salz, ein Kruzifix, ein
trockener Zweig und ein grüner Zweig. Mindestens drei gute
Vettern müssen anwesend sein; der stets von einem Meister
begleitete Einführer bleibt draufsen. Der den Einführer be-
gleitende Meister stampft dreimal mit den Füfsen und ruft:
„Meister , gute Vettern , ich benötige Beistand.“ Die guten
Vettern umstehen den Holzblock, berühren diesen mit den
Stricken, die sie um den Leib tragen, bewegen die rechte Hand
von der linken Schulter zur rechten und einer von ihnen ruft
aus: „Ich habe die Stimme eines hilfsbedürftigen guten Vetters
gehört, vielleicht bringt er Holz zum Speisen der Öfen.“ So-
dann wird der Einführer eingelassen.“
Der erste Gehilfe schweigt hier, der Einführer erscheint
und es entwickelt sich das folgende Gespräch:
Grofsmeister: „Mein guter Vetter, woher kommst du?“
Einführer: „Aus dem Wald.“
G.: „Wohin gehst du?“
E. : „In die Ehrenkammer, um meine Leidenschaften zu
beherrschen, meinen Willen zu meistern und carbonaristischen
Unterricht zu nehmen.“
G.: „Was hast du aus dem Wald gebracht?“
E.: „Holz, Blätter und Erde.»
G.: „Was bringst du sonst noch?"
E. : „Glaube, Hoffnung und Barmherzigkeit“
G. : „Wer ist jener, den du hieherführst?“
E.: „Ein im Wald verirrter Mann.»
G.: „Was will er?“
E. : „Unserem Orden beitreten.“
G.: „Führe ihn herein."
Der Bewerber wird eingelassen, der Grofsmeister stellt ihm
mehrere, seinen Lebenswandel und seine Religion betreffende
Fragen und läfst ihn den Eid leisten, wobei er knieen und das
Kruzifix in der Hand halten mufs:
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Die Carbonari.
295
»Ich verspreche und verpflichte mich auf meine Ehre, die
Geheimnisse der guten Vettern nicht zu verraten, mich nicht
gegen die Tugend ihrer Frauen und Töchter zu vergehen und
jedem hilfsbedürftigen guten Vetter jeden in meiner Macht
stehenden Beistand zu leisten. So wahr mir Gott helfe!“
Nun wechseln Grofsmeister und Neuling Frage und Ant-
wort wie folgt:
Was bedeutet der Holzblock? — »Den Himmel und das
Erdenrund.“
Was bedeutet das Tuch? - »Dasjenige, was sich bei der
Geburt verbirgt.“
Und das Wasser? — »Dasjenige, was zur Reinigung von
Ursünde dient.“
Und das Feuer? - »Es zeigt uns unsre höchsten Pflichten.“
Und das Salz? - »Dafs wir Christen sind.“
Und das Kruzifix? - »Es erinnert uns an unsre Erlösung.“
Und der Zwirn? - »An die Mutter Gottes, die ihn ge-
sponnen hat.“
Was bedeutet die Dornenkrone? - »Die Leiden und
Kämpfe der guten Vettern.“
Was stellt der Ofen vor? — »Die Schule der guten
Vettern."
Und wie ist es mit dem Baum bewandt, dessen Wurzeln
hoch oben in der Luft schweben? — »Wenn alle Bäume so
beschaffen wären, würde die Thätigkeit der guten Vettern über-
flüssig sein."
In solcher Weise geht es noch längere Zeit weiter bei der
Einweihung in den ersten Grad. Die wichtigeren Geheimnisse
soll der Neuling erst in den höheren Graden erfahren; zunächst
handelt es sich nur darum, seine Einbildungskraft anzuregen und
seine Fähigkeiten bezw. Verläfslichkeit zu erproben. Übrigens
erklären sich einige der Symbole trotz aller Geheimhaltung
gleichsam von selber. So bedeutet der Ofen das gemeinsame
Ziel, an welchem der Bund arbeitet. Das brennend erhaltene
heilige Feuer ist die Flamme der Freiheit, mit deren Hilfe die
Carbonari die Welt erleuchten wollen. Ihr Hauptwahrzeichen,
die Kohle, bildet die Quelle des Lichtes und der Wärme, welche
die Luft reinigen. Der Wald mit seinen wilden Tieren soll
Italien und seine fremden Unterdrücker vorstellen. Der um-
gekehrte Baum (mit den Wurzeln nach oben) versinnbildlicht
die gestürzten Throne. Eine grofse Rolle spielt bei den Carbonari
der katholische Mysticismus. Die höchsten Ehren erweisen sie
Christo, dem guten Vetter der ganzen Menschheit. Doch bemüht
sich der Carbonarismus, die Religion zu vereinfachen und auf
ihre Hauptgrundzüge zu beschränken, wie das auch die Frei-
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Politische Geheimgesellschaften.
maurerei thut. Eine weitere Ähnlichkeit mit der letzteren besteht
darin, dafs der Kandidat imaginäre Reisen durch Wälder und
durch Feuer macht; jede solche Reise hat eine symbolische Be-
deutung, doch wird der wahre Sinn im ersten Grad noch nicht
enthüllt Oberhaupt mufs man, um die wirklichen Ziele des
Bundes kennen zu lernen, in die höheren Grade eingeweiht sein.
Fast der ganze zweite Grad wird von dem Martyrium
Christi ausgefüllt - ein Gegenstand, der dem Katechismus etwas
sehr Trauriges verleiht. Dies ist darauf berechnet, den Bewerber
zu überraschen und zu erschrecken. Die mehrerwähnten Sym-
bole erhalten jetzt neue, ungeahnte Bedeutungen, die sich auf
die geringfügigsten Einzelheiten der Kreuzigung Christi beziehen.
Die Eingeweihten erlangen die Überzeugung, dafs die un-
gewöhnlichen, wunderlichen, mit erstaunlicher Künstelei ausge-
klügelten Symbole und Auslegungen den Zweck haben, die Feinde
des Bundes zu verwirren und ihren Verdacht von dessen eigent-
lichen Zielen abzulenken. Die beständige Beschäftigung mit den
Leiden Christi soll zwei Aufgaben lösen: die erziehliche, den
Eingeweihten an den Gedanken der Selbstaufopferung im Notfall zu
gewöhnen, und die politische, die abergläubischen und zum Mysti-
cismus neigenden Elemente, die bei aller christlichen Liebe von reli-
giösen Vorurteilen erfüllt sind, für den Bund zu gewinnen. Der
Ofen bedeutet hier das heilige Grab, das Rauschen der Blätter die
Geifselung des Grofsmeisters des Weltalls u. s. w. Der Kandidat
selbst stellt bei den Einweihungserprobungen, denen er sich unter-
ziehen mufs, Jesus dar, während der Grofsmeister den Pilatus, der
erste Gehilfe den Kaiphas, der zweite den Fferodes »spielt“ und
die anwesenden Bundesmitglieder als »Volk“ figurieren. Schliefs-
lich zum Tode am Kreuz verurteilt, wird der Kandidat begnadigt;
doch mufs er einen furchtbaren Verschwiegenheitseid leisten und
die Verpflichtung eingehen, sich im Falle des Eidbruches zer-
stückeln und verbrennen zu lassen. Aber auch im zweiten Grad
werden die eigentlichen Geheimnisse noch nicht enthüllt.
Der dritte Grad, der des »Grofs-Erwählten“, ist politischer
Natur und wird nur unter den gröfsten Vorsichtsmafsregeln und
mit der tiefsten Heimlichkeit verliehen, und zwar blors an solche
Bundesgenossen, deren Eifer, Mut, Vorsicht und Bundestreue
wohlbewährt ist und die ferner wahre Volksfreunde und als
solche bereit sein müssen, die Tyrannen zu bekämpfen. Die
Aufnahme erfolgt mittels geheimer Abstimmung; drei schwarze
Kugeln genügen zur Ablehnung. Der Kandidat mufs 33 Jahre
und 3 Monate alt sein - das Älter Christi an seinem Todestag.
Die Einweihung findet in einer an einem entlegenen, nur den
»Grofs-Erwählten“ bekannten Ort befindlichen Loge statt, welche
dreieckig und an der Ostseite abgestumpft ist. Am Eingang
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Die Carbonari.
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stehen zwei Wächter, nach der Form ihrer Schwerter »Flammen“
genannt. Innen sitzt der Grofsmeister der »Grofs-Erwählten“
auf einem Thron, umgeben von den zwei Gehilfen, hier »Sonne“
und »Mond“ genannt. In den drei Winkeln hängen drei Lampen
in Gestalt der Sonne, des Mondes und eines Sternes. Der Be-
werber erfährt nun aus dem Katechismus, dafs das eigentliche
Ziel des Carbonarismus ein politisches ist, nämlich die Beseitigung
der Tyrannen und die Herbeiführung der Freiheit. Die Feier-
lichkeit schliefst damit, dafs alle Anwesenden niederknieen und
ihr Schwert gegen die eigene Brust zücken, während der Grofs-
meister den folgenden Eid vorspricht:
»Ich, ein freier Bürger der ausonischen Republik, schwöre
vor dem Grofsmeister des Weltalls und dem Grofsmeister der
Grofs-Erwählten, mein ganzes Leben dem Sieg der Grundsätze
der Freiheit, der Gleichheit und des Fortschrittes widmen zu
wollen - Grundsätze, die die Triebfeder aller öffentlichen und
geheimen Thätigkeit des Carbonarismus bilden. Ich verspreche,
bis zum Tode zu fechten, falls es unmöglich sein sollte, die
Freiheit ohne Kampf zu erringen. Für den Fall, dafs ich meinen
Eid brechen sollte, gestatte ich meinen guten Vettern, den Grofs-
Erwählten, mich umzubringen. Ich will mich in einer Loge
nackt und mit einer Dornenkrone auf dem Kopf ans Kreuz
schlagen, mir den Bauch aufschlitzen, die Eingeweide und das
Herz ausreifsen lassen . . . Schwöret!“
Die Versammelten rufen laut: „ Wir schwören ! “ Bei diesen
Veranstaltungen spielt das theatralische Element eine grofse Rolle ;
offenbar dachten die Organisatoren daran, dafs auf die Einge-
weihten nach Möglichkeit Eindruck hervorgebracht werde.
Der vierte und höchste Grad, der eines Grofsmeisters der
Grofs-Erwählten, ist nur jenen Carbonari zugänglich, die die
gröfste Intelligenz und Thatkraft an den Tag gelegt haben.
Während die guten Vettern in der Loge versammelt sind, wird
der Bewerber mit verbundenen Augen hereingeführt. Zwei Mit-
glieder, die die beiden Schächer des Neuen Testaments vor-
stellen, bringen Kreuze herbei und befestigen sie im Erdboden.
Einer der angeblichen Schächer wird nun als Verräter an der
Bundessache angesprochen und zur Kreuzigung verurteilt. Er
fügt sich in sein Schicksal, wird mit Seidenstricken ans Kreuz
gebunden und stöfst, um den Kandidaten zu täuschen, Weherufe
aus. Der Grofsmeister verurteilt auch den andern Dieb zur
gleichen Strafe; dieser aber schreit: »Ich fluche euch und tröste
mich mit dem Gedanken, dafs ich werde gerächt werden. Fremd-
linge werden alle Carbonari bis zum letzten ausrotten. Wisset,
dafs ich euer Versteck den Anführern der feindlichen Armee
verraten habe und dafs ihr ihnen binnen kurzem in die Hände
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29S"
Politische Oeheimgesellschaften.
fallen werdet. Nun machet mit mir, was ihr wollt.* Jetzt
wendet sich der Grofsmeister an den Kandidaten, um ihn auf
die schwere Bestrafung der Verräter hinzulenken und ihm zu
sagen, dafs auch er, wenn er Grofsmeister der Grofs-Erwählten
werden wolle, ans Kreuz gefesselt werden und an seinem Leibe
die heiligen Zeichen empfangen müsse, durch die alle Grofs-
meister einander erkennen ; auch müsse er einen Eid leisten,
worauf die Augenbinden entfernt, er vom Kreuz abgenommen
und mit den Insignien des vierten Grades bekleidet werden
würde. Er wird denn auch wirklich fest ans Kreuz gebunden
und dreimal in den rechten, siebenmal in den linken Arm, drei-
mal unterhalb der linken Brust gestochen. Auf ein Zeichen des
Grofsmeisters wird ihm die Augenbinde abgenommen. Sodann
umstellen ihn die Versammelten, zücken ihre Dolche und
Schwerter gegen ihn und bedrohen ihn für den Fall des Verrats
mit einem noch schlimmeren Tod; dabei beobachten sie scharf,
ob er Angst verrät. Nun trinken sie siebenmal auf seine Ge-
sundheit und der Grofsmeister erklärt ihm die wahre Bedeutung
der Symbole; er mufs versprechen, die Abschrift — gedruckt
darf sie nicht werden - eher zu verschlucken oder zu ver-
brennen, als sie in fremde Hände fallen zu lassen. Schliefslich
spricht der Grofsmeister von dem nahen Sieg der bereits be-
gonnenen Revolution und endet mit den Worten: »Sehr bald
werden die der Willkür müden Völker über die Tyrannen
triumphieren! Sehr bald . . .“
Da unterbricht ihn der verstocktere der beiden Schächer
mit dem Ausruf: »Sehr bald werdet ihr alle zu Grunde gehen!"
Und schon hört man aufserhalb der Grotte den Lärm von
Kämpfern und das Geräusch von Waffen. Einer der Wächter
stürzt herein, um zu melden, dafs man die Thüre einbrechen
wolle und sofort werden Schläge gegen dieselbe hörbar. Die
guten Vettern eilen zu der hinter den Kreuzen angebrachten und
für den Neuling daher unsichtbaren Thüre, der Lärm wird immer
gröfser, man hört österreichische Soldaten schreien, die Carbonari
kehren in scheinbarer Unordnung wie von einer Übermacht
überwältigt — zurück, sprechen dem noch immer am Kreuz
hängenden Neuling Mut zu und verschwinden durch den sich
unter ihnen öffnenden Fufsboden. Jetzt treten Mitglieder in der
verhafsten Uniform der Fremdlinge ein, thun verwundert ob des
Verschwindens der Carbonari und wollen die drei Gekreuzigten
töten ; sie laden ihre Gewehre und legen zum Schiefsen an ; da
fliegen plötzlich einige Kugeln herein, die Soldaten fallen schein-
bar tot nieder, die guten Vettern erscheinen wieder und rufen :
»Sieg! Tod der Tyrannei! Lange lebe die ausonische Repu-
blik! Hoch die Freiheit! Es lebe die von den tapferen Car-
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Die Carbonari.
299
bonari eingesetzte Regierung!" Die scheinbar toten Soldaten
und die fingierten Diebe werden schleunigst hinausgeschafft und
der Kandidat, vom Kreuz losgemacht, wird vom Qrofsmeister
unter sieben Axtschlägen als ein Grofsmeister der Grofs-Erwählten
ausgerufen. Damit schliefsen die Einweihungsriten.
Die Bedeutung der Symbole im vierten Grad macht das
Druckverbot derselben erklärlich. Das Kreuz dient zur Kreuzigung
des Tyrannen, die Dornenkrone soll ihm das Haupt zerstechen,
an dem Faden — d. h. Strick — soll er zum Gerüst geführt
werden, die Leiter dient ihm zum Emporsteigen, die Blätter
stellen die ihm Füfse und Hände durchbohrenden Nägel vor,
die Spitzhacke wird ihm die Brust zerfleischen und sein unreines
Blut vergiefsen, die Axt den Kopf vom Rumpf trennen, das Salz
die Verwesung des Kopfes verhindern, damit er als Denkmal
der Niedertracht der Willkürherrscher fortdauere. Die Stange soll
den Kopf tragen, der Ofen den Leib verbrennen, die Schaufel
die Asche in die Winde verstreuen, das Wasser die Hände von
dem vergossenen Blut des Verhalten reinigen, das Leintuch die
Flecken wegwischen. Die baracca hat den Zweck, den Tyrannen
vor seiner Tötung zu foltern. Der Wald ist der Ort, wo die
guten Vettern ihr wichtiges Ziel zu erringen trachten. Diese
Einzelheiten entnehmen wir den Berichten über das Gerichts-
verfahren in Sachen der neapolitanischen Verschwörung der
Carbonari.
Innerhalb des Geheimbundes hatten alle Mitglieder falsche
Namen. In einem Buch waren die echten, in einem anderen
die angenommenen Namen verzeichnet. Jedes Buch wurde anders-
wo verborgen gehalten, damit die Polizei, falls sie etwa eins
entdeckte, die Leute nicht identifizieren könne. Die höheren
Würdenträger hiefsen »grofse Lichter“; darunter befanden sich
die »Insinuatoren«, die »Censoren«, die »Skrutatoren" u. s. w. Die
mit den gefährlichsten Aufgaben betrauten »Vettern« nannte man
»verlorene Hoffnung"; »Festsitzende" hiefsen jene, die wegen
zu geringer Fähigkeiten oder wegen Mangel an Mut nie über
den ersten Grad hinauskamen. Die Carbonari hatten eine eigene
Zeitrechnung, die mit Franz I. begann. Auch hatten sie Losungs-
worte und Erkennungszeichen. Die Dekoration bestand im
Lehrlingsgrad aus einem schwarzen, einem blauen und einem
roten Band, im Meistergrad aus einer Schleife in diesen drei
Farben. Wie sehr der Carbonaribund vom Geist der Freiheit
und Gerechtigkeit erfüllt war, geht aus einem interessanten
carbonaristischen Schriftstück hervor, dessen Entstehungszeit un-
bekannt ist und das wir hier auszugsweise mitteilen:
»Italien, dem neue Zeiten einen neuen, reinen, klangvollen
Namen — Ausonia — geben werden, muls von seinen drei
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300
Politische Geheimgesellschaften.
Meeren bis zum höchsten Gipfel der Alpen frei sein. Das Ge-
biet der Republik wird in 21 Provinzen geteilt sein, deren jede
einen Vertreter in die Nationalversammlung entsenden soll. Jede
Provinz mufs ihre örtliche Volksvertretung haben und jeder
Bürger, ob reich oder arm, darf sich um jedes öffentliche Amt
bewerben. Die Wahl der Richter ist durch strenge Vorschriften
geregelt. Es soll zwei Könige (?) geben: einen fürs Land und
einen fürs Meer; die souveräne Nationalversammlung wählt sie
auf 21 Jahre. Sämtliche Bürger von Ausonia sind Soldaten.
Alle nicht zum Schutz des Landes gegen das Ausland notwendigen
Festungen müssen geschleift werden. Längs der Küste wären
neue Häfen zu bauen, auch wäre die Flotte zu vergröfsern. Das
Christentum soll die Staatsreligion sein, doch soll jedes andre
Glaubensbekenntnis geduldet werden. Solange der zur Zeit der
Verkündigung dieser Verfassung regierende Papst lebt, kann das
Kardinalskollegium im Gebiet der Republik wohnen ; nach dem
Tode des Papstes wird das Kardinalskollegium aufgehoben. Die
erblichen Titel und die Feudalrephte werden abgeschafft. Die
Zahl der Krankenhäuser, Wohlthätigkeitsanstalten , Schulen,
Kollegien u. s. w. wird erheblich vermehrt werden. Die Todes-
strafe darf nur über Mörder verhängt werden; an die Stelle aller
übrigen Strafen tritt Deportation auf eine der zur Republik ge-
hörigen Inseln. Die Klöster werden beibehalten; doch kann
kein Mann vor dem 45. Lebensjahr ein Mönch, kein Weib vor
dem 40. eine Nonne werden, und selbst nach dem Ablegen der
Gelübde darf man, wenn man will, in den Schofs der Familie
zurückkehren. Das Bettelwesen ist verboten; das Land giebt den
arbeitsfähigen Armen Beschäftigung und den Arbeitsunfähigen
Unterstützung. Die Gräber hervorragender Männer kommen an
die Landstrafse zu stehen; die Ehrung durch Bildsäulen erfolgt
durch die souveräne Versammlung. Der Verfassungsvertrag kann
nach je 21 Jahren revidiert werden.“
Aufser dem vierten Grad (»Grofsmeister der Grofs-
Erwählten») gab es einen noch höheren, ganz geheimen - ge-
nannt »der Siebente“ in den aber nur sehr wenige einge-
weiht wurden. Nur diese wenigen kannten das wahre Ziel des
Carbonarismus; nur sie wufsten, dafs dasselbe mit dem der
Illuminaten identisch sei. Der Eingeweihte Johannes Witt von
Döring berichtet in seiner Selbstbiographie, dafs der Aufnahme-
bewerber jeder Regierung - ob despotisch oder demokratisch
— Vernichtung schwören mufste. Nach de Witt »lacht der
summo maestro ob des Eifers der gewöhnlichen Carbonari, die
sich für die Freiheit und Unabhängigkeit Italiens opfern. Ihm
gilt dies nicht als das Ziel, sondern nur als ein Mittel. Mir
wurde bei Verleihung dieses Grades der Name Giulio Alessandro
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Die Carbonari.
301
Jerimundo Werther Domingone gegeben." Die Verleihung er-
folgte entweder in der Loge oder durch schriftliche Mitteilung;
da nun de Witt auf letzterem Wege ernannt wurde und folglich
keinen Verschwiegenheitseid geleistet hatte, glaubte er manches
über den Gegenstand veröffentlichen zu können. Einiges über
den Lebenslauf dieses merkwürdigen Mannes wird unsere Leser
lebhaft interessieren , denn er spielte in der Geheimbündelei des
neunzehnten Jahrhunderts eine grofse Rolle.
Im Jahre 1800 zu Altona geboren, wurde de Witt früh-
zeitig von dem Alsener Pastor Meier unterrichtet, der dem
Jakobinerklub angehört hatte. Im Alter von 17 Jahren bezog er
die Kieler, später die Jenenser Universität. 1818 schlofs er sich
der „Burschenschaft" an und bald ward er von den „Schwarzen
Rittern" aufgenommen, weshalb er nach England fliehen mufste,
wo er im Londoner „Morning Chronicle“ zahlreiche skandal-
erfüllte Artikel über die deutsche Politik und die deutschen
Fürsten veröffentlichte. Auf Einladung des Eiarons Eckstein, der
sein Oheim war und im französischen Polizeiministerium die
Stelle eines General-Inspektors bekleidete, ging er nach Paris, wo
er sich des Schutzes des Justizministers Grafen Serre erfreute, ob-
gleich er mit französischen und italienischen Verschwörern ver-
trauten Verkehr pflegte. 1.821 lebte er in Genf als „General-
Inspektor der schweizerischen und deutschen Carbonari.“ Kurz
darauf in Savoyen ergriffen, wurde er nach Turin gebracht, dort
aber vom österreichischen Oberbefehlshaber, Feldmarschall Bubna,
der ein Freimaurer war, mit der grölsten Hochachtung behandelt,
denn in der Freimaurerei bekleidete de Witt einen viel höheren
Rang als Bubna. Als die Turiner Gesandten aller Höfe - mit
Ausnahme des englischen — de Witts Auslieferung verlangten,
gestattete Bubna ihm gegen das Ehrenwort, keinen Fluchtversuch
zu machen, nach Mailand zu gehen, wo er im Hause des
Polizeidirektors Baron Göhausen mit grofser Auszeichnung
empfangen wurde, und frei umhergehen konnte. Bubna hatte
sich der österreichischen Regierung gegenüber persönlich für das
sichere Gewahrsam de Witts verbürgt ; als dieser jedoch sah, dals
die österreichischen Behörden Vorbereitungen für das Gerichts-
verfahren gegen ihn trafen, schrieb er an Bubna, er sei zur
Flucht entschlossen. Zwar ordneten die Behörden nun seine
strenge Gefangenhaltung an, aber innerhalb einer Woche befand
er sich im Besitz von 1200 Lire Reisegeldes sowie eines Bundes
von Nachschlüsseln zu allen Thüren des Gefängnisses, und der
Oberkerkermeister, der ihn allzu scharf überwacht hatte, wurde
nach Mantua versetzt. So ward es ihm sehr leicht gemacht, nach
Genua zu entfliehen. Von dort wollte er nach Spanien; da er
indes alle nach Spanien gehenden Schiffe unter I^olizeiaufsicht
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302
Politische Qeheimgesellschaften.
stehend fand, begab er sich in die Schweiz. Etwa ein Jahr ver-
brachte er unter allerlei falschen Namen teils daselbst, teils in
Deutschland. Sämtliche deutschen Regierungen schrieben für
seine Ergreifung hohe Belohnungen aus, aber hochstehende Be-
amte liefsen ihm anonyme Verständigungen darüber zukommen,
dafs ihm die Polizei auf der Spur sei. Trotzdem war er unvor-
sichtig genug, sich in Bayreuth erwischen zu lassen; allein kaum
war er gefangen, besuchten ihn einige hohe Beamte — wahr-
scheinlich Freimaurer um ihm Schutz und Freundschaft anzu-
bieten. Aus Berlin hielten ihn die Häupter der preufsischen
Freimaurerei insgeheim auf dem Laufenden über die gegen ihn
erhobenen Beschuldigungen ; infolgedessen wurde er in allen
Punkten freigesprochen und erlangte seine Freiheit wieder. Der
berühmte italienische Geschichtschreiber Cesare Cantü wirft de
Witt vor, er habe sich in alle revolutionären Bewegungen Europas
nur darum einweihen lassen, um sie zu verraten und um zwischen
ihnen Zwietracht zu säen. Und wenn man de Witts spätere
Laufbahn in Betracht zieht, klingt das nicht ganz unwahrschein-
lich. 1828 verheiratete er sich mit einer reichen Dame und
kaufte in Oberschlesien ein Rittergut, auf dem er bis 1855
lebte, und zwar bekannte er sich zu so rückständigen Grund-
sätzen, dafs man ihn beschuldigte, ein Ultramontaner zu sein,
was ihm viele Angriffe seitens der demokratischen Partei zuzog.
Der folgende Plan soll im Jahre 1813, als Napoleons Stern
im Sinken begriffen war, von den italienischen Carbonari der
britischen Regierung unterbreitet worden sein; doch bezweifeln
wir seine Echtheit: Italien soll frei und unabhängig sein. Seine
Grenzen sollen die drei Meere und die Alpen bilden. Korsika,
Sardinien, Sicilien, die Sieben Inseln, sowie die Inseln an den
Küsten des mittelländischen, des adriatischen und des Ionischen
Meeres werden einen integrierenden Bestandteil des römischen
Reiches ausmachen. Rom wird die Hauptstadt des Reiches sein.
Sobald die Franzosen die Halbinsel geräumt haben, ist der neue
Kaiser aus der Herrscherfamilie von Neapel oder Piemont oder
England zu wählen. Illyrien hätte ein selbständiges Königreich
zu bilden, das dem König von Neapel als Ersatz für den Ver-
lust Siciliens zu verleihen wäre.
Das ungeheure Anwachsen des Geheimbundes begann die
italienischen Herrscher zu beunruhigen, insbesondere Murat, den
König von Neapel, dessen Furcht durch den Staatsrat Dandolo
vergröfsert wurde, der ihm schrieb: »Sire, der Carbonarismus
breitet sich in Italien immer mehr aus; wenn möglich, befreien
Sie Ihr Königreich davon, denn dieser Geheimbund ist den
Thronen feindlich gesinnt.“ Der Genueser Maghella jedoch,
Murats Polizeiminister, riet dem König, sich gegen Napoleon
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Die Carbonari.
303
offen aufzulehnen, die Unabhängigkeit Italiens auszusprechen und
daher die Carbonari zu begünstigen. Allein Murat, zu unent-
schieden, um sich zu derlei zu entschliefsen, erklärte sich gegen
die Carbonari. Die von ihm ergriffenen Mafsregeln hatten aber
nur zur Folge, dafs der Bund immer thätiger wurde und die
Hoffnungen der verbannten, im benachbarten Sicilien den Gang
der Ereignisse beobachtenden Bourbonen sich wieder belebten.
Die Carbonari, von Murat proskribiert , wurden von England
und den Bourbonen begünstigt. Die nach Palermo entsandten
Emissäre einigten sich mit der verbannten Königsfamilie über
einen Plan. England — dem es hauptsächlich um den Sturz
Napoleons zu thun war — lockte die Carbonari mit dem Ver-
sprechen einer freisinnigen Verfassung und zwang die Bourbonen,
eine solche für den Fall der Wiedereinsetzung zuzusichern.
Murat sandte General Manh£s aus, die Carbonari zu vertilgen.
Viele ihrer Führer wurden denn auch ergriffen und hingerichtet;
dennoch gelang es dem Bund, eine zeitweilige Erhebung zu
Gunsten der Bourbonen zustande zu bringen, aber dieselbe wurde
von der energischen Königin Karoline in Abwesenheit Murats
bald unterdrückt. Um diese Zeit erhoben sich innerhalb der
Geheimgesellschaft Meinungsverschiedenheiten. In Erkenntnis der
Schwierigkeiten, die Bewegungen einer so umfangreichen Körper-
schaft zu lenken , beschlossen die führenden Persönlichkeiten,
Reformen zu bewirken. Sie führten diesen Entschlufs rasch und
insgeheim durch und schlossen zahlreiche unzuverlässige Elemente
aus. Diese sollen angeblich den Namen calderari (= Kohlen-
pfannen) angenommen und die Carbonari furchtbar gehafst haben.
Murat schwankte eine Zeitlang zwischen den beiden Gesell-
schaften und entschied sich schliefslich für die viel zahlreicheren
Carbonari, allein es war zu spät, denn sie hatten kein Vertrauen
zu ihm und kannten überdies das Verzweifelte seiner Lage. Er
kam zu Fall.
Im Jahre 1817 wurde eine umfassende Organisation ent-
deckt, die den Zweck hatte, alle Carbonari -Verbindungen zu
einem grofsen Bunde zu vereinigen. Die Entdeckung geschah
infolge eines reinen Zufalls. Bei einem am 24. Juni unter-
nommenen Erhebungsversuch zu Macerata gingen nämlich zwei
Musketen vorzeitig los. Viele leitende Carbonari wurden in Rom
eingekerkert und im Oktober 1818 auf Anordnung des Papstes
vor Gericht gestellt. Fünf traf das Todesurteil, das der Papst
jedoch in lebenslängliche Haft verwandelte; drei auf Lebenszeit
zu den Galeeren Verurteilte begnadigte der Papst zu zehn Jahren.
Durch diesen Prozefs erfuhr man, dafs die »Republikanischen
Schutzbrüder" - eine carbonaristische Vereinigung — auf eine
Giftphiole und ein rotglühendes Eisen schwören mufsten, »die
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Politische Geheimgesellschaften.
Geheimnisse der Gesellschaft niemals zu enthüllen und sich für
den Fall des Eidbruchs vergiften und mit einem glühenden Eisen
brennen zu lassen.“
König Ferdinand hatte, um wieder ans Ruder zu kommen,
die Carbonari begünstigt. Da er jedoch in Wirklichkeit gegen
diese wegen ihrer Freiheitsliebe eine Abneigung hatte, wendete
er sich gegen sie, nachdem er wieder fest auf dem Throne safs.
Sie, die nicht nur den König wieder eingesetzt, sondern in Ka-
labrien und den Abruzzen auch die öffentliche Sicherheit her-
gestellt hatten und die so verehrt worden waren, dafs der Papst
die Priester und Mönche predigen liefs, jedem Carbonaro stehe
ohne weiteres das Thor des Paradieses offen - sie wurden jetzt
als Feinde Gottes und der Menschen hingestellt. Der König
verweigerte die Einhaltung seiner Zusagen und verbot den Car-
bonari, sich zu versammeln. Der Fürst von Canosa, der Polizei-
minister, beschlofs, sie auszurotten. Zu diesem Zweck vereinigte
er die Räuber, die bei den blutigen Ereignissen von 1799 eine
Rolle gespielt hatten, zu einem neuen Bund, an dessen Spitze
er selbst trat und dem beizutreten er die carbonarifeindlichen
Calderari einlud. Er liefs die Mitglieder den folgenden Eid
leisten :
»Ich, .... , verspreche und schwöre bei der heiligen
Dreifaltigkeit, auf dieses Kreuz und dieses Schwert, das Rache-
werkzeug für die Meineidigen, dafs ich als römischer Katholik
im apostolischen Glauben leben und sterben werde. Ich schwöre,
dafs ich diese Religion und die Gesellschaft der Treuen Freund-
schaft und der Calderari mit meinem Blut verteidigen werde.
Ich schwöre, dafs ich niemals das Leben, die Ehre oder das
Eigentum der Kinder der Treuen Freundschaft verletzen werde.
Ich schwöre ewigen Hafs aller Freimaurerei und ihren verab-
scheuenswerten Förderern, sowie allen Jansenisten, Materialisten,
Illuminaten etc. Ich schwöre, dafs ich, falls ich aus Schlechtig-
keit oder Leichtsinn meineidig werden sollte, mich umbringen
und dann verbrennen lassen will."
Aus der Sache wurde jedoch nichts, da der König den
Minister, als er erfuhr, was dieser ohne sein Vorwissen unter-
nommen hatte, entliefs und verbannte. Der Aufstand von Cadiz
(1819), infolge dessen Ferdinand VII. von Spanien seinem Volk
verfassungsmäfsige Rechte gewähren mufste , ermutigte die
italienischen Carbonari wieder, doch waren sie uneinig und so
wurden ihrer viele verbannt oder eingekerkert. 1820 gelang es
ihnen unter Führung des Abbeo Meniehini, eine Verfassung zu
erringen, was ihren Einflufs erhöhte und zur Errichtung zahl-
reicher neuer Logen führte. Das kam so. 1815 — 1820 waren
dem Bunde im Neapolitanischen allein über 200000 neue Mit-
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Die Carbonari.
305
glieder aus allen Bevölkerungsschichten beigetreten, darunter viele
Priester, Mönche, Politiker und Soldaten. Vergeblich wendete
der Polizeichef von Neapel, Oiampietro, die grausamsten Mittel
an, um den Bund zu unterdrücken. Die Erbitterung des Pub-
likums wurde immer gröfser. Da geschah es am 1. Juli 1820,
dafs die Offiziere Morelli und Silvati nebst 120 Mann von ihrem
Regiment zu Nola desertierten und in Begleitung Menichinis und
mehrerer hervorragenden Carbonari nach Avellino marschierten,
wo sich ihnen der Truppenkommandant, Oberstleutnant de Con-
cili — ebenfalls ein Carbonaro — anschlofs. Als diese Ereig-
nisse in Neapel bekannt wurden, eilten viele der dort gami-
sonierenden Soldaten und die meisten Universitätsstudenten in
das Lager de Concilis. Alle Carbonari bereiteten sich darauf
vor, ihren aufständischen Genossen Hilfe zu leisten. Der König,
der den General Pepe des Freisinns verdächtigte, verwarf den
ihm erteilten Rat, diesen General gegen die Aufwiegler zu ent-
senden und entsandte lieber den General Carrascosa, der am
4. Juli Neapel verliefs. Tags darauf wurden aus Nocera General
Nunziante und aus Salerno General Campana gegen die Insur-
genten ausgeschickt. Carrascosa wollte es, ehe er zum Blutver-
giefsen schritt, mit Unterhandlungen versuchen; allein ehe die
letzteren eingeleitet werden konnten, erlitt Campana eine Nieder-
lage, während Nunziantes Truppen sich um die Fahne des
Carbonarismus scharten und zu de Concili übergingen.
Nun beabsichtigte Carrascosa mit des Königs Einverständnis,
die Führer des Aufstandes mit hohen Geldsummen zu bestechen,
damit sie die gute Sache im Stiche lassen und das Land ver-
lassen; doch konnte er seine Absicht nicht ausführen, denn in-
zwischen hatten sich in Neapel die Bevölkerung und der Rest
der Garnison gegen den König erhoben, der in seiner gänzlichen
Vereinsamung zum Nachgeben gezwungen war. Der Herzog
von Piccotellis begab sich mit fünf anderen Carbonari in den
Palast und nötigte Ferdinand zu einer Unterredung, bei der er
die unverzügliche Verkündigung einer Verfassung forderte. Zwei
Stunden später gab der König die Verfassung, die er bald auch
feierlich beschwor. Er lud die Oberhäupter des Bundes an den
Hof und sein Sohn, der Herzog von Kalabrien, wurde ein Car-
bonaro. Durch seine Zulassung schadete die Geheimgesellschaft
sich aufserordentlich, denn nun erfuhren Hof und Polizei mühelos
alle Zeichen, Losungsworte, Sinnbilder und Geheimnisse der
Carbonari. Als Rufsland , Preufsen und Österreich mit Ein-
mischung drohten, beschlossen einige der ältesten Carbonari
in einer geheimen Zusammenkunft, den König im Schlots von
St. Eleno zu internieren, aber der Beschlufs wurde nicht aus-
geführt. Um den gefährdeten Herrscher zu retten, lud die
Hecketh o rn -Kat scher, Geheimbünde u. Geheimlehren. -0
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306
Politische Geheimgesellschaften.
Heilige Allianz ihn ein, an dem Kongrefs von Laibach teilzu-
nehmen und das neapolitanische Parlament war so thöricht, ihn
ziehen zu lassen. Noch am Bord des Schiffes wiederholte der
verräterische Despot die Versicherung, die gewährte Verfassung
einhalten zu wollen; aber kaum in Laibach eingetroffen, erklärte
er, nur gezwungen eine Verfassung bewilligt zu haben und ent-
schlossen zu sein, dieselbe zu verleugnen und als absoluter
Monarch nach Neapel zurückzukehren. Der Papst entband ihn
seines Eides und befahl den Priestern in einer feierlichen Enzy-
klika, das Beichtgeheimnis zu verletzen, so oft dies zu Ungunsten
der Carbonari nötig sein sollte. Auf Ersuchen Ferdinands sendete
Österreich fünfzigtausend Mann nach Neapel mit einer russischen
Armee im Hintergrund. Das Gefolge des Königs trug Kokarden
mit der Inschrift: »Es lebe die absolute Macht Ferdinands I. !"
So hielt dieser Tyrann seine Zusicherungen !
Am 23. März 1821 rückten die Österreicher in Neapel ein
und nun stillte der Tyrann seinen Rachedurst im Blute seiner
Unterthanen in ergiebigster Weise. Alle früheren Gnadenakte
wurden widerrufen, täglich fanden Hinrichtungen statt, Tausende
angesehener Bürger schmachteten in den entsetzlichen unter-
irdischen Kerkern von San Stefano, Pantelleria oder der sicilischen
Straf-lnseln, während zahlreiche andere sich dem Zorn des Königs
durch die Flucht ins Ausland entzogen. Erst nach vier Jahren
(1825) wagte sich der Carbonarismus wieder hervor und 1835
verband er sich mit dem Jungen Italien , das die gleichen
politischen Ziele verfolgte: die Vertreibung der Fremdlinge und
die Einigung Italiens.
Der Herzog von Modena hatte, in der Hoffnung, mit Hilfe
der Carbonari die Herrschaft über Sardinien, Venetien, die Lom-
bardei und die kleinen Herzogtümer zu erlangen , mit dem
Geheimbund kokettiert und dadurch Menotti, den hervorragendsten
Patrioten Mittel-Italiens, ermuntert, bei einem Versuch, die Fremd-
linge zu vertreiben, auf seinen Beistand zu rechnen. Als der
Herzog jedoch sah, dafs Frankreich, auf dessen Mitwirkung er
gezählt hatte, sich ablehnend verhielt, liefs er die Carbonari im Stich
und trat gegen sie auf. Dafür zwangen sie ihn zur Flucht nach
Mantua; auch Marie Louise, Herzogin von Parma und Witwe
Napoleons, trieben sie in die Verbannung. Allein schon nach
wenigen Wochen wurden beide durch die Österreicher wieder
eingesetzt; der Herzog liefs Menotti hinrichten und überfüllte
die Gefängnisse von Modena mit Patrioten. Graf Arrivabene
schrieb: »Unbeschreiblich waren die Schrecknisse der mode-
nesischen Kerker, wie ich sie damals sah. Ausgenommen die
Schandkäfige in den päpstlichen und den neapolitanischen Staaten,
läfst sich nichts damit vergleichen.“
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Die Carbonari.
307
Nun nahm der Carbonarismus den Namen »Italienische
Einheit“ an. Die gerichtliche Verfolgung dieser geheimen Ge-
sellschaft zu Neapel im Jahre 1850 brachte ihre Erkennungs-
zeichen und Losungsworte an den Tag.
Die Carbonari des Kirchenstaates strebten die Beseitigung
der weltlichen Macht des Papstes an und bereiteten alles für den
Augenblick vor, da man den Tod des erkrankten Oberhauptes
der Kirche erwartete, ln Maeerata wurden beträchtliche Vorräte
und zahlreiche Truppen angesammelt, aber die unerwartete Ge-
nesung des heiligen Vaters verhinderte die Ausführung der
Verschwörung. Die Anführer fielen durch Verrat in die Hände
der Regierung und wurden schwer bestraft.
Auch in den lombardo-venezianischen Staaten gab es Car-
bonari-Logen, deren angesehenste der »Italienische Bund» war.
Sie bezweckten die Beseitigung der verhafsten Fremdherrschaft
Aber sie richteten nichts aus und viele ihrer bedeutendsten Mit-
glieder hülsten ihre Bestrebungen zuerst am Mailänder Pranger
und dann in österreichischen Gefängnissen ; so z. B. Silvio Pellico,
Confalonieri, Torelli, Maroncelli, Castiglia u. a.
In Frankreich wurde der Carbonarismus unter dem Namen
»Philadelphier“ (auch »Adelphes“) durch Joubert und Dugied
eingeführt, die, 1820 wegen Beteiligung an revolutionären Be-
wegungen geflüchtet, in Italien Carbonari geworden waren und
nach ihrer baldigen Rückkehr dem Carbonarismus Eingang
verschafften, und zwar mit so grofsem Erfolg, dafs die Gesell-
schaft sich rasch ausbreitete; die Universitätsstudenten traten fast
alle bei und auch in der Armee wurden Ventas errichtet mit
Lafayette als Oberhaupt. Logen gab es in La Rochelle, Poitiers,
Bordeaux, Niort, Kolmar, Neu-Breisach und Beifort, ln der
letztgenannten Stadt wurde noch 1821 ein Aufstandsversuch
gemacht, der aber scheiterte, weil die Regierung durch falsche
Carbonari von der Sache Wind bekommen hatte. Aus dem
gleichen Grund mifsglückten auch die übrigen ähnlichen Ver-
suche. Bei den Vorbereitungen zur Julirevolution (1830) spielte
der Geheimbund eine gewisse Rolle; im grofsen ganzen jedoch
kann man nicht behaupten, dafs er angesichts seiner hohen Mit-
gliederzahl und der ihm zur Verfügung gestandenen reichen
Mittel auch nur einigermafsen angemessene Ergebnisse erzielt habe.
Auch in Deutschland bestanden viele Carbonari - Logen.
Eine derselben, der »Totenbund", erregte 1849 durch ihre Ent-
deckung grofses Aufsehen. Damals verhaftete die Bremer Polizei
einen gewissen Hobelmann, Erzieher im Hause eines thüringischen
Edelmannes, denn er erwies sich als das Oberhaupt des »Toten-
bundes“, der so hiefs, weil seine Mitglieder jeden Gegner seiner
politischen Zwecke umbringen sollten. Die Polizei erwischte die
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Politische Geheiingesellschaften.
Satzungen und ein langes Verzeichnis von zum Tode verurteilten
Personen. Nach Spanien gelangte der Carbonarismus um 1820
durch Flüchtlinge aus Italien; die gröfste Verbreitung fand er
in Katalonien. Anfänglich von wenig Bedeutung, gewann er
1822 eine gröfsere Wichtigkeit dadurch, dafs er sich im Streite
zwischen den spanischen Freimaurern und den Comuneros auf
die Seite der ersteren stellte. Als sich jedoch die Comuneros
mit den Freimaurern aussöhnten (1823), wendeten sich diese
beiden Geheimgesellschaften gegen die Carbonari, die demzu-
folge jedes Ansehen verloren.
Wie die Freimaurer ihre Adoptivlogen hatten, liefsen die
Carbonari Frauen zu. Die weiblichen Mitglieder erhielten Blumen-
namen und führten die Gesamtbezeichnung »giardiniere“ (= Gärt-
nerinnen). Ihre Flaupt-Aufgaben waren: den Feind auszuspio-
nieren und das Los der eingekerkerten Bundesbrüder zu erleichtern.
Das letztere war oft nicht schwierig, denn da viele weibliche
Mitglieder der »Barmherzigkeitsgesellschaft“ zugleich giardiniere
waren, hatten sie in ersterer Eigenschaft freien Zutritt zu den
österreichischen Gefängnissen in Piemont und konnten daher in
ihrer zweiten Eigenschaft die kärgliche Gefängniskost der Carbo-
nari nach Belieben ergänzen.
Moselklub und Tugendbund.
Um 1737 lebte in Weimar ein Zimmermann namens Vogt,
den man, weil er aus Trarbach an der Mosel stammte, den
»Moseler“ nannte. Er errichtete eine Wirtschaft, welche be-
sonders von den Studenten stark besucht wurde. Diese gründeten
im Lauf der Zeit den »Moselklub“, der sich 1762 in einen
politischen Verein verwandelte, dessen Aufgabe die Erhebung
Preufsens zur leitenden Macht Deutschlands bildete. Die Mit-
glieder verpflichteten sich sogar, Friedrich dem Grofsen, der ein
Freimaurer war, bewaffnete Hilfe zur Verfügung zu stellen. Neun
Jahre später entstand innerhalb des Moselklubs ein engerer Ge-
heimbund, der »Freundschaftsorden", welchem namentlich Elsässer
und Badenser angehörten und dem nur Mitglieder des Mosel-
klubs beitreten konnten. Das Erkennungszeichen bestand in einem
eigenartigen Händedruck und im Berühren des Gesichts. Die
Genossen trugen ein an einem gelben Band befestigtes Kreuz.
1783 wurde ein Eid der Treue eingeführt, den die Aufnahme-
bewerber über vier Schwertern schwören mufsten, die auf einem
mit vier brennenden Kerzen versehenen Tisch gekreuzt lagen. Die
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Moselklub und Tugendbund.
309
Formel lautete: »Sollte ich meinem gegebenen Wort und Ver-
sprechen untreu werden, so sollen meine Brüder das Recht
haben, die hier liegenden Degen gegen mich zu brauchen und
mich für meinen Bundesbruch zu strafen." ln Jena, Giefsen,
Erfurt, Göttingen, Marburg und Erlangen wurden Logen er-
richtet Die Studenten lehnten sich gegen die Universitäts-
satzungen auf, was 1779 zu einer gerichtlichen Untersuchung
und zur Auflösung des Ordens führte, der jedoch alsbald unter
dem Namen »Schwarzer Orden" (in Halle »Die Unionisten")
wieder auflebte. Zwar schlief er nach wenigen Jahren ein,
allein bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gab es in
Deutschland allerlei Geheimgesellschaften, in denen die Universi-
tätsstudenten die Hauptrolle spielten. Besonders zahlreich waren
solche Verbindungen zwischen 1819 und 1842; im letztgenannten
Jahre bestanden ihrer, wie sich bei den einschlägigen amtlichen
Nachforschungen ergab, nicht weniger als 32.
Wie wenig die betreffenden Geheimbündler von den durch
den Sturz Napoleons I. wiedereingesetzten Herrschern erbaut
waren, geht schon aus der einen Thatsache hervor, dafs das
Junge Deutschland den Geburtstag des Königs von Preufsen mit
dem Beschiefsen seines Porträts feierte. Die Satzungen be-
handelten nicht nur den Verrat, sondern schon die blofse Indis-
kretion mit grofser Strenge. So z. B. schrieb Dr. Breidenstein
im Juni 1834 an Mazzini, dafs ein Mitglied des Jungen Deutsch-
land, Strohmayer, zum Tode verurteilt worden sei, obgleich er
kein Verräter war; man fürchtete lediglich seine Indiskretion. Im
November 1835 fand ein Milchmann im Zürcher Sihlthal die
mit 49 Dolchwunden bedeckte Leiche des Studenten Louis Lessing,
der wegen — freilich unerwiesenen — Spionageverdachts vom
Jungen Deutschland zum Tode verurteilt worden war.
Während Napoleon I. in Deutschland einen aus gefügigen
Königen und Fürsten bestehenden Hof bilden konnte, gab es
daselbst auch unbestechliche, wahrhaft tugendreiche Männer, die
dem Tyrannen Hafs schworen. Freilich hegten diese Personen
keine bestimmten Pläne und liefsen sich durch trügerische Hoff-
nungen verleiten. Ihre Führer stellten die kühneren Elemente
in den Vordergrund gleichsam als die zum Untergang bestimmte
Vorhut, welche die Aufgabe hat, die die Haupttruppen vom Siege
trennende Kluft auszufüllen. Zu dieser Vorhut gehörten vor
allem Mosqua, Lehmann, Velhagen, Both, Bardeleben, Baczko
und Krug, die im Frühling 1808 in Königsberg mit Ge-
nehmigung des Königs von Preufsen den »sittlich-wissenschaft-
lichen Verein", gemeiniglich »Tugendbund“ genannt, ins Leben
riefen. Die Zwecke waren: Aufrichtung der durch Unglück ver-
zweifelten Gemüter, Linderung physischen und sittlichen Elends,
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Politische Geheimgesellschaften.
volkstümliche Jugenderziehung, Reorganisierung des Heeres, Pflege
von Patriotismus und Königsfreundlichkeit. Diese Aufgaben
waren die offenkundigen ; das geheime Hauptziel jedoch richtete
sich auf die Abschüttlung des französischen Jochs. Während
Berlin sich ganz kühl verhielt, fand der Bund in Schlesien und
Pommern viel Anklang. Einer grofsen Ausbreitung desselben
stand mancherlei im Wege. Viele ängstliche Leiter von Be-
hörden untersagten ihren Angestellten den Beitritt. Auch schadete
der Umstand, dafs Preufsen sich nicht schon 1809 der Er-
hebung Österreichs anschlors, sowie das Scheitern der Schillschen
Unternehmung gegen Jerome Bonaparte, die man irrigerweise
dem Tugendbund zuschrieb. Von bedeutenden Menschen traten
dem Tugendbund bei: Boyen, Witzleben, Grolmann, v. Thile,
v. Ribbentrop, Merkel, Ladenberg, Eichhorn, Manso etc.
Die napoleonische Polizei entdeckte den Bestand des
Tugendbundes, den der König auf Andrängen des genialen
korsischen Abenteurers am 31. Dezember 1809 auflöste - jedoch
nur scheinbar; in Wirklichkeit verbarg der Bund sich nur besser
hinter der Freimaurerei. Seine Ziele wurden während Steins
Verbannung vom »Turnvater“ Jahn aufgegriffen, der 1811 den
berühmten Turnverein gründete, dem die Blüte der Berliner
Jugend angehörte. Stein behielt zu Petersburg seine patriotischen
Pläne im Auge und blieb mit den Berliner Patriziern in Ver-
bindung. Er und Blücher waren dem Tugendbund günstig ge-
sinnt; dagegen gab es am preufsischen Hof auch eine dem Bund
feindselige Partei, an deren Spitze die Generale Bülow und
Schuckmann standen, allerdings ohne sich deshalb für Napoleon
zu erwärmen. Ganz besonders bundesfreundlich war die Partei
des Freiherrn v. Nostitz, der die »Vereinigung der Ritter der
Königin von Preufsen" gründete, welche die dieser Fürstin von
Napoleon zugefügten Beleidigungen rächen und die Schmach von
Jena auslöschen wollte; namentlich in der letzteren Aufgabe be-
rührte sie sich mit dem Tugendbund.
Eine der Hauptthaten des Tugendbundes war die Ent-
sendung von Hilfstruppen, die Rufsland im Feldzuge von 1813
beistehen sollten. Die Ereignisse hatten Preufsen zum Aufgeben
seiner Zauderpolitik gezwungen; Gneisenau, Scharnhorst und
Grolmann nahmen die militärischen Pläne des Tugendbundes
auf und eine Massenaushebung wurde angeordnet. Aber so
rühmenswert die Thätigkeit jener Patrioten auch war, arbeiteten
sie gegen Napoleon doch nur, um ihrem Vaterland — freilich
gegen ihren Willen - schliefslich eine Regierung zu geben,
deren Willkür noch drückender war als die des Franzosenkaisers.
Diese Männer kämpften, wie man nur für eine wirklich grofse
Sache zu kämpfen pflegt, und die Sterbenden glaubten denn auch
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Moselklub und Tugendbund.
311
die Morgenröte der deutschen Freiheit anbrechen zu sehen, aber
die Überlebenden erkannten bald, wie sehr sie sich geirrt hatten.
In seinen Hoffnungen getäuscht, wurde der Tugendbund aufge-
löst, doch traten seine Mitglieder anderen Vereinigungen bei, die
teils schon bestanden, teils erst ins Leben gerufen wurden. Die
von Jahn geleiteten »Schwarzen Ritter" (gegründet 1815), so
genannt wegen ihrer schwarzen Kleidung, blieben nach dem Krieg
ebenso bestehen wie die »Ritter der Königin von Preufsen“.
Dr. Lang stellte sich an die Spitze der »Konkordisten», die jedoch
keine grofse Rolle spielten. Mehr Bedeutung hatte der 1810 ge-
stiftete »Deutsche Bund», welcher die Einführung von Ver-
tretungskörpern für die verschiedenen Staaten Deutschlands an-
strebte und in seinem Schofse den noch geheimeren »Verein der
Unbedingten" barg, der freisinnige Ideen nötigenfalls auch ohne
die Mitwirkung des Volkes fördern wollte. Diese Gesellschaft,
deren Vorhandensein zuerst von der westfälischen Regierung ent-
deckt wurde, führte in ihrem Siegel einen unter dem Freiheits-
baum ruhenden Löwen und die phrygische Mütze. All die er-
wähnten Geheimbünde standen mit einander in Verbindung.
Jahn war in Preufsen, Dr. Lang im Norden und Baron Nostitz
im Süden thätig.
Nach Napoleons Sturz trachtete die preufsische Regierung
insgeheim, den Tugendbund zu unterdrücken. Sie wagte nicht,
ihn offen anzugreifen, liefs ihn aber von Soldschreibern an-
rempeln. Schmalz schmähte ihn so sehr, dafs Niebuhr und
Schleiermacher sich zu entrüsteten Protesten veranlafst sahen. Am
meisten empörte die Deutschen die gemeine Weise, in der Schmalz
den »heiligen" Arndt verleumdete. Der Pamphletist hatte
mehrere Zweikämpfe zu bestehen und selbst die Gunst des
preufsischen Hofes konnte ihn nicht gegen persönliche Miß-
handlungen schützen. Nun schritt der König selber ein, indem
er eine Verordnung erliefs, in welcher er die Einstellung des
Streites befahl, zugab, den Tugendbund als »litterarisch-wissen-
schaftlichen Verein“ zu einer Zeit begünstigt zu haben, da das
Vaterland der Hilfe desselben bedurfte, und erklärte, dafs in
Friedenszeiten geheime Gesellschaften nur schädlich, nie nützlich
sein können, folglich zu verbieten seien.
Das Verbot führte jedoch nicht zur gänzlichen Beseitigung
der Geheimbünde, sondern nur zu ihrem Wiederaufleben unter
neuen Namen. So folgte dem Tugendbund 1818 die »Burschen-
schaft“, die an den Universitäten das Turnen und militärische
Übungen einführte und von Jahn übrigens bereits 1810 geplant
war. Neben einem preufsischen Zentralausschufs hatte sie
Unterausschüsse an den Universitäten zu Halle, Leipzig, Jena,
Göttingen, Erlangen, Würzburg, Heidelberg, Tübingen und
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Politische Geheimgesellschaften.
Freiburg. Deutschland war in zehn Bezirke geteilt und es gab
zweierlei Zusammenkünfte: vorbereitende und geheime. Die
Mitglieder der letzteren entsprachen den früheren »Schwarzen
Rittern“ und fafsten die wirkliche Befreiung Deutschlands ins
Auge, denn die durch Belle-Alliance bewirkte war nur eine
scheinbare. Da Rufsland als der gröfste Gegner der patriotischen
Bestrebungen der Burschenschaft galt, richteten sich diese ganz
besonders gegen den politischen Einflufs der Regierung des
Zars. Russenhafs drückte dem Mörder Kotzebues, dem Jenenser
Studenten Karl Ludwig Sand, am 9. März 1819 den Dolch in
die Hand. Dieser Mord hatte eine strengere behördliche Über-
wachung der Universitäten, das unbedingte Verbot aller geheimen
Verbindungen und die Mafsregelung einiger hervorragenden
Professoren wegen ihrer politischen Meinungen zur Folge. Die
Burschenschaft wurde aufgelöst, lebte aber 1830 wieder auf.
Der von einigen Studenten am 3. April 1833 unternommene
Frankfurter Putschversuch, der den Sturz der Willkürherrschaft
und die Einführung einer Verfassung bezweckte, führte zur \ er-
folgung vieler Burschenschaftsmitglieder und zur endgültigen
Unterdrückung der geheimen Verbindungen.
Der Babismus.
Der Stifter Ali Mohammed. — Ausbreitung. — Babs Lehren. — Schisma.
— Neuere Geschichte. — Grausame Verfolgungen. — Die Freimaurerei
in Persien.
„Bab“ ist ein Titel, kein Name. Der Gründer des per-
sischen Babismus hiefs Ali Mohammed und soll ein Abkömm-
ling der Familie des Propheten gewesen sein. 1819 zu Schiras
als Sohn eines Kaufmannes geboren, widmete er sich anfänglich
dem Handelsstande , begann aber bereits 1 840 seine neue
Lehre zu verkünden. Er nannte sich den »Bab“, d. h. Mahdi
oder Thüre der Wahrheit und pilgerte drei Jahre später nach
Mekka. Der Schah liefs ihn nach seiner Rückkehr verhaften
und von 1844 bis 1849 zu Ispahan und Täbris in Halb-
gefangenschaft halten. Zum Tode durch Erschiefsen verurteilt,
wurde er mit Stricken an den Mauern der Citadelle aufgehängt
und zwölf Soldaten schossen auf ihn. Nachdem die Rauchwolken
sich verzogen hatten, bemerkte man, dafs der Bab verschwenden
war — eine geschickt ins Werk gesetzte Machenschaft behufs
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Der Babismus.
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Erweckung des Glaubens an ein Wunder. Bald wieder ergriffen,
wurde er abermals zuni Tode verurteilt; näheres weifs man nicht,
doch soll er erschossen worden sein.
Seine lange Gefangenschaft und sein geheimnisvolles Ende
trugen zur Ausbreitung seiner Lehren ebenso bei wie die That-
sache, dafs er zu seinen Lebzeiten ab und zu Raserei-Anfälle
hatte. Bekanntlich gelten im Osten — manchmal sogar auch im
Westen — die Verrückten für inspiriert. Auch verschmähte der
Bab, gleich allen Propheten, nicht den Gebrauch weltlicher
Mittel zur Bekanntmachung seiner Lehren. Am meisten unter-
stützte ihn die hohe Beredsamkeit und außerordentliche Schön-
heit eines Mädchens aus guter Familie, Kurratu-l-Ayn, die eine,
der ersten Babistinnen war und für ihren Glauben den Märtyrer-
tod erlitt. 1848 unterzog der damalige Kronprinz Nasr-ed-din,
der vor einigen Jahren als Schah einem babistischen Attentat
zum Opfer fiel, den Bab einer auf dessen Lehren bezüglichen
Prüfung, wobei dem Thronfolger eine Anzahl von Geistlichen
an die Hand ging. Das Ergebnis war seine Verurteilung zur
Bastonnade; infolge dessen soll er alles widerrufen haben. Da
uns jedoch lediglich mohammedanische, also befangene Quellen
zu Gebote stehen und die Untersuchung geheim war, dürfte die
Geschichte von dem Widerruf kaum wahr sein.
Der Babismus verfolgt nicht nur theologische, sondern auch
politische Zwecke. Seine Bestrebungen waren — im Gegensatz
zur Rückständigkeit der persischen Herrscher — reformatorischer
Art, und das Volk nahm ihn leicht an, weil er geeignet schien,
die Willkürwirtschaft der das Land aussaugenden Provinzgouver-
neure zu überwinden. Als die Babisten sich stark genug fühlten,
nahmen sie Besitz von der Stadt Masanderan in der Nähe von
Barfurusch; aber sie mufsten sich, weil die kaiserlichen Truppen
ihnen die Lebensmittelzufuhr abschnitten, ergeben und wurden
insgesamt niedergemetzelt. Ein Jahr später (1848) erhoben sich
nach der Thronbesteigung Nasr-ed-dins etwa tausend Babisten
gegen ihn, doch wurden sie von einem Oheim des neuen Schahs
besiegt; die dreihundert Überlebenden, die sich gegen das Ver-
sprechen, dafs ihnen das Leben geschenkt werden würde, er-
gaben, erlitten einen grausamen Tod. 1849 bekehrte der Babisten-
führer Mulla Mohammed Ali siebentausend von den zwölftausend
Einwohnern der Stadt Sandschan, besetzte diese und vertrieb den
Gouverneur aus der Citadelle; im Kampf mit den gegen ihn
ausgesandten 18000 Mann kaiserlicher Truppen fielen 8000
Personen ; die überlebenden Babisten mufsten sich ergeben und
wurden unter furchtbaren Foltern umgebracht. 1850 predigte
der mehr ehrgeizige als fanatische Babist Se-id Jahia Darabi den
Babismus und gewann zweitausend Anhänger, mit deren Hilfe
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Politische Geheimgesellschaften.
er die Stadt Niris besetzte; allein die Truppen des Schahs eilten
herbei, erdrosselten ihn mit seinem eigenen Gürtel und töteten
seine ausgehungerten Anhänger.
Zwei Jahre darauf begingen einige Babisten ein Attentat
auf den Schah. Die eingeleitete Untersuchung ergab, dafs es in
allen gröfseren Städten Persiens umfangreiche Vereinigungen von
Babisten und Lautis gab, die den Sturz der herrschenden Dynastie
anstrebten. Alle erwiesenen Anhänger des Babismus wurden
öffentlich oder insgeheim hingerichtet und es brach auf Anord-
nung Nasr-ed-dins eine fast zwei Jahre dauernde Schreckenszeit
voll Tod und Verderben an. Der Zorn und die Beunruhigung
des Schahs waren so grofs, dafs er den teuflischen Plan ersann,
die Anhänglichkeit seiner Unterthanen dadurch zu erproben, dafs
er alle Klassen der Gesellschaft zur Rache an den Babisten
heranzog. So z. B. mufsten die Farraschen (wörtlich »Teppich-
leger“, in Wirklichkeit die asiatischen Liktoren) den Mann um-
bringen, der den den Monarchen verwundenden Schufs abgefeuert
hatte; sie thaten es, indem sie ihm viele Schnittwunden bei-
brachten, in diese brennende Kerzen steckten, die dann eine Zeit-
lang das Fleisch verbrannten, bis der Unglückliche schliefslich
entzweigesägt wurde. Das Marstall-Personal bewies seine Königs-
treue dadurch, dafs es dem ihm »an vertrauten“ Opfer glühende «
Hufeisen an die Füfse nagelte und dann den Kopf mit Nägeln
und Keulen zertrümmerte. Die Artilleristen mußten einem
Babisten die Augen ausstechen und ihn nachher aus einer Kanone
feuern. Die Teheraner Kaufleute versetzten einem anderen Ba-
bisten so lange je eine Wunde, bis er starb. Vambery erwähnt
in seinen »Wanderungen und Erfahrungen in Persien" einen
gewissen Kasim aus Niris, der mit brennenden Kerzen in Wunden,
mit glühenden Hufeisen und dem Ausreifsen aller Zähne ge-
martert wurde, ehe man ihm mit einer Keule den Schädel ein-
schlug.
Dies nur wenige Beispiele der Grausamkeit, mit welcher
der »liebenswürdige“ Monarch wütete, dem nachmals die Be-
völkerung der europäischen Weltstädte mit so viel Begeisterung
zujubelte! Statt der Unterdrückung des Babismus hatten diese
schrecklichen Verfolgungen dessen desto gröfsere Ausbreitung zur
Folge; er nahm nicht nur in Persien mit erstaunlicher Schnellig*
keit zu, sondern griff sogar nach Indien hinüber. Aufser An- ,
gehörigen der niedrigen Klassen traten der Sekte auch viele ge-
bildete und reiche Personen bei. Blofs die Christen Persiens
und die Mitglieder der Nuseirijeh-Sekte hielten und halten sich
dem Babismus fern.
Die babistische Lehre ist in dem, dem Bab selber zu-
geschriebenen Buche „Bij-jan“ enthalten, das aus drei Teilen be-
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Der Babismus.
315
steht, die zu verschiedenen Zeiten entstanden sind. Dieser Babisten-
Koran ist grofsenteils rhapsodischer Natur und an zahlreichen
Stellen unverständlich. Es wimmelt darin von Mysticismus, ent-
artetem Platonismus, guebristischen Brocken und Magiertum; auch
an Einflüssen des Christentums und der französischen Philosophie
des achtzehnten Jahrhunderts fehlt es nicht; die letzteren dürften
durch die Freimaurerei nach Persien gedrungen sein, obgleich, wie
wir alsbald sehen werden, die Maurerei in diesem Land keine
besondere Rolle gespielt hat. Zu den abergläubischen Vor-
schriften des Bij-jan gehört das Tragen von Amuletten: für die
Frauen in Kreis-, für die Männer in Sternform, während bezüg-
lich der Toten empfohlen wird, ihnen Kameolringe an die Finger
zu stecken. Das sind Anklänge an das aramäische Heidentum.
Das »heilige» Buch behauptet ferner die Göttlichkeit des Bab; er
und seine Jünger seien Verkörperungen höherer Mächte und
sollen vierzig Tage . nach ihrem Tod in anderen Gestalten wieder-
erscheinen. „Gott erschuf die Welt durch seinen Willen; der Wille
drückte sich in Worten aus; da nun die Worte aus Buchstaben
bestehen, besitzen diese Buchstaben göttliche Eigenschaften.“ Der
Zahlenwert der Buchstaben, aus denen die babistischen Namen
Gottes bestehen, beträgt immer 19; demgeniäfs bestehen die
kirchlichen Körperschaften der Sekte stets aus 19 Priestern, ihr
Jahr ist in 19 Monate zu 19 Tagen geteilt und das Ramadan-
fasten dauert statt 30 nur 19 Tage.
Ali Mohammed, der Bab, wählte achtzehn Jünger aus, die
er „Buchstaben des Lebendigen" nannte und die zusammen mit
ihm, dem „Ersten Punkt" (d. h. der Punkt der Offenbarung, aus
dem alle erschaffen sind und zu dem alle zurückkehren) die
heilige Hierarchie der Neunzehn (oder „die erste Einheit")
bildeten. Den vierten Platz in dieser Rangordnung nahm Mirza
Jahija ein, der daher nach dem Tode des Ersten Punktes und
der zwei ersten Buchstaben zum Oberhaupt der Sekte auf-
rückte. Aber ein anderes Mitglied der ersten Einheit, Mirza
Hussein Ali, genannt Beha, behauptete, derjenige zu sein, durch
den nach des Bab Prophezeiung Gott seine endgültige Offen-
barung am Jüngsten Tag kundthun werde. Der Anspruch Behas
hatte ein Schisma zur Folge, so dafs der Babismus seither zwei
Sekten hat: die Behaiten und die Ezeliten; Mirza Jahija hiefs
nämlich auch Subh-i-Ezel (= „Morgen der Ewigkeit"). Die
meisten Babisten sind Behaiten, und Jahija lebt in der Verbannung
zu Famagusta auf Cypern.
In der Frauenfrage sind die Babisten den übrigen Asiaten
so voraus, dafs sie die Lage der Frauen zu heben wünschen.
Sie bemühen sich um die Abschaffung des Schleiers und wollen
dem schwachen Geschlecht alle bürgerlichen Rechte des starken
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316
Politische Geheimgesellschaften.
zugestehen. Während der Stifter des Babismus den Genufs des
Tabaks untersagte, gestattete Beha denselben. Wie gegen jede
neue Sekte, werden auch gegen die Babisten allerlei Beschuldi-
gungen erhoben : sie seien Kommunisten, treiben Vielmännerei
(jedem Weib seien neun Gatten gestattet), trinken Wein u. dgl. m.;
doch ist nichts von alledem bewiesen worden. Angeblich er-
kennen sie sich an besonderen Arten des Grufses und an Ringen
von eigentümlicher Form. Sie tragen eine charakteristische
Frisur und kleiden sich in der Regel weifs. Obgleich der Babis-
mus erst etwas über ein halbes Jahrhundert alt ist, »erfreut" er sich
bereits einer Unmenge von theologischen Streitschriften; die
Menschen streiten eben von jeher am meisten und liebsten über
Dinge, von denen sie am wenigsten verstehen !
Vielleicht ist der Babismus berufen, in Asien noch eine
bedeutende Rolle zu spielen. Inzwischen bietet er der Mitwelt
Gelegenheit, die Entwickelung einer neuen Religion zu beobachten,
die dem Priestertum eine über die königliche weit hinausreichende
Macht zuweist, es sei denn, dafs der König selber ein Babist wäre,
was er, falls die Sekte je die Oberhand gewinnen sollte, auch wirk-
lich sein müfste, wenn er seine Würde bewahren wollte, da der
Bab gelehrt hat, dafs nur Babisten bürgerliche Rechte geniefsen
können, Andersgläubige aber nicht. Zur Vergröfserung des Ein-
flusses der Priester ist für den Gottesdienst möglichst grofser
Pomp vorgeschrieben und die Tempel sollen mit den kostbarsten
> Erzeugnissen der Natur und der Kunst ausgeschmückt werden.
Vorläufig will sich keine der beiden Sekten des Moham-
medanismus mit den Lehren der Babisten befreunden. Die in
Persien vorherrschenden Schiiten wollen besonders davon nichts
wissen, dafs der Bab der vcrheifsene Mahdi sein solle. Des
letzteren Kommen sollte nach der Offenbarung von Wunder-Er-
scheinungen begleitet sein, während beim Auftreten Ali Mohammeds
solche selbstverständlich nicht wahrnehmbar waren. Auch die
neue Scheich-Schule ist dem Babismus ungünstig gesinnt. Im
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts verkündete der Scheich
Achmed von Ahsa einen neuen Glauben, der, obgleich von den
Rechtgläubigen für ketzerisch gehalten , viele Anhänger fand.
Achmed starb 1827 und hatte seinen Jünger Hadschi Seid Kasim
zum Nachfolger. Dieser prophezeite bei seinem Tode (1844)
das Erscheinen eines Mannes, der ihn an Bedeutung übertreffen
werde. Diese Gelegenheit ergriff Ali Mohammed, um sich als
jenen Mann, den Bab, auszugeben und er wurde von der alten
Scheich-Partei kräftig unterstützt, während ein Teil der Anhänger
Seid Kasims sich als neue Scheich-Schule lostrennte und ihn
heftig befehdete. Der Bab nannte den Anführer der neuen
Partei »Quintessenz des Höllenfeuers“ und wurde von ihm
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Der Babismus.
317
seinerseits in einer Abhandlung, die sich »Die Vernichtung der
Falschheit“ betitelte, gründlich abgeführt, worauf noch andere
gegenseitige Angriffe folgten.
Die schändlichen Babistenverfolgungen des Schahs Nasr-
ed-din im Jahre 1852 hatten das Ergebnis, dafs die Sekte sich
44 Jahre lang äufserlich ruhig verhielt , obgleich die Anzahl
ihrer Mitglieder allmählich aufs Doppelte anwuchs. Trotz der
langen Ruhe kam es in neuerer Zeit wieder zu Verfolgungen.
Im Jahre 1863 schlug ein Perser, der eine Europareise gemacht
hatte, dem Schah vor, eine Freimaurerloge zu gründen und selber
deren Grofsmeister zu werden, wodurch er eine moralische Bürg-
schaft für die Treue seiner Unterthanen hätte, da zweifellos alle
angesehenen und hervorragenden Persönlichkeiten beitreten und
maurerische Eide nie gebrochen würden. Der Schah erteilte die
Erlaubnis zur Errichtung, liefs sich aber nicht einweihen. Die
Loge Feramusch-chanek (= »Haus der Vergessenheit“, weil man
beim Verlassen der Loge alles dort Gesehene und Gehörte ver-
gessen sollte), trat alsbald ins Leben und der Monarch veran-
lafste alle Höflinge zum Anschlufs an dieselbe. Auf seine Fragen
nach den Vorgängen daselbst erhielt er unklare Antworten ; die
Mitglieder hatten einen moralischen Vortrag angehört , Thee
getrunken und Tabak geraucht. Da es dem Herrscher unglaublich
vorkam, dafs hinter den ihm als so schrecklich geschilderten Ge-
heimnissen der Freimaurerei nicht mehr stecken sollte, vermutete
er, dafs man ihm das meiste vorenthalte. Seinen Mifsmut hierüber *
benutzten die Gegner der Neuerung unter seinen Ratgebern zur
Andeutung, die Loge diene wahrscheinlich den ärgsten Aus- •
Schweifungen und sei vielleicht sogar ein Versammlungsort von
Babisten. Die vermeintlichen Ausschweifungen mochten noch
hingehen , aber der Gedanke an den Babismus führte zur
schleunigsten Schliefsung der Loge und zur Verbannung jenes
europäisch gesinnten Persers, der die Anregung zu ihrer Er-
öffnung gegeben hatte. Und bald begannen wieder die direkten
Babistenverfolgungen, glücklicherweise in viel kleinerem Mafse
als früher. 1888 wurden Seid Hassan und Seid Hussein auf
Anordnung des damaligen Kronprinzen hingerichtet, weil sie sich
weigerten, den Babismus abzuschwören. Ihre Leichname schleppte
man bei den Füfsen durch die Strafsen und Bazare von Ispahan
und warf sie dann durch das Festungsthor zur Stadt hinaus.
Im Oktober desselben Jahres liefs die Geistlichkeit den Babisten
Aga Mirza Aschraf umbringen und die Leiche in der schreck-
lichsten Weise verstümmeln. 1890 griff eine Pöbelrotte die
Babisten des Bezirkes Seh-deh an und tötete ihrer sieben bis
acht, die Leichen nachher verbrennend. Der Schah soll die
grundlosen fanatischen Überfälle auf Babisten wiederholt mifs-
«
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318
Politische Geheimgesellschaften.
billigt haben; allein das schützte ihn nicht vor der Rache für
seine eigenen früheren Verfolgungen, und am 1. Mai 18% wurde
er bekanntlich erschossen. Der Mörder war Mirza Mohammed
Risa aus Kirman, ein Anhänger des 1 891 wegen eines Versuches
zur Entthronung Nasr-ed-dins verbannten Dschemal-ed-din; er
war auserwählt worden, den Schah zu töten — ob seine Hin-
richtung die Babisten wohl von anderen Attentaten abschrecken
wird? Hierüber wie überhaupt über die Zukunft der Sekte sich
eine Meinung zu bilden, ist ungemein schwer. Da die Babisten
aber mäfsig, keusch, fromm und opferwillig sind, dürften sie,
falls sie jemals die herrschende Sekte werden sollten, Persien
gründlich umgestalten. Nach den Erfahrungen der Ent-
wickelungslehre ist es nicht einmal unwahrscheinlich, dafs es so
kommen wird. Und Persien bedarf gar sehr der Umgestaltung
seiner Zustände.
Die Nihilisten.
Bedeutung des Wortes »Nihilist“. — Die Pioniere des Nihilismus: Baku-
nin, Herzen, Tschemischewski, Netschajew. — »Unters Volk gehen“. —
Der Nihilismus wird aggressiv. — „Land und Freiheit". — Grofse Pro-
zesse. - Sophia Bardina. — Die Schreckenspartei. — Wjera Sassulitsch. —
Attentate gegen hohe Beamte. — Goldenberg und Solowjew. — Attentate
auf Alexander II. — Verfolgungen und Hinrichtungen. — Die Explosion
im Winterpalast. — Die Ermordung des Zars. — Die Mine in der Garten-
strafse. — Die angeblichen Verfassungspläne Alexanders II. — Die Prokla-
mation an Alexander 111. - Neuerliche Verfolgungen. - Ignatiews Po-
litik. - Nihilisten und Juden. - Vorsichtsmalsregeln zum Schutz des
neuen Zars. — Attentat auf Tscherewin. - Niederlagen der Nihilisten
1882. — Die Krönung Alexanders III. und der Nihilismus. — Attentat
auf Sudeikin. Das Attentat von Gatschina. Die Odessaer Attentate. —
Prozess der Vierzehn. — Neugestaltung der Partei. — Wiedererscheinen
des ..Volkswille“. - Niedergang des Nihilismus. — Lauter Mifserfolge
und Niederlagen. - Neueste Geschichte. — Einnahmequellen. — Geheime
Druckereien. Sicherheitsmafsregeln.
Der Ausdruck »Nihilist“ kommt zu allererst bei Iwan Tur-
genjew vor. ln seinem Roman »Väter und Söhne» bezeichnet
Arkadi seinen Freund Bazarow als einen »Nihilisten». — »Ni-
hilist? Ich glaube, das ist jemand, der nichts zugiebt» -- »Oder
vielmehr jemand, der vor nichts Respekt hat, sich keiner Autorität
beugt und keinen Grundsatz — und möge derselbe noch so
allgemein hochgehalten werden - ohne Prüfung hinnimmt.“
Diese ursprüngliche Definition trifft längst nicht mehr zu. Lange
Zeit in verächtlichem Sinn gebraucht, wurde das Wort von denen,
gegen die es sich wenden sollte, in ähnlicher Weise mit Stolz
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Die Nihilisten.
319
aufgegriffen, wie einst die Bezeichnung „Geusen“ vom nieder-
ländischen Adel.
Die ersten Nihilisten waren keineswegs Verschwörer, sondern
lediglich Mitglieder eines litterarisch-philosophischen Vereins, der
zwischen 1860 und 1870 bestand. Erst die Pariser Kommune
und die Internationale brachten die russische Jugend auf den
Gedanken, geheime Verbindungen ins Leben zu rufen behufs
Verbreitung der freisinnigen Ideen, welche von Michael Bakunin
und Alexander Herzen schon seit längerer Zeit gepredigt worden
waren. Diese zwei Männer und der Verfasser des 1863 er-
schienenen Romans „Was soll geschehen?“, Tschernisehewski,
können als die eigentlichen Väter des wirklichen Nihilismus an-
gesehen werden. Tschernisehewski, dessen Roman die Geister
mächtig erregte, wurde nach Sibirien verbannt Herzen, der
1869 starb, strebte eine friedliche Umgestaltung der russischen
Verhältnisse an, während Bakunin (f 1878) für deren gewaltsame
Umwälzung mittels einer Erhebung in Gemeinschaft mit mehreren
anderen zu revolutionierenden Ländern Europas schwärmte. Das
Programm der 1874 gegründeten bakuninischen ultraradikalen
Partei lief darauf hinaus, „die Thatkraft nicht an Zukunftsorgani-
sationen zu verschwenden, sondern unverzüglich ans Zerstörungs-
werk zu schreiten.“
Ein andrer hervorragender Pionier war der unermüdlich
thätige und hochbegabte Autodidakt Sergei Netschajew, ein Peters-
burger Schulmeister. Im Jahre 1869 setzte er eine Verschwörung
ins Werk, die zwar nicht den Tod, wohl aber die Thronent-
se^ung des Zars bezweckte. Doch wurde nichts daraus. Net-
schajew hatte nämlich einen intimen Freund , den Studenten
Iwanow, der nicht so weit gehen wollte wie er, sich daher mit
ihm zerschlug und mit seinem Austritt aus der geheimen Ver-
bindung drohte. Da die letztere Verrat befürchtete, ermordete
Netschajew am 21. November 1869 Iwanow. Die Entdeckung
dieses 'Verbrechens führte zur Aufdeckung dieser Verschwörung
und wegen Teilnahme an ihr wurden 87 Personen vor Gericht
gestellt (1871), darunter Fürst Tscherkesow, der den Bund mit
gröfseren Geldsummen unterstützt hatte. Ober den Fürsten ver-
hängte das Gericht den Verlust aller Rechte und Vorrechte sowie
fünfjährige Verbannung nach Sibirien. Netschajew selbst entkam
nach der Schweiz, wurde jedoch, nachdem die russische Regierung
auf seinen Kopf einen hohen Preis ausgesetzt hatte, mit Hilfe
des Züricher Polizeileiters, der dafür 20000 Francs erhielt, an
Rufsland ausgeliefert, obgleich der Stadtrat sich gegen die Aus-
lieferung kräftig verwahrte. Zu zwanzigjähriger Zwangsarbeit in
Sibirien verurteilt, wurde er, weil man ihn wegen seiner grofsen
organisatorischen und agitatorischen Fähigkeiten nicht aus dem
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320
Politische Geheimgesellsehaften.
Auge lassen wollte, nicht nach Sibirien geschickt, sondern in den
fluchtsichersten Teil der Festung Petropawlowsk gesperrt und
überdies anfänglich derart an eine Metallstange gekettet, dafs er
nur sehr unbequem liegen, stehen oder sitzen konnte. Aber
selbst im Kerker gelang es ihm, Anhänger zu gewinnen. Der
Kaiser und mehrere hohe Staatsbeamte besuchten ihn, um ihn
über Wesen und Aussichten der Umsturzpartei auszufragen; er
besafs jedoch so viel Selbstverleugnung, dafs er lieber im Ge-
fängnis blieb, als etwas zu verraten. Sein weiteres Schicksal ist
nicht bekannt. Er soll an den Folgen einer grausamen Züch-
tigung gestorben sein , die er wegen eines Streites mit dem
Kerkeraufseher erlitt. Die Nihilisten betrauerten gar sehr den
Verlust dieses ebenso mutigen wie selbstlosen Mannes.
Zu den frühesten Ergebnissen der erwachten Begeisterung
für soziale und politische Freiheit gehörte der Eifer, mit welchem
viele junge Leute »unters Volk gingen". Jünglinge und Mädchen
aus angesehenen oder reichen, sogar auch adeligen Familien ent-
sagten der Annehmlichkeit und Sicherheit des häuslichen Lebens,
der Liebe und Achtung ihrer Verwandten, den Vorteilen von
Rang und Stellung, um sich unter die Bauern und Arbeiter zu
mischen, deren Kleidung, Kost und Arbeit teilend. Sie thaten
dies, um sie über die Menschenrechte zu belehren und ihnen
radikale Grundsätze beizubringen. Im Winter 1872 scharte Fürst
Peter Krapotkin in einer Hütte bei St. Petersburg eine Anzahl
von Arbeitern um sich. Am Don-Ufer that der reiche Kosak
Obrutschow dasselbe. Der Offizier Leonidas Schiseko wurde,
um agitieren zu können, in einer Petersburger Fabrik Handweber.
Der Offizier Demetrius Rogatschew ging mit einem Freund ins
Gouvernement Twer, wo sie als Holzsäger für den Nihilismus
Propaganda machten. Die Aristokratin Sophia Perowskaja, die
Tochter des Generalgouverneurs von Petersburg, verlegte sich
auf das Impfen von Bauernkindern. Unter den jugendlichen
Schwärmerinnen befanden sich auch die Töchter dreier Wirklicher
Staatsräte und eines Generals. Aus einem geheimen amtlichen
Bericht vom Jahre 1875 geht hervor, dafs es bereits 1870 —
71 in 37 Gouvernements revolutionäre Vereine gab, die zumeist
Schulen , Fabriken , Werkstätten und Niederlagen verbotener
Schriften unterhielten — lauter Propagandamittel, zu denen noch
die Verbreitung von Flugblättern trat. Gröfsere Erfolge wurden
aber nur in den gebildeteren Kreisen erzielt; so z. B. opferten der
Agitation der Student Germolow sein ganzes Vermögen, der einstige
Friedensrichter Woinaralski vierzigtausend Rubel. Die bei den
Bauern erzielten Ergebnisse hingegen entsprachen keineswegs der
aufgewendeten Mühe. Der russische Bauernstand ist eben zu un-
wissend und furchtsam; auch fehlte es vielen der eifrigen Apostel
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Die Nihilisten.
321
an der nötigen Vorsicht und das bewirkte, dafs sie die Auf-
merksamkeit der Behörden erregten und verhaftet wurden. Mittels
Kerkers, Galgens, Verbannung und grausamer Behandlung rottete
die Regierung die ganze Bewegung aus.
Das Scheitern des theoretischen Nihilismus zeitigte den
praktischen, kämpfenden. Die davongekommenen Nihilisten setzten
an die Stelle der friedlichen Propaganda die aggressive. Zunächst
bildeten sie in verschiedenen Bezirken Gruppen, denen die Auf-
gabe zufiel, nur unter solchen Bauern zu agitieren, die ihnen
als vorsichtig und intelligent bekannt waren. Anfänglich (1876
bis 1878) wurde die hauptstädtische Gruppe »Die Troglodyten"
genannt, später jedoch »Land und Freiheit" — nach dem Titel
des von ihr herausgegebenen geheimen Organs. Besonders grofs
war die Moskauer Gruppe, die zumeist aus ehemaligen Züricher
Universitätsstudenten — darunter mehreren Mädchen — bestand,
die teilweise Scheinheiraten eingingen, welche in Wirklichkeit fast
nie vollzogen wurden und nur den Zweck hatten, die Genossinnen
unabhängig und pafsfähig zu machen. Sie selbst nannten diese
Ehen in ihren Briefen »Possen“ und vor Gericht stellte sich oft
heraus, dafs die betreffenden Mädchen trotz ihrer abenteuerlichen
Lebensweise und ihres vertrauten Umganges mit Männern fast
durchweg tugendhaft blieben.
Die »Gruppen" erzielten keine sonderlichen Erfolge. Die
Riesigkeit des Reiches, die Trägheit und Gleichgültigkeit des
Volkes, die Notwendigkeit gröfster Vorsicht — all dies vereitelte
die Anstrengungen der Agitatoren erheblich. Die leitenden Per-
sonen schrieben verzweifelte Briefe; einer lautete: »Die Nach-
richten aus dem Süden sind unbefriedigend. . . Wir senden
euch Bücher und Revolver. . . Tötet, schiefset, thuet etwas, rufet
Unruhen hervor!“ An Büchern und Geld fehlte es durchaus
nicht Im März 1875 erfolgten viele Verhaftungen, die zur
Folge hatten, dafs in Moskau eine Zentralstelle errichtet wurde,
welche die Agitatoren mit Geld, Schriften, falschen Pässen u. s. w.
versorgte, vor drohenden Gefahren warnte, in Geheimschrift
korrespondierte und mit den Häftlingen Verbindungen unterhielt.
Doch wurde diese Zentralstelle schon nach wenigen Monaten
von den Behörden entdeckt und vollständig beseitigt.
Aber die Nihilisten arbeiteten unentwegt weiter. Trotz der
Verurteilung von Alexis Ossipow zu neun und Alexander Butows-
kaja zu vier Jahren Zwangsarbeit wegen Verbreitung verbotener
Bücher (1876) entstand in Moskau eine neue geheime Vereinigung.
Als man ihr im März 1877 auf die Spur kam und den Prozefs machte,
wurden von den fünfzig Angeklagten, deren Alter sich zwischen
15 und 25 Jahren bewegte, zehn — darunter mehrere junge
Mädchen — zu fünf bis zehn Jahren Zwangsarbeit, die übrigen
Heckethorn-Katscher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 21
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Politische Geheimgesellschaften.
zu Kerker oder Verbannung verurteilt Zu den Angeklagten
gehörte die dreiundzwanzigjährige Sophia ßardina, die ihre Studien
mit Auszeichnung beendet hatte, aber dennoch eine gewöhnliche
Fabrikarbeiterin wurde, um agitieren zu können. Wegen Ver-
teilung freisinniger Flugschriften unter die Arbeiter verhaftet,
blieb sie zwei Jahre ohne Prozefs in strengem Gewahrsam ; in
der soeben erwähnten Verhandlung gegen die Fünfzig bekam
sie neun Jahre Zwangsarbeit in Sibirien. Sie hielt damals vor
Gericht eine glänzende, berühmt gewordene Rede, in der u. a. die
folgenden Stellen vorkamen:
»Ich bin überzeugt, dafs unser jetzt noch schlafendes Land
erwachen und dafs dieses Erwachen ein schreckliches sein wird.
Es wird dann nicht länger gestatten, dafs seine Rechte mit Füfsen
getreten und seine Kinder in den sibirischen Bergwerken lebendig
begraben werden. . . . Die Gesellschaft wird ihr schmachvolles
Joch abschütteln und uns rächen. Diese Rache wird furchtbar
sein. . . . Richter mögen uns verfolgen, Henker uns töten; so-
lange ihr über physische Gewalt verfüget, werden wir euch mit
sittlicher Kraft entgegentreten, denn wir verfügen über die Gleich-
heits- und Freiheits-Ideen und diese sind vor euren Bajonetten
gefeit !“
Bald folgte ein Prozefs gegen 193 Angeschuldigte - nach
vierjähriger Untersuchungshaft, die sich ursprünglich auf 770
Personen erstreckt hatte. Bei diesem und den übrigen Prozessen,
die man den Nihilisten in verschiedenen Teilen Rufslands machte,
legten die Angeklagten bezw. Verurteilten eine so mutige und
entschlossene Haltung an den Tag, dafs sie selbst von vielen
Leuten, die mit ihren Bestrebungen nicht einverstanden waren,
»Heilige" genannt wurden. Und die Gesinnungsgenossen ? Die
liefsen sich durch nichts abschrecken und fuhren fort, Kund-
gebungen zu erlassen, in denen sie mit ihren fortschrittlichen
Forderungen nicht hinter dem Berg hielten. Vor allem ver-
langten sie die Beseitigung der korrupten und grausamen Hof-
kamarilla sowie die Abschaffung der berüchtigten »Dritten Ab-
teilung“. Freilich gab es auch Nihilisten, die weit radikalere
Mafsregeln forderten; diese Gruppe trennte sich von der milder
gesinnten und bildete die »Volkspartei" mit dem Prefs-Organ
»Land und Freiheit“. Bereits 1 87 S trat eine weitere Absonderung
ein, deren Ergebnis die »Schreckenspartei“ war, die ihr Blatt
»Volkswille“ betitelte. Die Ultras schienen anfangs keinen festen
Plan zu haben, aber die Regierung spielte ihnen durch mafslose
Willkür geradezu in die Hände. Das mifsbräuchliche Spionier-
und Verdächtigungssystem der Behörden, die unnötig grausame
Strenge-der Verurteilungen wegen geringfügiger »Vergehen“, das
Fehlen jeder Neigung zu Reformen - kurz, alles war geeignet,
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Die Nihilisten.
323
die Radikalen aufs höchste zu erbittern. Was Wunder, wenn
mehr als ein Verräter von ihnen umgebracht wurde?! So über-
mäfsig roher Gewalt gegenüber findet auch der friedlichst ge-
sinnte Menschenfreund Repressalien begreiflich.
Nicht nur an den Spionen übte die »Schreckenspartei*
Rache, sondern auch an hohen Würdenträgern und Beamten,
schliefslich sogar am Kaiser. Den Anfang der Reihe von Atten-
taten bildete das der Wjera Sassulitsch auf den berüchtigten
Petersburger Polizeichef Trepow im Januar 1878. Dieser General
hatte den politischen Häftling Bogolinbow wegen eines kleinen
Disziplinarvergehens peitschen lassen und Wjera übernahm es,
ihn zu rächen, obgleich sie ihn gar nicht kannte. Dieses damals
26jährige Mädchen war im 17. Lebensjahr verhaftet und zwei
Jahre lang eingesperrt gehalten worden, weil sie für einen Nihi-
listen Briefe entgegengenommen hatte; dann schickte man sie
von Ort zu Ort, bis man sie schliefslich zwei Jahre lang unter
Polizeiaufsicht in Charkow liefs. Ende 1875 kehrte sie nach
Petersburg zurück. Der allgemeine Unwille gegen Trepow, den
auch das nichtrevolutionäre Publikum den »Baschibosuk von
Petersburg" nannte, veranlafste sie gelegentlich jener Peitschung
zu einem Revolverattentat auf den Polizeichef. Dieser erlitt eine
schwere Verwundung, allein Wjera wurde von den Geschworenen
freigesprochen — ein Urteil, welches allgemeine Billigung fand.
Trotz der Freisprechung wollte die Polizei sich ihrer, als sie
davonfuhr, bemächtigen, doch widersetzte sich dem das Publikum
und in der Verwirrung konnte die Sassulitsch flüchten; Trepow
aber erhielt vom Zar eine Auszeichnung.
Sieben Monate später erfolgte die Ermordung des Generals
Mesentzow, Leiters der dritten Abteilung. Dieses Scheusal, das
in einen Wechsel- und Testamentsfälschungsprozefs verwickelt
war, mifsbrauchte seine verantwortungslose Machtstellung dazu,
alle Zeugen, von denen es ungünstige Aussagen befürchtete, aus
der Welt schaffen zu lassen. Auch pflegte Mesentzow Sträflinge
verhungern oder sonstwie mit ausgesuchter Grausamkeit behandeln
zu lassen. Am 16. August 1878 wurde er von zwei Nihilisten,
die dann sofort in einer bereitstehenden Droschke entkamen, er-
schossen. Unmittelbar nachher drohten die Terroristen mit der
Fortsetzung ihrer blutigen Thätigkeit für den Fall, dafs die
politischen Verfolgungen nicht aufhören und die eingekerkerten
politischen Verbrecher nicht begnadigt werden sollten. Die Re-
gierung antwortete mit einer Verschärfung der Verfolgungen, mit
der Abschaffung der Geschworenengerichte für politische Ver-
brechen und ihrer Ersetzung durch »sichere" Sondergerichte.
Im September (1878) wurde die aus etwa sechzig Mitgliedern
bestehende St. Petersburger Gruppe »Land und Freiheit“ unter
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Politische Geheimgesellschaften.
vielen Verhaftungen aufgelöst; allein die Entwischten riefen die
Verbindung aufs neue ins Leben und richteten für den Druck
ihres Prefs-Organs eine eigene Druckerei ein.
Die Attentats-Chronik des Jahres 1879 begann am 9. Februar
mit der Erschiefsung des Fürsten Alexis Krapotkin — eines
Vetters Peters — durch Goldenberg, dem es glückte, zu entkommen.
Der Fürst hatte sich als Gouverneur von Charkow durch un-
menschliche Behandlung der Sträflinge mifsliebig gemacht und
die letzteren durch seine Grausamkeit so sehr erbittert, dafs sie
einen jener Hungerstreiks veranstalteten, deren nähere Kenntnis
uns der wackere Sibirienreisende George Kennan vermittelt hat.
Bereits am 12. März schofs Mirski, der dann ebenfalls entwischte,
auf den Leiter der Geheimpolizei, General Drenteln, der einen
Gefangenen wegen Fluchtversuchs hatte henken lassen und über-
haupt ein sehr grausamer Mensch war, der ebenfalls einen
Hungerstreik hervorrief. Nun sollte die Reihe an den Zar
kommen. Nach dem Mifslingen des Versuchs, ihn im Herbst
1878 zu Nikolajew mittels einer Mine in die Luft zu sprengen,
kam der Lehrer A. Solowjew — der, um mit den Arbeiterkreisen
in nähere Berührung zu kommen, ein Grobschmied geworden
war - nach Petersburg, verständigte sich mit Goldenberg und
der Gruppe «Land und Freiheit", gab am 2. April 1879 auf den
spazieren gehenden Kaiser vier Schüsse ab, die nicht trafen, und
erlitt zwei Monate später den Henkertod.
Nunmehr traten behördlicherseits Zustände ein, die für
ganz Rufsland dem Belagerungszustand gleichkamen. In der
Hauptstadt mufste jeder Hausbesitzer Tag und Nacht einen
Wächter halten, der die Kommenden und Gehenden zu beo-
bachten und das Ankleben von Plakaten zu verhüten hatte. Im
Mai gab es in der Peterpaulsfestung 4700 politische Gefangene,
die eines Nachts nach Gefängnissen in den östlichen Provinzen ,
geschafft werden mufsten, damit für neue Häftlinge Raum werde.
Von Odessa wurden 800 Sträflinge nach Sibirien gebracht. In
Kiew erfolgte die Verurteilung der ein Jahr vorher im Besitze
einer geheimen Druckerei betroffenen Personen teils zum Tode
durch Erschiefsen (doch liefs der Generalgouvemeur sie henken),
teils zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit; darunter befanden sich
Töchter eines Stadtrats, eines Edelmannes und eines Staats-
beamten.
Die erhöhte Strenge der Regierung rief eine verstärkte
Erbitterung hervor, deren nächste Folge mehrere Attentatsversuche
gegen den Zar waren. Auf der Lipecker Nihilistenkonferenz im
Juni erklärte Scheljabow, dafs die Gouverneure und die anderen
Regierungsvertreter nur Werkzeuge des Kaisers seien und daher
dieser selbst bestraft werden müsse. Man stimmte dem zu und
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Die Nihilisten.
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einigte sich auf eine Sprengung des Eisenbahnzuges, der
Alexander II. von der Krim nach Petersburg bringen sollte. In
der Nähe der Städte Odessa, Alexandrowsk und Moskau wurden
Minen gelegt; doch mifslang die Sache an den zwei erstgenannten
Punkten und blofs bei Moskau erfolgte am 1. Dezember eine
Explosion; da aber der kaiserliche Zug nicht, wie gewöhnlich,
dem Gepäckzug folgte, sondern ihm ausnahmsweise voranging,
litt nur der Gepäckzug und dem Zar geschah nichts. Sophia
Perowskaja, der Elektriker Leo Hartmann und andere Gesinnungs-
genossen hatten ein dicht an der Bahnlinie liegendes Häuschen
gekauft und ihre unterirdische Minierarbeit nächtlicherweile mit
der Hand gethan, dabei bis zum Knie in eisigem Wasser stehend.
Sie entflohen allesamt rechtzeitig und wurden nicht erwischt, ob-
gleich man nach dem Attentat Hunderte von Nihilisten einsperrte.
Weder der Prozefs der »Achtundzwanzig" in Odessa im
August (Verurteilung teils zum Galgentod, teils zu fünfzehn- bis
zwanzigjähriger Zwangsarbeit in den sibirischen Bergwerken),
noch der Odessaer Dezemberprozefs gegen Viktor Malinka und
Genossen, noch das Scheitern des Eisenbahnattentats vermochte
die Nihilisten zu entmutigen, ebensowenig die Wegnahme zweier
geheimer Pressen in Verbindung mit zahlreichen neuen Ver-
haftungen im Januar 1880. Noch vor dem Ende dieses Monats
veröffentlichten sie ein »Programm«, in welchem sie erklärten,
dafs der Zar sterben müsse, falls er sich fortgesetzt weigere, dem
Volk verfassungsmäfsige Rechte zu gewähren. Die Antwort der
Machthaber bestand abermals in Verhaftungen und noch gröfserer
Strenge. Der Bauernsohn Chalturin, ein gewandter Agitator und
erfahrener Vereinsorganisator, übernahm es, den Kaiser in dessen
Winterpalast in die Luft zu sprengen. Da er ein sehr tüchtiger
Schreiner war, fiel es ihm leicht, unter einem angenommenen
Namen im Winterpalast Arbeit zu bekommen (schon im Oktober
1879), und bald hatte er heraus, dafs der kaiserliche Speisesaal,
blofs durch die Wachtstube getrennt, über der Zinimermanns-
Werkstätte lag. Danach richtete er sich, und die Polizei war so
blind, dafs sie von seinen Vorbereitungen nichts ahnte, obgleich
er allabendlich ein Packet Dynamit einschmuggelte, das er als
Kopfkissen benutzte, und obgleich gegen Jahresschlufs bei einem
verhafteten Mitglied des nihilistischen Vollzugsausschusses ein
Plan des Palastes gefunden wurde, auf dem der Speisesaal an-
gekreuzt war — ein Fund, der die Polizei zur unerwarteten
Untersuchung der Zimmermanns-Werkstätte und ihrer Neben-
räume veranlagte. Das Dynamit entdeckte man nicht, wohl aber
stellte man einen Gendarmen als Wächter auf, der die Kommen-
den und Gehenden überwachen sollte, wodurch die Fortsetzung
der Dynamiteinschmuggelung sehr erschwert - freilich nicht
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326
Politische Geheimgesellschaften.
unmöglich gemacht - und die Durchführung des Planes be-
deutend verzögert wurde.
Bis dahin war das Einschmuggeln des Dynamits leicht ge-
wesen, denn der Winterpalast diente vielen Arbeitern, Freunden
der Dienerschaft, Vagabunden und allerlei Gesindel, das sich
anderwärts nicht hätte straflos aufhalten dürfen, als Aufenthalts-
ort Ein altes Gesetz machte nämlich die kaiserlichen Paläste
zu Freistätten von Verbrechern gegenüber der Polizei. Als
General Gurko den Winterpalast einer genauen Durchsuchung
unterzog, fand er, dafs derselbe von fünftausend Personen be-
wohnt war, ohne dafs irgend jemand die Pflichten oder Aufgaben
auch nur der Hälfte gekannt hätte. Chalturin selbst machte ver-
blüffende Mitteilungen über die im Palast herrschende Unord-
nung, die Diebswirtschaft und Verschwendungssucht der Diener-
schaft u. s. w.
Trotzdem ihm die giftigen Ausdünstungen des Nitro-
glycerins, auf dem er schlief, allnächtlich arge Kopfschmerzen
verursachten, arbeitete Chalturin unentwegt und unauffällig weiter.
Der erwähnte Gendarm merkte so wenig, dafs er sich bemühte,
den geschickten Arbeiter, der ein Neujahrsgeschenk von hundert
Rubeln erhalten hatte, zum Schwiegersohn zu bekommen. Als
fünfzig Kilogramm Dynamit beisammen waren, liefs der Schreiner
die Explosion erfolgen (Febntar 1880); sich selbst konnte er
rechtzeitig in Sicherheit bringen. Als Gelegenheit benutzte er
ein Galadiner zu Ehren des Fürsten von Bulgarien. Allein in-
folge eines Zufalls verzögerte sich das Erscheinen der Tisch-
gesellschaft und so kam diese mit dem Leben davon, während
fünf Gardisten getötet und fünfunddreifsig Personen verwundet
wurden. Einige der Schuldigen kamen im November vor Ge-
richt, Chalturin selbst erst anfangs 1882, da man seiner nicht
früher habhaft werden konnte. Erst bei seiner Hinrichtung
wurde er als jener Schreiner Batyschkow erkannt. Der nihi-
listische Vollzugsausschufs drückte in einem Aufruf sein Bedauern
über den Tod der Gardisten aus, fügte aber den Entschlufs hinzu,
auch fürder auf die Ermordung des Zars bedacht zu sein, falls
er keine Reformen einführe. Die Antwort war, dafs der Kaiser
einen unumschränkten Diktator in der Person des Grafen Loris
Melikow ernannte. Das am 3. März (1880) auf diesen ver-
übte mifslungene Attentat Kaladetzkis wurde vom Vollzugsaus-
schufs nicht nur nicht gebilligt, sondern geradezu getadelt, weil
der Graf bewiesen hatte, dafs er sich den fortschrittlichen Ideen
nicht gänzlich verschliefse.
Im Laufe des Jahres 1880 wurden zahllose „Verdächtige“
verhaftet und in geheimen Gerichtsverhandlungen zum Tode oder
zur Verschickung nach Sibirien verurteilt. Im Frühling erwarteten
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Die Nihilisten.
327
in den Moskauer Gefängnissen fast dreitausend »Politische" -
wie man sie kurz nannte — ihre Verschickung. 1879 waren
ca. 11 500 »Politische" nach Sibirien gebracht worden. In seiner
immer höher steigenden Erbitterung beschlofs der nihilistische
Vollzugsausschufs, den Tod des Zaren möglichst zu beschleunigen.
Nicht weniger als 47 Gesinnungsgenossen meldeten sich freiwillig
zur Ausführung dieses Beschlusses, und es wird wohl noch den
meisten Lesern erinnerlich sein, dafs Alexander II. bereits am
13. März 1881 durch die von Ryssakow und Grinewitzki ge-
worfenen Bomben getötet wurde. Die Zeichen zum Werfen
hatten Sophia Perowskaja und Jessy Helfmann gegeben. Die
Perowskaja sowie Ryssakow und die anderen erwischten Verschwörer
wurden — mit Ausnahme der schwängern Helfmann - gehenkt,
während Grinewitzki durch seine eigene Bombe ums Leben kam.
Der bei den Attentätern gefundene Parteibriefwechsel führte
zur Entdeckung des Hauptquartiers der Verschwörer in der
Telejewskaja. Bei dem daselbst verhafteten Michailow fand man
Bleistiftaufzeichnungen, welche drei Örtlichkeiten der Hauptstadt
betrafen, neben deren Namen gewisse Tage und Stunden an-
gegeben waren, darunter ein Zuckerbäckerladen in der Garten-
strafse. Neben diesem Laden, gerade um die Ecke, befand sich
eine Käsehandlung, deren Besitzer - das Ehepaar Kobisoto -
am Tage der Ermordung des Kaisers in geheimnisvoller Weise
verschwanden. Die wegen dieses Verschwindens eingeleitete
Untersuchung führte zur Entdeckung einer Mine unter der Strafse.
Dieselbe hatte nicht die Bestimmung, den Kaiser in die Luft zu
sprengen, sondern die, seinen Wagen aufzuhalten, um zu seiner
Ermordung Zeit zu gewähren — in ähnlicher Weise wie der
Heuwagen, der 1870 in Madrid die Kutsche Prims aufge-
halten hatte.
Nach dem Tode Alexanders II. wurde mehrfach behauptet
und geglaubt» dieser Zar habe einen Tag vor dem Attentat eine
Verfassung unterschrieben, welche sein Sohn infolge der Missethat
zurückgezogen habe. Das entspricht aber nicht der Wahrheit.
Die Unterschrift des Kaisers bezog sich lediglich einesteils auf
die Ernennung eines Ausschusses behufs Prüfung der Frage, ob
die provinzialen Vertretungskörper nicht erweitert werden könnten,
andernteils auf die Einberufung von Semskij sobors, einer Art
Gemeindevertretungen. Zu diesen Mafsregeln hatte Loris Melikow
geraten, weil er in ihnen ein Mittel sah, das Volk zur Nieder-
werfung des Nihilismus heranzuziehen; überdies war den be-
treffenden Körperschaften blofs beschliefsende Gewalt zugedacht,
die endgültigen Entscheidungen wären der Krone Vorbehalten
geblieben. Der ganze Plan war nur darauf berechnet, den un-
zufriedenen Klassen Sand in die Augen zu. streuen; von einer
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32S
Politische Geheimgesellschaften.
noch so geringfügigen Abtretung irgendwelcher kaiserlichen V
rechte an das Volk war nicht die Rede. njhj.
Zehn Tage nach dem Tode Alexanders 11. »der mm
listische Vollzugsausschufs eine in edlem Ton ge > den
neuen Selbstherrscher gerichtete Proklamation, welc und
Fall der Gewährung von Rede-, Versammlung-,
Wahlfreiheit und einer Amnestie für a,\* Elemente
dingungslose Unterwerfung der foi^hnttlich-i^italen E ■
unter die Beschlüsse der zu wählenden Volksvertretu g )je
ln den Strafsen von Moskau fand man zahlreiche glaubte
deren Inneres diese Kundgebung barg ln Peterebu g g ^ ^
man allgemein, ein Abgesandter der Nihilisten sei mündlich
empfangen worden, habe ihm die Wunsche des Peterpauls-
• mitgeteilt und sei dann auf dessen Befrfil in . jc£t er.
festung gesperrt worden; wer er war, habe die
mittein können. Obgleich vielleicht nicht * kann d^ese U
schichte angesichts der aufopferungsvollen Unerchwtenh
Nihilisten doch auch nicht unwahrscheinhc ge geinäfsigt-
Die erwähnte Osterproklamat.on enthielt nur gemäis.p
liberale Forderungen, die in fast allen ubngen Undern P
längst erfüllt sind. Aber der verblendete und übelberaten ju_ng
Kaiser antwortete mit einem Manifest in welchem j
seine autokratischen Vorrechte ungeschmälert ^JJhren>
wollen. Weit entfernt, irgend welche Reformen «"
zog er sogar frühere Reformen zuruck wie z. B. die ™‘SlgHing.
der Leibeigenen -Ablösungsgelder. Dazu kamen erne
fkh,Ung™ die Verschickung r.hliose, .Verd?eh.£-
Sihirien die Verschärfung der Zensur, die willkürlichste Unter
drückung jeder freisinnigen Regung in Volk und Presb^ gna ' -
der als Minister des Innern an alledem die Hauptschuld trug
suchte durch Hervorrufung von Judenheben die A«*"6*“™ die
der Bevölkerung von seiner Gewaltpolitik abzulenken
Entrüstung des Publikums über sein eigenes Thun zu o
schichtigen, schob er die Urheberschaft der antisemitischen Un-
ruhen^den Nihilisten in die Schuhe. Das war geradezu lächerlich,
denn da die Juden die radikale Bewegung kräftig förderten
wozu sie bekanntlich auch alle Ursache hatten -. konnten die
Nihilisten nicht daran denken, sie schädigen zu wollen, ga
gesehen davon, dafs keine freiheitlich-fortschrittliche Partei sich
g it RoSsen- oder Konfessionshetzen zu befassen pflegt.
Alexander 111. hegte für sein Leben so schwere Befurch-
t en dafs er sich nach Gatschina zurückzog, wie ein Einsiedler
4 wlilofs und mit zahlreichen Wachen umgab, wo immer er
e’nth •, mochte Als er von Petersburg nach Gatschina
X, Ä rn» um das Publikum im „ führen, gleicht
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Die Nihilisten.
329
in vier Bahnhöfen kaiserliche Extrazüge und das ganze amtliche
Gefolge etc. bereit; in Wirklichkeit aber entfloh der Zar von
einem fünften Bahnhof aus in einem Zug ohne alles Gefolge.
Und als er drei Monate später nach Peterhof übersiedelte —
wie auch auf seinen nachmaligen Reisen — wurde die ganze
Bahnstrecke militärisch besetzt und die Photographien sämtlicher
Eiahnbeamten mufsten dem Verkehrsministerium eingeschickt
werden, damit etwaige als Bahnbeamte verkleidete Nihilisten un-
schwer zu entdecken wären.
Die ganze Geschichte des Nihilismus und des Verhaltens
der Regierung zu demselben war ein circulus vitiosus. Jeder
Rückschlag auf der einen Seite erzeugte einen solchen auf der
andern. Das wiederholte sich immer wieder. Noch im Jahre 1881
gab es abermals ein politisches Attentat: Sankowsky schofs —
ohne zu treffen - auf General Tcherewin, den Leiter der Maß-
regeln für die Sicherheit des Kaisers. Er erklärte, das Werkzeug
anderer zu sein, denen das Wohl Rufslands am Herzen liege,
doch nannte er keine Namen. Infolgedessen war das Jahr 1882
von Verhaftungen erfüllt, ebenso auch von Gerichtsverhandlungen
gegen längst eingesperrte „Politische" oder „Verdächtige".
Ignatiew, der sich beim Publikum wegen seiner judenfeindlichen
Pläne, beim Zar wegen seiner Unfähigkeit und wegen undurch-
führbarer Ratschläge mifsliebig machte, trat im Juni zurück und
Graf D. Tolstoj wurde sein Nachfolger.
Wenige Tage später traf die Nihilisten ein schwerer Schlag.
In einem von ihnen bewohnten Hause auf einer Newa-Insel
entdeckte die Polizei nicht nur viele Bomben und eine beträcht-
liche Menge Dynamit, sondern auch in den Taschen der bei
dieser Gelegenheit verhafteten „Genossen“ Schriftstücke, aus
denen hervorging, dafs der Vollzugsausschufs des Bundes auf
dem Laufenden erhalten wurde über den chiffrierten Noten-
wechsel der russischen mit den anderen Regierungen hinsichtlich
des Nihilismus. Die betreffenden Mitteilungen hatte der frei-
sinnige Wolkow geliefert, ein höherer Beamter des Ministeriums
des Äufsern. Einige Wochen darauf entdeckte die Polizei im
Marineministerium eine geheime Druckerei ; ihr Leiter nahm sich
das Leben. Diese Niederlagen der Umstürzler heiterten den Zar
ein wenig auf ; er wagte es, nach Petersburg zurückzukehren und
im September einer öffentlichen Feier beizuwohnen. Im Oktober
„begnadigte“ er zwei von einem Geheimgericht zum Tode ver-
urteilte Nihilisten, die einen Polizeispion umgebracht hatten, zu
lebenslänglicher Zwangsarbeit. Wie wenig man darauf rechnete,
mit dieser „Grofsherzigkeit“ die Unzufriedenen vollkommen zu
befriedigen, geht daraus hervor, dafs alle öffentlichen Bewegungen
des Selbstherrschers auch ferner mit den umfassendsten Vor-
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330
Politische Geheimgesellschaften.
sichtsmalsregeln verknüpft wurden. Immerhin jedoch begann
Alexander, an seine Krönung zu denken; freilich wagte man
nicht, diese vor Ende Mai 1883 — also erst weit über zwei
Jahre nach der Thronbesteigung — ins Werk zu setzen.
Die Terroristen hatten grofse Vorbereitungen zur Ermordung
des Zars anläßlich der Krönung getroffen; allein ihre Absicht
war teils durch Spione, teils durch die verstärkte Wachsamkeit
der Obrigkeit lange vor dem Ereignis vereitelt worden, abge-
sehen davon, dafs viele von ihnen gerade einen solchen Anlafs
nicht als für eine solche That passend betrachteten, da das
Krönungspublikum seiner Mehrheit nach vermutlich nicht aus
Freunden der radikalen Richtung bestehen würde, sodafs ein
Attentat den Zielen der Nihilisten weit eher schaden als nützen
könnte. Doch zog die Bewegung aus der Krönung wenigstens
mittelbaren Gewinn, indem die meisten und besten Polizisten
wie die intelligentesten Spione des Landes in Moskau ange-
sammelt waren, sodafs der Propaganda anderwärts besonders
in der Hauptstadt - geringere Hindernisse im Wege standen
als sonst. Dieser Thatsache und der zweiten, dafs die bei Ge-
legenheit der Krönung erwarteten politischen Reformen gänzlich
ausblieben, ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, dafs in Peters-
burg alsbald erhebliche Unruhen ausbrachen. Die Enttäuschung
des Volkes begünstigte die Ausbreitung des Nihilismus. Der
Bund agitierte denn auch nach Kräften weiter.
Vier Monate nach der Krönung verhaftete die Charkower
Obrigkeit eine Anzahl von Offizieren und bemächtigte sich einer
grofsen Geheimniederlage von Schiefspulver, Dynamit, Bomben
und Druckvorrichtungen. In der nächsten Nähe von Petersburg
entdeckte man eine nihilistische Dynamitfabrik; aus diesem An-
lafs wurden 1 7 Artillerie- und 1 38 Marine-Offiziere eingekerkert.
In Simbirsk wanderte ein Artillerie-Oberst ins Gefängnis, der
sich als revolutionärer Agitator bei den Bauern einer aufser-
ordentlichen Beliebtheit erfreute. Ende Dezember nahmen die
Nihilisten Rache, indem sie Oberst Sudejkin, den Leiter der ge-
heimen Polizei, erschossen. Am Thatort hinterliefsen sie einen
Brief mit der Ankündigung, dafs die nächsten Opfer der Minister
des Innern und der Petersburger Polizeidirektor sein werden.
Auch an Alexander III. machten sie sich zu derselben Zeit wieder
heran. Die Sache wurde amtlich für einen Jagdunfall ausgegeben,
in Wirklichkeit handelte es sich um ein Attentat, bei dem
dem Kaiser die rechte Schulter schwer verletzt wurde. Zwei
Wochen vor der Ermordung Sudeikins erschien dessen nach-
maliger Mörder Degajew (der eigentlich Jabionski hiefs) in Be-
gleitung eines Weibes bei dem Gatschinaer Oberwildheger des
Kaisers mit einem angeblichen Brief Sudeikins, worin dem Manne
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Die Nihilisten.
331
befohlen wurde, das Weib bei sich aufzunehmen, damit es an-
geblich den in Gatschina bereits anwesenden Geheimpolizisten
an die Hand gehe. Als Bauernjunge verkleidet, begleitete diese
Frau den Zar auf allen Jagdausflügen. Eines Tages kam sie
mit der Nachricht zurück, dem „Väterchen“ sei ein Unfall zu-
gestofsen dadurch, dafs einer der Wildhüter so unachtsam ge-
wesen sei, seine Flinte in nächster Nähe des kaiserlichen Schlittens
abzufeuern und damit die Pferde des letzteren zu erschrecken. Am
Tage nach dem Tode Sudeikins kamen drei Detektivs nach Gatschina
und verhafteten die von Degajew dahingebrachte Person ; es heilst,
dafs sie wegen Teilnahme an dem Gatschinaer Attentat insgeheim
in den Kasematten der Petropawlowsk-Festung gehenkt worden sei.
Im Sommer 188-1 töteten Nihilisten viele Odessaer Gen-
darmerie-Offiziere, darunter einen Hauptmann und einen Oberst.
Einen zweiten Hauptmann umzubringen, versuchte die kaum
neunzehnjährige Kaufmannstochter Maria Kaljuschnja, die sich
für die Verurteilung ihres Bruders zu lebenslänglicher Zwangs-
arbeit rächen wollte und von den Behörden wegen ihrer Ver-
wandtschaft mit diesem „Politischen“ längst schlimm chikaniert
worden war. Ein geheimes Kriegsgericht verhängte über sie
zwanzig Jahre Zwangsarbeit. Damals wurden viele Verhaftungen
wegen wirklicher oder vermeintlicher politischer Vergehen vor-
genommen. Im Oktober fand in der Hauptsladt ein grofser ge-
heimer Prozefs gegen vierzehn Nihilisten statt, darunter sechs
Offiziere und zwei Frauen, welche acht Personen zum Tode ver-
urteilt wurden, während die übrigen sechs in die sibirischen
Bergwerke wandern mufsten. Eine der Frauen war die berühmte
Figner (auch Wjera Filipawa genannt), die die mehrerwähnte
Sophia Perowskaja bei sich beherbergt hatte.
Am 12. Oktober 188-4 erschien das Nihilistenorgan „Volks-
wille" („Narodnaja Wolja“) nach einjähriger Pause wieder. Es
gab die von der Partei erlittenen Verluste zu und schrieb die-
selben den Angebereien Degajew-Jablonskis zu, der, anfänglich
ein eifriger Nihilist, zum Verräter wurde, aber infolge der Un-
zulänglichkeit des empfangenen Lohnes und aus Furcht vor der
Rache seiner ehemaligen Gesinnungsgenossen in das Lager der
letzteren zurückkehrte und seinen Eifer durch die Ermordung Sudei-
kins an den Tag legte. Da Sudeikin tot und Degajew unschädlich
gemacht war, konnte der Vollzugsausschufs an die Neugestaltung
der Partei schreiten. Der „Volkswille“ brachte auch interessante
Mitteilungen — von der Regierung waren sie planmäfsig unter-
drückt und geheimgehalten worden über die gewaltigen Fort-
schritte, die der Agrarsozialismus im Süden Rufslands gemacht
hatte. Das Blatt enthielt ferner einen Nekrolog über Professor
Neustrajew, der erschossen worden war, weil er den General-
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332
Politische Geheimgesellschaften.
gouverneur von Irkutsk geschlagen hatte, endlich ein langes Ver-
zeichnis von Verhafteten. Die Unruhe der Regierung wuchs.
Der Minister des Innern, Graf D. Tolstoj, der die Nihilisten-
riecherei in grofsem Mafse betrieb, erhielt so viele Drohbriefe,
dafs er nur sehr selten auszugehen oder auszufahren wagte; that
er es aber, so kosteten die Vorsichtsmafsregeln jedesmal fünfhundert
Rubel. Auch unter den höheren Militärs nahm der Nihilismus zu -
das ging aus den zahlreichen politischen Prozessen hervor, welche
die Regierung dem Geheimbund an den Hals hetzte.
Nichtsdestoweniger trug der Nihilismus, der nichts aus-
richtete, den Keim des Verfalls in sich. Eine Parteikundgebung
vom August 1885 besagte: .Wir müssen gestehen, dafs unser
heftiger Kampf mit der Regierung und die nationale Unzu-
friedenheit, welche unsrer Partei Kraft und Daseinsberechtigung
verlieh, den Triumph der Willkürherrschaft nicht verhindert hat.“
Vom Dezember 1885 bis in den Dezember 1886 hinein er-
litten die Nihilisten Niederlage auf Niederlage; eine Entdeckung
und Verfolgung folgte der andern. Dadurch neuerdings aufge-
stachelt, entfalteten sie 1 887 eine lebhaftere Thätigkeit als in den
zwei vorhergegangenen. Jahren. Eine im Februar angezettelte
Verschwörung wurde bald entdeckt und vereitelt. Nicht besser
erging es mit einer Verschwörung, den Zar am vierten Jahres-
tag seiner Krönung umzubringen. Von Berlin, London und
Bukarest her rechtzeitig gewarnt, liefs die Petersburger Polizei
die Leute ruhig gewähren, um sie desto sicherer beisammen zu
haben ; so fing sie denn mit Leichtigkeit fünfzehn männliche und
weibliche Verschworne ein, nachdem dieselben, mit Bomben in
Gestalt von Büchern, Operngläsern, Notenrollen u. dgl. versehen,
sich bereits auf dem vom Kaiser zurückzulegenden Wege in an-
gemessenen Zwischenräumen aufgestellt hatten. Alle Verhafteten
wurden zum Tode oder zu vieljährigem Zuchthaus verurteilt.
Man erzählte sich, dafs bei jedem Gefangenen ein Fläschchen
mit sehr starkem Gift gefunden wurde, welches er oder sie an
einem Halsschnürchen auf der blofsen Brust trug, und dafs ge-
heime Agenten des Bundes beauftragt waren, den etwa erfolg-
losen oder im letzten Augenblick hasenherzig werdenden Ver-
schwörern auf die Brust zu schlagen, damit das Fläschchen
zerbreche und das Gift in die durch die Glassplitter erzeugte
Wunde dringe.
Trotz des andauernden Ungemachs unentwegt, veranlafste
die Schreckenspartei schon nach wenigen Wochen wieder ein
Attentat auf Alexander III. Näheres hierüber durfte die Presse
nicht veröffentlichen; doch weifs man, dafs kurz darauf 482
Heeresoffiziere unter der Anschuldigung, an diesem Attentat teil-
genommen zu haben, nach Odessa gebracht wurden, um von
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Die Nihilisten.
333
dort nach Sibirien verschickt zu werden. Im Juni standen in
Petersburg 21 Nihilisten wegen revolutionärer Umtriebe vor
Gericht (über 15 wurde die Todesstrafe verhängt), darunter die
Tochter eines Stabshauptmannes, die Söhne von Kollegienräten,
höheren Offizieren, Priestern etc. Ein anderes Mifsgeschick traf
die radikale Bewegung im November: die Entdeckung dreier
geheimen Dynamitherstellungslaboratorien in der Haupt- und
Residenzstadt Jetzt bemächtigte sich der Parteileitung eine solche
Entmutigung, dafs sie sich während der zwei nächsten Jahre
jeder aggressiven Thätigkeit enthielt. In einer ihrer Veröffent-
lichungen (Dezember 1887) sagte sie: »Die freiheitliche Gesinnung
hat in der Gesellschaft, die Kaisertreue nicht auszurotten vermocht
Selbst die »intelligenten Liberalen“ haben die Aufforderung, freie
Druckereien zu errichten, unbeachtet gelassen; sie wollen nicht
einmal so weit gehen, der ausländischen revolutionären Presse
Artikel zu liefern.“ Der »Volkswille“ mufste »wegen mangels
an geistiger und pekuniärer Unterstützung“ abermals eingehen.
»Von der jetzigen Generation der Russen ist wenig zu hoffen,“
heilst es in einer nihilistischen Schrift. »Die Schuld liegt an
der russischen Gesellschaft mit ihrer Unwissenheit, Seichtigkeit
und Gleichgültigkeit .... Die russische Gesellschaft ist eine
Schafherde geworden, welche sich von der Peitsche und den
Hunden des Schäfers lenken läfst.“
Das nihige Verhalten der Nihilisten in den Jahren 1888
und 1889 (von dem Eisenbahnunglück, das den Zug des Zars
bei Borki traf, weifs man nicht bestimmt, ob es den Terroristen
oder einem Zufall zuzuschreiben war) hinderte die Regierung nicht
an neuerlichen Judenaustreibungen (weil die Juden, wie schon
einmal bemerkt, den Nihilisten günstig gesinnt waren), an der
massenhaften Verschickung unverurteilter »Verdächtiger“ auf »ad-
ministrativem" Wege nach Sibirien und an der unmenschlich
grausamen Behandlung unschuldiger wie schuldiger »Politischer".
Wegen nichts und wieder nichts wurden harmlose Menschen er-
stochen, erschossen, zu Tode geprügelt, die schamloseste Willkür
feierte unerhörte Triumphe, die Etappengefängnisse verbreiteten
durch ihre entsetzliche Überfüllung Tod, Verderben und unsäg-
liche Leiden, die Grausamkeit führte zu Hungerstreiks u. s. w.
Wer erinnert sich nicht der denkwürdigen Enthüllungen dieser
höllischen Zustände durch George Kennan ? Frau Tschebrikowa,
eine gesellschaftlich hochstehende Dame, die mit dem Nihilismus
in keinerlei Zusammenhang stand, lenkte in einem berühmt ge-
wordenen Schreiben die Aufmerksamkeit Alexanders III. auf die
Mißbräuche im Verbannungswesen; und was war ihr Lohn für
diese hochpatriotische That? Verhaftung, Verbannung nach dem
Kaukasus, Stellung unter Polizeiaufsicht!
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334
Politische Geheimgesellschaften.
Kein Wunder, dafs die Nihilisten sich 1890 in ihrer Ent-
rüstung wieder zu regen begannen. Aber sie hatten auch jetzt
wenig Glück, ln Paris, wo ihrer viele als Flüchtlinge lebten —
darunter Fürst Peter Krapotkin und Oberst Sokolow - wurden
im Mai vierzehn Russen im Besitze von in der Schweiz erzeugten
Bomben betroffen, verhaftet und verurteilt. Sechs Monate später
töteten Nihilisten in Paris den dort als Nihilistenspion ansässigen
russischen General Seliwerskow. Um dieselbe Zeit fand in
Petersburg ein Prozefs statt gegen fünf Nihilisten — darunter
die bekannte Sofie Günzburg, die ira Besitz von Bomben und
aufrührerischen Schriften ertappt worden war. Vier der Ange-
klagten endeten an dem Galgen, ln einer anderen Gerichts-
verhandlung, die kurz darauf vor sich ging, spielte die Haupt-
rolle ein junges Mädchen namens Olga Iwanowsky, die Nichte
eines Geheimrates, der einer Abteilung der Heiligen Synode Vor-
stand ; das Endergebnis wurde aus Schonung für diesen hohen
Würdenträger geheimgehalten. Im Mai 1891 beschlagnahmte die
Petersburger Polizei eine geheime Druckerei und ein halbes Jahr
darauf entdeckte man in Moskau eine weitverzweigte Ver-
schwörung. Infolge der letzteren Entdeckung wurden sechzig
Angehörige des Adels, der Schriftstellerwelt und des höheren
Mittelstandes verhaftet. Im Dezember erfolgten viele weitere *
Verhaftungen; bei mehreren der Angeklagten fand man Detail-
pläne der kaiserlichen Paläste. 1892 wanderten, ebenfalls zu
Moskau, nicht wenige Nihilisten wegen einer neuerlichen Ver-
schwörung gegen das Leben des Kaisers ins Gefängnis. Das
Attentat hätte während einer Krimreise auf einer kleinen Bahn-
station stattfinden sollen, kam jedoch nicht zustande, weil ein
anonymer Brief den Behörden den Plan rechtzeitig verriet; in
der That fanden sich bei Untersuchung der Linie mehrere Bomben
unterhalb der Schienen.
Wie wir sehen, wollte es den Umstürzlern trotz elfjähriger
Anstrengung durchaus nicht gelingen, dem Zar etwas anzuhaben.
Ihre Ausdauer war aber so grofs, dafs sie ihre Bemühungen
dennoch nicht einstellten. Zunächst beförderten sie in Taschkend
den Generalmajor Droszgowski vom Leben zum Tode, weil er
einem Kriegsgerichte vorgesessen hatte, welches eine Anzahl von
Nihilisten zu Kerkerstrafen verurteilte. Sodann heckten sie einen
neuen Attentatsplan gegen Alexander III. aus, doch kam die «
Polizei im September (1893) dieser weitverzweigten Verschwörung ■
auf die Spur und die Folge war die Verhaftung von 85 Uni-
versitätshörern, 8 Professoren und 5 Aristokratinnen in Moskau.
Trotzdem regten die Unermüdlichen sich 1894 wieder kräftig —
diesmal in gerechter Empörung über die wahrhaft haarsträuben-
den (wohlgemerkt: amtlichen) Berichte über das furchtbare
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Die Nihilisten.
33S
Schicksal der herdenweise nach Sibirien verschickten »Politischen,“
von denen die meisten lediglich »Verdächtige" waren. Allein
auch diesmal hatten die Nihilisten Unglück, denn im November
fielen ihre Geheimpressen und Propagandaschriftenvorräte in
Kiew, Charkow und Nikolajew den Behörden in die Hände und
über 80 Personen wurden verhaftet. Zehn Monate später gab
in Moskau eine abermalige Verschwörung gegen den Zar und
die kaiserliche Familie wieder Anlafs zu Einkerkerungen sowie
zur Beschlagnahme von Waffen, Bomben, Dynamit und Agitations-
broschüren. In Kiew erfolgte im März 1896 die Verhaftung von
6 Offizieren — darunter ein Oberst — wegen »Teilnahme an
einer nihilistischen Verschwörung“ und im Oktober konfiszierten
die russischen Zollbeamten an der schlesischen Grenze eine
große Sendung leichter, für die bessere Gesellschaft bestimmter
Spazierstöcke, in deren hohlem Innern auf Seidenpapier gedruckte
nihilistische Kundgebungen verborgen waren.
Seit einigen Jahren scheint die revolutionäre Bewegung zu
ruhen. Ganz erstorben dürfte sie jedoch kaum sein. Vielleicht
wartet sie nur ab, wie sich die Dinge unter Nikolaus II. ent-
wickeln werden, der bereits manche kleine Reform eingeführt
hat und allmählich vielleicht zu gröfseren übergehen wird. In
London besteht gegenwärtig ein russisch-israelitischer Nihilisten-
klub, der ein in hebräischen Lettern gedrucktes jüdisch-deutsches
Blatt herausgiebt.
Die Zahl der wirklich aktiven Nihilisten hat sich seit dem
Bestand der Partei stets nur auf wenige Dutzende belaufen, die
der Helfer — welche Agitationsschriften verteilen, verfolgte oder
sonstwie gefährdete Gesinnungsgenossen verstecken, Eingesperrten
zur Flucht verhelfen, sie mit Geld versehen u. s. w. — wahrschein-
lich auf zwölf- bis dreizehnhundert, die der geheimen, sich in
keiner Weise kundgebenden Anhänger wohl auf hunderttausend.
Viele Leser werden wissen wollen, woher der Geheimbund die
Mittel genommen hat für seine Propaganda, seine Druckereien,
seine Attentatsvorbereitungen, die Reisen und den Unterhalt seiner
aktiv thätigen Mitglieder etc. etc. Was hierüber bekannt geworden,
sei nachstehend mitgeteilt
1869 empfing Netschajew von Herzen den in der Schweiz
gesammelten Revolutionsfond von mehr als 25000 Francs. Das
später hingerichtete Mitglied Lisogub opferte der Sache etwa
200000 Rubel, der Friedensrichter Wojnaralski 40000 Rubel.
Die Bundesmitglieder entrichteten regelmäfsige Jahresbeiträge.
Ein Dr. Weimar gab große Beträge her. Andere reiche Leute,
die mit dem Nihilismus sympathisierten , sich aber nicht blofs-
stellen wollten, machten anonyme Spenden. Von noch anderen
bemittelten Personen erpreßte der Vollzugsausschuß Geld durch
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Politische Geheimgesellschaften.
Todesdrohungen. Im Jahre 1879 beraubten Nihilisten die Char-
kower Staatsbank um anderthalb Millionen Rubel. Aber die
Ausgaben der Partei waren so bedeutend, dafs sie oft in Geld-
verlegenheit kam. 1882 half sie sich durch die Gründung des
Roten Kreuzes, für welches sie durch den »Volkswillen" und
den Pariser »Intransigeant» um Beiträge bat; es sollen 51000
Rubel eingekommen sein. Auch aus Deutschland, England, Italien,
Österreich etc. liefen Spenden ein.
Die Nihilisten empfanden frühzeitig die Notwendigkeit, zur
Erleichterung der Propaganda eigene Pressen zu besitzen. Daher
errichteten sie schon i. J. 1 860 geheime Druckereien und später
deren immer mehr. Selbstverständlich bestand die Haupt-
schwierigkeit in der andauernden Geheimhaltung — eine Druckerei
nach der anderen wurde entdeckt und konfisziert. Einem der
Leiter der Bewegung in Kiew, Stephano witsch, der 1876 eine
Geheimpresse errichtet hatte, gelang es mit grofser Schlauheit,
dieselbe trotz und nach seiner Verhaftung zu retten und nach
Odessa überführen zu lassen, so dafs die Polizei trotz ihrer
eifrigen Forschungen das Nachsehen hatte. 1877 brachte es ein
gewandter Nihilist, Aron Zundelewitsch aus Wilna, zuwege, alle
nötigen Vorrichtungen und Vorbereitungen für eine gröfsere
Geheimdruckerei nach Petersburg einzuschmuggeln. Er selbst
erlernte die Setzerei und brachte sie vier Gesinnungsgenossen
bei. Weder die Mitglieder der Gruppe »Land und Freiheit,"
der das Unternehmen gehörte, noch die Redakteure und Mit-
arbeiter des daselbst gedruckten Bundesorgans ahnten, wo sich
die Druckerei befand. In dieser arbeiteten vier Personen. Die
■45jährige Marie Krilow, die an mehreren Verschwörungen teil-
genommen hatte, galt als die Hausfrau und ein schönes junges
Mädchen als ihre Dienstmagd. Ein junger Mann von aristo-
kratischem Gehaben , Sohn eines Generals und Neffe eines
Senators, vermittelte den Verkehr mit der Aufsenwelt; man hielt
ihn für einen Regierungsbeamten, aber seine Mappe enthielt
lediglich Handschriften und Bürstenabzüge für das Bundesorgan.
Der Setzer Lubkin war nur unter dem Spitznamen »Vogel» be-
kannt, den er wegen seiner Stimme erhalten hatte; da er keinen
Pafs besafs, ging er nie aus. Als nach vier Jahren die Druckerei
durch einen Verrat den Behörden in die Hände fiel, ersehofs
sich der schwindsüchtige Lubkin.
Die meisten nihilistischen Druckereien waren selbstverständ-
lich klein und derart eingerichtet, dafs bei Gefahr alles binnen
einer Viertelstunde in einem Kasten versteckt werden konnte.
Um jeden Verdacht des Hausmeisters oder Pförtners abzulenken,
liefs man ihn von Zeit zu Zeit unter allerlei Vorwänden das
Zimmer betreten — freilich nicht ohne vorherige Beseitigung
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Die Nihilisten.
337
jeder Spur der Druckerei. Nach der grofsen Zahl der ent-
deckten und beschlagnahmten Pressen zu urteilen, muls die
Gesamtzahl der im ganzen Lande vorhandenen sehr beträchtlich
gewesen sein. Dies läfst sich auch aus der Massen haftigkeit der
nihilistischen Propagandaschriften schliefsen. Broschüren, Flug-
blätter, Plakate schienen nur so aus dem Erdboden emporzu-
wachsen. Das Heer wurde damit überschwemmt, der Arbeiter
und der Bauer fanden sie in ihren Taschen, der Kaiser entdeckte
sie auf seinem Schreibtisch. Einzelne Nihilisten bereisten ganz
Rufsland und streuten die Drucksachen überall mit vollen
Händen aus.
Je gröfser die Wachsamkeit der Polizei und die Zahl der
Verhaftungen wurde, desto mehr mufsten die Nihilisten darauf
bedacht sein, Mafsregeln zum Schutz ihrer persönlichen Sicherheit
zu treffen. Die erste Vorbedingung des Selbstschutzes war der
Besitz eines Passes, denn in Rufsland mufs sich jeder Nichtbauer
eintragen lassen und einen Pafs haben. Um einen solchen ohne
Umstände zu erlangen, liefsen sich viele junge Leute, die gar
nicht an den Besuch der Vorträge dachten, als Universitäts-
studente’n einschreiben. Nichtstudenten bezahlten anfangs hohe
Preise für Pässe, verlegten sich aber später häufig auf deren
Fälschung. Jede nihilistische Zweigverbindung richtete ein eigenes
Pafsbureau ein, das mit falschen Siegeln und Unterschriften
arbeitete. Ein solches „Amt" wurde 1882 von der Moskauer
Obrigkeit entdeckt. Die Inhaber falscher oder erborgter Pässe
führten natürlich auch falsche Namen und liefsen sich ihre Post
durch Freunde vermitteln. Eine zweite Vorsiehtsmafsregel war,
eine möglichst regelmäfsige Lebensweise zu führen, um nicht
den Verdacht des Pförtners zu erregen. Eine dritte bestand in
der gröfsten Sorgfalt bei der Wahl der Zusammenkunftsorte.
Die Fenster der betr. „Verschwörungsquartiere" mufsten so liegen,
dafs Signale leicht angebracht und geändert werden konnten; die
Wände durften nicht zu dünn sein und die Thüren mufsten fest
schliefsen, da unberufene Lauscher nichts hören sollten. Auch
war eine derartige Lage notwendig, dafs im Falle einer unan-
genehmen Überraschung einige Genossen die Gendarmen auf
der Treppe zurückzuhalten vermochten, bis die Papiere und
sonstigen kompromittierenden Gegenstände beseitigt waren. Selbst-
verständlich durfte es nicht an einem Waffenvorrat fehlen; bei
der Erstürmung des Bureaus des „Volkswille" war jeder der
fünf anwesenden Nihilisten mit zwei Revolvern bewaffnet und
sie gaben insgesamt 80-100 Schüsse ab.
War ein Nihilist kurzsichtig, so mufste er auf der Strarse,
um drohende Gefahren rechtzeitig wahrnehmen zu können, Augen-
gläser tragen. Den Genossen wurde eingeschärft, recht fein
H ecke tho r n-K a tsch er, Geheimbunde u. Geheimlehren. 22
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Politische Geheimgesellschaften.
33S
gekleidet zu gehen, um möglichst unverdächtig zu scheinen.
Von Wichtigkeit war auch - wenigstens in den Grofsstädten
die genaue Kenntnis der Durchhäuser und der anderen Verstecke.
Von Nutzen erwies sich ferner ein häufiger Wohnungswechsel
ohne Angabe der neuen Adresse. Endlich wurden die Nihilisten
in zahlreichen Fällen von den Ukriwaheli (= Hehler) durch Ver-
bergung beschützt, die sich aus allen Klassen der Bevölkerung,
vom Adel abw'ärts, rekrutierten und zu denen sogar freiheitlich
gesinnte Polizeibeamte und Polizisten gehörten. Grofses leistete
in diesem Punkte eine dänische Dame, namens Horn, die als
Gattin eines russischen Polizeibeamten in ihrem 70. Lebensjahr
„Hehlerin“ wurde und in ausgedehntem Mafse nihilistische
Schriftenvorräte, die Post vieler Terroristen und schliefslich die
letzteren selbst in ihrer Wohnung versteckte.
Allerlei italienische Gesellschaften.
Welfische Ritter. — Latiner. — Die Mittelpunkte. — ..Italienische Litteraten.“
— „Europäische Patrioten.“ — Philadelphier. — Decisi. — Giro Anni-
chiarico. — Calderari. — Die Unabhängigen. — Die Delphische Priester-
schaft. — Ägyptische Logen. — „Amerikanische Jäger.“ — Italienische
Geheimbündelei in London und Paris. — Mazzini und das Junge Italien.
— Sizilianische Gesellschaften. — Die „Konsistorialen." — Die römisch-
katholische apostolische Kongregation. — Die Sanfedisten.
Zu den wichtigsten Ablegern des Carbonarismus gehörte
der um 1816 entstandene Orden der Welfischen Ritter,
den ein österreichischer Polizeibericht „wegen des undurchdring-
lichen Geheimnisses, das ihn umgiebt,“ als „äufserst gefährlich“
bezeichnete. Jeder Ausschuß bestand aus sechs Mitgliedern, die
einander jedoch nicht kannten; den Verkehr zwischen ihnen ver-
mittelte der sogen. „Sichtbare.“ Zu jedem Ausschufs gehörte
auch ein vertrauenswürdiger junger Mann, „Beamter“ genannt,
der mit den Universitätsstudenten zu verkehren hatte, und ein
„Freund," dem die Beeinflussung des Volkes oblag. Aber weder
der „Beamte" noch der „Freund" war in die eigentlichen Ordens-
geheimnisse eingeweiht. Jeder Ausschufs führte einen besonderen
Namen — z. B. „Ehre," „Tugend,“ „Treue" etc. — und hielt
seine Zusammenkünfte ohne Schreiberei oder sonstige Vor-
kehrungen ab. Die hauptsächlichsten Ausschüsse hatten ihre
Sitze in Florenz, Venedig, Mailand und Neapel; der Oberste
Rat tagte zu Bologna. Der Bund bemühte sich, für seine Grund-
sätze Anhänger zu gewinnen , die seine Ziele fördern helfen
sollten, ohne von dem Vorhandensein des Bundes eine Ahnung
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Allerlei italienische Gesellschaften. 339
zu haben. In der Bundesleitung soll Lucian Bonaparte eine
erste Geige gespielt haben.
Der Welfische Ritterorden bezweckte, unter seiner eigenen
Führung alle politischen Geheinigesellsehaften Italiens behufs Er-
reichung der Unabhängigkeit dieses Landes zu vereinigen. Er
war, genau genommen, nur eine der Hauptlogen der Carbonari.
Die Häupter der letzteren waren auch die der Welfen; doch
nahmen diese nur solche Carbonari auf, die in ihrem Bunde
bestimmte Funktionen bekleideten. Zweifellos verhielt sich die
Sache so, dafs, als die Carbonari iibermäfsig zahlreich geworden
waren, viele von ihnen sich andersnamigen aber gleichgesinnten
Vereinigungen anschlossen (den »Philadelphiern,» den »Unab-
hängigen» etc.), darunter auch dem Orden der Welfischen Ritter.
Um 1817 entstand die Gesellschaft der »Latiner," welche
blofs Inhaber der höheren Grade des Carbonarismus aufnahin.
In dem Mitgliedseid hiefs es: »Ich schwöre, das Glück Italiens
mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln fördern zu wollen.
Ich schwöre dem Bunde strengste Verschwiegenheit und Pflicht-
treue. Ich werde nichts thun, was dessen Sicherheit beein-
trächtigen könnte. Ich werde allen seinen Befehlen Gehorsam
leisten. Sollte ich meinen Eid je verletzen, so werde ich mich
jeder Strafe fügen, die der Bund über mich verhängen mag,
auch der Todesstrafe."
Ein andrer Ableger des Carbonarismus war die lombardische
Gesellschaft der »Mittelpunkte,“ welche jede Schreiberei ver-
mied und Besprechungen von Bundesangelegenheiten stets auf
zwei Personen beschränkte. Das Losungswort war »Hilf den
Unglücklichen,“ das Erkennungszeichen dreimaliges Erheben der
Hand zur Stirne. Diese Vereinigung belebte die Hoffnungen
Murats aufs neue, denn sie plante unter seinen Auspizien eine
Erhebung gegen die Österreicher. General Fontanelli hätte durch
das Läuten der Domglocken das Signal zum Aufstand und
zur Ermordung aller Österreicher geben sollen; aber er unter-
liefs es - ob aus Furcht oder aus Mitleid, weifs man nicht —
das verabredete Zeichen zu geben und die durch sein Zögern
entstandene Verwirrung führte zur Entdeckung der Verschwörung.
Hierzu trug auch die Angeberei des Vicomte von Saint-Aignan
viel bei, von dem man seither nie wieder etwas gehört hat —
vielleicht wurde er umgebracht. Die Rädelsführer verbrachten
drei Jahre in Untersuchungshaft, kamen aber sehliefslich wahr-
scheinlich infolge Geltendmachung carbonaristischen Einflusses —
mit sehr milden Strafen davon.
In Palermo entstand 1823 ein Orden, der sich »Italienische
Litteraten" nannte und weder Zeichen noch sonstige Unter-
scheidungsmerkmale hatte. Er besafs in jeder Stadt einen Vertreter
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340 Politische Geheimgesellschaften.
— genannt »der Radikale“ - der Mitglieder anwerben und in ,De-
kurien“ oder „Centurien" gruppieren konnte. Die Eingeweihten
hiefsen „Söhne“ oder auch „Brüder Barabbas." Bei ihnen ver-
trat seltsamerweise Christus den Tyrannen und Barabbas das
Volk. Hinter diesem scheinbar verkehrten Symbolismus verbargen
sich Ideen von gerechter und wahrheitsliebender Richtung. Als
Erkennungszeichen diente im Verkehr ein Ring von bestimmter
Art, im Briefwechsel das Wort INRI. Dieser Geheimbund erregte
grofse Furcht, wurde streng überwacht und viele seiner Mitglieder
wanderten ins Gefängnis.
Kalabrien und die Abruzzen waren von jeher Lieblings-
gegenden für Verschwörer. Dort begegnen wir auch den ge-
heimen politischen Orden der „europäischen Patrioten“
(auch „Weifse Pilger“ genannt), der „Philadelphier“ und
der „Decisi,“ die allmählich auch in anderen Provinzen Italiens
Verbreitung fanden. Die zwei erstgenannten waren französischen,
der dritte italienischen Ursprungs. Die Logen der „Weifsen
Pilger“ hiefsen „Schwadronen," die der Philadelphier „Feld-
lager,“ die der »Decisi“ (= „Entschiedene") „Entscheidungen.“
Die Decisi, etwa 40000 an Zahl, hielten ihre Versammlungen
nachts unter starker Schildwachenbedeckung, ihre militärischen
Übungen in abgelegenen Häusern oder aufgehobenen Klöstern.
Ihre ganze Organisation war militärischer Natur. Der Bund be-
zweckte einen Einfall in Neapel und die Einführung der republi-
kanischen Staatsform, aber die Verhältnisse waren der Verwirk-
lichung dieses Planes nicht günstig. Gestiftet und geleitet wurde
die geheime Gesellschaft von dem Priester Ciro Annichiarico.
einem Mann von grofsen Geistesgaben und ungeheurem Einflufs.
Über den sehr interessanten Lebenslauf dieses merkwürdigen
Menschen sei nachstehend Näheres mitgeteilt
Während seiner Amtsführung als Priester wurde er be-
schuldigt, aus Eifersucht einen Mord begangen zu haben; ob-
gleich er höchst wahrscheinlich unschuldig war, lautete das Ur-
teil auf fünfzehnjährige Verbannung. Statt ihn jedoch aufser
Landes gehen zu lassen, behielt man ihn im Kerker, bis er nach
vier Jahren in die Wälder entfloh. Nun stellte er sich an die
Spitze einer Missethäterbande und seine Feinde behaupteten, dafs
er allerlei Schändlichkeiten beging. So z. B. soll er zu Martano
in das Haus einer vornehmen Familie eingedrungen sein und
dort nach Vergewaltigung der Hausfrau und Ermordung der-,
selben sowie der ganzen Dienerschaft 96 000 Dukaten gestohlen
> haben. Er habe, so hiefs es, mit allen Räuberhauptleuten im
Briefwechsel gestanden. Wer einen Feind loswerden wollte,
brauchte sich nur an ihn zu wenden. Nach seiner Verhaftung
befragt, wie viele Menschen er eigenhändig getötet habe, ant-
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Allerlei italienische Gesellschaften.
34 t
wortete er: »Wie soll ich das wissen? Vielleicht sechzig bis
siebenzig."
Annichiarico entfaltete erstaunliche Thatkraft, Schlauheit und
Unerschrockenheit. Er war ein ausgezeichneter Schütze und
Reiter. Die Gewandtheit und das Glück, mit deren Hilfe er
unversehrt aus den gröfsten Gefahren hervorging, verschafften
ihm den Ruf eines unüberwindlichen Zauberers. Trotz seiner
Priestereigenschaft war er ein Freigeist Er erklärte seine Amts-
brüder für glaubenslose Betrüger und schrieb gegen die Missionäre,
denen er die Verbreitung rückschrittlicher Anschauungen vorwarf
und das Predigen in den Dörfern bei Todesstrafe verbot, denn
»statt des wahren Evangeliums verbreiten sie betrügerische Fabeln.“
Er konnte auch grofsmütig sein. Eines Tages begegnete er in
einem Garten dem allein spazierenden, im Dienst Murats stehen-
den General d’Octavio, der ihn an der Spitze von tausend Mann
seit längerer Zeit verfolgte. Er stellte sich dem unbewaffneten
General vor, sagte, dafs sein Leben in seiner (Ciros) Hand sei
und fügte hinzu: »Aber ich will Sie diesmal schonen; wenn Sie
mich jedoch noch länger verfolgen sollten, würde ich nicht mehr
so rücksichtsvoll sein.“ Sprach’s, sprang über die Gartenmauer
und verschwand.
Seine Gesichtszüge waren einnehmend, sein Körperbau
schön und sehr kräftig, seine Beredsamkeit sprudelnd und seine
Vergnügungssucht so grofs, dafs er sich zur Zeit seiner Macht
in zahlreichen Städten Maitressen hielt. Nach der neuerlichen
Thronbesteigung Ferdinands wurde gegen ihn abermals ein Haft-
befehl erlassen. Nunmehr gründete er den Geheimbund der
Decisi, denen man viele Ausschreitungen zur Last legte, ln
Gruppen von zwanzig bis dreifsig trieben sie sich umher, als
Hanswürste verkleidet. Hatte die Bundesleitung irgend ein ge-
heimes Todesurteil ausgesprochen, das sich nicht mit offener
Gewalt vollziehen liefs, so mufsten einige besonders kühne Decisi
einen geeigneten Moment auskundschaften und abwarten. Die
Zahl der Missethaten wurde schliefslich so grofs, dafs die Re-
gierung den General Church mit einer beträchtlichen Truppen-
zahl zur Bekämpfung der Banden aussandte. Mit zahlreichen
Genossen gefangen genommen, wurde Annichiarico zum Tode
durch Erschiefsen verurteilt. Als ein Missionär ihm die »Tröstungen
der Religion" anbot, antwortete er lächelnd: »Lassen Sie mich
mit diesem Gewäsch zufrieden! Wir gehören dem gleichen
Handwerk an und wollen einander nicht auslachen.“ Einund-
zwanzig Schüsse trafen ihn, vier davon in den Kopf, aber erst
der zweiundzwanzigste tötete ihn. Einer der dienstthuenden Sol-
daten sagte sehr ernsthaft: „Da wir sahen, dafs er behext sein
müsse, luden wir seine eigene Muskete mit einer Silberkugel,
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Politische Geheimgesellschaften.
und diese brach den Zauber.“ Nach dem Tode des Anführers
wurden 230 Decisi vor Gericht gestellt und fast die Hälfte davon
wegen Raubmordes hingeriehtet; die Köpfe gelangten warnungs-
halber teils an den Wohnorten der Verbrecher, teils auf den
Schauplätzen ihrer Übelthaten zur Ausstellung.
Die Mitgliedsdiplome der Decisi sahen ungefähr so aus:
T ristezza. ''X J/orte.
(Totenkoi>r.) S(alentina). D(ecisione). ' (Toienkopf >
(-Valute.) . *'
Na. K Crandi .l/uratori.
I. D. D. G. T. — E. D. T. D. U. ")
| 11 .l/ortale Gaetano Caffieri c un /. D. A'umero <?uinto
, appartenente alla Dt. del Z'onante G iove, sparsa sulla superficie
della 7'crra , per la sua Di avuto il piacere di far parte in
questa R.S.D. A’oi dunque invitiamo tutte le -Societa /•'ilan-
tropichc a prestar ii loro braccio forte al medesimo ed a
soccorrerlo ne' suoi bisogni, essendo egli giunto alla Di di
acquistare la iiberta o -t/orte.
Oggi li 29 Ottobre 1817.
II G. M. D. No. 1 .
Pietro Gargaro.
V 2 . de Serio 2.2. Deciso
Gaetano Caffieri isiesei.)
Registratore de'Morti. \ '**) j
(Toicnknochen.) (Tocenknochen.)
-Schrecken. . A'ampf.
Die deutsche Übersetzung würde etwa so lauten: »Traurig-
keit; Tod! Salentinische Decision. Heil! Nr. 5; Grofsmaurer.
— Decision (Loge) zum Jupiter Tonans, Ausrotterin der Ty-
rannen des Weltalls. — Der Decisionsbruder Gaetano Caffieri
gehört als Nr. 5 der Loge zum Donnernden Jupiter an, die über
die ganze Erde verbreitet ist. Da er das Vergnügen hat, der
salentinischen republikanischen Decision anzugehören, laden wir
alle philanthropischen Vereinigungen ein, ihm nach Kräften bei-
*) Rutenbündel auf einem Totcnschädel, überragt von der phry-
gischen Mütze und von Beilen umgeben.
**) Diese Anfangsbuchstaben bedeuten : La Decisione di Giove
Tonante - Esterminatore dei Tiranni dell’ Universo.
*•*) Donnerkeile, welche königliche und kaiserliche Kronen sowie
die Tiara zum Sturz bringen.
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Allerlei italienische Gesellschaften. 34 3
zustehen, denn er hat sich der Decision gegenüber verpflichtet,
entweder die Freiheit oder den Tod zu erringen. - Heute, ant
29. Okt. 1817. P. G., erster Großmeister der Decision; Vido
de Serio, zweiter Entschiedener; G. C., Totenlistenführer.“
Die oben in Kursivschrift gedruckten Buchstaben waren
mit Blut geschrieben. Die vier Punkte nach der ersten Unter-
schrift deuten die Macht des »ersten Großmeisters» an, Todes-
urteile zu fällen. Wenn ein Brandschatzungs- oder Erpressungs-
schreiben des Bundes diese vier Punkte enthielt, so wußte der
Empfänger, daß er im Weigerungsfall den Tod zu gewärtigen
habe. Fehlten die vier Punkte, so stand eine mildere Strafe in
Aussicht. Die Bezeichnung »Totenlistenführer“ will besagen,
dafs der Betreffende das Verzeichnis der von den Decisi um-
gebrachten Personen führte. Das Diplom war von den Bundes-
farben (gelb-rot-blau) eingesäumt.
Von unsicherem Ursprung ist die Verbindung der Calderari
(Kupferschmiede), deren wir übrigens nebenher schon im Ab-
schnitt »Die Carbonari» Erwähnung gethan haben. Graf Orlow
behauptet in seinem Werk über das Königreich Neapel, der Bund
sei 1813 in Neapel entstanden, als der Carbonarismus neugestaltet
wurde; dagegen schreibt Canosa, derselbe stamme nicht aus
Neapel, sondern aus Palermo. Dort habe es mehrere Handwerks-
körperschaften gegeben mit grofsen Vorrechten, welche sie durch
die auf Betreiben Englands erlassene Verfassung verloren. Am
empfindlichsten sei von den Verlusten die Kupferschmiedezunft
betroffen worden, was diese veranlaßt habe, der Königin von
Neapel das Anerbieten zu machen, sich zu ihren Gunsten er-
heben zu wollen. Der Aufstand sei auch in den Reihen der
Gerber und der neapolitanischen Auswanderer auf Sizilien aus-
gebrochen. Lord William Bentinck schiffte die Emigranten unter
einer neutralen Flagge nach Neapel ein, wo Murat sie sehr
freundlich empfing. Sie wußten ihm das nicht Dank, verbanden
sich vielmehr mit den damals gegen die Franzosenherrschaft ver-
schworenen Geheimgesellschaften, die, bislang »Trinitarii» genannt,
von jenen die Bezeichnung »Calderari" übernahmen. Canosa
nannte sie »Calderari zum Gegengift,“ weil er sie als solches
gegen den Carbonarismus zu verwenden gedachte, wie wir be-
reits aus dem Kapitel »Die Carbonari“ wissen, in welchem wir
auch über das Schicksal Canosas und der Calderari berichtet haben.
Auch die »Unabhängigen“ erstrebten die Unabhängig-
keit Italiens; doch scheinen sie nicht abgeneigt gewesen zu sein,
das Ziel mit ausländischer Hilfe zu erreichen. Sie sollen sogar
die Absicht gehabt haben, die italienische Krone dem Herzog
von Wellington anzubieten; das klingt jedoch sehr unwahrschein-
lich, da der Herzog in Italien durchaus nicht beliebt war. Viel
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Politische Gehcimgesellschaften.
näher liegt die Annahme, dafs sie sich um die Mitwirkung
Rufslands bemühten, welches seit 1815 in Italien zahlreiche
Agenten unterhielt (angeblich zur Vornahme volkswirtschaftlicher
und statistischer Studien, nach Ansicht Österreichs aber zu poli-
tischen Zwecken). Die »Unabhängigen“ standen in regen Be-
ziehungen zu diesen Agenten -- vermutlich um sich für den Fall
eines Aufstandes gegen Österreich die Hilfe Rufslands zu sichern.
Den gleichen politischen Zweck wie die »Unabhängigen“
verfolgte die „Delphische Priesterschaft". Das kampf-
bereite patriotische Bundesmitglied sprach: „Meiner Mutter dient
das Meer als Mantel, das Hochgebirge als Scepter." Die Frage,
wer seine Mutter sei, beantwortete es so: „Die Frau mit den
dunkeln Locken und den Gaben der Schönheit und Weisheit,
früher auch der Kraft; ihre Mitgift ist ein blühender Garten voll
duftender Blumen, voll Weinreben und Olivenbäume; jetzt stöhnt
sie, weil zu Tode getroffen." Die Delphier setzten ihre Hoff-
nungen seltsamerweise auf „das Heilmittel des Oceans“ (d. h.
Hilfstruppen aus Amerika) und „die Zeit der Heilung," worunter
sie einen allgemeinen europäischen Krieg verstanden. Sie nannten
die Anhänger Frankreichs „Heiden,“ jene Österreichs „Ungeheuer“
und die Deutschen „Wilde.“ Ihr Öberhaupt hiefs der „Lootse“
und ihr Versammlungsort „das Schiff," womit sie auf die
künftige Seemacht Italiens und auf den von jenseits des Meeres
erwarteten Beistand anspielen wollten.
Nach dem Sturz Napoleons I. entstanden auch im Ausland
geheime Gesellschaften behufs Förderung der Unabhängigkeit
Italiens. Die Gründer waren in der Regel Flüchtlinge oder Ver-
bannte. Selbst Ägypten wurde zum Herd einer solchen Agitation
gemacht, indem Italiener mit Unterstützung Mehemet Alis, der
sich seinerseits gern von der Pforte unabhängig gemacht hätte,
unter dem Namen „Geheimer ägyptischer Bund“ eine
Abart des ägyptischen Cagliostro-Ritus einführten. Unter dem
Deckmantel freimaurerischer Formen wollte der Pascha seine
eigenen Pläne fördern. Um in Italien und auf den Ionischen
Inseln politische Änderungen hervorzurufen, liefs er die ganze
Mittelmeerküste von Emissären bereisen. Die Gesellschaft nahm
Anhänger jeder Religion auf, auch weibliche Mitglieder; den
Logen von Kairo und Alexandrien gehörten über dreihundert
Griechinnen und Araberinnen an. Die Riten waren der Haupt-
sache nach die der alten und anerkannten „Schotten.“ ln den
Logen wurde ein Bildnis Napoleons verehrt und dem gefangenen
Kaiser war ein jährlicher Festtag geweiht. Türken konnten
naturgemäfs keine Aufnahme finden. Über die Wirksamkeit
des Bundes ist nichts Verlässliches in die Öffentlichkeit ge-
drungen.
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Allerlei italienische Gesellschaften.
3-15
Kurz nach den Verfolgungen zu Macerata und den i. J. 1818
von der österreichischen Regierung gegen die Carbonari er-
griffenen Mafsregeln trat in Ravenna die Vereinigung der
»Amerikanischen Jäger« ins Leben. Byron, der durch
den Umgang mit der schönen Gräfin Guiccioli ein italienischer
Patriot geworden sei, soll an der Spitze dieses Geheimbundes
gestanden haben, welcher hinsichtlich der Zeremonien den
spanischen Comuneros (vgl. »Die Comuneros«) und hinsichtlich
der politischen Bestrebungen der »Delphischen Priesterschaft"
ähnelte. Die Rettung wurde aus Amerika erwartet — daher der
Name der Vereinigung. Angeblich gehörte ihr Joseph Bonaparte,
der Ex-König von Spanien, als Mitglied an. Dafs die Bona-
partisten neue Hoffnungen hegten, ist nicht unwahrscheinlich;
das läfst sich auch aus einem damals in Mittel-Italien sehr volks-
tümlichen Sonett schliefsen, dessen erste Strophe besagte: »Empört
darüber, dafs wir im Joch so grausamer Könige seufzen müssen,
die ganz Europa mit Entsetzen erfüllen, müssen wir Bonaparte
bitten, zurückzukehren — sei’s von St Helena, sei’s aus der
Hölle."
Aus dem Schofs der „Amerikanischen Jäger" gingen viele
kleinere Gesellschaften hervor: z. B. die „Marssöhne,“ zumeist
aus Militärs bestehend; die „Kunstbrüder,“ die „Landes-
verteidiger," die „Freunde der Pflicht" und viele andere,
deren Namen kaum bekannt sind. Bei den „Marssöhnen“ hiefs
der Lehrling „Freiwilliger," eine Carbonariloge „Feldlager," der
„gute Vetter“ „Korporal,“ der Meister „Sergeant," der Grofs-
nieister „Befehlshaber." Dieser Orden wurde aber eigentlich,
wenngleich indirekt, von den höchsten Würdenträgern der Car-
bonari geleitet.
1 822 bildete sich in London ein Geheimbund zur Befreiung
von der Herrschaft Österreichs. Ihm traten viele hervorragende
italienische Patrioten bei. Die ängstliche österreichische Regierung
schickte Spione aus und diese schilderten die Pläne des Bundes
als sehr umfassend, deren Ausführung als unmittelbar bevor-
stehend. Eine Expedition hätte sich in England nach Spanien
einschiffen sollen, um zahlreiche Anhänger aufzunehmen und
nach Italien zu bringen, wo sie einen Aufstand hervorrufen sollten.
Angeblich stand der britische General Wilson an der Spitze
jener geplanten Expedition, doch hat man von dieser in Wirklich-
keit nie etwas gehört.
Auch in Paris gab es italienische politische Geheimgesell-
schaften. Die erste entstand 1829. Ein Jahr darauf gründeten
französische Liberale den „Bund der Kosmopoliten“ zum
Zweck der Revolutionierung aller lateinischen Völker und ihrer
nachherigen Vereinigung zu einer grofsen Föderativ-Republik.
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Politische Geheimgesellschaften.
Offiziell stand La Fayette an der Spitze, die eigentliche Seele
jedoch war der Modenese Heinrich Misley, zuerst Salpeter- und
Weizen- Exporteur, später Eisenbahn - Bauunternehmer. Dieser
ganz unauffällig thätige Mann, ein vertrauter Freund Menottis,
bildete das Bindeglied zwischen dem italienischen Carbonarismus
und der französischen Umsturzbewegung. Auch unterstützte er
Palmerston 1850— 52 in dessen Bestreben, Louis Napoleon zum
Kaiserthron zu verhelfen. Der doppelzüngige Palmerston war den
europäischen Revolutionären sehr wohl gesinnt; das hinderte ihn
jedoch nicht, dort, wo es ihm in den politischen Kram pafste,
dem Staatsstreieh-Empereur beizuspringen.
Giuseppe Mazzini, vor etwa sechzig Jahren wegen revolu-
tionärer Reden und Schriften in Fort Savona eingesperrt, kann
als die Haupttriebfeder derjenigen neueren italienischen Geheim-
bündelei betrachtet werden, welche radikale Tendenzen hatte.
Die Hauptrolle spielte das »Junge Italien," das die Unab-
hängigkeit und Einigung des Landes und die Erhebung Roms
zur Hauptstadt anstrebte. Hier einige Stellen aus den von
Mazzini verfafsten Satzungen dieser Gesellschaft:
»Artikel 1. Der Bund bezweckt die unerläfslich notwendige
Beseitigung aller Regierungen der Halbinsel und die Gründung
eines Gesamtstaates mit republikanischer Regierungsform. — 2. ln
voller Kenntnis der furchtbaren Mifsstände des Absolutismus und
der noch schlimmeren Folgeübel des verfassungsmäfsigen Monar-
chismus müssen wir die Errichtung einer einheitlichen, unteil-
baren Republik anstreben. 30. Wer den Befehlen dieser ge-
heimen Gesellschaft den Gehorsam versagt oder ihre Geheimnisse
verrät, stirbt unfehlbar durch den Dolch. 31. Das geheime
Gericht fällt die Urteile und bezeichnet die zu deren Vollziehung
bestimmten Mitglieder. - 32. Weigert sich ein Mitglied, ein
Urteil zu vollstrecken, so wird es auf der Stelle erdolcht.
33. Entrinnt das Opfer, so wird es verfolgt und schliefslich von
der rächenden Hand getroffen, und versteckte es sich in den
Armen der Mutter oder im Tempel Christi. 34. Jedes geheime
Gericht ist berechtigt, nicht nur schuldige Mitglieder, sondern
auch jede andere Person, deren Beseitigung es für nötig hält,
zum Tode zu verurteilen •
Schon in dem Kapitel über die Mafia (vgl. „Gesellschafts-
feindliche Geheimbünde") haben wir die Vorliebe Mazzinis für
den Dolch kennen gelernt. Hier begegnen wir ihr wieder.
Obgleich er stets darauf bedacht war, jede Gefährdung der
eignen Person zu vermeiden, liefs er den Dolch ohne Bedenken
durch andere anwenden; am bekanntesten ist in dieser Beziehung
sein schriftlicher Auftrag, einen gewissen Emiliani zu erdolchen,
der angeklagt war, sich den Plänen der Mazzinianer widersetzt
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Allerlei italienische Gesellschaften.
U 7
zu haben. 1833 stiftete Mazzini einen gewissen Louis Mariotti
an, ein Attentat auf Karl Albert zu begehen. Bald nachher wurde
der Attentatsversuch von einem anderen Verschwörer wiederholt,
und zwar mit einem Dolch, der nachgewiesenermafsen das Eigen-
tum Mazzinis bildete.
Das Junge Italien hatte in allen Gegenden des Landes
Zweigausschüsse und agitierte in der in- wie in der ausländischen
Presse eifrig für seine Ziele. Die Polizei erwies sich als so
unfähig, dafs Livio Zambeccari, einer der Hauptverschwörer, von
Bologna nach Neapel und Sizilien gehen, mit den dortigen Ge-
nossen Unterredungen haben, Versammlungen abhalten und nach
Bologna zurückkehren konnte, ohne dafs sie (die Polizei) von
alledem etwas geahnt hätte. General Antonini besuchte als ein
angeblicher Daguerreotypist unter falschem Namen die Insel
Sizilien und verkehrte sehr vertraut mit der dortigen Beamten-
welt, ohne den Verdacht der Behörden zu erregen. Ein piemon-
tesischer Offizier konnte mit Hilfe des Empfehlungsbriefes eines
neapolitanischen Generals unter einem spanischen Namen die
Citadelle von Messina eingehend besichtigen. Die Polizei fing
an die Verschwörer gerichtete Briefe aus Malta auf, liefs sich
dieselben aber von einigen ebenso schlauen wie kühnen Mit-
gliedern des Jungen Italien ungelesen entlocken!! Tausend Exem-
plare einer in Marseille gedruckten aufrührerischen Kundgebung
wurden in einer an den Minister Delcaretto gerichteten diplo-
matischen » Note “ in Italien eingeschmuggelt. Wiederholt
schmuggelte man den Briefwechsel der Umstürzler durch die
amtliche Korrespondenz des Ministers Santangelo ein. Ein zu
den Verschwörern gehörender wohlbekannter spanischer General
begab sich von Marseille nach Neapel und die französischen
Zeitungen berichteten über seine Abreise und deren Zweck;
dennoch konnte die neapolitanische Polizei seiner nicht habhaft
werden. Damals unterstützte Lord Palmerston die italienischen
Revolutionäre moralisch kräftig, weshalb in den Kreisen der
österreichischen Konservativen der Knittelvers im Umlauf war:
»Hat der Teufel einen Sohn,
lst's gewifs Lord Palmerston.“
Auf Sizilien wurde 1827 eine Vereinigung gegründet, die
sich »Freunde Griechenlands“ nannte, aber nicht nur
Griechenlands, sondern auch Italiens Unabhängigkeit anstrebte.
Zehn Jahre vorher war ebendort der »Geheimbund der Fünf“
entstanden, der für die Erhebung der Griechen eintrat. In
Messina gab es eine Loge, genannt »Patriotische Reformer“;
sie beruhte auf den Grundsätzen der Carbonari, unterhielt mittels
musikalischer Notenschrift Beziehungen zu Logen in Florenz,
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34S
, Politische Geheimgesellschaften.
Mailand und Turin, beschränkte sich aber nicht auf Politik,
sorgte vielmehr auch mit grofsem Erfolg für die Verbesserung
der ehedem geradezu fürchterlichen Sicherheitszustände.
Wie in Spanien, traten begreiflicherweise auch in Italien
den radikalen Verschwörungsverbindungen, die sich gegen Thron
und Kirche richteten, konservativ-geistliche Geheimgesellschaften
gegenüber. So z. B. arbeiteten die „ Konsistorialen * an der
Erhaltung der feudal-klerikalen Herrschaft. Zu ihnen gehörten
die reichen Patrizier Roms und anderer italienischen Staaten.
Der leitende Geist war der Ex-Jesuit Tabot, Beichtvater des
Papstes. Dieser Geheimbund soll beabsichtigt haben, die einzelnen
Provinzen folgendermafsen zu verteilen: Toskana dem Papst;
Elba und die Marken dem König von Neapel; Parma, Piacenza
und einen Teil der Lombardei nebst dem Königstitel dem Herzog
von Modena; Massa Carrara, Lucca und den Rest der Lombardei
dem König von Sardinien; Ancona oder Genua oder Civita
Vecchia den Russen als Belohnung für ihre moralische Unter-
stützung der Bestrebungen der » Konsistorialen." Aus Urkunden
geht hervor, dafs Österreich das Vorhandensein und die Ziele
der Gesellschaft kannte und dafs der Herzog von Modena 1818
in einer Vollversammlung derselben den Vorsitz führte.
ZurZeit der Gefangenschaft Pius' IX. entstand die »Römisch-
katholische Apostolische Kongregation,“ deren Mitglieder
einander an einer gelben Schnur mit fünf Knoten erkannten,
ln den unteren Graden war nur von Frömmigkeit und Wohl-
thätigkeit die Rede; erst die Inhaber der höheren lernten die
eigentlichen Bundesgeheimnisse kennen, die übrigens nur von
je zwei Personen besprochen werden durften. Jede Loge zählte
blofs fünf Mitglieder. Die Losungs- und Kennworte waren
„Eleutheria“ (Freiheit) und »Ode" (Unabhängigkeit). Dieser
Orden verpflanzte sich von Frankreich, wo er aus der Mitte der
Laniennaisschen Neu- Katholiken hervorgegangen war, nach der
Lombardei, fand dort aber wenig Anklang. Obgleich auf die
Befreiung Italiens abzielend, war er nicht revolutionär, denn er
verknüpfte die Geschicke der Völker mit dem vollständigen Sieg
des römischen Katholizismus. Es gelang den Österreichern, sich
in den Besitz der Satzungen, der Eingeweihten-Diplome etc. zu
setzen; die letzteren enthielten zwei lateinische Texte, welche
durch das Zeichen
C C
A | R
(= Congregazione Cattolica Apostolica Romana) getrennt waren.
Zur Zeit des Verbots des Jesuitenordens trat der Bund der
„ Sanfedisten * ins Leben. Im Kirchenstaat hatte längst die
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Allerlei italienische Gesellschaften.
3-19
»Heilige Union« (auch »Gesellschaft der Friedlichen“
genannt) bestanden, welche die Verteidigung des Katholizismus,
der weltlichen Macht des Papstes und dergleichen bezweckte.
Aus dieser Vereinigung gingen die Sanfedisten (= Gesellschaft
des heiligen Glaubens) hervor. Die Entdeckung des Bundes ge-
schah durch einen merkwürdigen Zufall. Im Karneval 1821 be-
trat ein Freund Jean de Witts (vgl. »Carbona^i“) in einer Strafse
Turins einen Laden, um ein Kostüm zu kaufen. Bei der Be-
sichtigung einer Soutane erspähte er in einer Tasche derselben
Papiere. Nach Ankauf des Kleidungsstückes entpuppten sich die
Schriftstücke als die Satzungen, Erkennungszeichen, Losungsworte
u. s. w. der Sanfedisten. Der gewesene Besitzer der Soutane,
einer der höchsten Eingeweihten, war vom Schlage gerührt worden
und man hatte seine Habseligkeiten verkauft, ohne die nötige
Sorgfalt walten zu lassen. Nach den Enthüllungen des Käufers
der Soutane änderten die Sanfedisten Zeichen und Kennwort;
das erstere bestand seither in einem mit der linken Hand auf
die linke Brust gemachten Kreuzzeichen.
ln Frankreich hatten die Sanfedisten lange vorher gegen
Napoleon 1. agitiert, der ihrer etwa zwanzig in Modena einsperren
liefs; Franz IV. befreite sie aus dem Gefängnis. Nach 1815
sollen der Herzog von Modena und Kardinal Consalvi die Leiter
des Bundes gewesen sein; auch der König von Sardinien war
angeblich in die Verschwörung mit verwickelt. Von manchen
Seiten ist der »Gesellschaft des heiligen Glaubens" die Absicht
zugeschrieben worden, die Österreicher und den König von
Neapel zu vertreiben und Italien in drei Königreiche zu teilen;
nach anderen Quellen plante sie die Zerlegung des Landes in fünf
Staaten : Sardinien, Modena, Lucca, Rom, Neapel ; noch andere
glaubten — und sie allein dürften das Richtige getroffen haben —
dafs die Sanfedisten die Erhaltung des Status quo und die Wieder-
einführung der ärgsten Knechtschaft anstrebten. Einmal intri-
guierten sie mit und für Österreich, ein andermal mit und für
Rufsland. Ihre Ränke zogen im Inland viel Zwist und Blut-
vergiefsen nach sich. Ihre Hauptgegner waren die Carbonari.
Ihre Satzungen und ihr Treiben waren ebenso blutrünstig und
unheilvoll wie das Unwesen der Räuberbanden, die Italien un-
sicher machten. Sie schworen schreckliche Eide, die »gottlosen“
Freisinnigen und deren Kinder ohne Ansehen des Geschlechts
oder Alters zu verfolgen und umzubringen. Unter dem Deck-
mantel des Glaubensschutzes erlaubten sie sich die ärgste Zügel-
losigkeit und die empörendsten Grausamkeiten. Im päpstlichen
Staatsgebiet standen sie unter der Leitung der Inquisitoren und
Bischöfe, von denen sie gar sehr ermutigt wurden, besonders
unter Leo XII. Im Königreich Neapel gehorchte der Bund un-
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350
Politische Geheimgesellschaften.
mittelbar den Befehlen der Polizei. In Deutschland erfreute er
sich des Schutzes des Bischofs Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst.
An der Spitze der französischen Mitglieder stand Fürst Jules
de Polignac.
Irische Gesellschaften.
Weifse Bursche. — Rechtsbursche. — Eichenbursche. — Stahlherzen. —
Drescher. — Tagesanbruchbursche. — Verteidiger. — Vereinigte Iren.
Bandmänner. — Patricljsbursche. — Orangisten. — Molly Maguires. —
Söhne des Heiligen Georg. — Der Alte Hibernierorden. — Die Fenier. —
Ihre Entstehung und Organisation. — Schwindelhafte »Haupt-Mittelpunkte.*
Finanzielles. — Ursprung des Namens. — Litanei. — Geschichte des
Feniertums von 1Sb5 bis 1871. Der sogen. General Cluseret. — Mord-
thaten und Dynamit-Attentate. — Der Klan-na-gael. — Die National-Ljga.
— Neueste Geschichte des Feniertums.
In ihrem Elend und tiefen Aberglauben hilflos, vom Hals
gegen ihre Eroberer, die Beherrscher Englands, irregeführt,
gründeten die Irländer ihre geheime Verbindungen nicht so sehr
zur Bekämpfung der Übelstände als zur Bekämpfung der —
oft nur vermeintlichen Urheber der Übelstände. Die erste
irische Geheimgesellschaft, von der in öffentlichen Urkunden die
Rede ist, datiert aus dem Jahre 1761, einer Zeit, in- welcher die
ohnehin stets jämmerlichen Verhältnisse des Bauernstandes völlig
unerträglich geworden waren. Das Recht der freien Weide wurde
aufgehoben und die Grundherren, in der Regel nicht Irländer,
sondern Engländer — begannen die Gemeindeweiden einzu-
friedigen. Auch die Anforderungen des Fiskus stiegen immer
höher. In ihrer Verzweiflung griffen die Bauern zu Repressalien,
und um diese mit gröfserer persönlicher Sicherheit begehen zu
können, riefen sie den Geheimbund der „Weifsen Bursche*
ins Leben. Der Name rührt daher, dafs die Mitglieder zu Ver-
kleidungszwecken über ihrer Kleidung ein weifses Hemd anzogen.
Sie nannten sich auch » Niederreifser,“ weil sie darauf aus-
gingen, die verhafsten Einzäunungen niederzureifsen. 1761 breitete
sich der Bund in der Provinz Munster aus, wo er jahrzehntelang
allerlei Ausschreitungen beging, ehe er sich auflöste, um dem
der »Rechtsbursche“ Platz zu machen (1887).
Die »Rechtsbursche“ arbeiteten mit gesetzlichen Mitteln
an der Erzielung von Steuerermäfsigungen und Lohnerhöhungen,
an der Abschaffung aller entwürdigenden persönlichen Dienst-
leistungen und an der Errichtung möglichst vieler katholischen
Kirchen. Sie begingen zwar zuweilen verwerfliche Ausschreitungen
gegen protestantische Pastoren, bewegten sich im allgemeinen
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Irische Gesellschaften.
351
jedoch innerhalb der gesetzlichen Grenzen. Als Gegengift grün-
deten die Protestanten eine Verteidigungsgesellschaft, «Die Eichen-
bursche" — so genannt, weil das Abzeichen in einem Eichen-
blatt bestand. Sie kämpften hauptsächlich für die Verringerung
der Macht und der Gebühren der Geistlichkeit. Am verbreitetsten
waren sie in der Provinz Ulster. Als sie mit gesetzlichen Mitteln
nichts erreichten, griffen sie zu den Waffen, wurden aber von
den englischen Regierungstruppen besiegt und aufgelöst.
In den sechziger Jahren mufsten viele Pächter des Marquis
von Donegal ihre Farmen verlassen, weil der Grundbesitzer wegen
eines pekuniären Vorteils dieselben an Belfaster Kaufleute ver-
mietete. Die Bedauernswerten vereinigten sich zu dem Geheim-
bund der »Stahlherzen.“ Dieser Name sollte die Strenge und
Ausdauer andeuten, mit welcher sie an den neuen Pächtern ihrer
Farmen Rache zu üben gedachten. Sie töteten möglichst viele
derselben, brannten ihre Gehöfte nieder und vernichteten ihre
ErnteH nach Thunlichkeit. Infolge Auflösung der Gesellschaft
durch die Behörden (1773) flüchteten zahlreiche Mitglieder nach
den Vereinigten Staaten, wo sie sich den im Aufstand gegen
England begriffenen Ansiedlern anschlossen.
Nach der Verschmelzung des irischen Parlaments mit dem
englischen (1800) trieb die Geheimbündelei neue Blüten. Die
bemerkenswerteste der betr. Gesellschaften war die der »Drescher,“
die in erster Reihe die Ermäfsigung der überaus hohen Funktions-
gebühren der Geistlichkeit der protestantischen wie der katho-
lischen - bezweckten. Zuweilen benahmen sie sich zugleich
grofsmütig und humoristisch. Anno 1807 z. B., als ein Priester
einem sehr armen Weib doppelte Taufgebühren aufrechnete, weil
es sich um Zwillinge handelte, zwangen ihn die »Drescher“ bald
nachher zur Entrichtung einer gröfseren Summe, für die sie eine
Kuh kauften, welche sie der armen Frau schenkten.
Zur Bekämpfung der neuen Vereinigungen sandte die Re-
gierung vergeblich die ganze berittene Freiwilligentruppc aus.
Um 1785 entstand die protestantische Verbindung der »Tages-
anbruchbursche,“ die in der Morgendämmerung Ausschrei-
tungen gegen Katholiken zu begehen pflegten, deren Flütten,
Getreidevorräte und landwirtschaftliche Maschinen sie verbrannten
oder sonstwie vernichteten. Die Katholiken riefen einen Schutz-
bund ins Leben: die »Verteidiger,“ die übrigens bald zur
Offensive übergingen und sich während des Aufstandes von 1 798
mit den »Vereinigten Irländern* verschmolzen. Diese er-
litten eine Niederlage und ihr Anführer, Lord Edward Fitzgerald,
wurde zum Tode verurteilt, starb jedoch an seinen Wunden,
ehe seine Hinrichtung stattfinden konnte. Die »Vereinigten Ir-
länder* setzten ihre geheime politische Thätigkeit als »Bund der
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352
Politische Geheimgesellschaften.
Bandmänner“ fort; so hiefsen sie, weil sie einander an be-
stimmten Bändern erkannten. Ihr Eid, der erst i. J. 1 895 bekannt
wurde, lautete wie folgt:
..In Gegenwart des allmächtigen Gottes und dieses meines
Bruders schwöre ich, dafs ich mir eher die rechte Hand ab-
hauen und vor die Kerkerthür legen lassen will, als einem Bruder
auflauern oder ihn verraten. Ich schwöre, ausdauernd zu sein
und zwischen Wiege und Krücke oder zwischen Krücke und
Wiege niemand verschonen zu wollen. Ich werde weder das
Ächzen der Kindheit noch die Seufzer des Alters beachten,
sondern bis zum Knie in Orangistenblut waten und so verfahren
wie König Jakob verfuhr.“
Aus den Reihen der „Bandmänner" gingen die .,St. Patricks-
bursche" hervor, deren Satzungen i. J. 1833 entdeckt und ver-
öffentlicht wurden. Ihr Eid lautete: »Ich schwöre, mir eher die
rechte Hand abschneiden und ans Thor des Armagher Gefäng-
nisses nageln zu lassen als einen Bruder zu betrügen oder zu
verraten; der Sache, welcher ich mich mit Vorbedacht widme,
treu zu bleiben; weder auf Geschlecht noch auf Alter Rücksicht
zu üben, wenn irgend jemand meiner Rache an den Orangisten
im Wege stehen sollte.“ Die Genossen erkannten einander durch
gewisse Gespräche; z. B. : »Der heutige Tag ist schön." - »Ein
schönerer wird erscheinen." Oder: »Die Strafse ist sehr schlecht.“
- »Sie wird ausgebessert werden." - „Womit?" — „Mit
Protestantenknochen.“ Oder: „Was ist Ihr Glaubensbekenntnis?“
— „Die Überwindung der Philister.“ Oder: „Wie lang ist Ihr
Stock?" - „Lang genug, um meine Feinde zu erreichen.“
Oder: »Welchem Stamm gehört das Holz an?" — »Einem
französischen Stamm, der in Amerika blüht und dessen Blätter
die Söhne Erins beschatten werden.“ Der Bund verfolgte in
erster Reihe den Zweck, den agrarsozialen Mifsständen zu steuern.
Mit den Orangisten, denen die Bandmänner und die Patricks-
bursche so wilde Rache schworen, waren die Mitglieder eines
noch heute bestehenden protestantischen Geheimbundes gemeint
Da viele Farmen aus katholischen Händen in die von Protestanten
übergegangen waren, sahen sich die letzteren den Angriffen der
ersteren ausgesetzt. Zum Selbstschutz bildeten sie die „Gesell-
schaft der Orangisten,“ die ihre erste Vollversammlung im
September 1 795 in einem entlegenen Dörfchen abhielt. Diese
Versammlung, welcher auch eine Abordnung der „Tagesanbruch-
bursche" beiwohnte, errichtete eine Grofsloge und verlieh ihr
das Recht der Gründung von Logen. Anfänglich gab es nur Einen
Grad: den des „Orangisten“; aber schon nach einem Jahr kam
der „Purpurgrad“ hinzu. Nachträglich wurden noch zwei Grade
eingeführt, später jedoch wieder abgeschafft Der Eid unterscheidet
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Irische Gesellschaften.
353
sich nur wenig von dem der Freimaurerlehrlinge, denn der
Gründer des Ordens, Thomas Wilson, war Freimaurer. Das
Losungswort ist „Migdol" (= der Name des Ortes, an dem die
Israeliten vor dem Zuge durchs Rote Meer lagerten), das Haupt-
losungswort „Schibboleth." Früheres Erkennungszeichen: Lüften
des Hutes mit der rechten Hand, drei Finger auf dem Rand;
sodann Legen derselben drei Finger auf die Krone und Nieder-
drücken des Hutes; endlich schnelle Handbewegung nach vorn,
wobei der Daumen und der kleine Finger neben einander ge-
halten werden. Nach der Entdeckung dieses Zeichens durch
Unberufene wurden andere angenommen. Als »halbes“ Zeichen
hielt man die Rechte so, dafs drei Finger auf dem Schenkel oder
dem Knie lagen; das »volle" Zeichen bestand darin, dafs man
die drei ersten Finger jeder Hand auf die Hutkrone legte, die
Ellbogen möglichst hoch hinaufzog und schliefslich beide Hände
senkrecht seitwärts hinabfallen liefs. Dieses Hauptzeichen soll
die Oberbalken und Seitenpfosten der mit dem Blute des Oster-
lamms besprengten Thüren versinnbildlichen. Der aus der Bibel
entlehnte Hilferuf der Orangisten lautet: »Wer ist auf meiner
Seite, wer?“ Das »grofse" Begrüfsungszeichen ist das Gerade-
stehen mit den Händen auf den Hüften. Im Purpurgrad fragt
ein Mitglied das andere: »Welches ist deine Ziffer?" Und die
Antwort des befragten Eingeweihten lautet: »Dritthalb." In diesem
Grad ist das Kennwort „Gi-de-on“, das Haupt- Kennwort „Rote
Mauern", worunter das Rote Meer verstanden wird.
Der Orangistenbund breitete sich in ganz Irland aus und
drang auch nach England, namentlich in die grofsen Industrie-
bezirke. Eine in Manchester gegründete, später nach London
verlegte Grofsloge hatte keinen Geringeren als den Herzog von
York zum Grofsmeister und sein Nachfolger war der Herzog
von Cumberland, nachmals König von Hannover. 1835 wurden
die irischen Satzungen abgeändert und veröffentlicht. Dieselben
verpflichteten die Mitglieder, die Königsfamilie zu verteidigen,
solange sie den Grundsätzen des Protestantismus treubleibe. Der
Bund stellte es als seine Aufgabe hin, die Staatskirche zu be-
schirmen, die protestantische Thronfolge zu sichern und Leben
wie Eigentum der Genossen zu schützen. Er erklärte sich in
der Theorie für die religiöse Duldsamkeit, hielt sich aber in der
Praxis keineswegs an dieses Prinzip. Auch in Schottland und
den britischen Kolonien fand der Bund allmählich Eingang und
etwa zwölftausend Mitglieder; ebenso in der Armee, wo er es auf rund
fünfzig Logen brachte. In den Vereinigten Staaten mit ihrer starken
irischen Bevölkerung zählt er noch jetzt zahlreiche Mitglieder.
Die Orangisten treiben auch Politik, indem sie die Parla-
mentswahlen im Sinne der Liberalen beeinflussen. Die Be-
Hcckethorn-Katscher, Geheimbünde u. Gcheimlchrcn. 23
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3S4
Politische Geheimgesellschaften.
mühungen des Hauses der Gemeinen, die Gesellschaft zu unter-
drücken, waren bisher vergeblich. Dafs der Brauch, bei den
Einweihungsfeierlichkeiten unwürdige Scherze zu treiben, noch
nicht ausgestorben ist, geht aus einer Gerichtsverhandlung hervor,
welche im Januar 1897 im Staate Massachusetts stattfand. Ein
gewisser Preble verklagte nämlich die Funktionäre einer Orangisten-
ioge, weil sie ihn anläßlich seiner Einweihung, während er eine
Binde um die Augen hatte, wiederholt mit einem spanischen
Rohr geschlagen, der Stehleiterfolter unterzogen, in ein Leintuch
geworfen, mehrmals in die Luft geschleudert und ihm schliefslich
auf der Brust mit einem glühenden Eisen schwere Brandwunden
beigebracht hatten.
Es gab noch eine ganze Reihe von irischen Geheimbünden
mit religiösen und agrarsozialen Tendenzen, wie z. B. die »Schnur-
Annäher" in Meath, die »Shanavests" und »Caravats« in
Tipperary, Kilkenny, Cork und Limerick, die »Weifsfüfse“, die
»Schwarzfüfse“ und andere, über die wir nichts Genaues
wissen. Bekannter sind die »Molly Maguires“, die haupt-
sächlich in West-Irland thätig waren, sich aber auch in die Ver-
einigten Staaten verpflanzten, wo sie namentlich im fernen Westen
grofse Ausschreitungen begingen. 1870 waren sie besonders im
Mormonenstaat Utah sehr gefürchtet, weil kein Engländer sich
vor ihren mörderischen Überfällen sicher fühlte und die Polizei
unfähig (oder abgeneigt?) war, die Verbrecher zu ermitteln. Da
bildeten die Engländer zu ihrer Verteidigung einen Gegen-
bund, den »Orden der Söhne des Heiligen Georg", dem
es gelang, viele der Mörder vor Gericht zu bringen ; sie wurden
hingerichtet und bald konnte die gefährliche Geheimgesellschaft
gänzlich ausgerottet werden, während die »Söhne des Heiligen
Georg“ als ein blühender Wohlthätigkeitsverein, der in mehreren
Städten Utahs Logen hat, noch jetzt fortbestehen. Später ging die
Bezeichnung »Molly Maguires“ auf einen Bergarbeiter-Geheim-
bund in den pennsylvanischen Anthrazitbezirken über; auch seine
Mitglieder verlegten sich auf Mord und Totschlag; 1890 kamen
ihrer etwa ein Dutzend an den Galgen und die Verbindung
wurde von der Regierung gänzlich unterdrückt
Ein andrer irischer Bund, der in den Vereinigten Staaten
eine sehr grofse Verbreitung hat (ca. 6000 Logen), ist der »Alte
Orden der Hibernier", Der erste seiner zwei Grade zählt
die weitaus meisten Mitglieder, aber ihnen werden keine Geheim-
nisse anvertraut und keine Eide auferlegt. Dem zweiten Grad
gehören die Eingeweihten an und diese müssen furchtbare
Schwüre leisten. Sie empfangen die Losungsworte von einem
Zentralausschufs, dem »Komitee von Erin“, das entweder in Eng-
land oder in Schottland oder in Irland tagt und allvierteljährlich
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Irische Gesellschaften.
355
Emissäre mit einem neuen Pafswort nach New-York schickt. Nur
Katholiken können Mitglieder werden. Der Orden bezweckt
angeblich nur den Schutz der in Amerika lebenden Irländer;
doch soll er auch den Molly Maguires Hilfe gewährt und den
Feniern von Nutzen gewesen sein. Seine Leitung stiftet viel
Unheil; da jedoch die Mehrheit der Genossen von den Ver-
brechen der Oberhäupter nichts weifs, erfreut er sich der gröfsten
Duldung der Behörden. Im November 1896 spendete er 50000
Dollars zum Zweck der Gründung einer Professur der keltischen
Sprache und Litteraturan der katholischen Universität zu New-York.
Die dem gröfseren Publikum des Festlandes bekannteste
irische Geheimgesellschaft ist zweifellos die der Fenier, ge-
gründet von zwei irischen Emigranten von 1848, Michael
Doheny und John O'Mahoney. Doheny war eines der begab-
testen und gefährlichsten Mitglieder der Jung- Irland- Partei.
O'Mahoney gehörte einer der ältesten Familien der Provinz
Munster an; in Smith O’Briens mifsglückte Ränke verwickelt,
entfloh er nach Frankreich und von dort nach den Vereinigten
Staaten, wo er mit Doheny und dem General Corcoran den
Bund der Fenier (»Irische Republikanische Brüderschaft")
ins Leben rief. Die Hauptfunktionäre desselben waren der
Öffentlichkeit als solche bekannt, aber seine Versammlungen und
seine Thätigkeit blieben geheim. Er breitete sich rasch aus und
gewann in der Union, in Kanada und Britisch-Nordamerika bald
zahlreiche Mitglieder. Im November 1863 tagte in Chicago eine
grofse Delegiertenkonvention, die als Ziele der Gesellschaft die
Lostrennung Irlands von England und die Errichtung einer
irischen Republik hinstellte. Auf der nächsten Konvention, welche
1864 in Cincinnati stattfand, waren rund 250000 Mitglieder ver-
treten. Die Versammlung schrieb für jedes Mitglied einen Beitrag
von fünf Dollars aus und beschlofs, »die nächste Konvention
auf irischem Boden abzuhalten." Die Mitglieder sollen ihre fünf
Dollars fast durchweg prompt eingezahlt haben; wie wir alsbald
sehen werden, fehlte es den Führern der Bewegung überhaupt
nie an Geld - fanden sich doch immer opferwillige Thoren !
Damals entstand auch eine Fenische Schwesternverbindung,
die so eifrig Parteigelder sammelte, dafs sie schon nach zwei
Monaten eine ganze Million Dollars in den Bundesschatz ein-
zahlen konnte.
Um jene Zeit rechneten die Fenier zuversichtlich auf die
Unterstützung der Unionsregierung und die New-Yorker Presse
ermunterte sie dabei, ln Irland selbst hat die Brüderschaft nie
eine so grofse Ausdehnung erlangt wie in Amerika. Gleich den
amerikanischen hatten auch die irländischen Fenier eigene Führer,
Beamte, geheime Eide, Bundeskassen, Finanzagenten, Losungs-
23*
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356
Politische Geheimgesellschaften.
worte, Sinnbilder, Satzungen, Waffenvorräte, Exerzier-Übungen
Abzeichen u. s. w. u. s. w. Auch an eigenen Zeitungen, Balladen
und populären Kouplets fehlte es ihnen nicht Aber bald be-
gannen Verräter im Schofse der Organisation an deren Zer-
störung zu arbeiten, darunter O'Mahoney selbst, der als »Haupt-
Mittelpunkt“ ein Jahresgehalt von zweitausend Dollars bezog.
Bereits 1866 schrieb ein »Untersuchungsausschufs" der amerika-
nischen Fenier in seinem amtlichen Bericht das Folgende über
diesen eigentlichen Urheber des Feniertums:
»Nach sorgfältiger Prüfung der Angelegenheiten der Brüder-
schaft findet der Ausschufs in fast sämtlichen Fällen, dafs die
Sache Irlands dem Erreichen persönlicher Vorteile unterordnet
worden ist. Als Patrioten hochgepriesene Männer, benutzten sie
jede Gelegenheit zur Plünderung der Bundeskasse, wobei sie
sich dadurch sicherstellten, dafs sie die Zustimmung O'Mahoneys
erlangten .... Das Vertrauen der Brüderschaft in die Recht-
schaffenheit John O’Mahoneys war unbegrenzt, aber er hat sich
desselben unwürdig erwiesen — ob aus Unfähigkeit oder mit
Absicht, bleibe dahingestellt .... Noch nie hat das irische
Volk seinen Führern solches Vertrauen geschenkt und noch nie
ist es so schmählich getäuscht, so verräterisch behandelt worden.
Moffat Mansion (das Hauptquartier der amerikanischen Fenier)
war nicht nur ein Heim armer Beamten und hungriger Aben-
teurer, sondern auch ein von den kanadischen Behörden und
dem britischen Gesandten in Washington benutztes Telegraphen-
amt. Die bezahlten Patrioten und berufsmäfsigen Märtyrer liefsen
sich's nicht an der Leerung unserer Kasse genügen - sie ver-
hinderten auch nicht, dafs die englischen Machthaber von
unseren Plänen im voraus verständigt wurden."
Demselben Bericht zufolge hatte der Bund 1 866 in Amerika
ein Barvermögen von 185 000 Dollars. Moffat Mansion verschlang
mit seinen Schmarotzern in drei Monaten 104 (XX) Dollars. In der
gleichen Zeit empfing Stephens, der irische »Haupt-Mittelpunkt“, aus
Amerika über 106000 Dollars, obgleich O'Mahoney wiederholt vor
ihm gewarnt hatte. Diese Warnungen rührten zweifellos daher, dafs
O'Mahoney in Stephens einen noch geschickteren und kühneren
Gauner sah, der ihm einen beträchtlichen Teil der Beute weg-
schnappte. Allerdings wäre Stephens gegenüber Mifstrauen am
Platze gewesen, denn er half nicht blofs den Bund finanziell
zu Grunde richten, sondern verriet ihn überdies - gewifs um
doppelt »zu verdienen“ -• an den Feind. Nur Einverständnis
mit den englischen Behörden kann die Thatsache erklären, dafs
er in der Nähe von Dublin, ohne sich irgendwie zu verbergen,
zwei Monate lang in einem eleganten Hause lebte und dennoch
nicht in die Hände der Polizei fiel. Sein Benehmen nach seiner
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Irische Gesellschaften.
357
Verhaftung, seine Flucht aus dem Gefängnis, sein Gang durch
Dublin, seine Reise nach Schottland, London und Frankreich
ohne jede Belästigung — all dies macht den Verdacht, dafs er
ein Spion und Verräter war, zur Gewifsheit.
Auch in England brachte die Brüderschaft ziemlich viel
Geld auf. Namentlich in Liverpool fand sie viele Anhänger und
Unterstützer; einmal wurden dort in einer fenischen Versammlung
binnen wenigen Minuten 200 Pfd. Sterl. gesammelt. Aber der
Liverpooler Schatzmeister unterschlug viel von den Fonds des
dortigen Zweigvereins; als man ihn zur Rechenschaft ziehen
wollte, drohte er, den ganzen Ausschufs an den Galgen zu
bringen, falls man ihn nicht in Ruhe lasse! Zu den Mitteln,
durch die der Bund sich Geld zu verschaffen pflegte, gehörte
auch die Ausgabe von Kassenscheinen, deren Einlösung der ge-
planten irischen Republik aufgebürdet wurde. Hier ein Beispiel
in deutscher Übersetzung:
(Harfe ) £ 1. (Göttin der Freiheit.) £ 1. (Kleeblatt.)
Neunzig Tage nach Errichtung der
IRISCHEN REPUBLIK
einzulösen durch
( Altiriiche«
Kunigibanner.j
( Finanz-
1 ausschuss.
Nach der irischen Überlieferung waren die Fenier der-
einst eine zur Küstenverteidigung bestimmte Miliz. Jede der vier
Provinzen soll eine solche Truppe gehabt und des Vorranges
soll sich die von Leinster erfreut haben, weil ihr angeblich Fionn
und seine Familie angehörten. Da Fionn mit Macphersons
Fingal identisch ist, dürften die Führer des Feniertums es für
vorteilhaft gehalten haben, dieses mit einem geschichtlichen
Glorienschein zu umgeben. In Wirklichkeit nahmen die irischen
Fenier nie die Bezeichnung »Fenier“ an; sie nannten sich viel-
mehr »Irische Republikanische Brüderschaft". Das Wort »Fenier“
war eine Erfindung O'Mahoneys.
Die Fenier haben ein Gebetbuch, das sich »Patriotische
Litanei des Heiligen Lorenz O'Toole« betitelt und aus dem wir
das folgende interessante Gebet anführen wollen:
»Rufe zu deinem Beistand auf, o du höchst freiheits-
liebender O’Toole, jene christlichen Hilfstruppen der Macht und
des Ruhmes: die begeisternde Kanone, die sanfte und treue
Muskete, die fromme Flinte, die das Gewissen erforschende Pike.
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Politische Geheimgesellschaften.
Durch Märtyrerglauben, Fenierhoffnung und Rebellenbarmherzigkeit
unterstützt, werden sie den Teufel überwinden und uns in unsrem
Lande auf immer zu unsrem Eigentum verhelfen. Amen! O'Toole,
erhöre uns! Von englischer Kultur, britischem Gesetz, britischer
Ordnung, angelsächsischer Heuchelei und Freiheit erlöse uns!
Von der Herrschaft der englischen Königin, von Rule Britannia,
vom Teufel, von der Notwendigkeit alljährlicher Aufstände, von
Truppen-Einquartierungen, von einer frommen Staatskirche erlöse
uns, O'Toole! Sie wollen das Feniertum gleich einer Rinderpest
ausrotten ! O'Toole, wir werden ihnen beweisen, dafs sie falsche
Propheten sind. Dafs Irland unterworfen und gehorsam ist, dafs
Irland der Krone treu ist, dafs Irland durch Zugeständnisse be-
schwichtigt werden kann, dafs Irland zur britischen Armee Sol-
daten stellen wird, dafs Irland nicht zum äufsersten entschlossen
sei - all dies ist falsch, O’Toole! Dafs Irland sich nie wieder an
den Schweif einer andern Nation binden lassen wird — das ver-
künde allerwärts, O'Toole!“
Aufser Stephens gaben sich noch andere Fenier dazu her, den
Bund an England zu verraten. Dadurch kam die Polizei schon
1865 in die Lage, das Bureau der fenisch gesinnten Dubliner
Zeitung »The Irish People“ (= »Das irische Volk“) zu er-
stürmen und mehrere hervorragende »Brüder" dingfest zu machen.
Bald folgten Verhaftungen in anderen Teilen Irlands sowie in
Manchester, Liverpool und einigen anderen englischen Städten;
die Betreffenden wurden wegen Hochverrats verhaftet. Nachdem
einige fenische Überfälle mifslungen waren, glückten 1867 mehrere.
Im September wurde ein Polizeiwagen, welcher zwei Erzfenier
ins Gefängnis brachte, so heftig angegriffen, dafs die Häftlinge
entfliehen konnten. Bei diesem Attentat erschofs William O’Meara
Allen, der dafür an den Galgen kam, einen Polizeikommissär.
Noch schlimmer war der Versuch, behufs Befreiung zweier Fenier
das Gefängnis des Londoner Stadtteils Clerkenwell in die Luft
zu sprengen. Ein großes Stück der äufsern Kerkermauer und
mehrere benachbarte Häuser wurden zerstört, mehrere Personen
getötet und viele verwundet oder verstümmelt. Gegen Jahres-
schlufs griffen Fenier den Martello-Turm zu Fota (bei Queens-
town) an und raubten Waffen nebst Munition. 1871 überfielen
zahlreiche »Brüder" eine grofse kanadische Grenz- Poststation,
wurden jedoch von Unionstruppen zurückgeschlagen und zerstreut.
Zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des Bundes gehörte
John Mitchel, der Abgott Dohenys. Er war in die irischen Un-
ruhen von 18-48 verwickelt gewesen und deportiert worden, hatte
jedoch die Flucht ergriffen und in den Vereinigten Staaten den
Bürgerkrieg als Anhänger des Südens mitgemacht. Gefangen
genommen, wurde er vom Präsidenten auf Wunsch des ameri-
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Irische Gesellschaften.
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kanischen Fenierbundes freigelassen. Dem grofsen Publikum ist
sein Name übrigens lange nicht so bekannt wie der des sogen.
„Generals“ Cluseret. Dieser diente zuerst im französischen
Heer, mufste jedoch als Kapitän quittieren, weil er sich bei der
Verwaltung der ihm anvertrauten Regimentskasse Unregelmäfsig-
keiten zu schulden kommen liefs. Später diente er unter Garibaldi
in Sizilien und unter Fremont in den Vereinigten Staaten. Dann
schmückte er sich selber mit dem Generalstitel und kehrte nach
Europa zurück, um im Auftrag der New-Yorker Fenier Berichte
über englische Arsenale, Häfen u. dgl. abzufassen. Er behauptete
nachträglich, sich den Feniern zum Oberbefehl über 10000 Mann
erboten zu haben, falls es gelänge, sie zusammenzubringen ; doch
sei das nötige Geld nicht aufzubringen gewesen. Auch behauptete
er, dafs die Reformliga seine Pläne begünstigt habe, und diese
seien nur darum gescheitert, weil er es mit zu vielen selbst-
süchtigen und unwissenden Ränkeschmieden zu thun hatte. Nach
dem Mifslingen eines von ihm in Irland ins Werk gesetzten
Aufstandsversuchs entfloh er nach Frankreich, wo er sich an der
Kommune beteiligte.
Jahrelang verhielten sich die Fenier vollkommen ruhig, bis
sie 1880 die „Landliga" gründeten, deren Vertreter, die
„Mondscheinmänner“, nächtlicherweile zahlreiche Missethaten be-
gingen ; mit Vorliebe überfielen sie Farmpächter, die es trotz des
betr. Befehls der Liga nicht unterliefsen , ihre Pachtbeträge zu
bezahlen. Im Frühling 1882 erfolgten in Dublin die wohl noch
den meisten Lesern erinnerlichen „Phönixparkmorde“, denen die
Staatssekretäre für Irland, Lord Frederick Cavendish und Thomas
Burke, zum Opfer fielen. Die Verbrecher wurden erst im
Januar 1883 ergriffen, und zwar infolge der Angeberei eines
derselben, James Carey’s. Dieser wurde zur Belohnung begnadigt
und aufser Landes geschickt, aber kurz darauf von dem Fenier
O'Donnell erschossen. Das gerichtliche Verfahren gegen die
Phönixpark-Mörder führte zur Entdeckung einer geheimen Ver-
bindung, die sich „Die irischen Unüberwindlichen“ nannte
und von „Nr. 1" geleitet wurde — ein Pseudonym, hinter welchem
P. J. Tynan sich viele Jahre lang verbarg, ehe man ihn zu identi-
fizieren vermochte. Die „Unüberwindlichen“ vollbrachten viele
Schandthaten und stifteten auch die Phönixpark-Morde an.
Im Jahre 1882 begann das Feniertum sich des Dynamits
zu bedienen. In einem Kellergewölbe zu Cork wurden grofse Mengen
Dynamit und Waffen versteckt gefunden. Auch in London und
anderen englischen Städten häufte man Sprengmittel, Waffen und
Munition auf. Da die Einfuhr von Dynamit aus Amerika sich
als sehr schwierig erwies, versuchte die Brüderschaft, es im In-
land zu erzeugen. Im April 1 883 entdeckte die Polizei in der
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Politische Geheimgesellschaften.
Nähe von Birmingham ein Dynamitlaboratorium mit viel halb
und ganz fertiger Ware. Mit Hilfe von Dynamit und ein-
geschmuggelten Höllenmaschinen die letzteren machten zu-
weilen grofses Aufsehen durch vorzeitiges Losgehen am Unrechten
Platz — unternahm der Bund 1 883 — 84 eine Anzahl von
glücklicherweise zumeist mifslungenen Versuchen, öffentliche Ge-
bäude in die Luft zu sprengen, und zwar in London, Glasgow
und anderwärts. Zwischenein (April 1884) erliefs die Fenische
Brüderschaft ein Manifest, des Inhalts, dafs sie mit der „ wissen-
schaftlichen Kriegsführung" — so nannte der Bundessekretär
Patrick Joyce die Anwendung von Sprengmitteln — fortzufahren
gedenke, bis Irland endlich befreit sein werde. Bei den in Rede
stehenden Attentaten spielten zwei amerikanische Feniergruppen
die Hauptrolle. Die Macht der einen, an deren Spitze der welt-
berüchtigte O'Donovan Rossa stand, war bald gebrochen, da
ihre beiden wichtigsten Vertreter in Grofsbritannien und Irland
der Polizei in die Hände fielen und zu lebenslänglichem Zucht-
haus verurteilt wurden. Ernster zu nehmen ist die andre Gruppe,
der „ Klan-na-gael.“
Der „Klan-na-gael" war ursprünglich eine gewaltlose, rein
patriotische Verbindung behufs Förderung der Unabhängigkeit
Irlands von England. Erst später gewann die Partei der Gewalt-
thätigen die Oberhand. Diese Kerle rissen die Fonds der Gesell-
schaft an sich und liefsen sie gröfstenteils in die eigenen Taschen
fliefsen. Das Mitglied Dr. Cronin, von dem man Enthüllungen
hierüber befürchtete, wurde ermordet. Der noch immer be-
stehende Klan-na-gael hat in allen Gegenden der Vereinigten
Staaten Zweigvereine und wird von drei Oberhäuptern geleitet,
von denen eines in Chicago, zwei in New-York wohnen. Seine
europäischen Vertreter versuchten zweimal das englische Parlaments-
gebäude in die Luft zu sprengen. Die von ihnen im Tower
und auf einem grofsen Londoner Bahnhof bewirkten Explosionen
verursachten beträchtlichen Schaden und kosteten auch mehrere
Menschenleben. Als die englischen Gerichte 25 Agenten und
Mitglieder des Klan-na-gael zu schweren Zuchthausstrafen ver-
urteilten, mälsigten die Dynamithelden ihren Übereifer und be-
gingen nur noch ab und zu kleine Attentate.
Wir müssen auch der „ National liga " Erwähnung thun,
die im Ausland gegründet worden ist und von ausländischen
Agenten, deren Absichten unbekannt sind, geleitet wird. Wenn
ihr viele Irländer beigetreten sind, so liegt dies an der Furcht,
die sie erregte und daran, dafs sie auf die Habgier der Leute
spekulierte. Die Nationailiga ist keine Geheimgesellschaft, würde
aber ohne den Beistand der geheimen Verbindungen macht-
los sein. Die Führer der Liga halten sich, um jeder persön-
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Irische Gesellschaften.
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liehen Gefahr zu entgehen, wohlweislich im Hintergrund. Sie
sind, gleich den Lenkern der ganzen fenischen Bewegung, durch-
aus nicht so ehrliche, für eine wirkliche Überzeugung opferbereite
Patrioten wie z. B. die Nihilistenhäupter waren, sondern einfach
selbstsüchtige Demagogen ohne Vertrauen in die eigne Sache.
Auf der amerikanischen Fenierkonvention in New-Jersey
wurde beschlossen, den Bund seines geheimen Charakters zu
entkleiden (das hatten übrigens schon die Enthüllungen vor dem
1888 bis 1890 tagenden Sonder-Untersuchungsausschufs des
britischen Parlaments gründlich besorgt) und zu einem öffent-
lichen zu machen mit dem Zweck, eine kleine freiwillige
See- und Landmacht zu schaffen, die den Vereinigten Staaten in
etwaigen Kriegen mit auswärtigen Mächten beizustehen hätte.
Auch die drei Vierteljahre später in New-York abgehaltene Kon-
vention erklärte eine militärische Organisation für die einzige
rätliche. Bald (seit 1892) galt Irland für »pazifiziert" ; aber im
September 1895 fand in Chicago die Irische Konvention (als
»Konvention der physischen Gewalt“ bekannt geworden) statt,
welche den Beschlufs fafste, die eingetretene Beruhigung der
Gemüter zu stören und an die Bildung einer militärischen Or-
ganisation zu schreiten, die die gewaltsame Befreiung Irlands er-
ringen sollte. Doch scheint die Sache entweder gescheitert oder
noch nicht genügend vorbereitet zu sein, denn bislang verlautet
nichts mehr darüber. 1 897 hat die englische Regierung einigen
der schlimmsten Dynamithelden, die zu lebenslänglichem Zucht-
haus verurteilt waren, den Rest der Strafe nachgesehen und sie
in Freiheit gesetzt Auch wurde in demselben Jahre der ameri-
kanische Dynamitheld Edward Ivory-Bell, der auf britischem
Boden verhaftet worden war, vom Londoner Hauptstrafgerichtshof
(Old Bailey) wegen eines blofsen technischen Formfehlers im Ver-
fahren freigesprochen. Nach diesen beiden Thatsachen zu schliefsen,
scheinen die Londoner mafsgebenden Kreise von der fenischen
Bewegung nichts mehr zu fürchten und Irland für endgültig be-
ruhigt zu halten. Die Fenier lassen denn auch seit mehreren
Jahren wirklich nichts von sich hören.
Napoleonische und antinapoleonische Gesellschaften.
Die Philadelphier. — Die Strahlen. — Ein Tiroler Geheimbund. — Die
»Schwarze Nadel“. — Die Sonnenritter. — Die »Allgemeine Wiedergeburt".
— Die »italienischen Verbündeten“. — Allerlei napoleonfreundlicne Ver-
einigungen. — Die Illuminaten. — Die Wilden. — Die Unitä Italiana und
andere mörderische Gesellschaften.
1780 bildeten in Besangon etwa sechzig junge Leute eine
Maurerloge, die der »Philadelphier“. Der Oberst J. J. Oudet
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Politische Geheimgesellschaften.
hafste Napoleon, unter dem er diente, arbeitete an der Wieder-
herstellung der Bourbonendynastie und verfiel auf den Gedanken,
die ebenso begeisterten wie unerfahrenen Jünglinge für seine Zwecke
auszunützen. Der Umstand, dafs er den meisten gröfseren Geheim-
bünden Europas als Eingeweihter angehörte, versetzte ihn in die
Lage, die Philadelphierloge mit einem umfangreichen Apparat
von Geheimthuerei etc. zu versehen. Vor allem mufste jedes
Mitglied ein Pseudonym annehmen ; Oudet selbst nannte sich
Philopoemen; sein Nachfolger, General Moreau, legte sich den
Namen Fabius bei. Sodann wurde ein Oberhaupt — selbstver-
ständlich Oudet - mit unumschränkter selbstherrlicher Gewalt
eingesetzt. Das Oberhaupt herrschte über zwei Grade, deren
erster „Freier Verbündeter" hiefs, während man den zweiten
„Freien Richter" nannte. Die „freien Richter“ waren im Besitz
aller Geheimnisse bis auf die wichtigsten, welche dem Oberhaupt
Vorbehalten blieben. Um den jungen Leuten Sand in die Augen
zu streuen, redete Oudet ihnen ein, dafs er die Errichtung einer
„Seine-Republik" anstrebe. Es gelang ihm, den Riten der Phila-
delphier auch in der Armee Eingang zu verschaffen. Als Napoleon
von dem Bunde hörte und gegen Oudet Verdacht schöpfte, ver-
setzte er ihn weit weg. Moreau wurde Oudets Nachfolger, aber
nur auf kurze Zeit, da er sich an der Pichegrusehen Verschwörung
beteiligte. Oudet, der inzwischen das antinapoleonische Buch
„Die Türkei und die französischen Soldaten“ geschrieben hatte,
trat wieder an die Spitze der Loge. Nach der vorzeitigen Ent-
deckung der Arenaschen Verschwörung gegen das Leben Napoleons
versuchten die Philadelphier, ihm während des Marsches über
den Jura beizukommen; aber einer von ihnen verriet den Plan
noch zu rechter Zeit. Nach dem Tod Oudets in der Schlacht
von Wagram (1809) löste sich der Bund auf.
Auch in Italien arbeiteten Geheimgesellschaften gegen den
Kaiser. Da jedoch sein Sturz, welcher vielen ein Wiederaufleben
der Freiheit dünkte, von anderen als der Ruin Italiens betrachtet
wurde, entstanden napoleonfreundliche Logen behufs Wieder-
herstellung der kaiserlichen Herrschaft. Aber die antinapoleonischen
Gesellschaften überwogen. Besonders zahlreich war die der
„Strahlen" (mit Logen in Mailand und Bologna), welcher Beamte
aus allen Gegenden angehörten, zusammengeführt durch gemein-
same Gefahren und durch Feldzugsabenteuer. Eine sehr mächtige
antinapoleonische Verbindung, deren Name unbekannt ist, kam
1809 in Tirol nach der Schlacht von Wagram zustande, und
zwar mit dem Ziel, Tirol aus den Händen der Franzosen bezw.
Bayern zu befreien und an Österreich zurückzubringen. Um zu
zeigen, wie die in Rede stehende Gesellschaft arbeitete und in
welcher Weise sie die Bundestreue der Mitglieder zu erproben
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Napoleonische und antinapoleonische Gesellschaften.
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pflegte, sei hier auf Grund der Mitteilungen eines Eingeweihten
ein interessantes Abenteuer desselben erzählt. Der Betreffende
hatte sich des Vertrauens Napoleons erfreut, fiel aber später in
Ungnade, wurde verdächtigt und mufste nach Tirol flüchten, wo
er alsbald jener Geheimgesellschaft beitrat. Nach seiner Ein-
weihung hörte er zwei Monate lang nichts von derselben, aber
endlich erhielt er von ihr die briefliche Aufforderung, sich an
einen entlegenen Ort zu begeben, um dort einer Versammlung
von ..Brüdern" beizuwohnen. Er gehorchte, fand aber niemand
vor und kehrte zurück. Dieses Spiel wiederholte sich noch drei-
mal. Dennoch leistete er auch einer fünften Einladung Folge;
auch diesmal sah er niemand und wollte gerade, ob der neuer-
lichen Enttäuschung erbittert, fortgehen, als er ein fürchterliches
Notgeschrei vernahm. An die betr. Stelle eilend, erblickte er
einen blutenden Mann auf der Erde liegen und sah in der ent-
gegengesetzten Richtung drei Berittene davonsprengen, deren
jeder einen Schufs auf ihn abgab, ohne ihn jedoch zu treffen.
Während er sich über den Verwundeten beugte, um ihm Hilfe
zu leisten, sprengte ein Fähnlein Bewaffneter, offenbar durch
das Geschrei angelockt, vom Walde herbei. Der Blutende er-
klärte den Unschuldigen für seinen Angreifer und der arme
Teufel wurde deshalb verhaftet Falsche Zeugen erklärten vor
Gericht, dafs sie ihn den Mord (der Schwerverletzte war nämlich
inzwischen angeblich gestorben) begehen gesehen und so erfolgte
denn seine Verurteilung zur Hinrichtung bei Fackelbeleuchtung.
Noch in derselben Nacht führte man ihn in einen von Ruinen
umgebenen Hof voll Zuschauer. Er hatte bereits das Blutgerüst
bestiegen, als ein — nach seinen Amtsabzeichen zu urteilen —
hoher Gerichtsbeamter zu Pferde herangaloppiert kam und ver-
kündete, dafs das Gericht jeden Verbrecher, der über die Losungs-
worte und Erkennungszeichen eines gewissen Geheimbundes -
desselben, dem unser Held angehörte — Auskunft geben könne
und wolle, auf Grund einer neuen kaiserlichen Verordnung be-
gnadigen würde. Befragt, ob er etwas darüber wisse, verneinte
er; weiteres Drängen hatte nur das Ergebnis, dafs er zornig
wurde und seine Hinrichtung verlangte. Jetzt wurde er von den
Versammelten als ein wackerer, treuer und tapferer „Bruder"
begriifst Die Anwesenden waren nämlich lauter „Genossen“.
Die ganze Geschichte war fingiert und nur in Scene gesetzt worden,
um die Zuverlässigkeit des neuen Eingeweihten zu erproben.
Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den napoleonischen
Verbindungen zurück, die dahin wirkten, den gestürzten Kaiser
wieder auf den Thron zu bringen. Hierher gehören u. a. die
Schwarze Nadel, die Sonnenritter, die Allgemeine Wieder-
geburt. Die meisten setzten sich aus kaiserlichen Soldaten zu-
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Politische Geheimgesellschaften.
sammen, die zur Unthätigkeit verurteilt waren und daher an der
Herrschaft des Korsen ein Interesse hatten. Zunächst wollten sie
ihn als »Kaiser von Rom“ an die Spitze des verbündeten Italien
stellen und er ging auf den betreffenden Vorschlag, der ihm
anfangs 1815 gemacht wurde, ein, wie ein Ertrinkender einen
Strohhalm ergreift. Die Flucht von Elba und die »hundert Tage“
können als Ergebnisse der einschlägigen Ränke betrachtet werden.
Wenn wir gewissen geheimen Dokumenten Glauben schenken
dürfen, dauerten die bonapartistischen Machenschaften unter Peter
Bonaparte, Marquise Pepoli, Graf Rasponi und Lady Christina
Stuart bis 1842; ihnen dienten um jene Zeit viele kleine Geheim-
gesellschaften, wie »Platonica" (später »Italienische Ver-
bündete“ genannt), „ llluminaten, Rächer des Volkes “ (im
Kirchenstaat), » Italienische Unabhängigkeit", »Ausrotter“
etc.; speziell in Toskana: »Die Einunddreifsig“, »Die
Nationalritter“, der »Revolutionäre Klub" u. s. w. In
Mailand gab es eine »Kommunistische Gesellschaft*. Über
all diese Vereinigungen ist wenig oder nichts Näheres bekannt
und keine bestand längere Zeit.
In Frankreich wurde ein napoleonischer Illuminatenbund
gegründet (nicht mit den vielen anderen Illuminatenverbindungen
zu verwechseln), der jedoch im Inland so grofsen Schwierigkeiten
begegnete, dafs er sich nach Italien verpflanzte. Er wollte vor-
erst — bis zur geplanten Thronbesteigung des Herzogs von
Reichstadt - Marie Louise zur Regentin machen und den ge-
fangenen Kaiser von St. Helena zurückbringen, um ihm den
Oberbefehl über das französische Heer anzuvertrauen. Man lud
Las Casas ein, behufs genauer Abmachungen nach Bologna zu
zu kommen, wo der Illuminatenbund seine Grofsloge hatte.
Selbstverständlich scheiterte der Plan.
Eine hierher gehörige Paduaner Geheimgesellschaft nannte
sich »Die Wilden“ (Selvaggi), weil sie nach dem Manschen
Satz handelten (oder zu handeln glaubten), dafs die Menschen,
wenn sie etwas Grofses erreichen wollen , zum Zustand der
Wildheit zurückkehren müssen. Sie liefsen sich das Haar und
die Nägel wachsen und reinigten weder Kleider noch Schuhe.
Die dem Bund angehörenden Medizinstudenten brachten aus den
Seziersälen insgeheim menschliche Leichenteile in die Versamm-
lungen der Eingeweihten, die damit allerlei wilden und scheufs-
lichen Hokuspokus trieben. Mit Stierblut stiefsen sie auf den
Tod des Tyrannen an. Als eines Tages ein Mitglied, das sich
überladen hatte, in der Strafse tot aufgefunden wurde und die
ärztliche Untersuchung der Leiche die Todesursache ermittelte,
stellte die Polizei Nachforschungen an, welche zur Entdeckung
des Bundes, seiner Satzungen, Eidschwüre u. s. w. führten.
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Napoleonische und antinapoleonische Gesellschaften.
36S
1850 wurde in Neapel das Vorhandensein der Gesellschaft
» Unitä Italiana“ (= Italienische Einigkeit) entdeckt, deren
Mitglieder sich daran erkannten, dafs sie ihre Nasen an einander
rieben. Sie schworen über einem dreieckigen Dolch mit der
Inschrift »Brüderlichkeit! Tod den Verrätern! Tod den Tyrannen!“,
die Satzungen getreu zu befolgen und sich andernfalls das Herz
mit dem Dolch durchbohren zu lassen. Die Rache übenden
Mitglieder bildeten den „Hinrichtungs- Ausschuß". Im Jahre
1849 rief der Grofsrat einen „Meuchelmörder-Ausschufs“ ins
Leben. „ Ex-Jesuiten , Diebe, Falschmünzer und andere ehrlose
Personen sind von der Aufnahme ausgeschlossen“, hiefs es in
den Satzungen. Es gab in Italien noch mehrere andere napo-
leonische und antinapoleonische Geheimbünde mörderischen Ge-
präges. Ein solcher wurde 1849 in Ancona entdeckt: die
»Gesellschaft des Todes", deren Mitglieder nicht wenige
Morde — teilweise bei helllichtem Tage auf offener StTafse —
begingen. Ähnlich verhielt es sich in Livorno mit den
»Ammazzatori« (= Totschläger), in Sinigaglia mit der
»Höllischen Gesellschaft", in Faenza mit den »Siccarii“
(= Mörder), in Bologna mit den »Terroristen" und der
»Italienischen Verschwörung der Söhne des Todes“.
Die römischen »Mazzini-Barbiere" hatten die »Spezialität",
solche Priester zu beseitigen, die sich politisch »ganz besonders
lästig“ machten.
Allerlei französische Gesellschaften. (19. Jahrhundert.)
Vereinigte Patrioten. — Wahrheitsfreunde. — Die Hemdlosen. — Die Grab-
gespenster. — Die Neue Reform Frankreichs. — Die »Provinzen-, — »Neue
französische Liberale". — „Ordnung und Fortschritt". - Schulgesellschaft.
— Konstitutioneller Bund. — Volksfreunde. — Die „Menschenrechte". —
Die Handelnde Gesellschaft. — Das Fieschische Attentat. — Die „Familien".
Die „Jahreszeiten". — Delahodde („Pierre“). — Die „revolutionären
Kommunisten". — Die „gleichheitsfreundlichen Arbeiter". — Die Roten
vom Berge. — Daseinsgründe der französischen Geheimbündelei.
Nach dem Sturz des korsischen Abenteurers und der
Wiederherstellung des Königtums von Gottes Gnaden nahmen
die willfährigen französischen Kammern allerlei drakonische Gesetze
an. Die Erbitterung der freisinnigen Elemente führte zur Grün-
dung von geheimen Gesellschaften. Zunächst entstand die der
„vereinigten Patrioten", die namentlich in Südfrankreich
eine rege Thätigkeit entfaltete. Doch führte das ausgedehnte
Spürwesen der Regierung bald zur Verhaftung und Verurteilung
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Politische Geheimgesellschaften.
vieler Mitglieder. Drei der Führer der Bewegung wurden zum
Tod verurteilt und mit schwarzverschleiertem Gesicht zur Richt-
stätte geführt, wo man ihnen vor der Hinrichtung die rechte
Hand abhaute. Es war dies dieselbe Behandlung, welche Vater-
mörder zu erleiden pflegten; damit sollte angedeutet werden, dafs
die Geheimbündler sich gegen ihren Vater - den König - zu
vergehen gedachten. Die Vereinigten Patrioten lösten sich auf,
doch entstand 1820 der Bund der »Wahrheitsfreunde",
welchem hauptsächlich Pariser Krämer und Mediziner angehörten.
Die Regierung unterdrückte ihn schon nach kurzer Zeit und die
mafsgebendsten Mitglieder entflohen nach Italien, um nach ihrer
Rückkehr eine carbonaristische Verbindung zu stiften, deren
Leitung La Fayette übernahm und die nach zwei mifslungenen
Versuchen, die Regierung zu stürzen - unternommen zu Beifort
und La Rochelle — aufgelöst wurde. Auch die von dem Franzosen
Manuel ins Leben gerufene Vereinigung »Die Hemdlosen"
konnte sich nicht lange halten ; man weifs von ihr übrigens nicht
viel mehr als dafs sie Simson als Sinnbild der Kraft verehrte.
Ebenfalls ein sehr kurzes Dasein hatten i. J. 1822 die auf den
Sturz der Bourbonendynastie abzielenden »Grabgespenster".
Die wahrscheinlich 1820 entstandenen Gesellschaften »Neue
Reform Frankreichs" und »Die Provinzen“ nahmen nur
Personen auf, die bereits Carbonari oder Freimaurer oder »Euro-
päische Patrioten“ (vgl. »Italienische Gesellschaften“) oder
»Griechen in Einsamkeit“ waren. Sie verkörperten den ver-
dichteten Hafs all dieser Orden und Vereinigungen gegen die
Willkür und schrieben ihren Mitgliedern den folgenden Eid vor:
»Ich verspreche und schwöre, auf ewig ein Feind der Tyrannen
zu sein, sie tötlich zu hassen und sie bei guter Gelegenheit um-
zubringen." Hier eine bezeichnende Stelle aus ihrem bündig
gehaltenen Katechismus:
Wer bist du? — Dein Freund.
Woran erkennst du mich? — An dem Gewicht, das deine Stirn
drückt, auf der ich in blutigen Buchstaben geschrieben lese: »Sieg oder Tod !"
Was willst du thun? — Throne stürzen und Galgen errichten.
Mit welchem Recht? — Auf Grund des natürlichen Rechts.
Zu welchem Zweck? — Um den ruhmreichen Namen „Bürger" zu
erlangen.
Und willst du dein Leben aufs Spiel setzen? — Ich halte das Leben
nicht so hoch wie die Freiheit.
Der Bund der »Neuen Französischen Liberalen“,
der blofs kurze Zeit bestand, zählte nur wenige Mitglieder, doch
waren es meist hervorragende Personen, namentlich solche, die
unter Napoleon Bonaparte hohe Stellungen bekleidet hatten. Sic
rechneten darauf, dafs die Vereinigten Staaten von Nordamerika
ihnen zu Hilfe kommen werden. Sie trugen ihre Uhren an
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Allerlei französische Gesellschaften. (19. Jahrhundert.)
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einem schwarzen Bändchen mit einem goldnen Petschaft, einem
Korallenstückchen und einem eisernen Ring. Das Band bedeutete
den ewigen Hafs gegen alle Unterdrücker, die Koralle die auf
Amerika gesetzten Hoffnungen, das Siegel die zum Gelingen der
freisinnigen Pläne nötige Fülle von Geldmitteln und der Ring
die zur Vernichtung der Feinde bestimmte Waffe.
Nach der Juli-Revolution von 1830 bildeten die Studenten
des Quartier latin eine Verbindung, welche sie »Ordnung und
Fortschritt“ nannten. Jedes Mitglied versah sich mit einer
Flinte und fünfzig Patronen, doch scheint dabei nichts heraus-
gekommen zu sein als die Inbrandsetzung eines Turmes der
Notre Dame-Kathedrale. Am Nachmittag des 4. Januar 1831
ertönte die Hauptglocke dieser Kirche und man sah einen der
Türme in Flammen. Die Polizei hatte, obgleich sie von der
geplanten Brandstiftung vorher in Kenntnis gesetzt worden war,
keine Vorsichtsmaßregeln getroffen ; jetzt aber eilte sie an Ort
und Stelle, löschte das Feuer und verhaftete einen gewissen
Considere und sechs junge Leute im Alter von 19 — 20 Jahren.
Mit der Verurteilung Consideres zu fünfjährigem Gefängnis und
der Freisprechung der Burschen endete das Dasein dieser
kindischen Verbindung.
Die »Schulgesellschaft“ befürwortete die Aufhebung
der Universitäten und die Unentgeltlichkeit des ganzen öffent-
lichen Unterrichts. Der »Konstitutionelle Bund" forderte
die Abschaffung der Monopole, eine gröfsere Gleichmäfsigkeit
der Besteuerung, die Einführung einer Wahlreform und die Be-
seitigung der Pairswürde; sein Oberhaupt war derselbe Cauchois-
Lemaire, der die Kandidatur des Herzogs von Orleans mit solchem
Eifer unterstützt hatte. Eine andere politische Geheimgesellschaft,
» Die Volksfreunde“, hatte eine Abteilung, » Die Menschen-
rechte" genannt (weil sie auf der »Erklärung der Menschen-
rechte“ beruhte), welche den erfolglosen Lyoner Aufstand vom
April 1834 herbeiführte. Eine Abzweigung der »Menschenrechte“,
die militärisch organisierte »handelnde Gesellschaft", stand
unter dem »Oberbefehl" des Kapitäns Kersausie, eines reichen
Edelmannes mit demokratischen Neigungen, der von Zeit zu Zeit
mit Genehmigung der Polizei auf den Pariser Boulevards über
seine »Streitkräfte“ Revue abhielt — ein Schauspiel, das den
Pflastertretern Zerstreuung zu bieten pflegte. Nach jeder solchen
»Revue" bestieg er unter polizeilicher Aufsicht seinen wartenden
Wagen und fuhr davon, um sich dann drei bis vier Tage lang
in einer der Wohnungen, die er in Paris hatte, eingeschlossen
zu halten.
Am 28. Juli 1835 setzten die „Menschenrechte" das
Fieschische Attentat auf Ludwig Philipp ins Werk. Der Polizei-
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Politische Geheimgesellschaften.
Spitzel Lucian Delahodde erzählt in seinen »Denkwürdigkeiten“,
dafs die Polizei durch die »Unvorsichtigkeit“ eines der Ver-
schwörer, namens Boireau, einen »Wink" empfangen habe; doch
sei derselbe zu »unbestimmt" gewesen, um beachtet werden zu
können. Das soll offenbar nur eine Bemäntelung der Kurz-
sichtigkeit oder Unthätigkeit der Polizei sein; der Prozefs ergab
einen ganz anderen Sachverhalt. Weit entfernt, blofs »un-
vorsichtig" gewesen zu sein, schrieb Boireau erwiesenermafsen
dem Polizeipräfekten rechtzeitig einen ausführlichen Brief, und
dieser enthielt keineswegs einen »unbestimmten Wink", sondern
die genauesten Aufschlüsse über das geplante Attentat; er gab
die Namen der betr. Personen ebenso an wie die anzuwendenden
Mittel und das Haus, in welchem sich die historische Höllen-
maschine befand. Aber der Präfekt hielt es nicht für der Mühe
wert, das Schreiben zu lesen ! ! Das Scheitern des Attentats führte
zur Unterdrückung der »Menschenrechte», doch gründeten mehrere
Ex-Mitglieder noch in demselben Jahre einen neuen Bund, »Die
Familien", an dessen Spitze Blanqui und Barbes traten. Die
Aufnahme von Genossen war mit all dem Mummenschanz der
einstigen »Einweihungen“ verknüpft. »Die Familien" strebten
die Beseitigung des Königtums und die Einführung der Republik
an, wurden aber 1836 entdeckt und verboten. Viele Mitglieder
wanderten ins Gefängnis und die übrigen bildeten die Gesell-
schaft »Jahreszeiten“. Wer dieser beitreten wollte, wurde
mit verbundenen Augen an den Versammlungsort gebracht, wo
er dann »allen Königen, Aristokraten und anderen Unterdrückern"
den Tod schwören und seine Bereitwilligkeit, der »guten Sache"
nötigenfalls sein eignes Leben zu opfern, beeiden mufste. Ein
von Blanqui und Barbes angeführter Aufstandsversuch der
»Jahreszeiten» endete mit einer Niederlage und mit der Verur-
teilung Blanquis zur Deportation, Barbes zum Tode bezw. im
Begnadigungsweg zu langjährigem Kerker. Die »Jahreszeiten“
wurden bald neugestaltet.
Um 1840 begann der Kommunismus in Paris aufzutreten
und das Leben des Königs war wiederholt Angriffen ausgesetzt
Angesichts des Umstandes, dafs die Regierung ein ganzes Heer
von Spitzeln besoldete, ist es wirklich erstaunlich, dafs Geheim-
bünde bestehen bleiben und ihr Ziel — die Entthronung Lud-
wig Philipps — erreichen konnten. Die Lockspitzel traten ihnen
bei, um sie an die Polizei zu verraten. Einer der bekanntesten
dieser Spione war der erwähnte Delahodde, der seine Berichte
mit dem Pseudonym »Pierre» Unterzeichnete. Als nach dem
Gelingen der Julirevolution (1848) »Bürger" Caussidiere Polizei-
präfekt wurde, studierte er das Geheimarchiv und fand ein Bündel
mit über tausend Berichten von »Pierre“, der, wie aus ihnen
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Allerlei französische Gesellschaften. (19. Jahrhundert.)
369
hervorging, in alle Geheimnisse der „Menschenrechte", der
„Familien“ und der „Jahreszeiten“ eingeweiht gewesen war.
Der republikanische Präfekt hätte sehr gern gewufst, wer dieser
„Pierre“ sei, um ihn fassen zu können. Grade damals nun
hatte der ahnungslose Delahodde den Einfall, an Caussidiere zu
schreiben, um sich eine Anstellung bei der Polizei zu erbitten.
Seine Handschrift verriet ihn. Der Präfekt liefs ihn kommen
und als er schriftlich eingestand, „Pierre" zu sein, wurde er ver-
haftet. Obgleich mehrere Minister ihn erschiefsen lassen wollten,
kam er mit einigen Monaten Gefängnis davon. Nach seiner Frei-
lassung gab er in London eine kleine Zeitschrift heraus, in der er
unablässig die französische Republik und deren Träger angriff.
Die kommunistischen Vereine „Travailleurs Egalitaires“
(= Gleichheitsfreundliche Arbeiter) und „Communistes Revo-
lution nai res " waren in der Provisorischen Regierung durch
einige Mitglieder vertreten. Zu den Geheimbünden, welche
die Ereignisse von 1848 herbeiführten, gehörten „Die Berg-
männer“, auch „Rote vom Berge“ genannt. Wie das be-
kannte klerikale Blatt „L’Univers“ i. J. 1852 mitteilte, lautete der
Mitgliedseid folgendermafsen : „Ich schwöre bei diesem Dolch,
dem Sinnbild der Ehre, dafs ich jede politische, religiöse und
soziale Tyrannei bekämpfen und vernichten will“. Auch noch
nach der Thronbesteigung Napoleons III. spielten einige Geheim-
bünde Verstecken und es dauerte jahrelang, bis alle gänzlich
unterdrückt werden konnten, obgleich sie strengstens verboten
waren und jedes ertappte Mitglied zur Deportation nach Cayenne
oder Algerien verurteilt wurde.
Dafs so viele gegen Ludwig Philipp gerichtete geheime
Gesellschaften entstanden, ist nicht verwunderlich. Dieser König
trieb eine äufserst selbstsüchtige, nur auf die eigne Gröfse und
auf die Bereicherung wie Machtvergröfserung seiner Angehörigen
abzielende Politik. Die Prinzen feierten Orgien. Der Hof, die
Minister, der Adel und die Beamten beuteten die öffentlichen
Ämter und die nationalen Einrichtungen in der schmählichsten
Weise aus. Die Volksvertreter schacherten mit ihrer politischen
Stellung. Häufig wurden Minister, Gesandte und andere hohe
Würdenträger wegen Betruges, Fälschung, Entführung oder
Mordes verurteilt. Pairs begünstigten schwindelhafte Börsen-
spekulationen. Handel und Industrie litten furchtbar. Was
Wunder, wenn sich Arbeiter und freisinnige Bürger gegen eine
so korrupte Wirtschaft auflehnten und insgeheim zu erreichen
trachteten, was offen nicht zu erreichen war ? !
Heckethor n -Katsch er, Geheimbünde u. Geheinilehrcn.
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370
Politische Geheimgesellschaften.
Die Internationale.
Einleitende Bemerkungen. — Geschichte lind Ziele der Internationale. —
Die Londoner Ausstellung 1862. — Die Internationale in England und
anderwärts. — Die Internationale und das Kaisertum. — Die Internationale
und die Kommune. — Finanzielles. — Wiederbelebungsversuch.
Von Plato bis Louis Blanc haben viele Geister sozialistische
Weltverbesserungspläne ausgeheckt Namentlich das sechzehnte
Jahrhundert kannte zahlreiche kommunistische Bewegungen. Die
kurze Geschichte des Münstersehen Wiedertäuferkönigtums ähnelt
auffallend derjenigen der Pariser Kommune. Babeuf und die
Verschwörung der »Gleichen“ erinnern lebhaft an die Demagogen,
die Paris mit Blut und Feuer füllten. Die römischen collegia
opificum, die französischen und deutschen Zünfte, die Gewerbe-
körperschaften, die compagnonnage (vgl. »Französische Gesellen-
verbindungen“) — sie alle waren Vorläufer der modernen
Gewerkvereine und der Internationale. Gegenwärtig gedeihen die
Gewerkvereine, weil nicht durch Gesetze eingeschränkt, am besten
in England, wo sie freilich leider manchmal auch beklagenswerte
Ausschreitungen begehen, wie z. B. den Aufruhr von Sheffield,
welcher sich an teuflischer Wut getrost mit der Pariser Kommune
messen kann. Damals wurden Arbeiter, weil sie aus den Gewerk-
vereinen ausgetreten waren, teils ermordet und ihre Fläuser in
die Luft gesprengt, teils fünfzehn Jahre lang in jeder Weise ver-
folgt und geschädigt. Die Internationale war eine Verbindung
von Gewerkvereinen, und zu dem Krebsschaden der letzteren —
den meist erfolglosen Riesenstreiks, welche den Arbeitern weit
mehr Abbruch thun als den Unternehmern — trat bei jener
noch der Krebsschaden »Kommunismus“ hinzu.
Den ersten Versuch der Gründung einer internationalen
Arbeitervereinigung unternahmen in London einige deutsche Ar-
beiter, die wegen Aufwiegelei 1839 aus Paris vertrieben worden
waren. Dieser Bund bestand aus Deutschen, Ungarn, Polen,
Dänen und Schweden; nur wenige Engländer gehörten ihm an.
Er unterhielt gute Beziehungen zu den englischen Sozialisten,
den Chartisten und der Londoner »Französischen Demokratischen
Gesellschaft". Aus diesen Beziehungen ging bald die »Gesell-
schaft der brüderlichen Demokraten" hervor, die mit
mehreren demokratischen Vereinen Belgiens in Verbindung stand.
Die Pariser Februarrevolution (18-48) machte ihren radikalen Be-
strebungen und ihrem Dasein ein Ende. Erst 1859 wurden
wieder Versuche begonnen, Arbeiterverbände ins Leben zu rufen
und 1860 kam ein grofser »Verband für Gewerkvereins-
wesen, allgemeines Wahlrecht und geheime Abstimmung"
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Die Internationale.
37t
zu Stande. Derselbe begnügte sich aber nicht mit diesen seinen
umfassenden Aufgaben, sondern nahm auch noch die politische
Agitation zu Gunsten Polens auf sich und lieh der Nationalliga
für die Unabhängigkeit Polens“ seine Mitwirkung. Zwei Jahre
später wurden viele jener Pariser Arbeiter herangezogen, die auf
Kosten der französischen Regierung nach London gekommen
waren, um die damalige grofse Weltausstellung zu studieren.
Am 5. August (1862) wurden sie von dem in Rede stehenden
»Verband" glänzend bewirtet und bei dem betr. Bankett gelangte
eine »Adresse“ zur Verlesung, die als der Grundstein der
»Internationale" betrachtet werden kann.
Diejenigen Pariser Delegierten, die, weil man ihnen lohnende
Beschäftigung verschaffte, an der Themse blieben, bildeten den
Kitt zwischen den Arbeitern der beiden Länder. 1863, wo es
keine Ausstellung und daher auch keine amtliche Reisevergütung
gab, kamen sechs französische Arbeiter auf Kosten ihrer Ge-
nossen als Delegierte nach London, um an Beratungen im Inter-
esse der Befreiung Polens teilzunehmen und nebenher die
Gründung einer Internationale fördern zu helfen. Das Ergebnis
mehrerer Versammlungen war die Bildung eines aus Arbeitern
vieler Länder zusammengesetzten Zentral- Ausschusses mit dem
Sitz in London. Im nächsten Jahr trat dieser Ausschufs zu-
sammen, erklärte die Internationale Arbeitervereinigung“
als ins Leben getreten und beschlofs die regelmäfsige Abhaltung
von Kongressen. Anfänglich traten dem neuen Bunde sehr viele
örtliche Vereine bei; als sich jedoch — und dies war bald der
Fall — Meinungsverschiedenheiten einstellten, zogen sich nicht
wenige zurück, darunter auch die Italienische Arbeitergesellschaft.
Der erste Kongrefs der Internationale fand 1866 in Genf
statt und beschlofs u. a. die Anstellung einer grofsen Unter-
suchung der Lage der arbeitenden Klassen, der Lohnverhältnisse
u. s. w. Auf Grund dieser Untersuchung wollte man dann
praktisch Vorgehen ; da dieselbe jedoch nie zu stände kam, blieben
auch die praktischen Mafsregeln aus. Der Kongrefs stellte noch
folgende Forderungen auf: Ausschliefslich direkte Besteuerung;
Verstaatlichung der Verkehrsmittel; Aufhebung der Vorrechte der
grofsen Aktiengesellschaften, »die die arbeitenden Klassen will-
kürlichen Vorschriften unterwerfen, welche der Menschenwürde
und der persönlichen Freiheit zuwiderlaufen"; Abschaffung der
stehenden Heere; Wiederherstellung Polens. Was die Beschlüsse
der späteren Kongresse betrifft, so bezogen sie sich auf die nach-
stehenden Dinge: Sozialisierung der Bergwerke und Kohlengruben;
Verpachtung derselben an Arbeitergenossenschaften, nicht ans
Grofskapitai ; Überlassung des Bodens an landwirtschaftliche
Genossenschaften; Verstaatlichung der Kanäle, Landstrafsen, Forste
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372
Politische Geheimgesellschafteu.
und Telegraphenlinien; Beseitigung des Kapitalzinses. 1870 tagte
wegen des deutsch -französischen Krieges kein Kongrefs, doch
wurde die Tagesordnung des geplant gewesenen veröffentlicht.
Von den Punkten, die auf ihr standen, verdienen die folgenden
Erwähnung: Abschaffung der Staatsschulden; Sozialisierung von
Grund und Boden; nationale Organisierung der genossenschaft-
lichen Produktionsweise; Bildung landwirtschaftlicher Gruppen
innerhalb der Internationale; die Unabhängigkeit Polens (immer
wieder !).
In England war der Erfolg der Internationale sehr be-
schränkt; obgleich sie dort ihren Sitz hatte, zählte sie nach der
Mitteilung ihres Schriftführers selbst in ihren besten Zeiten
höchstens 8000 englische Mitglieder, wie denn bekanntlich die
britische Arbeiterwelt dem Sozialismus überhaupt ziemlich ab-
geneigt ist. Zwar veranstaltete die Internationale in London
öffentliche Versammlungen und Demonstrationen, sogar auch
einige bedeutungslose Unruhen; allein die grofse Angst, die man
auf mancher Seite vor ihr hegte oder zu hegen vorgab, war
gänzlich unbegründet, denn ihre Thätigkeit im Nebellande blieb
verhältnismäfsig harmlos und erfolglos. Auf dem Festlande
dagegen entfaltete sie eine weit regere und inhaitreichere Thätig-
keit. Sie rief in Belgien, Holland und Frankreich ernste Auf-
stände hervor und förderte in dem letztgenannten Lande die
Sache des Kommunismus beträchtlich; namentlich die Pariser
Kommune wurde von ihr lebhaft unterstützt. Doch entdeckten
auch die festländischen Arbeiterkreise wiederholt, dafs es mit der
Internationale nicht weit her sei; z. B. die Brüsseler Maschinen-
arbeiter, die einmal von ihr mit dem Versprechen von fünfzehn
Frank wöchentlicher Unterstützung zu einem Streik wegen eines
gänzlich unhaltbaren Anspruchs verleitet wurden, aber nur sechs
Frank erhielten und überdies gar nichts ausrichteten. Sie nahmen
die Arbeit wieder auf, meldeten ihren Austritt aus dem Verband
an und bezeichneten diesen als den »Aussatz Europas“.
In den ersten Jahren des Bestandes der Internationale war
das zweite französische Kaisertum noch so stark, dafs keine der
Parteien, die es insgeheim bekämpften, irgend welche Aussichten
auf Erfolg zu haben schien. Da die Internationale es ablehnte,
sich mit diesen Parteien oder einer derselben zu verbünden, weil
die Politik ja eigentlich nicht ihre Sache war, wurde sie ihrer-
seits von der Regierung nicht belästigt. Die Minister liefsen sie
in Frankreich nihig gewähren und hofften sogar, sie zur passen-
den Zeit für die Interessen der Monarchie gewinnen zu können.
Es waren dies dieselben weisen Staatsmänner, die den Zwist
zwischen Österreich und Preufsen hervorriefen oder schürten,
um die erwartete gegenseitige Aufreibung dieser zwei Mächte zur
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Die Internationale.
373
Ergreifung der Rheinlande zu benutzen! Das Pariser Bureau
der Internationale wurde von der Regierung und der Polizei weder
verboten noch genehmigt - man drückte einfach beide Augen
zu. Als jedoch der Bund den Behörden über den Kopf zu
wachsen anfing und sich durch die Veranstaltung vieler grofsen
Streiks unangenehm machte, sahen sich die Staatslenker genötigt,
die Krallen zu zeigen. Dies geschah zunächst dadurch, dafs das
auf dem Genfer Kongrefs verlesene »Pariser Manifest“ nicht über
die Grenze gelassen wurde; für die Zulassung stellte Rouher die
Bedingung, dafs in den Text einige Zeilen des Dankes für die
»Wohlthaten“ eingeschoben würden, die der Kaiser dem Arbeiter-
stand habe angedeihen lassen. Selbstverständlich wies die Inter-
nationale diese Zumutung zurück. 1867 liefs der Bund sich
verleiten, an zwei gegen die Regierung gerichteten revolutionären
Kundgebungen des radikalen Flügels der Bourgeoisie teilzunehmen.
Jetzt schritten die Behörden schärfer ein, indem sie die Inter-
nationale für aufgelöst erklärten und fünfzehn ihrer führenden
Mitglieder zu je 100 Frank Geldstrafe verurteilten.
Da die Vereinigung sich um das Auflösungsdekret nicht
kümmerte, wurde eine zweite Verfolgung gegen sie eingeleitet
und neun Angeklagte zu je drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Nunmehr versteckte sie sich so lange hinter anderen geduldeten
oder genehmigten Arbeiterverbindungen, bis sie wieder stark
genug war, auf eigenen Füfsen zu stehen. Ihr Wiener Organ
war die »Volksstimme“, ihr französisches die von Rochefort ge-
leitete »Marseillaise". Nur der Name Rocheforts, der damals
ebenso erzradikal war wie er gegenwärtig erzreaktionär ist, bewog
Geldmänner zur Hergabe des Kapitals für die »Marseillaise".
Zu den bekannteren Persönlichkeiten, die mit der Internationale
in Verbindung standen, gehörte auch der von uns im Abschnitt
»Irische Gesellschaften“ erwähnte »General" Cluseret, der — wie
aus einem Brief hervorging, den er im Februar 1870 aus New-
York schrieb — entschlossen war, nicht unterzugehen, ohne Paris
mitzuziehen. »Am Tage des Sturzes Napoleons III." schrieb
dieser Abenteurer, »wir oder nichts! An jenem Tage mufs Paris
uns zufallen, oder es mufs zu bestehen aufhören!“ Dafs diese
Ansicht von anderen Mitgliedern des Bundes geteilt wurde, er-
giebt sich aus der Thatsache, dafs man in der Wohnung
eines derselben ein Wörterbuch des Schlüssels des geheimen
Briefwechsels der Internationale entdeckte und dafs es auch
Worte wie »Nitroglycerin", »pikrinsaures Kali“ etc. enthielt.
Bei einem andern Genossen wurden Rezepte für die Er-
zeugung verschiedener Sprengstoffe gefunden ; diese Rezepte
trugen Vermerke wie »Zu Fenstern hineinwerfen!“, »In Kloaken
zu werfen!" u. dgl. m.
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Politische Geheimgesellschaften.
Anläfslich des Orsinischen Bonibenattentats verwahrte sich
die Internationale gegen den Vorwurf, an demselben beteiligt ge-
wesen zu sein. Hierbei erklärte sie, es nicht auf einzelne Personen
abgesehen zu haben, sondern auf das ganze System der »Unter-
drückung des Volkes durch den Kapitalismus, das Priestertum i
und die politischen Abenteurer". Daraufhin wurden 38 „Genossen"
angeklagt und zum Teil freigesprochen, zum Teil zu einjährigem
Kerker verurteilt Die meisten dieser Verurteilten spielten sehr
bald bei der „Kommune“ hervorragende Rollen und kamen,
nachdem sie sich an der Schreckensherrschaft beteiligt hatten,
vor ein Kriegsgericht. Dem Krieg gegen das Kapital und das
gesamte Parasitentum war die Internationale also nicht abhold,
wohl aber dem Völkerkrieg und dem Militarismus. Daher legte
sie gegen die Anzettelung des deutsch-französischen Krieges Ver-
wahrung ein, was die Verhaftung der heftigsten Kriegsgegner
zur Folge hatte.
Am 4. September 1870 wurde in Paris, Lyon, Marseille
und Toulouse die Republik verkündet. Dieses gleichzeitige Vor-
gehen wrar das Ergebnis einer Abmachung zwischen den Führern
der Internationale in verschiedenen Landesteilen. In Lyon und
Marseille rifs der Pöbel die Herrschaft an sich. Die zu Lyon
ins Leben gerufene Kommune begann ihre Thätigkeit mit der
Entfaltung des roten Banners der Internationale. In Paris gab
die letztere anfänglich vor, die Preufsen bekämpfen zu wollen,
doch erklärte sie, als einige deutsche Regimenter ihren Einzug
hielten, „den Augenblick zum Handeln für gekommen“; darauf-
hin bemächtigten sich ihre Mitglieder aller in der Hauptstadt
vorhandenen Kanonen und begannen die dritthalbmonatliche
Gewaltherrschaft der berüchtigten „Kommune". Und die meisten
Zweige der Internationale — der belgische, der schweizer, der
italienische, der englische - sprachen ihre Zustimmung zu den
Thaten der Kommune aus und legten Verwahrung ein gegen die
gerichtliche Verfolgung der Pariser Mörder, Plünderer und
Brandstifter.
Von Interesse sind die Finanzverhältnisse der Internationale.
Von einer amtlichen Rechnungslegung war keine Rede, doch
werden die nachstehenden Einzelheiten, die sich auf Frankreich
und Belgien beziehen, einen Begriff davon geben, wie die Gelder
aufgebracht und verwendet wurden. Die Einschreibgebühr betrug «
einen halben Frank, wofür man eine Mitgliedskarte erhielt, für
deren alljährliche Erneuerung nichts nachzuzahlen w'ar. Der
niedrigste Jahresbeitrag zur Bundeskasse belief sich auf 10 Cen-
times. Der jährliche Mitgliedbeitrag zu den Zweigvereinskassen
schwankte. Während der schweizer Zweig nur 10 Cent, forderte,
mufsten in Lyon und Paris Fr. 1 20 bis Fr. 1-30 eingezahlt
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Die Internationale.
37S
werden; obwohl auch noch niedrig genug, waren diese Gebühren
sehr schwer hereinzubringen. Rechnen wir die Sektionsbeiträge
dazu, so hatte jedes Mitglied jährlich 7 — 8 Fr. zu leisten. Es
gab ferner eine, nirgends näher erläuterte „Caisse föderative du
sou“ (Groschen-Bundeskasse), aus der die Kosten der Verteidigung
etc. der in den verschiedenen Prozessen Angeklagten bestritten
wurden und in welche Nichtmitglieder, die mit der Internationale
sympathisierten, freiwillige Wochenbeiträge zu einem Sou fliefsen
liefsen. Der Pariser Zweig ermächtigte seinen leitenden Ausschufs
satzungsmäfsig, nötigenfalls gröfsere Summen zu verwenden als im
Budget vorgesehen waren und zu ihrer Deckung die Mitglied-
beiträge zu erhöhen. Bei besonderen Gelegenheiten, wie grofse
Arbeitseinstellungen etc., wurde aufserdem zu zeitweiligen Samm-
lungen gegriffen. So z. B. unterstützte der Pariser Zweig 1 868 die
streikenden Genfer Bauarbeiter mit 10000 Frank. Angesichts
der hohen Mitgliederzahl der Internationale müssen diese Extra-
sammlungen alljährlich recht ansehnliche Summen ergeben haben ;
dennoch konnten sie bei der grofsen Zahl bedeutender Arbeits-
einstellungen dem Bedarf nicht genügen.
1888 wurde in London ein internationaler Gewerkvereins-
kongrefs abgehalten, der den Zweck hatte, die 1871 aufgelöste
Internationale Wiederaufleben zu lassen. Doch scheiterte der
Plan an der Gleichgültigkeit der Arbeitermassen. Immerhin
vegetieren noch jetzt mehrere Ableger der alten Internationale,
z. B. der Jurassische Arbeiterbund, die Internationale
Brüderschaft u. s. w.
Nachschrift des Herausgebers:
Ich glaube im Interesse der Leser und der Objektivität zu
handeln, wenn ich aus einem Aufsatz, den ich 1871 in einer
deutschen Monatsschrift über die Internationale veröffentlichte, die
nachstehenden Stellen anführe:
Die eklatanteste Verkörperung der Bestrebungen und Hoff-
nungen der Arbeiter ist die Internationale Arbeiter-Association.
Vor kaum einem Jahrzehnt in aller Stille entstanden, hat sie sich
bis vor einem Jahre nur durch ihre lärmenden Kongresse in
Belgien und der Schweiz hervorgethan. Sie mag nun grofse Be-
deutung und Verbreitung haben oder nicht, keinesfalls ist sie,
was Thornton in seinem Buche über die englischen Gewerkvereine
alseine internationale Arbeiterliga folgendermafsen darstellt: „Die
verschiedenen Arbeitervereine eines Landes sollen unter sich einen
nationalen Bund stiften, dann mit den analogen Föderationen
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376
Politische üeheimgesellschaften.
der anderen Länder in Fusion treten, um endlich eine ungeheure
internationale Arbeiterassociation zu bilden." Hierfür nimmt
Thornton einen Zeitraum von ungefähr einem Jahrhundert in
Aussicht. Das ist allerdings ein bischen lange, allein die Frage,
ob eine solche „Internationale“ Aussicht habe, sich in nächster ^
Zeit zu entwickeln, scheint heute nicht mit Ja beantwortet werden
zu dürfen; siehe die Mafsregeln, welche man allenthalben gegen
die „Internationale“ ergreift, besonders in ihrem Mutterlande,
dessen Nationalversammlung soeben ein speziell gegen sie ge- i
richtetes drakonisches Gesetz votiert hat.
Interessant ist es, die französische Schöpfung „Internationale"
mit den englischen Gewerkvereinen (Trade-unions) zu vergleichen.
Die letzteren sind aus dem Instinkt der Massen hervorgegangen,
haben sich zuerst einzeln an allen industriellen Mittelpunkten ge-
bildet, sind allmählich gewachsen und erstarkt, haben sich einander
allmählich genähert und sind in 50 Jahren bedeutende Mächte ge-
worden. Die „Internationale“ dagegen ist im Gehirn einiger
Pariser Arbeiter entstanden ; sie war anfangs ein Generalstab ohne
Armee, eine Schule ohne Schüler, eine Regierung ohne Unterthanen.
Sie hatte nur eine Anzahl von Agitatoren. Sie glich einer Stadt,
welche Spekulanten erbaut haben, um Bewohner anzulocken.
Ein weiterer Unterschied zwischen der „Internationale“ und den *
„Trade-unions“ besteht darin, dafs die letzteren kein philo-
sophisches oder ökonomisches Programm aufgestellt haben; sie
kämpfen gegen das Kapital nicht, um es zu vernichten, sondern,
um ihre Stellung zu einer möglichst günstigen zu machen. Die
„Internationale“ dagegen hat eine Doktrin, eine soziale Philo-
sophie und ergeht sich in einer sybillinischen Sprache. Die
Trade-unions sind furchtbare Instrumente praktischen materiellen
Handelns, die „Internationale" war bis vor kurzem wenigstens
— wenn nicht noch heute — nur ein Element moralischer
(oder unmoralischer) Agitation. Die Trade-unions verfügen über
Truppenkörper, die an allen Punkten Englands wirksam operieren;
die „Internationale“ hat nur Cadres, welche Manifeste erlassen
und Feldzugspläne ausklügeln, ohne dafs viel dabei herauskommt.
Es ist keineswegs erwiesen, dafs die „Internationale“ wirklich so
viele Anhänger oder Mitglieder in aller Herren Länder zählt, als
man oft annimmt.
Seit wenigen Jahren hat aber die „Internationale" getrachtet, ^
sich auch zu kräftigen Operationen zu qualifizieren, und die
neueste Zeit hat gezeigt, dafs ihr dies einigermafsen gelungen ist.
Sie hat eine Anzahl von „Widerstandsgesellschaften" gegründet,
deren es im Jahre 1870 bereits sechzig gegeben haben soll.
Über die Organisation derselben weifs man jedoch nichts, alle
näheren Umstände sind unbekannt. Vielleicht kann man mit
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Die Internationale.
377
ihnen in Verbindung bringen ein Manifest, das zur Zeit des
ersten, Aufsehen erregenden Streiks in Creuzot in die Welt ge-
schleudert wurde. Sicher ist, dafs es aus Pariser Arbeiterkreisen
stammte und wir lassen hier die charakteristischsten Stellen folgen :
»Alle Arbeiter von Paris trachten eine grofse Arbeiter-
association zu bilden, hierarchisch organisiert, an der Spitze ein
verantwortliches Ministerium, welches die Aufgabe hätte, dem
Kapital Widerstand zu leisten und Konkurrenz zu machen, ln
der Überzeugung, dafs das Recht die Stärke und dafs die Stärke die
Ordnung ist, haben sie sich vorzüglich damit beschäftigt, in den
Massen die Ordnung zu organisieren, und man kann sagen, dafs
sie ihren Zweck beinahe erreicht haben." .... »Sie wollen
eine ausgedehnte Arbeiterverbindung, die durch ein eigenes
Parlament vertreten werden soll, ins Leben rufen.“ »Ihr
Plan ist, das Kapital auszuschliefsen und an seine Stelle das
Kollektivkapital des Arbeiterbundes zu setzen." .... »Der Ar-
beiterbund sammelt sich, spart, organisiert sich. Für ihn, wie
für jede grofse streitbare Körperschaft kann die Freiheit nur in
der Disziplin bestehen." »Er sucht alle Gewinne, welche
eine Menge habgieriger Spekulanten aus dem hilflosen Arbeiter
zieht, an sich zu reifsen.“ .Sobald das, was sie durch
ihre Sparsamkeit reformiert haben, ihnen genügend erscheinen
wird, wird man zwischen Arbeit und Kapital einen Kampf ent-
stehen sehen, von dem alle bisherigen Strikes keine blasse Idee
geben können; der Kampf organisierter und disziplinierter Massen
gegen die auf den Feudalismus des Mittelalters gefolgte finanzielle
Oligarchie; der Kampf von Intelligenz gegen Intelligenz, von
anders geartetem Kapital gegen anders geartetes Kapital ; ein
männlicher, ernster Kampf, der den Grundstein zur modernen
Demokratie legen mufs."
Rührt dieses so viel von einer »Arbeiterassociation“
sprechende Dokument von der »Internationale“ her? Damals
glaubte man es nicht, aber das seither Geschehene läfst uns daran
glauben.
Wir haben oben gesagt, dafs wir nicht glauben, die »Inter-
nationale“ habe allzuviel Verbreitung. Wir begründen dies damit,
dafs die »Internationale" ein echt französisches Gepräge trägt
mit ihren revolutionären, destruktiven Tendenzen. Wenn gleich-
wohl der Hauptsitz dieser Gesellschaft in London ist, so rührt
dies, wie Hepworth Dixon in seinem Buch »Die geheime Ge-
schichte der Internationale“ (unter dem Pseudonym »York") ganz
richtig bemerkt, nur daher, dafs die Polizei den Hauptsitz in
Paris nicht leiden wollte. Für unsere Ansicht spricht auch der
Umstand, dafs, als die »Internationale“ in Frankreich es im
vorigen Jahr gar zu toll machte, gerade die besten Stützen und
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37S
Politische Geheimgesellschaften.
Mitglieder des Londoner .Generalrates" aus der Gesellschaft
schieden.
Da wir eben von letzterer Thatsache sprechen, wollen wir
die Bemerkung daran knüpfen, dafs die «Internationale", hiernach
zu urteilen, nicht eben sehr diszipliniert sein inuTs; wie könnte
sonst das Londoner Komitee anderer Meinung sein und das
Pariser so eigenmächtig handeln? Übrigens halten wir dafür,
dafs eine internationale Arbeiterassociation infolge des ver-
schiedenen Bildungsgrades und Volkscharakters in den verschie-
denen Ländern gar nicht ordentlich diszipliniert sein
kann, während dies bei nationalen Verbindungen eher angeht.
Aus denselben Gründen wird es der »Internationale" unmöglich
sein, in Bezug auf ihre Widerstandspolitik dem Kapital gegenüber
viel auszurichten. Sie wird z. B. nicht im stände sein, eine
gleichzeitige Arbeitseinstellung aller ihrer Mitglieder durchzuführen
oder auch nur zu inscenieren. Sie kann sich nur darauf be-
schränken, Strikes gegenseitig zu unterstützen. Aber selbst da
reicht ihr Arm nicht weit, denn sie hat zu wenig Geld. Man
spricht und schreibt sehr viel von dem Zusammenhang dieser
und jener Ereignisse mit von der „Internationale* ausgehen
sollendem Gelde, thut daran aber Unrecht. Bis vor dem Krieg
war sie arm, und dafs sie seither reicher geworden sein sollte -
davon möchte uns vielmehr das Gegenteil bedünken. Wir citieren
einige Zahlen. Im Dezember 1 869 erhielten die Weifsgerber von
der Pariser „Internationale" 13 500 Frank. 1867 liefsen die Lon-
doner Schneider ihren Pariser Kollegen 1 0 (K)0 Frank zukommen,
ln demselben Jahre wurden die französischen Bronzearbeiter aus
England mit 20000 Frank unterstützt. Die Arbeiter in chirurgischen
Instrumenten hatten 1869 im ganzen Vereinsbeiträge von 1500
Frank. Vor einigen Jahren sandte Paris 12000 Frank nach Genf. -
Wie verschwinden solche „Bettelsuppen" gegen die Summen, die
nötig wären, um dem Kampf zwischen Arbeit und Kapital einen
erfolgreichen Nachdruck zu verleihen! Die Trade-unions z. B.
können da schon bedeutend mehr ausrichten, weil sie stets eine
gefüllte Kasse haben, indem jedes Mitglied regelmäfsig seinen
nicht kleinen Beitrag einzahlt. Die französischen Arbeitervereine
und hierher gehört ja die „Internationale“ — beruhen aber
auf solchen Grundlagen, dafs die Kasse des Arbeiters nicht ge-
nügend in Anspruch genommen wird.
Aber selbst wenn die „Internationale" reich wird, so tragen
doch ihre weitgehenden Projekte zu sehr den Stempel der Utopie
auf der Stirne, als dafs an ein Gelingen derselben zu denken
wäre. Was ist aus der „Kontinentalsperre“, die Napoleon I.
auch für recht genial hielt, geworden? Dasselbe wird aus der
„Kapitalsperre" werden, weiche die „Internationale“ durchführen
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Slawische Gesellschaften.
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will. Eine besondere Höhe der Löhne wird man auf diese
Weise nicht erreichen, so wünschenswert eine solche auch
sein möge.
Slawische Gesellschaften.
Die Befreiung Polens. -- Polnische Geheimbünde : Treue Polen; Nationale
Freimaurer; Sensenmänner; Patriotische Gesellschaft; Moderne Tempel-
ritter; das Junge Polen. — Konarski. — Die Aufstände von 1830 und
1S63. — Die Haltung Europas. — Der Panslawismus. — Die Omladina.
Das Unterirdische Prag. — Der Sicherheitsbund. — Die russischen Ritter.
— Bund der öffentlichen Wohlfahrt. — Bund der Bojaren. — Der »Norden".
— Verschmelzung der „Bojaren" mit den „Vereinigten Slawen". — Pestei.
— Der Tod Alexanders I. — Trubetzkoj.
Die polnische politische Geheimbündelei dreht sich selbst-
verständlich um die Wiederherstellung der Selbständigkeit Polens.
Da die Bevölkerung des einstigen Königreichs von der Aristo-
kratie in rechtloser Knechtschaft gehalten wurde, kann es sich
den Kämpen der Unabhängigkeit nicht gut um die Wiederkehr
der alten sozialen Mifswirtschaft handeln, die das Reich zu
Grunde gerichtet hat; wohl aber streben sie die nationale Be-
freiung an. Zwar haben Adolf Beer und Max Duncker an der
Hand geschichtlicher Urkunden nachgewiesen, dafs die Behauptung
Friedrichs des Grofsen, die Teilung Polens sei das einzige Mittel
zur Vermeidung eines grofsen europäischen Krieges gewesen,
auf Wahrheit beruhte; immerhin jedoch ist die Sehnsucht der
polnischen Patrioten nach Wiederherstellung ihres weiteren Vater-
landes begreiflich und ihre von jeher völlig aussichtslosen ge-
heimen Bestrebungen zur Erreichung ihres Zieles sind verzeihlich.
Eine der ersten geheimen Verbindungen zur Organisierung
der polnischen Revolutionäre hiefs „Treue Polen*; sie zählte
nur wenige Mitglieder und dauerte nicht lange. 1818 entstand
ein Verein, der sich „Nationale Freimaurerei“ nannte,
weil er die maurerischen Riten, Grade und Ausdrücke nachahmte.
Er nahm Angehörige aller Bevölkerungsklassen auf, mit Vorliebe
jedoch Soldaten und Staatsbeamte — wegen der im Kampf nütz-
lichen Fachkenntnisse. Die Zahl der Mitglieder war grofs, allein
schon nach wenigen Jahren erhoben sich unter ihnen Zwistig-
keiten und der Bund konnte sich nur durch Umgestaltung er-
halten. Er änderte seine Zeremonien etc. und nannte sich
„Sensenmänner" — in Erinnerung an den Aufstand von
1 794, in welchem ganze Regimenter mit Sensen bewaffnet in die
Schlacht zogen. 1821 tagten sie in Warschau, um über eine
neue Erhebung zu beraten; bei dieser Gelegenheit gaben sie
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3S0
Politische Geheimgesellschaften.
sich abermals einen andern Namen: »Patriotische Gesell-
schaft“. Mittlerweile hatten auch die Studenten der Wilnaer
Universität eine geheime Verbindung gebildet, doch wurde sie
von der Regierung entdeckt und aufgelöst
1822 verschmelzte sich die Patriotische Gesellschaft mit
der vom Hauptmann Majewski gegründeten maurerischen Ver-
bindung »Moderne Tempelrittter», zu deren drei symbo-
lischen Maurergraden nun ein vierter trat, in welchem die Ein-
geweihten schworen, die Befreiung Polens nach Kräften fördern
zu wollen. Diese Verschmelzung führte zum Aufstand von 1 830.
Im Jahre 1834 entstand das »Junge Polen", zu dessen Führern
der hervorragende Patriot Simon Konarski gehörte, der sich
schon während der Ereignisse von 1830 ausgezeichnet hatte.
Damals entkam er und erlernte, uin sich besser verbergen zu
können, die Uhrmacherei. Nach seiner Rückkehr trat er dem
Jungen Polen bei, wurde jedoch von der Polizei ausfindig gemacht,
die ihn der Folter unterwarf, um ihn zur Nennung seiner
Bundesgenossen zu bewegen. Aber er verriet nichts, trug seine
Leiden vielmehr mit so hohem Mut, dafs der Militärgouverneur
von Wilna ausrief: »Das ist ein eiserner Mann!“ Als Konarski
1839 hingerichtet wurde, zerrifs das Volk seine Kleider in kleine
Stücke, um ein Andenken an ihn zu haben; auch liefsen sich
seine Bewunderer aus seinen Kerkerketten Ringe machen.
Einige Zeit vor dem Ausbruch des Krimkrieges bildete sich
in Russisch-Polen eine geheime Nationalregierung, die den Zweck
verfolgte, eine Erhebung ins Leben zu rufen. Über ihre Thätig-
keit, die man nicht genau kannte, waren allerlei seltsame Ge-
schichten im Umlauf von mitternächtlichen Versammlungen in
unterirdischen Gängen, von durch maskierte Geheimrichter ohne
Berufungsmöglichkeit zum Tode verurteilten Verrätern, von Über-
fällen in Palast und Hütte, von Leichnamen, die nachts in be-
lebten Stadtstrafsen oder auf freiem Felde gefunden worden seien
und von Dolchen, die das Abzeichen der geheimen Regierung
aufwiesen. Jedenfalls wufste die letztere sich so sehr verborgen
zu halten, dafs es der Polizei durchaus nicht glücken wollte,
ihrer oder auch nur einzelner Mitglieder habhaft zu werden.
Damals zerfielen die polnischen Patrioten in zwei Gruppen: die
»Weifsen“, welche das aristokratische, und die »Roten", welche das
demokratische Element vertraten. Jede Gruppe hatte ihre eigene
Organisation. Während die »Weifsen« für einen rein gesetz-
lichen Widerstand waren, erklärten sich die »Roten» für eine
revolutionäre Erhebung mit Waffengewalt. Die Einführung der
Konskription in Polen (1863) veranlafste die beiden Gruppen,
sich zu vereinigen und den Aufstand unter Langiewicz alsbald
ins Werk zu setzen. Obgleich die Polen unterlagen, setzten sie
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Slawische Gesellschaften.
38 t
die Rebellion noch eine Zeit lang guerillamäfsig fort — in der
Hoffnung, dafs die Westmächte sich zu ihren Gunsten verwenden
werden. Da jedoch einerseits der polnische Bauernstand an der
Erhebung fast unbeteiligt geblieben war und anderseits Alexander II.
kurz vorher die Lage seiner polnischen Unterthanen durch Ein-
führung von Reformen verbessert hatte, glaubten die Westmächte
keine Ursache zur Einmischung zu haben. Und was die späteren
Aufstandsversuche betrifft, so scheiterten sie zumeist an der
Gegnerschaft einiger radikalen italienischen Geheimgesellschaften,
welche sich an der Frömmigkeit der Polen stiefsen und befürch-
teten, ein unabhängiges polnisches Reich würde sich mit Haut
und Haaren dem Papsttum verschreiben.
Die panslawistischen Neigungen eines Teiles der Tschechen,
Kroaten, Serben u. s. w. sind schon recht alt. Die betr. Be-
strebungen, einen grofsslawischen Staatenbund zu schaffen, wurden
von Rufsland bereits unter Katharina II.. und Alexander. I. er-
mutigt, weil es in einem solchen Bunde die Oberhoheit zu er-
langen hoffte. Da jedoch die kleineren slawischen Völker diese
Oberhoheit fürchteten, drückten die österreichisch - slawischen
Schriftsteller der panslawischen Bewegung einen mehr geistigen
und litterarischen als politischen und sozialen Stempel auf. Aber
die Revolution, welche 1848 in halb Europa auftrat, gab dem
Panslawismus ein rein politisches Gepräge. Bereits im Juni
des genannten Jahres erlebte Prag einen demokratischen Auf-
stand, welcher jedoch von Windischgrätz, der die Stadt beschofs,
schleunig unterdrückt wurde. Allmählich ging aus der pan-
slawischen Bewegung ein Geheimbund hervor: die Omladina,
die sich auf beide Teile der österreichisch-ungarischen Monarchie
erstreckte. Das genaue Datum ihrer Entstehung kennen wir
nicht; wahrscheinlich fällt diese in die Zeit um 1863, als Mazzini
und seine Anhänger den Versuch machten, durch die Unter-
stützung der sogen. Nationalpartei in Serbien, Montenegro und
Rumänien die Österreicher in Italien zu schwächen, um die
Wiedererlangung Venetiens zu erleichtern.
Der Umstürzler Simon Deutsch, wegen seiner agitatorischen
Thätigkeit zuerst aus Österreich und nachher aus Konstantinopel
verbannt, später ein Freund Gambettas und ein Förderer oder
Vertreter der Internationale und der Jungtürken, war auch eines
der eifrigsten Mitglieder der Omladina. In Ungarn stand an ihrer
Spitze der serbische Reichstagsabgeordnete Miletich, der so heftig
auftrat, dafs er 1876 verhaftet wurde. 1882 hegte die Omladina
die — unausgeführt gebliebene — Absicht, den Fürsten von
Montenegro zu entthronen und Menotti Garibaldi zum lebens-
länglichen Vorsitzenden eines geplanten westlichen Balkanbundes
zu machen. In Prag wurden anfangs 1894 77 Omladinisten —
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382
Politische Geheimgesellschaften.
zumeist sehr junge Journalisten, Setzer, Handwerker, Beamte u.
s. w. — wegen Oeheimbündelei und Hochverrats angeklagt.
Als die Verhaftungen begannen, wurde ein gewisser Mrva -
alias Rigoletto di Toscana — von dem „Genossen“ Dolezal er-
mordet, weil er, obgleich Omladinist, bei den Verschwörern im
Verdacht stand, ein Polizeispitzel zu sein. Thatsächlich hatte er
in den Versammlungen des Bundes eifrig Notizen gemacht;
ebenso in denen einer andern Geheimgesellschaft, der er an-
gehörte. Diese nannte sich „das unterirdische Prag" und
hatte den Zweck, die Häuser reicher Bürger zu unterminieren,
um sie plündern zu können. Mrvas Papiere und Notizbücher
fielen nach seinem Tode der Polizei in die Hände und lieferten
der Staatsanwaltschaft ein reiches Material gegen die Angeklagten,
die denn auch bis auf zwei verurteilt wurden, und zwar zu
Gefängnis zwischen sieben Monaten und acht Jahren. Ob die
Omladina, die in Ungarn längst erloschen ist, in Österreich eben-
falls gänzlich zu bestehen aufgehört hat oder etwa noch in
latentem Zustand weiterbesteht, läfst sich nicht bestimmt feststellen.
Der Panslawismus selbst ist bislang weder in der einen noch in
der andern Reichshälfte ausgestorben.
Während die russische Geheimbündelei in früheren Zeiten
entweder blofs örtlicher Natur oder aristokratische Modesache
und durchweg harmlos war, nahm sie nach den napoleonischen
Kriegen allmählich eine politische Richtung an. Viele russische
Offiziere empfanden nach ihrer Rückkehr in die Heimat die Un-
würdigkeit ihrer Lage und den Druck der Verhältnisse so sehr,
dafs sie nach Besserung strebten. 1822 untersagte die Regierung
die Gründung neuer und den Weiterbestand der alten Geheim-
gesellschaften. Dieses Verbot erstreckte sich auch auf die Frei-
maurerei. Jeder Staatsbeamte mufste eidlich erklären, keiner ge-
heimen Verbindung des In- oder des Auslandes anzugehören ; war
er aber bereits Mitglied einer solchen, so mufste er, wenn er
nicht entlassen werden wollte, alle Beziehungen zu ihr sofort ab-
brechen. Das Verbot wurde mit so grofser Strenge gehandhabt,
dafs die Obrigkeit die Einrichtung von Freimaurerlogen auf der
Strafse verkaufen liefs, um die maurerischen Geheimnisse lächer-
lich zu machen.
Selbstverständlich reizte die feindselige Haltung des Staates
erst rech zur Gründung von geheimen Gesellschaften. Alexander
Murawjew rief den „Sicherheitsbund“ ins Leben, in dessen
hauptsächlich maurerischen Riten Dolche, Gifte und furchtbare
Eide eine grofse Rolle spielten. Er bestand aus „Brüdern“,
„Männern" und „Bojaren“. Aus den letzteren gingen die Leiter
hervor. Der Name „Bojaren“ deutet auf das Vorwiegen des
aristokratischen Elements hin. Noch aristokratischer war die Ver-
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Slawische Gesellschaften.
383
einigung »Russische Ritter“, welche aber eine volkstümliche
Verfassung zu erreichen trachtete und den Bestrebungen der auf
die Selbständigkeit Polens hinarbeitenden polnischen Geheim-
bünde entgegenwirkte. Später verschmelzten sich die beiden
Gesellschaften zu einem »Bund für die öffentliche Wohl-
fahrt", der sich jedoch infolge von Meinungsverschiedenheiten
zwischen seinen Führern bald auflöste, um dem „Bund der
Bojaren“ Platz zu machen. Dieser plante anfangs die Herab-
minderung der Macht des Zaren auf das Niveau des Präsidenten
der Vereinigten Staaten und die Umwandlung Rufslands in einen
Staatenbund nach dem Muster der letzteren; später wollte er
Alexander I. töten und eine Republik schaffen. Als wegen dieser
radikalen Bestrebungen die gemäfsigteren Mitglieder austraten,
löste sich die Gesellschaft auf und verbrannte ihre Papiere sorgfältig.
Die Aufstände in Spanien, Neapel und Oberitalien ver-
anlafsten den Obersten Pestei, der mehreren der bisher genannten
russischen Geheimbünde angehört hatte, zur Gründung eines
neuen, auf die Errichtung einer Republik abzielenden. Auch er
plante den Tod des Zaren, allein die Zeitumstände waren einer
solchen Verschwörung ungünstig. Pestei war auch der Urheber
der geheimen Gesellschaft „Der Norden". 1824 schlug der
„Bund der Bojaren“, als er von dem Vorhandensein der pol-
nischen patriotischen Gesellschaft Kenntnis erlangte, dieser Ver-
einigung ein Zusammenwirken vor. Man einigte sich über ge-
wisse Punkte, namentlich über die Anerkennung der Unabhängig-
keit Polens; als die Polen jedoch die Bedingung stellten, dafs
beide Länder — Rufsland und Polen - Republiken werden sollten,
zogen sich die „Bojaren“ zurück und näherten sich dem von
dem kühnen Artillerieleutnant Borissow ins Leben gerufenen
panslawistischen Bunde der „Vereinigten Slawen“. Zar
Alexander wurde von dem in seinen Diensten stehenden und
von ihm in den Adelstand erhobenen Engländer Sherwood vor
der Verschwörung gewarnt, scheint aber keine Vorsichtsmafsregeln
ergriffen zu haben. Als Graf de Witt ihm später in Taganrog
über die Fortschritte der Umsturzbewegung berichtete, konnte er
nichts mehr thun, denn schon wenige Tage nachher starb er an
dem Typhus, den er sich in der Krim geholt hatte. Es ging
zwar das Gerücht, er sei vergiftet worden; in Wirklichkeit aber
war dem nicht so, vielmehr hatten die Verschwörer ihre Vor-
bereitungen noch lange nicht beendet. Dennoch wurden Oberst
Pestei, der Kiewer Kommandant General Diebitsch und etwa
ein Dutzend Offiziere verhaftet. Die übrigen Geheimbündler,
die nicht wufsten, dafs Konstantin längst insgeheim zu Gunsten
seines jüngern Bruders Nikolaus abgedankt hatte, erklärten den
letzteren für einen Usurpator und Konstantin für den recht-
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384
Politische Gcheimgesellschaften.
mäfsigen Zar. Obgleich sie weder das Heer noch die Volks-
massen hinter sich hatten, kam es anläfslich der Leistung des
Huldigungseides für Nikolaus in Petersburg zu einer Erhebung,
welcher aber durch die unerbittliche Niedermetzelung der auf-
ständischen Soldaten ein rasches Ende bereitet wurde. Viele der
Verschwörer wurden hingerichtet, auch Pestei, dem man durch
Folterung vergeblich Näheres über die Bewegung zu erpressen
versuchte. Fürst Trubetzkoj, den die Verschwörer zum Diktator
ernannt hatten, verriet sie, im letzten Augenblick kleinmütig ge-
worden, wurde aber dennoch zu lebenslänglicher Verbannung
nach Sibirien und zu vierzehnjähriger Zwangsarbeit daselbst
verurteilt.
All diese russischen Geheimgesellschaften - auch eine 1 838
in Moskau entdeckte, deren Mitglieder dem höchsten Adel an-
gehörten (sie wurden zur Strafe als gemeine Soldaten in die
Armee gesteckt) — können als Vorläufer des Nihilismus (vgl.
»Die Nihilisten“) betrachtet werden.
Türkische und armenische Gesellschaften.
Die revolutionäre Bewegung, welche sich im zweiten Drittel
des 19. Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa geltend machte,
drang auch in die Türkei, wo nach dem Muster des Jungen
Deutschland, des Jungen Italien etc. eine Vereinigung von »Jung-
türken* entstand, deren Urheber aller Wahrscheinlichkeit nach
Mustafa Fasil Pascha war, den David Urquhart den »türkischen
Catilina“ nennt. Die Jungtürken wollten die Türkei von jeder
religiösen und sozialen Willkür befreien, insbesondere den Koran
beseitigen und die Macht des Sultans brechen. Da sie nichts
ausrichteten, wurde 1867 ein neuer Bund unter demselben Namen
mit Sitzen in Konstantinopel, Paris und London ins Leben ge-
rufen. Zu den früheren Zwecken trat noch der, durch die Be-
freiung der christlichen Unterthanen der Pforte den russischen
Einflufs im Orient zu schwächen. Auch jetzt stand Mustafa
Fasil Pascha an der Spitze und er verpflichtete sich, der Bundes-
kasse jährlich 300000 Frank zu spenden. Das hervorragendste
und thätigste Mitglied war Midhat Pascha, der bekanntlich seine
Reformfreundlichkeit mit Verbannung und Erdrosselung büfsen
mufste. Der Stambuler Ausschufs wurde von Bonnal , einem
französischen Bankier zu Pera, geleitet. Im London-Pariser Aus-
schuß safsen Zia Bey, Simon Deutsch, Kemal Bey, Aghia Efendi
und der polnische Graf Plater. Der gegenwärtige Führer der
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Türkische und armenische Gesellschaften.
3S5
Junglürken ist der Bruder des Sultans Abdul Hamid, Murad
Bey, der dem Padischah und seiner Palastkamarilla alle Mifs-
stände zuschreibt, unter denen das Land leidet. Der Bund hat
bisher trotz aller Sympathien, deren er sich in Europa erfreut,
fast nichts ausgerichtet. Dafs in neuester Zeit viele seiner teils
flüchtigen teils verbannten Mitglieder sich durch gute Versorgungen
seitens der Pforte zur Rückkehr in die Heimat und zum Auf-
geben ihrer Bestrebungen bewegen liefsen, konnte seine Macht
selbstverständlich nicht stärken; vielmehr mufs man annehmen,
dafs er in der Auflösung begriffen ist.
1888 gründeten die in Rufsland lebenden Armenier eine
antirussische Geheimgesellschaft. Dafs es auch in der Türkei
armenische Geheimbünde giebt, geht aus den Ereignissen der
letzten Jahre (seit 1895) deutlich hervor, ihre Organisation
gleicht der der alten Venditas der Carbonari ; d. h. die einzelnen
Ausschüsse kennen weder einander noch den Hauptausschufs,
von dem sie die Befehle erhalten. Es sind ihrer fünf mit ins-
gesamt rund zweihundert Mitgliedern: 1. Huntschak („Alarm“),
2. Frochak („Flagge"), 3. Abdag („Blasebalg“), 4. Gaisag
(„Donnerschlag“), 5. Wotschintschak („Zerstörung"). Die zwei
letzteren sind am spätesten entstanden. Der geheime Zentral-
ausschufs lenkt in unsichtbarer Weise die Thätigkeit dieser fünf
Komitees und behält alle Fäden in der Hand. Die grofse Demon-
stration bei der Pforte i. J. 1895 ging vom Huntschak, der Über-
fall auf die Ottomanische Bank (1896) vom Frochak aus. Bald
nach jenem Überfall, dessen Rädelsführer schwer bestraft wurden,
empfing die französische Botschaft zu Konstantinopel ein Schreiben,
in welchem die Armenier mit weiteren Ausschreitungen drohten.
Bei den im Dezember (1896) zu Kara Hissar Charki verhafteten
armenischen Verschwörern fand man Schriftstücke, die das ganze
revolutionäre Programm des Geheimbundes enthüllten. Den 31
strengen Bestimmungen dieses Programms müssen sich alle
Mitglieder unterwerfen. Jede der zahlreichen „Banden" der Ver-
einigung mufs aus mindestens sieben Mitgliedern bestehen. Der
Mitgliedseid besagt, dafs man eher die Folter oder den Tod er-
leiden als die Gesellschaftsgeheimnisse verraten soll. Der 14.
Artikel verpflichtet die Banden, jeden ungerechten oder grausamen
ottomanischen Beamten, wenn irgend möglich, ins Gebirge zu
entführen, ihm möglichst viele Staatsgeheimnisse zu erpressen
und ihn gegebenenfalls zu töten. Nach Artikel 15 dürfen die
Banden Postwagen überfallen und ausrauben, müssen aber Allein-
reisende verschonen, es sei denn, dafs deren Belästigung sich als
unerläfslich erweise. Legt ein Mitglied im Kampfe Feigheit an
den Tag, so soll es unverzüglich erschossen werden. Das Banden-
haupt hat das Recht, jedes Mitglied, mit dem es unzufrieden ist,
Heckethorn-Katscher, Geheimbunde u. Gehcimlehrcn. 25
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38b
Politische Geheimgesellschaften.
in beliebiger Weise zu bestrafen. Häfslich ist die Vorschrift, dafs
die Mitglieder verpflichtet sind, einander zu überwachen und dem
Haupt die Ergebnisse der gegenseitigen Spionage mitzuteilen.
Zu den besonderen Merkmalen der revolutionären Bewegung der
Armenier gehört der ausgedehnte Gebrauch, den sie von Ver-
kleidungen macht. Diese sind so verschiedenartig, dafs dadurch
die Verteilung von Waffen oder aufreizenden Schriften und
Bildern sehr erleichtert wird.
Nachschrift des Herausgebers.
Obiges über die Jungtürken war bereits geschrieben, als
ich im »Pester Lloyd“ vom 7. Dezember 1899 einen Leitartikel
fand, dessen folgende, mit dem Gegenstand zusammenhängende
Stelle die Leser interessieren dürfte:
„Augenblicklich herrscht ziemlich grofse Aufregung im Jildis-Kiosk
über die Tnätigkeit der sogenannten Jungtürken, nämlich jener Ele-
mente, welche angeblich den Umsturz des bestehenden Regimes anstreben.
Berechtigt und erklärlich ist diese Bewegung insofern, als das Bedürfnis
nach einer gründlichen Reform der gesamten Verwaltung nicht mehr ab-
zuweisen ist. Das Jungtürkentum besteht schon seit mehr als einem
Vierteljahrhundert als eine lose Verbindung von Elementen, die in der
Regel aus irgend einem persönlichen Grunde den Sultan vertreiben, eine
Verfassung und eine abendländische Administration einführen möchten.
Wo sich drei Jungtürken zusammenfinden, dort wird ein Elugblättehen
ausgegeben, und ob dies in Paris oder Genf, in London oder New-York,
in Kairo oder Rio de Janeiro erscheint, in allen Fällen wird darin über
die Tyrannei Abdul Hamids und seiner Ratgeber oder über die Unhalt-
barkcft des korrupten Systems geklagt. So lange das Geld vorhält, werden
diese Blättchen gedruckt und in Tausenden von Exemplaren nach der
Türkei versendet. Gehen die Mittel aus oder gelingt es einem türkischen
Gesandten, Konsul oder Geheimmissionär, dem betreffenden Redakteur
ein ausgiebiges Schweiggeld zu verabreichen, dann geht das revolutionäre
Journal ein, bis wieder ein hungriger Jungtürke auf den Einfall kommt,
dasselbe einträgliche Geschäft an einem andern Orte zu wiederholen.
So haben denn der „Mizan“, „Huriet“, „Meschweret" — um nur die
hervorragendsten solcher Journale seit dem Jahre 1 891 zu nennen — kein
besonderes Unglück angerichtet, es wäre denn, dafs man in Stambul die
Wirkung dieser Pamphlete überschätzt und sich mit den betreffenden
Redakteuren auf irgend eine kostspielige Weise abgefunden hat. Neuestens
heifst es, die Jungtürken hätten die Absicht, in Genf eine Organisation
nach dem Muster der einstigen Carbonarigesellschaften zu versuchen,
doch dürfte dabei schwerlich viel herauskommen."
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ELFTES BUCH.
PIE FREIMAUREREI.
2S*
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Die Tempellegende.
Nachdem Salomo sich zum Bau des Tempels entschlossen
hatte, liefs er Baukünstler kommen, teilte sie in Gruppen und
stellte sie unter den Befehl des ihm von dem befreundeten und
verbündeten König von Tyrus, Hiram, gesandten Architekten
Adoniram oder Hiram Abiff. Nach der Überlieferung war die
Abstammung der Erbauer des mystischen Tempels die folgende.
Einer der Elohim (Urgeister) ehelichte Eva, die ihm einen Sohn
namens Kain gebar; aber Jehovah oder Adonai, ebenfalls einer
der Elohim, schuf Adam und verband ihn mit Eva, die nun Abel
gebar. Zur Strafe für den Ungehorsam Evas unterwarf Adonai
die Söhne Kains der Familie Abels. Während Kain trotz seines
eifrigen Ackerbaus wenig Ertrag erzielte, hütete Abel in Mufse
seine Herden. Jehovah verwarf die Opfergaben Kains und erregte
Zwietracht zwischen den aus dem Feuer entstandenen Söhnen
der Elohim und den blofs aus der Erde hervorgegangenen
Menschen. Die Folge war, dafs Kain Abel tötete. Nun ver-
folgte Adonai Kains Söhne und machte die edle Familie, welche
die Künste und Wissenschaften aufgebracht hatte*), den Söhnen
Abels unterthan.
Enoch, ein Sohn Kains, lehrte die Menschen die Kunst,
Steine zu behauen, Häuser zu bauen und bürgerliche Gesell-
schaften zu bilden. Enochs Sohn Irad und sein Enkel Mehujael
errichteten Dämme und machten aus Zederstämmen Balken. Ein
andrer Sprofs Kains, Methusael, ersann die heiligen Buchstaben,
die Tau -Bücher und das sinnbildliche T, an dem die vom Feuer
herstammenden Arbeiter einander erkannten. Lamech, dessen
Weissagungen den Profanen unverständlich sind, hatte vier Kinder:
Jabal, der als Erster die Bearbeitung der Kameelhaut lehrte; Jubal,
den Erfinder der Harfe; Naamah, die Mutter der Spinnerei und
*) Die Puränas lobpreisen begeistert die Intelligenz der Nach-
kommen Kains und die Vollkommenheit, zu der sie die Künste des bürger-
lichen Lebens brachten.
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390
Die Freimaurerei.
Weberei; Tubalkain, der den ersten Schmelzofen errichtete, der
erste Metallarbeiter war und in den Bergen unterirdische Höhlen
grub, um sein Geschlecht gegen die Sintflut zu schützen. Trotz
dieser Höhlen kamen nur Tubalkain und sein Sohn mit dem
Leben davon. Die Gattin Harns, des zweiten Sohnes Noäh, ver-
liebte sich in den Sohn Tubalkains und machte ihn zum Vater
Nimrods, der die Jagd erdachte und Babylon gründete. Adoniram,
ein Nachkomme Tubalkains, schien von Gott berufen zur Führung
der Miliz der freien Männer, welche die Söhne des Feuers mit
den Söhnen des Gedankens, des Fortschritts und der Wahrheit
verbinden sollte.
Hiram erbaute den wunderbaren Tempel Salomonis, er-
richtete den herrlichen goldenen Königsthron und führte viele
prachtvolle Bauten auf. Aber trotz seiner Gröfse fühlte er sich
vereinsamt und unverstanden. Wenige liebten, viele hafsten ihn;
auch Salomo war ihm gram, denn er beneidete ihn um sein
Genie und seinen Ruhm. Der König seinerseits war auf der
ganzen Erde ob seiner hohen Weisheit berühmt — so sehr, dafs
eines Tages die Königin von Saba, Balkis, nach Jerusalem kam
um ihn zu begrüfsen und die Wunder seiner Herrschaft kennen
zu lernen. Sie fand ihn auf einem vergoldeten Zedernthron in
vergoldeter Gewandung sitzen und hielt ihn im ersten Augenblick
für eine Goldstatue mit Elfenbeinhänden, Er bereitete ihr einen
überaus festlichen Empfang und zeigte ihr seinen Palast und den
grofsartigen Tempel. Während sie alles begeistert bewunderte,
nahm ihre eigene Schönheit das Herz des Königs so sehr gefangen,
dafs er ihr schon nach kurzer Zeit seine Hand anbot. Erfreut,
den stolzen Mann erobert zu haben, gab sie ihm ihr Jawort
Bei ihrem zweiten Besuch des Tempels wiederholte sie den
Wunsch, den geheimnisvollen Baukünstler zu sehen, der so
Herrliches vollbracht. Salomo verzögerte die Erfüllung dieses
Wunsches möglichst lange, mufste sich jedoch schliefslich dazu
bequemen, Hiram Abiff vorführen zu lassen. Dieser warf der
Königin von Saba einen Blick zu, welcher ihr Innerstes erbeben
liefs. Alsbald gewann sie ihre Fassung wieder und nahm Hiram
gegen den Unwillen und die Eifersuchtsanwandlung Salomos
in Schutz. Als sie die beim Tempelbau beschäftigten Arbeiter-
massen beisammen zu sehen verlangte, erklärte der König dies
für unmöglich. Da stieg Adoniram auf einen Stein, um besser
gesehen zu werden, machte in der Luft mit der rechten Hand
das symbolische Tau-Zeichen und sofort eilten von allen Seiten
die sämtlichen Arbeiter herbei. Die hierüber höchlich erstaunte
Balkis bereute insgeheim, die Werbung des Königs angenommen
zu haben, denn sie entbrannte in Liebe zu dem mächtigen
Architekten. Der eifersüchtige Salomo beschlofs nun, Hiram zu
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Die Tempellegende.
391
demütigen und zu Grunde zu richten, weil er in ihm einen
Nebenbuhler erblickte.
Unter den Tempelarbeitern befanden sich drei Gesellen,
die gegen Hiram eingenommen waren, weil er sich wegen ihrer
Untüchtigkeit und Trägheit geweigert hatte, sie zu Meistern zu
befördern: der syrische Maurer Fanor, der phönikische Zimmer-
mann Amru und der hebräische Grubenarbeiter Metusael. Dieses
Kleeblattes bediente sich Salomo gegen Hiram und die Ver-
schworenen fafsten den Plan , das Gelingen des Gusses des
ehernen Meeres zu verhindern — einer Leistung, die bestimmt
war, dem Ruhm Hirams die Krone aufzusetzen. Der junge Ar-
beiter Benoni, ein besondrer Verehrer seines Meisters, kam hinter
die böse Absicht jener Drei und verriet sie an den König, damit
dieser sie vereitle. Als es zum Gufs kam, dem auch Balkis
beiwohnte, und die flüssigen Erzmassen nach Öffnung des
Schmelzofens sich in die Riesenform ergossen, flössen sie über
die letztere hinweg und strömten auf dem Erdboden fort, sodafs
die versammelte Menge die Flucht ergreifen mufste, um nicht
verbrannt zu werden. Vergeblich versuchte Hiram, der eine
göttergleiche Ruhe bewahrte, durch Anwendung grofser Wasser-
massen den Feuerstrom aufzuhalten. Die Mischung des Wassers
mit dem Feuer erzeugte heifse Dämpfe, welche aufstiegen, um
als totbringender Feuerregen wieder niederzufallen. Der unglück-
liche Bauherr wollte bei einem treuen Herzen Trost suchen und
daher mit Benoni sprechen; aber er konnte ihn nicht finden,
denn der edle Jüngling war umgekommen, als er die Niederlage
des Meisters zu verhindern trachtete, weil er sah, dafs Salomo
sie trotz der Warnung nicht verhindert hatte.
Hiram verblieb auf dem Schauplatz seines Unglücks; in
seinen Gram versunken, achtete er nicht des lebensgefährlichen
Herannahens des Feuermeeres, ln erster Reihe dachte er an die
bittere Enttäuschung der Königin von Saba, die gekommen war,
um ihn zu dem erwarteten grofsen Triumph zu beglückwünschen.
Plötzlich ertönte von oben eine seltsame Stimme, welche ausrief:
»Hiram! Hiram! Hiram!“ Aufblickend, sah er hoch in der Luft
eine Riesengestalt schweben, die ihn ansprach: »Sei ohne Furcht,
mein Sohn, denn ich habe dich unverbrennbar gemacht; stürze
dich in die Flammen!" Er betrat den Schmelzofen, ohne sich
zu verletzen; ja, er empfand ein unbeschreibliches Entzücken, als
er, von einer unwiderstehlichen Kraft angetrieben, immer weiter
vordrang. »Wohin führst du mich?" fragte er. — »ln den
Mittelpunkt der Erde, in die Seele der Welt, ins Reich des
grofsen Kain, wo die Freiheit herrscht. Dort hört der tyrannische
Neid Adonais auf; dort können wir, seines Zornes spottend, die
Frucht vom Baum der Erkenntnis kosten; dort ist das Heim
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I
392 Die Freimaurerei.
deiner Väter.“ — „Wer bin ich und wer bist du?“ - „Ich bin
der Vater deiner Väter, ich bin Tubalkain, der Sohn Lamechs.“
Tubalkain führte Hiram ins Heiligtum des Feuers ein, wo
er ihm die Schwächen und niedrigen Leidenschaften Adonais
darlegte, der seinem eignen Geschöpf feindlich gesinnt sei und
es unerbittlich zum Tod verurteile, um sich an den Feuergeistem
zu rächen, die es — den Menschen -- mit Wohlthaten überhäuft
haben. Hiram stand bald vor seinem Urvater Kain, in dessen
Schönheit sein Erzeuger, der Lichtengel, sich wiederspiegelte.
Kain, dessen edle Gesinnung den Neid Adonais erregt hatte, er-
zählte Hiram von den Leiden, die der grausame Jehovah über
ihn verhängte. Plötzlich erscholl die Stimme des „Abkömmlings
Tubalkains und seiner Schwester Naamah“: „Dir wird ein Sohn
geboren werden, den du zwar nicht sehen wirst, dessen zahl-
reiche Nachkommen jedoch dein Geschlecht verewigen werden.
Dem Geschlecht Adams überlegen, wird das deinige die Herr-
schaft der Welt erringen. Viele Jahrhunderte lang wird es seinen
Mut und seine hohen Fähigkeiten dem Dienste des stets undank-
baren Geschlechtes Adams widmen, bis schliefslich die besten die
stärksten werden und auf Erden die Feueranbetung wieder einführen.
Deine unbesiegbaren Abkömmlinge werden die Macht der Könige,
der Helfer Adonais bei seiner Willkürherrschaft, zerstören. Gehe,
mein Sohn, die Feuergeister sind mit dir!“ Tubalkain übergab
ihm den Hammer, mit dem er selbst so viel Grofses vollbracht
hatte, und fügte hinzu: „Dieser Hammer und die Feuergeister
sollen dir dazu verhelfen, das durch menschliche Dummheit und
Bosheit unvollendet gebliebene Werk schleunig zu beenden.“
Kaum wieder auf der Erdoberfläche, erprobte Hiram die wunder-
bare Kraft des kostbaren Hammers und bei Morgenanbruch war
der Gufs des ehernen Meeres vollkommen gelungen. Der
Künstler und Balkis waren entzückt und das herbeieilende Volk
bestaunte die geheime Macht, durch welche das gestrige Unglück
in einer Nacht wettgemacht worden war.
Bald darauf ging Balkis eines Tages in Begleitung ihres
Gefolges aufserhalb Jerusalems spazieren und begegnete unterwegs
Hiram, der allein und in Gedanken versunken war. Die beiden
gestanden einander ihre Liebe. Als Had-had (der bei der Königin
von Saba das Amt eines Boten der Feuergeister versehende Vogel)
Hiram in der Luft das mystische T-Zeichen machen sah, umflog
er sein Haupt und liefs sich dann auf seinem Handgelenk nieder.
Da rief Sarahil, die einstige Amme der Königin: „Die Weissagung
ist erfüllt! Had-had erkennt den Gatten, den die Feuergeister
für Balkis bestimmt haben und dessen Liebe allein sie annehmen
darf!" Das Paar zögerte nun nicht länger, sich zu verloben
und beriet dann über die weiteren Mafsregeln. Hiram sollte
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Die Tempellegende.
393
Jerusalem zuerst verlassen und sich nach Arabien begeben, wohin
Balkis ihm folgen wollte, sobald es ihr gelungen sein werde, die
Wachsamkeit des Königs zu täuschen und zugleich ihre Ver-
lobung mit ihm rückgängig zu machen. Beides gelang ihr, als
Salomo sich eines Tages berauschte; sie zog ihm den Verlobungs-
ring vom Finger. In seiner Eifersucht gab er den drei Gesellen,
die den Gufs des ehernen Meeres verdorben hatten, den Wink,
dafs ihm die Beseitigung des Nebenbuhlers erwünscht wäre.
Vor der geplanten Abreise erschien Hiram nochmals im Tempel
und hier wurde er von den Dreien erschlagen. Doch gelang
es ihm vor dem Aushauchen des letzten Seufzers, das goldne
Dreieck, das er um den Hals trug und auf dem das Meisterwort
eingraviert war, in einen tiefen Brunnen zu werfen. Die Mörder
hüllten den Leichnam ein, begruben ihn auf einem einsamen
Hügel und pflanzten einen Akazienzweig aufs Grab.
Als Hiram sich sieben Tage lang nicht zeigte, muTste Salomo,
wenngleich ungern, dem Wunsche des Volkes nachgeben und ihn
suchen lassen. Drei Meister entdeckten die Leiche, und da sie
jene drei Gesellen des Mordes verdächtigten, weil sie wufsten,
dafs Hiram ihnen den Meistergrad verweigert hatte, beschlossen
sie vorsichtshalber, das Meisterwort abzuändern. Das erstbeste
Wort, welches während der Emporhebung des Leichnams zufällig
fallen würde, sollte das künftige Meisterwort werden. Als nun
einer von ihnen sah, dafs sich die Haut vom Körper loslöste,
rief er aus: „Makbenach!“ (etwa „Bruder erschlagen“ oder
„Fleisch vom Knochen getrennt“) und so wurde „Makbcnach“
zum Kennwort des Meistergrades. Man erwischte die drei Mörder
und sie entleibten sich, um nicht in die Hände der Gerechtigkeit
zu fallen; ihre Köpfe wurden dem König überbracht. Da sich
das goldne Dreieck nicht bei der Leiche Hirains vorfand, forschte
man danach und fand es schliefslich in jenem Brunnen. Salomo
liefs es auf einen dreieckigen Altar legen, der sich in einem ge-
heimen Gewölbe unterhalb des entlegensten Teiles des Tempels
befand; um das goldne Dreieck noch besser zu verbergen, stellte
man darauf einen kubischen Stein, der die zehn Gebote enthielt.
Schliefslich wurde das Gewölbe, dessen Vorhandensein nur 27
Erwählten bekannt war, zugemauert.
Überlieferte und wahre Geschichte.
Die meisten Völker, Staaten und Körperschaften messen
sich mit Vorliebe einen sehr alten Ursprung bei. Der Wunsch,
sich eines hohen Alters zu rühmen, tnufs ganz besonders lebhaft
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394
Die Freimaurerei.
sein bei einer lediglich ideal-sittliche Zwecke verfolgenden, nur
mit und nach Grundsätzen vorgehenden Vereinigung wie die
Freimaurerei. Diese möchte älter und höher erscheinen als alle
anderen ; darum behauptet sie, noch vor Erschaffung des Menschen
bestanden zu haben. Sie erklärt ihren Ursprung für gleichzeitig
mit der Entstehung der Welt, denn das Licht war früher vor-
handen als der Mensch, für den es erst eine angemessene Wohn-
stätte vorbereiten mufste; das Licht aber ist Endzweck und Symbol
der Freimaurerei. Edward Spratt, ein irischer Schriftsteller, stellte
in seinem »Konstitutionenbuch für irländische Logen- (1751)
Adam als den ersten Freimaurer hin, der »auch nach seiner
Vertreibung aus dem Paradiese grofse Kenntnisse besafs, nament-
lich in der Geometrie." Und Dr. J. A. Weifse schreibt in seinem
Buche »Der Obelisk und die Freimaurerei* (1880): »Die Frei-
maurerei begann mit der Schöpfung und wurde von der Familie
des Seth eingeführt; das Schurzfell der Maurer hat seinen Ur-
sprung in der Feigenblattschürze Adams und Evas nach dem
Sündenfall." Diese zwei Citate aus der Mitte des 18. und dem
Ende des 19. Jahrhunderts mögen genügen, um zu zeigen, wie
weit die Freimaurerei hinsichtlich ihres Alters zu gehen vermag.
Weiter könnte sie wirklich nicht gehen!
Nun halten wir dafür, dafs es vom ersten Erscheinen des
Menschen auf der Erde an ein sehr bevorzugtes und hoch-
gebildetes Geschlecht gab, das mit den Naturgesetzen und Natur-
kräften vollkommen vertraut war und seine Kenntnis in mystischen
Figuren und Schematen niederlegte. Diese Sinnbilder haben sich
in der Freimaurerei erhalten, aber nicht in der Pseudo-Mau rerei
der Mehrheit der Logenmaurer. Heute stehen die echtesten
Maurer aufserhalb der Logen, und wir wollen in den nach-
folgenden Kapiteln bemüht sein, den Maurern möglichst viel von
den wirklichen Wahrheiten beizubringen, welche sich hinter ihren
Sinnbildern und rätselhaften Formeln verbergen, die ohne Schlüssel
lediglich als widersinnige, unwürdige Riten und Zeremonien er-
scheinen. Mit Ausnahme der politischen und der gesellschafts-
feindlichen haben und hatten die geheimen Gesellschaften gewöhn-
lich den Zweck, die Überbleibsel jener Naturerkenntnis zu be-
wahren oder deren in Verlust geratene Teile wieder zu erlangen.
Und da die Freimaurerei gleichsam den Inbegriff der Lehren
der meisten anderen nichtpolitischen und nichtgesellschaftsfeind-
lichen Geheimbünde bildet, enthält sie selbstverständlich Lehren,
die mit denen der alten Mysterien und anderer, modernerer Ver-
bindungen übereinstimmen. Daher läfst sich ihr Ursprung nicht
von dieser oder jener bestimmten Geheimgesellschaft ableiten ;
vielmehr ist sie - oder sollte sie sein eine Zusammenfassung
aller ursprünglichen und angehäuften menschlichen Kenntnisse.
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Überlieferte und wahre Geschichte.
395
Die meisten maurerischen Autoren teilen die Geschichte
des Bundes in zwei Abschnitte. Der erste umfafst die Zeit von
seiner vermeintlichen Gründung bis zum Anfang des 18. Jahr-
hunderts; in dieser Zeit nahm er fast nur Maurer und andere
Bauhandwerker auf. Die zweite Periode - die seitherige und
gegenwärtige, von ihnen die Zeit der spekulativen Maurerei ge-
nannt — ist besonders dadurch bemerkenswert, dafs der Bund
weit entfernt ist, sich auf die Aufnahme von Personen zu be-
schränken, die mit der wirklichen Baukunst Zusammenhängen,
vielmehr auch — und hauptsächlich — den Beitritt allen gestattet,
die an dem Bau eines geistigen Tempels, des Tempels der all-
gemeinen Eintracht und Bildung, mitarbeiten wollen. Thatsächlich
wurden jedoch auch schon in der ersten Periode zuweilen einzelne
Nicht-Bauleute zugelassen (in England z. B. Karl 1., Karl II.,
Jakob II., Oberst Mainwaring, der Archäologe Ashmole u. a.); die
wahre Maurerei war eben immer spekulativer Art. Den Bei-
namen »maurerisch" nahm der Bund bei seiner Umgestaltung
im 18. Jahrhundert wieder an, weil die Baubrüderschaft, die im
Mittelalter so viele prachtvolle Dome etc. errichtete, Logen,
Grade, Losungsworte, Merk- und Kennzeichen hatte, was ja
übrigens auch schon bei den Erbauern des Tempels Salomonis
der Fall gewesen sein soll.
Häufig ist behauptet worden, der Freimaurerbund stamme
vom Templerorden her und sei staats- und kirchengefährlich, weil
er darauf ausgehe, den Untergang der Tempelritter zu rächen.
Allein schon 1535 wurde diese Behauptung in der »Charta von
Köln“ zurückgewiesen,*) in welcher die Maurer sich »Johannis-
brüder“ nannten, weil Johannis der Täufer der Vorläufer des
Lichtes war. Nach derselben Quelle erhielten die »Brüder» den
Namen »Freimaurer“ zuerst in Flandern, weil manche von ihnen
in der Provinz Hainault Krankenhäuser für die am Veitstanz
Leidenden bauen geholfen hatten. Auch von »maison“ hatte
man „maqon" ableiten wollen. Ganz unglaubwürdig ist die Ab-
leitung von »massa“ = Keule, d. h. die Keule, mit der der
Thürsteher uneingeweihte Eindringlinge verjagte. Auch Lessings
Ansicht (»Gespräche für Freimaurer" zwischen Ernst und Falk),
»masonry“ sei aus „masony" (= Masoney) verdorben, wird von
der neueren Forschung verworfen. Lessing führte an, das Wort
Masoney stamme von dem angelsächsischen „mase“ (im heutigen
Englisch „mess") und bedeute »Tafelrunde“, »Tischgesellschaft“,
»Trinkgesellschaft"; eine solche altgermanische »masony» habe
es in London noch im 1 7. Jahrhundert gegeben, sie habe in der
*) Diese „Charta" wird übrigen» von' der neueren Forschung zu-
meist für apokryph gehalten.
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3%
Die Freimaurerei.
Nähe des Paulsdomes gehaust und Wren, der Erbauer des
letzteren, sei eins ihrer Mitglieder gewesen und so habe man
gedacht, eine Gesellschaft, die in der Nähe jener herrlichen Kirche
zusammenkomme und Wren zu den ihrigen zähle, müsse eine
»masonry" sein, d. h. eine Verbindung von Bauverständigen. c
Da die Freimaurerei, wie gesagt, ein Baum ist, dessen Wurzeln
in vielen Boden wucherten, müssen ihre Früchte vielgestaltig sein.
Daher enthält ihre Ausdrucksweise und ihr Ritual allerlei zusammen-
gewürfelte Bestandteile: indische, ägyptische, jüdische, christliche
und andere Ideen, Worte und Sinnbilder. Wir lassen nun die
wahre Geschichte der Freimaurerei, soweit überhaupt bekannt,
ohne den sagenhaften Aufputz folgen, mit dem die Maurer-
litteratur sie ausgestattet hat.
Im Altertum gab es Architekten- und Ingenieur-Verbindungen
(z. B. die »Dionysiacs“ in Griechenland, das »Maurerkollegium"
in Rom), die den Bau von Tempeln und Stadien unternahmen.
Diese Körperschaften waren die Vorbilder der Maurer-, Steinmetz-
und Zimmermanns-Verbindungen , welche im Mittelalter nament-
lich in England und Deutschland blühten, zuweilen sechs- bis
achthundert Mitglieder zählten und mit Klöstern, Domkapiteln
oder anderen Kirchenverwaltungen über den Bau von Kathe-
dralen oder Kirchen Verträge schlossen. Später machten sie sich »
von der Kirche unabhängig und im 13. Jahrhundert traten sie
in Köln zu einer ausgedehnten Bauvereinigung zusammen, die
in Strafsburg, Wien, Zürich und anderwärts Zweiglogen besafs.
Dieser Bund nannte sich »die freien Maurer" und hatte Ein-
weihungszeremonien. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts
begann er, auch Nichtfachleute aufzunehmen, die dann »an-
genommene Maurer" hiefsen. Da es sich hierbei zumeist um
gelehrte und hochstehende Männer handelte, wurde die Logen-
thätigkeit allmählich mehr symbolisch als technisch. Die wirk-
lichen Steinmetze und Bauarbeiter zerstreuten sich im Laufe der
Zeit, während die »angenommenen" Mitglieder sich zurückzogen,
weil ihre Erwartung, in esoterische Geheimnisse eingeweiht zu
werden, in den Logen unerfüllt blieb. So kam es, dafs es 1717
in London nur noch vier Logen gab. Dieselben wurden damals
von Dr. Desaguliers, James Anderson und George Payne zu
einer »Grofsloge“ vereinigt — ein Ereignis, mit dem die Ge-
schichte der modernen Freimaurerei beginnt, welche rein sym- t
bolisch ist, aber die Fachsprache der Baukunst beibehalten hat.
Seither war und ist der Freimaurerbund vielen Verfolgungen
ausgesetzt, und zwar seitens des Staates und der Kirche. Welt-
liche Herrscher haben oft getrachtet, ihn zu unterdrücken. Alle
Päpste von Klemens XII. bis zu Leo XIII. thaten ihn in Acht
und Bann. Ein gut Teil der Verfolgungen war verschuldet durch
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Riten und Grade.
397
die Geheimniskrämerei, mit der die Freimaurer ihre Grundsätze
und ihre Thätigkeit umgaben, sowie durch die Einführung der
Hochgrade. Die drei ursprünglichen Grade, welche vom Bau-
handwerk übernommen wurden - Lehrling, Gesell, Meister —
genügten weder der Eitelkeit mancher aristokratischen »Brüder“,
noch dem Ehrgeiz jener, die den Bund zu Parteizwecken aus-
nutzen wollten. Ritter Andreas Ramsay, ein Anhänger der ver-
bannten Stuarts, behauptete, dafs die Freimaurer von den Kreuz-
rittern abstammen und regte deshalb die Einführung von Hoch-
graden mit politischem Hintergrund an. Die Hochgrade, nach
dem Lande der Stuarts »schottische“ genannt, nahmen an Zahl
immer mehr zu und hüllten sich aus politischen Ursachen, aus
persönlicher Eitelkeit und wegen ihrer abergläubischen Riten in
immer tieferes Geheimnis; schliefslich fielen sie Betrügern und
Abenteurern ä la Cagliostro und Casanova in die Hände.
In Deutschland wurde die Freimaurerei von drei Parteien
mifsbraucht: den Reaktionären, den Radikalen und den ritter-
lichen Fanatikern. Die ersteren riefen das Rosenkreuzertum ins
Leben, welches durch seinen astrologisch-alchimistisch-magisch-
spiritistischen Schwindel den politischen, wissenschaftlichen und
religiösen Fortschritt hemmte. Die Radikalen, die sich mit Hilfe
der llluminaten in den Freimaurerbund einschlichen, wollten in
Politik und Religion eine neue Zeit herbeiführen. Der wohl-
meinende Schwärmer Freiherr von Hundt verpflanzte den Ritter-
fanatismus von Frankreich nach Deutschland, indem er um die
Mitte des 1 8. Jahrhunderts die Maurerei von der »strikten Obser-
vanz" einführte, welche an den Templerorden anknüpfte und, wie
wir weiter unten des Näheren darlegen werden, vom Wilhelms-
bader Konvent wieder beseitigt wurde, ln Frankreich verschaffte
das Geheimnisvolle des Rituals und der Glanz mancher der
Zeremonien dem Maurertum viele Anhänger; schliefslich erfolgte
die Vereinigung der französischen Logen zu einer, »Grofs-Orient“
genannten Grofsloge, deren erster Grofsmeister der Herzog von
Chartres — nachmals Philippe £galitö - war. Napoleon I. er-
nannte seinen Bruder Joseph zum Grofsmeister. (Vgl. weiter
unten »Napoleon und die Freimaurerei.")
Riten und Grade.
Vor der Umgestaltung des Maurerwesens im Anfang des
1 8. Jahrhunderts gab es blofs einen Ritus: den der »alten, freien
und angenommenen Maurer", auch »blaue“ oder »symbolische"
Maurerei genannt. Aber, wie schon bemerkt, Eitelkeit, Laune
oder Partei-Interesse führte bald nach der Einführung der moder-
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39S
Die Freimaurerei.
nen Freimaurerei zur Vermehrung der Gradezahl wie auch zu
allerlei Abänderungen im Wesen der drei alten Grade. Gegenwärtig
giebt es in Europa und Amerika die folgenden Riten und Grade:
I. Der Yorkritus, auf den wir eingehender zurück-
kommen. In England und Amerika besteht er aus sieben Graden : B
I. Lehrling; 2. Geselle; 3. Meister; 4. Markmeister; 5. Alt-
meister; 6. Hochwürdiger Meister; 7. Royal Arch (wörtlich »vom
königlichen Gewölbe“). Dem letzteren als dem wichtigsten werden
wir ein eignes Kapitel widmen.
II. Der französische oder moderne Ritus hat
sieben Grade durchweg astronomischer Natur:
1. Lehrling; 2. Geselle; 3. Meister; 4. Elu (Erwählter);
5. Schottischer Meister; 6. Ritter des Ostens; 7. Rose-Croix
(= »Rosenkreuzer“).
III. Der alte und angenommene Schottenritus.
Dieser Name rührt daher, dafs die Stifter den Ursprung nach
Schottland verlegten; die jetzige Organisation jedoch wurde am
Beginn des 18. Jahrhunderts in Frankreich geschaffen. Nach
dem York- Ritus ist der schottische heutzutage der verbreitetste.
Die Verwaltung obliegt »Obersten Grofsräten" („Konzilien“).
Die Zahl der Grade beträgt nicht weniger als 37 ! Das meiste
Interesse bieten: der 12. (Grofsbaumeister), der 18. (Prinz Rose- «
Croix) und der 30. (Ritter von Kadosch), weshalb wir sie weiter
unten ausführlich behandeln werden.
IV. Philosophischer Schottenritus.
V. Altschottischer Ritus, hauptsächlich in Belgien zu
Hause.
VI. Alter reformierter Ritus.
VII. Fefslerscher Ritus.
VIII. Ritus der Grofsen Nationalloge zu den
drei Weltkugeln in Berlin.
IX. Voll kom m e n hei ts- R i tus.
X. M israi m - Ri tu s.
XI. Klerikal der Tempelherren.
XII. Schwedischer Ritus.
XIII. Ref or m ie rte r R i tu s. (Rektifiziertes System.)
XIV. Schroedersches oder Hamburger System.
XV. Swedenborgscher Ritus. I
XVI. Zi nzendor.fscher Ritus. Graf Zinzendorf, Leib- «
arzt Kaiser Karls VI., änderte das Avignoner Illuminatentum *ab,
pfropfte darauf Swedenborgsche Mysterien und schuf so seinen
»Ritus", dessen sieben Grade in drei Gruppen zerfallen:
1. Blaue, 2. Rote, 3. Kapitel-Maurerei. '
XVII. DerEklektiseheBund, 1783 vom Frhrn. v. Knigge
in Frankfurt zu dem Zwecke geschaffen, der starken Zunahme
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Gebräuche und Logen.
399
der »philosophischen" Hochgrade zu steuern. Dieser Ritus er-
kennt nur die drei „symbolischen“ Grade an (Lehrling, Geselle,
Meister), gestattet aber jeder Loge einen der Hochgrade, insofern
derselbe die Einheitlichkeit der „symbolischen“ nicht beeinträchtigt.
Knigges Absicht, die Hochgrade möglichst zu beseitigen, ging
nicht in Erfüllung und die Zahl der eklektischen Logen ist nie
eine erhebliche gewesen.
Im Hinblick auf die nachträglich eingeführten Hochgrade
wird die moderne Freimaurerei in eine echte und eine falsche
geteilt. Die erstere umfafst lediglich die drei „symbolischen“
Grade; ihr Beiname „blaue Maurerei" rührt von der Farbe des
Himmelszeltes her — einer Farbe, in der die maurerischen
Dekorationen gehalten sind. „Falsch“ nennt man die Hoch-
grade; doch mufs die blaue Maurerei ohne den Royal-Arch-Grad
als unvollständig angesehen werden, denn in demselben kommt
das von Hiram weggeworfene ursprüngliche Meisterwort wieder
zum Vorschein, während der Meistergrad blofs das von den
Entdeckern der Leiche Hirams eingeführte Ersatzwort kennt.
Man kann sagen, dafs die „echte" Maurerei, die sich auf Exoterik
beschränkt, den „kleineren", die „falsche“ den „gröfseren“
Mysterien des Altertums entspricht. Die „falsche" Maurerei mit
ihren zahllosen Graden bildet ein unzusammenhängendes Gemisch
einander widersprechender Ideen und Grundsätze. Ihre Haupt-
quellen waren christliche Einrichtungen und Überlieferungen,
Ritterorden, streitige theologische Meinungen, geschichtliche Er-
eignisse. Diejenigen Hochgrade - die anderen nicht - welche
sich entweder durch ihre Lehren oder durch Beeinflussung des
Fortschreitens der Menschheit bemerkbar gemacht haben, werden
wir eingehender behandeln.
Gebräuche und Logen.
Nicht selten erscheinen Freimaurer in dem vollen Ornat
ihres Grades bei der Grundsteinlegung öffentlicher Gebäude oder
dem Begräbnis eines „Meisters“. Ihre Zeitdatierung geht vom
„Jahr des Lichts" aus. Die „Sonnenritter" (= der 28. Grad des
schottischen Ritus) haben überhaupt keine Zeitrechnung; sie
datieren stets nur mit sieben Nullen (0,000.000). Um in den
Bund aufgenommen werden zu können, mufs man grofsjährig
sein; ein „Lufton" jedoch (= Sohn eines Maurers) kann nötigen-
falls schon mit 18 Jahren beitreten (in den Vereinigten Staaten
nicht). Das französische Wort für „Lufton“ ist „louveteau“,
d. h. ein junger Wolf, ln den altägyptischen Isismysterien mufste
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400
Die Freimaurerei.
der Aufnahmebewerber eine Wolfsmaske fragen; daher waren in
diesen Mysterien Wolf und Kandidat synonyme Begriffe. Macro-
bius bemerkt- in seinen „Saturnalien", dafs die Alten zwischen
dem Wolf und der Sonne — dem grofsen Sinnbild jener
Mysterien — eine Verwandtschaft fanden ; wie nämlich die Schaf-
herde beim Anblick des Wolfs davonläuft, so verschwindet die
Schar der Sterne beim Herannahen der Sonne. Die sogen.
„Söhne Salomonis" , eine Gruppe der französischen Gesellen-
verbindungen nennen sich noch jetzt „Wölfe". Die Aufnahme
eines Lufton ist mit einer Zeremonie verknüpft, welche jener der
Taufe ähnelt Blumen bedecken den Fufsboden des Tempels,
Weihrauch wird verbrannt und dem Paten wird eingeschärft,
nicht nur für das leibliche Wohl des „Neugeborenen“ zu sorgen,
sondern ihn auch zur Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe zu er-
ziehen. Das „Kind" erhält einen neuen Namen, z. B. „Wohl-
thätigkeit", „Hingabe“, „Wahrhaftigkeit“ oder den irgend einer
anderen Tugend. Den Lehrlingseid leistet statt seiner der Pate.
Sollte der Lufton verwaist werden, so leistet ihm die Loge in
jeder Weise Beistand.
Das Freimaurer-Alphabet hat die eckige Beschaffenheit der
ältesten Alphabete angenommen. Es besteht aus 13 (9 + 4)
Grundzeichen, sodass alle Laute nur durch Linien und Punkte
darstellbar sind, wie hier ersichtlich:
a= J, b = J, u =>, v= >, und so fort. Die maure-
rischen Abkürzungen sind mit drei Punkten in Form eines Dreiecks
verknüpft; z. B. „ Bruder“ = B , Loge = L.\ (auchE].\), Logen
= LL.\ (oder(jp.\) etc. etc. Auch das gewöhnliche lateinische
Alphabet und die arabischen Ziffern haben einen ähnlich einfachen
Ursprung, indem sie alle in der Figur
enthalten sind:
A, b oder B, C, tJ odtr D, Ef F , Cf I, — J» K* l— *
M, N, □, P.4«rP\ «=|, K, X,T, U, V, X, Y, Z.
D, I, Z, 5£,ZI, 5,Zodfrb,7, Z,^.
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Gebräuche und Logen.
401
Was die innere Einrichtung der Logen betrifft, so war sie
zu verschiedenen Zeiten verschieden; auch wechselt sie je nach
Ritus und Grad mehr oder minder ab. Doch werden jeder-
zeit gewisse allgemeine Regeln befolgt In einem alten franzö-
sischen Katechismus wird die Loge folgendermafsen geschildert.
Sie mufs das Himmelszelt durch eine gewölbte, blaue, stemen-
besäte Decke darstellen und einen Mosaikboden haben, der durch
seine Buntheit an die nach dem Sinken des Nils blumenbedeckte
Erde erinnern soll. Es giebt drei Fenster: je eines im Osten,
Westen und Süden ; ferner zwei bis drei Vorzimmer, damit kein
Uneingeweihter die Vorgänge im Innern belauschen könne. (Dringt
dennoch ein Unberufener ein, so sagt der Logenmeister: »Es
regnet" und hebt die Tagung auf.) Die Loge sollte stets schwarz
verhängt sein. Im Osten sitzt der Grofsmeister, im Süden der
Meister vom Stuhl; im Norden nehmen die Neulinge Platz, wo-
mit angedeutet wird, dafs sie als Uneingeweihte die Sonnenhitze
noch nicht vertragen können. Soll ein Novize (oder mehrere
Novizen) als Lehrling aufgenommen werden, so wird die Loge
hell erleuchtet. Der Grofsmeister trägt an einem Band ein kleines
Winkelmafs und einen kleinen Kompafs um den Hals. Vor ihm
steht ein Tisch, auf dem ein Hämmerchen und das Evangelium
Johannis liegen. Neben ihm befinden sich die beiden Schaffner;
der eine hält ein Richtscheit, der andere ein Senkblei von Gold
oder Silber in der Hand. Ringsum stehen die Meister, Gesellen
und Lehrlinge in weifsen, lammsledemen Schürzen und mit ent-
blöfsten Schwertern. Oben sind die Sonne, der Mond und ein
grofser Stern sichtbar. Der Boden weist Zeichnungen auf, und
zwar die Stufen, die zum Tempel Salomonis führten und die
Säulen »Jachin“ und »Boaz°. Diese zwei Säulen versinnbild-
lichen die beiden Sonnenwenden oder die Säulen des Herkules.
Inmitten des Saales steht ein Sarg, in welchem ein anscheinend
toter Mann mit dem Gesicht nach oben liegt ; seine weifse Schürze
ist blutbefleckt und die eine Hand ruht auf der Brust, die andre
auf dem Knie, ln den Winkeln des Gemaches befinden sich
leicht brennbare Stoffe, wie z. B. Schwefel, zur raschen Entzün-
dung eines Feuers geeignet. Handelt es sich um die Beförde-
rung von Lehrlingen zu Gesellen oder von Gesellen zu Meistern,
so erfahren die vorstehend beschriebenen Anordnungen einige
Änderungen.
Gehen wir nun zu den bezeichnenden allgemeinen Merk-
malen des modernen Logentempels über. Dieser ist ein grofser
quadratischer Saal und, wenn irgend möglich, genau west-östlich
gelegen. Der Logenmeister sitzt gegenüber der Eingangsthüre
auf einer dreistufigen Erhöhung, ln der Mitte ist der vierstufige
Altar angebracht. Der Meisterstuhl steht unter einem himmel-
Hcckethorn. Kätscher, Gchcimtumdc und Gehcimlehren. 26
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402
Die Freimaurerei.
blaue«, stemenbesäten Baldachin, über welchem man das »leuch-
tende Dreieck* sieht, auf dem der »heilige Name* zu lesen ist
Rechts vom Baldachin erblickt man den Mond, links die Sonne.
Zur Ausschmückung gehören ferner: der Flammende Stern; der
von einem Kreis umgebene Punkt, der die Sonne oder das Welt-
all darstellt; ein Kasten, welcher an die in den altägyptischen
Umzügen getragene Arche erinnern soll, die aufser verschiedenen
Pflanzen eine Futterschwinge und die Schamteile des Osiris ent-
hielt. An den Seiten der Einlafsthüre stehen zwei bronzene
Säulen mit der Inschrift »J* (= Jachin) bezw. »B* (= Boaz);
ihre Kapitale stellen Granatäpfel dar. Der erste und der zweite
Aufseher sitzen in der Nähe dieser Säulen an einem mit maure-
rischen Sinnbildern bedeckten dreieckigen Tisch. Die zwei Säulen
sind durch einen Architrav mit zehn anderen verbunden, die
sich ebenfalls in der Loge befinden. Auf dem Altar liegen
Schwerter, ein Zirkel, ein Winkelmafs und eine Bibel. Im Osten,
Westen und Süden des Saales ist je ein Armleuchter mit grofsen
Wachskerzen bemerkbar und die Wände entlang laufen Sitzbänke.
In England und Amerika, sowie in den Logen des Schottenritus
ist der Baldachin aus karmesinroter Seide. In den Logen der
Vereinigten Staaten trägt der Meister vom Stuhl eine mit schwar-
zen Federn verzierte Kappe und eine schwarze Kokarde;
die beiden Aufseher sitzen in Nischen mit befranster Dra-
perie und halten geschnitzte, elfenbeinene Heroldstäbe in der
Hand.
Der Meister vom Stuhl und die zwei Aufseher werden bild-
lich »die drei Lichter" genannt Die übrigen Logenbeamten
heifsen: Redner, Sekretär, Schatzmeister, Zeremonienmeister, Sie-
gelbewahrer, Architekt, Schaffner, Heermeister, Hauptgast, innerer
und äufserer Ziegeldecker (Thürhüter, Logenschliefser, Wacht-
habender), Archivar, Bibliothekar, Armenpfleger, deputierter oder
zugeordneter Meister etc. In ihrer Gesamtheit bilden sie die
»Beamtenloge“ oder das »Beamtenkollegium“. Jeder Beamte
nimmt in den Versammlungen einen bestimmten Platz ein und
hat, wie die ägyptischen, jüdischen oder griechischen Priester,
ein eignes Geschmeide und eigene Abzeichen. Einige der Ab-
zeichen sind: beim Schatzmeister sich kreuzende Schlüssel, beim
Schaffner ein Füllhorn, beim Sekretär sich kreuzende Federn,
beim ersten Aufseher eine Sonne zwischen Winkelmafs und Zirkel,
beim zweiten ein Mond zwischen Winkelmafs und Zirkel, beim
Logenschliefser gekreuzte Schwerter etc.
Die Zusammenkünfte finden zumeist abends statt Der
Logenmeister »eröffnet die Arbeit“ durch einen Hammerschlag
auf den Altar und vergewissert sich sodann, dafs die Loge »ge-
deckt“ sei, d. h. dafs keine Unberufenen anwesend sind. Nun
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Einweihungszeremonien.
403
entwickelt sich zwischen ihm und den Aufsehern ungefähr das
folgende Gespräch:
.Bruder zweiter Aufseher, dein ständiger Sitz in der Loge?“
»Im Süden.«
»Warum bist du dort untergebracht?“
»Um die Sonne in ihrem Meridian anzudeuten und um
die Brüder von der Arbeit zur Erholung, von der Erholung zur
Arbeit zu rufen, auf dafs ihnen Nutzen und Vergnügen erwachse.*
»Bruder erster Aufseher, dein ständiger Platz in der Loge?“
»Im Westen.“
»Weshalb hast du deinen Sitz dort?*
»Um den Sonnenuntergang anzudeuten und um die Loge
auf Befehl des verehrungswürdigen Meisters aufzuheben, nachdem
ich darauf gesehen, dafs jedermann Gerechtigkeit widerfahren sei.“
»Warum hat der Meister seinen Platz im Osten?“
»Wie die Sonne im Osten aufgeht, um den Tag zu eröff-
nen und zu beleben, so sitzt der verehrungswürdige Meister im
Osten, um die Loge zu eröffnen und zu erleuchten, um die
Brüder zu beschäftigen und zu belehren.“
»Um welche Zeit pflegen die Maurer ihre Arbeit zu be-
ginnen?"
»Zur Mittagszeit.“
»Wieviel Uhr haben wir jetzt, Bruder zweiter Aufseher?«
»Es ist Mittag.»
»Da dem so ist und alles in Ordnung ist, erkläre ich die
Loge für eröffnet"
Einweihungszeremonien.
Da es ebenso zwecklos und überflüssig wie ermüdend sein
würde, wollten wir alle Zeremonien sämtlicher Logengattungen
der Blauen Maurerei eingehend schildern, beschränken wir uns
im nachstehenden auf die Beschreibung der üblichsten und be-
zeichnendsten Einzelheiten.
Der Bewerber um den Lehrlingsgrad wird von einem ihm
unbekannten »Bruder“ ins Logengebäude eingeführt und dort
in eine entlegene Stube gebracht in welcher er einige Minuten
allein bleibt Dann nimmt man ihm alle metallenen Gegenstände
ab, die er etwa bei sich hat (Geld, Uhr, Ringe, Nadeln u. s. w.),
entblöfst ihm das rechte Knie oder auch die linke Brust und
tritt die Ferse seines linken Schuhs ab — Vorgänge, die nach
manchen maurerischen Schriftstellern von den Jesuiten herstammen.
26*
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404
Die Freimaurerei.
Die Wegnahme allen Metalls soll das Gelübde der Armut ersetzen,
die Entblöfsung die Fernhaltung jeder weiblichen Person an-
deuten, während das Abtreten der Ferse den Kandidaten daran
erinnern soll, dafs Ignatius von Loyola, der an einem Fufsübel
litt, seinen Pilgerzug in dieser Weise begann. Nun wird der
Neuling mit verbundenen Augen in die »Kammer des Nach-
denkens“ geführt, wo er bleiben mufs, bis er ein dreimaliges
Klopfen hört Jetzt nimmt er die Binde von den Augen und
erblickt an den schwarz verhängten Wänden Inschriften wie die
folgenden:
»Wenn eitel Neugier dich hierher treibt, geh' von hinnen!“
— »Falls du Angst davor hast, über deine Irrtümer belehrt zu
werden, hat es keinen Zweck, dafs du hier bleibest.“ - n Hältst
du auf Unterschiede zwischen den Menschen, so scheide von
hier, denn hier sind solche Unterschiede nicht bekannt.“
Nach einem längeren Gespräch zwischen dem Meister vom
Stuhl und dem Einführer des Kandidaten wird der letztere mit
einer Schnur um den Hals und mit neuerlich verbundenen Augen
in die Versammlung der »Brüder“ geführt, wobei sein Begleiter
ein Schwert gegen seine Brust zückt Auf die Frage nach seinem
Begehr antwortet er, dafs er gekommen sei, um in die Geheim-
nisse der Freimaurerei eingeweiht zu werden. Um ihn zu ver-
wirren, geleitet man ihn hinaus und sofort wieder herein. Jetzt
wird ein grofser eckiger, mit Papier ausgefüllter Rahmen, wie
ihn die Zirkusreiter zu benutzen pflegen, herbeigebracht und von
zwei »Brüdern“ emporgehalten. Der Einführer fragt den Meister:
»Was sollen wir mit dem Profanen machen?“ Die Antwort
lautet: »ln die Hölle sperren!“ Zwei Brüder ergreifen den Neu-
ling und werfen ihn durch den Rahmen zwei anderen in die
Arme. Die bisher offen gelassene Fallthüre fällt geräuschvoll
zu und mittels eines Eisenringes und einer Eisenstange wird
das Schliefsen eines massiven Schlosses nachgeahmt, sodafs der
Kandidat sich in einem unterirdischen Kerker wähnt. Nachdem
eine Zeitlang Grabesstille geherrscht, thut der Meister einen kräf-
tigen Hammerschlag, läfst den Neuling neben dem zweiten Auf-
seher niederknien, stellt ihm mehrere Fragen und belehrt ihn
über seine Pflichten gegen den Bund. Ferner bietet er ihm
einen Trank an, hinzufügend, dafs dieser sich in Gift verwandeln
werde, falls er - der Kandidat — irgendwelche verräterische
Absichten hegen sollte. Der Becher enthält zwei Abteilungen ; die
eine ist mit Süfs-, die andere mit Bitterwasser gefüllt. Der Novize
mufs nun sagen: »Ich mache mich anheischig, die den Freimau-
rern vorgeschriebenen Verpflichtungen streng und gewissenhaft
zu erfüllen; sollte ich meinen Schwur jemals verletzen" (bei
diesen Worten wird ihm von seinem Begleiter das Süfswasser
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Einweihungszeremonien.
405
an die Lippen gesetzt und er trinkt • davon), „so willige ich ein,
dafs die Süfsigkeit dieses Getränks sich in Bitterkeit und die
heilsame Wirkung in eine giftige verwandle." Nunmehr läfst
man ihn von dem Bitterwasser trinken, worauf der Meister
ausruft :
»Was sehe ich? Was bedeutet die plötzliche Veränderung
deiner Gesichtszüge? Straft etwa dein Gewissen deine Worte
Lügen? Ist der süfse Trank bereits bitter geworden? Fort mit
dem Unberufenen! Der Eid war nur eine Erprobung, der
richtige Schwur kommt erst später.“
Der Bewerber, der selbstverständlich dabei beharrt, zu
bleiben und eingeweiht zu werden, wird jetzt dreimal im Tempel
umhergeführt und dann über zerbrochene Stühle, Schemel und
Holzstücke gehetzt Demnächst wird ihm befohlen, die »endlose
Treppe« hinanzusteigen und sich von dort hinabzustürzen. Er
hat zwar den Eindruck, sehr hoch gestiegen zu sein, fällt aber
in Wirklichkeit nur wenige Fufs tief und kann sich nicht weh
thun. Diese Erprobung ist von grofsem Lärm begleitet, denn
die »Brüder“ erheben ein Jammergeschrei und klopfen geräusch-
voll auf die Ordensattribute, die sie in den Händen haben. Ein
weiterer Prüfungspunkt besteht darin, dafs der Neuling durch
Feuer gehen mufs, das jedoch durch Schwarzkünstlerkniffe un-
schädlich gemacht ist. Auch erhält er einen schwachen Stich in
den Arm, wobei er viel Blut zu verlieren glaubt, da einer der
Anwesenden einen gurgelnden Laut nachahmt. Schliefslich um-
stellen ihn die Eingeweihten mit entblöfsten Schwertern, auf die
er den endgültigen Lehrlingseid leisten mufs. Darauf führt man
ihn zwischen die zwei Säulen hindurch und die Versammelten
zücken ihre Degen gegen seine Brust. Jetzt lockert der Stuhl-
meister ihm die Augenbinde, ohne sie jedoch abzunehmen. Ein
»Bruder“ hält ihm eine Lampe vor, die ein glänzendes Licht
verbreitet, und der Meister spricht :
»Bruder erster Aufseher, hältst du den Bewerber für wür-
dig, unsrer Gesellschaft anzugehören?“ — »Ja."
»Was verlangst du für ihn?“ — „Licht“
»Es werde also Licht!“
Nach diesen Worten schlägt der Meister mit seinem Hammer
dreimal auf den Tisch, beim dritten Schlag fällt die Augenbinde
und der Novize erblickt das Licht, welches die geistige Erleuch-
tung andeuten soll, die seiner in der Freimaurerei harrt Die
Schwerter werden gesenkt, der Aufgenommene kniet vor dem
Altar nieder und der Meister sagt: „Im Namen des Grofsen
Weltenbauherrn und kraft der mir übertragenen Gewalt mache
ich dich zum Maurerlehrling und Mitglied dieser Loge.“ Nach
drei Hammerschlägen auf die Degenklinge hebt der Meister den
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406
Die Freimaurerei.
neuen »Bruder« auf, gürtet ihm eine Schürze aus weifsem Lamms-
leder um und giebt ihm zwei Paar weifser Handschuhe: eines
für ihn zum Tragen in der Loge, das andre symbolisch für die
von ihm am meisten verehrte Dame. Nach abermaligem Hin-
durchschreiten zwischen den zwei Säulen wird er von den Ver-
sammelten als »Bruder« begrüfst
Zu den Gesprächen, welche der Logenmeister mit dem Be-
werber während der Eiweihungsriten führt, gehört das folgende:
»Hast du heute deinen Meister gesehen?» — »Ja.«
»Wie war er gekleidet?« — »In eine gelbe Jacke und in
blaue Hosen.«
Hier ist unter »Meister« der Zirkel, unter der »gelben
Jacke« dessen Messingteile und unter »blaue Hosen« dessen Stahl-
teile verstanden. Auf die fernere Frage: »Wie alt bist du?«
antwortet der Novize: »Unter sieben«, womit gemeint ist, dafs
er noch kein Geselle geworden, da die Lehrzeit sieben Jahre
dauert. Das Losungswort des Lehrlingsgrades ist »Boaz«; das
Erkennungszeichen besteht im Wagrechthalten der Hand unter
Aufwärtsrichtung des Daumens zum rechten Ohr und soll den
Lehrling an seinen Eid erinnern, an dessen Schlufs es heifst:
»Ich schwöre feierlich, all diese Punkte ohne Schwanken, Zwei-
deutigkeit oder Doppelzüngigkeit einzuhalten. Sollte ich einen
derselben verletzen, so will ich gestatten, dafs mir die Kehle
durchschnitten, die Zunge samt der Wurzel ausgerissen und
meine Leiche im Meeressand begraben werde.« Beim Hände-
druck drückt der rechte Daumen auf das dem Handgelenk
nächste Glied des rechten Zeigefingers, der mit der Hand er-
griffen wird.
Sobald es an der Zeit ist, verlangt der Lehrling Gehalts-
erhöhung, d. h. er will zum Oesellen befördert werden. Auf
dem Weg zur Loge hält er ein Richtmafs in der Hand, dessen
oberes Ende auf der Schulter ruht. Er klopft an die Thür,
wird eingelassen und bringt sein Anliegen vor. Er mufs den
Saal fünfmal auf und ab schreiten und wird dann vom Stuhl-
meister aufgefordert, seine letzte Lehrlingsarbeit zu machen. Nach-
dem er das Behauen eines rohen Bruchsteines nachgeahmt, hört
er eine Anzahl von ebenso unnützen wie überflüssigen Beleh-
rungen an und leistet schliefslich den Geselleneid. Das Ende
der Feierlichkeit bildet ein Vortrag des Meisters, hauptsächlich
über Geometrie - ein Fach, für das die Freimaurer eine beson-
dere Vorliebe haben und auf das sich der Buchstabe G beziehen
soll, welcher in der Loge innerhalb eines Sternes oder eines
Strahlenglanzes zu sehen ist
Der Geselleneid ist noch furchtbarer als der Lehrlingseid. Er
besagt, dafs die Strafe für Verletzung der Pflichten oder derBundes-
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Einwdhungszeremonien.
407
geheimnisse im Aufschneiden der linken Brust, im Herausreifsen
des Herzens und im Preisgeben desselben „an die Raubvögel
der Luft und die wilden Tiere des Feldes“ bestehen soll. Im
Hinblick auf diesen Eid besteht das Erkennungszeichen der Oe-
sellen darin, dafs sie die Hand mit dem Daumen aufwärts auf
die Brust legen. Das Losungswort ist entweder „Jachin « oder
„Schibboiet*. Beim Händedruck drückt der rechte Daumen in
bestimmter Weise auf den ersten und den mittleren Finger der
rechten Hand.
Handelt es sich um die Verleihung des Meistergrades, so
ist der Tempel schwarz verhängt. An den Wänden sind gemalte
Skelette, Totenschädel und gekreuzte Totenknochen sichtbar. Im
Osten brennt eine gelbe Wachskerze und auf dem Altar des
Stuhlmeisters liegt ein Totenschädel, in welchem ein Licht brennt
Diese trübe Beleuchtung genügt, um einen Sarg mit einer Leiche
sehen zu lassen. Die letztere wird entweder durch eine Glieder-
puppe oder einen „dienenden Bruder» oder den allerjüngstens
zum Meister aufgerückten Bruder dargestellt. Auf dem Sarg liegt
ein Akazienzweig, zu seinen Füfsen (im Osten) ein offener Zirkel,
zu Häupten ein Winkelmafs. Die anwesenden Meister tragen
schwarze Kleider und azurblaue Schärpen mit Darstellungen mau-
rerischer Sinnbilder sowie der Sonne und des Mondes nebst
sieben Sternen. Als Zweck der Versammlung wird die Auffin-
dung des Wortes des erschlagenen Meisters angegeben. Nach
einigen Vorbereitungsformalitäten wird der Bewerber, dessen
Schuhfersen beide abgetreten sein müssen, mit entblöfsten Armen
und Knien und offener Brust eingelassen. Der Stuhlmeister
sagt ihm, dafs die Anwesenden den Tod ihres Grofsmeisters be-
trauern, deutet auf den Sarg und fügt die Frage hinzu, ob er
— der Kandidat - etwa einer der Mörder sei. Er erklärt sich
unschuldig und erfährt nun, dafs er die Rolle Hirams über-
nehmen müsse. Inzwischen wird der Leichnam aus dem Sarg
entfernt, sodafs der Bewerber, als er wieder hinblickt, den Sarg
leer findet. Jetzt wird ihm die Geschichte des Mordes erzählt,
wobei dieser jedoch nicht der Eifersucht Salomos zugeschrieben
wird, wie in der Tempellegende (vgl. letztere weiter oben), son-
dern lediglich der Rachsucht der von Hiram nicht zu Meistern
beförderten drei Gesellen. Der Logenmeister teilt dem Kandidaten
mit, dafs die einzelnen Vorfälle an ihm werden gezeigt werden;
er möge den Mut nicht sinken lassen, wenn er auch die Hand
des Todes fühlen sollte. Sodann fährt der Vorsitzende fort:
„Als Hiram mittags den Tempel betreten hatte, stellte sich
jeder der drei Gesellen an einer andern Thür auf: im Osten,
Westen und Süden. Als Hiram sich abermals weigerte, ihnen
das Meisterwort zu enthüllen, durchschnitt der an der östlichen
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40S
Die Freimaurerei.
Thür stehende Geselle ihm den Hals mit einer 24 zölligen Mefs-
latte. Er wandte sich zur südlichen Thür, wo es ihm nicht
besser erging und dann zur westlichen, wo er mit einem Maurer-
hammer einen seinen Tod verursachenden Schlag auf den Kopf
erhielt.* (Der Kandidat wird hier auf die Stirn geschlagen und
fällt wie tot um.) »Die Elenden trugen die Leiche zur west-
lichen Thür hinaus und beerdigten sie auf einem Hügel.* (Hier
wird der Bewerber in den Sarg gelegt.) »Um den Ort zu be-
zeichnen, steckten sie über dem Grab einen Akazienzweig ins
Erdreich. Da Hiram sich nicht blicken liefs, schickte Salomo
zwölf vertrauenswürdige Gesellen auf die Suche nach ihm aus —
je drei in östlicher, westlicher, südlicher und nördlicher Richtung.
Als einer von den drei gen Osten ausgezogenen ermüdet war,
setzte er sich auf einem Hügelabhang nieder. Beim Aufstehen
ergriff er zufällig einen Akazienzweig." (Hier wird dem Mann
im Sarg ein solcher Zweig in die Hand gegeben.) »Da derselbe
leicht herauskam, Schlots man, dafs der Boden erst kürzlich
aufgewühlt worden sein müsse; man grub daher nach und fand
auch wirklich den Leichnam Hirams.*) Da derselbe bereits vier-
zehn Tage lang beerdigt war, befand er sich im Zustande der
Verwesung, was einen der Anwesenden zu dem Ruf »Makbenach!*
bewog, welcher besagt, dafs das Fleisch sich von den Knochen
losgelöst hat Dieses Wort wurde zum Meisterwort gemacht, da
das frühere durch Hiram Abiffs Tod verloren gegangen war.
Zwar kannten es die zwei anderen Grofsmeister, die Könige Salomo
und Hiram (von Tyrus), doch konnte es nur von allen drei
Grofsmeistern gemeinschaftlich mitgeteilt werden.*
Da Hiram Abiffs Leiche weder durch den Griff des Lehr-
lings noch durch den des Gesellen, sondern nur durch den des
Meisters — „Löwengriff" genannt — gehoben werden kann,
hebt der Stuhlmeister den Bewerber aus dem Sarg und weiht
ihn in das Losungswort, die Erkennungszeichen und den Hände-
druck des Meistergrades ein. Nun wird der Verschwiegenheitseid
geleistet, der als Strafe für seinen Bruch das Entzweischneiden
des Körpers, das Ausreifsen und Verbrennen der Eingeweide und
das Streuen der Asche in die vier Windrichtungen androht Der
Händedruck ist ein bestimmter Druck des Daumens zwischen
den Gliedern des Mittel- und des Ringfingers. Das Losungs-
wort ist „Tubalkain". Es giebt dreierlei »Zeichen“; das wich-
tigste besteht darin, dafs man mit der Hand über die Mitte des
Körpers fährt und sie dann fallen läfst, um sie sofort wieder
*) In Vergils Aeneide (III, 22-29) wird etwas Ähnliches erzählt,
dafs nämlich Aeneas am Abhang eines Hügels eine Staude aus dem Erd-
boden rifs und dadurch die Ermordung des Polydorus entdeckte.
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Einweihungszeremonien.
409
zu erheben und die Daumenspitze gegen den Nabel zu stemmen.
Der Gemeinschaftsgriff (das gegenseitige Ergreifen der Handge-
lenke mit den Fingerspitzen) bildet den ersten der fünf »Zu-
sammengehörigkeitspunkte“; der zweite »Punkt" ist das Parallel-
stellen des rechten Fufses mit dem rechten Fufs nach innen; im
dritten Punkt: rechtes Knie parallel mit dem rechten Knie; im
vierten: die rechte Brust mit der rechten Brust; im fünften: die
Hand über die Schulter und Unterstützung des Rückens, ln
dieser Stellung und nur flüsternd wird das Meisterwort »Mak-
benach“ (oder auch »Mahabone» = »Tod eines Bruders") ge-
sprochen.
Nimmt man die Hiramsage wörtlich, so bietet sie nicht
genug Aufsergewöhnliches, um zu verdienen, noch nach dreitausend
Jahren in einem grofsen Teil der Welt feierlich verewigt zu
werden. Der gewaltsame Tod eines noch so hervorragenden
Bauherrn wäre nicht wichtiger als der Tod all der Denker und
Gelehrten, die ihr Leben im Dienste des Fortschritts der Mensch-
heit verloren haben. Die Sache ist aber die, dafs es sich eben
nur um eine Sage handelt, die nicht buchstäblich genommen
werden darf. Die Weltgeschichte kennt Hiram Abiff nicht und
in der Bibel, wo er allerdings erwähnt wird, erscheint er ledig-
lich als ein geschickter Kupferarbeiter. Auch die Überlieferung
weifs nichts von ihm. Blofs der Freimaurerei ist er bekannt,
aber auch bei ihr ist die Adoniramlegende rein allegorischer
Natur. Die Allegorie läfst eine doppelte Auslegung zu: eine
kosmologische und eine astronomische.
ln kosmologischer Hinsicht finden wir hier eine Darstellung
des bei allen morgenländischen Einweihungsmysterien die Haupt-
rolle spielenden Dualismus der beiden gegensätzlichen Natur-
kräfte. Im dramatischen Teil aller Mysterien des Altertums kommt
eine Gottheit oder ein Mensch vor, der als Opfer einer bösen
Macht untergeht, um zu einem desto ruhmvolleren Dasein wieder-
zuerstehen. Überall begegnen wir einem traurigen Ereignis, wel-
ches Völker in Kummer stürzt, dem bald Freude und Begeiste-
rung folgen.
Auch in astronomischer Beziehung stimmt die Parallele
genau. Es handelt sich auch hier nur um eine Lesart der Osiris-
legende. Hiram ist Osiris, d. h. die Sonne. Die Mörder stellen
sich im Westen, Osten und Süden auf, d. h. an den von der
Sonne beschienenen Seiten. Hiram wird am westlichen Thor
erschlagen, d. h. die Sonne geht im Westen unter. Die zwölf
Personen, die in dem Trauerspiel Hauptrollen spielen - drei
Gesellen und neun Meister — bedeuten klärlich die zwölf Zeichen
des Tierkreises, wobei die drei mörderischen Gesellen die drei
untergeordneten Winterzeichen (Wage, Skorpion und Schütze)
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410
Die Freimaurerei.
vorstellen. Der aufs Grab gepflanzte Akazienzweig entspricht
der in sämtlichen alten Sonnen-Allegorien vorkommenden Pflanze,
des Sinnbildes des neuen Wachstums, welches dem Wiedererschei-
nen der Sonne folgt. Da die Alten die Akazie für unverderbbar
hielten, wurden ihre Zweige für die Bedeckung der Leiche des
allegorischen Helden denen der Myrte, des Lorbeers und der
sonstigen in den Mysterien des Altertums vorkommenden Pflanzen
vorgezogen. Die vierzehn Tage, welche Hirams Leiche im Grab
lag, entsprechen den vierzehn Stücken, in die Osiris' Leichnam
zerschnitten wurde. Nach anderen Behauptungen soll Hirams
Leib schon am siebenten Tage nach der Ermordung entdeckt
worden sein; damit ist darauf angespielt, dafs die Sonne im
siebenten Monat nach ihrem Durchgang durch die untergeordneten
Tierkreiszeichen (d. h. nach ihrem .Abstieg in die Hölle") wieder-
kehrt. Hiram kann nur durch den Löwengriff aus dem Sarge
gehoben werden; auch Osiris wird durch den Löwen gehoben,
d. h. die Sonne gewinnt ihre alte Kraft wieder, wenn sie ins
Zeichen des Löwen eintritt. Die Träger des maurerischen Meister-
grades nennen sich »die Kinder der Witwe", weil die Sonne bei
ihrem Tode die Natur, für deren Jünger die Freimaurer sich
halten, als Witwe zurückläfst*)
Ein jetzt in Paris befindliches ägyptisches Mumiengemälde
stetlt sowohl den Tod und die Auferstehung Osiris’, als auch
den Beginn, Verlauf und Schlufs der Nil-Überschwemmung vor.
Das Zeichen des Löwen dient als Lagerstätte, auf welcher der
tote Gott ruht, und unterhalb dieses Lagers stehen vier ungleich
grofse Krüge, die den Stand des Nils zu verschiedenen Zeiten
veranschaulichen. Den Abschlufs des ersten Kruges bildet das
Haupt des Hundssternes Sirius, dessen Erscheinen das baldige
Austreten des Flusses ankündigt Das Zeichen des zweiten ist
ein Habichtkopf, das Sinnbild der Etesien (Nordwestwinde),
welche die Gewässer anschwellen lassen; der dritte weist einen
Reiherkopf auf, das Symbol des Südwindes, der das Wasser ms
Mittelländische Meer treibt; der vierte Krug endlich wird vom
Haupt der Jungfrau abgeschlossen, was die Bedeutung hat, dafs
nach dem Durchgang der Sonne durch dieses Zeichen die Über-
schwemmung fast aufgehört hat Das betreffende Gemälde weist
ferner einen grofsen Anubis auf, der - gegen Isis gewendet,
die einen leeren Thron auf dem Kopfe trägt — mit emphatischer
Gebärde andeutet, dafs die Sonne mit Hilfe des Löwen den
schwierigen Durchgang durch den Wendekreis des Krebses voll-
*) Übrigens knüpft die Bezeichnung »Kinder der Witwe“ viel-
leicht an die Manichäersekte an, deren Bekenner sich »Söhne der Witwe*
nannten.
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Royal Arch.
■111
zogen habe, sich bereits im Zeichen des letzteren befinde und,
obgleich noch erschöpft, bald in der Lage sein werde, ihren Weg
gen Süden anzutreten. Der leere Thron auf dem Haupte Isis’
soll an den Tod Osiris' erinnern. Warum der Habicht die
Etesien vertritt? Weil er um die Sommersonnenwende, wenn
der Wind von Nord nach Süd bläst, mit dem Wind südwärts
fliegt. (Vgl. das Buch Hiob, XXXIX, 26.) Der Reiher hin-
wiederum versinnbildlicht den Südwind, weil er von den Würmern
des Nilschlammes lebt und daher, gleich dem Südwind, dem
Flufslauf seewärts folgt. Um sich in ihrem eignen Interesse
über den Stand des Nils zu unterrichten, pflegten die alten
Ägypter die genannten Vögel zu beobachten - eine Gewohnheit,
aus der bei anderen Völkern, die den betreffenden Grundsatz
der Ägypter nicht kannten, das Wahrsagen nach dem Vogelflug
hervorging.
Der Flammende Stern, welcher sich in jeder Freimaurer-
loge dargestellt findet und den die „Brüder" merkwürdigerweise
als ein Sinnbild der Klughei t (? !) erklären, ist der Sirius, denn
der Austritt des Nils erfolgte, wenn die Sonne unter dem Stern-
bild des Löwen stand, ln der Nähe des Sternbildes des Krebses
sahen die Ägypter am Morgen - wenige Wochen nach dessen
Aufgehen - einen der glänzendsten Steme am Horizont erschei-
nen. Da dies knapp vor dem Sonnenaufgang geschah, wählten
sie diesen Stern als ein unfehlbares Zeichen des Durchgangs der
Sonne unter dem Sternbild des Löwen, folglich des Anfangs der
Überschwemmung. Wegen dieser ihm zugeschriebenen Wach-
samkeits- und Ankündigungs-Thätigkeit nannten sie ihn „Beller*,
„Anubis", „Thot*, d. h. „Hund". Bei den Hebräern hiefs er
Sihor, woraus die Griechen Seirios, die Römer Sirius machten.
Bei seinem Erscheinen hielten es die Ägypter für geraten, sich
auf Anhöhen zurückzuziehen, und die Freimaurer geben dem
Symbol, obgleich sie dessen Ursprung nicht kennen, seine ur-
sprüngliche sinnbildliche Bedeutung.
Royal Arcb.
Die Inhaber dieses Grades, der 1766 gegründet wurde,
heifsen „Genossen* oder „Gefährten“ (companions). Es giebt
neun Würdenträger, deren höchster Zerubabel genannt wird -
ein zusammengesetztes Wort, welches etwa „Herr des Lichts,
Sonne* bedeutet. Er baut den Tempel Salomos wieder auf und
stellt daher die wiedererstandene Sonne vor. Die nächsthohen
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412
Die Freimaurerei.
Funktionäre sind der Hohepriester Jeschua und der Prophet Hag-
gai, die zusammen mit Zerubabel den Grofsrat bilden. Dann
kommen der Haupt-, der erste und der zweite »Gast* an die
Reihe; ferner der erste Schreiber Esra und der zweite Schreiber
Nehemia; endlich der Ziegeldecker (Logenschliefser). Versammelt
bilden die Genossen die Seiten des Gewölbes, die Säulen Jachin
und Boaz darstellend. Vor dem » Hauptgast" steht ein Altar mit
den Namen Salomos, König Hirams und Hiram Abiffs.
Beim Betreten des Kapitels (= Loge) machen die Gefährten
das Trauerzeichen, womit sie die Trauer der Alten um den Ver-
lust Osiris’ andeuten wollen. Bei der Eröffnung eines Kapitels
müssen neun Genossen anwesend sein und gleichzeitig können
nicht mehr oder weniger als drei Personen mit dem Royal-Arch-
Grad belehnt werden ; neun und drei machen zwölf - die Zahl
der Zeichen des Tierkreises. Den Aufnahmebewerbern wird,
nachdem man ihnen die Augen verbunden, ein langes Seil sieben-
mal um den Leib gewunden ; das Seil verbindet sie mit einander
und sie haben es je drei Fufs lang lose zwischen sich hängen.
Sodann gehen sie unter dem lebenden Bogengewölbe hindurch,
welches die Anwesenden entweder durch das Eniporhalten ihrer
vereinigten Hände oder durch eine entsprechende Anordnung
ihrer Degen oder auch ihrer Stäbe bilden. Früher war diese Zere-
monie in manchen Logen mit allerlei rohen Späfsen verknüpft.
Die Genossen liefsen sich auf die Kandidaten fallen, sodafs diese
auf den Händen und Knien gehen mufsten. Gingen sie lang-
sam, so pflegten die Genossen sie durch Stiche mit spitzen
Gegenständen anzuspomen. Auch die Erprobungen der alten
Mysterien wurden zuweilen nachgeahmt Heutzutage jedoch
giebt es kaum mehr irgendwelche Royal-Arch-Logen, in denen
solche unwürdige Kindereien vorkämen.
Nach der Eidesleistung erklären die Kandidaten, gekommen
zu sein, um an dem Wiederaufbau des salomonischen Tempels
mitzuwirken. Sie empfangen Äxte, Schaufeln, Brechstangen etc.
und entfernen sich, um angeblich zu arbeiten. Nach kurzer Zeit
kehren sie mit der Meldung zurück, dafs sie beim Graben für
das neue Fundament ein unterirdisches Gewölbe entdeckt haben
und in diesem eine Rolle - das seit langem verlorene mosai-
sche Gesetzbuch. Sie beginnen ihre Scheinarbeit wieder und
entdecken ein zweites und unter diesem ein drittes Gewölbe.
Die jetzt im Zenith stehende Sonne bestrahlt den Mittelpunkt
und bescheint einen weifsen Marmoruntersatz, auf dem sich eine
Goldplatte befindet, welche ein Doppeldreieck aufweist, dessen
Inschrift sie nicht verstehen können, weshalb sie das Schildchen
Zerubabel vorlegen. Die rätselhafte Inschrift entpuppt sich als
das von der Freimaurerei so eifrig gesuchte, von den Königen
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Royal Arch.
413
Hiram und Salomo vergrabene (vgl. »Die Tempellegende") Meister-
wort Adonirams. Dieses Wort lautet »Jabulon" und ist aus den
Sonnennamen der Juden, Assyrer und Ägypter (Jah-Be![Baal]-On)
zusammengesetzt. Es ist das Logos Platos und Johannis, das
allschöpferische Wort. Den Aufnahmehewerbem wird es folgen-
dermafsen mitgeteilt. Die drei »Hauptgäste" und je drei Ge-
nossen bilden Dreiecke; jeder der Drei fafst seinen linken Neben-
mann beim rechten Handgelenk, seinen rechten Nebenmann beim
linken Handgelenk und mit den Füfsen wird ein, mit den Hän-
den werden zwei Dreiecke gebildet. In dieser Stellung sagen
sie — jeder eine Zeile — die folgende Strophe her;
»Wie wir drei übereingekommen sind,
ln Frieden, Liebe und Eintracht,
Das heilige Wort zu bewahren,
So kommen wir drei überein,
In Frieden, Liebe und Eintracht,
Das heilige Wort zu suchen,
Bis wir drei,
Oder drei wie wir, Übereinkommen werden,
Dies Royal-Arch-Kapitel zu schliefsen."
Die zu einem Dreieck verbundenen Hände werden möglichst
hoch erhoben und das Meisterwort wird von jedem einzelnen
silbenweise geflüstert Das »heilige" Wort darf nicht laut aus-
gesprochen werden, da sonst — wie beim Aussprechen der
Worte »Jehovah“ und »Oum" — eine Erschütterung von Himmel
und Erde zu befürchten wäre.
Der nächste Schritt ist, dafs Zerubabel die neuen »Ge-
fährten“ in die fünf Zeichen der Royal-Arch-Maurerei einweiht
und ihnen die Abzeichen dieses Grades verleiht: die Schürze,
die Schärpe und das Geschmeide. Das Schurzfell weist ein
dreifaches T auf — eines der ältesten Symbole, von den Frei-
maurern »das Zeichen der Zeichen* genannt und seinem Ur-
sprung nach bis zur Schöpfung zurückversetzt. Die Form des
Tau (T) entsprach der des altägyptischen Nilmessers, der zur
Feststellung des Überschwemmungs-Wasserstandes benutzt wurde.
Da nun das Leben und Gedeihen der Bevölkerung mit dem
Austritt des Nils eng verknüpft war, betrachtete man den Nil-
messer als Sinnbild der Gesundheit und des Wohlstandes; all-
mählich schrieb man ihm die Macht zu, Böses abzuwenden und
trug daher ein kleines T (auch Antoniuskreuz genannt) als Amu-
lett So fand das Tau bezw. das dreifache T Eingang in die
Freimaurersymbolik.
Wir gelangen jetzt zur Zeremonie des »Passierens des
Schleiers“ (Vorhangs), die allerdings nicht in sämtlichen Royal-
Arch-Kapiteln üblich ist. Der Kandidat wird mit verbundenen
Augen, entblöfsten Knien und abgetretenen Schuhsohlen herein-
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414
Die Freimaurerei.
geführt, ein Ankertau um die Hüften gewickelt tragend. Der
Hohepriester verliest die ersten sechs Verse des 3. Kapitels des
zweiten Buches Mosis, dann den 13. und 14. Vers, und sagt
dem Bewerber, »Ich bin der ich bin" sei das Passierwort vom
ersten zum zweiten Schleier. Man zeigt ihm einen brennenden
Busch und führt ihn zum zweiten Schleier. Das Losungswort
aussprechend, geht er vorbei und erblickt Arons Stab und die
Darstellung einer Schlange. Nunmehr verliest der Hohepriester
die ersten fünf Verse aus dem 4. Kapitel des zweiten Buches
Mosis und teilt ihm mit, dafs er zum Zeichen des Passierens der
Wache des zweiten Schleiers den vor ihn hingeworfenen Stab
aufheben müsse und dafs das Losungswort »Moses, Aaron und
Eleasar« laute. Nachdem der Neuling die Wache des dritten
Schleiers passiert hat, fährt der Hohepriester in seiner Vorlesung
bis zum Schlufs des 9. Verses fort und sagt jenem, dafs die
aussätzige Hand und das Vergiefsen des Wassers die Zeichen
des dritten Schleiers seien, der Satz »Heil dem Herrn!* aber
das Losungswort für das Allerheiligste bilde. Man zeigt ihm
ferner die Bundeslade, den Tisch mit dem Schaubrot, den
brennenden Weihrauch und den siebenarmigen Leuchter. Schliefs-
lich folgen langatmige, jedoch ziemlich wertlose und nichtssagende
Erläuterungen der Losungsworte und der Sinnbilder - unnützes
Phrasengeklingel, welches oft überdies völlig unwissenschaftlich ist
Grofsbaumeister.
So heifst der zwölfte Orad des Alten Schottenritus. Hier
stellt die Loge (das Kapitel) den Tempel Salomos in drei Ab-
teilungen dar. Zuerst das im Westen liegende weifsverhängte
Vestibül, an dessen Nordseite das weifse Grab Hirams steht,
während sich im Süden das Eherne Meer befindet Ein weifser
Vorhang trennt das Vestibül vom Innern des Tempels, d. h. der
Mitte der Loge. Hier bedeckt den Boden der schottische Teppich,
der die dreifache Ummauerung des Tempels zeigt und an dessen
Nordseite der goldne Tisch mit dem Schaubrot steht; im Süden
ist der siebenarmige Leuchter aufgestellt Auf dem Teppich
selbst ist der Weihrauchaltar errichtet, über welchem der hell-
erleuchtete Flammende Stern hängt. Die dritte Abteilung, das
Allerheiligste, befindet sich im Osten und ist vom Innern durch
einen roten Vorhang geschieden. In seiner Mitte steht ein sie-
benstufiger Altar, der die Stelle der Bundeslade vertritt und zwei
Cherubim aufweist, die vom Zeichen des Ruhmes Gottes über-
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Qrofsbaumeister.
415
ragt sind, nämlich von einer durchsichtigen Scheibe, in deren
Mitte ein Dreieck mit der Inschrift »7, 7, 74“ zu sehen ist
Über dem Altar brennt das ewige heilige Feuer in einem Ge-
fäfs. Der Meister sitzt an einem mit rotem Tuch bedeckten
Tischchen; das Tuch zeigt das Bundeswort und auf dem Tisch
liegt die Gewandung des Aufnahmebewerbers. Auf den Altar-
stufen brennen 81 Lichter, welche jedoch erst angezündet wer-
den, wenn dem Kandidaten das Licht des Allerheiligsten gezeigt
werden soll. Die Brüder tragen rotgestickte und rotgefütterte
Schürzen und von der rechten Schulter zur linken Hüfte gehende
Schärpen, von denen das Fünfeck oder eine goldne Medaille
herabhängt, auf deren beiden Seiten die Bauordnungen eingraviert
sind. Der Meister heilst »Mächtigster Oberbaumeister“, während
die beiden Aufseher »Alte schottische Großmeister* und die
Brüder »Vollkommene Bauherren“ genannt werden.
Bei der Eröffnung der Loge findet das in der Freimaurerei
übliche Frage- und Antwortspiel statt Hier eine Probe:
»Wo weilt der Mächtigste Oberbaumeister?* — »Im Osten,
im Allerheiligsten."
»Warum?* — »Damit er der Quelle alles Lichts nahe sei, um den
Brüdern den Weg von der Finsternis zum Licht weisen zu können.“
»Wie geschieht dies?« — »Durch das öffnen des Tempels;
durch Rat und Führung; durch Prüfung der Arbeit der schotti-
schen Bauherren."
»Nennet mir das Losungswort ! * — »Zididiac oderZedekiah.**)
»Nennet mir das heilige Wort!«
Die Brüder bilden eine Kette und flüstern einander ins Ohr
(der letzte dem Meister): »Jehova.*
»Welche Stunde ist jetzt?* — » Die erste Stunde des letzten
Tages des Jahres, in welchem Salomos Tempel vollendet wurde."
Die Brüder erheben ihre Schwerter und begrüfsen einander
durch das Kreuzen derselben; dann schultern sie sie links, nehmen
die Hüte ab und knien zum Gebet nieder. Während des letz-
tem machen sie das Grofse schottische Zeichen, d. h. sie halten
die Hand an die Stirne. Nach dem Gebet erheben sie sich
und setzen die Hüte wieder auf. Jetzt erklärt der Meister die
Loge zum Empfang des Kandidaten bereit, der nun mit verbun-
denen Augen feierlich hereingeführt wird, die Meisterschürze
umgegürtet und Pantoffel an den Füfsen. Der Zeremonien-
Grofsmeister erklärt ihn für einen Hiramiten, der von den Alten
Schotten einstimmig erkoren worden sei, ein Vollkommener Bau-
herr zu werden und am Bau des Allerheiligsten mitzuwirken.
Er mufs mit dem rechten Knie vor dem Grab oder Sarg Ado-
*) Zuweilen ist es »Rabacim*.
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Die Freimaurerei.
nirams auf einen Schemel niederknien und sich über seine Ab-
sichten ausfragen lassen. Dann wird er fünfmal und alsbald
wieder siebenmal im Saal umhergeführt und von der Augen-
binde befreit Man zeigt ihm das Grab Hirams und den Buch-
staben G im Flammenden Stern; derselbe soll hier nicht Geo-
metrie, sondern »Gnosis“ (= Erkenntnis) bedeuten, »das Erbe
der Vollkommenen Architekten“. Nach weiterem Ausfragen und
Predigen leistet der Neuling einen Eid, der ihm Verschwiegen-
heit und die Erfüllung gewisser Sittenpflichten auferlegt.
Nachdem die Mitglieder auf dem Teppich oder um ihn
herum abermals eine Anzahl von Evolutionen vollzogen haben,
ziehen sie ihre Degen, um sie hochzuhalten, zu kreuzen und
wieder in die Scheide zu stecken. Dem Novizen werden die
Augen neuerdings verbunden und die Brüder knien nieder mit
dem Gesicht gegen das Allerheiligste, in welchem jetzt die 81
Lichter angezündet werden. Man zieht den Vorhang weg, wirft
etwas Pulver auf den Weihrauchaltar und befreit den Vielgeplagten
von der Augenbinde. Der Grofsmeister hält eine erbauliche
Sittenpredigt, die Brüder schwingen ihre Schwerter und halten
sie, einen Kreis bildend, über dem Kopfe des Neulings zusammen,
der nun vom Vorsitzenden als ein vollkommener alter Schotti-
scher Bauherr erklärt und mit einem Degen auf dem Rücken,
auf der Brust und an den beiden Schultern berührt wird. Der
Grofsmeister händigt ihm dann dieses Schwert ein und hält aber-
mals eine lange Rede. Da der neue »Vollkommene“ schliefslich
doch auch in irgend ein Geheimnis eingeweiht werden mufs,
teilt man ihm mit, das heilige Wort sei »Jehovah“, werde aber
niemals aufserhalb des Allerheiligsten ausgesprochen. Auch das
Wort »Gomer“ wird benutzt, seine Bedeutung jedoch nicht
erklärt. Sonstige Geheimnisse giebt es in diesem Hochgrad
nicht und derselbe erinnert daher lebhaft an einen Ausspruch
Lessings. Dem berühmten Klassiker gegenüber drückte bald
nach seiner Aufnahme in den Freimaurerbund der Stuhlmeister
die Hoffnung aus, er habe in der Maurerei nichts Staats-, Re-
ligions- oder Sittenfeindliches gefunden. »Nein«, antwortete er,
»aber ich wollte, ich hätte derlei entdeckt, denn dann würde ich
wenigstens überhaupt etwas gefunden haben."
Ritter von Kadosch.
Dieser wahrscheinlich aus Ägypten stammende Hochgrad,
der dreifsigste des Alten und Angenommenen Schottenritus, ent-
hält eine schöne astronomische Allegorie. Das Wort »kadosch“
bedeutet »heilig“ oder »erkoren“. (Einst trug jeder Inhaber einer
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Ritter von Kadosch.
417
Ehrenstelle einen Stab, welcher ihn als kadosch, erwählt, geheiligt
kennzeichnete.) Die Loge besteht aus vier Gemächern, welche die
vier Jahreszeiten versinnbildlichen. Die Einweihung erfolgt im vierten.
Das erste Gemach ist schwarz verhängt und durch eine
dreieckige, von der gewölbten Decke herabhängende Lampe er-
leuchtet. Es steht in Verbindung mit einer Art Höhle oder
Kammer des Nachdenkens, welche verschiedene Symbole des
Todes und der Vernichtung enthält und in welcher der Kandidat
einige Zeit verweilt, ehe er das zweite, weifs drapierte Gemach
betritt, dessen Mitte von zwei Altären eingenommen ist. Auf
dem ersten steht eine mit brennendem Spiritus gefüllte Urne,
auf dem andern liegt Weihrauch und daneben eine Pfanne mit
Kohlenglut. Der Aufnahmebewerber sieht vor sich den Opfer-
priester, der einige Worte der Ermahnung an ihn richtet und
ihn, nachdem er etwas von dem Weihrauch verbrannt hat, ins
dritte Gemach gehen heilst. Dieser blau verhängte Raum, dessen
gewölbte Decke stemenbesät ist, heilst »Areopag“ und wird von
drei gelben Wachskerzen erleuchtet. Hier giebt der Novize die
Erklärung ab, dals seine Absichten ehrlich seien und dals er
alles geheimhalten wolle, worauf er in das rot verhängte vierte
Gemach geführt wird, in welchem zwölf gelbe Wachskerzen
brennen. Dort nimmt das Kapitel die Bezeichnung »Senat* an
und die Brüder heifsen „Ritter". Im Osten steht ein Thron,
überragt von einem gekrönten, in der Klaue ein Schwert halten-
den Doppeladler mit ausgebreiteten Schwingen.
Im vierten Gemach befindet sich auch die „geheimnisvolle
Leiter", deren sieben Sprossen den Durchgang der Sonne durch
die sieben Tierkreiszeichen vom Widder bis einschliefslich zur
Wage andeuten. Die Leiter hinansteigend, empfängt der Aspirant
auf jeder Sprosse die Erläuterung ihrer Bedeutung von einem
ihm unsichtbar bleibenden Hierophanten. (Auch in den alten
Mysterien blieb der Einweihungspriester unsichtbar.) Auf der
letzten Sprosse angelangt, darf er nicht denselben Weg zurück-
gehen (denn die Sonne geht nie zurück), sondern mufs über die
Leiter, welche zu diesem Zweck erniedrigt wird, hinwegschreiten.
Am Fufse der Leiter liest er die Inschrift „Ne plus ultra!*
Was den Sinn der sieben Stufen betrifft, so heilst die erste
Isedakah (= Gerechtigkeit), mit welchem Namen auf die Sonne
während der Frühlings-Nachtgleiche im März angespielt wird,
denn um diese Zeit sind die Tage und Nächte überall gleich und
die Sonne wendet ihre Gunst allen gleichmälsig zu. — Die zweite
Sprosse heilst Schor-laban (= weilser Ochse). Der Stier ist das
zweite Zeichen des Tierkreises; die Sonne tritt in dasselbe am
21. April ein. Dieser Eintritt wird von dem Untergang des Orion
und dem Aufgang der Plejaden begleitet. - Die dritte Sprosse
Heckethorn-Katscher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 27
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•m
Die Freimaurerei.
heilst »Mathok* (=■= Süfsigkeit). Das dritte Tierkreiszeichen sind
die Zwillinge, in das die Sonne im Mai eintritt. Die Plejaden,
welche bei dem einstigen Frühlingsanfang erschienen, wurden
von den Römern Vergilien genannt und ihr »süfser Einflurs* —
wie es bei Hiob heifst — segnet das Jahr durch den Beginn
des Frühlings. — Die vierte Stufe ist »Emunah“ (= Verhüllte
Wahrheit). In das vierte Zeichen, den Krebs, tritt die Sonne
im Juni — also zu einer Zeit, da Ägypten in Wolken und Staub
gehüllt ist, wodurch die Sonne, die bildliche Wahrheit, verdunkelt
oder verhüllt wird. - Mit der fünften Sprosse, »Hamal saggi“
(= grofse Arbeit), ist das fünfte Zeichen verknüpft: das des
Löwen ; die beträchtlichen Schwierigkeiten, denen die Sonne beim
Durchgang dieses Zeichens vermeintlich begegnet, haben wir
bereits im Kapitel »Einweihungszeremonien" erwähnt. — Die
sechste Sprosse heifst Sabbal“ (= Last oder Geduld). Das sechste
Tierkreiszeichen , durch das die Sonne geht, ist die Jungfrau.
Angekündigt wird der Durchgang von dem gänzlichen Ver-
schwinden der lernäischen Hydra vom Himmelszelt, worauf aus
ihrem Haupt der Grofse Hund und die Krabbe entspringen.
Herkules vernichtet die lernäische Hydra, wird aber von einer
Seekrabbe in den Fufs gebissen. Da für jeden Kopf, den er
abhieb, zwei andere nachwuchsen, wäre seine Arbeit endlos ge-
wesen, wenn er nicht auf den Gedanken gekommen wäre, das
Blut ausbrennen zu lassen. — Die siebente Stufe der Leiter -
welche, nebenbei bemerkt, der Leiter -der Hindumysterien, der
Jakobsleiter, den siebenstufigen Pyramiden und den sieben Höhlen
verschiedener alter Völker entspricht — wird »Gemunah, Binah, Je-
bunah“ (= Vergeltung, Verstand, Klugheit) genannt, ln das siebente
Zeichen, die Wage, tritt die Sonne bei Beginn des Herbstes.
Der Eintritt wird angezeigt durch das Erscheinen des Himmels-
Centauren - desselben, der Herkules so gastlich behandelte. Die
Sonne ist nun bei der herbstlichen Nachtgleiche angelangt, die
Früchte der Erde werden eingeheimst und der Landwirt findet
seinen Lohn nach Mafsgabe seiner Klugheit und seines Verstandes.
In früherer Zeit — vielleicht zuweilen noch heute — ge-
hörte zu den mit der Bewerbung um den Kadoschrittergrad ver-
knüpften Erprobungen auch die, dafs der Kandidat den Mörder
Hirams erdolchen, dessen Haupt zum Altar bringen und aus
einem Schädel Blut trinken mufste. Mit verbundenen Augen
legte er die Hand an das schlagende Herz eines lebenden Schafes
(die Wolle hatte man abrasiert) und stach in dasselbe, worauf
man ihm die Augenbinde abnahm und einen blutigen wächser-
nen Menschenkopf zeigte, der jedoch sofort entfernt wurde, damit
der Neuling die Täuschung nicht wahrnehme.
Prinz von Rose-Croix. (Adler-Ritter.)
419
Prinz von Rose-Croix. (Adler-Ritter).
Dieser Grad, der achtzehnte des alten und angenommenen
SchoOenritus, gehört zu den verbreitetsten Hochgraden der Frei-
maurerei. Sehr mit Unrecht wird er von den Unwissenden oft
mit den mystischen Rosenkreuzern verwechselt. Der Name kommt
von Rose und Kreuz, hat aber nichts mit Alchimie zu schaffen.
Der Ursprung des Grades ist in tiefstes Geheimnis gehüllt. Der
Grad selbst führt allerlei Beinamen, so: »Souveräne Prinzen von
Rose-Croix", »Prinzen von Rose-Croix de Heroden“ (d. h. des
heiligen Hauses, worunter der Tempel verstanden wird), .Ritter
vom Adler und Pelikan.“ Seine Inhaber halten ihn für das
non plus ultra der Feimaurerei, wie die Kadoschritter ihren
Grad als non plus ultra ansehen; das Gleiche gilt übrigens für
noch mehrere andere Hochgrade.
Der den Vorsitz führende Würdenträger heifst »Allezeit
Vollkommenster Souverän“, während die beiden Aufseher »Hoch-
würdigste und Vollkommenste Brüder“ genannt werden. Die
Verleihung des Grades erfolgt durch das »Kapitel der Souveränen
Prinzen von Rose-Croix“, u. zw. in drei Gemächern, welche
den Kalvarienberg, die Auferstehung und die Hölle darstellen.
Es handelt sich hier auch gar nicht um die eigentliche, sondern
um den Versuch einer verchristlichten Freimaurerei. Der schwarz
drapierte erste Raum wird durch drei Armleuchter zu je elf
Kerzen beleuchtet; die Zahl 33 spielt auf das Alter an, welches
Christus erreichte. Jedes Licht steckt in einer kleinen Blech-
büchse, die einen runden Einschnitt von einem Zoll Durchmesser
hat. ln drei Winkeln — dem nordöstlichen, dem südöstlichen
und dem südwestlichen - steht je eine mannshohe Säule; die
drei Kapitäle weisen je eines der Worte auf: Glaube, Hoffnung,
Liebe (Erbarmen). In jeder Loge hängt deren eigene Abbildung
mit vorgeschriebener Anordnung der Plätze ihrer Beamten und
Sinnbilder. In der östlichen, südlichen und nördlichen Ecke
sind Malereien zu sehen, welche die Sonne, den Mond und einen
teilweise dunkel bewölkten Sternenhimmel wiedergeben. Die
höchste Macht erscheint durch einen mit den Flügeln schlagen-
den Adler symbolisiert. Auch noch andere allegorische Malereien
sind vorhanden, darunter ein kubischer Stein, der Blut und
Wasser schwitzt und auf dem sich eine Rose und der Buch-
stabe J (= Jehovah) befinden. Der dieses Gemälde umgebende
quadratische Raum ist im Hinblick auf die Vorfälle bei der Kreu-
zigung Christi vollständig finster gehalten. Unter dem Bild sieht
man alles alte Maurerwerkzeug und die in viele Stücke geteilten
und zerbrochenen Säulen, weiter unten den entzweigerissenen
Tempelvorhang.
27*
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420
Die Freimaurerei.
Vor dem Meister steht ein kleiner Tisch mit drei brennen-
den Kerzen, dem Evangelium, dem Zirkel, dem Winkelmafs und
dem Dreieck. Alle Brüder sind schwarz gekleidet und tragen
schwarze, von der linken Schulter zur rechten Hüfte gehende
Schärpen und weifse, schwarzgeränderte Schürzen. Die Stickerei
auf der Schürze zeigt eine von einer Schlange und dem Buch-
staben J überragte Erdkugel, die Stickerei auf dem Latz einen
Totenschädel und gekreuzte Totenknochen zwischen drei roten
Rosen. Um den Hals haben der Meister und die Beamten ein
breites schwarzes Mohairband, an welchem das »Geschmeide“
hängt: ein von einer dreifachen Krone überragter Goldzirkel mit
einem Kreuz zwischen den Schenkeln und einer voll aufgeblühten
Rose in der Mitte; am Fufse des Kreuzes füttert ein Pelikan
seine Jungen an seiner Brust, auf der anderen Seite entfaltet ein
Aar seine Schwingen. Während der Adler die »Sonne der Recht-
fertigung“ vertritt, ist der Pelikan eine Anspielung auf Christus,
der sein Blut für die Menschheit vergossen hat.
Gehen wir nun zu den Einweihungszeremonien über. Im
ersten Gemach erscheint der Kandidat in schwarzer Kleidung
und rot gefütterter Schürze, geschmückt mit einem roten Band,
einem Schwert und einer Schärpe. Nach allerlei vorbereitenden
Zeremonien wird er hereingeführt und der Meister sagt ihm,
dafs das verlorene Wort, welches er sucht, ihm nicht mitgeteilt
werden könne, weil grofse Verwirrung herrsche, indem der
Tempelvorhang zerrissen, das Werkzeug zerbrochen sei, Finsternis
die Erde bedecke u. s. w.; doch möge er nicht verzweifeln, da
sie gewifs das neue Gesetz finden und dadurch das verlorene
Wort wiedererlangen würden. Inzwischen möge er 33 Jahre
auf Reisen verbringen. Der zweite Aufseher führt ihn 33 mal
rings um die Loge, ihm dabei die drei Säulen zeigend, ihre
Namen nennend und sie als seine künftigen Leitsterne bezeich-
nend, weshalb er sie seinem Gedächtnis gut einprägen solle.
Nach einer längeren Zwiesprache mufs er mit dem rechten Knie
auf das Evangelium niederknien und den folgenden Eid leisten:
» Ich verspreche in derselben Weise wie in den bisherigen Graden
die Geheimnisse der Adlerritter niemals zu enthüllen, widrigen-
falls ich auf immer des wahren Wortes beraubt werden möge,
ein Strom von Blut und Wasser unablässig aus meinem Leib
fliefsen, meine Seele Angst erleiden, mein Körper in Essig und
Galle getaucht, mein Kopf von Domen durchbohrt werden und
ich am Kreuz sterben soll. So helfe mir der grofse Welten-
baumeister!*
Nunmehr erhält er die Schürze und die Schärpe als Sinn-
bilder der Trauer um das verlorene Wort. Es folgt ein Ge-
spräch, in welchem die Hoffnung, das Wort wiederzufinden,
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Prinz von Rose-Croix. (Adler-Ritter.)
421
angedeutet wird, worauf der Meister und die Brüder sich ins
zweite Gemach begeben, wo sie ihre schwarzen Schürzen und
Schärpen gegen rote vertauschen. Dieser Raum ist mit Wand-
teppichen behängen und ebenfalls von drei elfarmigen Leuchtern
erhellt, doch stecken hier die Kerzen nicht in Blechbüchsen. Im
Osten steht ein von einer Wolke und einem Glorienschein um-
gebenes Kreuz, auf dem eine Paradiesrose sich befindet, in deren
Mitte der Buchstabe G prangt. Unterhalb sieht man drei Qua-
drate mit je einem Zirkel, deren jeder ein Dreieck enthält. Das
ist eine Allegorie des Kalvarienberges, auf welchem der grofse
Weltenbauherr verschied. Auf dem durch jene Darstellung ge-
bildeten Gipfel glänzt ein siebenstrahliger Flammender Stern,
in dessen Mitte abermals ein G erscheint. Auch dem Adler und
dem Pelikan begegnen wir hier wieder. Unterhalb ist das Grab
untergebracht. Im untern Teil des Quadrats sind sichtbar: der
Zirkel, das Zeichenbrett, das Brecheisen, die Kelle und das Win-
kelmafs. Auch an Abbildungen des kubischen Steins, des Ham-
mers und anderer Werkzeuge fehlt es nicht Die Fortsetzung
der Aufnahmefeierlichkeiten findet jedoch nicht hier statt, sondern
im dritten Gemach.
Das letztere soll die Höllenqualen darstellen und ist daher
recht gruselig eingerichtet. In sieben Armleuchtern brennen
Fackeln mit grauen Flammen in Gestalt von Totenschädeln und
-Knochen. An den Wänden hängen Teppiche, die mit Flammen
und Verdammten bemalt sind. Dem Kandidaten, der sich als
Forscher nach dem verlornen Wort vorstellt, werden Schärpe und
Schürze als nicht demütig genug abgenommen und dafür ein
mit Asche bestreutes schwarzes Tuch auf den Kopf gelegt, sodafs
er nichts sehen kann. Gleichzeitig teilt man ihm mit, er werde
an den denkbar dunkelsten Ort gebracht wrerden, von welchem
das gesuchte Wort zum Nutzen und Ruhm der Freimaurerei
emporkommen müsse. Er wird an einen steilen Abstieg geführt,
den er hin und her zurücklegen muss, worauf er zur Thüre ge-
bracht und von dem Kopftuch befreit wird. Er erblickt drei als
Teufel verkleidete Gestalten und geht zum Andenken an die
dreitägige Höllenfahrt dreimal schweigend im Saal auf und ab.
Sodann führt man ihn zu der mit schwarzem Tuch bedeckten
Saalthür und sagt ihm, dafs er seine ganze Kraft zusammen-
nehmen möge, da die von ihm bislang mitgemachten Schreck-
nisse geringfügig seien im Vergleich zu jenen, die er noch vor
sich habe, ln Wirklichkeit sind seine Erprobungen aber gänz-
lich vorbei und er wird sofort vor den Meister gebracht, der mit
ihm ein Gespräch beginnt:
w Woher kommst du?“ — »Aus Judäa.*
»Welchen Weg bist du gegangen?" — »Über Nazareth.“
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422
Die Freimaurerei.
»Von weichem Stamm bist du entsprossen?« - »Juda.«
»Nenne mir die vier Anfangsbuchstaben.“ — »I. N. R. I.«
»Was bedeuten diese Buchstaben?« — »Jesus von Nazareth,
König der Juden.«
Jetzt ruft der Meister: »Das Wort ist gefunden! Gebet
ihm das Licht wieder!« Der zweite Aufseher nimmt dem Neu-
ling rasch das Tuch ab und alle Anwesenden schlagen, dreimal
»Hurrah!« schreiend, dreimal in die Hände. Es erfolgt die Ein-
weihung in die »Ausweise« (Zeichen, Losungswort, Händedrücke
u. s. w.) und darauf die nähere Unterweisung durch den Meister.
In der Hauptsache erfährt der neue Adlerritter, dafs nach dem
Bau des Tempels Salomos die Maurer ihre Arbeiten zu vernach-
lässigen begannen, weshalb der kubische Eckstein Blut und Wasser
schwitzte, aus dem Gefüge gerissen wurde und mit dem ver-
fallenden Tempel zu Grunde ging, während die mystische Rose
an einem Kreuz geopfert worden sei. Dann sei die Maurerei
verfallen, die Erde verdunkelt, das Maurerwerkzeug zerbrochen
worden, der Flammende Stern verschwunden und das heilige
Wort verloren gegangen. Doch sei dadurch, dafs die Freimau-
rer die Worte »Glaube, Hoffnung und Liebe" kennen lernten
und das neue Gesetz befolgten, die Maurerei wiederhergestellt
worden, freilich bauen die Freimaurer nicht mehr wirkliche,
sondern geistige Gebäude. Die mystische Rose und der Flam-
mende Stern haben ihre alte Schönheit und ihren früheren Glanz
wiedererlangt.
Ursprünglich war dieser Hochgrad rein jesuitischer Art
und bezweckte die Wiederherstellung des Hauses Stuart.
Misraim- und Memphis- Ritus.
Zu den Abweichungen und Abwechslungen, welche die
ständigen Begleiter grofser Vereinigungen genannt werden können,
gehört in der Maurerei der Misraim-Ritus, so genannt, weil er
den unberechtigten Anspruch erhebt, von dem ägyptischen König
Misraim (Menas) abzustammen. Wodurch er sich von anderen
Riten hauptsächlich unterscheidet und was ihn gänzlich aus der
freimaurerischen Art schlagen läfst, das ist die aufserordentliche
Macht, die er den Oberhäuptern verleiht. Während die Maurerei,
um die Logen den Formen der echten Demokratie zugänglich
zu machen, die Unabsetzbarkeit der Lenker beseitigt hat, ist der
Misraim-Ritus streng autokratisch eingerichtet. Seine Logen
werden von einem einzigen und unverantwortlichen »Absolut
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Misraim- und Memphis- Ritus. 423
Souveränen Grofsmeister“ beherrscht. Ist es nicht höchst sonder-
bar, dafs im Rahmen einer freisinnigen Gesellschaft, welche seit
Jahrhunderten die unumschränkte Macht bekämpft, ein vereinzeltes
Mitglied diese Macht für sich in Anspruch nimmt?
Zu einer Zeit, da davon die Rede war, die bereits auf
fünf herabgesetzte Zahl der Grade des schottischen Ritus noch
weiter zu verringern, arbeitete Cagliostro dieser Vereinfachungs-
tendenz entgegen, indem er den Misraim-Ritus mit nicht weniger
als neunzig Graden (!) gründete. Diese zerfielen in siebzehn
Klassen, welche in vier „Sektionen“ gruppiert wurden: 1. die
symbolische, 2. die philosophische, 3. die mystische, 4. die
kabbalistische. Das Ritual ist ein Gemisch von Schottentum,
Martinismus und Tempelrittertum. Die „Absoluten Grofsmeister*
mafsen sich das Recht an, über alle Maurerlogen der Erde zu
herrschen. Die Grundlagen dieses Systems wurden 1805 zu
Mailand von mehreren Maurern geschaffen, die nicht in den
Höchsten Grofsrat (Konzil) aufgenommen worden waren. An-
fänglich konnten die gewöhnlichen Mitglieder nur bis zum 87.
Grad aufrücken, die drei letzten Grade umfafsten die - dem
„Plebs“ unbekannt gebliebenen - Oberhäupter.
Von Mailand aus verbreitete der Misraim-Orden sich nach
Dalmatien, den Ionischen Inseln und dem Königreich Neapel.
Erst 1814 fand er in Frankreich Eingang, wo die hochtrabenden
Namen seiner schier endlosen Rangstufenleiter grofse Anziehungs-
kraft ausübten. Nie zuvor hatte die Freimaurerei so grofsartige
Titel gekannt: „Höchstkommandierender der Sterne", „Souverän
der Souveräne", „Höchster und Mächtigster Regenbogenritter",
„Souveräner Grofsfürst Hirani", „Souveräne Grofsprinzen" u. s. w.
u. s. w. Es war ja auch keine Kleinigkeit, für volle neunzig
Grade Benennungen auszuklügeln! Die Einweihungserprobungen
waren langwierig und schwierig, denn sie beruhten auf den
Überlieferungen der ägyptischen und der eleusinischen Mysterien.
Die Stifter scheinen in den zwei ersten „Sektionen“ ein Sammel-
surium der Theorie und Praxis der schottischen Maurerei und
der altägyptischen Einweihungsgeheimnisse, in den zwei letzten
die gesamten chemisch-kabbalistischen Kenntnisse der ägyptischen
Priesterschaft zusammengebraut zu haben. In Paris besitzt der
Orden noch jetzt drei Logen, doch ist er vom französischen
Grofsorient nie als Bestandteil der Freimaurerei anerkannt worden.
Er wurde allmählich auch in Belgien, Schweden, der Schweiz,
Irland und zuletzt in England eingeführt, befindet sich aber
überall in einem Zustande des Siechtums.
Der Misraimritus feiert zwei Tag- und Nachtgleichenfeste:
„das Wiedererwachen der Natur“ und die „Ruhe der Natur“.
Im 69. Grad — dem der „Chanukaritter, genannt Hynaroth“ —
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424
Die Freimaurerei.
werden besondere Belehrungen erteilt über das Verhältnis des
Menschen zu Gott und über die kabbalistische Vermittlung der
Engel zwischen beiden. Der Grofsrat des 87. Grades hat drei
Gemächer: das erste stellt das Chaos vor, ist schwarz drapiert und
nur mit einer Kerze beleuchtet; im zweiten, welches die Hoffnung
bedeutet und daher grün verhängt ist, brennen drei Lichter; im
dritten 72 Kerzen und ein Transparent, das einen Thron und
darüber das Wort »Jehovah“ zeigt. Ein ähnliches Transparent
hängt über der Eingangsthüre. Das Erkennungszeichen besteht
im Erheben beider Hände gen Himmel, der »Griff“ im Kreuzen
der Hände. Die Losungsworte sind: »Ich bin — Wir sind;
Natur - Wahrheit“. Im 88. Grad ist der Einweihungssaal oval
und meergrün verhängt. Das Losungswort des 89. Grades
lautet »Lux ex tenebris". Der 90. Grad hält seine Versamm-
lungen in einem kreisrunden Gemach; das Losungswort ist
»Sophia« (= Weisheit), das »heilige" Wort »Isis«, die Antwort
hierauf »Osiris«.
Obgleich der Misraimritus aus dem 19. Jahrhundert stammt,
begegnen wir in ihm gnostisch-kabbalistischen Ausdrücken und
Vorstellungen. Das wäre unmöglich, wäre nicht die ganze Frei-
maurerei vom Gnostizismus durchdrungen. Eine Nachahmung
des Misraim-Ordens, der Memphisritus, wurde 1839 zu Paris
ins Leben gerufen und nachmals auch in Brüssel und Marseille
eingeführt Er bestand sogar aus 91 (!!) Graden in drei
»Sektionen“ und sieben Klassen. Ein in Paris gedruckter dicker
Band, »Das Heiligtum" betitelt, beschreibt die ganze Organisation
eingehend. Danach umfafst die erste Sektion Sittenlehre und
Symbol-Erläuterung, die zweite den Unterricht in der Natur-
geschichte und der Geschichtsphilosophie sowie die Erklärung der
dichterischen Mythen des Altertums; die dritte Sektion lehrt die
Geschichte des Ordens, studiert die Religionsmythen aller Zeiten
und beschäftigt sich mit höherer Philosophie.
Das Klerikat der Tempelherren.
Einige Höflinge Ludwigs XIV., darunter der Herzog von
Gramont, der Marquis von Biran und Graf Tallard, gründeten
einen Geheimbund zu Vergnügungszwecken. Derselbe hiefs
»Eine Wiedererweckung des Templerordens" und es traten ihm
viele Mitglieder bei, doch wurden sie, soweit ertappt, vom König
verbannt, als er die Satzungen kennen lernte. 1705 scharte
Herzog Philipp von Orleans die nichtverbannten Mitglieder zur
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Das Klerikat der Tempelherren.
425
Fortsetzung des ungestalteten Bundes um sich, der sich nun-
mehr auf die Politik verlegte. Ein gelehrter Schwindler, der
Jesuitenpater Bonnani, fabrizierte ein falsches Verzeichnis der an-
geblichen Grofsmeister des Templerordens seit seiner Unter-
drückung unter Molay. Nie ist ein Betrug mit gröfserer Geniali-
tät ins Werk gesetzt worden. Die Urkunde war so geschickt
gefälscht, dafs sich selbst die gewiegtesten Fachleute täuschen
liefsen; ihr Zweck war, die neue Gesellschaft mit dem alten
Templerorden unmittelbar zu verknüpfen. Um die Fälschung noch
zu steigern, wurde der die Liste enthaltende Band mit erdichteten
und angemessen datierten Protokollen von angeblichen Sitzungen
gefüllt. Man schickte sogar zwei Mitglieder nach Lissabon, um
von dem dortigen Orden der Christusritter, der aus den portu-
giesischen Trümmern des Templerordens hervorgegängen war,
Beglaubigungsschriftstücke zu erlangen; die beiden kamen dort
aber übel an. Sie wurden entlarvt und der eine nach Afrika
deportiert, während der andere froh war, nach England fliehen
zu können.
Die in Rede stehende Geheimgesellschaft war vermutlich
identisch mit derjenigen, welche sich vor dem Ausbruch der
Revolution unter dem Namen „Gesellschaft zum Stierkopf" ver-
barg und deren Mitglieder 1 792 zerstreut wurden. Damals war
der Herzog von Cosse-Brissac Grofsmeister. Auf dem Wege
nach Versailles, wo eine Gerichtsverhandlung gegen ihn und
seine Mitgefangenen stattfinden sollte, wurde er ermordet und
so gelangte sein Arzt Ledru in den Besitz der Bundespapiere.
Die Lektüre der Satzungen von 1705 und der sogen. Larmenius-
Charta brachten Ledru auf den Gedanken, den Orden wieder-
zubeleben. Nach der Wahl des Freimaurers Dr. Fabre de
Palaprat zum Grofsmeister wurden grofse Anstrengungen ge-
macht, den Glauben an die Echtheit des Tempelherrenklerikats
zu verbreiten. Auf der Jagd nach angeblichen Reliquien kaufte
man bei Antiquitätenhändlern den Degen, die Mitra und den
Helm Molays; auch zeigte man den Gläubigen seine, vorgeblich
von seinem Scheiterhaufen herabgenommenen Gebeine. Ganz in
der mittelalterlichen Weise forderte die Gesellschaft von ihren
Mitgliedern den Adel; wer ihn nicht von Geburt hatte, wurde
von ihr geadelt. Bei einer Gelegenheit verlieh sie nicht weniger
als vierzehn ehrsamen Bürgern der Stadt Troyes auf einmal
Adelsbriefe und Wappenschilder. Unter der Republik aufgelöst,
wurde der Orden unter dem Direktorium teilweise wiederher-
gestellt. Nach der Kaiserkrönung erfolgte die Wiederwahl
Palaprats, und Napoleon begünstigte den Bund, weil dieser ge-
eignet war, die Gemeinschaft der alten Aristokratie mit der neuen
kaiserlichen zu fördern. Unter der Restauration machte sich
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•126
Die Freimaurerei.
das Klerikat durch seine fortschrittlichen Gesinnungen verdächtig
und der Großmeister wanderte mehrmals ins Gefängnis. Die
modernen Tempelherren hatten übrigens auch die Absicht, die
Aufgabe ihrer einstigen Vorläufer — die Bekämpfung der Un-
gläubigen - zu der ihrigen zu machen. Zu diesem Behuf be-
mühten sie sich, freilich vergebens, eine Mittelmeerinsel zu er-
langen. Später wollte Sir Sidney Smith sich ihrer zur Unter-
drückung des Pirateiiunwesens an der afrikanischen Küste bedienen.
Ursprünglich streng katholisch und romfreundlich, nahm
die Gesellschaft keine Protestanten auf. Nachmals jedoch ver-
wandelte Fabre-Palaprat diese Tendenz in die gegenteilige. Er
hatte nämlich eine griechische Handschrift aus dem 15. Jahr-
hundert erworben, eine von der anerkannten abweichenden Les-
art des Evangeliums Johannis, eingeleitet von dem „Levitikon«
des griechischen Mönches Nikephoros. Um 1815 beschlofs er
nun, die Lehren dieser Schrift auf seinen Geheimbund anzu-
wenden und denselben aus einem orthodoxen in einen schisma-
tischen umzugestalten. Nikephoros war in die Mysterien des
Suphismus eingeweiht worden, welcher im Schofs des Mohamme-
danismus die düsteren Lehren der Ischmaeliten — der Gründer
der Weisheitsloge zu Kairo, des Assassinentums, der Roschenia
u. s. w. — noch heute fortpflanzt. Um den Suphismus auf das
Christentum anzuwenden, schrieb er das »Levitikon", das dann
die Bibel einer geringen Anzahl von Sektierern wurde, die aller-
dings bald verfolgt und zerstreut wurden. 1822 übersetzte
Palaprat dieses sonderbare Werk ins Französische und liefs es
mit eigenen Einschaltungen und Abänderungen drucken - eine
Veröffentlichung, welche unter den Mitgliedern des Klerikats ein
Schisma verursachte. Jene Ritter, welche die darin verfochtenen
Lehren annahmen, machten diese zur Grundlage einer neuen
Liturgie. Die letztere wurde 1833 der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht, und zwar im »Tempel", einer mit grofser Feierlichkeit
eingeweihten Johanniterkirche. Gleichzeitig trat als Zweig des
Klerikats ein »Bund der Tempeldamen* ins Leben.
Die Logen heifsen »Lager" und die Beamten führen die-
selben Namen wie die des mittelalterlichen Templerordens. Das
»grofse“ Erkennungszeichen bildet eine Anspielung auf die
Kreuzigung Christi. Die Ritter tragen die Rittertracht einschliefs-
lich des Schwertes. Was die Einweihungszeremonien betrifft, so
erscheint der Kandidat bei denselben als Pilger in Sandalen und
Mantel, mit Stab, Kreuz, Tasche und Ränzel, um den Leib einen
Gürtel oder eine Schnur; in manchen Lagern trägt er auf dem
Rücken eine Last, welche ihm beim Anblick des Kreuzes abfällt.
Bei seinem Herannahen ertönt ein Trompetensignal ; nach längeren
Unterhandlungen in pseudomilitärischer Sprache wird er einge-
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Das Klerikat der Tempelherren.
427
lassen und sieht die Ritter unter Waffen vor sieh. Nachdem der
zweite Kapitän mit einer Säge an seiner Stirn herumhantiert hat,
erklärt der Bewerber — dem der Zeremonienmeister alles ein-
sagt - ein müder Pilger zu sein, der bereit sei, sich dem
Dienste der Armen und Kranken zu widmen und das heilige
Grab zu schützen. Darauf durchschreitet er das Lager sieben-
mal, legt Stab und Kreuz ab, nimmt ein Schwert in die Hand
und schwört, das Grab des Herrn »gegen alle Juden, Türken,
Ungläubigen, Heiden und andere Feinde des Evangeliums“
verteidigen zu wollen. »Wenn ich diesen meinen feierlichen
Eid als Bruder Tempelritter je absichtlich verletzen sollte, möge
mir der Schädel entzweigesägt, das Gehirn herausgenommen und
in einem Napf der sengenden Sonne ausgesetzt werden und
mein Schädel in einem andern Napf - zur Erinnerung an den
heiligen Johannes von Jerusalem, den ersten getreuen Soldaten
und Märtyrer unseres Herrn und Erlösers. Ferner möge dann
die Seele, welche gegenwärtig diesen Schädel bewohnt, beim
Jüngsten Gericht gegen mich Zeugenschaft ablegen. So wahr
mir Gott helfe!" Jetzt wird ihm eine brennende Wachskerze
in die Hand gegeben, er geht damit, »in feierliche Betrachtungen
versunken“, fünfmal auf und ab und kniet schliefslich nieder,
um vom Grofskomtur zum Ritter geschlagen zu werden mit den
Worten: »Ich setze dich hiermit ein zum maurerischen Ritter
des Johanniterordens von Jerusalem, Rhodus und Malta, wie auch
zum Tempelherrn.“ Nun übergrebt der Grofskomtur ihm
Mantel, Schürze, Schärpe, Geschmeide, Schwert und Schild und
unterweist ihn in den Ausweisen wie auch in dem Ordensmotto
(»In hoc signo vinces“).
In England hält das Baldwinsche »Lager“, das zu Bristol
angeblich von den mit Richard Löwenherz aus Palästina zurück-
gekehrten Tempelherren errichtet wurde, noch immer regelmäfsige
Versammlungen ab, und man glaubt, dafs es die alten Zere-
monien und Trachten des Templerordens fortpflanzt. Auch in
Bath und York giebt es Lager. Aus diesen drei Lagern gingen
alle übrigen grofsbritannischen und amerikanischen Lager hervor.
In einigen Lagern spielt sich der Schlufs der Einweihungsfeier-
lichkeiten folgendermafsen ab. Einer der Ordens-Stallmeister
stürzt in der weifsen Schürze und Mütze eines Kochs mit einem
grofsen Küchenmesser in der Hand plötzlich herein, kniet auf
einem Knie vor dem neuen Ritter nieder und spricht: »Herr
Ritter, ich ermahne euch, gerecht, ehrenhaft und dem Orden treu
zu sein, widrigenfalls ich, der Koch, euch mit meinem Küchen-
messer die Sporen von den Fersen abhauen würde."
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428
Die Freimaurerei.
Die Freimaurerei in Grofsbritannien und Frankreich.
Die beglaubigte Geschichte der englischen wirklichen
Maurerei — nicht der geistigen — begann unter König Ethelstan,
von dem sein Bruder Edwin eine Charta erlangte, welche die
Maurerei ermächtigte, alljährlich eine Hauptversammlung abzu-
halten und ihre Bundesangelegenheiten selbständig zu regeln.
Demgemäfs trat die erste Grofsloge von England im Jahre 936
in York zusammen. Damals wurden alle einschlägigen griechischen,
lateinischen, französischen und anderen Schriften und Berichte
gesammelt und auf Grund der betreffenden alten Bräuche Vor-
schriften und »Konstitutionen“ festgestellt und angenommen. Aus
dieser Ursache genossen die Yorker Maurer seither grofses An-
sehen, und hiervon rührt es, dafs die »echte“ oder »blaue*
Freimaurerei nachmals die Bezeichnung »York-Ritus“ annahm.
Nach Edwins Tod safs Ethelstan selber den Logen vor und seine
nächsten Nachfolger waren Dunstan der Heilige — Erzbischof
von Canterbury — und Eduard der Bekenner. Bis zur Gegen-
wart sind die Grofsmeister Angehörige der jeweiligen Dynastie
gewesen, zuweilen der König selbst. Wie bereits erwähnt, blieb
der Bund bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts hinein größten-
teils auf wirkliche Bauarbeiter und Baukünstler beschränkt. Trotz
des königlichen Schutzes erlitt er wiederholt staatliche Verfolgungen,
aber diese waren viel seltener und von kürzerer Dauer als in
anderen Ländern.
Eine Überlieferung behauptet, dafs nach der Vernichtung
des Templerordens viele Tempelherren nach Schottland flüchteten,
wo sie sich unter dem Schutze von Robert Bruce den Frei-
maurern anschlossen. Es giebt einen maurerischen Grad, ge-
nannt »Prinzen von Rose-Croix de Heroden“ (französisch
„Heredom"). In einer den Alten Schottenritus betreffenden, ziem-
lich alten Handschrift ist zu lesen, dafs „Heroden" ein im Nord-
westen Schottlands gelegener Berg war, auf dem die flüchtigen
Tempelritter eine sichere Zuflucht fanden. Dem steht die An-
sicht anderer Autoren gegenüber, das Wort Heredom sei ledig-
lich eine Entstellung des lateinischen »haeredium» (Erbschaft)
und spiele auf das Schlofs St-Germain an, die Residenz des
Kronprätendenten Karl Stuart, dessen Wiedereinsetzung der Hoch-
grad „Rose-Croix“ anstrebte. Die Sache ist ganz dunkel und
verworren, aber es lohnt wirklich nicht, ihr weiter nachzugehen.
König Robert Bruce bemühte sich, die Oberleitung des Bundes
zu erlangen, der zwar der herrschenden Gewalt nicht feindlich
gesinnt war, jedoch unter Umständen durch ihre Organisation
gefährlich werden konnte. Es wird vielfach geglaubt, dafs Bruce
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Die Freimaurerei in Orofsbritannien und Frankreich.
429
sich und seinen Nachfolgern die Grofsmeisterwürde des Ordens
vorbehielt, namentlich der Herodenloge, welche später nach Edin-
burg verlegt wurde.
Bei der weiter oben (»Geschichte«) eingehend behandelten,
von London ausgegangenen Neugestaltung der Freimaurerei
wurden die alten »Konstitutionen«, Merkzeichen, Sinnbilder und
Feierlichkeiten beibehalten. Der Bund, welcher Bruderliebe, Bei-
stand und Wahrheit als seine leitenden Grundsätze hinstellte, er-
langte durch die Umwandlung ein gröfseres Thätigkeitsgebiet und
mehr Bewegungsfreiheit; allein in Grofsbritannien werden diese
Vorteile lediglich zum Essen, zum Trinken und zum Mummen-
schanz benutzt. Die britische Freimaurerei leistet nichts Nennens-
wertes auf geistigem Gebiete, denn dem Jdeinlichen Hader
zwischen den verschiedenen Logengattungen kann man keine
geistige Bedeutung für die Welt beimessen. Nur auf dem Ge-
biete der Wohlthätigkeit leisten speziell die englischen Frei-
maurer Ansehnliches, aber angesichts der ungeheuren Brüderzahl
mufs auch das als unzulänglich bezeichnet werden. (In anderen
Ländern kommt es überdies vor, dafs die Logenwohithätigkeits-
partei von politischen Rücksichten beeinflufst wird; so z. B.
weigerte sich 1874 die Philadelphialoge zu Verviers, das Rote
Kreuz zu unterstützen, weil dieses in Spanien gegebenenfalls
nicht nur den Verfassungstreuen, sondern auch den Karlisten
zu Hilfe kommen müfste.) Und dabei leugnen die Maurer mit
Vorliebe, einem vorwiegend wohlthätigen Bund anzugehören —
namentlich die französischen.
Was Frankreich betrifft, so gelangte die Freimaurerei dahin
durch die Anhänger Jakobs und des Prätendenten, die in ihr
einen Behelf zur Wiedereinsetzung der Stuart- Dynastie erblickten.
Die Betreffenden begnügten sich aber nicht mit dem Mifsbrauch
der Maurerei zu neuartigen und unrechtmäfsigen Zwecken, sie
führten auch neue Grade ein, z. B. »Irischer Meister«, »Voll-
kommener Irischer Meister“, »Mächtiger Irischer Meister«. Die
Mitgliedschaft wie die pekuniäre und moralische Unterstützung
des Hochadels sicherten sie sich dadurch, dafs sie die Enthüllung
wichtiger Geheimnisse in Aussicht stellten und den Glauben zu
erwecken wufsten, die Freimaurer seien die Nachfolger der
Templer. Die erste französische Loge, die »zur Freundschaft
und Brüderlichkeit«, wurde 1721 in Dünkirchen errichtet. Vier
Jahre später gründete Lord Derwentwater zu Paris die zweite,
deren Name unbekannt geblieben. Dieser Lord, der wegen
seiner Hingabe an die Sache der Stuarts im Jahre 1746 hin-
gerichtet wurde, stand als Grofsmeister an der Spitze noch
anderer, von Parteigängern jenes Hauses ins Leben gerufenen
Logen.
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430
Dfe FrtmiAujerei.
Praktischer ging ein anderer eifriger Freund der Stuarts,
Chevalier Ramsay, vor, indem er 1730 zunächst in London
auf eine maurerische Reform hinwirkte, welche darauf hinaus-
laufen sollte, dafs die »Legende“ auf den gewaltsamen Tod
Karls I. bezogen werden und die in der Loge zu verdammenden
Mörder Cromwell und dessen Anhänger sein sollten. Er schlug
der Orofsloge von England vor, die üblichen drei ersten Grade
(Lehrling, Geselle, Meister), durch drei andere (»Schottischer
Maurer“, »Novize“, »Tempelritter") zu ersetzen, die er als die
einzig echten und alten erklärte. Aber die Grofsloge durch-
schaute seine politischen Hintergedanken und lehnte ab, worauf
er nach Paris ging, wo seine Pläne viel Anklang fanden. Sein
»System“ führte zur Bildung jener Hochgrade, welche unter dem
Sammelnamen »Alter Schottenritus" bekannt sind. Die Un-
vereinbarkeit vieler dieser Neuerungen mit den Überlieferungen
der Freimaurerei wurde durch den Glanz der Dekorationen und
die Prunkhaftigkeit der Zeremonien verhüllt. Aber die Hoch-
grade des französischen und die philosophischen Grade des alten
schottischen Ritus sind keine Neuerungen, sondern Illustrationen
der rein symbolischen Maurerei.
Die Philosophie begann in die Maurerei Eingang zu finden
und deren Riten zu vereinfachen, ihre Lehren zu klären. Zu
den bemerkenswertesten philosophischen Graden des 18. Jahr-
hunderts gehörte der »Sonnenritter“. Er bezeichnete es als
seinen Zweck, an die Stelle der offenbarten Religion die Natur-
religion zu setzen. Die Loge war nur von einem Lichte er-
leuchtet, das hinter einer Wasserkugel brannte, welche die Sonne
darstellte. Die „Sonnenritter“ ähnelten einigermafsen den „Er-
habenen Erwählten Rittern«. Anderseits hatte das Eindringen der
Philosophie in die Freimaurerei den Nachteil, dafs letztere zu
allerlei Dingen mifsbraucht wurde, die mit ihr nichts zu schaffen
haben. In manchen Logen lehrte man Kabbala, Zauberei, Geister-
beschwörung, Wahrsagekunst, Alchimie, Teufelsglauben u. dgl. m.
Diese Verirrungen führten dazu, dafs 1747 in Arras und vier
Jahre darauf in Marseille Verwaltungsmittelpunkte ins Leben
traten. 1754 stiftete Ritter von Bonneville zu Paris in einem
von ihm erbauten prachtvollen Palast das „Clermontsche Hoch-
kapitel“, welches auf ähnlichen Grundlagen beruhte wie das
Ramsaysche System. Gegner desselben gründeten 1762 den
„Rat der Ritter vom Orient“. Auch an einer Loge der
„Kaiser vom Morgen- und Abendland" fehlte es nicht. Der
1766 von Baron Tschudi ins Dasein gerufene „Orden vom
Flammenden Stern“ hatte zur Grundlage ein seltsames Gemisch
von tempelritterlichen und jesuitischen Ideen und Begriffen.
Das französische Maurertum blieb nicht ohne Einflufs auf
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Clermontsches Hochkapitel, strikte und laxe Observanz.
431
die Revolution. Nach der Wahl des Herzogs von Chartres zum
Orofsmeister wurden alle Logen zu einem Grofsorient vereinigt,
dessen Rolle bei der Vorbereitung der Revolution ebenso
historisch ist wie der gewaltige Einflufs des Herzogs, der den
Grofsorient für seine politischen Ziele ausbeutete. Die Art und
Weise seiner Einweihung in den Kadoschrittergrad wird folgender-
mafsen erzählt. Fünf Brüder führten ihn in einen Saal, der in
eine mit menschlichen Gebeinen besäte und von Grablampen be-
leuchtete Grotte verwandelt worden war. In einem Winkel be-
fand sich eine mit den Abzeichen des Königtums versehene
Gliederpuppe. Die Einführer befahlen dem Herzog, sich wie
tot auf den Boden zu legen, zählten die Grade auf, die er be-
reits hinter sich hatte, wiederholten seine früheren Eide und lob-
priesen den Grad, in welchen er nunmehr aufgenommen werden
sollte. Dann liefsen sie ihn aufstehen und eine hohe Leiter er-
klimmen, von deren höchster Sprosse er hinabspringen mufste.
Nachher bewaffneten sie ihn mit einem Dolch und beauftragten
ihn, die gekrönte Gliederpuppe zu erstechen; aus der Wunde
spritzte ihm eine blutähnliche Flüssigkeit auf die Hände und
Kleider., Ferner mufste er der Gestalt den Kopf abhauen und
schliefslich wurde ihm mitgeteilt, dafs er König Philipp den
Schönen erschlagen habe und dafs die umhergestreuten Gebeine
diejenigen des Templer-Grofsmeisters Molay seien.
Clermontsches Hochkapitel, strikte und laxe Observanz.
Zwischen 1735 und 1740 wurde die Freimaurerei mit
katholischen Zeremonien bereichert, die ihr früher unbekannt
waren. Dies geschah durch das Clermontsche Hochkapitel, so
genannt zu Ehren Ludwigs von Bourbon, Prinzen von Clermont,
der damals französischer Orofsmeister der Maurerbrüderschaft
war. Seither gewannen die Jesuiten auf die letztere einen immer
gröfseren Einflufs. Der Aufnahmebewerber wurde nicht in einer
Loge, sondern in Jerusalem empfangen, aber keinem geistigen Jeru-
salem, sondern einem geistlichen, Rom bedeutenden. Die Ver-
sammlungen hiefsen „kanonische Kapitel" und in ihnen herrschte
mönchische Redeweise und Askese. Die Satzungen, vom zweiten
Jesuitengeneral Lainez verfafst oder inspiriert, verraten die Sucht
nach allgemeiner Herrschaft, denn bei der Aufnahme der Erha-
benen Ritter werden dem Kandidaten die zwei letzten Kapitel
der Apokalypse vorgelesen — eine glühende Darstellung des
allumfassenden Reichs, des Gegenstandes der Sehnsucht der
Jesuiten. Der neue Orden fand eine sehr schnelle Verbreitung;
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432
Die Freimaurerei.
als der 1742 zu Paris in dessen höchste Grade eingeweihte
Reichsfreiherr Karl Gotthold v. Hundt nach Deutschland zurück-
kehrte, entdeckte er, dafs jene Grade unter der Leitung Marshalls
bereits in Sachsen und Thüringen eingeführt waren.
ln Gemeinschaft mit Marshall rief Hundt den .Ritus von
der strikten Observanz» ins Leben, der seinen Namen seinem
strengen mönchischen Unterordnungswesen verdankte. Eine Zeit-
lang schien diese neue Schöpfung den Zweck zu haben, die
Hoffnungen des Hauses Stuart zu nähren. Marshall war nämlich,
als er 1741 Paris besuchte, daselbst mit Ramsay und den übri-
gen hervorragenderen Anhängern der verbannten Dynastie in
enge Beziehungen getreten, und Hundt bewegte sich auf derselben
Bahn, indem er den Clermontschen Ritus mit alttemplerischen
Elementen verquickte und in Deutschland eine, mit keiner andern
zu verwechselnde »Neue» Tempelherrensekte stiftete. In Wirk-
lichkeit jedoch scheint der Baron den Stuarts nicht von Nutzen
gewesen zu sein. Allerdings wurde Karl Eduard, als er Deutsch-
land besuchte, von den Mitgliedern der Sekte sehr zuvorkommend
empfangen ; sie versprachen ihm den ausgedehntesten Beistand,
unterliefsen aber freilich auch nicht, sich bei ihm für den Fall
des Gelingens auf Titel und Würden vorzumerken. Hundt selbst
dürfte bei der ganzen Sache nur die Rolle eines Spekulanten
gespielt haben, und der von jesuitischem Sauerteig durchsetzte
Ritus von der strikten Observanz hatte wahrscheinlich insgeheim
einen ganz andern Zweck als die Wiedereinsetzung der vertrie-
benen Königsfamilie. Thatsaehe ist, dafs die Sekte der Neuen
Templer zu einer Zeit grofse Macht besafs und die Vorläuferin
des bayrischen Illuminatenordens war.
1767 ereignete sich zu Wien im Schofs der Strikten Ob-
servanz ein Schisma; die sich Lostrennenden traten zu einem
»Ritus der laxen Observanz" zusammen. Sie behaupteten, im
Alleinbesitz der maurerischen Geheimnisse zu sein und das Ver-
steck der herrlichen Schätze des mittelalterlichen Templerordens
zu kennen. Demgemäfs beanspruchten sie den Vorrang vor
sämtlichen übrigen Freimaurer-Riten und -Systemen. Ihre Ver-
sprechungen und Unterweisungen drehten sich um den Stein
der Weisen, die Beherrschung der Geisterwelt und das Tausend-
jährige Reich Christi. Nur römisch-katholische Kandidaten wur-
den aufgenommen, u. zw. blofs solche, die bereits alle Grade
der Strikten Observanz hinter sich hatten. Die Mitglieder kannten
lediglich ihre unmittelbaren Vorgesetzten; doch wufste man, dafs
der Hofprediger Dr. Stark in Königsberg und der mecklenbur-
gische Baron Raven mit an der Spitze des Ritus standen.
Unterschiedliche deutsche Logen hatten schon vor der
Entstehung der Strikten Observanz das Templertum eingeführt.
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Clermontsches Hochkapitel, strikte und laxe Observanz.
433
Infolge der dadurch hervorgerufenen Zwistigkeiten fand in
Braunschweig im Mai 1775 ein »Konvent" statt, auf welchem
Dr. Stark auftrat, der ein Jünger des Betrügers und Geistersehers
Schröpfer und des Schwindlers Gugumos war. (Der letztere nannte
sich Hohepriester, Ritter, Fürst, Inhaber des Steins der Weisen,
Besitzer des Geheimnisses der Geisterbeschwörung u. s. w.)
Stark erklärte unverfroren, er führe den Beinamen »Archimedes
ab aquila fulva", sei Kanzler des Grofskapitels von Schottland
und habe von diesem den Auftrag erhalten, den Konvent in den
wahren Grundsätzen der Maurerei zu unterrichten. Als man ihm
aber sein Beglaubigungsschreiben abverlangte, wollte oder konnte
er es nicht vorzeigen, und als die Braunschweiger eine Abord-
nung direkt nach Aberdeen, dem Sitz des »Grofskapitels“, ent-
sandten, erfuhren sie, dafs das letztere keine unbekannten Ge-
heimnisse habe, vielmehr nur die drei untersten Grade der Frei-
maurerei kenne, also noch weniger wisse als die deutschen Maurer.
Allein der entlarvte Dr. Stark bewahrte seine Seelenruhe und
schrieb ein Buch, in welchem er die Strikte Observanz als staats-,
gesellschafts- und religionsfeindlich hinstellte. Dasselbe betitelt
sich: »Der Stein des Anstofses und Fels der Ärgernis, allen
meinen deutschen Mitbürgern in und aufser der siebenten Pro-
vinz entdeckt, ich weifs nicht von wem" (1780).
Der Starksche Angriff auf das Hundtsche System war nicht
der erste. Graf Zinzendorf, ein preufsischer Oberstabsarzt, der
in die Strikte Observanz aufgenommen und daher aus der Logen-
liste der Drei Weltkugeln gestrichen worden war, rächte sich an
beiden Systemen durch die Gründung von templerischen Logen
in Berlin und Potsdam, die er jedoch bald aufgab, um einen
ganz neuen Ritus zu erfinden: den aus sieben Graden bestehen-
den Zinzendorfschen, den Friedrich der Grofse begünstigte. Der
neue Orden bekämpfte sowohl die Strikte als auch die Laxe
Observanz heftig und erfolgreich.
Um das Jahr 1765 gründete der »Bruder" v. Köpper in
Preufsen den Bund der »Afrikanischen Bauherren" — ein Ge-
misch von Geschichtsforschung und naturwissenschaftlichem Stu-
dium mit Maurerei und Rittertum. Der in elf Grade eingeteilte
Bund errichtete ein Riesengebäude mit einer grofsen Bücherei,
einer naturgeschichtlichen Sammlung und einem chemischen
Laboratorium. Bis zu ihrer Auflösung (1786) bewilligte die
Gesellschaft alljährlich eine goldene Medaille und 50 Dukaten
dem Verfasser der besten maurerischen Schrift, die dann von
ihr veröffentlicht wurde. Sie gehörte zu den wenigen vernünf-
tigen Maurergesellschaften, denn die afrikanischen Bauherren
hielten nichts von Äufserlichkeiten (Schurzfell, Geschmeide, Ver-
zierungen etc.), füllten ihre Versammlungen mit Vorträgen und
Heckethorn-Kattcher, Geheimbünde u. Gchcimlchren. 28
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434
Die Freimaurerei.
wissenschaftlichen Verhandlungen aus, hielten bei ihren einfachen
und würdigen Mahlzeiten belehrende Ansprachen, liefsen sich für
die Einweihung von Mitgliedern nichts bezahlen und unterstützten
arme Brüder reichlich.
Was die Organisation betrifft, so waren die Afrikanischen
Bauherren in zwei Gruppen geteilt. Die erste umfafste fünf
Grade: 1. Lehrling der ägyptischen Geheimnisse; 2. in die
ägeischen Geheimnisse Eingeweihter; 3. Kosmopolit; 4. christ-
licher Philosoph; 5. Wahrheitsliebender („aletophile"). ln der
zweiten („inneren“) Gruppe gab es nur drei Grade: 1. Armiger,
dem die Bedeutung der Worte „Fos Braeder“ und „Gälde“
erklärt wurde; 2. Miles, dem man mitteilte, dafs die Buchstaben
G und L nicht „Geometrie“ und „Logik“ bedeuten, sondern
die Anfangsbuchstaben des Namens des Ordensstifters seien;
3. Eques (Ritter), dem ein Ring verliehen wurde, den er am
Ringfinger der rechten Hand oder an der Uhr trug und der
aus goldnen Liebesknoten und den Buchstaben R. S. gebildet
war. Die Mitglieder nannten sich „aediles" (Architekten) und
sprachen bei ihren Zusammenkünften lateinisch. Alle ihre Bücher
waren in rotem Maroquin gebunden und mit Goldschnitt ver-
sehen. Ihr Hauptarchiv befand sich in der Schweiz an einem
geheimgehaltenen Ort. Die Wände des Einweihungssaales waren
entweder mit gefüllten Büchergestellen oder mit schönen Fresken
geschmückt. Wer einen Aufnahmebewerber einführte, trug ein
blaues Atlasgewand; der Meister safs an einem Tisch, auf welchem
ein Globus stand und mathematische Instrumente lagen. Die
Kandidaten mufsten Gelehrte oder Künstler sein und Proben
ihrer Tüchtigkeit ablegen. Der Vorgang bei den Verhandlungen
war grofsenteils dem der französischen Akademie nachgebildet.
Der Wilhelmsbader Konvent.
Im Laufe der Zeit kam es zwischen den verschiedenartigen
maurerischen Vereinigungen zu so vielen und teilweise heftigen
Streitigkeiten, dafs zu deren Schlichtung mehrere Konvente
oder Kongresse abgehalten wurden. Der Lyoner (1778) verlief
ergebnislos, obgleich er einen ganzen Monat dauerte, und auch
bei dem Pariser (1785) kam nichts heraus, da man die Zeit an
unfruchtbare Debatten mit Cagliostro verschwendete. Am wich-
tigsten und erfolgreichsten war der 1782 abgehaltene Wilhelms-
bader Konvent, welchem der Herzog von Braunschweig vorsafs,
der den innerhalb der deutschen Freimaurerei herrschenden
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Der Wilhelmsbader Konvent.
435
Zwistigkeiten sehr gern ein Ende gemacht hätte. Der Beratung
wohnten Maurer aus ganz Europa wie auch aus Amerika und
sogar aus Asien bei. Damals schätzte man die Zahl der Frei-
maurer auf der Erde auf mehr als drei Millionen.
Einen Hauptgegenstand der Tagesordnung bildeten die
Mitteilungen in Dr. Starks »Stein des Anstofses" über den
Einfluss der Jesuiten auf den Freimaurerbund. Beträchtliche
Verwirrung verursachte der Umstand, dafs mehrere Oberhäupter
des Ritus von der Strikten Observanz aufser stände waren, über
die ihnen angeblich wohlbekannten Geheimnisse der Hochgrade
Aufschlufs zu geben und sich über die Verwendung der ihnen
anvertrauten grofsen Beträge auszuweisen. Der wichtigste Be-
ratungspunkt betraf die Frage, ob die Freimaurerei als eine
Fortsetzung des Tempelrittertums zu betrachten sei und ob die
Bundesgeheimnisse in den modernen Templergraden zu suchen
seien. Nach dreifsig Sitzungen traf der Konvent eine verneinende
Entscheidung; die Strikte Observanz erlitt eine Niederlage und
wurde vom Herzog von Braunschweig auf drei Jahre suspendiert
— ein Schlag, von dem sie sich nicht mehr erholte. Als die
schwedischen Maurer behaupteten, im Besitz aller Geheimnisse
zu sein, begab sich der Herzog nach Upsala, und da er
fand, dafs die Schweden keineswegs mehr wufsten als die
Deutschen, entstanden neue Streitigkeiten zwischen den Maurern
der beiden Länder.
Das Ergebnis des Wilhelmsbader Konvents war die Bei-
behaltung der drei symbolischen Grade und die Stiftung eines
neuen, »Ritter von der Wohlthätigkeit“ genannt und auf den in
St Martins »Irrtümer und Wahrheit“ und im »Tableau Naturei"
dargelegten Grundsätzen beruhend. Die Gründung dieses Wohl-
thätigkeitsgrades wurde dem Einflufs der Jesuiten zugeschrieben,
weil »CH. B.“ (Abkürzung für »Chevaliers bienfaisants") den
Zahlenwert 13 (3-J-8-J-2) hat, was N bedeutet, die Abkürzung
von »Nostri«. Ein andres Ergebnis des Konvents bestand in
einer Art Bündnis zwischen Freimaurerei und Illuminatentuni,
herbeigeführt durch Weishaupt (»Spartacus“), den Stifter des
bayrischen Illuminatenordens. Übrigens war damals der Einflufs
der Jesuiten zu grofs, um gänzlich überwunden werden zu
können; ihrer Einwirkung auf den Herzog von Braunschweig
war auch der heftige Widerstand Deutschlands gegen die Prin-
zipien der französischen Revolution, namentlich das bekannte
einschlägige Manifest des Herzogs zuzuschreiben.
An dieser Stelle wird eine interessante historische Anekdote
willkommen sein, deren Wahrheit wir nicht verbürgen können,
die aber von Dr. E. E. Eckert einem Pariser Brief (gerichtet an
einen Wiener Baron) entnommen wird, dessen Schreiber er als
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436
Die Freimaurerei.
»vollkommen vertrauenswürdig“ bezeichnet. Es handelt sich um
den plötzlichen Rückzug Friedrich Wilhelms III. aus Frankreich
nach dem Einfall von 1792. Diesen bisher nicht genügend
aufgeklärten Rückzug beleuchtet Eckert in seinem »Magazin der
Beweisführung für Verurteilung des Freimaurer-Ordens“ (3 Bände,
1863, 1867, 1880)folgendermafsen: »Der König von Preufsen hatte
unsre Grenze überschritten und befand sich entweder in Verdun
oder in Thionville. Da gab ihm eines Abends ein vertrauter
Diener das maurerische Zeichen und führte ihn in ein unter-
irdisches Gewölbe, wo er ihn allein liefs. Alsbald sah der
König seinen Vorfahr, Friedrich den Grofsen - der Stimme,
der Kleidung, dem Gang und den Gesichtszügen nach un-
verkennbar - auf sich zuschreiten. Der Geist warf dem König
das franzosenfeindliche Bündnis mit Österreich vor und befahl
ihm, sich sofort von demselben zurückzuziehen. Friedrich
Wilhelm III. vollzog den Befehl zum grofsen Verdrufs seiner
Verbündeten, denen er die Ursache seiner Willensänderung nicht
mitteilte. Unser berühmter Schauspieler Fleury, der am Thöätre
Fran^ais in den »Zwei Pagen" Friedrich den Grofsen bekanntlich
aufs vollendetste zu spielen pflegte, gestand nach einigen Jahren,
dafs er auf Veranlassung des Generals Dumouriez bei jener
Scene den Geist Friedrichs des Grofsen dem König gegenüber
dargestellt habe“. Dumouriez war allerdings Freimaurer; ob
aber die interessante Geschichte wirklich wahr ist, wissen wir nicht.
Die französische Freimaurerei unter den Napoleons
und der Restauration.
Vor und während der Revolution entfaltete die Maurerei
in Frankreich eine nützliche Thätigkeit, denn ihre Oberhäupter
verstanden die maurerischen Grundsätze richtig und vertraten sie
würdig. Aber die Errichtung des Kaisertums mit seinen höfischen
Nichtigkeiten und seiner militärischen Prachtentfaltung liefs das
theatralische Element des Maurerwesens wieder mehr in den
Vordergrund treten. Man verfiel in akademische Spielereien,
unterwürfigen Gehorsam und endlose Streitigkeiten. Von dem
kaiserlichen Glanz verblendete maurerische Schriftsteller, Anhänger
Napoleons I., erklären jene Zeit für die Blütezeit der französischen
Freimaurerei; unbefangene Beurteiler jedoch halten sie für die
am wenigsten wichtige und ehrenvolle.
Napoleon hegte anfangs die Absicht, die Freimaurerei gänz-
lich zu beseitigen, da er in ihr eine mögliche Zufluchtstätte für
die von ihm bekanntlich so sehr verachteten »Ideologen" er-
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Die französische Freimaurerei unter den Napoleons. 4.57
blickte, da ferner das Repräsentationssystem des Orofsorients seinen
monarchischen Grundsätzen zuwiderlief und da endlich der
schottische Ritus seinen Verdacht erregte. Allein die in der
Schmeichelkunst geübten Pariser Logen bückten sich vor dem
Ersten Konsul, sodann vor dem Kaiser und baten um Gnade.
Napoleon fühlte sich zwar nicht ganz beruhigt, aber er war zu
klug, um nicht die Notwendigkeit der Vermeidung von Gewalt-
mafsregeln einzusehen. Er befolgte daher die Politik, die Körper-
schaft, um sie nicht gegen sich aufzubringen, unter seiner eigenen
mittelbaren Aufsicht bestehen zu lassen. Er überschwemmte die
Logen mit Polizeispitzeln, die bald zu den höchsten Graden auf-
stiegen und deren Anwesenheit alles politische Ränkeschmieden
von vornherein verhindern mufste. Nach langem Zögern erklärte
der Kaiser sich zu Gunsten des Grofsorients und wies dem
schottischen Ritus den zweiten Rang an. Sein Machtwort stellte
im Schofs der französischen Freimaurerei den Frieden her. Der
Grofsorient wurde zu einem Hofamt und die »Brüder" zu einem
Heer von Staatsbeamten. Die Grofsmeisterstelle übertrug der
Grofsorient mit Zustimmung des Kaisers einem Bruder desselben,
Joseph Napoleon, der sie auch annahm, obgleich er gar kein
Eingeweihter war. Der Herrscher bestand jedoch zur gröfsem
Sicherheit darauf, dafs sein Vertrauter und Erzkanzler Cambac£res
zum Vize-Grofsmeister gewählt werde und dadurch die eigent-
liche Oberleitung in die Hände bekomme.
Allmählich gaben sämtliche in Frankreich heimische Maurer-
riten ihre Zustimmung zur kaiserlichen Politik und wählten Camba-
ceres zum Oberhaupt. So erlangte der Erzkanzler im Laufe der
Zeit mehr maurerische Titel als irgend jemand vor oder nach
ihm. 1805 wurde er Grofsmeistergehilfe des Grofsorients, 1806
Souveräner Grofsmeister des Hohen Konzils und Grofsmeister der
Prinzen von Rose-croix de Heroden, 1 807 Oberhaupt des fran-
zösischen Ritus und Grofsmeister des philosophischen Schotten-
ritus, 1 808 Grofsmeister des Christusordens, 1 809 National-Grofs-
meister der Ritter von der heiligen Stadt und Protektor der
philosophischen Hochgrade. Und da jede neue französische Loge
dem Grofsmeister eine hohe Summe bezahlen mufste, zog er aus
der Maurerei ein ungeheures Einkommen.
Nach kurzer Zeit stellten sich abermals Zwistigkeiten ein, denn
der an höfische Sitten und höfischen Prunk gewöhnte Camba-
ceres bevorzugte insgeheim den schottischen Ritus mit dessen
hochtrabenden Titeln und glänzenden Zeremonien. Dies ver-
anlafste den Grofsorient, sich beim Kaiser zu beschweren, der
inmitten seiner grofsangelegten militärischen und politischen Pläne
nichts von den kleinlichen Scherereien des Maurertums wissen
wollte und neuerlich daran dachte, den Bund in Frankreich gänz-
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43S
Die Freimaurerei.
lieh aufzulösen. Doch liefs er sich von dieser Ansicht durch den
Erzkanzler abbringen, der ihn von den Gefahren überzeugte,
welche die Unterdrückung der Logen nach sich gezogen haben
würde. Bekanntlich pflegte der geniale Korse sonst weder zu
zögern noch sich von Entschlüssen abbringen zu lassen. Viel-
leicht leuchtete ihm diesmal die Notwendigkeit ein, dafs die fran-
zösische Gesellschaft wenigstens eine Körperschaft aufzuweisen
habe, deren Mitglieder wenigstens scheinbar frei seien, die also
eine Art politischen Sicherheitsventils bilden könne. Die Fran-
zosen hatten nämlich eine Vorliebe für die Logen, weil sie die-
selben für unabhängig hielten.
Der, wie gesagt, insgeheim begünstigte Schottenritus breitete
sich rasch aus, obgleich der Grofsorient ihn zu beseitigen trachtete.
Er wählte einen „Direktor der Riten“, verlegte das Hohe Konzil
(den Grofsrat) nach Mailand und machte Eugen v. Beauharnais
zum Grofsmeister des schottischen Grofsorients von Italien.
Obgleich eine Person, Cambaceres, an der Spitze der beiden
Systeme stand, bekämpften diese einander mit der ärgsten Heftig-
keit. Trotzdem nahm die Zahl der Logen in Frankreich so sehr
zu, dafs es ihrer im Jahre 1812 nahezu 1100 gab, darunter 69
in der Armee. Da der Kaiser der Maurerei nichts anhaben
konnte, machte er sie seinen Zwecken nutzbar und führte sie im
Heer und in den von ihm eroberten Ländern ein. Er züchtete
durch sie den Bonapartismus und die Logen- „Arbeit“ wurde mit
Hochrufen auf ihn eröffnet und geschlossen. 1808 rief in
Deutschland Johannes Witt von Dörring — Mitglied der meisten
damaligen Geheimbünde Europas — den maurerischen „Orden
der Kleeblätter"*) ins Leben behufs Förderung der Pläne Napo-
leons; die Mitglieder - zu denen auch einige hervorragende
deutsche Staatsmänner gehört haben sollen - erhofften von
einem Erfolg des Korsen die Mediatisierung aller deutschen Staaten
und die Vereinigung Deutschlands mit Frankreich zu einem Reich.
Übrigens gab es unter dem Schatten des kaiserlichen
Schutzes auch antinapoleonische Logen, die bei ihren Versamm-
lungen n icht „Vive l’empereur!" riefen. Im allgemeinen aber ist
es gewifs, dafs Napoleon I. bei seinen Eroberungen dem Beistände
der Freimaurer viel zu verdanken hatte. Das ist kein Wunder,
denn die spanischen, deutschen und italienischen Logen, die
unter seiner Ägide errichtet wurden, standen unter der Ober-
leitung von Militärs, und die französischen selbst hatten zu ihren
höchsten Würdenträgern Marschälle, Ritter der Ehrenlegion, Hoch-
aristokraten, Senatoren und andere „verläßliche Persönlichkeiten",
*) Der Name rührt daher, dafs nur je drei Mitglieder einander be-
kannt waren.
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Die französische Freimaurerei unter den Napoleons. -H9
die gegen Cambaeeres und mittelbar gegen den Monarchen
äufserst unterwürfig waren. Die halbjährlichen Losungsworte
des Qrofsorients spiegeln die Entwicklungs-Geschichte der Lauf-
bahn Bonapartes wieder: 1800 »Wissenschaft und Friede", 1802
(nach Marengo) »Einheit und Erfolg", 1804 (nach der Krönung)
»Zufriedenheit und Gröfse“, nach der Schlacht von Friedland
»Kaiser und Vertrauen“, nach • Unterdrückung der Tribüne
»Treue«, bei der Geburt des Königs von Rom »Nachkommen-
schaft und Freude», beim Abmarsch nach Rufsland »Sieg und
Rückkehr.“
Als Napoleon sich mit der Freimaurerei verständigte, um
ihre Unterstützung zu erlangen, soll er ihr Versprechungen ge-
macht haben, die er nicht gehalten zu haben scheint; es heifst,
dafs sie sich deshalb später gegen ihn wendete und nicht wenig
zu seinem Sturz beitrug. Diese Angaben haben indes geringe
Wahrscheinlichkeit für sich. Immerhin ist es Thatsache, dafs die
maurerischen Kreise sich auf die Hinterbeine zu stellen begannen.
Das veranlafste den Polizeiminister Savary im Jahre 1810 zu dem
Vorhaben, den Bund zu verbieten, doch wurde dieser abermals
von Cambaeeres gerettet. Die Rettung verhinderte nicht die Ent-
stehung einer auf die Wiedereinsetzung der Bourbonen abzielen-
den Loge, welche auch auf das Heer Übergriff und die aufstän-
dische Bewegung von 1813 verursachte.
Was die Restauration betrifft, so konnte sie mit ihrer Kurz-
sichtigkeit, Mittelmäfsigkeit und Rücksichtslosigkeit den Freimaurern
nicht behagen. Hatte schon Napoleon diese zuletzt gegen sich
eingenommen, so konnten sie dem Verhalten der neuen Regierung
selbstverständlich noch weniger Geschmack abgewinnen. Sie ver-
hielten sich einstweilen zuwartend. Bald entstand in Paris die
maurerische Formen annehmende Gesellschaft »Das wiedergeborne
Frankreich", die dem neuen Willkürherrscher Spionen- und Rächer-
dienste leistete, aber von ihm schon nach einem Jahre im stillen
unterdrückt werden mufste, weil der blinde Eifer ihrer Mitglieder
sich mehr schädlich als nützlich erwies. Nun nahm die
katholische Geistlichkeit den Kampf gegen die Freimaurerei auf.
Unter dem Kaiser hatte die Geistlichkeit sich sehr beengt und
geringgeschätzt gefühlt; jetzt schwoll ihr der Kamm wieder und
sie liefs es sich angelegen sein, die Maurer beim König wie beim
Publikum als Rationalisten und Freunde des Königsmordes zu
verdächtigen, was die Schließung zahlreicher Logen bewirkte.
Anderseits wurde 1816 in Paris der Misraimritus eingeführt; fünf
Jahre später infolge polizeilicher Plackereien verboten, feierte die
Mutterloge, »Regenbogen« genannt, ihre Wiedereröffnung erst
1830. Um dieselbe Zeit trat die »Trinosophisten"-Loge ins
Leben.
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410
Die Freimaurerei.
Angeblich sollen die Freimaurer die Julirevolution (1830)
zu stände gebracht haben, aber das ist wenig glaubwürdig. Immer-
hin nahm Ludwig Philipp den Bund unter seinen Schutz und
ernannte einen seiner Söhne, den Herzog von Orleans, zum Grofs-
meister. Nach des Herzogs Tod (1842) wurde sein Bruder, der
Herzog von Nemours, sein Nachfolger und in demselben Jahr
fanden die Streitigkeiten zwischen dem Orofsorient und dem
schottischen Ritus eine gütliche Beilegung. Es heilst, dafs ein in
Strafsburg abgehaltener Freimaurerkonvent die Grundlagen der
1848er Revolution gelegt habe. Sicher ist, dafs viele hervor-
ragende französische und deutsche Republikaner dem Konvent
beiwohnten; aber eben deshalb mufs er eher für eine republi-
kanische als für eine maurerische Versammlung gelten. Nach der
Errichtung der provisorischen Regierung infolge des Februar-
Aufstandes erklärten sich die Freimaurer zu Gunsten dieser Re-
gierung und schwelgten in schwungvollen Reden über Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit; allein die baldige Gründung des
zweiten Kaisertums zeigte die Nichtigkeit dieses Phrasentums und
die grofse Geringfügigkeit des Einflusses der Freimaurerei auf
den Gang der Weltgeschichte.
Louis Napoleon zeigte sich der Maurerei schon als Präsi-
dent der Republik eben so feindlich gesinnt wie einst sein Oheim.
Am 7. September 1850 erliefs er ein Dekret, welches den fran-
zösischen Logen unter Androhung der Auflösung die Beschäfti-
gung mit Fragen der Politik verbot. Anfangs 1852 wurde die
Grofsmeisterwürde einem Vetter des Präsidenten, Lucien Murat,
übertragen; nach neun Jahren mufste dieser jedoch zurücktreten,
weil der Bund ihm die Mifsbilligung ausgedrückt hatte für sein
Eintreten im Senat zu Gunsten der weltlichen Macht des Papstes.
Der Umstand, dafs man nun das Grofsmeisteramt dem Prinzen
Napoleon anbot, erregte die Eifersucht der Anhänger Murats, und
die beiden Parteien bekämpften einander aufs heftigste in Flug-
schriften. Jetzt mischte sich der Kaiser ein, indem er den Streiten-
den Schweigen gebot, den Prinzen auf längere Zeit nach Amerika
schickte und selber einen Grofsmeister ernennen zu wollen
erklärte. Der Verlust des Rechtes der selbständigen Grofsmeister-
wahl machte die Unabhängigkeit der französischen Maurerei aber-
mals illusorisch, ihr Programm zwecklos, ihre Geheimnisse wertlos.
Allmählich beruhigten sich die Gemüter, Prinz Napoleon kehrte
aus den Vereinigten Staaten zurück, Murat söhnte sich mit seiner
Niederlage aus und im Januar 1862 ernannte der Kaiser, seinem
Oheim nachäffend, einen Marschall zum Grofsmeister.
Inzwischen war die Zahl der französischen Logen, 1852
noch 325, 1861 auf 269 gesunken. Diese waren teils unfähig,
teils abgeneigt, dem Einflufs der Jesuiten auf die öffentlichen
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Die Freimaurerei in Italien.
441
Angelegenheiten wirksam entgegenzutreten. Übrigens ist die
Freimaurerei im allgemeinen, wenn in die Enge getrieben, trotz
ihres Geredes von Brüderlichkeit und Gleichheit streng konser-
vativ — eine Thatsache, welche die »Internationale" veranlafste,
auf ihrer Tagung zu Lyon im Jahre 1870 die Freimaurerei in
Acht zu erklären und zehn Jahre später anzuordnen, dafs nur
Nichtmaurer Mitglieder werden können.
Die Freimaurerei in Italien.
Über die Anfänge der Freimaurerei in Italien ist wenig
bekannt. Doch weifs man, dafs zu Florenz im Jahre 1512 »die
Kelle“ gegründet wurde, eine aus Gelehrten und Litteraten be-
stehende Gesellschaft, die sich in allerlei wunderlichen Grillen
erging. Bald versammelten sich die Mitglieder in der Loge in
der Kleidung von Maurern und Handlangern, um aus Maccaroni
mit Parmesan ein Gebäude aufzuführen; Gewürze und Zucker-
plätzchen dienten als Mörtel, Semmel und Kuchen als Steine;
auch allerlei andere Efswaren fanden beim Bau Verwendung,
der so lange fortgesetzt wurde, bis ein angeblicher Regen der
»Arbeit“ ein Ende machte. Bald liefsen sie sich von Ceres, die
auf der Suche nach Proserpina war, einladen, sie in die Unter-
welt zu begleiten. Sie folgten der Göttin durch den Rachen
einer Schlange in einen finstern Raum; als Pluto sie zu einer
Mahlzeit einlud, erschienen Lichter und man sah auf dem schwarz-
gedeckten Tisch Schüsseln mit scheufslichen, abstofsenden Tieren,
während einige Teufel auf Schaufeln die Gebeine toter Menschen
servierten. Nach kurzer Zeit verschwand der Spuk und ein
prächtiges Bankett folgte. 1737 bestand »die Kelle“ noch. Die
Geistlichkeit arbeitete gegen sie, und es würde ihr auch ge-
lungen sein, sie zu unterdrücken, wenn nicht Herzog Franz von
Toskana, der in Holland Freimaurer geworden war, den Thron
bestiegen, den Orden unter seinen Schutz genommen und alle
eingesperrten Maurer freigelassen hätte. Die Erinnerung an die
Verfolgungen wurde in den Ritualen verewigt; im »Magus“-
Grad ist die Tracht die der Inquisition und auch andere Grade
erinnern an die portugiesischen und spanischen Inquisitoren.
Was aus der »Kelle« geworden, wissen wir nicht Aber
wir wissen, dafs um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine vom
Grafen Filippo Strozzi eifrig geförderte Illuminaten-Vereinigung
grofse Verbreitung fand. Sie nahm nur solche Bewerber auf, die
bereits die drei symbolischen Grade des York-Ritus hinter sich
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•442
Die Freimaurerei.
hatten. Gleich der ägyptischen Maurerei, verehrte sie das Tetra-
grammaton und verband die höchste Philosophie mit dem albernsten
Aberglauben.
Was insbesondere Neapel betrifft, so gab es dort im 18.
Jahrhundert viele Tausende von Freimaurern. Zwar versuchte
Karl III. 1751 und Ferdinand IV. acht Jahre später, dem Bunde
durch den Befehl der Schliefsung der Logen beizukommen;
allein trotz der Feindseligkeit des Ministers Tanucci blieb das
Verbot ein toter Buchstabe. Als ein Neuling wenige Tage nach
seiner Einweihung starb, fanden neuerliche Verfolgungen statt.
Die bei einem Bankett versammelten Mitglieder der betr. Loge
wurden verhaftet, ihr Verteidiger, der Rechtsanwalt Levy, ver-
bannt und dessen der Brüderschaft günstiges Buch öffentlich vom
Henker verbrannt. Bald jedoch entliefs Königin Karoline den
zelotischen Tanucci und gab den Maurern Versammlungsfreiheit,
wofür ihr der französische Grofsorient Dank sagte. Aber es
scheint, dafs die Freimaurerei schon nach einigen Jahren wieder
Ursache hatte, sich zu verbergen, denn 1767 spricht eine Ur-
kunde von ihr als einer unentdeckten Geheimgesellschaft, welche
angeblich 64 000 Mitglieder hatte, was offenbar eine Übertreibung
war. Wir lassen den interessanten Inhalt des in Rede stehenden
Schriftstückes auszugsweise folgen :
»Endlich ist Neapels grofse Freimaurergrube entdeckt,
deren Name bekannt war, während ihr Geheimnis unbekannt
blieb. Ein Sterbender enthüllte alles seinem Beichtvater, damit
dieser den König benachrichtige, und ein bei dem Bund in hohem
Ansehen stehender Ritter, dem man die Bezüge einstellte, verriet den
Grofsmeister an den König. Dieser Grofsmeister war der Herzogvon
San Severo. Der König entsandte einen vertrauenswürdigen Offizier
nebst drei Dragonern, damit sie den Herzog in dessen Wohnung
ergriffen und, ehe er sich mit irgend jemand verständigen könne,
in den Königspalast brächten. Der Befehl wurde vollzogen, doch
brach nach wenigen Minuten im Palast des Herzogs Feuer aus
und zerstörte seine Büchersammlung, womit wahrscheinlich die
Vernichtung aller maurerischen Schriften bezweckt war. Truppen
löschten das Feuer und bewachten das Haus. Vor den König
gebracht, erläuterte der Herzog ohne Scheu die Ziele, das Wesen,
die Beschaffenheit, die Siegel u. s. w. des Ordens. Er wurde
wieder heimgeschickt und von Soldaten bewacht, damit er nicht
wegen seiner Enthüllungen von den Freimaurern getötet werde.
Auch in Florenz sind Freimaurer entdeckt worden; der Papst
und der Kaiser haben 24 Gottesgelehrte hingeschickt, die dem
Unfug ein Ende machen sollen. Um die grofsen Gefahren zu
vermeiden, welche mit dem Eingreifen allzu strenger Mafsregeln
verknüpft sein könnten, handelt der König gegen alle Beteiligten
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Die Freimaurerei in Italien.
443
mit der gröfsten Milde. Er hat vier hervorragende Persönlich-
keiten beauftragt, die besten Mittel zur Ausrottung der ver-
abscheuenswerten Sekte ausfindig zu machen. Auch teilte er
allen europäischen Herrschern seine Entdeckung mit und forderte
sie auf, ihn in seinen Unterdrückungsbestrebungen zu unter-
stützen; »es wäre thöricht von ihnen, sich dessen zu weigern.“
Über Organisation, Ursprung und Wesen des Bundes ent-
hält dasselbe Dokument u. a. die folgenden sonderbaren An-
gaben: »Dieser Orden zählt nicht Tausende, sondern Millionen
von Mitgliedern, namentlich unter den Juden und Protestanten.
Seine schrecklichen Grundsätze sind nur den Angehörigen des
5., 6. und 7. Grades bekannt; die der drei ersten wissen nichts,
und die des vierten handeln, ohne zu wissen, was sie thun. Der
Ursprung der Sekte ist in England zu suchen und ihr Gründer
war der berüchtigte Cromwell, zuerst Bischof, dann Anna Boleyns
Geliebter, »die Geifsel der Herrscher“ genannt und schliefslich
wegen seiner Verbrechen enthauptet. Er hinterliefs dem Orden
ein Jahreseinkommen von 10000 Pf. St. Derselbe ist in sieben
Grade geteilt: 7. Beisitzer, 6. Grofsmeister, 5. Bauherren, 4.
Exekutoren, 3. Rurikoren, 2. Novizen, 1. Proselyten. Seine
schändlichen Ideen beruhen auf der Allegorie des salomonischen
Tempels in dessen ursprünglicher Pracht, die durch die Willkür
der Assyrer zerstört wurde, um schliefslich wiederhergestellt zu
werden. Damit werden angedeutet: die menschliche Freiheit
nach Erschaffung der Welt, ihre Vernichtung durch die Willkür
der Priester, Könige und Gesetze, und ihre schliefsliche Wieder-
herstellung." Aus den näheren Einzelheiten, welche in der Ur-
kunde angeführt sind, geht hervor, dafs es sich um Grundsätze
und Ziele handelte, die sich von denen der nichtmaurerischen
Republikaner und Fortschrittsfreunde nicht sonderlich unter-
scheiden. '
ln Venedig wurde die Freimaurerei anfänglich geduldet,
allein 1686 schöpfte die Regierung Verdacht und ordnete die
Schliefsung aller Logen sowie die Verbannung der „Brüder“ an.
Doch wurde das Dekret sehr lau gehandhabt. Eine adelige Loge,
die sich zu gehorchen weigerte, betrat die Behörde, um die Mit-
glieder zu schonen, absichtlich zu einer Zeit, da niemand an-
wesend war; die Einrichtung, die Dekorationen etc. wurden auf
die Strafse geworfen und öffentlich verbrannt, die Mitglieder aber
in keiner Weise behelligt. 1785 entdeckte man in Venedig eine
Loge und vernichtete ihre Einrichtungen etc. Man fand auch das
Ritual. Danach wurde der Aufnahmebewerber mit verbundenen
Augen die Kreuz und die Quer geführt, um nicht zu wissen
wohin. In der Loge brachte man ihn in ein schwarzverhängtes,
nur von einer Kerze erleuchtetes Zimmer, wo man ihn in ein
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444
Die Freimaurerei.
sterbehemdähnliches, aber schwarzes Gewand hüllte, ihm eine
turbanartige Mütze aufsetzte, ihm das Haar ins Gesicht kämmte
und ihn dann vor einen, hinter einem schwarzen Vorhang ver-
borgenen Spiegel stellte. Er durfte nun die Augenbinde ab-
nehmen und las unterhalb des Spiegels die Worte: »Wenn du
wirklich Mut hast und ernstlich gewillt bist, dem Orden bei-
zutreten, so ziehe den Vorhang zur Seite und lerne dich selbst
kennen!* Nachdem er sich gesehen, wurden ihm die Augen
wieder verbunden und er mufste, in der Mitte des Gemachs
stehend, mit 30 — 40 Brüdern, die nun eintraten, ein Degen-
gefecht beginnen, um seinen Mut zu beweisen. Nach Abnahme
der Augenbinde verband man die ihm absichtlich beigebrachte
leichte Wunde, legte ihm die Augenbinde abermals um und
führte ihn in ein anderes Gemach, welches schwarz und weifs
drapiert war. In der Mitte stand ein mit einem schwarzen Tuch
bedecktes Bett; die Stickerei des Tuches zeigte im Mittelpunkt
ein weifses Kreuz, an beiden Seiten je ein weifses Skelett. Von
der Binde befreit, wurde der Kandidat aufs Bett gelegt und mit
einer gelben und einer weifsen Wachskerze allein gelassen. Nach
kurzer Zeit traten die Brüder ein, einen Heidenlärm vollführend.
Der Neuling, der bei all diesen Unannehmlichkeiten keinerlei
Angst an den Tag legen durfte, wurde schliefslich als neuaufge-
nommener Bruder begrüfst und erhielt den Namen, unter dem
er künftig innerhalb des Bundes gekannt sein sollte.
Unter Napelon I. entstanden in ganz Italien zahlreiche
Logen. Dafs sich das italienische Maurertum damals in einem
kläglichen Zustand befand, geht aus der Thatsache hervor, dafs
es an den Kaiser einmal die folgende Adresse richtete: »O
Napoleon ! Deine Philosophie bürgt für die Duldung unsrer
natürlichen und göttlichen Religion. Dafür erweisen wir dir ge-
bührende Ehre und du*wirst in uns stets treue, deiner erhabenen
Person ergebene Unterthanen finden!* Welche Selbsterniedrigung
seitens einer Vereinigung, die sich immer ihrer Unabhängigkeit
von allen Regierungen und ihrer Überlegenheit über dieselben
gerühmt hat!
Grofse Beachtung verdient das Programm der heutigen,
unter wenigen Oberhäuptern vereinigten italienischen Freimaurerei,
denn es deutet auf die Reformen, welche diesem grofsen und
alten Bund nicht nur in Italien, sondern allenthalben notthun.
Danach bezweckt das italienische Maurertum gegenwärtig die
höchste Entwicklung der umfassendsten Menschenliebe, die
Selbständigkeit und Einheit der einzelnen Völker, ihre Ver-
brüderung unter einander, die Duldung aller Religionen, die
Gleichberechtigung aller Gottesdienstformen, die Hebung des
sittlichen und materiellen Loses der Massen. Auch erklärt es,
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Die Freimaurerei in Italien.
445
von jeder Regierung unabhängig zu sein und keine irdische
Macht anzuerkennen aufser der Vernunft und dem Gewissen.
Ferner besagt es, dafs - und dies verdient besondere Aufmerk-
samkeit — das Wesen der Freimaurerei nicht in einem geheimnis-
vollen Symbolismus, in leeren Förmlichkeiten und nebelhaften
Bestrebungen bestehen dürfe, wenn sie sich nicht lächerlich
machen wolle. Da sie etwas allgemein Menschliches sei, habe
sie sich weder mit Regierungsformen noch mit Fragen von
vorübergehendem Interesse, sondern mit Dingen von allgemeiner,
dauernder Bedeutung zu befassen. Im Gebiete der Sozialreformen
müsse sie abstrakte, auf mystischen Bestrebungen beruhende
Lehren vermeiden. Sie verurteile den Müfsiggang, denn die
Arbeitsamkeit sei die oberste Pflicht aller Angehörigen der ge-
sitteten Gesellschaft. Religionsfragen liegen aufserhalb des Be-
reiches der Maurerei, welche nichts mit den positiven Bekennt-
nissen zu schaffen habe, weil das menschliche Gewissen durch-
aus unverletzlich sei. Den Grundsätzen der Brüderlichkeit
huldigend, predige sie allgemeinste Duldsamkeit und nehme in
ihr Ritual viele der Sinnbilder verschiedener Bekenntnisse auf.
Die Religion der Freimaurer bestehe in der Verehrung des Gött-
lichen in seiner, jedes kirchlichen Beiwerks entkleideten höchsten
Auffassung des Weltenbauherm, sowie in dem Glauben an die
Menschlichkeit, den einzigen weltlichen Ausdruck des Göttlichen.
Was die äußerlichen Formen des Gottesdienstes betreffe, so über-
lasse das Maurertum diesen Punkt, ohne irgendwelche Richt-
schnur zu geben, dem freien Ermessen jedes Einzelnen — in der
Erwartung der vielleicht nicht allzufernen Zeit, da alle Menschen
im stände sein werden, das unendliche Prinzip ohne Vermittler
und ohne äufsere Formen im Geiste der Wahrheit anzubeten.
Bei der Bestimmung der Beziehungen der Menschen unter
einander beschränke sich die Freimaurerei nicht darauf, zu
empfehlen, dafs wir anderen nichts anthun, was wir nicht
wünschen, dafs sie uns anthun; sie schärfe vielmehr ausdrücklich
ein, das Gute zu thun, sich dem Bösen zu widersetzen und
keinerlei Ungerechtigkeit zu dulden. Das Maurertum erhoffe
eine Zeit, in der die Panzerplatten der Kriegsschiffe sich zu
Dampfpflügen wandeln werden, der durch die Freiheit und die
Wissenschaft erlöste Mensch sich an reinen Geistesgenüssen er-
freuen und der Friede mit Hilfe der gegenwärtig dem Krieg ge-
widmeten Mittel und Kräfte am Lebensbaum die herrlichsten
Früchte zeitigen wird.
Angesichts eines so schönen Programms ist es lebhaft zu
bedauern, dafs eine grofse, bedeutende Vereinigung wie der Frei-
maurerbund, der in die Zukunft hinaussteuern sollte, durch die
unpraktische Beibehaltung kindischer Spielereien — etwas andres
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446 Die Freimaurerei.
sind die »Riten« ja doch nicht — an die Vergangenheit ge-
kettet wird. Die Freimaurerei sollte keine Ambulanz sein, sondern
eine Vorhut — ohne die übermäfsige Bürde der jetzigen
Formalitäten, ohne den Ballast eines überflüssigen Symbolismus.
Wenn sie sich nicht zu einer gründlichen Selbstumgestaltung ent-
schliefst, ist sie unhaltbar. Es hat keinen Sinn, allgemein be-
kannte Geheimnisse zu hüten. Der Glaube, sie sei im Allein-
besitz weitverbreiteter Wahrheiten, beraubt sie und die Welt
andrer Wahrheiten, wichtigerer Geheimnisse. De Castro meint,
dafs es für Italien eine Ehre sein würde, mit den unerläfslichen
Reformen zu beginnen. In Wirklichkeit wäre das für welches
Land immer eine Ehre. Es hat den Anschein, als sollte Deutsch-
land am ehesten geneigt sein, den Anfang zu machen, ln der
1899 erschienenen, »Der Stern von Bethlehem« betitelten Samm-
lung von Aufsätzen und Logenvorträgen reichsdeutscher Maurer
wird auf diese Richtung hingearbeitet. Es heifst dort u. a.,
dafs — was übrigens schon viele andere maurerische Schriften
betont haben — der Bund keine geheimen Kenntnisse besitze,
deren Mitteilung verboten wäre. »Wenn nun die Freimaurerei
trotzdem von ihren Geheimnissen redet, so versteht sie darunter
nichts andres als die ihr eigentümlichen Mittel und Übungen,
wodurch jeder ihrer Anhänger zu einer ihn selbst befriedigenden
Lebensanschauung gelangen kann.« Franz Brückner knüpft an
die Darlegungen des »Sterns von Bethlehem“ die folgenden be-
zeichnenden Bemerkungen :
»Wenn diese Veröffentlichungen allgemein bekannt werden,
so wird man aufhören, den deutschen Maurern allerlei Phan-
tastisches und Scheu fsliches nachzusagen . . . Man wird es im
grofsen Publikum nicht verstehen, wenn die harmlosen deutschen
Maurer ihren Ritus und ihre Verhandlungen beharrlich geheim-
halten. Solange sie ihr Geheimnis bewahren, werden sich die
Ausstehenden für berechtigt halten, allerlei zu argwöhnen . . .
Verständen sich die deutschen Maurer dazu, auf die Geheim-
haltung zu verzichten, so würde auch in Österreich, wo die
Maurerei seit 1 794 verboten ist, die Gründung von Logen wieder
gestattet werden.«
Cagliostro und die ägyptische Maurerei.
Joseph Baisamo, der Jünger und Nachfolger Saint-Germains,
der am Hofe Ludwigs XV. vorgab, ein Zeitgenosse Christi,
Karls V. und Franz I. gewesen zu sein, hatte weiterausgreifende
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Cagliostro und die ägyptische Maurerei.
447
Pläne und hegte einen hohem Ehrgeiz als sein Meister. 1743 zu
Palermo geboren, wurde er in zwei dortigen Klöstern erzogen,
wo er sich einige Kenntnisse in der Chemie erwarb. Als junger
Mann lernte er einen Abenteurer namens Althotas kennen, der
im Besitz des Steins der Weisen zu sein behauptete. Die beiden
führten jahrelang ein gemeinsames Wanderleben. Was schliefslich
aus Althotas geworden, weifs man nicht bestimmt; Baisamo aber
verheiratete sich in Rom mit der schönen Lorenza Feliciani.
Er behandelte sie so schlecht, dafs sie entfloh; als er sie wieder-
erlangte, übte er durch Magnetisieren einen gewaltigen Einflufs
auf sie aus. Er war überhaupt ein grofser Magnetiseur. Er
besuchte Deutschland und wurde daselbst in die Freimaurerei
eingeweiht, in welcher er bald eine grofse Rolle zu spielen
begann. Auch legte er sich verschiedene Adelstitel bei; u. a.
nannte er sich Marquis von Pellegrini; am bekanntesten ist er
als Graf Cagliostro geworden. Seine Schlauheit, seine Unver-
frorenheit und einige glückliche Weissagungen verschafften ihm
einen europäischen Ruf, der es ihm ermöglichte, viele Menschen,
darunter einige sehr hochstehende, zu beschwindeln, besonders
in Frankreich, wo er viele neue Maurerlogen gründete.
Dieser merkwürdige Mensch schrieb ein Buch »Der ägyp-
tische Maurerritus“. Den letztem führte er zuerst in Kurland, später
in Deutschland, Frankreich und England ein. Wegen seiner
Verwicklung in die berühmte Angelegenheit des Halsbandes der
Königin aus Frankreich verbannt, ging er nach England. Von
dort floh er vor seinen Gläubigern und kehrte auf Wunsch
seiner wandermüden Frau, die sich nach ihren Verwandten
sehnte, nach Rom zurück, wo er jedoch bald unter der An-
schuldigung, eine Maurerloge haben gründen zu wollen, verhaftet
und zum Tode verurteilt wurde (1789). Man begnadigte ihn
zu lebenslänglichem Kerker und steckte seine Gattin in ein
Kloster, wo sie bald starb. Im Gefängnis versuchte er einen
Beichtvater umzubringen, um in dessen Gewand zu entspringen;
doch mifslang ihm das und er soll 1795 als Sträfling ge-
storben sein.
Der von ihm ersonnene ägyptische Ritus ist ein albernes
Gemisch von Heiligem und Weltlichem, von Ernstem und
Lächerlichem. Zu seiner Gründung regte ihn eine Handschrift
an, die er entdeckt hatte und in welcher George Cofton die Um-
gestaltung der Freimaurerei in alchimistisch-phantastischem Sinne
vorschlug. Cagliostro spekulierte mit seiner ägyptischen Maurerei
auf die Leichtgläubigkeit der Menschen, um sich zu bereichern.
Er gab als Ziel seines Ritus die Vervollkommnung der Erden-
bewohner durch leibliche und sittliche Wiedergeburt vor. Die
leibliche sei bestimmt zu erzielen durch die prima materia
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448
Die Freimaurerei.
(Urstoff) und den Stein der Weisen, die dem Menschen Jugend-
kraft und Unsterblichkeit sichern würden, während die sittliche
Wiedergeburt durch die Entdeckung eines Fünfecks erfolgen
sollte, das die Menschen zu ihrer ursprünglichen Unschuld
zurückführen werde. Um der Sache gröfsem Nachdruck zu
verleihen, behauptete er, der Ritus sei schon von Enoch gestiftet
und von Elias umgestaltet worden, um schliefslich vom Grofs-
kophta — das war er selbst — wiederhergestellt zu werden.
Sowohl Männer als auch Frauen fanden Aufnahme; die
Einweihungszeremonien und die Versammlungslogen waren für
jedes Geschlecht andere. Bei der Einweihung von Frauen blies
der Meister der Kandidatin ins Gesicht und sagte: »Ich hauche
dir diesen Atem ein, damit er in deinem Herzen die Wahrheit, die
wir besitzen, zum Keimen und Wachsen bringe. Ich blase dir
diesen Hauch ein, auf dafs derselbe dich in deinen guten
Absichten bestärke und den Glauben deiner Brüder und Schwestern
in dir kräftige. Wir wählen dich zur legitimen Tochter der
wahren ägyptischen Adoption und dieser hochwürdigen Loge“.
In der Loge „Sinai" wurden die geheimsten Riten gefeiert; eine
andre hiefs „Ararat“. Bezüglich des Fünfecks redete Cagliostro
seinen Opfern ein, dasselbe werde den Meistern nach vierzig-
tägigem Umgang mit den sieben Ur-Engeln gewährt werden und
dessen Besitzer auf 5557 Jahre (!!) körperlich verjüngen; erst
nach dieser Zeit würden sie sanft entschlafen und in den
Himmel kommen. Die Beliebtheit des Fünfecks (Pentagon) in
den vornehmen Kreisen von Paris, London und St Petersburg
war ebenso grofs wie die des Steins der Weisen jemals und
irgendwo. Für wenige Gran der famosen prima materia wurden
grofse Summen bezahlt.
Cagliostro bediente sich zur Heranziehung von Logen-
mitgliedern nicht nur maurerischer Täuschungen, sondern auch
der damals nur sehr wenig bekannten Wunder des Magne-
tismus. Die Hydromantie mufste ebenfalls herhalten. Er liefs
ein Kind, gewöhnlich ein kleines Mädchen, „die Taube“ genannt,
in eine mit Wasser gefüllte Flasche gucken und aus dieser
Ereignisse herauslesen — verflossene, gegenwärtige und künftige.
Da nun Cagliostro ein scharfer Beobachter war, sah er manches
richtig voraus, und da ihm überdies zuweilen der Zufall zu
Hilfe kam, galt er für einen richtigen Propheten. Als der Geister-
beschwörungsschwindler Schröpfer sich weigerte, dem ägyptischen
Ritus beizutreten, weissagte „die Taube“, er werde innerhalb
eines Monats seine Strafe finden. Zufällig beging Schröpfer
nach wenigen Wochen einen Selbstmord und das brachte Baisamo
nebst seiner Wasserflasche zu noch höherem Ansehen, ln dieser
Hinsicht war er ein Vorläufer der modernen Spiritisten. Dadurch,
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Adoptionslogen und zweigeschlechtige Maurerei.
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dafs er mit seinen geheimen Kräften nicht hinter dem Berg hielt,
sondern sie vielen anderen mitteilte, gelangten in die Logen
Zauberübungen, welche dem Ruf der Freimaurerei schadeten.
Und all dies ereignete sich zur Zeit der Encyklopädisten, am
Vorabend der grofsen Revolution!
Die zwei ersten Logen gründete der falsche Graf in Paris;
die eine befand sich in seinem eigenen Wohnhause, die andre
war glänzend eingerichtet. Eine dritte wurde zu Lyon ins
Leben gerufen und in einem eigenen Prachtbau untergebracht;
Cagliostro machte sie zur Mutterloge und nannte sie »Trium-
phierende Weisheit“. Ihr Patent begann folgendermafsen :
»Ehre, Weisheit,
Einigkeit,
Wohlthätigkeit, Behagen.
»Wir, Grofskophta in allen östlichen und westlichen Teilen
Europas, Gründer und Grofsmeister der ägyptischen Maurerei,
thun allen, die dies lesen, zu wissen, dafs während unsres
Aufenthalts in Lyon viele Mitglieder der Loge vom Orient und
gewöhnlichen Ritus, die den Namen »Weisheit“ angenommen
hat, den innigen Wunsch ausgedrückt haben, sich unter unsre
Leitung zu stellen, damit wir sie in die wahre Maurerei ein-
weihen. Es macht uns Vergnügen, ihren Wunsch zu erfüllen" u.s. w.
Auch in Strafsburg, Roveredo, Mitau und Basel entstanden
Logen, im Haag eine Frauenloge. Der Basler Bau war ein
prachtvoller Tempel, den die Bevölkerung nicht ohne Scheu
betrachten konnte, weil sie glaubten, Cagliostro habe ihn zu
seinem Mausoleum bestimmt.
Adoptionslogen und zweigeschlechtige Maurerei.
Die Freimaurerei hat mit den »gröfseren“ Mysterien des
Altertums die Regel gemein, dafs Angehörige des weiblichen
Geschlechts, das vermeintlich kein Geheimnis bewahren kann,
von der Mitgliedschaft ausgeschlossen sind. Allmählich jedoch
hat diese Regel, wie die meisten Regeln, Ausnahmen erfahren.
Wie wir vorhin gesehen, nahm Cagliostro in seinen ägyptischen
Ritus auch Frauen auf. Als am Anfang des 18. Jahrhunderts in
Frankreich mehrere Vereinigungen entstanden, die in den Äufser-
lichkeiten der Freimaurerei ähnelten, ohne das weibliche Element
auszuschliefsen, lobpries die Damenwelt dieselben naturgemäfs.
Um nun nicht allzu unbeliebt zu werden, kam der Maurerbund
auf den Gedanken, »Adoptionslogen“ für Frauen zu stiften.
Heckethorn«Katscher, Geheimbündc u. Gcheimlchren. 29
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Die Freimaurerei.
Der Name bedeutet, dafs jede solche Loge von einer regelrechten
Maurerloge adoptiert werden mufste. Der Orofsorient von
Frankreich erliefs ein die Leitung der Adoptionslogen regelndes
Statut. Die Eröffnung der ersten erfolgte 1775 in Paris; die
Herzogin von Bourbon, die den Vorsitz führte, wurde zur
Grofsmeisterin gewählt. Durch die Revolution in ihrer Thätig-
keit unterbrochen, wurde diese Loge 1805 in Strafsburg unter
der Leitung der Kaiserin Josephine als »Kaiserliche Adoptionsloge
der Freien Ritter" wieder ins Leben gerufen. Auch in mehreren
anderen Ländern Europas entstanden solche Logen, aber sie
konnten sich nicht halten.
Der Adoptionsritus unterscheidet sich hinsichtlich der Grade
nicht von der echten Maurerei. Jede Würdenträgerin wird von
einem männlichen Würdenträger gleichen Ranges unterstützt
Es giebt also neben der Grofsmeisterin einen Grofsmeister,
neben der Inspektorin einen Inspektor u. s. w. Die eigentliche
Leitung der Logenangelegenheiten liegt in den Händen der
weiblichen Funktionäre, die „Brüder“ stehen ihnen nur bei;
blofs beim Grofsmeisterrang ist es umgekehrt: hier hat die
Grofsmeisterin wenig Bedeutung, sie ist mehr die stumme Be-
gleiterin des Grofsmeisters. Der Lehrlingsgrad bildet lediglich
eine Art Vorbereitung. Im zweiten Grad, dem der Genossin,
wird die paradiesische Versuchungsscene sinnbildlich dargestellt.
Der Gegenstand des Meisteringrades ist die Erbauung des
babylonischen Turmes. Der vierte Grad heifst „vollkommene
Meisterin“; hier vertreten die „Beamten“ Moses, Aaron und
deren Gattinnen, und die Zeremonien beziehen sich auf den Zug
der alten Israeliten durch die Wüste — eine Versinnbildlichung
des menschlichen Lebens als einer Wanderung in ein jenseitiges,
besseres Leben. Der geschmackvoll verzierte Logensaal ist durch
Vorhänge in vier Gemächer geteilt, deren jedes eine der vier
Windrichtungen darstellt. Im Osten stehen zwei herrliche, gold-
befranste Thronsessel für die Grofsmeisterin und den Grofs-
meister. Die Mitglieder sitzen in geraden Reihen, vorn die
Schwestern, hinten die Brüder; die letzteren halten Degen in
der Hand. Der Spielerei, „Arbeit" genannt, folgt eine grofse
Mahlzeit, nicht selten auch ein Ball. Beim Essen wird eine
symbolische Sprache geführt, die an das Precieusentum erinnert:
„ Eden “ = Logensaal ; „Schranken“ = Thüre; „Lampe“ =Trinkglas;
„weifses Öl“=Wasser; „rotes Öl“=Wein; „putzet eure Lampen" =
füllet die Gläser etc.
Die Jesuiten, die ihre Nasen gern in alles stecken, sahen
in der Adoptionsmaurerei bald ein Mittel mehr, auf die Frauen
Einflufs zu gewinnen. Sie gründeten daher neue Adoptionslogen
oder pafsten bestehende ihren Zwecken an. Hier eine Stelle
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Adoptionslogen und zweigeschlechtige Maurerei. 4SI
aus dem Katechismus: »Schwester! Bist du bereit, für das Ge-
deihen der apostolischen römischen Kirche dein Leben zu opfern?“
Ein gut Teil des Rituals des zehnten Grades, welcher »Fürstin
der Krone" hiefs, behandelte die Königin von Saba. 1779 wurde
dieser Ritus in Sachsen eingeführt
In der Adoptivmaurerei spielt die Galanterie eine grofse
Rolle. Die in Frankreich seit Jahrhunderten eifrig bethätigte
und zu einer schönen Kunst ausgebildete Galanterie fabrizierte
eigene Riten und Grade, welche nur dem Namen nach
maurerisch waren. Liebesgetändel trat hier an die Stelle der
Politik. Zuweilen beschränkten die zweigeschlechtigen Logen
sich nicht auf die Vergnügungsseite; im allgemeinen jedoch sind
sie nichts andres als eine wunderliche Form jenes höfischen
Lebens, das in Frankreich und Italien seine Dichter und Roman-
schreiber hatte und das in seinen späteren Auswüchsen zu den
Ausschreitungen der grofsen Revolution führte. Einige der
ältesten zweigeschlechtigen Logen wurden in Frankreich und ,
anderwärts von kühnen militärischen Müfsiggängern gestiftet.
Typisch ist der Orden der »Ritter und Damen der Freude“,
bereits 1 696 zu Paris unter dem Schutze von Bacchus und Venus
entstanden. Erwähnung verdienen auch die Orden der »Damen
vom heiligen Johannes zu Jerusalem“ (= Johanniterinnen) und
der »Jakobiterinnen" (wörtlich »Damen des heiligen Jakob vom
Schwert von Caiatrava"); diese beiden dienten als Vorbilder für
die Stiftsdamen, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die
französischen Klöster mit weltlichen Vergnügungen und höfischem
Glanz erfüllten, was von Moralisten damit entschuldigt wurde,
dafs es der Nation gleichsam im Blut liege.
Ernsterer Natur war der Orden der »Gefährtinnen Pene-
lopes“, auch »Palladium der Damen" genannt, dessen Satzungen
angeblich von Fenelon verfafst worden sind, was selbstverständlich
unwahr ist Die Erprobungen, denen sich die Aufnahmebewer-
berinnen unterziehen mufsten, sollten diesen einprägen, dafs die
Arbeit das Palladium des weiblichen Geschlechts sei. Die Ver-
einigung der »Möpse" entstand infolge der die Freimaurerei
verdammenden Bulle des Papstes Klemens XU. (1738); nach
Veröffentlichung dieser Bulle rief Klemens August, Herzog von
Bayern und Kurfürst von Köln, die »Möpse“ ins Leben, die
aber keine neue Gesellschaft, sondern die Freimaurerei unter
anderm Namen bildeten, nur dafs sie zweigeschlechtig waren.
Alle Ämter konnten von Damen bekleidet werden; neben einer
Grofsmeisterin, deren Wahl jedes halbe Jahr erfolgte, gab es
einen Grofsmeister auf Lebenszeit. Der Name »Mops" sollte
ein Sinnbild der Treue sein. Die Zeremonien der »Möpse"
waren komischer Art. Die Kandidaten klopften nicht an, sondern
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452
Die Freimaurerei.
kratzten an der Thür und bellten wie die Hunde, weil man sie
absichtlich warten liefs. Beim Eintritt trugen sie Hundehals-
bänder nebst Ketten (als Leinen). Mit verbundenen Augen
wurden sie neunmal im Saal umhergeführt, während die an-
wesenden »Eingeweihten" ein trauriges Geheul ausstiefsen und
mit Stöcken, Degen, Schaufeln, Ketten etc. einen Heidenlärm er-
zeugten. Über seine Absichten befragt, erklärte der Kandidat,
er wünsche ein Mops zu werden, worauf der Meister ihn ferner
fragte, ob er bereit sei, dieses Tier auf einen gewissen unedlen
Körperteil zu küssen. Trotz seines Zornes und Widerstandes
wurde ihm dann ein wächsener oder hölzener Hund unter die
Nase geschoben. Nach Leistung des Mitgliedeides befreite man
ihn von der Augenbinde und belehrte ihn über die geheimen
«Ausweise", welche durchweg scherzhafter Art waren.
1777 entstand in Dänemark die »Gesellschaft von der
Kette“, welcher das Verdienst gebührt, das Kopenhagener Blinden-
institut - vielleicht das besteingerichtete und gröfste Europas -
gegründet zu haben und aus Vereinsmitteln zu erhalten. Das
genaue Datum der Stiftung des „Ordens der Ausdauer« ist
unbekannt; doch weifs man, dafs er 1777 in Paris vorhanden
war, von den hervorragendsten Persönlichkeiten unterstützt wurde
und den löblichen Brauch übte, die anerkennenswerten Hand-
lungen der Mitglieder in ein Buch einzutragen; ein solches Buch
ist erhalten geblieben. Als besonders verdienstlich müssen wir
das 1810 ins Leben getretene „Souveräne Kapitel der Schottinnen
von Frankreich" bezeichnen, welches „kleinere“ und „gröfsere"
Geheimnisse hatte, die den Hauptzweck verfolgten, den Neuling
auf jene Beschäftigung hinzulenken, durch die er der Menschheit
am meisten nützen konnte. Dieser Bund, der nur 18 Jahre
lang bestand, wollte die Hungrigen mit Brot, die Arbeitslosen
mit Arbeit versehen, beiden ratend und helfend, um sie dem
Verbrechen fernzuhalten.
Der „Bauhof der Weltkugel und des Ruhmes" wurde
1747 vom Chevalier de Beauchene gestiftet, einem lustigen
Zechbruder, der sich zumeist in Wirtshäusern aufhielt, wo er
für ein Geringes alle maurerischen Grade seiner Zeit verlieh.
Der Bauhof befand sich angeblich in einem Wald und die
Versammlungen wurden in dem aufserhalb Paris gelegenen
Garten „Neu-Frankreich" abgehalten; bei denselben hingen Lords
und Clowns, Grisetten und feine Damen den leichten Landes-
sitten jener Zeit nach. Der fünf Jahre vorher ebenfalls zu
Paris von Seemännern gegründete „Orden der Glückseligkeit“
hatte vier Grade: Seekadett, Kapitän, Geschwaderchef und Contre-
Admiral. Demgemäfs waren auch die Sinnbilder und die Ter-
minologie nautischer Natur. Der Grofsorient hiefs „offene See“,
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Adoptionslogen und zweigeschlechtige Maurerei.
453
die Loge »Geschwader". Hauptsächlich handelte es sich um
Liebesangelegenheiten. Die Schwestern machten die fiktive Reise
nach der Glückseligkeitsinsel »unter den Segeln der sie lotsenden
Brüder" und die Aufnahmebewerberinnen mufsten versprechen,
»kein fremdes Schiff in ihren Hafen aufzunehmen, solange ein
Ordensschiff daselbst verankert ist." Dieser Bund erregte solches
Aufsehen, dafs 1746 eine gegen ihn gerichtete Satire erschien:
»Wie man in der Marine die höchsten Chargen erreicht, ohne
nafs zu werden.“
»Die Liebhaber des Vergnügens“ — so nannte sich ein
im französischen Lager in der spanischen Provinz Galicien ent-
standener militärischer Orden, eine schwache Nachahmung der
Übungen des Rittertums und der Liebeshöfe. Einer Rede eines
Mitgliedes entnehmen wir die folgende Stelle: »Unser Ziel ist,
unser Dasein zu verschönern, wobei wir uns an die Worte
»Ehre, Freude, Zartgefühl" halten. Wir bezwecken auch Treue
gegen unser Vaterland und gegen den erhabenen Herrscher, der
das Weltall mit seinem ruhmreichen Namen erfüllt. Wir wollen
ferner einer Sache dienen, die sich jeder sanften Seele empfehlen
mufs: dem Schutz der Jugend und Unschuld, sowie der Herbei-
führung reinster Freundschaft und ewiger Bundesgenossenschaft
zwischen den beiden Geschlechtern." Wenn es wahr ist, dafs
Napoleon I., wie es heilst, diese Gesellschaft sehr begünstigte,
die ihn als »erhabenen Herrscher" feierte, so dürfte das Ver-
gnügen wohl kaum ihr einziges Ziel gewesen sein.
Ein andrer vergnüglicher Orden wurde 1778 zu Paris von
Chaumont, Privatsekretär Ludwig Philipps von Orleans, diesem
Prinzen zuliebe gestiftet: die »Ritter und Nymphen von der
Rose." Sein Programm war: Liebe und Geheimnis. Die Grofs-
loge befand sich in einem der famosen »petites maisons" jener
Zeit; einige hochstehende Mitglieder hatten Logen in ihren Privat-
häusern. Der von einem Diakonus namens »Gefühl" unter-
stützte Hierophant weihte die Männer, die von einer Stiftsdame
namens »Verschwiegenheit“ assistierte Grofspriesterin die Damen
ein. Aufnahme fanden »Ritter" im »Alter des Liebens" und
»Nymphen« in »dem Alter, da man gefallen und geliebt werden
soll." Der »Liebestempel" — so nannte man die Logen - war
prächtig mit Blumengewinden und Liebesabzeichen geschmückt
Die männlichen Mitglieder trugen Myrten-, die weiblichen Rosen-
kronen. Bei der Aufnahme neuer Ritter und Nymphen war der
Saal anfänglich nur von einer dunkelbrennenden Laterne, welche
die Stiftsdame »Verschwiegenheit“ in der Hand hielt, beleuchtet;
dieselbe wurde jedoch bald durch zahlreiche Wachskerzen ersetzt
Die Kandidaten waren mit Ketten beladen, welche die Vorurteile
andeuten sollten, in deren Banden sie schmachteten. Auf die
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4S4
Die Freimaurerei.
Frage, was sie in der Loge suchen, antworteten sie: »Das Glück.“
Nach einem Verhör über ihr privates Verhalten in Sachen der
Galanterie durchschritten sie den Saal zweimal auf einem mit
Liebesknoten bedeckten Weg. Dann befreite man sie von den
eisernen Ketten und legte ihnen Blumengewinde an, genannt
»Liebesketten.« Hierauf leisteten sie vor dem Altar den Ver-
schwiegenheitseid und schliefslich brachten sie in dem den
Liebestempel umgebenden Hain Venus und Amor Weihrauch
dar. Auch vertauschte der männliche Neuling seine Myrtenkrone
mit der Rosenkrone der zuletzt eingeweihten Nymphe, der weib-
liche Novize seine Rosenkrone mit der Myrtenkrone des Diakonus
»Gefühl.“ Die Schrecken der Revolution bereiteten diesen
pseudomaurerischen Schäferspielen ein Ende.
Ein gewisser Franz Matthäus Grossinger, 1752 zu Komorn
in Ungarn geboren, erhob sich selber als Franz Rudolf von
Grossing in den Adelsstand und gründete 1784 in Deutschland
den »Rosenorden." Sein Vater war ein Fleischhauer, sein Grofs-
vater ein Gerber und er selbst ein Jesuit. Nach Aufhebung des
Jesuitenordens führte er ein Wanderleben, bis er 1777 auf
Empfehlung des Beichtvaters der Kaiserin von dieser ein Jahres-
gehalt von 600 Gulden erhielt, das jedoch mit ihrem Tode
wieder aufhörte. Nunmehr lebte er von allerlei Schwindeleien
und schliefslich rief er in Halle an der Saale den genannten
Bund ins Leben. Er hatte damit grofsen Erfolg und lebte von
den Beiträgen seiner Opfer im Überflufs. Als ihm in Halle der
Boden zu heifs wurde, siedelte er nach Berlin über, wo er seine
kostspielige Lebensweise fortsetzte, wegen Schulden verhaftet
wurde, aber entfloh. Er hatte den Berlinern nicht weniger als
zwanzigtausend Thaler herausgelockt!
Der Grossingsche Rosenorden — so genannt nach der ver-
meintlichen Grofsmeisterin Dame Rosenwald — gab vor, die
höchsten philosophischen und erziehlichen Zwecke zu verfolgen.
Angeblich fanden nur Männer und Frauen von hohem Ge-
sinnungsadel Aufnahme. Kein Mitglied durfte verraten, wer dem
Bund angehörte oder was in den Logen vorging. Grossing be-
hauptete, seine Schöpfung habe nur die Vorzüge der Freimaurerei
angenommen, deren Schattenseiten jedoch verworfen. Das Ordens-
band war aus rosa Seide und seine beiden Enden liefen in drei
Spitzen aus; es wies aufser einer Rose den Namen des Inhabers
oder der Inhaberin, das Datum ihrer oder seiner Einweihung,
ein grofses, von einem Rosenkranz umgebenes Rosensiegel und
eine ganz verschwommene, klexähnliche Silhouette der vorgeb-
lichen Grofsmeisterin auf. Die Mitglieder erhielten auch eine
kleine Karte mit der Erläuterung gewisser Ausdrücke, welche
Grossing in seinen Satzungen (»Domenschale“ genannt) ge-
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Adoptionslogen und zweigeschlechtige Maurerei.
455
brauchte (»Spieler" ** Freimaurer, »Füchse« = Jesuiten, »Wespen« =
Illuminaten, »Mücken« = Geisterseher). Die Mitglieder erkannten
einander daran, dafs sie wechselseitig »Dornen« und »Wald«
sagten, worauf sie ihre Karten und Bänder vorzeigten. Im Jahre
1786 zählte der Orden etwa 120 Eingeweihte, von denen jedoch
viele austraten, als sie erkannten, dafs die ganze Geschichte nur
den Zweck hatte, Grossing zu bereichern. Und da der Bund
keinerlei innere Lebenskraft hatte, vielmehr eine blofse Spielerei
war, schwand er bald von selbst dahin.
Um wieder zu Geld zu kommen, stiftete Grossing 1788 unter
einem angenommenen Namen den »Harmonie-Orden.« Er schrieb
ein Buch, das er für eine Übersetzung aus dem Englischen aus-
gab: »Die Harmonie oder Grundplan zur bessern Erziehung,
Bildung und Versorgung des weiblichen Geschlechts. Aus dem
Englischen übersetzt von Carl Reichsgrafen v. X., 1788.“ In der
Vorrede hiefs es: »Dieses Werk vermenge man ja nicht etwa
mit dem listigen Luftgebäude, mit welchem ein angeblicher Stifter
des Roseninstituts, Rosenordens, Damengesellschaft u.s.w.seit einigen
Jahren Deutschland zu täuschen gesucht hat.« Die »Harmonie«
wurde als von Seth, dem dritten Sohn Adams, gestiftet aus-
gegeben ; ferner hiefs es, sie habe Moses und Christus zu ihren
Mitgliedern gezählt und sei der beste Zufluchtsort für jede ver-
folgte Unschuld. Der Gründer zog gegen Fürsten und Pfaffen los
und schlug die Errichtung von Klöstern vor, in denen die Damen
die üblichen Gelübde nur jeweilig auf ein Jahr ablegen sollten,
sowie die Gründung einer Ordensbank. Auch beantragte er,
dafs dem Gründer als einem Wohlthäter der Menschheit ein
Denkmal errichtet werde! Als der saubere Grossing in dem-
selben Jahre (1788) wegen allerlei Betrügereien verhaftet wurde,
fand man unter seinen Papieren eine Anzahl von Diplomen mit
den Namen von Damen, die in die »Harmonie" hätten auf-
genommen werden sollen. Da die Polizei dieser Schöpfung den
Blütenstaub der Romantik mit rauher Hand abstreifte, blieb die-
selbe totgeboren. Grossing gelang es, zu entwischen, indem er
seine Wächter betrunken machte; sein späteres Schicksal ist un-
bekannt geblieben.
In den Weststaaten der nordamerikanischen Union giebt es
einen zweigeschlechtigen Grad, welcher »Maurerstochter" heilst
und welchem Inhaber des maurerischen Meistergrades sowie deren
Gattinnen, Schwestern und Töchter angehören. Diese Vereinigung
beruht auf den im 11. und 12. Kapitel des Evangeliums Johannis
berichteten Zuständen. In diesen mehr weiblichen Logen ist
der Bankettsaal in Ost, West, Süd und Nord geteilt. An der
Ostseite sitzt die Grofsmeisterin. Der Tempel (die Loge) heifst
»Eden,« der Wein »rotes Öl,“ die Thüren werden »Schranken,"
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Die Freimaurerei.
die Gläser »Lampen" genannt. Statt »die Gläser füllen“ sagt
man: „Öl in die Lampen giefsen,“ statt »trinken": „feuern,“ statt
„den Wein austrinken“: „die Lampen auslöschen." Das Er-
kennungszeichen besteht darin, dafs man die Hände auf die Brust
legt - die rechte Hand auf die linke — und mit dem Daumen
ein Dreieck bildet. Das Losungswort ist „Eva“ und es mufs
fünfmal wiederholt werden. Vieles an diesen Logen erinnert an
die weiter oben erwähnte „Kaiserliche Adoptionsloge der freien
Ritter." Seit 1877 bestehen auch in Spanien mehrere zwei-
geschlechtige Logen; dafs ihnen auch hochstehende Personen
beitreten, geht daraus hervor, dafs — wie wir in der maurerischen
„Chaine d'Union" lesen - im Juni 1880 die sowohl dem
österreichisch- ungarischen als auch dem spanischen Adel an-
gehörende Gräfin Julia A. in die Loge „Fraternidad Iberica“
(„Iberische Brüderschaft“) aufgenommen wurde. Auch soll der
spanische Grofsorient Damen genau so wie Männer in alle Ge-
heimnisse der Freimaurerei einweihen.
Schismatische Riten und Sekten.
Die Anhänger der Meinung, die Freimaurerei stamme vom
Tempelrittertum ab, behaupten, dafs die drei Mörder Hirams die
drei Verräter des Templerordens bedeuten und dafs unter Hiram
der Grofsmeister Jakob Molay zu verstehen sei. Nach dem
Ritual der deutschen Grofsen Landesloge zu den drei Weltkugeln
vertreten die den Sarg Hirams umgebenden Kerzen den Scheiter-
haufen Molays. Die Rosenkreuzer und manche deutschen Maurer-
logen halten Hiram für Christus und sehen in den drei Mördern
Sinnbilder für den Verräter Judas, den Verleugner Petrus und
den ungläubigen Thomas. Der Alte Schottenritus beruhte auf
anderen falschen Berichten über den Ursprung der Freimaurerei.
Von den sonstigen maurerischen Schismen, die im 1 8. Jahrhundert
sehr zahlreich waren, können wir hier nur die wichtigsten
anführen.
Um 1712 stiftete der bereits mehrfach erwähnte Graf Zinzen-
dorf den „Orden vom Senfkorn“ (auch „Mährische Brüder vom
Orden der religiösen Freimaurer“), dessen Geheimnisse auf der-
jenigen Stelle des Evangeliums beruhten, in welcher Christus das
Himmelreich mit einem Senfkorn vergleicht. Nach manchen
Quellen entstand dieser Orden 1808 in England, von wo er
nach Holland und Deutschland kam; Zinzendorf habe ihn an-
genommen, als er in Halle studierte (1812-14). Die Brüder
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Schismatische Riten und Sekten.
457
erkannten einander an einem Ring, der die Inschrift trug:
»Niemand von uns lebt für sich.“ Das Geschmeide bestand in
einem goldenen Kreuz, überragt von einer Senfpflanze mit der
Inschrift »Was war's früher? Nichts.“ Alljährlich kam man in
der Gnadenstädter Schlofskapelle zusammen. Der 1 5. März und
der 16. April wurden als Festtage gefeiert. Übrigens sind fast
alle Grade des schottischen Ritus schismatisch. Auch sämtliche
englischen und amerikanischen Ritterorden bilden mit ihren
Konklaven und Lagern Parodien des mittelalterlichen Rittertums.
1758 ersannen in Frankreich der Tanzmeister Lacorne und
der Schneider Pirlet das »Konzil der Kaiser vom Morgen- und
Abendland." Die Mitglieder führten den hochtrabenden Titel
»Souveräne Fürsten-Maurer, Generalsubstitaten der königlichen
Kunst, Grofs-Superintendenten und Offiziere der Souveränen
Grofsloge des Johanniterordens.“ Auch das Ritual war darauf
berechnet, durch seinen Glanz dem Publikum Sand in die Augen
zu streuen. Es bestand aus 25 Graden mit klangvollen Namen
und erzielte anfangs so grofse Erfolge, dafs Lacorne eine seiner
Kreaturen als »Inspektor" nach Amerika sandte behufs Einführung
der Gesellschaft daselbst. Int Jahre 1797 wurden von jüdischen
»Brüdern" acht neue Grade hinzugefügt und nun erhielt der
Bund den Namen »Alter und angenommener Schottenritus.“ Er
machte dem französischen Grofsorient so starke Konkurrenz,
dafs dieser, um seinen Einflufs nicht ganz zu verlieren, dem
hohen Grofskonzil des Schottenritus günstige und ehrenvolle
Vorschläge machte, welche 1804 zu einer Einigung führten;
doch gedieh die ungleiche Verbindung so wenig, dafs sie schon
nach einem Jahr gelöst wurde. Auch mit dem 1 869 vom Prinzen
Rhodokanakis in England eingeführten »Orden des Roten Kreuzes
von Konstantin und Rom“ vertrug sich das hohe Grofskonzil
nicht; dieses verhielt sich gegen den Orden vielmehr so feind-
selig, dafs derselbe bald wieder von der Bildfläche verschwand.
In Rufsland giebt es eine gnostische Sekte, die von den
Russen für maurerisch gehalten und »Farmassoni" (aus »franc-
ma^ons" verdorben) genannt wird. Sie betrachtet das Priester-
tum und die Liturgie als heidnische Verschlechterungen des
echten Glaubens und der wahren Lehre. Deshalb sucht sie das
Christentum möglichst zu vergeistlichen und es lediglich auf die
Bibel und die innere Erleuchtung der Gläubigen zu stützen.
Das erinnert lebhaft an die Bestrebungen des Grafen L. N. Tolstoj.
Den ersten Spuren der Farmassoni begegnen wir am Ende des
17. Jahrhunderts; ihr damaliges Auftreten fällt mit demjenigen
gewisser deutschen Mystiker und Theosophen in Moskau zusammen.
Unter den letzteren spielte die Hauptrolle ein im siebenjährigen
Kriege gefangen genommener preufsischer Unteroffizier.
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Die Freimaurerei.
1724 trat in England der »Orden der Gormogonen" ins
Leben. Angeblich soll er von einem chinesischen Mandarin nach
England gebracht worden sein und in China in hohem Ansehen
gestanden haben; wahrscheinlich aber war es kein Mandarin,
sondern ein Jesuitenmissionär und statt »China“ muls es wohl
heifsen „Rom." Wenigstens wird allgemein vermutet, dafs es sich
um einen Versuch der Jesuiten handelte, unter dem Deck-
mantel frei maurerischer Zeremonien dem Katholizismus Proselyten
zu gewinnen. Auch glaubt man, dafs Ritter Andreas Ramsay,
der bereits wiederholt erwähnte Erfinder der Hochgrade, der
Gründung nicht ferngestanden habe. Was das Wort „Gormo-
gonen" (zuweilen auch „Gormonen“ geschrieben) bedeutet, haben
wir nicht ermitteln können. Der Orden, der sich übrigens
schon 1738 auflöste, gab vor, im Besitz aufserordentlicher Ge-
heimnisse zu sein. Die Namen und Geburtsorte der Mitglieder
wurden in Chiffemschrift geschrieben.
Im letzten Viertel des 1 8. Jahrhunderts entstand eine Gesell-
schaft, die den erstaunlichen Namen führte: „Die Brüderschaft
der königlichen Archenseefahrer, Mark, Markmeister, Erwählte der
Neun, Unbekannte, Fünfzehn, Bauherren, Fürtreffliche und höchst
fürtreffliche Maurer." Da sie vorgaben, Abkömmlinge Noahs zu
sein, nannten sie sich auch „Noachiten“ oder „Noachiden." Der
Vorsitzende, Thomas Boothby Parkyns Lord Rancliffe, hiefs der
„Grofs-Noah," die Loge das „königliche Archenfahrzeug." In der
Loge trugen die Brüder breite, den Regenbogen darstellende
Schärpen und gestickte Schürzen, auf denen die Arche, die Taube
mit dem Ölzweig etc. sichtbar waren. Diese Brüderschaft darf
nicht mit dem ebenfalls den Namen „Noachit“ (oder auch
„Russischer Ritter") führenden 21. Grad des Alten Schottenritus
verwechselt werden.
Der in Riddagshausen bei Braunschweig lebende Frei-
maurer Konrad v. Rhetz stiftete zu seinem Privatvergnügen den
»Orden der Argonauten." Er war ein Logenmeister der Laxen
Observanz gewesen, hatte sich aber mit den Brüdern überworfen
und den Besuch der Loge eingestellt. Auf einer Insel des in
der Nähe seiner Besitzung befindlichen grofsen Sees baute er
einen »Tempel", den die Besucher mit Booten erreichten, die er
ihnen zur Verfügung stellte. Wer dazu Lust hatte, wurde in
den Bund aufgenommen, welchem denn auch, nebst mehreren
Damen, viele Braunschweiger Freimaurer beitraten. Der Grofs-
meister, »Grofsadmiral“ genannt, liefs sich nicht nur nichts für
die Einweihung bezahlen, sondern bewirtete auch noch alle
Gäste aus eigenen Mitteln. Der Grufs lautete: »Lange lebe das
Vergnügen!" Die »Beamten" hiefsen »Steuermann“, »Schiffs-
geistlicher“ u. s. w., die anderen Brüder »Argonauten.“ Das Ge-
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Verbreitung und jetziger Stand.
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schmeide bestand in einem grün emaillierten Silberanker. Der
Tempel war in antikem Stil erbaut, die Ausstattung originell.
Nach dem Tode des Stifters löste der Bund sich von selbst auf
(1787) und vom Tempel ist nichts mehr vorhanden.
1877 schaffte der französische Orofsorient in seinen Logen
das Bekenntnis des Glaubens an Gott ab, das 1854 ins Ritual
aufgenommen worden war. Dadurch kam es zum Bruch zwischen
dem Grofsorient und der Grofsloge von England. Da in
Frankreich die Freimaurerei gegenwärtig sowohl in sozialer als
auch in politischer Hinsicht ungemein einflufsreich ist, mufs in
ihr die Flauptstütze der Bewegung gesucht werden, welche der
Geistlichkeit die Ausbildung der Jugend zu entziehen trachtet.
Im Gegensatz zur englischen, billigen die spanischen und
holländischen Grofslogen die Ausmerzung des Gottesnamens aus
dem Aufnahmeritual. Überhaupt ist die Freimaurerei des
europäischen Festlandes im allgemeinen auf die Ablenkung des
menschlichen Geistes von den positiven kirchlichen Glaubens-
bekenntnissen gerichtet.
Verbreitung und jetziger Stand.
Spanien und Portugal: Im Jahre 1726 erteilte die
Grofsloge von England ein Patent für die Errichtung einer Loge
in Gibraltar. Ein Jahr darauf wurde in Madrid eine Loge ge-
gründet, welche sich vom Ausland unabhängig erklärte und bald
auch in Cadiz, Barcelona, Valladolid und anderen Städten Logen
ins Leben rief. Da die Inquisition, die Kirche für bedroht
haltend, den Bund verfolgte, hüllte er sich ins tiefste Geheimnis.
Während der napoleonischen Kriege entwickelten die Logen eine
eifrige politische Thätigkeit. Ferdinand VII. unterdrückte sie
gänzlich, doch erhielten sich einige wenige unter anderen Namen
und seit 1868 steigt ihre Zahl immer höher; augenblicklich giebt
es ihrer in Spanien rund 370. Der spanischen Grofsloge unterstehen
154, dem Grofsorient von Spanien 162, dem lusitanischen Grofs-
orient etwa 40 Logen. Ungefähr 40 Logen gehören zu ausländischen
Grofslogen. Spanien zählt gegenwärtig rund 30000 Maurer. In
Portugal entstanden die ersten Logen unter französischer Ägide,
doch wurden bald auch mehrere durch englischen Einflufs ge-
gründet Auch hier fielen trotz aller Verborgenheit zahlreiche
»Brüder" den blutgierigen Inquisitoren in die Hände.
Rufsland: Anno 1731- wagte es die Freimaurerei, sich
der dortigen Willkürherrschaft zu widersetzen; dennoch blieb sie
unbehelligt, denn die Behörden mifsachteten sie, statt sie zu
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Die Freimaurerei.
4b0
fürchten. Aber angesichts der eigentümlichen Regierungsverhält-
nisse unter Anna, die sich von dem grausamen Biron beeinflussen
liefs, hielten die Maurer Vorsicht für geboten. 1740 stiftete
England in St. Petersburg eine Loge und schickte einen Grofs-
meister dahin. 23 jahre später entstand in Moskau die Loge
»Klio“. Katharina II. erwog den Nutzen und den Schaden, den
die Begünstigung bezw. die Verfolgung des Bundes ihrer Regie-
rung bringen könnte; sie entschied sich für die Förderung und
dadurch wurde die Sache zu einer Modeangelegenheit, zum Zeit-
vertreib der Vornehmen. Logen mit den prunkvollsten Tempeln
wurden in grofser Zahl geschaffen, aber der fortschrittliche Ur-
zweck der russischen Maurerei ging dabei verloren und der
Verlust des belebenden Freiheitsgeistes mufste trotz allen äufseren
Glanzes zu tötlicher Schwindsucht führen.
Schweiz: Unter englischen Auspizien kam 1737 zu Genf
eine Loge zu stände, deren erster Grofsmeister George Hamilton
war. Zwei Jahre später bildeten die in Lausanne lebenden Aus-
länder die Loge »zur vollkommenen Union der Ausländer“.
Auch in Bern wurden Logen errichtet, aber die Ränke der Grofs-
logen der Nachbarstaaten der Schweiz hatten langwierige und
heftige Zwistigkeiten im Gefolge. 1765 schuf die Strikte Obser-
vanz in Basel die Loge »zur Freiheit“; sie wurde zur Mutter-
loge vieler Schweizer Logen, nahm als solche den Namen
»Deutschhelvetisches Direktorium" an und wählte Lavater zum
Oberhaupt. Eine Zeitlang erlitt die Freimaurerei Verfolgungen
und wurde verboten, doch lebte sie wieder auf und im Jahre
1844 vereinigten sich die kantonalen Grofslogen zur Bundes-
grofsloge »Alpina“. Es heifst, dafs diese einen grofsartigen
Tempel errichten will; in der That dürfte ein solcher mehr als
sonstwo am Platze sein in einer Republik, in welcher vier grund-
verschiedene Nationalitäten in Eintracht und Freiheit Zusammen-
leben.
Schweden: Dorthin wurde die Maurerei 1 736 verpflanzt;
nach zwei Jahren verbot König Friedrich ihre Versammlungen
bei Todesstrafe; nachträglich stellte er sich aber selber an die
Spitze. 1748 waren bereits viele blühende Logen vorhanden.
Sechs Jahre darauf trat mit einem Patent der Grofsloge von
Schottland die Grofsloge von Schweden ins Leben, die aber
später ihre Unabhängigkeit erklärte, welche dann von allen
maurerischen Vereinigungen Europas anerkannt wurde. Im
ältesten schwedischen Ritual kommt das Notzeichen und der
Notschrei der Söhne Adonirams zum erstenmal in Europa vor.
Die schwedische Maurerei hat sich allmählich zu einem eigenen,
hierarchisch eingerichtetem, gnostisch-kabbalistischem System mit
neun Graden herausgebildet, welches auf den Ordensmeister als
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Verbreitung und jetziger Stand.
161
alleinigen Bewahrer des Geheimnisses hinausläuft. Auch die
Grofsloge von Dänemark arbeitet nach schwedischem System.
Dort wurde die Freimaurerei 1792 von Staatswegen unter den
Grofsmeister Prinzen Karl von Hessen gestellt.
Polen: Anno 1734 unterdrückt, lebte die Freimaurerei
unter Stanislaus August mit Hilfe des Grofsorients von Frank-
reich wieder auf. 1784 traten die polnischen Logen zu einem
Grofsorient mit dem Sitz in Warschau zusammen.
Holland: Unter der Ägide der Grofsloge von England
wurde 1731 eine sogenannte Notloge eigens zu dem Zweck ein-
berufen, den Herzog von Toskana - nachmals als Franz I.
Kaiser von Deutschland — einzuweihen. Die erste regelrechte
Loge entstand drei Jahre nachher im Haag; 1739 nahm sie den
Titel „Mutterloge" an und bald gab es in Holland und dessen
überseeischen Niederlassungen zahlreiche Logen, welche, um die
Geistlichkeit aus dem Schulwesen zu verdrängen, viele Schulen
gründeten. 1756 erkannte die Staatsverwaltung die Maurerei
unter der Bedingung an, dafs sämtliche Logen des Landes der
Haager Mutterloge unterstehen müssen.
Morgenland: Auch nach der Türkei hat sich die Frei-
maurerei verirrt, doch hatte sie lange um ihren Bestand zu
kämpfen. Logen wurden in Konstantinopel, Smyrna und Aleppo
errichtet Die türkischen „Brüder" sind fortschrittlicher gesinnt
als die Masse der Orientalen; sie verwerfen die Vielweiberei und
lassen Damen zu den „Schwesterlogen" (d. h. feierliche Ver-
sammlungen bei aufserordentlichen Anlässen unter Gestattung
der Anwesenheit der Schwestern, Gattinnen und Bräute der Mit-
glieder) unverschleiert zu. Die ostindischen Logen unterstehen
den Grofslogen von England und Schottland. In Britisch-Afrika
gab es schon i. J. 1735 eine Loge; jetzt sind solche vorhanden
im Kapland, auf Mauritius und Sankt-Helena. ln anderen Teilen
Afrikas haben Madagaskar, Algerien, Tunis, Marokko, Kairo und
Alexandrien Logen.
Amerika: Um 1745 erfolgte die Einführung der „könig-
lichen Kunst" in Kanada und Westindien. Nach Errichtung des
brasilianischen Kaiserthrones entstand zu Rio de Janeiro eine
Grofsloge, die 1825 den Kaiser zum Grofsmeister wählte. In
dem letztgenannten Jahr kam die Grofsloge von Mexiko zu stände;
während die Liberalen und die Föderalisten sich dem York-Ritus
anschlossen, bekannten sich die Klerikalen und die Zentralisten
zum schottischen Ritus, und die beiden Parteien befehdeten
einander aufs heftigste. Auch in Texas, Venezuela und den
hitzigen, kampflustigen Republiken Südamerikas fehlte es nicht
an Logen, aber viele waren kaum etwas andres als politische
Klubs. Ein solcher veranlafste 1875 die Ermordung Garcia
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462
Die Freimaurerei.
Morenos, des Präsidenten der Republik Ecuador. Als man dem
Mörder das Leben schenken wollte, wenn er seine Mitschuldigen
nenne, antwortete er: »Dann würden meine Genossen mir das
Leben nehmen, und ich will lieber von euch erschossen, als von
ihnen erstochen werden.“ Im Gebiete der jetzigen Vereinigten
Staaten von Nordamerika gab es schon i. J. 1729 Logen. Diese
unterstanden bis zum Ende des Revolutionskrieges der Grofsloge
von England. Gegenwärtig hat fast jeder einzelne Staat seine
eigene unabhängige Grofsloge.
Was den heutigen Stand des Maurertums betrifft, so läfst
sich darüber begreiflicherweise nichts vollkommen Verläfsliches
wissen; aber wir entnehmen guten deutschen Quellen die nach-
stehenden Einzelheiten.
ln Deutschland arbeiten etwa 380 Logen teils unabhängig,
teils unter den folgenden Grofslogen, welche sich seit 1872 zu
einem Grofslogenbund mit wechselndem Vorsitz vereinigt haben:
National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln in Berlin; Grofse
Landesloge der Freimaurer von Deutschland in Berlin; Grofse
Loge von Preufsen, genannt Royal York zur Freundschaft;
Grofse Mutterloge des eklektischen Bundes in Frankfurt; Grofse
Loge zu Hamburg nach Schröderschem System; Grofse Landes-
loge von Sachsen zu Dresden; Grofse Loge zur Sonne in
Bayreuth; Grofsloge des Freimaurerbundes zur Eintracht in
Darmstadt. In Österreich, wo die Freimaurerei seit 1794 ver-
boten ist, haben sich zu Wien sieben Logen aufgethan, die aber
auf ungarischem Boden arbeiten müssen. In Ungarn haben sich
die früheren zwei Grofslogen 1 886 vereinigt. In Grofsbritannien
bestehen drei Grofslogen: 1. die Vereinigte grofse Loge von
England zu London mit rund 2000 Logen, Grofsmeister ist der
Prinz von Wales; 2. die Grofsloge von Schottland in Edinburg
mit etwa 540 Töchterlogen; 3. die Grofsloge von Irland zu
Dublin mit 500 Logen. In Frankreich hat der Grofsorient über
300, der Schottenritus 70, die Symbol-Grofsloge rund 20 Logen.
Der Groot-Oosten (Grofsorient) von Holland zählt 82 Logen.
An der Spitze der belgischen Logen steht der aus den Ab-
gesandten der einzelnen Logen gebildete Grofsorient von Belgien
zu Brüssel mit 14 Logen; daneben besteht für die Hochgrade
das Hohe Konzil von Belgien. Die Schweizer Grofsloge »Alpina»
zählt 35 Logen; die Grofsloge von Dänemark, deren Ordens-
meister Kronprinz Friedrich ist, hat zehn Logen unter sich.
Ordensmeister der Grofsen Landesloge von Schweden, welche
22 Johannislogen zählt, ist König Oskar II. ln Italien besteht
ein Grofsorient zu Rom mit 200, in Portugal der Grofsorient
von Lusitanien mit 70 Logen, Spanien besitzt drei Grofslogen
mit weit über 400 Logen. Die Grofsloge für Griechenland zu
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Verfolgungen.
463
Athen zählt 10 Logen. Es giebt ferner: in St. John die Grofs-
loge von Neu-Braunschweig (32 Logen), in Hamilton die von
Kanada (350 Logen), in Montreal die von Quebec (fast 90 Logen),
in Halifax die von Nova Scotia (rund 70 Logen), in Victoria
die von Britisch -Columbia (6 Logen), in Lima die von Peru
(10 Logen), in Valparaiso die von Chile (20 Logen), in Rio de
Janeiro zwei von Brasilien (170 Logen), in Caracas die von
Venezuela (40 Logen), in Montevideo die von Uruguay (34 Logen),
in Buenos Ayres die von Argentinien (54 Logen), in Port au
Prince die von Haiti (18 Logen), in Santiago die von Cuba
(rund 70 Logen). Liberia zählt sechs, San Domingo elf, Mexiko
zwölf, Manitoba 28, Prince Edwards Island 10, Luxemburg 2, die
australische Kolonie Victoria 12 Logen. In ganz Australien und
Ozeanien dürfte es gegenwärtig etwa 200 Logen geben, ln den
Vereinigten Staaten von Nordamerika gab es nach der Schätzung
von 1886 43 Grofslogen mit rund 8000 Töchterlogen (darunter
86 deutsche), aufser den zahlreichen Negerlogen. Während
damals die Zahl der dortigen Maurer auf kaum 600000 an-
genommen wurde, soll sie nach einer für das Jahr 1899 ange-
stellten Berechnung über 5800000 betragen (?). Nach derselben
Statistik gäbe es in Canada und Südamerika 4582000, in Mittel-
amerika und dessen Inseln 22000, in Afrika 90000, in Asien
und Australien zusammen gegen 70000, in Europa ungefähr
8000000, auf der ganzen Erde 22 Millionen Freimaurer mit
141 385 Logen. (??)
Verfolgungen.
Die Geheimnisthuerei, mit der die maurerische Brüderschaft
jederzeit ihr Thun umgeben hat, war für sie oft mit grofsem
Nachteil verbunden. Die Aufsenwelt konnte und kann nicht
leicht zu dem Glauben veranlagt werden, dafs es in Versamm-
lungen, welche mit so grofser Eifersucht geheim gehalten werden,
wirklich harmlos zugehe; vielmehr mufs sie begreiflicherweise
das Gegenteil annehmen, denn was die Öffentlichkeit scheut, wird
allgemein für schlecht oder böse gehalten. Deshalb verfolgten
alle Regierungen die Freimaurerei in der Regel nur so lange,
als sie deren Wesen nicht näher kannten. Sobald sie aber ihre
eigentliche Beschaffenheit, ihre Zwecke und Ziele kennen lernten,
unterstützten sie dieselbe sogar, da sie es für ausgeschlossen
hielten, dafs Leute, denen das bedeutungslose Treiben in den
Logen Vergnügen bereiten kann, Schlimmes im Schilde führen
könnten. Eine der ersten Verfolgungen erlitt die Maurerei 1734
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464
Die Freimaurerei.
in Holland. Von der Geistlichkeit aufgehetzt, brach ein Haufe
unwissender Fanatiker in eine Loge ein, deren Einrichtung und
Ausschmückung er zerstörte. Als jedoch der Stadtschreiber auf
Anregung des Ordens eingeweiht worden war, erteilten die
Generalstaaten nach Prüfung seines Berichtes dem Bunde ihre
Genehmigung und bald traten diesem zahlreiche hervorragende
Personen bei. Es ist freilich oft vorgekommen, dafs in den
Logen Politik getrieben wurde und in solchen Fällen hatten die
Verfolgungen eine gewisse Berechtigung; das läfst sich jedoch
von den gegen die eigentliche Freimaurerei gerichteten Verfolgungen,
mit denen allein wir es hier zu thun haben, nicht sagen.
Im Jahre 1738 erliefs Papst Klemens XII. gegen den Bund
ein Dekret, welchem ein Jahr darauf ein noch strengeres folgte,
das jeden ertappten Freimaurer mit Gütereinziehung und Todes-
strafe bedrohte. Daraufhin begannen in allen römisch gesinnten
Ländern umfangreiche Verfolgungen. Doch weigerte sich das
Pariser Parlamentsgericht, die Bulle einzutragen und in Dublin
wurde eine der Freimaurerei günstige Schrift veröffentlicht. Da-
gegen setzte Philipp V. von Spanien auf die Maurerei lebens-
längliche Galeeren oder den Foltertod und liefs eine grofse
Anzahl von Brüdern verhaften und verurteilen. Der Grofs-
inquisitor Peter Torrubia trat dem Orden 1751 eigens zu dem
Zwecke bei, ihn verraten zu können. Als er sich mit der ganzen
Organisation desselben in Spanien vertraut gemacht hatte, liefs
er Mitglieder von 97 Logen einkerkern und foltern. Ferdinand VI.
stellte die Freimaurerei dem Hochverrat gleich und bestrafte sie
mit dem Tode. Als die Franzosen Spanien eroberten, wurde die
Freimaurerei wieder eingeführt und die Mitglieder der Grofs-
loge von Madrid hielten ihre Versammlungen im Hauptsaal des
früheren Inquisitionspalastes ab. Mit der Rückkehr Ferdinands VII.,
der die Inquisition wieder herstellte, begann auch der Aus-
rottungsprozefs von neuem. 1814 wurden 25 der Freimaurerei
verdächtigte Personen in Ketten eingesperrt und die Zahl der
späteren Verhaftungen war so grofs, dafs sie sich nicht einmal
annähernd schätzen läfst. 1824 befahl ein Gesetz den Frei-
maurern, sich zu nennen und alle ihre Papiere abzuliefern,
widrigenfalls sie als Verräter behandelt werden würden, ln dem-
selben Jahre erliefs der Kriegsminister eine Kundmachung, in
welcher alle Maurer für vogelfrei erklärt wurden. Drei Jahre
später erfolgte die Hinrichtung von sieben Mitgliedern einer
granadischen Loge und 1828 verurteilten die Gerichte von
Granada den Marquis von Lavrillana und den Kapitän Alvarez
wegen Gründung einer Loge zur Enthauptung. Später wurden
Maurer nicht mehr hingerichtet, sondern auf die Galeeren geschickt
und noch 1854 kerkerten die spanischen Behörden Freimaurer ein.
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Verfolgungen.
■465
1735 errichteten einige adelige Portugiesen in Lissabon
eine Loge, aber die Pfaffen begannen alsbald gegen dieselbe zu
hetzen. 1743 liefs die Inquisition einen gebürtigen Schweizer,
Namens John Coustos, verhaften, in einen unterirdischen Kerker
werfen und in drei Monaten neunmal foltern , weil er die
maurerischen Geheimnisse nicht enthüllen wollte; zu fünfjähriger
Galeerenstrafe verurteilt, wurde er als englischer Unterthan auf
Betreiben der britischen Regierung vor Ablauf seiner Strafzeit
freigelassen. 1776 verhaftete man zwei Maurer und behielt sie
über vierzehn Monate im Gefängnis. 1792 befahl Königin
Maria I., dafs alle Freimaurer der Inquisition ausgeliefert werden;
nur wenige Familien konnten sich nach New-York retten. 1818
erliefs Johann VI. von Brasilien aus ein Edikt gegen alle ge-
heimen Gesellschaften einschliefslich des Freimaurerbundes; ein
fünf Jahre später erlassenes noch strengeres Gesetz bedrohte die
Maurer mit dem Tode, doch wurde nachträglich die Todesstrafe
durch Deportation nach Afrika ersetzt.
In Österreich führten die päpstlichen Bullen zu Verfolgungen
und Verhaftungen; darum verbarg sich die Maurerei hinter dem
bereits geschilderten Orden der Möpse, welcher auch in Holland,
Belgien und Frankreich Verbreitung fand. 1747 wurden in Wien
30 Maurer gefangen gesetzt. Da Maria Theresia nicht im stände
war, die Geheimnisse des Bundes zu ergründen, ordnete sie die
Verhaftung sämtlicher Maurer an; allein Kaiser Josef II., der selbst
ein Freimaurer war, machte diese Mafsregel rückgängig, denn er
kannte die Harmlosigkeit des Ordens. 1 794 forderte Franz I.
auf dem Regensburger Reichstag die Unterdrückung sämtlicher
Logen in ganz Deutschland; da aber die übrigen Staaten dies ab-
lehnten, trat das Verbot nur in Österreich in Kraft. Die Geschichte
der mittelitalienischen Freimaurerei im achtzehnten und neunzehnten
Jahrhundert war eine lange Leidenskette, indem fortwährend in-
folge der Unduldsamkeit der Pfaffen oder des Einschreitens der
Civilbehörden zahlreiche Brüder verfolgt und bestraft wurden.
Übrigens beschränkte sich die Verfolgungssucht nicht auf
katholische Länder. Sogar in der Schweiz machte sie sich einst
geltend, indem der Rat von Bern 1745 ein Strafgesetz gegen
Logenmitglieder erliefs und es 1782 erneuerte; selbstverständlich
ist es längst aufgehoben. Während jetzt, wie wir weiter oben ge-
sehen haben, in Schweden der König an der Spitze der königlichen
Kunst steht, verbot Friedrich I. diese bei Todesstrafe in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. König Friedrich August III.
von Polen untersagte 1730 die Freimaurerei unter Androhung
schwerer Strafen. 1757 nahm die Synode von Stirling in
Schottland einen Beschlufs an, der allen Freimaurern die
Segnungen der Religion entzog. Was England betrifft, so wurden
Heckethorn-Katschcr, Geheimbündc u. Geheimlehren. 30
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466
Die Freimaurerei.
1799 und 1840 vergebliche Versuche gemacht, das Parlament
zu gesetzlichen Mafsregelrt gegen die Freimaurerei zu bewegen.
Auch in litterarischer Hinsicht ist die Freimaurerei häufig
heftig angegriffen worden. Zu den ältesten englischen Angriffen
gehört »Die Freimaurerei, eine hudibrastische Dichtung" (1723);
sie bietet gröbstes Geschütz und schildert die Brüder als Trunken-
bolde und Nachtschwärmer, die allerlei niedrige Bräuche üben.
Zwischen 1726 und 1760 erschienen in England mehrere wert-
lose Werke mit angeblichen Enthüllungen der maurerischen
Geheimnisse; die Verfasser hatten aber in Wirklichkeit keiner-
lei thatsächliche Kenntnis derselben. 1768 veröffentlichte ein
fanatischer Pastor eine vollkommen unsinnige Predigt unter dem
Titel »die Freimaurerei - der Weg zur Hölle." Von den
französischen und italienischen Büchern gegen die Brüderschaft
seien erwähnt: »Die geheimsten Geheimnisse der Maurerei,“
»Entlarvt," »Der Schleier gelüftet, oder das Geheimnis der
Förderung der Revolutionen durch die Freimaurerei.“ Als be-
sonders furchtbar wird die »königliche Kunst“ hingestellt in
Robisons »Beweise einer Verschwörung gegen alle Religionen
und Regierungen Europas in den geheimen Versammlungen der
Freimaurer, llluminaten und Lesegesellschaften.“ Ähnlicher Blöd-
sinn wie bei Robison findet sich in Abbe Barruels »Denkwürdig-
keiten zur Geschichte des Jakobinismus,“ ein aufserordentlich
unkritisch und unehrlich geschriebenes Werk. Auch von
protestantischer und jesuitischer Seite ist vielfach gegen den
Orden geschrieben worden, so von Lindner (»Mac-Benach," 1818),
Hengstenberg und Möller.
Wohl der umfangreichste litterarische Angriff ist Dr. E. E.
Eckerts »Magazin der Beweisführung für Verurteilung des Frei-
maurer-Ordens“ (vgl. »Der Wilhelmsbader Konvent“), 1852 80
in drei dicken Bänden erschienen. Der wütende Verfasser hält
die Maurerei für allgegenwärtig und erblickt sie sogar in den
chinesischen Geheimgesellschaften. Er glaubt allen Ernstes, dafs
nicht nur die bayrischen llluminaten und die deutsche Burschen-
schaft, sondern auch die Carbonari, das Junge Italien, die
spanischen Liberalen und die französischen Jakobiner aus dem
Schofse der Freimaurerei hervorgegangen seien. Wegen seiner
Angriffe auf hochstehende Brüder wurde Eckert aus Berlin aus-
gewiesen. Aus der neuesten Zeit stammt das ebenfalls drei-
bändige, nicht unwichtige Werk des französischen Paters Deschamps
»Die Geheimbünde und die Gesellschaft“ (»Les societes secretes
et la Societd,“ Paris und Avignon 1882-83). Dieser Autor
schreibt alle politischen, sozialen und sittlichen Mifsstände der
Welt der verborgenen Thätigkeit der Freimaurerei zu, als deren
Ziel er die Beseitigung aller Religion, Moral und Gerechtigkeit
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Verfolgungen.
467
bezeichnet. Im Jahre 1873 hatte das deutsche Werk »Die ge-
heime Fehde der Freimaurerei gegen Kirche und Staat" von der
»königlichen Kunst“ dasselbe behauptet.
Was die Kirche betrifft, so hört die Maurerei noch immer
nicht auf, in ihren Augen ein Popanz zu sein. Papst Pius IX.,
der übrigens in seiner Jugend selber eingeweiht worden war,
wetterte 1875 in einer Bulle gar gewaltig gegen den Orden und
neun Jahre später, kurz nach der Einsetzung des Prinzen von
Wales als Qrofsmeister Mark-Maurer, erliefs der gegenwärtige
»Statthalter Christi auf Erden“ eine Encyklika, in welcher er die
Brüderschaft als verbrecherisch, gottlos, umstürzlerisch u. dgl.
hinstellte. Aus dem letzten Jahrzehnt stammt das geradezu
idiotische Buch eines Dr. Hacks-Bataille »Der Teufel im 19. Jahr-
hundert", das des gröbsten Aberglaubens voll ist und besonders
viel von der angeblichen Teufelsanbetung der Freimaurer faselt
An das Erscheinen des letztgenannten Werkes knüpft sich
die tragikomische, grofsartige und vorzüglich gelungene Irre-
führung der Pfaffenwelt durch den Pariser Zeitungsschreiber
Gabriel Jogand vor wenigen Jahren. Dieser Schalk veröffentlichte
unter dem Pseudonym Leo Taxil mehrere Schriften, in denen er
sich als einen zum Katholizismus bekehrten Logenbruder be-
zeichnete und die angeblichen Geheimnisse der Freimaurerei zu
verraten behauptete. Er fingierte die vorgeblich ebenfalls bekehrte
Logenschwester Mifs Diana Vaughan und liefs sie die gräfslichsten
Geschichten über das Treiben der Freimaurer erzählen, so z. B.
dafs sie dem Satan Mefsopfer darbringen, von bösen Geistern
besucht werden etc. Einmal sei ein Teufel in Gestalt eines
Krokodils erschienen, habe Klavier gespielt und seine Unterschrift
»Bitru" hinterlassen. Franz Brückner schreibt zu diesem Gegen-
stand: »Die fromme Zeitschrift „Pelikan“ in Feldkirch bot sich
der nicht existierenden Mifs als Sprachrohr für die Dummen
unter den Deutschen an, und ein in Frankreich begründeter
„Weltbund" gläubiger Katholiken hielt im September 1896 in
Trient einen internationalen Kongrefs ab, der den Kampf gegen
die Freimaurer organisieren sollte. 36 Erzbischöfe und Bischöfe
haben an diesem „zweiten Trienter Konzil" teilgenommen, darunter
aber glücklicherweise kein Deutscher. Die reichsdeutschen katho-
lischen Zeitungen haben den Taxilschwindel anfangs skeptisch
behandelt und sind ihm später entschieden entgegengetreten;
vergebens aber haben sie die glaubenseifrigen österreichischen,
französischen und italienischen Kollegen vor dem ihnen drohenden
greulichen Reinfall gewarnt, den ihnen bald darauf Taxil bereitet
hat, indem er in öffentlicher Versammlung erklärte, „er habe alles
erlogen, um die Leichtgläubigkeit der katholischen Priester blofs-
zustellen." - Es stellte sich heraus, dafs nicht nur Mifs Vaughan,
30*
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46S
Die Freimaurerei.
sondern sogar auch Dr. Hacks-Bataille eine Erfindung Taxils
war, dem der von sechshundert Priestern beschickte und vom
Kardinal Agliardi präsidierte Anti-Freimaurerkongrefs in so ergötz-
licher Weise aufgesessen war. Leider sterben die Dummen eben
nie aus und »blinder Eifer schadet nur.“
Deutsches und Nachträge.
Der geschichtliche Verlauf der Freimaurerei in Deutschland
weist im grofsen Ganzen dieselben Züge auf wie ihr allgemeiner
Entwicklungsgang: anfangs die reine englische Maurerei (Gesellig-
keit, Toleranz, Wohlthätigkeit), nachher die Verirrungen des Hoch-
gradeunwesens, schliefslich die Pflege der Humanität Kaum
war 1733 in Hamburg die erste deutsche Loge entstanden, so
wurden in kurzer Zeit so viele andere errichtet, dafs schon nach
vier Jahren Heinrich Wilhelm v. Marschall, Erbmarschall von
Thüringen, zum Provinzial-Grofsmeister von Obersachsen ernannt
wurde. Sehr gefördert wurde die Bundessache durch den Beitritt
des Kronprinzen Friedrich von Preufsen (1738). Die weitere
Geschichte bis nach dem Wilhelmsbader Konvent haben wir
bereits in früheren Kapiteln mitgeteilt. Nach dem Tode des «
Herzogs von Braunschweig erlosch die Strikte Observanz und
nunmehr machte sich in der deutschen Brüderschaft das Streben
nach Rückkehr zu den alten, einfachen Grundlagen der echten
Freimaurerei geltend. Deutschland übernahm statt des stabil
verbleibenden England die Aufgabe, diese Rückkehr durch gründ-
lichere Erforschung des Wesens und der Geschichte der könig-
lichen Kunst anzubahnen. Dahin gehören die Bestrebungen des
eklektischen Bundes, welcher 1783 zu Frankfurt ins Leben trat.
Ihm folgte ein Jahr darauf die Grofse Nationalloge zu den drei
Weltkugeln, welche sich mit ihren Töchterlogen von sämtlichen
tnaurerisehen Verbindungen für unabhängig und das Wesen der
Freimaurerei in den drei Johannisgraden für abgeschlossen er-
klärte. Sie fügte zwar noch vier Hochgrade hinzu, aber blofs
als Erkenntnisstufen, die die Kenntnis der verschiedenen Systeme
und ihrer Symbole vermitteln sollen, ohne irgend welche Sup-
rematie zu üben. Auch die aus der Loge Royal York hervor-
gegangene Grofsloge Royal York zur Freundschaft änderte unter «
j. A. Fefsler ihr Ritual und ihre Verfassung ab und nahm statt
der vier höheren Grade sechs Erkenntnisstufen an: Allerheiligstes,
Justifikation, Feier, Übergang, Heimat, Vollendung. Diese sechs
Stufen wurden später auf eine reduziert. Eine noch durch-
greifendere Umgestaltung machte die Grofsloge von Niedersachsen
zu Hamburg durch, indem Schröder alle höheren Grade be-
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Deutsches und Nachträge. 4b9
seitigte, nur die drei symbolischen Grade beibehielt und das
Reinmenschliche zum Prinzip erhob. So entstand das Schrödersche
oder Hamburger System. 1770thaten sich zwölf auf schwedischer
Grundlage errichtete Logen zur Grofsen Landesloge Deutschlands
zusammen. Ferner entstanden noch vier Grofslogen: 1813 die
Landesloge von Sachsen, später die Grofsloge zur Sonne in
Bayreuth, 1846 die Grofsloge zur Eintracht in Darmstadt, endlich
die Grofse Loge des Königreichs Hannover, die sich jedoch
infolge der Ereignisse von 1866 auflöste.
Gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die politische
Bewegung dem Bunde nachteilig, indem viele thätige Kräfte sich
zurückzogen. Die Revolutionszeit 1848-49 führte vollends zu
Parteiungen und Stillstand. Die nachfolgende Reaktion war trotz
aller Angriffe nicht geeignet, eine Besserung herbeizuführen.
Erst die seit 1850 erscheinende maurerische Wochenschrift
»Bauhütte“ von dem bekannten Fachschriftsteller und Verleger
J. G. Findel brachte wieder Leben in die Logen, indem sie sich
an die Spitze einer reformatorischen Bewegung stellte. An-
fänglich verhielten sich die meisten Grofslogen ablehnend, all-
mählich jedoch entschlossen sie sich zu einer zeitgemäfsen
Abänderung ihrer Verfassungen und Rituale. 1861 entstand
»der Verein deutscher Freimaurer", der in jährlichen Wander-
versammlungen für zeitgemäfse Ausgestaltung des Bundes, Ein-
führung eines allgemeinen Grundgesetzes, gröfsere Öffentlichkeit,
Beseitigung des Dogmatismus, des Titelwesens, der Hochgrade
und anderer Obeistände eintrat, vor allem auch für umfassende
maurerische Werkthätigkeit. Diese reformatorische Bewegung
bewirkte 1872 die Gründung eines deutschen Grofslogenbundes.
Als der Verein deutscher Freimaurer nach der Verdrängung
Findels aus dem Vorstand zu erschlaffen begann, rief der
Genannte 1 884 den Lessingbund deutscher Freimaurer ins Leben.
Im August 1897 konstituierte sich in Braunschweig der
Einheitsbund deutscher Freimaurer, der die bestehenden Gegen-
sätze auf der Grundlage des Bekenntnisses zum Christentum
überwinden will. Jedes beitretende Mitglied mufs das folgende
»Formular" unterschreiben: »Der Einheitsbund verfolgt den
Zweck, die in der deutschen Maurerei vorhandenen Gegensätze
zu beseitigen und eine für das Ansehen und den Einflufs der
Maurerei notwendige Wesenseinheit herbeizuführen. Der Ein-
heitsbund stellt sich dabei auf den Standpunkt des keine Kon-
fession ausschliefsenden, aber allen Konfessionalismus im Bunde
selbst überwindenden Humanitätsprinzips. Die Mitglieder des
Bundes bekennen sich zu dem Grundsätze, dafs dieses Humanitäts-
prinzip seinen Ursprung habe in der Lehre Jesu von einem alle
Völker und alle wahre Gottesverehrung umfassenden Reiche Gottes
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470
Die Freimaurerei.
auf Erden, und dafs der symbolische Tempelbau nichts anderes
sei, als die Arbeit an jenem in Jesu Lehre begründeten Gottes-
reiche. Der Bund erstrebt eine gesetzliche, für alle Systeme verbind-
liche Deklaration, welche auf jene Lehre Jesu ausdrücklich Bezug
nimmt und damit jede Abweichung von der gemeinsamen Grund-
lage und jede Mifsdeutung des maurerischen Wesens verhindert.“
Trotz der starken Betonung des christlichen Charakters
der Logen wurde in der bereits in einem früheren Kapitel
erwähnten Schrift „Der Stern von Bethlehem“ der Streit über
die Aufnahme von Juden zu Gunsten der letzteren entschieden.
Man habe, heifst es da, die judenaufnehmenden Logen bislang
als Humanitätslogen bezeichnet und damit den rein christlichen
die Humanität mittelbar abgesprochen; nun sei aber die christliche
Humanität die allein echte und wahre und gerade sie „öffnet
auch dem suchenden Israeliten die Pforte des maurerischen
Tempels, wenn er daran klopft.“
Es wird hier am Platze sein, einige wichtige Einzelheiten
zur Organisationsfrage, mit besonderer Berücksichtigung der
deutschen Verhältnisse, nachzutragen. Innerhalb der Loge herrscht
das allgemeine „Priestertum,“ das heifst die Gleichberechtigung
sämtlicher Brüder. Alle maurerischen Ämter entspringen der
freien Wahl. Die Logen eines Bezirks oder Landes bilden eine
Grofsloge oder einen freien Logenbund, innerhalb dessen das
möglichste Mafs von Selbständigkeit herrscht. Die Grofsloge ist
eine Verwaltungsbehörde zur Unterhaltung der Verbindung
zwischen den ihr angehörenden Logen, zur Schlichtung von
Zwistigkeiten und zur Aufsicht über die Einhaltung von Satzungen.
Bei den Versammlungen der Grofsloge ist jede Tochter- oder
Bundesloge durch ihren Meister vom Stuhl (Stuhlmeister) oder
durch einen freigewählten Abgesandten vertreten. An der Spitze
der Grofsloge stehen der Grofsmeister und die „Beamten.“
Heutzutage dürfen sich Logen nicht aus eigener Machtvollkommen-
heit bilden, vielmehr brauchen sie zu „gesetzmäfsigeni" Bestand
einen Freibrief (Konstitution) seitens einer Grofsloge. Nicht gehörig
konstituierte Logen heifsen Winkellogen und ihre Mitglieder
geniefsen den „gesetzmäfsigen“ Logen gegenüber nicht das Recht
der Freizügigkeit oder des Besuches. Die Bezeichnung Johannis-
logen für die regelrechten rührt daher, dafs sie Johannis den
Täufer als Patron verehren. Logen, die während eines Krieges
im Lager arbeiten, heifsen Eeldlogen. Aufser den eigentlichen
Mitgliedern giebt es noch 1. Ehrenmitglieder, d. h. Brüder aus-
wärtiger Logen, die sich um die Loge oder den Bund besonders
verdient gemacht haben; 2. „musikalische" Brüder, diezwar keine
Beiträge zu zahlen pflegen, wohl aber bei den Logenfeierlichkeiten
musizieren; 3. „dienende" Brüder, die nicht stimmfähig sind und
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Die Zwecklosigkeit der modernen Freimaurerei.
471
bei den Versammlungen, Banketten und dergl. die Aufwartung
besorgen.
Hat ein Aufnahmebewerber, der durch einen Bruder dritten
Grades angemeldet sein mufs, die ihm behändigten Fragen be-
antwortet, so wird über ihn abgestimmt und er erhält nach er-
folgter Aufnahme ein Certifikat als Ausweis beim Besuch fremder
Logen. Der Übertritt eines Freimaurers von einer Loge in eine
andere erfolgt durch »Affiliation" (Freizügigkeit, Angliederung).
In den zweiten und dritten Grad, sowie in die höheren Grade
geht man durch besondere »Beförderungslogen." Die meisten
Grofslogen oder Logenbünde stehen untereinander in einem
Verhältnis gegenseitiger Repräsentation und tauschen ihre Ver-
handlungsprotokolle aus. Gewisse Grundgesetze gelten für die
ganze Brüderschaft im allgemeinen, aufserdem jedoch hat jeder
Logenbund und jede einzelne Loge ihre eigenen Lokalgesetze.
Die »isolierten" oder unabhängigen Logen unterstehen keiner
Grofsloge. Die von einer Grofsloge abhängigen Logen einer
Provinz heifsen »Provinziallogen.“ Will ein Freimaurer aus-
treten, so »deckt“ er die Loge, d. h. er erklärt seinen Abgang.
Brüder, die ihre Pflichten nicht erfüllen, werden »gestrichen";
wegen sittlicher oder maurerischer Vergehen wird man »aus-
geschlossen.“ Die Aufnahme- und Beförderungslogen nennt man
Arbeitslogen, wobei das Wort „Logen“ die Bedeutung von „Ver-
sammlungen“ hat. Es giebt ferner instruktions-, Fest- und
Trauerlogen, die letzteren zur Erinnerung an verstorbene Mit-
glieder. Die „Logentage“ pflegen im „ Logen kalender“ verzeichnet
zu sein, welcher der „Logenliste“ - Verzeichnis sämtlicher
Brüder angehängt ist. Nach Fest- und Aufnahmeversamm-
lungen hält man häufig »Tafellogen,“ bei denen die Brüder in
ihrer Bekleidung bleiben und ein vorgeschriebenes Ritual beob-
achten; Trinksprüche, Musik und das Absingen sogenannter
Freimaurerlieder würzen gewöhnlich das Mahl. Das Zusammen-
speisen ohne maurerische Bekleidung wird „Brudermahl“ genannt.
Die Zwecklosigkeit der modernen Freimaurerei.
Welchen Zweck hat die königliche Kunst heutzutage? Ist
sie gegenwärtig nicht ein Anachronismus? Hat sie sich nicht
überlebt? Ist ihre Geheimthuerei nicht eine Täuschung oder
eine Komödie? Unseres Erachtens sind alle diese Fragen im
ungünstigen Sinne zu beantworten. Solange die Maurerei rein
technischer Natur war, bot sie grofse Vorteile. Als sie spekulativ
wurde, erwies sie sich anfänglich als noch nützlicher, denn teils
allein teils in Verbindung mit anderen Vereinigungen widersetzte
sie sich damals dem in den meisten Ländern Europas vor-
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472
Die Freimaurerei.
herrschenden politischen Despotismus und bildete der kirchlichen
Unterdrückungssucht und Dunkelmännerei gegenüber eine Art
Gegeninquisition, weshalb sie von protestantischen und römisch-
katholischen Staatslenkern gleichmälsig verfolgt wurde. Die
grofsen Fortschritte der neueren Zeit im Gebiete der Menschen-
freundlichkeit und Duldsamkeit sind unzweifelhaft der Richtung
zu verdanken, welche die spekulative Freimaurerei im 18. Jahr-
hundert einschlug und der politischen Thätigkeit, die sie in den
meisten Ländern im 19. Jahrhundert entfaltete, ln Zeiten ge-
gründet, da der Besitz religiöser und wissenschaftlicher Kennt-
nisse ein Vorrecht Weniger war, bewahrte sie diese Kenntnis
nach Möglichkeit vor dem Unkraut der Gleichgültigkeit und dem
Ballast des Aberglaubens. Jetzt aber ist das Bächlein des
Wissens längst zu einem unbegrenzten, immer höher anschwellen-
den Ozean angeschwollen. Da die moderne Wissenschaft ihre
Entdeckungen keineswegs verheimlicht, mufs eine Gesellschaft,
die irgend welche Kenntnisse auf ihre Mitglieder beschränkt
sehen will, als eine mehr oder minder rückschrittliche betrachtet
werden. Wie äufserte sich doch Philo um 1780 über die
damalige englische Freimaurerei? »Die Logen nehmen wahllos
Mitglieder auf, spielen mit Geheimnissen, ohne dieselben zu ver-
stehen, essen, trinken, verdauen gut und geben zuweilen Almosen
- so sind die formalen englischen Logen beschaffen.“ Und
das gilt von ihnen noch heute.
Es giebt Tausende von ausgezeichneten Männern, die
niemals eine Loge betreten haben und dennoch echte Freimaurer
sind, d. h. freisinnige, aufgeklärte Männer, die sich mit dem
Studium der Natur wie mit dem sittlichen und geistigen Fort-
schritt der Menschheit beschäftigen und in politischer wie
religiöser Hinsicht vorurteilsfreie Kosmopoliten sind. Anderseits
giebt es Tausende, die in alle maurerischen Grade eingeweiht
und trotzdem keine Freimaurer sind, weil sie den Schein für
die Wirklichkeit, die Mittel für den Zweck, die Logenzeremonien
für das Wesen der Freimaurerei halten, während doch die Loge
mit all ihren Sinnbildern nur die Form ist, in die sich der
maurerische Gedanke kleidet. Diese Form nun, welche einst
sehr angemessen ja notwendig war, ist gegenwärtig veraltet und
unzeitgemäfs. Das Vorgeben des Besitzes von Geheimnissen ist
eine ebenso kindische wie schädliche Schwäche. Die modernen
Maurer erklären als Gegenstände ihres Bestrebens Bruderliebe,
Beistand und Wahrheit; diese Dinge können unmöglich geheimer
Riten, Überlieferungen und Zeremonien bedürfen.
Und was die Wissenschaft und Gelehrsamkeit betrifft, die
dem Bunde angeblich eigen sein soll, so ist es damit nichts.
Die Freimaurerei hat die Welt um keinerlei neue wissenschaft-
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Die Zwecklosigkeit der modernen Freimaurerei.
473
liehe Thatsachen oder Grundsätze bereichert. Nicht einmal mit
dem Studium längst bekannter Wahrheiten befassen sich die
Logen. Sie verpönen religiöse und politische Debatten und
dennoch soll die Menschheit dem Maurertum ein gut Teil ihres
Fortschrittes zu verdanken haben. Angeblich würde die Welt,
wenn plötzlich der Freimaurerei beraubt, wieder in geistige
Finsternis zurücksinken. In Wirklichkeit ist es nicht denkbar, dafs
die Entwickelung der Menschheit gefördert werden kann, wenn
die mit den bestehenden politischen und religiösen Systemen
verknüpften chronischen Übel nicht behandelt werden dürfen.
Wenn die Maurerei lebensfähig bleiben und sich zu Höherem
aufschwingen will als etwa die Odd Fellows, müssen Logen aus-
schliefslieh von gebildeten Personen gegründet werden und diese
müssen die Sittenlehre und die Philosophie von einem anderen
Standpunkt auffassen und den Mitgliedern beibringen als von dem
scholastischen und materialistischen, auf welchem heutzutage die
Wissenschaft beniht; die letztere dürfte in den Logen nicht zu
dem gemacht werden, wozu der moderne Materialismus sie ge-
macht hat: zur Dienstmagd der leiblichen Bequemlichkeit.
Die Freimaurerei weist auch sonst noch viele Schatten-
seiten auf. Nur zu leicht und zu häufig werden charakterlose
Personen aufgenommen, die Satzungen bleiben in hohem Mafse
unbefolgt, die reformfreundlichen Brüder werden von den übrigen
mit scheelen Blicken angesehen, die Ausschliefsung unwürdiger
Mitglieder ist zu sehr erschwert, es sind zu viele falsche Riten
vorhanden und die echten tragen zu sehr das Gepräge des
Trügerischen, denn sie erregen die Neugier, ohne sie je zu be-
friedigen. Der maurerische Symbolismus ist kindisch und die
dem Kandidaten offenbarten Geheimnisse sind ungemein ge-
ringfügig. Die wahre Freimaurerei spielt gegenwärtig in den
Logen eine äufserst kleine Rolle. Gleich dem Klosterwesen und
dem Rittertum, ist die «königliche Kunst“ überflüssig geworden.
Sie hat weder politischen Einflufs noch politische Bestrebungen,
besitzt keinen industriellen oder geistigen Sammelpunkt und ist
nicht einmal mehr eine geheime Gesellschaft, denn ein vom
Staate genehmigter Bund kann nicht geheim genannt werden.
Wenn sie nicht an Altersschwäche sterben will, mufs sie ihre
Riten und Zeremonien aufgeben, die weder einfach noch grofs-
artig sind, mufs sie auch, wie schon bemerkt, auf ihre Geheimnis-
thuerei verzichten, sich überhaupt gründlich umgestalten. Andern-
falls werden ihr nicht einmal die in französischen Logen vor-
kommenden maurerischen Eheschliefsungen helfen können. Uns
liegen Berichte vor über zwei solche Vermählungen ohne die
üblichen kirchlichen oder Civiltrauungen. Die eine fand in der
Loge La France Maijonnique zu Paris, die andere in einer
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•174
Die Freimaurerei.
Toulouser Loge statt, beide im Jahre 1887. Fünf Jahre vorher ver-
heiratete der berühmte Geograph und Edelanarchist Elvsee Reclus,
der auch Freimaurer ist, zwei seiner Töchter an zwei »Brüder"
dadurch, dafs er die beiden Paare einfach für vermählt erklärte.
Ich weifs, dafs viele Freimaurer über die herben Worte,
die ich mir stellenweise hinsichtlich der königlichen Kunst er-
laubt habe, entrüstet sein werden ; aber erstens konnte ich meine
Überzeugung nicht unterdrücken und zweitens wird diese von
vielen ehrlichen Maurern geteilt, besonders im Hinblick auf das
englische Maurertum. Ein englischer Bruder schrieb 1798 in
der Zeitschrift »Monthly Magazine“: »Der Wirt, der stets ein
Bruder ist, fördert die sogenannte Eintracht durch die Beistellung
feiner Soupers und vortrefflicher Getränke. Das hat Trunkenheit
und lange Nachtwachen zur Folge. So geht es in zwei Dritteln
der jetzigen Logen zu . . . Hogarth gehörte dem Bunde an
und fungierte 1735 sogar als Ober- Haushofmeister; dennoch
läfst er in seiner »Nacht" einen berauschten Stuhlmeister vom
Logenschliefser heimgeleiten.* Der eifrige Maurer John Yarker
sagt in seinen 1872 erschienenen »Bemerkungen über die wissen-
schaftlichen und religiösen Mysterien des Altertums“: »Wie die
Brüderschaft jetzt geleitet ist, wird sie immer mehr zum Paradies
des Lebemanns, des Wohlthätigkeitshcuchlers, des Erzeugers
von unbedeutendem maurerischen Flitter, des kaufmännischen
Schwindlers und anderer Quacksalber, die sich auf Grund der
aristokratischen Allüren, welche sie in unsern Bund eingeschmuggelt
haben, Geld oder Einflufs verschaffen.“
Das Gros der tnaurerischen Litteratur, namentlich der
englischen, taugt nicht viel. Die grofse Unzulänglichkeit der
1 itterarischen Seite der Freimaurerei ist von vielen gebildeten
Maurern anerkannt worden und die Anerkennung führte 1884
zur Stiftung der Loge »Quatuor Coronati." Da deren Mitglieder
eine tüchtige litterarische oder künstlerische Eignung haben
müssen, gilt es als hohe Ehre, ihr anzugehören. Sie besteht
hauptsächlich aus bekannten maurerischen Gelehrten und
Forschern und nimmt eine Stellung ein, welche von der aller
anderen Logen grundverschieden ist. Sie beschäftigt sich ernst-
lich mit der Verbreitung wirklich maurerischer Kenntnisse, sei
es durch Vorträge und Debatten in der Loge, sei es durch die
Veröffentlichung ihrer Verhandlungen oder den Neudruck seltener
und wertvoller Werke über die Freimaurerei in einer Sammlung
(»Ars quatuor coronatorum“) von prächtig ausgestatteten Bänden.
Mit der Loge verknüpft ist ein »Korrespondenz-Zirkel," der in
allen Erdteilen Mitglieder besitzt und ebenfalls die Entwickelung
der königlichen Kunst anstrebt.
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ZWÖLFTES BUCH:
Verschiepene
anpere Vereinigungen.
(Alphabetisch geordnet)
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ABC - Freunde.
Der angebliche Zweck dieses französischen Bundes war
die Beschäftigung mit der Kindererziehung, der wirkliche aber
die Befreiung der Menschheit. „ABC" bedeutete „abaisse“
(die Aussprache ist im französischen die gleiche); die Erniedrigten,
die erhöht werden sollten, waren das Volk. Die Mitglieder waren
gering an Zahl, jedoch auserwählt. Unter der Restauration hatte
die Gesellschaft in Paris zwei Logen. Victor Hugo erwähnt sie
im 3. Teil des 4. Buches seiner «Miserables.»
Abeliten.
Eine christliche Sekte, welche im 4. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung in der Gegend von Hippo (Nordafrika) bestand.
Obgleich verheiratet, enthielten sich die Mitglieder des ehelichen
Umgangs, denn sie glaubten, dafs auch Abel so gelebt habe,
weil die Bibel nicht erwähne, dafs er Kinder gehabt habe. Um
die Sekte zu erhalten, nahmen sie fremde Kinder an. — Eine
andere Abeliten-Sekte gab es um die Mitte des 18. Jahrhunderts
in Deutschland. Sie behauptete, im Besitze aller Tugenden Abels
zu sein und hatte geheime Zeichen, Sinnbilder, Kennworte und
Einweihungsriten. Die Hauptversammlungen, welche zu Greifs-
wald abgehaltcn wurden, befafsten sich mit moralischen und
I itterarischen Debatten.
Accoltellatori.
1874 wurde zu Ravenna ein nichtpolitischer Geheimbund,
der der «Accoltellatori» (Gurgelabschneider), entdeckt und
eine grofse Anzahl seiner Mitglieder vor Gericht gestellt Man
hatte sein Dasein längst vermutet, aber amtlicherseits nicht ein-
zuschreiten gewagt. Privatpersonen überlieferten in mehreren
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478
Verschiedene andere Vereinigungen.
Fällen die Mörder erfolgreich dem Arm der Gerechtigkeit, allein
die Anzeiger erlitten stets bald den Rachetod. In den meisten
Fällen bewog Furcht vor Rache die Augenzeugen der Verbrechen,
die Aussage zu verweigern. Ein Ladenbesitzer, der bei Gericht
besonders eifrig gegen die Gurgelabschneider aufgetreten war, «
empfing die Nachricht, dafs er sterben müsse, und die Mörder
klebten, um ihre That zu verhüllen, in derselben Nacht ein
Plakat an die Rollthüre des Ladens, besagend, der Eigentümer
sei abgereist und das Geschäft zu verkaufen. Endlich verriet
ein »Genosse“ das Geheimnis und gab der Polizei Aufschlufs
über einige »Beseitigungen" und deren Urheber. Die Bande
war allzu zahlreich geworden, die Leitung verdächtigte einige
Mitglieder der Treulosigkeit, liefs sie überwachen und umbringen.
Der angestrengte Prozefs endigte mit der Verurteilung der
meisten Angeklagten zu schweren Zuchthausstrafen. Ursprünglich
hatte es nur zwölf »accoltellatori“ gegeben, die im Cafe Mazza-
villani regelmäfsige Zusammenkünfte abhielten, um Opfer zu
bestimmen und über deren Schicksal zu entscheiden.
Akademie der Alten. *
Der Oberst Toux de Salverte gründete diesen Orden in
Warschau nach dem Vorbild eines gleichnamigen, der am Anfang
des 16. Jahrhunderts in Rom bestand. In seinen geheimen
Versammlungen wurde Okkultismus getrieben.
Almusseri.
Die Einweihungsriten ähneln einigermafsen denen der
orphischen und kabirischen Mysterien. (Vergl. das Kapitel »Die
Wandlungen der Isislegende“). Inmitten eines ungeheuren Waldes
erhebt sich ein Tempel, den kein Uneingeweihter betreten darf.
Die Aufnahmen finden einmal jährlich statt Der Kandidat
simuliert den Tod und zu einer vorgeschriebenen Stunde umgeben
ihn die Eingeweihten, Trauerlieder singend; sodann wird er in
den Tempel getragen, auf eine erwärmte Kupferplatte gesetzt und
mit Palmöl gesalbt, weil die Ägypter die Palme, der sie 365
Eigenschaften zuschrieben, der Sonne weihten. Auf dieser Platte
mufste er vierzig Tage bleiben; seine Verwandten besuchten ihn,
um ihn wieder zu salben und nach Ablauf der Probezeit wird
er unter Freudengesängen nach Hause geleitet. Da man voraus-
setzt, dafs er durch jene Prozeduren eine neue Seele bekommen
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Verschiedene andere Vereinigungen.
479
hat, erfreut er sich von nun an bei seinem Stamme hohen An-
sehens und grofsen Einflusses. Einem ähnlichen Orden begegnen
wir bei den senegambischen Negern; derselbe heilst: »Belly Paaro.“
(Vgl. weiter unten.)
Anarchisten.
1868 führten der Russe Michael Bakunin und der Belgier
Victor Dave in die »Internationale" das anarchistische Element ein,
welches drei Jahre später zur Pariser Kommune führte. Nach
den Streitigkeiten, die sich 1872 zwischen den deutschen Sozial-
demokraten und den Anarchisten erhoben, schlofs der sozial-
demokratische Buchbinder Johann Most sich den letzteren an. 1879
gründete er in London die „Freiheit,“ ein Wochenblatt rötester Sorte.
Die Rädelsführer der Hödelschen und Nobilingschen Attentate
auf Kaiser Wilhelm I. wurden hingerichtet. 1885 rächten sich
die Anarchisten hierfür, indem sie in Frankfurt den hohen
Polizeibeamten Dr. Rumpf umbrachten ; nur der unbedeutendste
der Mörder, der 22jährige Julius Lieske, wurde ermittelt und
enthauptet. Most gründete einen engeren, ganz geheimen Kreis
von Propagandisten. Als die »Freiheit" die Phönixpark-Morde
(vgl. »Irische Geheimgesellschaften") guthiefs, wurde das Blatt
unterdrückt; Most liefs es nun in der Schweiz und später in
den Vereinigten Staaten erscheinen, wohin er 1882 übersiedelte.
Der Anarchismus, dessen geheimes Hauptquartier sich in Chicago
befand, breitete sich in der Union wie auch in Europa ziemlich
rasch aus und gipfelte in den Dynamitattentaten von Chicago,
in den Mordfällen von Strafsburg, Stuttgart, Wien und Prag.
In der letztgenannten Stadt verurteilte eine geheime Anar-
chistenversammlung den Polizeidirektor, der einige der Mörder
hatte verhaften lassen, zum Tode, und das Los, wer die That
ausführen sollte, traf den Handschuhmachergesellen Drefsler.
Dieser beging, um nicht zum Mörder zu werden, einen Selbst-
mord, schrieb aber vorher seinen Eltern einen Brief, in welchem
er das Vorhandensein des Geheimbundes enthüllte. Das ermög-
lichte der Polizei die Verhaftung der thätigsten Mitglieder. Im
Juli desselben Jahres wurde in Wien ein Schuhmacher von zwei
Individuen überfallen, betäubt und eines gröfseren Geldbetrages
beraubt. Nach einigen Wochen erwies sich, dafs dieses Ver-
brechen von einem Anarchistenverein ausging, welcher, wie aus
den bei den verhafteten Mitgliedern Vorgefundenen Flugschriften
hervorging, auf die Beseitigung der Herrscher, der Priester und
der Kapitalisten sowie auf die Errichtung einer roten Republik
abzielte. Innerhalb dieses Bundes gab es Gruppen von fünf
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m
Verschiedene andere Vereinigungen.
bis neun Mitgliedern, denen die Verpflichtung oblag, nach dem
Schneeballsystem immer neue solche Gruppen ins Leben zu
rufen. Die damalige Gerichtsverhandlung machte ihm ein Ende
und es ist unsicher, ob heute der Anarchismus überhaupt noch
über organisierte Vereinigungen verfügt. Die Aufsehen erregenden
Attentate der letzten Jahre — in der Pariser Madeleine-Kirche, im
Theater zu Barcelona, in der Pariser Deputiertenkammer, gegen
Canovas del Castillo, Camot, Kaiserin Elisabeth u. s. w.
lassen eher auf ein selbständiges Vorgehen vereinzelter Gewalt-
anarchisten schließen (Vaillant, Ravachol, Henry, Caserio, Angiolillo,
Luccheni u. a.).
Die letzteren dürfen beileibe nicht in einen Topf geworfen
werden mit den sogen. Ideal- oder Edelanarchisten, die geradezu
eine gegenteilige Richtung vertreten, nämlich den Grundsatz der
absoluten Gewaltlosigkeit im Sinne Christi. Dieser Partei, die
durchaus nicht organisiert ist, sind die unsinnigen Gewaltthaten
der anderen Richtung ein Greuel, weil dieselben den Durchbruch
des Prinzips der Gewaltlosigkeit aufserordentlich beeinträchtigen,
indem sie immer wieder Gewaltrepressalien hervorrufen. Dem
Edelanarchismus huldigen weit mehr Personen als dem gewalt-
tätigen, darunter zahlreiche hervorragende Geister, Tolstoi an
der Spitze.
Antifreimaurerische Partei.
Der in die höchsten Grade der Freimaurerei eingeweihte
Zeitungsschreiber William Morgan veröffentlichte 1826 ein die
Geheimnisse der »königlichen Kunst" enthüllendes Buch. Bald
darauf verschwand er und kam nie wieder zum Vorschein.
Seine Freunde beschuldigten die Freimaurer, ihn in einem Boot
entführt und dann ermordet zu haben. Jene dagegen behaupteten,
er habe sich im Ontario-See ertränkt, und sie brachten eine Leiche
bei, welche jedoch als die eines gewissen Monroe erkannt wurde.
Die gerichtliche Untersuchung blieb ergebnislos. Die Entrüstung
über das Verbrechen und dessen Straflosigkeit führte im Staate
New-York zur Entstehung der Gesellschaft »Antifreimaurerische
Partei", die den Zweck verfolgte, alle Freimaurer von den öffent-
lichen Ämtern auszuschliefsen ; allein sie entartete bald zu einer Wahl-
maschine. Etwa fünfzig Jahre nach dem Tode Morgans ver-
öffentlichte Thurlow Weed, angeblich aus eigener Kenntnis, einen
ausführlichen Bericht über die Ermordung Morgans durch die
Freimaurer. Das Grab des Verschwundenen wurde 1881 in der
Grafschaft Batavia (Staat New-York) entdeckt und ein in dem-
selben Vorgefundener Zettel trug den Namen des Freimaurers
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Verschiedene andere Vereinigungen. 48!
John Brown, der seinerzeit vom Publikum denn auch der Teil-
nahme an dem Verbrechen geziehen worden war. Anderseits
erzählten einige amerikanische Reisende, sie seien in Smyrna mit
Morgan zusammengekommen, der dort englischen Unterricht er-
teilt habe. Der wirkliche Sachverhalt bleibt nach wie vor unklar.
Antifreimaurer.
Im Jahre 1811 in der irischen Grafschaft Down gegründet,
bezweckte diese römisch-katholische Geheimgesellschaft die Ver-
treibung der Freimaurer ohne Unterschied des Glaubens-
bekenntnisses.
Apokalypsen-Ritter.
Augustinus Gabrino aus Brescia stiftete diesen Orden
1693 zur Verteidigung der Kirche gegen den erwarteten Anti-
christ. Als am Palmsonntag im Petersdom zu Rom der Chor
den Gesang „Quis est iste rex gloriae?" anstimmte, stürzte sich
Gabrino, ein Schwert schwingend, mit dem Rufe: »Ego sum rex
gloriae", zwischen die Choristen. Als er das Gleiche auch in
der Salvator-Kirche that, wurde er in ein Irrenhaus gesteckt.
Dennoch bestand der Bund weiter, bis ihn ein eingeweihter
Holzschnitzer bei der Inquisition anzeigte, welche die Ritter
einkerkerte. Die letzteren, obgleich nur Gewerbetreibende und
Arbeiter, trugen zumeist ein Schwert — auch bei der Arbeit —
und auf der Brust einen siebenstrahligen Stern mit einem
Anhängsel, welches das vom Heiligen Johannes in der Apokalypse
gesehene Schwert darstellen sollte. Der Orden wurde beschuldigt,
politische Ziele zu verfolgen; sicher ist nur, dafs sein Gründer
die Vielweiberei einführen wollte und sich »Monarch der Heiligen
Dreifaltigkeit" nannte. Er war eben verrückt ....
Arbeitsritter.
Der 1869 von dem philadelphischen Schneider Uriah Stephens
gegründete geheime »Orden der Arbeitsritter" (»Knights of
labour") hatte ursprünglich blofs die Bestimmung, einen bereits
bestandenen Zuschneiderverein zu ergänzen. Demgemäfs wurden
anfangs nur Zuschneider aufgenommen, aber schon nach ein bis
zwei Jahren fanden auch andere Mitglieder, »sojourners“ (= Gäste,
Fremde) genannt, Aufnahme. 1873 wurde ein Hauptausschufs
Heckethorn-Kattcher. Geheimbünde u. Geheimlehren. 31
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482
Verschiedene andere Vereinigungen.
gewählt und ein Ritual festgestellt, dessen Geheimhaltung jeder
»Ritter» eidlich versprechen mufste. Die Bundesbeamten hiefsen
„Meister- Arbeiter, Würdiger Werkführer, Verehrungswürdiger
Weiser, Berichtender Schriftführer, Finanz-Sekretär, Schatzmeister,
Würdiger Inspektor, Almosenier, Unbekannter Ritter, Innerer
Knappe, Aufserer Knappe“ u. s. w. Jede Industrie hatte eigene
örtliche Logen mit eigenen Beamten. Diese örtlichen Logen
und die Bezirkslogen entsandten zu den grofsen Jahresversamm-
lungen Delegierte. Die strenge Geheimthuerei wurde unter dem
Einflufs der katholischen Kirche allmählich gelockert, namentlich
nach Stephens’ Rücktritt vom Amte des Grofsmeister-Arbeiters
(1879). Nach wenigen Jahren verwandelte sich der Orden gänz-
lich in einen öffentlichen mit gewerkvereinlichen und Unter-
stützungszwecken. Stephens' Nachfolger war der bekannte Pow-
derley, von welchem der Clevelander „Wächter und Anzeiger"
Ende 1899 das Folgende schrieb: „Wenn es je einen Arbeiter-
verband gegeben hat, der Grofses für die Arbeiterschaft hätte
leisten können, so war es dieser Verband. In der Mitte der
achtziger Jahre war er sozusagen allgewaltig. Er brauchte fast
nur zu wünschen, um es geschehen zu sehen. Aber ein
Powderley, derselbe Hohlkopf, Dünkeling und Schwindler, den
MacKinley und Kompagnie für seinen Arbeiterverrat zum General-
kommissär des Einwanderungswesens ernannten, richtete in wenigen
Jahren zu Grunde, was Uriah Stephens im Geiste als die Macht
sah, die die Arbeiter erlösen würde. ... Es wäre wahrscheinlich
anders gekommen, wenn das amerikanische Volk nicht so sehr
zur Heldenverehrung hinneigte. Das traurige „Pülverle" war
eine Zeit lang der reine Halbgott für die „Ritter.* Als sie
entdeckten, was für ein erbärmlicher Geselle er sei, da war es
zum Retten schon zu spät. Heute sind die Tage der Arbeits-
ritter dahin."
Areoiten.
Tahitischen Ursprungs, ist dieser Geheimbund auf den
Gesellschafts-Inseln verbreitet. Er besitzt eine besondere Genea-
logie und Hierarchie sowie eigne Überlieferungen. Die Mit-
glieder halten sich für die Abkömmlinge des Gottes Oro-Tetifa
und sind in sieben — nach manchen Quellen in zwölf --
Grade eingeteilt, welche sich durch verschiedenartige Tättowierung
unterscheiden. Es handelt sich da um eine ähnliche Vereinigung
wie die der altägyptischen Priesterschaft, doch werden auch
Laien zugelassen. Die Oberhäupter erlangen die höchsten Grade
sofort, während die gewöhnlichen Sterblichen vor ihrer Ein-
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Verschiedene andere Vereinigungen.
483
weihung erst viele Erprobungen durchmachen müssen. Die
Mitglieder erfreuen sich vieler Vorrechte und hohen Ansehens;
sie werden als die Besitzer alles Wissens und die Vermittler
zwischen Gott und den Menschen betrachtet, auch fürchtet man
sie als die Handhaber des Tabu, einer Art Acht und Bann, wie
wir ihr bei den altgriechischen Hierophanten und dem päpst-
lichen Stuhl (Exkommunikation) begegnen. Obgleich die Zere-
monien abstofsend und unsittlich sind, verbirgt sich hinter
denselben eine Grundlage edler Gedanken, so dafs wir die
gegenwärtigen Riten wohl für Entartungen eines einstigen reineren
Zeremoniells halten dürfen. Die Einweihungslehrcn beziehen
sich auf die Zeugungskraft der Natur; deshalb spielt die Sonnen-
gottlegende bei den Festlichkeiten eine grofse Rolle und zur
Zeit der Wintersonnenwende wird eine an die Mysterien des
Altertums erinnernde Bestattungsfeier abgehalten. In ganz Poly-
nesien glauben die Eingeborenen an eine höchste Gottheit
Namens Taaroa oder Tongola oder Tangaroa, von der die
Eingeweihten die folgende Hymne singen: »Er war; er wurde
Taaroa genannt Er rief, aber niemand antwortete. Er, das
einzige Urwesen, verwandelte sich in das Weltall. Er ist das
Licht, der Keim, die Grundlage. Er, der Unvergängliche, ist
grofs - er, der das Weltall erschaffen hat, das grofse Weltall.*
Belly Paaro.
So heifsen bei den Guinea-Negern die Mysterien, welche
jedoch nur einigemale in einem Jahrhundert gefeiert werden.
Der Aufnahmebewerber wird, nachdem er jedes Kleidungsstück
und alle Edelmetallgegenstände abgelegt, in einen grofsen Wald
geführt, wo die alten Männer, die der Einweihung Vorsitzen,
ihm einen neuen Namen geben, während er den Gott Belly
besingt und lebhafte Tänze vollführt. Schliefslich empfängt er
viel theologische und mystische Belehrung. Als Neuling mufs
er fünf Jahre in vollständiger Einsamkeit verbringen und wehe
dem Weibe, das sich dem geheiligten Wald zu nähern wagt!
Nach Ablauf der Probezeit wird dem Eingeweihten eine Hütte
zugewiesen und man vertraut ihm die geheimsten Lehren der
Sekte an. Von nun an kleidet er sich anders als die Stammes-
genossen; sein Leib ist mit Federn geschmückt und an seinem
Hals sind die von den Einweihungseinschnitten herrührenden
Narben sichtbar.
31*
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4S4 Verschiedene andere Vereinigungen.
Bockreiter.
Um 1770 war das Limburgische, insbesondere die Gegend
von Mersen, der Schauplatz seltsamer Vorgänge. Kirchen wurden
ausgeraubt, Schlösser niedergebrannt und allenthalben Plünderungen
begangen. Die Ursache lag in dem Umstand, dafs das Landvolk
das schwere Joch des Feudalismus abzuschütteln trachtete.
Nächtlicherweile versammelten sich an einsamen Orten kühne
Männer und gingen dann auf Streifzüge aus, welche überall
Schrecken verbreiteten. Das Volk rief: »Die Bockreiter kommen!“
Dieser Name kam teilweise daher, dafs die Leute Bocksmasken
trugen. In solchen Nächten wurde der Knecht zum Herrn und
überliefs sich mit wildem Behagen der Racheübung für das Un-
recht, das er tagsüber erlitten hatte. Bei Tagesanbruch ver-
schwanden die Bockreiter und kehrten zu ihrer Arbeit zurück.
Mit der Zahl der Unzufriedenen nahm auch die der Bockreiter
zu und diese wurden schliefslich so zahlreich, dafs sie mehrere
Ausfälle gleichzeitig unternehmen konnten. Man glaubte von
ihnen, dafs sie mit dem Teufel verbündet seien, der sie in
Gestalt eines Bockes von Ort zu Ort führe.
Die Einweihung fand in folgender Weise statt. Während
einer finstern und stürmischen Nacht zündete man in einer
kleinen, in dichtem Wald gelegenen Kapelle eine Lampe an.
Der von zwei Paten eingeführte Kandidat mufste dreimal auf
allen Vieren das Innere der Kapelle durchlaufen und dann recht
viel von einer starken gegohrenen Flüssigkeit trinken. Nun setzte
man ihn rittlings auf einen mit Angeln versehenen hölzernen
Bock, der immer schneller hin und hergeschaukelt wurde. Das
starke geistige Getränk und die heftige Bewegung machten den
Mann bald schwindelig, zuweilen sogar rasend ; kein Wunder,
wenn man ihm nachher leicht einreden konnte, dafs er auf des
Teufels Kruppe durch die Luft geritten sei. Fast zwanzig Jahre
lang erfüllten die Bockreiter das Limburgische mit Angst; weder
die zahlreichen Verhaftungen Verdächtiger, noch die häufigen
Hinrichtungen vermochten dem Unfug zu steuern. Zwischen
1772 und 1774 verurteilte das Gericht von Foquemont allein
rund 400 Bockreiter zum Galgen oder zum Vierteilen. Erst um
das Jahr 1780 gelang es, den Bund auszurotten.
Cambridger Geheimgesellschaft.
Im Jahre 1886 bildete eine Anzahl junger Leute unter der
Führung des Geistlichen Erncst John Heriz-Smith in der eng-
lischen Universitätsstadt Cambridge den Geheimbund der »Genossen
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Verschiedene andere Vereinigungen.
485
des Heiligen Johannes." Zehn Jahre später soll die Mitglieder-
zahl bereits über tausend betragen haben. Der Zweck war an-
geblich die Einprägung hochkirchlicher Grundsätze und die
Förderung der Öhrenbeichte. Dem Aufnahmebewerber wurden
die Hände und die Augen verbunden; kniend mufste er schwören,
dem Oberhaupt in allen Dingen Gehorsam zu leisten und nichts
über die Gesellschaft zu enthüllen. Wer ungehorsam war, wurde
auf seinem Zimmer an ein Tischbein gebunden. Anfänglich
trugen die Mitglieder offen ein Abzeichen mit den Buchstaben
L und D (Love, Duty = Liebe, Pflicht); später trugen sie es
unter ihren Kleidern verborgen, was ihnen zu dem Spitznamen
„Bauchbinder“ verhalf. Ob diese Vereinigung noch besteht
oder nicht, haben wir nicht ermitteln können.
Cougourde.
Eine zur Zeit der Restauration in Aix (Provence) entstan-
dene, aber auch in anderen Teilen Frankreichs verbreitete Gesell-
schaft von Liberalen. Sie bestand nur ganz kurze Zeit. „Cou-
gourde“ bedeutet „Kürbisflasche.“
Die Dreizehn.
Balzacs fruchtbarer Einbildungskraft verdanken wir „Les
Treize," die erfundene Geschichte einer Gesellschaft von dreizehn
Personen, die sich unter dem ersten Kaisertum mit furchtbaren
Eiden verpflichteten, einander zu unterstützen — zu welchem
Zweck, wagt der Autor nicht zu enthüllen. 1857 entstand in
Bordeaux ein nichtgeheimer „Verein der Dreizehn“ und in
London wurde vor wenigen Jahren ein gleicher gegründet. Diese
beiden haben das Ziel, durch gutes Beispiel auf die Ausrottung
des mit der Zahl dreizehn verknüpften Aberglaubens hinzuwirken.
Interessant ist der nur wenigen bekannte Ursprung dieses Aber-
glaubens. In dem altindischen Spiel Karten nämlich, welches aus
78 Blatt bestand, deren erste 22 besondere Namen führten, war
die 13. Karte mit „Tod" bezeichnet.
Duk-Duk.
Eine Art Geheimgericht auf den neupommerschen Inseln.
Die Mitglieder heben Strafgelder ein und sprechen Recht, wobei
sie scheufsliche Masken tragen oder sich das Gesicht mit Kreide
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Verschiedene andere Vereinigungen.
bemalen. Zuweilen bringen sie jemand zur Strafe um, oder
sie setzen sein Haus in Brand. Sie erkennen einander an
geheimen Zeichen. Uneingeweihte, die bei ihren Festlichkeiten
betroffen werden, sind dem Tode verfallen. Ähnliche Ver-
bindungen giebt es in West-Afrika; vgl. weiter unten »Mumbo-
Dschumbo.“
Egbo-Gesellschaft. (Obeah.)
Ist unter einigen Kongo-Stämmen im Schwang. Egbo,
auch Ekpe genannt, wird für eine geheimnisvolle Person gehalten,
die im Sumpfdickicht lebt, woher die Eingeweihten ihn zu jeder
grofsen Feierlichkeit bringen, um ihn nachher wieder zurück-
zuführen. Er ist mit dem bösen Geist oder Satan identisch.
Seine Anbetung heifst Obeahismus; Ob oder Obi ist der alt-
ägyptische Name für den bösen Geist und viele wilde Stämme
beten den Teufel an. In den Bethäusern der Egbogesellschaft
stehen hölzerne Bildsäulen, denen hohe Verehrung gezollt wird,
weil die Eingeweihten mit ihrer Hilfe weissagen zu können
glauben. Bei gewissen Festen tragen sie schwarze gehörnte
Holzmasken, deren Anblick den Weibern bei Todesstrafe verboten
ist. Der höchste der drei Grade soll mit so grofsem Einflufs
verbunden sein, dafs für die Erlangung desselben zwanzig- bis
dreifsigtausend Mark gezahlt werden.
Erlösungsorden.
Ein geheimer Ritterbund, der in seiner Einrichtung dem
Malteserorden nachgebildet war. Er bestand lediglich in Marseille,
wo er von einem sizilianischen Emigranten begründet wurde.
Sein Zweck ist unbekannt.
Fraticelli.
Diese hauptsächlich in der Lombardei verbreitete Sekte
soll unter den erschwerendsten Kasteiungen und Versuchungen
die gröfste fleischliche Enthaltsamkeit geübt haben. Da sie aber
aufserdem gegen die Willkür der Päpste und die Mifsbräuche
der Priesterschaft predigte, eröffnete Papst Klemens V. einen
Kreuzzug gegen sie und liefs sie durch Feuer, Schwert, Hunger
und Kälte ausrotten.
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Verschiedene andere Vereinigungen. 487
Grofse Armee der Republik.
Ein rein militärischer Geheimorden, der nach dem Bürger-
krieg in den Nordstaaten der Union gestiftet wurde, um armen
Veteranen und deren Familien Unterstützung zu gewähren.
Das Oberhaupt heifst „Generalkommandant", die Zentralbehörde
„Nationallager", die Sektionen werden „Posten" genannt. Im
Jahre 1887 betrug die Zahl der Mitglieder 370000.
Grüne Insel.
Entstand 1855 in Wien. Die bei den Versammlungen
gebrauchte Sprache bildete eine Parodie des einstigen Ritterstils.
Die Mitglieder waren zumeist hervorragende Litteraten und Künstler,
die sich in origineller Weise unterhalten wollten — einen anderen
Zweck hatte die Sache nicht. Woher der Name rührte, wissen
wir nicht. Doch scheint es sich um ein Wiederaufleben des
„Ritterordens“ (vergl. weiter unten) gehandelt zu haben.
Hanfraucher.
Auf dem Hauptplatze von Kaschia-Kalemba, der Hauptstadt
der Eingeborenen von Baschilange-Baluba in Afrika, wird von
eigens dazu bestellten Greisen ein heiliges ewiges Feuer unter-
halten. Dieselben Leute haben auch die Aufgabe, Chiamba
(Hanf) zu bauen und für Rauchzwecke herzurichten. Auf
Sansibar ist die Pflanze als Changi oder Chang bekannt. Sie
wird sowohl in gewöhnlicher Weise von Einzelpersonen als auch
in feierlicher Weise zum Zeichen der Freundschaft geraucht.
Angeklagten gegenüber dient ihr Genufs als eine Art Gottesgericht.
Als Sinnbild der Freundschaft gilt ihr Rauchen für einen religiösen
Ritus. Dieser heifst „Lubuku" und wird von einer Vereinigung
geübt, deren Haupt der jeweilige König ist. Die Satzungen, die
Erkennungszeichen und die Thätigkeit werden ebenso geheim
gehalten wie die Ziele und Zwecke. Den Einweihungsriten hat
keine uneingeweihte Person je beigewohnt, doch läfst sich aus
gewissen äufsern Anzeichen auf ihre Natur schliefsen. Das
Hanfrauchen schädigt die Raucher aufserordentlich. Von dem
losen, ungebundenen Verkehr zwischen den Geschlechtern lassen
sich manche Schlüsse ziehen. Auf die Zügellosigkeit des
„Lubuku“ deuten auch die Hochzeitsgebräuche hin, welche drei
Nächte dauern und die Züchtigkeit öffentlich in der abstofsendsten
Weise verletzen. Die Einweihungsriten werden gewöhnlich vom
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4S8 Verschiedene andere Vereinigungen.
König selbst oder von dessen Schwester auf einer nahe von
Luluaburg befindlichen Insel des Luluaflusses vorgenommen.
Das öffentliche Rauchen beginnt damit, dafs ein Häuptling oder
Ältester das vorbereitete Hanfkraut in die Pfeife (., Kinsu dhiamba")
legt, ein paar Züge thut und sie dann weiterreicht. Die Pfeife
besteht aus einer kleinen Lehmschale, welche in eine hohle
Kürbisflasche eingefügt ist, an deren oberes Ende der Raucher
den Mund legt, um den Rauch in grofsen Zügen einzuatmen,
bis ihm derselbe zu Kopf steigt und ihn rasend macht.
Harngari.
Eine 1848 unter den Deutschen Nordamerikas entstandene
Geheimgesellschaft. Die Gründer behaupteten, von einem alten
deutschen Ritterorden abzustammen. Es giebt etwa 200 Logen
mit 16000 Mitgliedern. Zu den Hauptzwecken gehört die Ver-
breitung der deutschen Sprache; wozu da die kindische Geheitn-
thuerei dienen soll, ist unerfindlich.
Heldin von Jericho.
Es ist dies eine Art Grad in Amerika, der ausschliefslich
Royal-Arch-Freiniaurern (vgl. »Die Freimaurerei") sowie deren
Gattinnen oder Witwen verliehen wird. Das Ritual beruht auf
der Geschichte Rahabs im VI. Kapitel des Buches Josuah. Das
erste Zeichen — man läfst ein Taschentuch zwischen den Lippen
herabhängen - bildet eine Nachahmung der roten Leine, die
Rahab vom Fenster herabliefs, um den Kundschaftern zur Flucht
zu verhelfen. Das grofse Notzeichen besteht im Erheben des
rechten Armes, wobei man das Taschentuch zwischen Daumen
und Zeigefinger herabhängen läfst. Bei der Einweihung legt
eine männliche »Heldin" — jedoch nicht der Gatte der Kandi-
datin — die Hand auf die Schulter der letzteren und sagt:
»Mein Leben,“ worauf die Kandidatin antwortet: »für das
deinige". Den weiteren Satzanfang »Wenn du nicht enthüllst“
ergänzt die Kandidatin mit den Worten »diese unsere Angelegen-
heit". Sodann wird der Dame das Wort »Rahab" ins Ohr ge-
flüstert, worauf sie einen Verschwiegenheitseid leistet. Nun teilt
man ihr mit, dafs Rahab den Orden gestiftet habe; in Wirklich-
keit jedoch dürften die Stifter die Mörder William Morgans
(vgl. »Antifreimaurerische Partei") gewesen sein, in deren In-
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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teresse es gelegen haben mochte, ihre weiblichen Angehörigen
schwören zu lassen, die etwa zu ihrer Kenntnis gelangenden ver-
brecherischen Handlungen von Freimaurern zu verheimlichen.
Huslanawer.
So nannten die einstigen Eingeborenen von Virginien die
Mysterien ihrer Priester und das Noviziat, welches ihre Laien vor
der Einweihung in dieselben durchmachen mufsten. Der Aufnahme-
bewerber wurde, nachdem man seinen Körper mit Fett gesalbt, in
die Versammlung der Priester geführt, die grüne Zweige in der
Hand hielten. Heilige Tänze wechselten mit düsterem Geschrei
ab. Fünf Jünglinge geleiteten den Aspiranten durch eine Doppel-
reihe von mit Ruten bewaffneten Männern bis zu einem ge-
wissen Baum, wobei sie ihn mit ihren Leibern schützten und
die ihm zugedachten Rutenstreiche auffingen. Inzwischen richtete
seine Mutter, die ihn als tot beweinte, den Scheiterhaufen für das
fingierte Opfer her. Der Baum wurde gefällt, sein Astwerk ab-
gehauen und zu eiiier Krone für das Haupt der Kandidaten ge-
formt, dieser aber mit Hilfe eines starken Betäubungsmittels, des
»visozean“, in einen somnambulanten Zustand versetzt, der
längere Zeit andauerte. Nach seinem Wiedererscheinen be-
trachtete sein Stamm ihn als einen neuen Mann, der vermeintlich
höhere Kräfte und Kenntnisse besafs als die Nichteingeweihten.
Indianische Gesellschaften.
Fast alle Indianerstämme, die einst die ungeheuren Ebenen
von Nordamerika durchstreiften, hatten geheime Gesellschaften
und heilige Mysterien; da aber die verschiedenen Stämme reli-
giöse Zeremonien und Sinnbilder von einander zu entlehnen
pflegten, wiesen dieselben grofse Ähnlichkeiten auf, obgleich sie
sich bei einzelnen Stämmen durch besondere Eigentümlichkeiten
unterschieden. Bei sämtlichen Eingeborenen, wie ja überhaupt
bei allen Wilden Afrikas, Amerikas und Polynesiens, war der
Tanz ein Bestandteil des Gottesdienstes. Die Stämme der roten
Indianer besafsen durchweg Bethäuser, welche allerdings die ver-
schiedensten Namen führten, wie Beratungssäle, Kiwas, Medizin-
hütten u. s. w. Die meisten Stämme unterhielten ein heiliges
Feuer, welches jährlich einmal ausgelöscht wurde, um sofort
wieder angezündet zu werden. Die Glaubenslehren und Riten
der Golfstaaten-Indianer ähnelten denen der alten Juden so sehr,
dafs manche Ethnologen und Geschichtschreiber allen Ernstes
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Verschiedene andere Vereinigungen.
glaubten, diese Stämme seien mit den verlorenen zehn Stämmen
Israels identisch. Die Tscherokesen, Delawaren und Tschippewas
führten ihre Aufzeichnungen auf sechs Zoll langen Stäben, die
in Bündeln aufbewahrt wurden. Diese mit Sinnbildern und
Schriftzügen bedeckten Stäbe hiefsen, wenn im Alltagsleben ge-
braucht, »Kepnewin», dagegen »Keknowin", wenn in den
Mysterien verwendet. Der bemerkenswerteste Bericht findet sich
im »Walum-Olum" (rotes Kerbholz); er enthält in Bildersprache
die Schöpfungsmythe und die Sage von den Wanderungen der
Stämme. Solchen Bilderaufschreibungen begegnen wir bei jedem
Stamm. Besonders umfassend sind diejenigen der Odschibwas;
sie zeigen das Innere einer Medizinhütte mit dem grofsen Geist,
einem Einweihungskandidaten mit Fedemkrone und Otterfell-
beutel, dem Baum mit der die Medizin liefernden Wurzel, den
als Gegenleistung für die Zulassung dargebrachten Geschenken,
einem im Himmel umhergehenden Indianer, einer Trommel, einem
Raben, einer Krähe u. s. w.
Auch die irokesischen Mysterien waren umfassend, aber
man weifs nichts Näheres über sie ; doch scheint es, dafs sie den
Zweck hatten, Manabozko für das Verschwinden des Tschibiabos
zu trösten, der nachmals zum Beherrscher der Toten gemacht
wurde.*) Wir haben es da mit einer auffallenden Parallele zur
Persephone-Sage zu thun. Die Irokesen bestanden ursprünglich
aus fünf, später aus sieben verschiedenen Stämmen und ihre
nationale Organisation beruhte nicht auf Blutsverwandtschaft,
sondern auf einer künstlichen, willkürlichen Brüderschaft mit
Zeichen und Gegenzeichen nach Art derjenigen der modernen
Geheimgesellschaften. Die Dakotas hatten zahlreichere und aus-
geprägtere Geheimverbindungen als die Irokesen, doch waren
manche derselben entweder blofs sozialer oder blofs religiöser
Natur. Dr. Franz Boos, ein bekannter Schilderer der Gebräuche
der Alaskaner, hat viele ihrer Vereinigungen beschrieben; bei
einigen vererbt sich die Mitgliedschaft durch Geburt. Die
Mysterien der Indianer beweisen, dafs die Menschen überall von
denselben Trieben, Bestrebungen und Furchtgefühlen beherrscht
werden und dafs sich diese Empfindungen allenthalben in mehr
*) Nach der indianischen Legende war Manabozko ein Mann von
wunderbarer Geburt, der die roten Stämme das Lesen, das Schreiben,
das Ausroden der Wälder und das Ausstreuen von Saatkorn lehrte. Bei
den Odschibwas am südlichen Ufer des Oberen Sees hiefs er Hiawatha,
welcher Name aus Longfellows berühmter Dichtung bekannt ist. Sein
Freund Tschibiabos, ein Musiker, war der indianische Apollo, der Be-
herrscher des Lichtlandes. In den Prosaerzählungen der Rothäute wird
Hiawatha ganz anders geschildert als von Longfellow, nämlich als Ge-
wohnheitslügner, als grausam und hinterlistig.
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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oder minder gleichartigen Sitten, Glaubenslehren und Zeremonien
äufsern.
Die Jäger.
Unter diesem Namen bildete sich 1837 in Kanada nach
dem ersten Aufstand eine Gesellschaft behufs Herbeiführung
einer zweiten Erhebung. Sie wurde von den Vereinigten Staaten
unterstützt. Macleod, ein Aufständischer aus Ober-Kanada, kam
nach St Albans, dem Mittelpunkt der geheimen Thätigkeit des
Bundes, und liefs sich in sämtliche Grade einweihen, die
er dann in Ober -Kanada verbreitete. Es gab vier Grade:
Jäger, Racket, Biber, Adler. »Adler» hiefs das Oberhaupt und
dieser Rang entsprach dem eines Obersten, während der »Biber»
ein Hauptmann war, der sechs »Rackets» befehligte. Jedes Racket
zählte neun Mann und die Biber-Kompagnie bestand aus siebzig
»Jägern.» Wer aufgenommen werden wollte, mufste sich durch
drei Jäger bei einem Biber einführen lassen. Der Einweihung
gingen furchteinflöfsende Erprobungen und schreckliche Eide
vorauf. Die Vereinigung dauerte zwar nur zwei Jahre, zeichnete
sich aber durch manche Heldenthat im Felde aus und viele ihrer
Mitglieder starben auf dem Blutgerüst.
jehu-Gesellschaft.
Entstand während der grofsen Revolution zuerst in Lyon
und bezweckte, die Ausschreitungen der Schreckensherrschaft
durch noch gröfsere Gewalttätigkeiten zu rächen. Der Name
war der des Königs, den Eliseha mit der Aufgabe betraute, die
Sünden des Hauses Ahab zu bestrafen und alle Baalspriester zu
vernichten, d. h. die Verwandten, Freunde und Werkzeuge der
Schreckensmänner. Von Unwissenden wurde diese Verbindung
irrtümlich »Jesusgesellschaft“ genannt, obgleich sie ganz Frankreich
mit Angst und Mord erfüllte. Sie verschwand unter dem Kon-
sulat und dem Kaisertum, tauchte jedoch 1814 15 unter dem
Namen »Maria Theresienritter» oder auch »Sonnenritter» wieder
auf und verriet Bordeaux an die Engländer. Die Mörder des
Bürgermeisters von Toulouse, des Generals Ramel und des
Marschalls Brune waren Mitglieder dieses Geheimbundes.
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Verschiedene andere Vereinigungen.
Kalifornische Gesellschaft.
Mehrere nordkalifomische Stämme haben Geheimbünde,
welche entweder in eigenen Logen oder in Estufas*) sich ver-
sammeln und allerlei Mummenschanz treiben, um die Weiber zu
erschrecken. Die Männer geben vor, mit dem Teufel in Verkehr
zu stehen. Um dies glaubhaft zu machen, erfüllen sie den Ver-
sammlungsraum mit fürchterlichem Geschrei und Geheul. Zu-
weilen rennt ein als Teufel verkleidetes Mitglied wie ein Wahn-
sinniger durch das Dorf und bemüht sich, widerspenstige Frauen
und Kinder nach Möglichkeit zu erschrecken. Obgleich dieser
Gebrauch seit undenklichen Zeiten herrscht, lassen sich die
Weiber noch immer foppen.
Karpokratier.
Eine von Karpokrates, der unter Kaiser Hadrian in Alexan-
drien lebte, gegründete religiöse Vereinigung, die auf dem Grund-
satz beruhte, dafs die Seele sich über die abergläubischen Religions-
bekenntnisse und die Gesellschaftsgesetze, von denen sich die
untergeordneten Geister in Fesseln schlagen lassen, erheben
müsse, um durch innere Einkehr mit der höchsten Gottheit ver-
bunden zu werden. Die Sekte erhielt sich bis zum sechsten
Jahrhundert und errichtete auf der Insel Kephalonia dem Sohne
des Karpokrates, Epiphanes, einen Tempel. Die Mitglieder er-
kannten sich, indem sie einander beim Händeschütteln die Hand-
fläche mit den Fingerspitzen kitzelten.
Klöbbergöll.
So heifsen auf den mikronesischen Inseln gewisse Ver-
bindungen, welche in besonderen Gebäuden wohnen und ver-
pflichtet sind, ihren Häuptlingen gewisse Dienste zu leisten, zu
denen namentlich die Gefolgschaft auf kriegerischen Streifzügen
gehört. Dieselbe Inselwelt kennt auch eine Art weiblicher Klubs,
deren Mitglieder bei Festlichkeiten zu Ehren fremder Gäste die
Bedienung übernehmen.
*) Estufa = geheizter unterirdischer Raum, von den Pueblaindianern
als Zusammenkunftsort benützt.
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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Know-Nothings.
Die antiausländische und antikatholische Geheimpartei dieses
Namens wurde 1852 in der nordamerikanischen Union behufs
Beeinflussung der Präsidentenwahlen ins Leben gerufen und ver-
schwand schon nach vier Jahren von der Bildfläche. 1888 lebte
sie mit zahlreichen Geheimlogen wieder auf und entfaltete eine
eifrige Thätigkeit, besonders in den Staaten New-York und Kali-
fornien. Sie veranstaltete viele grofse Versammlungen zur Unter-
stützung des Präsidentschaftskandidaten Hewitt, der das Prinzip
verfocht, dafs Einwanderer erst nach 2ljährigem Aufenthalt
stimmberechtigt werden sollten. Die Nichts-Wisser erlitten aber
eine Niederlage, indem bekanntlich Harrison gewählt wurde.
Kurnaische Mysterien.
Die einstigen Einweihungsriten der australischen Kurnai
bei Beginn der Mannbarkeit ähnelten denen der tasinanischen
Stämme und der O-ki-pah (vgl. weiter unten). Die Einzelheiten
sind unbekannt, doch kann man auf deren Natur aus der That-
sache schliefsen, dafs alle von Europäern untersuchten Kurnai-
Jünglinge auf den Schultern, den Schenkeln und den Brustmuskeln
tiefe Narben aufwiesen. Auffallend ist der Umstand, dafs ein bei
den Einweihungen benutztes Werkzeug demjenigen glich, das zu
den heiligen Gegenständen der eleusinischen Mysterien gehörte.
Die Kurnai nannten es »turndun.“ Es war ein flaches, an einen
Riemen befestigtes Holzstück zum Herumwirbeln, welches ein
zum Abschrecken der Weiber bestimmtes Schnarren erzeugte.
Der Mann, der dieses Instrument einer Frau zeigte oder die Frau,
die es absichtlich oder zufällig erblickte, wurde hingerichtet.
Auch die südafrikanischen Kaffern und die Eingeborenen Neu-
seelands pflegten es zu gebrauchen.
Ludlamshöhle.
Eine 1818 entstandene Wiener Scherzgesellschaft, so genannt
nach Oehlenschlägers bekanntem Stück. Die Mitglieder hiefsen
Leichen, die Aufnahmebewerber Schatten. Die letzteren mufsten
sich einer komischen Prüfung unterziehen und fanden nur dann
Aufnahme, wenn sie sich sehr unwissend zeigten. Der Ludlams-
höhle gehörten zumeist Litteraten an und ihr Zweck war lediglich
Unterhaltung. Dennoch wurde sie schon nach acht Jahren von
der Polizei aufgelöst.
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■404 Verschiedene andere Vereinigungen.
Magierorden.
Dieser soll im 18. Jahrhundert als eine Abart des Rosen-
kreuzertums bestanden haben. Angeblich trugen die Mitglieder
die Tracht der Inquisitoren.
Maharadschas.
Aus Werken, deren Verfasser dem indischen Priesterorden
der Maharadschas angehörten, sowie aus den Glaubenslehren der
Wallabhacharia-Sekte geht hervor, dafs Wallabhacharia für eine
Fleischwerdung des Gottes Krischna gehalten wurde und dafs
die Maharadschas als Nachkommen Wallabhacharias dieselbe Art
der Fleischwerdung durch Erbfolge für sich in Anspruch nehmen.
Der Krischnadienst dieser Priesterschaft ist ein äufserst zügelloser.
Die einem höchsten Wesen schuldige Liebe und Unterwürfigkeit
wird auf diejenigen Personen übertragen, welche die lebenden
Fleischwerdungen des Gottes zu sein behaupten. Demgemäfs
üben die Priester unbegrenzten Einflufs aus über ihre weiblichen
Anhänger, die es als grofse Ehre betrachten, zeitweilig die Gunst
der lüsternen Maharadschas zu erringen. Der Glaube an die
Berechtigung der Ansprüche dieser Sekte wirkt in verhängnisvoller
Weise auf die häuslichen Beziehungen zwischen Gatte und
Gattin ein. Eine 1 862 vor dem obersten Gerichtshof zu Bombay
stattgehabte Verhandlung gegen Maharadschas brachte zu Tage,
dafs das reichste und gröfste Handelsgemeinwesen der mittel-
und westindischen Hindus einen aufserordentlich verderbten
Priester als Gott anbeteten. Noch jetzt verschreiben sie ihm
beim Eintritt in die Sekte Leib, Seele und Eigentum. Ihre
Thorheit geht so weit, dafs sie das Wasser, in welchem er
gebadet hat, gierig austrinken. Die Maharadschas, deren es in
Indien gegenwärtig 70-80 geben mag, tragen auf der Stirne
ein Zeichen, welches aus zwei senkrechten roten Linien besteht,
die an der Nasenwurzel in einen Halbkreis auslaufen und in
der Mitte einen roten runden Fleck haben.
Mano Negra.
Die »Schwarze Hand", ein südspanischer agrarsozialistischer
Geheimbund, stammt aus dem Jahre 1830 und verdankte ihr
Entstehen der Thatsache, dafs die landwirtschaftlichen Arbeiter
ihrer kommunalen Rechte beraubt wurden, indem man die
Ländereien, auf denen sie Holz schlagen und Vieh weiden lassen
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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durften, weit unter dem Werte an die geriebenen Dorfadvokaten,
die sogenannten »Kaziken", verkaufte, die sich grofsen politischen
Einflusses erfreuen. Da die Käufer in vielen Fällen nicht das zum
Bebauen des Bodens nötige Geld besafsen, verfielen die Land-
arbeiter dem ärgsten Elend und dieser Zustand verursachte zahl-
reiche Unruhen. Die Mitglieder der Schwarzen Hand verpflichteten
sich eidlich zur Bestrafung ihrer Unterdrücker mit Stahl, Fe ler
oder Gift. Auf die Geheimhaltung der Gesellschaftsthätigkeit
wurde so grofses Gewicht gelegt, dafs auf deren absichtliche
oder unabsichtliche Enthüllung der Tod stand. Die Organisation
umfafste Oberhäupter, Mittelpunkte, Kassen und Geheimgerichte;
die letzteren verhängten sowohl über Bundesmitglieder als auch
über Grundherren und Wucherer angemessene Strafen, zuweilen
auch den Tod. Um der Entdeckung zu entgehen, wechselten
die Mitglieder ihre Namen häufig, bedienten sich einer Chiffern-
schrift und hielten sich an das Buch der Vorsichtsmafsregeln,
welches alle erdenklichen Fälle in Betracht zog. Besonders thätig
war die Mano Negra zwischen 1880 und 1883, namentlich in
Andalusien, und das veranlafsie die Regierung, die strengsten
Mafsregeln zu ergreifen und viele Mitglieder vor Gericht zu
stellen. Die von dem Bunde hervorgerufene Bewegung hatte
ihre einzige Triebfeder im Hunger der Bauern und blieb rein
spanisch; die Bemühungen ausländischer Anarchisten, auf dieselbe
Einflufs zu gewinnen, waren vergeblich.
Melanesische Gesellschaften.
Auf Neu-Guinea, den Salomons-lnseln, den Neu-Hebriden,
den Fidschi-Inseln, auf Neu-Kaledonien u. s. w. giebt es zahl-
reiche Geheimgesellschaften; da jedoch ihre Geheimnisse bekannt
sind, haben sie nichts Schreckliches an sich. Die Leute treten
ihnen bei, aber mehr zum Scherz. Die Logen dienen als Klubs,
in denen gut gegessen und getrunken wird; Fremde dürfen
anwesend sein, nur Frauen werden zumeist nicht zugelassen.
Die Mehrheit der jungen Leute läfst sich einweihen, weil es
zum guten Ton gehört; wer nicht eingeweiht ist, dessen soziales
Ansehen leidet. Als die Zeremonien und Lehren noch Geheim-
nisse waren, glaubten die Aufsenstehenden, dafs die Eingeweihten
mit den Geistern der Toten verkehrten; in dieser Meinung
wurden sie dadurch bestärkt, dafs aus den Logen nicht selten
sonderbare und unheimliche Geräusche drangen und dafs zu-
weilen Gestalten in scheufslicher Verkleidung erschienen, die man
für Geister hielt. Jetzt aber weifs man bereits allgemein, dafs
die letzteren nichts anderes sind als lebende Mitglieder mit
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Verschiedene andere Vereinigungen.
seltsam verzierten und bemalten Hüten aus Baumrinde, welche
den ganzen Kopf bedecken und daher auf den Schultern
sitzen, während die übrige Kleidung in langen, phantastisch
geschmückten Mänteln aus Baumblättern besteht. Man weifs
auch, dafs die unnatürlichen Geräusche, von denen sich die
Eingeborenen früher erschrecken liefsen, durch das Reiben des
dicken Endes eines Palmblattfächers an einem flachen, glatten
Stein erzeugt werden. Eiei der Einweihungsfeierlichkeit wird be-
züglich der angeblichen Mitteilung geheimer Kenntnisse ähnlich
verfahren wie bei manchen europäischen Gesellschaften. Es
handelt sich auch dort hauptsächlich um die Bezahlung von
Gebühren. Doch giebt es solche Vereinigungen, in denen
die Aufnahmebewerber unangenehme Erprobungen zu erdulden
haben. So z. B. in der i»Welua, wo der Kandidat sich mit
dem Gesicht nach abwärts in ein seiner Gestalt genau angepafstes
Erdloch legen mufs, worauf sein Rücken mit angezündeten
Kokosnufswedeln beworfen wird; rühren kann er sich nicht, zu
schreien wagt er nicht und er mufs es sich gefallen lassen, die
Narben der erhaltenen Wunden als Zeichen seiner Mitgliedschaft
zu tragen. Nach der Einweihung verlebt er einige Zeit — in
manchen Vereinigungen volle hundert Tage - in Abgeschlossen-
heit, wobei er die Aufgabe hat, den Backofen zu bedienen und
in der Loge die grobe Arbeit zu verrichten. Der im Aller-
heiligsten erteilte Unterricht bezieht sich hauptsächlich auf die
gottesdienstlichen Tänze, welche die Eingeweihten an bestimmten
Festtagen öffentlich vollführen. Die Geister, deren Anwesenheit
in den Versammlungen vermutet wird, heifsen Duka. In Florida
wird die Beratung mit den Geistern „Palu-Duka" genannt. Die
Loge („Salagoro “) liegt gewöhnlich an einem versteckten Ort in
der Nähe des Dorfes unter hohen Bäumen. Frauen dürfen sich
ihr unter keinen Umständen nähern. Verlarvte Gestalten be-
wachen den Zugang, der durch orangenfarbenes Obst, auf
Schilfrohr gesteckt, und durch gewisse Verbotzeichen kenntlich
gemacht ist. Jede Gesellschaft verleiht ihren Mitgliedern ein
anderes Abzeichen, das entweder aus Biumen oder aus Blättern
besteht. Wer ein solches Abzeichen trägt, ohne Mitglied zu sein,
wird bestraft.
Menschliche Leoparden.
In der Nähe der britischen Niederlassung Sierra Leone
(Westafrika) besteht unter jenem Namen ein menschenfresserischer
Geheimbund, der Knaben ankauft, mästet und tötet, um sie
zu backen und zu verspeisen. Auch Reisende werden über-
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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fallen und womöglich zu dem gleichen Zweck umgebracht. Im
August 1895 wurden im Imperilande wegen dieses Verbrechens
fünf »menschliche Leoparden“ hingerichtet, die sich, mit einer
Leopardenhaut bekleidet, im Busch zu verstecken und Vorbei-
kommende zu erschlagen pflegten. Einer von ihnen war ein
Sonntagsschullehrer — ein Beweis, dafs seine Bekehrung zum
Christentum nicht sehr gründlich war. Es heifst, dafs die An-
gehörigen dieser Vereinigung einen Götzen Namens Bufina an-
beten, den sie manchmal befreundeten Stämmen zu Wahrsage-
und Beschwörungszwecken leihen. Die Bezeichnung „Leoparden"
soll auch daher rühren, dafs sie in die Leiber ihrer Opfer drei-
zackige Gabeln oder scharfspitzige Messer versenken, welche wie
Leopardenklauen aussehen. Auch sonst ist die westafrikanische
Küste reich an geheimen Verbindungen, in welche Knaben und
Mädchen schon mit zehn oder zwölf Jahren eingeweiht werden;
allein das einzige Interesse, das sie bieten, ist der Beweis der
überall verbreiteten menschlichen Sehnsucht nach dem Geheimnis-
vollen und der ebenso allgemeinen Bereitwilligkeit der Medizin-
männer, Schamanen, Bonzen, Marabuts, Priester u. s. w., jener
Sehnsucht entgegenzukommen.
Minas.
Eine räuberische Geheimgesellschaft zu Schahdschahanpur
in Vorderindien. Diese Stadt gehörte früher den Rohilla-Patans,
die 1774 von den Engländern besiegt wurden. Die Minas sind
die Nachkommen der Rohilla-Häuptlinge. Da ihre Landschaft
vollständig von unabhängigen Eingeborenenstaaten umgeben ist,
gelingt es ihnen leicht, sich den Behelligungen der britisch-
indischen Polizei zu entziehen. Sie überlassen den kleinen
Häuptlingen einen Teil ihrer Beute und werden dafür von den-
selben begünstigt und beschützt. Man glaubt, dafs ihre Or-
ganisation einigermafsen der der Garduna ähnelt. (Vgl. „Die
Garduna.»)
Moderne Druiden.
Die Mitglieder dieser anno 1781 in London gegründeten
Gesellschaft geben vor, die Nachfolger der alten Druiden zu sein.
Sie ist auch in Nordamerika und Australien verbreitet, hat
maurerische Riten und nennt ihre Logen Grotten. Es giebt drei
Grade und mehrere Erzkapitel. In den Vereinigten Staaten giebt
es dreizehn Grofsgrotten und 92 Grotten, von denen 24 englisch
und die übrigen deutsch sind. Die letzteren veröffentlichen ihre
Heckethorn-Katscher, Geheimbünde u. Geheimlehren. 32
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Verschiedene andere Vereinigungen.
Verhandlungen, die ersteren halten sie geheim. Der Orden, der
lediglich ein Wohlthätigkeitsverein ist, soll 1872 von Amerika
aus in Deutschland eingeführt worden sein.
Mumbo-Dschumbo.
Die Mundingos, ein oberhalb der Gambiaquellen lebender
Eingeborenenstamm hat eine geheime Verbindung, welche lebhaft
an die weiter oben geschilderte „Kalifornische Gesellschaft“ er-
innert. Wenn die Männer mit den Weibern Streit bekommen,
wird der Götze Mumbo-Dschumbo, auch Mamma- Dschamba
genannt, herbeigeholt - eine acht bis neun Fufs hohe Gestalt
aus Baumrinde, mit einem langen Stock angethan und mit einem
Strohwisch gekrönt. Ein Mitglied der Geheimgesellschaft fungiert,
unter dem langen Rock versteckt, als Richter. Selbstverständlich
fallen seine Entscheidungen fast immer zu Gunsten der Männer
aus. Wenn die Weiber ihn kommen hören, rennen sie davon
und verbergen sich; aber er läfst sie holen und sie müssen sich
niedersetzen und nach seinem Belieben singen oder tanzen.
Weigert sich eine zu erscheinen, so wird sie mit Gewalt vor-
geführt und gepeitscht. Bei der Aufnahme mufs man feierlich
schwören, das Geheimnis keinem Uneingeweihten, am wenigsten
einem Weib mitzuteilen. Da Kinder geschwätzig zu sein pflegen,
wird kein Knabe unter 16 Jahren zugelassen. 1727 enthüllte
der König von Dschagra seiner ungemein neugierigen Gattin die
Bundesgeheimnisse und sie plauderte dieselben weiter aus; die
Folge war, dafs beide von Mitgliedern der Gesellschaft getötet
wurden.
Odd Fellows.
Ein um die Mitte des 1 8. Jahrhunderts in England gegrün-
deter Orden, dessen Einweihungsriten anfänglich von ebenso
grausamer Art waren wie die der Mysterien des Altertums. Der
Kandidat wurde mit allerlei theatralischen Behelfen erschreckt
und mufste einen Verschwiegenheitseid leisten. Der Orden hat
Erkennungszeichen, Händedrücke, Kenn- und Losungsworte.
„Fides", eines dieser Worte, wurde Buchstabe für Buchstabe aus-
gesprochen. Eines der Zeichen bestand darin, dafs man die
rechte Hand auf die linke Brust legte und dabei sagte: „Auf
meine Ehre.“ Ein anderes Zeichen war das Anfassen des linken
Ohrläppchens mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten
Hand. Die jetzt gebräuchlichen Zeichen, Worte etc. kennen wir
nicht, denn dieselben werden jedes halbe Jahr gewechselt und
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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streng geheim gehalten. Der Orden, welcher 1819 in die Ver-
einigten Staaten eingeführt wurde, hat drei Grade - den »weifsen,“
den »blauen" und den »scharlachroten“ — sowie einen weib-
lichen Grad namens »Rebekka.» In sogenannten »Lagern»
werden auch Hochgrade verliehen. Die Odd Fellows tragen in
den »Logen» weifse, mit den Farben ihres Grades eingefafste
Schürzen, in den »Lagern» schwarze mit dergleichen Verzierung.
O-Kih-Pa.
So hiefs eine jährlich einmal abgehaltene Feier bei dem
jetzt bereits ausgestorbenen roten Indianerstamm der Mandanen;
dieselbe hatte drei Zwecke: 1. die Erinnerung an das Aufhören
der Sintflut wachzuerhalten, 2. den Stiertanz zu tanzen, damit es
recht viel Büffel gebe (offenbar eine Anspielung auf die Frühlings-
Tag- und Nachtgleiche, den Stier des Tierkreises), 3. den Mut
und die Ausdauer der jungen Leute, die im Laufe des Jahres
mannbar geworden waren, mittels grofser Entbehrungen und
Folterungen zu erproben. Ein Teil der letzteren wurde insgeheim
in der Medizinhütte zugefügt, aufserhalb welcher das »Grofse
Boot,» die mandanische Arche, stand, in das nur die »Geheimnis-
männer" einen Blick werfen durften. Catlin wohnte Folterungen
bei, die darin bestanden, dafs man unter die Rücken- oder
Brustmuskeln des Opfers Holzstäbe schob und es an denselben
von der Decke herabhängen liefs, wobei man es herumdrehte,
bis es in Ohnmacht fiel. Nun wurde der Bedauernswerte ab-
genommen; aber kaum hatte er sich erholt, jagte ihn die aufsen
versammelte Menge durch das Dorf. Während des Laufens trat
er unablässig auf die Stricke, welche an den in seinem Körper
steckenden Holzstäben befestigt waren. Dadurch wurden die
Wunden schliefslich so grofs, dafs die Stäbe von selbst heraus-
fielen. Das O-Kih-Pa endete mit einem Trinkgelage und mit
lasterhaften Ausschreitungen. Die Dakota-Sioux üben noch jetzt
die gleichen barbarischen Riten, aber in milderer Form.
Pantheisten.
Eine im 18. Jahrhundert in Deutschland und England be-
standene Vereinigung, welcher Bolingbroke, Hutne und andere
Berühmtheiten angehörten. Ihr Zweck war die Diskussion der
in Tolands »Pantheistikon“ enthaltenen Lehren. Der irische
Deist John Toland nahm schon vor zweihundert Jahren in seinem
Werke »das Christentum nicht geheimnisvoll“ die »höhere
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Verschiedene andere Vereinigungen.
Kritik“ unserer Tage vorweg. Er besuchte Deutschland wieder-
holt und seine Schriften erregten dort dasselbe Aufsehen wie in
England. Die Notwendigkeit, sich mit seinen Lehren insgeheim
zu befassen, rührte daher, dafs sie irrtümlich für atheistisch ge-
halten wurden. Daher hielten die »Pantheisten" jeden Unein-
geweihten, sogar die Dienerschaft, von ihren Versammlungen
fern, welche zur Zeit der Sonnenwenden und der Tag- und
Nachtgleichen stattfanden.
Patriotischer Orden der Söhne Amerikas.
1847 in Philadelphia gestiftet, unterbrach diese Gesellschaft
ihre Thätigkeit während des Bürgerkrieges, nahm dieselbe jedoch
nach dessen Beendigung wieder auf. Gegenwärtig giebt es über
200000 »Söhne Amerikas.“ Blofs geborene Amerikaner werden
zugelassen, denn der Bund bezweckt die Verbreitung nur ameri-
kanischer Prinzipien. Genau genommen, ist er ein Wohlthätigkeits-
verein und hat keine Geheimnisse, sondern nur geheime Sinn-
bilder und Erkennungszeichen. Seine Logen heifsen »Feldlager."
Phi-Beta-Kappa.
Dieser Orden, dem nur Universitätshörer beitreten können,
soll nach einigen Quellen ein Ableger der Weishauptschen
Illuminaten sein. Das Losungswort lautet: <Puoao<pia Bim KvßtQYtfnjg,
d. h.: die Philosophie ist der Leitstern des Lebens. Die Anfangs-
buchstaben der drei Worte dieses Satzes bilden den Namen des
Bundes, welcher das Ziel verfolgt, statt der Religion die Philo-
sophie zur Richtschnur der menschlichen Handlungen zu machen.
Der 1776 in den Vereinigten Staaten entstandene Orden hatte
geheime Zeichen und Händedrücke, die jedoch nach seiner Um-
wandlung in einen öffentlichen Verein (1830) bekannt gemacht
wurden. Als Erkennungszeichen legte man zwei Finger der
rechten Hand auf den linken Mundwinkel und strich dann damit
übers Kinn. Beim Händedruck blieben die Daumen aufsen und
die Gelenke wurden sanft gedrückt. Die silberne oder goldene
Medaille, für die der Kandidat zu zahlen hat, wird an einem
rosenroten oder blauen Band getragen. Sie weist die Buchstaben
Ph, B und K sowie sechs Sterne und eine Hand auf. Die
Sterne bedeuten die Zahl der Universitäten, an denen der Verein
heimisch ist. Die Kehrseite der Medaille zeigt die Buchstaben
S. P. (= Societas Philosophiae) und das Datum der Einführung
des Ordens in die Vereinigten Staaten.
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Verschiedene andere Vereinigungen. SOI
Phintias-Ritter.
Dieser Orden wurde 1 864 in Washington gestiftet und
verbreitete sich bald in den Vereinigten Staaten. Als sein Zweck
wird die Pflege der Freundschaft nach dem Vorbild von Dämon
und Phintias angegeben. Obgleich er sich für einen Geheimbund
erklärt, ist er eigentlich nur ein gewöhnlicher Wohlthätigkeits-
verein; da jedoch in seinem Schofse eine „Uniform-Linie“
besteht, welche wesentlich militärischer Natur ist, mag er immer-
hin auch ein geheimes Nebenziel verfolgen. Die militärischen
Übungen stehen im vollsten Einklang mit der Taktik der Unions-
Armee; Offiziere der letzteren fungieren denn auch bei den
Prüfungsübungen als Entscheidungsrichter. Die „Uniform-Linie"
zählt über 30000 Mitglieder.
Pilger.
Das Vorhandensein dieser Gesellschaft wurde 1825 zu
Lyon infolge der Verhaftung eines der Mitglieder entdeckt, eines
preußischen Schuhmachers, bei dem man den gedruckten Ordens-
katechimus fand, der dem freimaurerischen nachgebildet war,
obgleich es sich hier hauptsächlich um religiöse Reformen handelt.
Portugiesische Gesellschaften.
Im Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden in Portugal
mehrere politische Geheimbünde, darunter die „Septembristen“,
die „Chartisten“, die „Miguelisten" (Anhänger Don Miguels)
etc., doch waren alle unbedeutend und von kurzer Dauer.
Purrah.
In der Gegend zwischen dem Sierra Leoneflufs und dem
Kap Monte giebt es fünf Fulah-Susu-Stämme, welche zusammen
eine Art Föderativrepublik bilden. Jede Kolonie hat ihre eigene
Regierung, aber alle sind einer Einrichtung unterworfen, die sie
„Purrah“ nennen. Es ist das eine Kriegervereinigung, die einer-
seits lebhaft an die heilige Feme, anderseits infolge ihrer Ein-
weihungsriten an die alten Mysterien erinnert Jede der fünf
Ansiedelungen hat ihre besondere „Purrah“ mit 25 Mitgliedern.
Gemeinsam ist ihnen die Grofse Purrah — das höchste Gericht
— in welches die fünf Purrahs je fünf Vertreter entsenden.
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S02
Verschiedene andere Vereinigungen.
Der Kandidat für die Mitgliedschaft der Purrah mufs
mindestens dreifsig, bei der grofsen Purrah sogar fünfzig Jahre
alt sein und alle seine Verwandten innerhalb der Purrah müssen
für sein Verhalten Bürgschaft leisten. Sie erklären eidlich, ihn
opfern zu wollen, falls er während der Einweihungserprobungen
zurückweichen oder nach seiner Zulassung die Geheimnisse und
Grundsätze des Bundes enthüllen sollte. Er wird in einen
heiligen Hain gebracht, wo er monatelang in vollständiger Ein-
samkeit zubringen mufs und weder sprechen noch die ihm zu-
gewiesene Hütte verlassen darf. Bei einem etwaigen Versuch,
letzteres zu thun und in den Wald einzudringen, wird er sofort
getötet. Nach mehreren Monaten beginnen die eigentlichen Er-
probungen, deren letzte Stadien fürchterlich sein sollen. Der
heilige Hain ist von scheufslichem Geheul erfüllt, angekettete
Löwen und Leoparden bedrohen den Prüfling, an vielen Stellen
taucht Feuer auf und nachts werden regelrechte Brände in Scene
gesetzt — alles, um den Mut und die Entschlossenheit des
Aspiranten auf die Probe zu stellen. Versucht ein neugieriger
Uneingeweihter den heiligen Wald zu betreten, so verliert er
ohne Umstände das Leben. Nach Leistung eines Verschwiegen-
heits- und Gehorsams-Eides seitens des Neulings erfolgt dessen
Einweihung.
Verrat der Geheimnisse oder Auflehnung gegen die Befehle
der Stammes-Purrah oder der Grofsen Purrah zieht den Tod
nach sich. Zuweilen erfolgt die Ermordung im Hause des
Opfers. Plötzlich und unerwartet tritt ein verlarvter und be-
waffneter Krieger mit den Worten ein: „Die Purrah verfügt
deinen Tod.“ Alle Anwesenden weichen zurück, niemand leistet
Widerstand und der Schuldige wird umgebracht. Die Stammes-
Purrah verhandelt über die in ihrer Kolonie begangenen Ver-
brechen, vollzieht ihre eigenen Urteile und schlichtet auf gütlichem
Wege Streitigkeiten zwischen mächtigen Familien. Nur sehr
selten versammelt sich die Grofse Purrah zur Aburteilung von
Verrätern oder Ungehorsamen. Zu ihren Aufgaben gehört es
auch, den Kriegen, welche zuweilen zwischen mehreren Fulah-
Susu-Stämmen ausbrechen, ein Ende zu machen. Von dem
Augenblick des Zusammentritts des höchsten Gerichts bis zum
Fällen der Entscheidung vergeht gewöhnlich ein Monat, während
welcher Zeit es jedem Krieger der beteiligten Stämme bei
Todesstrafe verboten ist, das Blutvergiefsen fortzusetzen. Der
schuldig gesprochene Stamm mufs sich nach der Urteilsfällung
vier Tage lang plündern lassen. Die Vollstrecker des Urteils
gehören den neutralen Niederlassungen an; sie sind mit Dolchen
bewaffnet, mit scheufslichen Masken verlarvt und tragen brennende
Fackeln. Sie treffen in den verurteilten Dörfern vor Tages-
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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anbruch ein, töten alle Einwohner, die nicht die Flucht ergriffen
haben, und schleppen alles bewegliche Eigentum von Wert weg.
Die Beute wird in zwei Teile zerlegt, deren einen der durch
den Überfall geschädigte Stamm erhält, während der andere von
der Grofsen Purrah unter die Urteilsvollstrecker verteilt wird.
Wird eine Familie so mächtig, dafs sie Beunruhigung hervorruft,
so versammelt sich die Grofse Purrah zu einer Beratung und
verurteilt sie in der Regel zu plötzlicher Plünderung, welche
dann nächtlicherweile von maskierten und verkleideten Kriegern
bewirkt wird.
Dieser Geheimbund versetzt die Bevölkerung der betreffen-
den Gegenden und der Nachbargebiete in Furcht und Schrecken.
Die Neger der Bai von Sierra Leone sprechen von der Purrah
nie ohne Scheu und Zurückhaltung, denn sie glauben, dafs alle
Mitglieder Zauberer seien und mit dem Teufel in Verbindung
stehen. Die Purrah thut nichts zur Zerstreuung dieser Vorurteile,
denn dieselben verhelfen ihr zu einer Macht, an die niemand
zu rühren wagt. Die Mitglieder erkennen einander an gewissen
Worten und Zeichen; ihre Zahl wird auf etwa sechstausend
geschätzt.
Rebekkaiten.
Entstanden um 1 843 in Wales und bezweckten die Beseitigung
der Oktroischranken. Die Mitglieder trieben sich in weifser
Kleidung zur Nachtzeit umher und rissen die Mautthore nieder.
Das Oberhaupt der Gesellschaft wurde Rebekka genannt -- in
Anlehnung an die Bibelstelle Genesis XXIV, 60. Die Rebekkaiten
wurden von der Regierung unterdrückt.
Ritterorden.
Von Friedrich v. Gone, einem Ritter von der Strikten
Observanz, gegründet, bezweckte der „Ritterorden“ die Ver-
spottung des mittelalterlichen Rittertums, obgleich der Stifter
selbst an die Abstammung der Freimaurerei vom Templerorden
glaubte. Die Gründung erfolgte 1771 in Wetzlar. Die Mit-
glieder legten sich Ritternamen bei, Goethe z. B. hiefs Götz von
Berlichingen. Sie hielten die „Vier Haimonskinder“ für sym-
bolisch und Goethe schrieb dazu einen Kommentar. Behufs
Lächerlichmachung der maurerischen Hochgrade teilte sich die
Gesellschaft in vier Grade: Übergang, Übergang des Übergangs,
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Verschiedene andere Vereinigungen.
Übergang des Übergangs zum Übergang, Übergangs-Übergang
zum Übergang des Übergangs. Die Bedeutung dieser scheinbar
tiefsinnigen Bezeichnungen kannten natürlich nur die Eingeweihten.
Rothäute.
Während des englisch-amerikanischen Krieges riefen einige
amerikanische Patrioten im Jahre 1812 die Gesellschaft der
Rothäute ins Leben, die ihren Symbolismus den Indianern ent-
lehnte. Demgemäfs hiefsen die Logen »Stämme“, die Ver-
sammlungsräume »Wigwams“, die Zusammenkünfte »Beratungs-
feuer“ u. dgl. m. Bei festlichen Anlässen erschienen die
Mitglieder in indianischer Tracht. Viele Deutsch -Amerikaner
traten bei, sagten sich aber später, als die Yankee-Mitglieder sie
von oben herab ansahen, wieder los und bildeten eine neue
Verbindung, der sie den Namen »Unabhängiger Orden der
Rothäute“ gaben. Die drei Grade der Deutschen hiefsen:
Schwarze, Blaue, Grüne, die der Yankees: Jäger, Soldaten, Haupt-
leute. In »Lagern“ wurden auch Hochgrade verliehen. Nach
Beendigung des Unabhängigkeitskrieges (1814) verloren die
beiden Orden ihren politischen Anstrich und verwandelten sich
in Wohlthätigkeitsvereine. Gegenwärtig zählen sie zusammen
ungefähr 40000 Mitglieder.
Salpeterer.
Die Grafschaft Hauenstein im Grofsherzogtum Baden bildet
ein Dreieck, dessen Basis der Rhein zwischen Säckingen und
Waldshut ist. Im 18. Jahrhundert forderte der Abt des reichen
Benediktiner-Klosters St. Blasien, welches als Scheitelpunkt des
Dreiecks gelten kann, von den Hauensteinern Frondienste. Sie
lehnten sich dagegen auf und traten zu einem Geheimbund
zusammen, der sich »Salpeterer" nannte, weil sein Oberhaupt
Fridolin Albiez ein Salpeterhändler war. Mit Unterstützung
Österreichs obsiegte der Abt 1755, allein die Gesellschaft ent-
stand im Anfang des 19. Jahrhunderts von neuem, diesmal um
in Kirche und Schule fortschrittliche Tendenzen zu bekämpfen.
Gegenseitige Zugeständnisse machten i. J. 1 840 dem Kampf und
dem Geheimbund ein Ende. In Tirol gab es eine ähnliche
Vereinigung, und zwar die der »Manharter", so genannt nach
ihrem Anführer Manhart; mit Hilfe des Papstes gelang es ihr,
der Ausbreitung der Reformation in Tirol erfolgreichen Wider-
stand zu leisten.
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Verschiedene andere Vereinigungen.
S05
Sich -Fanatiker.
Das Wort „Sich“ oder »Sikh“ bedeutet soviel wie Jünger
oder ergebener Anhänger. Das Vorhandensein einer religiösen
Sekte dieses Namens, deren Prophet Nanuk war, wurde zuerst
im Jahre 1510 bekannt. Etwa 200 Jahre nachher brachte der
Prophet (Guru) Govindu militärischen Geist in die Sekte und
fügte zu deren heiligem Buche »Granth" das Schwert. Auf dem
Höhepunkt ihrer Macht standen die Sikhs von 1 798 — 1 839.
Sie machten sich durch das Tragen eines blauen Gewandes
kenntlich, weil Krischnas Bruder Bala Ram stets als blaugekleidet
dargestellt wird. Auch trugen sie langes Haar, lange Bärte und
mufsten Stahl in irgend einer Form bei sich haben. Gegen-
wärtig kleiden sich die gewöhnlichen Sikhs ausschliefslich weifs.
Sämtliche Mitglieder bildeten zusammen die heilige Brüderschaft
Chalsa (= die Geretteten oder Befreiten), innerhalb welcher alle
gesellschaftlichen Unterschiede aufhörten. Die wilden, fanatischen
Akalis waren und sind zugleich Soldaten und Priester, die haupt-
sächlich in ihrem grofsen Tempel zu Amritsar (= »Quelle der
Unsterblichkeit") beschäftigt sind, wo sie die Bekehrten einweihen.
Diese bekommen fünf Waffen — Schwert, Feuerschlofsgewehr,
Bogen, Pfeil, Pike — und es wird ihnen eingeschärft, gewisse
Tugenden zu üben und den Verkehr mit gewissen schismatischen
Sekten zu vermeiden. Da nach der Überlieferung Govindu un-
mittelbar nach seinem Tode ausrief: »Wo immer fünf Sichs bei-
sammen sein werden, werde ich gegenwärtig sein", gehören zum
Vollzug der Einweihungsriten ihrer fünf. Die Sichs dürfen Fleisch
essen, jedoch nicht das der Kuh, denn dieses Tier ist ihnen
ebenso heilig wie den Hindus.
Die fanatische Sikh-Bewegung, von der wir hier im be-
sonderen sprechen wollen und von welcher die Öffentlichkeit
i. J. 1872 durch die bekannten Kuka-Morde Kenntnis erhielt,
wurde vor einigen Jahrzehnten durch den Sich Ram-Singh be-
gonnen, der sein Hauptquartier in einem Dorf des Ludhiana-
bezirks hatte. Es heifst, dafs er mehr das Ritual als den
Glauben seiner Landsleute habe umgestalten wollen. Seine An-
hänger scheinen überdies etwas von den islamitischen Tanz-
derwischen gelernt zu haben, denn sie arbeiteten sich auf ihren
Versammlungen in religiöse Verzückungen hinein, welche sich
in unheimlichem Geheul Luft machten. Die Männer und die
Weiber vollführten mit einander eine Art wilden Kriegstanzes,
wobei sie unartikulierte Laute ausstiefsen und allmählich ihre
ganze Kleidung abwarfen. Ram Singh hatte im alten Sich-Heer
gedient und eine Anzahl seiner Emissäre in die Armee des
Maharadscha von Kaschmir eingereiht; man sagt, dafs dieser
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Verschiedene andere Vereinigungen.
Herrscher ein ganzes Regiment von Kukas habe besolden wollen,
dafs aber aus irgend einem Grunde nichts daraus geworden sei.
Vielleicht fürchtete er, dafs im Laufe der Zeit der politische
Einflufs der neuen Rekruten ihm oder seinen britischen Ver-
bündeten über den Kopf hätte wachsen können.
Ram Singhs Sekte vermehrte sich sehr rasch; mit Hilfe
seiner Stellvertreter (Soubahs), deren er im Pendschab etwa
zwanzig hatte, brachte er es schliefslich auf rund 100000 An-
hänger, meist Handwerker, Arbeiter und noch niedriger stehende
Personen, die nichts zu verlieren hatten und in übertriebenen
Vorstellungen von künftigem Reichtum schwelgten. Die Macht
ihres Führers über sie war so grofs, dafs sie seine Befehle mit
derselben Bereitwilligkeit vollzogen wie im Mittelalter die Assassinen
jene des Alten vom Berge. (Vgl. »Die Assassinen“.) Wollte er
einem noch so entfernten Stellvertreter eine Botschaft zukommen
lassen, so vertraute er den Brief einem seiner Jünger an, der in
vollem Lauf bis zur nächsten Station eilte und sie einem anderen
zur Weiterbeförderung übergab, dieser einem dritten u. s. w.
Um sein Ansehen bei seiner Sekte zu steigern, wufste Ram Singh
seinen Namen in geschickter Weise in eine Stelle der Sikh-
Bibel einzufügen, und zwar dort, wo von dem künftigen Er-
scheinen eines neuen Propheten oder Lehrers die Rede ist. Man
hat Grund zu der Annahme, das Hauptziel dieses Mannes habe
darin bestanden, mit Hilfe einer Religionsbewegung den Sichs
wieder zu ihrer alten Oberhoheit in Pendschab zu verhelfen.
Den Fanatismus seiner Leute stachelte er durch die Behauptung
auf, ihr Feldzug sei gegen die Mörder der heiligen Kuh ge-
richtet, womit die europäischen Eroberer gemeint waren. Die
Erhebung wurde schnell unterdrückt, die kleine, kaum 300 Mann
zählende Bande der bewaffneten Jünger Rams vernichtet, die
Rädelsführer aus Kanonen geschossen.
Die Sikhs zerfallen in zahlreiche Sekten, deren bedeutendste
die Gowind-Sinhi-Gemeinde ist. Übrigens nehmen die Sikhs
als eine geheime Religionssekte immer mehr ab.
Silberkreis- Ritter.
Die geheime Verbindung dieses Namens entstand 1893 in
den Rocky Mountains und war gegen die Aufhebung der Silber-
prägung gerichtet. Für den Fall der Aufhebung drohten die
Mitglieder, den Staat Colorado zu zwingen, aus der Union zu
treten und sich mit der Silber ausprägenden Republik Mexiko zu
vereinigen. Damals wimmelten die Weststaaten von Geheim-
gesellschaften, die sich mit der Secessionsfrage befafsten; viele
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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von ihnen sollen bewaffnet gewesen sein und bei Mond-
schein Exerzierübungen abgehalten haben. Die Mitglieder erkannten
einander an geheimen Zeichen und Worten. Die Aufhebung
der Shermanschen Akte im August des genannten Jahres machte
den Silberkreis-Rittern und allen ähnlichen Verbindungen ein
Ende.
Sonderbare Gesellen.
Es sind das die deutschen Odd Fellows, jetzt auch Freie
Gesellen oder Helfende Brüder genannt. Während die eng-
lischen keine anderen Geheimnisse haben als ihre Zeichen, Kenn-
worte und Händedrücke, stehen die deutschen in enger Ver-
bindung mit der Freimaurerei und sind gegen Priestertum, Aber-
glaube und Fanatismus gerichtet. Die Einführung des Ordens
in Deutschland erfolgte 1870 und allmählich fand er Eingang
in Frankreich, Holland, Schweden, Spanien, Schweiz, Mexiko,
Peru, Chili und Polynesien. Gegenwärtig zählt er über fünfzig
Grofslogen mit rund 8000 Logen, die englischen nicht mit-
gerechnet.
Sophisier.
In Ägypten gründeten 1 798 — 99 mehrere französische
Generale den „Heiligen Orden der Sophisier“ („Anhänger der
Weisheit"). , Trotz der Geheimthuerei kam seine Thätigkeit teil-
weise an den Tag. Näheres darüber findet sich in einem Buche,
das den Titel führt: ,, Melanges relatifs ä l’ordre sacre des
Sophisiens, etabli dans les Pyramides de la Republique fran^aise,"
aber nur teilweise gedruckt ist.
Stern von Bethlehem.
Die Mitglieder dieses Ordens behaupten, derselbe sei be-
reits im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gestiftet worden.
Im 1 3. Jahrhundert bestand er als der mönchische Bethlehemiter-
Orden, welcher eng verbunden war mit der von der Kaiserin
Helena im Jahre 330 erbauten Nativitätskirche, in deren Mitte
sich die Grotte der Geburt Christi befindet. Der Marmorfufs-
boden dieser Grotte weist einen eingelegten Stern auf — zur
Erinnerung an den Stern von Bethlehem. 1257 in England ein-
geführt, wurde der Orden bald zu einem Wohlthätigkeitsverein,
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Verschiedene andere Vereinigungen.
dessen Mitglieder sich «Ritter des Sterns von Bethlehem" nannten.
1408 erhielt das weibliche Geschlecht die Beitrittserlaubnis. Ein
gewisser Giles Cory aus London brachte den Orden 1681 nach
Amerika, doch führte die dreizehn Jahre später erfolgte grausame
Hinrichtung des Grofskomturs (»wegen der Abhaltung von
Versammlungen in den toten Stunden der Nacht“) zur Auflösung
des amerikanischen Zweiges. A. Grofs aus Newcastle-on-Tyne
rief ihn 1869 zu New-York von neuem ins Leben; 1884 wurde
der Rittertitel abgelegt, sodafs der Bund jetzt »Orden des Sterns
von Bethlehem" heifsL
Tabakologische Gesellschaft.
Ais im Jahre 531 die Tänzerin Theodora die Gemahlin
Justinians I. wurde, wollte sie sich mit Philosophen umgeben,
namentlich mit Pythagoräern. Weil die Philosophen es für unter
ihrer Würde hielten, sich unter kaiserlichen Schutz zu stellen,
wurden sie verfolgt und ihre Lehranstalten geschlossen. Auch
verbot man ihnen, sich zu versammeln; deshalb kamen sie ins-
geheim zusammen: anfangs in einem verfallenen Ceres-Tempel am
Ufer des llissos, später in einem von ihnen selbst errichteten
achteckigen Tempel am Fufse des Hymettos. Sie nannten sich
Pednosophen, worunter sie »Kinder der Weisheit“ verstanden.
Ihr Symbol war die Anemone; wie diese Blume der Sage nach
dem Blute des von einem wilden Eber verwundeten Adonis ent-
sprofs, so erhob sich in den Augen der Pythagoräer die Philo-
sophie verjüngt aus der vom Aberglauben verfolgten, Philosophie.
Anfänglich liefs man auch Weiber und Kinder zu, vertraute
ihnen aber die Geheimnisse nur teilweise an.
Das Erkennungszeichen bestand im Kreuzen der Arme auf
der Brust, wobei ein Zeigefinger die Lippen berühren mufste.
Das Losungswort war: »Theus-Theos» (= »Hoffnung auf Gott“).
Nur wenige Mitglieder kannten den wirklichen Namen des Ober-
hauptes, die übrigen kannten dieses blofs unter einem Pseudonym.
Der Bund fristete sein Leben bald in diesem, bald in jenem
Lande. Was insbesondere England betrifft, so verbot Karl II. 1672
alle Geheimgesellschaften, was die Pednosophen veranlafste, sich
nunmehr »Tabakologen" zu nennen und die Tabakpflanze als
Sinnbild zu erwählen, weil deren rote Blüte sie an die von
Justinian und anderen verfolgte Philosophie erinnere (!). ln
ihren Sitzungen besprachen sie vornehmlich akademische Gegen-
stände und man kann sagen, dafs die Tabakologische Gesellschaft
das Urbild der modernen Akademien war. Sie zerfiel in vier
Grade und zählte viele hervorragende Männer zu ihren Mit-
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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gliedern. In der Loge wurden dreieckige Schürzen getragen.
Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts verfiel der Orden in Eng-
land und seine Papiere, Protokolle und Geheimnisse gelangten
in die Hände eines französischen Marquis, der sie seinem Sohn
hinterliefs, nach dessen Tod sie ein gewisser Dussin erbte.
Dieser rief den Bund in Poitiers wieder ins Leben (1806) und
derselbe erhielt sich dann 42 Jahre lang. Der Bau und die
Verarbeitung des Tabaks bildeten den Gegenstand symbolischer
Unterweisungen und den Städten, in denen es Logen gab,
wurden die Namen von Gegenden beigelegt, welche ob ihrer
feinen Tabaksorten berühmt sind. Im Volksmund hiefsen die
Mitglieder »Schnupfer."
Teppa.
Als das Scheitern der carbonaristischen Verschwörung, be-
sonders des Erhebungsversuches zu Macerata, zur vorübergehenden
Unterdrückung des Carbonaribundes führte, sah die italienische
Jugend ihre Hoffnung, sich durch Bekämpfung und Vertreibung
der Österreicher auszuzeichnen, bitter getäuscht. Während nun
die ruhigeren Elemente sich in das Unabänderliche fügten und
zu ihren Alltagsbeschäftigungen zurückkehrten, suchten die Hitz-
köpfe unter den Carbonari für ihren Überschwang Auswege,
indem sie allerlei Vereinigungen gründeten, die zuweilen recht
verwerflich waren. Hierher gehörte die »Compagnia della Teppa“
(»Rasengesellschaft"), 1818 in Mailand entstanden. Die nach-
folgenden Einzelheiten darüber entnehmen wir hauptsächlich dem
Rovanischen Buche »Cento Anni," dessen Quelle die Mitteilungen
des Bundesmitgliedes Milesi waren, welche als ziemlich zuver-
lässig gelten können.
Über den Ursprung des Namens der Gesellschaft gehen
die Ansichten auseinander. Nach der einen stammte er daher,
dafs der Plüsch , aus dem die Hüte der Mitglieder gefertigt
wurden, so kurz und glatt geschoren sein mufste wie ein Rasen ;
die zweite, viel einleuchtendere Erklärung geht dahin, dafs die
Versammlungen im Beginn auf dem prachtvollen Rasen der
Piazza Castello zu Mailand stattfanden. Die Mitglieder ver-
pflichteten sich, jeden Mann, dem sie nach Sonnenuntergang auf
der Strafse begegneten, zu prügeln. Dieser Unfug richtete sich
in erster Reihe gegen Männer, die im Besitze schöner Gattinnen
waren, deren Entführung aus ihrer Wohnung oder deren Ver-
feindung mit ihren Männern im Interesse einzelner Mitglieder
lag; zuweilen war die Sache sogar mit der schönen Frau ab-
gekartet. Da mit dem Empfang einer solchen Tracht Prügel
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Verschiedene andere Vereinigungen.
eine gewisse Lächerlichkeit verbunden war, pflegten die Opfer
sich nur selten zu beklagen. Selbstverständlich kamen bei diesen
Überfällen oft auch die Angreifer schlecht weg. Die öster-
reichische Polizei kannte das Treiben der „Teppa“ genau, drückte
aber beide Augen zu, denn sie hielt es für angezeigter, dafs die
Jugend ihren Überschufs an Thatkraft in solcher Weise bethätige,
als in politischen Verschwörungen gegen Österreich. Und so
hätten die Raufbolde ihr Treiben wohl noch recht lange fort-
setzen können, wenn sie nicht durch die andauernde Straflosigkeit
allzu übermütig geworden wären. Der folgende Vorfall zwang
die Polizei schliefslich zum Einschreiten.
In der Pennacchiaristrafse lebte ein Zwerg des Spitznamens
Qasgiott als Blumenmacher. Trotz seiner Oewaltthätigkeit und
Streitsucht glaubte er ein geradezu unwiderstehlicher Liebling der
Damenwelt zu sein. Eines Nachts beklagte sich in der genannten
Strafse ein Mädchen bei dem herkulisch gebauten Teppamitglied
Milesi über einen rohen Angriff Oasgiotts. Milesi prügelte den
Zwerg tüchtig durch und brachte ihn in ein Wirtshaus, wo er
ihn dem Oberhaupt der „Rasengesellschaft,'' Baron Bontempo,
vorführte. Auf Milesis Antrag liefs der Freiherr den Zwerg,
„um dessen Blut abzukühlen,“ bei schmaler Kost auf seinem
Landsitz Simonetta (bei Mailand) einsperren. Dieser Einfall
brachte die „Teppa" auf den Gedanken, alle Zwerge der Stadt
aufzuspüren und bald befanden sich ihrer zwölf im Gewahrsam
zu Simonetta. Kühner werdend, gingen die Kerle nun weiter.
Zu den Bemäntelungen ihrer unerquicklichen Thätigkeit gehörte
nämlich das Vorgeben, dafs es ihre Pflicht sei, Unrecht gut-
zumachen, welches vom Gesetz nicht gerächt wird. Demgemäfs
richteten sie ihr Augenmerk auf jene berechnenden Weiber, die
durch ihre Ränke und ihre Verschwendungssucht zahlreiche junge
Leute wie auch verheiratete Männer zu Grunde richten, ohne dafs
sie von Gesetzes wegen bestraft werden konnten. Damals gab es
in Mailand viele solche Damen, darunter hochstehende, und es
wollte den Rasenmännern scheinen, als wären dieselben eine
passende Gesellschaft für die eingesperrten Zwerge. Gedacht,
gethan, zehn Damen wurden mit List oder Gewalt nach Simo-
netta entführt und zu den Zwergen gesellt, von denen sie in
entsetzlicher Weise belästigt wurden. Es ist begreiflich, dafs die
Damen sich weder die Entführung noch die Zumutungen der
Zwerge ruhig gefallen lassen wollten. Tags darauf machten die
Urheber des Unfugs diesem ein Ende, indem sie die männlichen
und die weiblichen Gefangenen befreiten. Da die geschlossenen
Wagen nach und von Simonetta grofse Umwege machten,
wufsten die Häftlinge nicht, wo sie waren; trotzdem kam man
der Sache auf die Spur, denn eine solche Angelegenheit konnte
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Verschiedene andere Vereinigungen.
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man nicht durchführen, ohne zahlreiche Personen ins Geheimnis
zu ziehen. Überdies schrien die betroffenen Damen laut nach
Rache und viele junge Leute aus achtbaren Familien, die der
Teppa nur aus Neugier oder sonstigen nichtigen Gründen bei-
getreten waren, erklärten sich zu Aufschlüssen bereit, als sie
sahen, wie arg es der Geheimbund trieb. Da die Polizei nicht
länger alle fünf gerade sein lassen konnte, schritt sie eines Tages
— es war im Jahre 1821 — zur Verhaftung von 60 Mitgliedern
der Teppa und zu ihrer Einkerkerung im Markuskloster oder in
den Gefängnissen von Szegedin und Komorn. Auch nachher
wurden noch viele verhaftet, während andere auf Grund von
empfangenen Warnungen die Flucht ergriffen. So endete die
«Rasengesellschaft“ nach kaum vierjährigem Bestand.
Was die Erkennungszeichen betrifft, so grüfste der eine
mit gefalteten Händen, worauf der andere seine rechte Hand so
an die Seite hielt, als wollte er das Heft seines Schwertes er-
greifen. Es gab nur zwei Grade: «Bruder» und »Hauptmann."
Jeder Hauptmann mufste vier neue Mitglieder gewinnen. Der
Bund war in zwei grofse Mittelpunkte geteilt: den der »Adeligen"
und den der »Gemeinen.“
Theosophen.
ln der »Einleitung» wie auch an anderen Stellen dieses
Buches haben wir angedeutet, was unter echter Theosophie zu
verstehen ist. Da »Theos» so viel heifst wie Gott, kann die
Theosophie nichts anderes sein als die »Weisheit des Lichtes.“
Die Erforschung des Lichtes bildet die einzige Weisheit, denn
das Licht ist der Urstoff und die einzige wirkliche Wesenheit.
Aber jene Erforschung mufs wissenschaftlich getrieben werden,
sonst ist sie Schwindel. Und lediglich schwindelhaft sind die
Lehren der sonderbaren Schwärmer, die sich heutzutage unver-
froren für Theosophen ausgeben und die Welt mit ihren Vereinen
und Veröffentlichungen behelligen. Der moderne theosophische
Betrug ist vornehmlich in Ostindien, England und den Vereinigten
Staaten zu Hause. Die Lehren der Anhänger von Helene Blavatsky
und Annie Besant beruhen durchweg auf dem Übernatürlichen,
Unbekannten; sie sind unwissenschaftlich und verdienen keine
Beachtung. Unsere heutigen Theosophen beziehen ihre Ein-
gebungen von den Mahatmas - unsichtbaren Weisen, die die
Macht besitzen, alle Weltgeheimnisse zu lösen. Wie seltsam
und bedauerlich, dafs noch nie ein Mahatma geneigt oder im
stände war, der Menschheit auch nur eine einzige wissenschaftliche
Thatsache zu offenbaren! Diese Geheimlehrer sagen: »Der Geist
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Verschiedene andere Vereinigungen.
geht von Brahma aus durch die verschiedenen Stoffformen, die
sich gleichzeitig entwickeln und in der spirituellen Welt mit der
höchsten, in der materiellen mit der niedrigsten Form beginnen.
Diese niedrigste Form ist der modernen Wissenschaft noch
unbekannt“ (Wieso kennt man dann ihr Vorhandensein über-
haupt?) »Der Zeitraum, in welchem diese Entwicklung vor sich
geht, umfafst Millionen von Epochen.“ (Wie kann man das
wissen?) »So entstehen allmählich Mahatmas und Adepten und
werden zu Planetengeistern, welche das Entstehen anderer
künftiger Planeten leiten." (Welch phrasenhafte Hirngespinste!)
»Die Weisen verkünden ferner die Vergangenheit und Zukunft
dieser Erde und anderer Planeten, die Entwicklung des Lebens
durch elementare, mineralische, pflanzliche, tierische und mensch-
liche Formen hindurch.“ (Und doch lassen sie, gleich den
spiritistischen Medien, den armen Sterblichen niemals auch nur
die geringste nützliche Belehrung zukommen!) »Jede Kalpa
oder grofse Periode ist in vier Zeitalter oder Jugas geteilt, deren
jedes viele Jahrtausende umfafst. Gegenwärtig befinden wir uns
im Kali-Jug, dem Zeitalter der Dunkelheit, welches vor fünftausend
Jahren anfing.“ (Woher schöpfen die Theosophen ihre Kenntnis
von den früheren Zeitaltern und vom Anfang des jetzigen?!)
Wir lassen noch eine kostbare kosmologische Stelle folgen:
»Unsere Erde bildet eines der Glieder in der Kette von sieben
Planeten; sie allein befindet sich auf der sichtbaren Fläche,
während die sechs anderen Planeten sich in anderen Sphären
befinden und daher unsichtbar sind.“ Um alles in der Welt
— wenn sie unsichtbar sind, wie konnten die „Weisen" sie
ausfindig machen?!
So sieht das tolle Zeug aus, welches die wohlgenährten
indischen Priester, fälschlich „Weise" genannt, teils zu ihrer
Unterhaltung, teils behufs Verdummung ihrer abergläubischen
Schafe ausgeheckt haben und welches jetzt in Europa und
Amerika nachgebetet wird! Verrückt gewordene Esoterik, auf
den Kopf gestellte Mythologie, religiöser Schutz tobsüchtiger
Narren, der Vorläufer der erotischen Mönche und neurotischen
Nonnen des Christentums — das ist die Kost, die man den
Mitgliedern der theosophischen Gesellschaften auftischt. Das Ge-
wäsch dieser Leute bildet einen Faustschlag ins Gesicht der
modernen Bildung. Unsere heutigen Theosophen, die blinden
Anhänger blinder Führer sind so wenig Theosophen wie die
Astrologen Astronomen waren. Bei den einen wie bei den
anderen verwandelt sich das Gold der Wissenschaft in das Blech
der Quacksalberei. Es scheint denn auch, dafs wenigstens die
amerikanischen Theosophen bereits zur Einsicht gelangt sind,
wie schlecht dieser Name auf sie pafst; sonst würden sie den-
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Verschiedene andere Vereinigungen. 513
selben nicht aufgegeben und im März 1898 mit «Allgemeine
Brüderschaft“ vertauscht haben.
Utopia. (Allschlaraffia.)
Vor fast einem Jahrhundert zu Prag gegründet, fand diese
Gesellschaft so grofsen Anklang, dafs sie 1885 in Deutschland,
Österreich, Ungarn, der Schweiz und anderen Ländern bereits
85 Logen zählte und 1876 in Leipzig, sechs Jahre später in
Prag Bundesversammlungen abhalten konnte. Der Oberschlaraff
jeder Loge wird »Uhu« genannt, bei freudigen Kundgebungen
rufen die Mitglieder «Aha!", bei Verletzungen der Satzungen
schreien sie «Oho!“ Es giebt drei Grade: Knappen, Junker,
Ritter; die Gäste heifsen Pilger. Die Zusammenkünfte bezwecken
heitere Unterhaltung und es geht dabei oft recht witzig her.
Die Logen der verschiedenen Länder stehen untereinander in
Verbindung und die «Schlaraffen“ geniefsen innerhalb der
«Utopia“ überall das gleiche Aufnahme- und Freizügigkeitsrecht
wie die Freimaurer innerhalb des Freimaurerbundes.
Vendicatori.
Dieses Geheimgericht entstand um 1 1 86 auf Sicilien und
rächte öffentliches Unrecht, wobei es in ähnlicher Weise verfuhr
wie die heilige Feme und die Beati Paoli. Schliefslich liefs
König William II., der Normanne, den Grofsmeister Adiorolphus
hinrichten und zahlreiche »Rächer» brandmarken.
Verrückte Ratsherren.
Ein 1809 durch Dr. Ehrmann zu Frankfurt a. M. gestifteter
komischer Orden, dessen Diplome in scherzhaftem Latein ab-
gefafst und mit einem grofsen Siegel versehen waren. Zu den
Mitgliedern gehörten u. a. Jean Paul, Arndt, Goethe, lffland,
wie auch mehrere Damen. Nach dem Ausstellcn des hundertsten
Diploms löste sich die Gesellschaft auf (1820).
Wahabis.
Die indische Sekte dieses Namens erregte in den Jahren
1871 —72 grofse Aufmerksamkeit, weil man sie der Teilnahme
an der Ermordung Lord Mayos und des Kalkuttaer Oberrichters
Norman beschuldigte. Ihr Stifter war ein 1787 verstorbener
mohammedanischer Reformator Namens Abdul Wahab, der um
Heckcthorn-Katscher, Geheimbüntlc u. Geheimlchren. 33
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Verschiedene andere Vereinigungen.
17-40 in Nedschd auftauchte und von den Türken einen grofsen
Teil Arabiens eroberte. »Wahab" bedeutet »Spender von
Segnungen“ und ist einer der Beinamen Gottes; demgemäfs heifst
»Abdul Wahab" etwa so viel wie »Diener des Allgütigen". Die
Wahabis nahmen Mekka und Medina ein und vertrieben die
Türken beinahe aus dem Lande des Propheten. Ihre Lehre,
nach welcher Mohammed einen Anspruch auf Verehrung hat,
erinnert an den Socinianisinus. Um 1818 schwand die Macht
dieser wilden Reformer in Arabien dahin, um jedoch in Indien
wieder aufzuleben. Dort war ihr Führer ein gewisser Seid
Ahmad. Ursprünglich ein gottloser Soldat der räuberischen
Banden Emir Chans, des ersten Nabobs von Tonk, ging er 1816
nach Delhi, um dem Reehtsstudium obzuliegen, wobei seine
glühende Einbildungskraft den neuen Gegenstand gierig einsog.
Er war oft in Betrachtungen versunken und diese arteten in
epileptische Verzückungen aus, welche ihm allerlei Visionen vor-
spiegelten. Nach drei Jahren verliefs er Delhi als ein neuer
Prophet, dem in Patna und Kalkutta bewundernde Massen
lauschten, denen der von ihm verkündete »göttliche“ Befehl, die
Ungläubigen zu erschlagen und die Truppen der Ausländer zu
verjagen, gar wohl gefiel. 1823 scharte er auf dem Wege von
Bombay nach Kohilchand ein Heer von Gläubigen um sich und
schlug sein Hauptquartier in den Bergen im Nordosten von
Peschaur auf. Der Sektenmittelpunkt zu Patna lieferte dem auf-
ständischen Lager immer neue Fanatiker und sammelte das er-
forderliche Geld unter den Anhängern Sei'ds. Die Hauptlehre
der Wahabis richtet sich gegen alle Andersgläubigen, namentlich
aber gegen die Herrschaft ürofsbritanniens, welches sie für den
Hauptunterdrücker des Islam halten. Die Regierung hat gegen
diese Rebellen mit Hilfe afghanischer Stämme zwanzig blutige
Feldzüge geführt, ohne sie gänzlich überwinden zu können. Sie
bilden daher eine nicht zu unterschätzende Gefahr, und es unter-
liegt keinem Zweifel, dafs sie bei etwaigen feindlichen Angriffen
auf Indien den Engländern sehr unangenehm werden könnten,
obgleich die große Mehrheit der indischen Mohammedaner den
fanatischen Wahabis gleichgültig oder antipathisch gegenübersteht.
Wiedergeburt, allgemeine.
Eine Vereinigung von Patrioten aus verschiedenen Ländern,
die zwischen 1815 und 1820 in der Schweiz eine Zufluchts-
stätte gefunden hatten. Diese Leute trugen sich mit weitaus-
greifenden Plänen, liefsen es aber, wie das bei Patrioten vorzu-
kommen pflegt, beim Gerede bewenden.
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ANHANG.
(Nachträge, Quellenverzeichnis, Sachregister.)
33*
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I. Nachträge des Herausgebers.
1. Zum Kapitel „Mexikanische Mysterien“.
Der bekannte deutsche Okkultist Leopold Engel in Dresden
schreibt mir: „Als Quelle für die mexikanischen Mysterien möchte
ich Ihnen Prescotts „Eroberung von Mexiko“ empfehlen. Hecke-
thorns Angaben decken sich durchaus nicht mit denen Prescotts.
Die Erzählungen von der Menschenhaut sind unrichtig. Ebenso
die Angabe, dafs der Gott Huitzolipochtli Vitzliputzli hiefs; der
letztere Name ist lediglich eine mittelalterliche deutsche Ver-
stümmelung. Aufserdem war H. der Gott des Krieges und der
Nationalgott der Azteken."
2. Zu den Kapiteln „Gnostiker" und „Ketzer“.
Seit kurzem besteht zu Toulouse (Südfrankreich) ein später
Nachsprofs der einstigen Gnostiker, „die gnostische Kirche von
Frankreich", die seit Neujahr 1900 eine kleine Monatsschrift,
„Le Reveil des Albigeois“ (= „Das Erwachen der Albigenser“)
herausgiebt, welche von „Sophronius, Bischof von Beziers,
Koadjutor Seiner Gnaden des Patriarchen" redigiert wird. In
Nr. 1 lese ich u. a.:
„Die gnostische Kirche umfafst zweierlei Mitglieder: Ge-
nossen und Vollkommene Christen. Die ersteren sind jene, die
die Wassertaufe empfangen haben und denen wir die esoterische
Lehre des Erlösers anvertrauen, d. h. die in den synoptischen
Evangelien enthaltene, bestehend im Glauben an einen Gott und
die Unsterblichkeit der Seele, ferner in der evangelischen Moral
und in dem Willen, nach Kräften beizutragen zur Errichtung
eines gerechten Reiches Gottes auf Erden. Der gnostischen
Kirche können alle Spiritualisten beitreten, d. h. alle, die im
Namen der Vernunft die landläufigen Glaubenslehren - mit
Ausnahme des Glaubens an Gott und die Unsterblichkeit —
verwerfen. Demgemäfs dürfen sich uns auch die Freisinnigen
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51S
Nachträge.
unter den Protestanten anschliefsen Dagegen betrachten
wir als außerhalb unsrer Kirche stehend: 1. die Materialisten,
welche ja übrigens außerhalb jeder Kirche stehen; 2. die Israeliten
und die Muselmanen, die übrigens, wenn sie wollten, nicht viel
aufzugeben brauchten, um zu uns zu gehören; 3. die orthodoxen
Gräco-Latiner, die verfallenden Stützen einer unreinen, verderbten
Gnosis. »Vollkommene Christen" nennen wir jene, die die
Feuer- und Geistestaufe empfangen haben; ihnen lehren wir die
Gesamtheit der erleuchtenden und reinigenden Geheimnisse. . . .
Die gnostische Religion beruht auf der allgemeinen Überlieferung
und der Gesamtheit der Beobachtungswissenschaften, unterscheidet
sich daher wesentlich vom sogenannten rechtgläubigen Katho-
lizismus und Protestantismus, der sich lediglich auf die Bibel
stützt. Die gnostische Kirche bekämpft nicht, wie die römische,
die moderne Kultur. Auch kennt sie nicht das Sakrament der
Ehe und gestattet daher die Scheidung innerhalb der Grenzen
der Landesgesetze. Sie anerkennt die jeweilige Regierungsform
jedes Volkes; speziell in Frankreich unterstützt sie die Republik,
weil diese dem Evangelium besser entspricht als die Monarchie.“
Patriarch ist »Synesius“, hinter welchem Namen sich Fahre
des Essarts verbirgt; er nennt sich »gnostischer Patriarch, Primas
der Albigenser, Bischof von Montsegur, Grofsmeister des Ordens
zur Taube des Heiligen Geistes" und hat ein Buch u. d. T.
»Der gnostische Baum" geschrieben. Eine zweite einschlägige
Schrift, »Katechismus der gncstischen Kirche", hat den bereits
erwähnten »Sophronius" zum Verfasser; ich entnehme einer
Anzeige desselben, dafs die Neu-Gnostiker fünf Sakramente haben
und »die jüdischen Schriften des Alten Testaments, die Akten
der Apostel und die Epistel des Neuen Testaments verwerfen.“
3. Zum Kapitel »Martinismus".
Der oben genannte Herr Engel, der auch Herausgeber
des Illuminatenorgans »Das Wort" ist, schreibt mir: »Wer hat
Herrn Heckethorn weisgemacht, dafs die Martinisten ausgestorben
seien? Der Orden besteht noch immer, hat seinen Sitz in Paris
und zählt in Deutschland viele Anhänger, die mir persönlich
sehr wohl bekannt sind."
4. Zum Kapitel »Die Freimaurerei in England“.
In dem Londoner Fachblatt »The Freemason« lese ich, dafs
die sogenannte Charte Ethelstans apokryph und »die Kölnische
Handschrift eine Fälschung“ sei.
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Nachträge.
519
5. Zu »Camorra“ und »Maffia".
Anläfslich der Aufsehen erregenden Affaire Palizzolo-Mirri
(Dezember 1899 und Januar 1900) brachte die europäische
Presse zahlreiche Notizen und Artikel über die »Camorra11 und
die »Maffia". Es handelte sich um Enthüllungen über die 1892
während einer Eisenbahnfahrt erfolgte Ermordung des Bank-
direktors Notarbartolo. Sofort nach dem Bekanntwerden des
Verbrechens bezeichnete die öffentliche Meinung Siciliens einen
gewissen Palizzolo als den Anstifter und Besteller der Missethat.
Auch mehrere Polizeiberichte lauteten in gleichem Sinne. Trotz-
dem blieb der Genannte nicht nur ganz unbehelligt, sondern
wurde auch zum Zeichen des Vertrauens seiner Mitbürger wieder-
holt in den Gemeinderat und das Abgeordnetenhaus gewählt.
Erst volle sieben Jahre später gelang es den eifrigen Bemühungen
des Sohnes Notarbartolos, die Wahrheit an den Tag zu bringen;
mehrere Verwaltungs- und Gerichtsbeamte hatten den Mut, dem
jungen Mann bei der Aufdeckung des aus Rachsucht hervor-
gegangenen Verbrechens mit ihren Aussagen an die Hand zu
gehen. Im Zusammenhang hiermit seien einige interessante
Stellen aus einer römischen Korrespondenz vom 25. Dezember
1899 angeführt, die wir im »Pester Lloyd" lesen:
»Die Ursachen der fast unglaublichen Vorfälle sind in ab-
normen lokalen Umständen zu suchen. Es wäre eine zu lang-
wierige Aufgabe, diesen Verhältnissen auf den Grund zu gehen.
Hier sei deshalb nur erwähnt, dafs die Folgen der Jahrhunderte
langen Fremdherrschaft, sowie die Verhältnisse des territorialen
Grundbesitzes (Latifundien) wesentlich zu diesen Mifsständen bei-
getragen haben. Doch sind dies eben, wie gesagt, lokale Er-
scheinungen und man kann sie gerechterweise nicht generalisieren.
Weder kann man von »Maffia“ und »Camorra" als von zwei
mit einander zusammenhängenden Erscheinungen sprechen, noch
kann behauptet werden, dafs ihr Einflufs sich auf ganz Italien
erstrecke. Das ist, Gott sei Dank, durchaus nicht der Fall.
»Maffia“ und »Camorra“ sind zwar beide sehr bedauerliche und
verdammenswerte Einrichtungen, die mit allen Mitteln zu be-
kämpfen sind ; sie weisen auch den gemeinsamen Zug auf, dafs
ihre Mitglieder sich gegenseitig schützen und bei ihren Mit-
bürgern Angst und Schrecken erwecken. Damit aber hört auch
jede Ähnlichkeit zwischen beiden auf, denn in betreff ihres Sitzes,
ihres Wirkungskreises und ihrer Zwecke sind »Maffia“ und
»Camorra" von einander grundsätzlich verschieden. Nur dem
Umstande, dafs das Gebiet von Neapel und die Insel Sicilien
eine Zeit lang zusammen das Königreich der »Due Sicilie"
bildeten, ist es zuzuschreiben, dafs man zwischen beiden gewöhn-
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Nachträge.
lieh keinen oder einen kaum merklichen Unterschied macht In
Wirklichkeit aber sind der kontinentale und der insulare Teil
Süditaliens in ihrem Wesen und in der Natur ihrer Bevölkerung
gründlich verschieden. Dies spiegelt sich auch in den sozialen
Krankheiten wieder, welche an den beiden von der Natur so
reich gesegneten Gegenden seit langer Zeit haften. Die »Ca-
morra" hat ihren Sitz ausschliefslich in der Grofsstadt Neapel
und deren nächster Umgebung. Sie besteht allerdings aus Geheini-
bünden mehr oder minder gefährlicher Verbrecher; aber infolge
des heiteren Charakters der Bevölkerung zeigt sie eine weniger
düstere, in manchen Fällen möchte ich sagen, beinahe eine ge-
mütliche Schattierung. Der Camorrist ist ein Dieb, ein Gauner,
doch nur im äufsersten Falle wird er zum Mörder. Die »Maffia"
dagegen ist eine rein sicilianische Erscheinung, deren Macht sich
übrigens nicht einmal über ganz Sieilien erstreckt. Die drei
östlichen Provinzen (Messina, Catania, Siracusa) sind frei von
ihr: ihre Rolle gelangt hauptsächlich in Palermo und in den
nahen Bezirken zur Geltung, ln den Adern der dortigen Be-
völkerung fliefst bekanntlich jetzt noch viel morgenländisches
(sarazenisches) Blut, und das erklärt zur Genüge, dafs, neben
manchem eigentümlich edlen Zuge, die »Maffia" ein so schauer-
liches Gepräge trägt. Der »Maffioso“ scheut sich, wie die jetzt
besprochene Affaire neuerlich bewiesen hat, nicht, seinen Feind
auf kurzem Wege kalt zu stellen, und darin wird er durch die
Furcht seiner Mitbürger leider nur zu oft unterstützt. Aber im
ganzen übrigen Königreich Italien, nördlich und östlich von
Neapel, ist von »Maffia" und »Camorra" keine Spur. Auch mit
der Anarchistenbewegung, welche ja, wie jedermann weifs, keine
italienische, sondern eine internationale ist, haben jene Ein-
richtungen nichts Gemeinsames und sie sind eben so wenig mit
den vorjährigen bedauerlichen Unruhen in Italien in irgend-
welchen Zusammenhang zu bringen. Die letzteren wurden in
vereinzelten Gegenden der Halbinsel durch das offenbare Elend
der Bevölkerung, in Mailand aber, nebenbei gesagt, eine der
blühendsten Städte Europas, durch sozialistisch-republikanische,
auch wohl klerikale Umtriebe verursacht. Der Wiederholung
solcher Vorfälle vorzubeugen, hatte das Ministerium Pelloux
eine Reihe von gesetzgeberischen Bestimmungen in Vorschlag
gebracht, welche aber mit der kürzlich durch die italienische
Kammer votierten, gegen die »Maffia“ und »Camorra“ gerichteten
Motion nichts zu thun haben. Die ersten Maßnahmen sind von
der Kammer zwar nicht verweigert worden, sind jedoch infolge
der Obstruktion der äußersten Linken leider nicht zur Ab-
stimmung gelangt. Das ist gewifs sehr bedauerlich; dafs aber
damit das römische Parlament »sich selber zum Verbündeten der
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Nachträge.
S2I
«Maffia» und der «Camorra» machte", erscheint mir als eine
mindestens gewagte Behauptung. Wie so manche andere in
Europa, hat vielleicht auch die italienische Volksvertretung ver-
schiedene berechtigte Vorwürfe verdient — diesen Vorwurf aber
gewifs nicht."
Teilweise im Widerspruch mit diesen Ausführungen und
auch mit denen Heckethorns stehen die folgenden, denen wir in
einer Januar-Nr. von »Am Deutschen Herd“ (1900) begegnen:
»Sicilianische Schriftsteller haben in diesen Tagen darauf hin-
gewiesen, dafs die Maffia ein Verbrecherbund sei, welcher die
Tugend der „omertä" oder Mannhaftigkeit zur Geltung bringen
solle. Auf diese Tugend legt der durch seine Raufboldnatur
bekannte messergewandte Italiener einen grofsen Wert. »Haupt-
sächlich aber,“ schreibt Dr. Zacher aus Rom, »äufsert sich die
»omertä" in der Selbstsicherheit, die zur Sühnung eines Unrechts
keiner Polizei bedarf, und im Schweigen, damit nicht die Polizei
sich einmische und so die Privatrache unmöglich mache.“
Später erfand man für die Personen, deren ganzes Gehaben
zeigte, dafs sie omertä besäfsen und übten, den Ausdruck
maffioso, aus dem das Hauptwort maffia abgeleitet wurde, das
zuerst die Zahl derer bezeichnete, die an einem Orte die Grund-
sätze der omertä bekannten. Dann erst nannte man so den
Geheimbund, der das sicilianische Leben vergiftet, obschon
Kenner der Verhältnisse versichern, dafs es sich um einen
Geheimbund eigentlich nicht handle, da die Maffia keine Statuten
oder Hierarchie besitzt. Diesem Mangel hilft aber das starke
Solidaritätsgefühl aller maffiosi ab, und so kann es sich wohl
ereignen, dafs sich zu bestimmten Zwecken ein Hauptgauner
der Maffia bedient, so dafs es den Anschein hat, als handle eine
geschlossene Gesellschaft. Praktisch entwickeln sich auch Grad-
unterschiede, je nach der Gröfse der omertä, die einem maffioso
eignet. Das geht auch daraus hervor, dafs die Novizen, die
eintreten wollen, in einem »dichiaramento“, einem Messer-
zweikampf, ihren Mut, das Haupterfordernis zur omertä, be-
weisen müssen.
Aufser dem Solidaritätsgefühl und der Verpflichtung zur
gegenseitigen Hilfe bindet die einzelnen maffiosi auch — die
Furcht. Freilich, man hatte ja seine Exempel. So sitzt ein
Bauer friedlich vor der Thür seines Hauses, hinter der nahen
Gartenmauer blitzt plötzlich ein Gewehrlauf, ein Schufs, dessen
Knall schnell verweht, und alles ist wieder still. Und kein
Schwurgericht befafst sich mit dem Mörder. Jede Woche fast
berichtet die sicilianische Presse von solchen Exekutionen, auch
in der letzten Woche noch. Und da sollen sich die Sicilianer
nicht vor der Maffia fürchten! In dem Prozefs Notarbartolo
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522
Nachträge.
erleben wir es täglich, dafs es dem Präsidenten des Mailänder
Schwurgerichtes nicht gelingt, einen Zeugen zum Reden zu bringen.
In Palermo blüht die Maffia am üppigsten, hier hat sie
nicht blofs die Aufgabe, die omertä zu üben, sondern einigen
hohen Herrn als Hilfe bei ihren „geschäftlichen“ Expeditionen
zu dienen. In den letzten Jahren hörte man so oft von Ent-
führungen reicher Leute — alle diese Raubexpeditionen wurden
von hochstehenden Personen in einem der ersten Klubs Palermos
angeordnet.
An anderer Stelle wurde schon berichtet, wie der Deputierte
für Palermo II, Palizzolo, als Haupt der Maffia bezeichnet wurde.
Wie grofs seine Macht ist und war, hat gleichfalls der Mailänder
Prozefs ergeben. So schaltete Palizzolo nach der Ermordung
des Exdirektors der Bank von Sicilien, Notarbartolo, in der Bank
unumschränkt, und als er gröfsere Unterschleife beging und die
Bankbeamten ihn deshalb bei dem Direktor Herzog de la Ver-
dura denunzierten, zuckte dieser nur die Achseln. Und der
Herzog de la Verdura ist Senator des Königreichs! Die Macht
der Maffia und ihres Häuptlings Palizzolo ist deshalb so grofs,
weil sie im Parlament grofsen Einflufs haben. Palizzolo und
alle seine Vorgänger waren nämlich stets ministerielle Abgeordnete.
So erklärt es sich, dafs nach 1893, dem Jahre, in welchem
Notarbartolo ermordet wurde, in Palermo fünf Staatsanwälte
einander folgten.
Von Palizzolo erzählte dieser Tage der Abgeordnete de
Eelice in den Wandelgängen der Kammer, dafs er einst mit dem
gefürchtetsten Briganten Siciliens, Leone, zusammen in seiner
Theaterloge in Palermo erschien. Obgleich auf die Ergreifung
des Briganten ein hohes Lösegeld stand, wagte kein Polizist, den
durch den mächtigen Palizzolo geschützten Mann zu fassen.»
Der soeben genannte berühmte Abgeordnete und Schrift-
steller de Eelice hielt im Dezember 1899 eine Budgetrede, über
die wir in der Eranke-Wortmannschen Halbmonatsschrift „Neues
Leben“ die nachstehenden, sehr interessanten Mitteilungen finden:
„Der Redner wurde zum furchtbaren Ankläger der Polizei,
die er als Mitschuldige, ja Beschützerin der Maffia hinstellte. Er
teilte die Maffia in verschiedene Schichten ein. Die erste ist die
Maffia des niederen Volkes, die zweite die Polizei und die dritte
die Maffia in gelben Glacehandschuhen. Die sicilianischen
Bauern, so fuhr er fort, sind von Natur nicht verbrecherisch,
aber durch die Maffia werden sie zu Verbrechern, um sich selbst
zu schützen; denn jeder, der nicht zur Maffia gehört, wird von
dieser verfolgt. Der sicilianische Aufstand im Jahre 1 894 war
ja auch nur eine Revolte der Bauern gegen die Maffia und
deren Leiter, und die „fasci", die von der Regierung als auf-
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Nachträge.
523
rührerische Verbindungen bekämpft wurden, nichts anderes, als
eine Art von Schutzvereinigungen gegen die Maffia. Ministerpräsident
Giolitti mufste selbst zugeben, dafs sich nach der Entstehung
der »sozialistischen0 Fasci die Zahl der Diebstähle in Sicilien
gemindert habe.
Als Beispiel für die Schreckensherrschaft der Maffia führte
de Felice an, dafs jeder Bauer, der noch nicht »maffioso“ sei,
eine unsichere Existenz führe; von dem Augenblicke aber, wo
er nach einigen Verbrechen würdig befunden werde, zur Maffia
zu gehören, finde er sofort eine Anstellung als »eampiere" mit
fixem Gehalt. Dann berührte de Felice die auch schon früher
bekannte Thatsache, dafs im Maffiagebict die Opfer von Dieb-
stählen sich nie an die Polizei wenden, weil das doch nutzlos
sei, sondern immer an die Maffia selbst. Ein Staatsanwalt in
Catania, der angegangen wurde, den Urheber eines Diebstahls
von 600000 Lire auf Kosten der Ban ca dei depositi e sconti zu
verfolgen, sagte: »Ich kenne den Mann, aber ich müfste ihn
ohne Haftbefehl fangen; denn wenn ich zuerst den Haftbefehl
erlasse, liefse die Polizei den Schuldigen entwischen." Aber
de Felice ging noch weiter; er fuhr fort: »Der Diebstahl im
Bureau des Appellhofs von Palermo, der Einbruch bei der
Herzogin von Beauffremont, der andere im Palazzo Lanza und
die Plünderung des Leihhauses in Palermo wurden von der
Polizei organisiert, welche den Gewinn mit der Maffia teilte!“
Ein anderer Fall: In Catania erschofs jemand einen andern
und stellte sich dann den Carabinieri mit folgendem Geständnis:
»Der Mann, den ich mordete, war ein Haupt der Maffia; neben
ihm kommandierte ein Polizeiinspektor, der mit ihm Halbpart
machte. Ich wollte mir die Belästigungen der Beiden nicht
gefallen lassen; zur Strafe dafür verurteilte mich heute das
Gericht zur Polizeiaufsicht. Da verlor ich die Geduld; vom
Gericht ging ich zum Waffenhändler und dann schofs ich den
Delinquenten nieder. Wenn ihr mir nicht glauben wollt, so
geht in das Haus des Toten und ihr findet die Beweise!"
Und thatsächlich wurde die Verbindung zwischen Polizei und
Maffia festgestellt. Ebenso wurde sie festgestellt in dem be-
kannten Falle, wo falsche Banknoten in Masse hergestellt wurden,
und das Schönste ist, dafs mit der Untersuchung des Falles der
Polizeiinspektor betraut wurde, der in diesem falschen Banknoten-
Syndikate präsidierte. (!!!)
Des weiteren erklärte de Felice, dafs die Maffia die poli-
tischen Wahlen in Sicilien mache und deshalb jeder Richter, der
gegen die Geheimbrüder vorgehe, sofort strafversetzt würde.
So erkläre er es sich auch, dafs Palizzolo bei jeder einzelnen Wahl
sich nicht die Mühe zu nehmen brauchte, ein Wahlkomitee zu
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Nachträge.
bilden, denn er verfüge ja über das ständige Komitee der Maffia.
Nachdem de Felice dann noch an das Verschwinden der be-
kannten vier abtrünnigen »maffiosi“ erinnert hatte, deren Leichen
1897 in einer Tropfsteinhöhle bei Palermo gefunden wurden,
wies er mit Nachdruck auf die Thatsache hin, dafs der mut-
mafsliche Mörder Notarbartolos, Fontana, weder von der Polizei
vigiliert, noch überhaupt verfolgt wurde; man habe ihn sogar
entwischen lassen. Schliefslich erzählte er, dafs die Regierung
in einem Wahlkreise der Provinz Catania die dort nicht mehr
bekannte Maffia von neuem einführte, um ihrem Kandidaten zu
helfen. Es wurden nicht nur Verbrecher aus der Zwangshaft
oder der Polizeiaufsicht entlassen, sondern man schickte auch
besonders tüchtige »maffiosi“ mit Waffen und Geld in das beste
Wirtshaus des Hauptortes im Wahlkreise, wo sie sichs auf fremde
Kosten wohl sein liefsen, weil »ein Unterstaatssekretär ihre Hilfe
nötig hatte.“
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II. Quellen -Verzeichnis.
Allgemeines.
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Perini, O. Storia delle Societä Secrete. Milano, 1863.
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III. Alphabetisches Sachregister.
A.
ABC-Freunde (Frankreich) . . Hl
Abeliten (Afrika) Hl
Aecoltellatori (Italien) . . . 477
Adamiten ■. 111
Adler- und Pelikanritter . . 4 IQ
Adoptionslogen 449
Ägyptischer Bund, geheimer . All
„ Logen (Cagliostro) liL>
„ Mysterien ... 13
Afrikanische Bauherren . . . 433
Akademie der Alten (Polen) . US
Albigenser 7S, 114. 120, 128: Nach trag
Alchimisten 132
Allgemeine Aurora . . . . 1 Tu
„ Brüderschaft . . .313
„ Wiedergeburt (Frank-
reich 3ü3
Allgemeine Wiedergeburt
(Schweiz) 314
Allschlaraffia (Utopia) . . - 313
Almusseri (Afrika) . ... 4IS
Alombrados (Spanien) . . . 241
Alte Mysterien 4 12 pass., 12 — 05
Alter Orden der Hibernier . 334
„ Refonnirter Ritus . . . 328
„ (und angenommener)
Schotten ritus 398, 42 s, 430,437
Amerikanische Jäger (Italien) . 313
Ammazzatori (Totschläger) . . 3o3
Ams 1Ü2
Anarchisten 479
Anhänger der Weisheit . . . 509
Ansairih 109
Antifreimaurer (Irland) . . . 4SI
Antifreimaurcrische Partei
(Amerika) 1SD
AntinapoleoniscneGesellschaften iül
Antitakten SO
Apokalypse .... so, 90, 111
Apokalypsenritter (Italien) . . 1SJ
Arbeitsritter (Amerika) . . . 481
Archenseefahrer (England) . . 433
Areoiten (Gesellschaftsinseln) 4S2
Argonauten-Orden( Deutschland 1 4 5S
Armenische Gesellschaften . 333
Asiatische Brüder 1 S2
Assassinen . . . . 98. 42b, 328
Aulen 121
Aurora, allgemeine . . . . 170
Ausdauer-Orden (Frankreich) 132
Ausrotter (Italien) 324
Avignoner Illuminaten . . . 108
B.
Babismus (Babisten) . . . 312
Bacchische Mysterien ... 12
Bandmänner (Irland) . . . 331
Bauchbinder 433
Bauhof der Weltkugel und des
Ruhmes (Frankreich) . 432
Beati Paoli (Italien) . . . . 137
Belly Paaro (Afrika) .... 133
Bergmänner (Frankreich) . . 362
Beschützer des Glaubens
(Spanien) . . . 278, 2SÜ
Bettler, Strolche, Diebe . . . 221
Bezirk der goldnen Orchidee
(Giina) 212
Bidani-Derwische . . . .110
Blaukreuz-Orden (Österreich) 113
Bockreiter (Deutschland) . . 4S4
Boehme, Jakob 1 hl
Bogumilen 112
Bojarenbund (Rufsland) . . 333
Brahminen 22
Brenner (Chauffeurs) .... 126
Bruderhand (Mano fraterna) . 212
Brüderschaft Christi (Österreich) 113
Burschenschaft(Deutschland) 311,466
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Alphabetisches Sachregister.
537
C.
Calderari (Italien) . . . 304. 345
Cambridger Geheimgesellschaft
(England) 434
Camorra 207, 2 io, 217: Nachtrag
Caravats (Irland) . .... 3 3 I
Carbonari . . 291. 339, 385, 4M
Chartisten (Portugal) . . . äfll
Chauffeurs (Frankreich) . . 196
Chinesische Geheimbünde 271. 466
„ Mysterien. . . . il
Christi Brüderschaft (Österreich) 113
Christliche Mysterien . .87—92
Circumcellier 114
Clan, s. Klan.
Clermontsches Hochkapital 430, 431
Communistes Revolutionnaires
(Frankreich) .... 309
Compagnonnage, s. Französische
Gesellenverbindungen
Comuneros (Spanien) . 278, 344
Concepcionistas (Spanien) . . 278
Cougourde (Frankreich) . . 4s4
D.
Damen vom heiligen Johannes
zu Jerusalem . . . . 4 41
Decisi (Italien) Hfl
Delphische Priesterschaft
(Italien) .... 344, 345
Derwische ....... ilfl
Deutsche Geheimgesellschaften
U. dgl. 120, 133-137,
137-188 pass., 235-237.
241 -250, 258—268. 308
—312; Freimaurerei pass.;
4S9, 495, 505-506, 509. 414
Deutsche Gesellen verbind urigen 253
Deutscher Bund 311
„ Ritterorden . . 120
Deutsche Studenten .... 266
„ Union 2ifl
Diebe, Bettler, Strolche . . 221
Dionysische Mysterien ... 442
Donatisten 114
Dreieinigkeitsverein (China) . 222
Dreizehn, die 484
Drescher (Irland) 354
Druiden 32
„ moderne 421
Drusen 125
Dschains 35
Duk-Duk (Neupommern) . . 4M
E.
Egbo-Gesellschaft lObeah) . 456
Eichenbursche (Irland) . . . 341
Einleitung (Allgemeines über
Mysterien, Geheimgesell-
senaften, Geheimlehren) 1
Einunddreifsig, die (Italien) . 364
Eklektischer Bund . 39S, 462, 468
Eleusinische Mysterien ... 43
Emanationisten . . . .69—83
Engelsbrüder 165
Enkrafiten Ilfl
Erhabene Erwählte Ritter . . 4ifl
Erleuchtete Theosophen . . 169
Erlösungsorden (Frankreich) . 436
Esoterische und exoterische Ge-
heimlehren . . 35. 5o. 59
Essener (Essaer) 31
Europäische Patrioten (Italien) 34A
F.
Farmassoni (Rufsland) . . . 4il
Familie der Himmelskönigin
(China) '211
Familien, die (Frankreich) . . 36S
Feme (Fehme, Vehme), heilige
(Deutschland) . . . 135
Fenier (Fenischer Bund) . . 355
FenischeSchwesternverbindung 355
Fesslerscher Ritus 323
Flammender Stern (Orden) . 436
Frankreich, das wiedergeborene 432
FranzösischeGeheimbündelüü - 200.
365- 369. 479,48,8,493,
503; Freimaurerei pass.
Französische Gesellenverbin-
dungen 251
Französischer(„moderner") Ritus 328
Fraticelü (Italien) 436
Freie Gesellen, s. Sonderbare
Gesellen.
Frei maurerei 80, 2SQ.308.3 1 7,344,379,
387 -474 475, 482, 490.
515; Nachtrag
Freiwillige Ritter 121
Freunde der Pflicht (Italien) . 345
„ Gottes (Schweiz) . - 117
„ Griechenlands (Italien) 547
„ vereinigte (Frankreich) 169
Freundschaftsorden (Deutsch-
land; 368
Friedlichen, die (Italien) . . 342
Fünf, die (Italien) . . , . 347
G.
Garduna (Spanien) . . .201. 422
Geheimer ägyptischer Bund . 444
Geheimgerichte 133- 153; siehe
auch Belly Paaro, Duk-
Duk, Kalifornische Gc-
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538
Alphabetisches Sachregister.
Seilschaften, Purrah,Vendi-
catori.
Gelbmützen (China) . . . . .'7 1
Geniatrie, s. Kabbala.
Genossen des heiligen Johannes 4su
Georg, Söh ne des hei I igen (Irland) 354
Oesellenverbindungen . 251 -268
Gesellschaftsfeindliche Vereini-
gungen 1 82 - 232 ; s. auch
Assassinen u. Derwische.
Ghi-hin-Bund (China) . . . 223
Ghulat-Sekte 23
Giardiniere (Gärtnerinnen) . 3118
01ückseligkeitsorden(Frankreich)452
Gnostiker (Gnostizismus) 78,14 7,128;
Nachtrag.
Goldene Lilie (China) . . . 277
Gormogonen (Gormonen) . . 458
Gottes Freunde (Schweiz) . . 112
Grabgespenster (Frankreich) . 3QQ
Griechische Geheimbünde 28J -291
„ Mysterien . . . 46
Grofsbaumeister 414
Grofse Armee der Republik
(Amerika) 182
Grüne Insel (Österreich) . . 482
Guerinets (Frankreich) . . .241
Gute Vettern, s. Carbonari.
Gy m nosophisten (Nackte W eise) 22
H.
Hadcridscheh-Derwische . . 110
Halle des blauen Lotus (China) 222
Hamburger System, s. Schröder-
sches System.
Handelnde Gesellschaft (Frank-
reich) 362
Hanfraucher (Afrika) . . . 482
Harmonieorden (Deutschland) 435
Harngari (Amerika) .... 48S
Heiligen Glaubens, Gesellschaft
des (Italien), s. Sanfedisten.
Heldin von Jericho .... 48S
Helfende Brüder, s. Sonderbare
Gesellen.
Hemdlose (Frankreich) . . . 366
Hermetische Gesellschaft . i on
Hermetischer Ritus . . . 169
Hetairia (Griechenland) . . 281
„ Philomuse (Griechen-
land) 281
Hibernier, Alter Orden der . 334
Höllische Gesellschaft (Italien) 3o5
Hungbund,grofser(China)272-226
Huseanawer (Amerika) . . . 482
L
Iberische Brüderschaft . . . 45b
Ibrahim-Derwische . . . . 111!
Illuminaten (Avignon) . . . los
„ (Bayern) . 241, 4oü
„ (Belgien) . . . 241
„ (Frankreich) . . 248
„ napoleonfreundliche364
„ (Rächer des Volkes l 304
Indianische Gesellschaften 4S9, 482
Inquisition 1411
Internationale .... 370, 422
Irische Geheimbünde 350 - 3oi, 481
„ Republikanische Brüder-
schaft, s. Fenier.
„ Unüberwindliche . . 332
Irokesische Mysterien . . . 490
Ischmacliten . . . S5 — 1 10. 121
Italienische Freimaurerei . . 441
„ Gesellschaftenl37 ■-
139,207 220,291 -30S.
338 -350. 364 - 365, 477,
481, 486, 509 - 51 1, 513;
Nachtrag.
Italienische Litteraten . . . 332
„ Unabhängigkeit . 364
„ Verbündete (Plato-
nica) 364
Italienische Verschwörung der
Söhne des Todes . . 365
J-
Jäger, die (Amerika) .... 421
„ amerikanische (Italien) 343
ahreszeiten, die (Frankreich) 368
' akobiterinnen 431
’ ammabos 33
japanische Mysterien ... 53
elmgesellschäft (Frankreich) . 421
Jesuiten u.Jesuitenkongregationen223
' ohanniter . . . 120, 121, 128
\ ohanniterinnen 451
Junges Deutschland .... 3112
„ Italien .... 346, 466
„ Polen 3S6
Jungtürken 384, 386
Jurassischer Arbeiterbund . . 123
K.
Kabbala 62
Kabirischc Mysterien ... 42
Kaderidsche-Derwische . . . 110
Kadoschritter 416
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Alphabetisches Sachregister.
539
Kainianer, Kainiten . . . . 119
Kairo, Loge von 42h
Kaiser vom Morgen- u. Abend-
land, Konzil der . . . 459
Kaiserliche Adoptionsloge der
freien Ritter . . 450, 459
Kalifornische Gesellschaft . . 492
Karpokratier 492
Katnarer .... 1 Io, 12S, 14J
Kelle, die (Italien) . . . . 441
Kettengesellschaft (Dänemark) 452
Ketzer 113-120
Klan-na-gael 599
Kleeblätterorden (Frankreich) 455
Klerikat der Tempelherren 39S, 424
Klöbbergöll (Mikronesien) . . 422
Knownothings (Amerika) . . 495
Königin von Preufsen, Ritter
der 510, 514
Königsanhängcr (Spanien) . . 22S
Ko-lao-Hui-Gesellschaft (China) 21h
Kommune (Frankreich) . . . 524
Kommunistische Gesellschaften 4h2
Kongregationen, s. Jesuiten und
Römisch . . .
Konkordisten (Deutschland) . 511
Konsistoriale (Italien) . . . 54S
Konstitutioneller Bund (Frank-
reich) 3h2
Kosmopoliten .(Italien) . . . 545
Krata Rcpoa (Ägypten) . . 4ü
Ku-klux-klan (Amerika) . . . 1 52
Kunstbrüder (Italien) . . . 545
Kumaische Mysterien . . . 493
L
Landesverteidiger (Italien) . . 545
Landliga (Irland) ..... 559
Latiner (Italien) 559
Laxe Observanz 452
Leoparden, menschliche (Afrika) 49h
Liebeshöfe 119
Liebhaber des Vergnügens
(Spanien) 453
Literarisch - wissenschaftlicher
Verein, s. Tugendbund.
Literaten, italienische . . . 559
Ludlamshöhle (Österreich) . . 495
Luziferianer 141
M.
Mährische Brüder . . . . 456
Mafia (Italien) 217-220; Nachtrag.
Magier (Persien) . TT . . 12
Magierorden 494
Maharadschas (Indien) . . . 494
Mala Vita (Italien) . . . . 21h
Malteserritter, s. Johanniter.
Mamma Dschambo (Afrika) . 49S
Manharter (Tirol) 594
Manichäer, Manichäismus . . 74,
120, 128. 419
Mano Fratema (Italien) . . . 219
Mano Negra (Spanien) . . . 494
MariaTheresienritter ( Frankreich) 494
Maroniten 409
Marssöhne (Italien) .... 545
Martinisten, Martinismus 170;
Nachtrag.
Maurerstochter (Amerika . . 455
Mazzini-Barbiere (Italien) . . 3h5
Melanesische Gesellschaften . 495
Memphisritus 424
Menschenrechte (Frankreich) . 5122
Menschliche Leoparden (Afrika) 49li
Messalianer 119
Mexikanische Mysterien 54 ;
Nachtrag.
Miguelisten (Portugal) . . . 501
Militärische Orden . . 120- 121
Minas (Indien) 492
Mineros (Spanien) ... 254
Misraimritus .... 398, 422
Mithras-Anbeter .... 23, 112
Mittelpunkte 559
Moderne Druiden .... 492
„ Tempelritter (Polen) 559
S”" e (Deutschland) . . ■ 451
Maguires (Amerika) 354, 555
Moselklub (Deutschland) . . 598
Mucker (Deutschland) . . . 255
Mumbo-Dschumbo (Afrika) . 495
Mysterien 4-12
ii ägyptische . . . 33 - 411
„ alte 17-05
„ chinesische ... 51
„ druidische .... 59
„ griechische ... 40
„ irokesische . . . 499
„ japanische .... 55
„ kumaische . . . 495
„ mexikanische 54;
Nachtrag.
„ peruanische . . . 5S
„ der Quiches ... 55
„ der Skandinavier . 95
„ der Virginier . . 491
Mystiker 157 — ISS
N.
Nachtrag
Nackte Weise (Gymnosophisten) 29
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540
Alphabetisches Sachregister.
Napoleonische Gesellschaften 321
Nationale Freimaurerei . . . 312
Nationalliga (Irland) . . . 322
Nationalloge zu den drei Welt-
kugeln (Deutschland) . 398,
462. -tos
Nationalritter (Italien) . . . 321
Neue Französische Liberale . 3 üb
Neue Heilige 23
Neue Kirche des himmlischen
Jerusalem (auch Neu-
jerusalem) 1 60
Neue Reform Frankreichs . . 3oo
Nichtwisser, s. Knownothings.
Niederreifser (Weifse Bursche) 352
Nihilisten, Nihilismus 31S, 331
Noachiten (Noachiden, Archen-
seefahrer) US
Norden, der (Rufsland) . . üü
Nuseirijeh (Anis, Ansairih) . 122
0.
Obeahgesellschaft (Egbo) . . -ISO
Oblonika (Italien) .... 212
Observanz, laxe . . . 397, 132
„ strikte .... 132
Odd Fellows 12S
Öffentliche Wohlfahrt, Bund
für die (Rufsland) . . 3M
O-ki-pa (Amerika) .... 122
Omladina 321
Ophiten M
Orangisten (Irland) .... 332
Orchidee, goldne (China) . . 212
Ordnung und Fortschritt
(Frankreich) .... 307
Orient, Rat der Ritter vom . 430
Orphischer Bund 32
P.
Palladium der Damen (Frank-
reich! 431
Pantheisten, die 122
Patarini (Patari) ... 77, 141
Patricksbursche, St. (Irland) . 332
Patrioten, europäische (Italien! 512
„ vereinigte(Frankreich) 325
Patriotische Gesellschaft ( Polen) 3S2
„ Reformer (Italien) 312
Patriotischer Orden der Söhne
Amerikas SM
Pednosophen 3os
Pe-lin Kiao (China) . . . . 271
Penel opes Gefährti nnen ( Frank-
reich) 131
Pepuzianer Sl)
Peruanische Mysterien ... SS
Phansigars, s. Thugs.
Phi - Beta - Kappa -Gesellschaft
(Amerika) 5M
Philadelphier (Abruzzen) . . 312
„ (Besamjon) . . 321
„ (Engelsbrüder) . 125
„ ( Swedenborgsche) IM
Philaletiker (Wahrheitssucher) 122
PhilosophischerSchottenritusl 09,398
Phintiasritter S2J
Pilger (Frankreich) .... S21
„ weifse (Italien) . . . 312
Platonika (Italien) .... 3M
Politische Geheimgescllschaften
2b9 — 386
Polnische Gesellschaften 379 3S1,
401, IM
Portugiesische Gesellschaften 459,
465, S21
Prinz von Rose-Croix . . . — 112
Provinzen, die (Frankreich) . 322
Purrah (Afrika) 501
Q-
Quarmatiten 90
Quatuor Coronati 121
Quiches-Mysterien .... iS
R.
Rächer (Vendicatori) . . . 513
Rasengesellschaft (Italien) . . S2 2
Ratsherren, verrückte (Deutsch-
land) 513
Rebekkaiten (Wales) .... 503
Rechtsbursche (Irland) . . . 332
Reformiter Ritus (Rektifiziertes
System) 32S
Regenbogenloge (Frankreich) 132
Revolutionärer Klub (Italien) 321
Rifadscheh-Derwisehe ... 112
Ritterder Königin von Preufsen 310.
311
„ vom Orient .... 132
„ und Damen der Freude 131
„ „ Ketzer . . . 113- 129
„ „ Nymphen von der
Rose (Frankreich) . . 133
Ritterorden, der (Deutschland) 323
„ deutscher . . . 120
Rittertum ...... 120- 129
Römisch - katholische Aposto-
lische Kongregation . 31S
Roschenia 103, 122
r
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Alphabetisches Sachregister.
541
Rose-Croix, Prinz von . . . 419
Rosenkreuzer LU
Rosenorden (Deutschland) . . 454
Rotes Kreuz von Konstantin
und Rom 412
Rote vom Berge (Frankreich) IM
Rothäute (Amerika) .... 504
Royal-Arch-Maurerei . . 411
Royal York zur Freundschaft
(Deutschland) . . 462. 4M
Russische Geheimbünde 121 -
235, 318 — 338, 382-3S4,
457, 4 50- 400
„ Ritter . . . 3S3, 411
S.
Sabazische Mysterien ... 42
Salpeterer (Deutschland) . . 524
Sam-tian-üesellschaft, s. Ghi-
hin-Bund.
Sanfedisten (Italien) . . 348- 350
Schnur-Anäher (Irland; . . 344
Schön herrsche Theosophen
(Deutschland) . . . 2 33
Schottenritus, alter und ange-
nommener 398, 428, 430, 457
Schottenritus, philosophischer 169.
3QX
Schottinenkapitel von Frank-
reich, souveränes . . 412
Schrödersches System 398. 462, 4M
Schulgesellschaft (Frankreich) . 332
Schwarze Hand, s. Mano Negra.
» Nadel (Frankreich) . 363
Schwarzflaggen (China) . . . 221
Schwarzfiifse (Irland) .... 114
Schwarze Ritter (Deutschland)
311, 342
Schwarzer Orden (Deutschland) 309
Schwedischer Maurer-Ritus . . 321
Schweizer Gesellschaften 117, 460
465, 514
Selvaggi (Wilde) 364
Senfkornorden 4 46
Sensenmänner (Polen) . . . 122
Septembristen (Portugal) . . 501
Shanavests (Irland) .... 114
Sicarii (Mörder) 364
Sicherheitsbund (Rufsland) . . 382
Sich-Fanatiker (Sikhs) . . . 5ü5
Silberkreisritter (Amerika) . . 523
Skandinavische Mysterien . . 63
Skopzen (Ru Island) . . . . 22.S
Slawische Gesellschaften . . 323
Söhne Amerikas, Patriotischer
Orden der 522
Söhne der Witwe (Manichäer) 24
120. 413
Söhne des Heiligen Georg (Ir-
land) 154
Söhne des Todes (Italien) . . 335
Sonderbare Gesellen .... 4»7
Sonnenritter 363, 413
Sophisierorden 532
Spanische Geheimbünde 140-152,
273 281,453.450,459,404,494 49.4
Stahlherzen (Irland) . . . . 34 1
Stern von Bethlehem. . . . .407
Stierkopfgesellschaft (Frankreich) 121
St. Patricksbursche (Irland) . 152
Strahlen (Italien) 132
Strikte Observanz . . . 397, 412
Strolche, Bettler, Diebe . . . 221
Studenten, deutsche .... 222
Sufismus 423
Swedenborg, F.manuel . . . 165
„ -Ritus . . 169, 331
T.
Tabakologische Gesellschaft . 50S
Tagesanbruchbursche (Irland) . 351
Tempeldamenbund .... 423
Tenipelherrenklerikat . . 389, 124
Tempelritter, moderne (Polen) 122
Templerorden (Tempelherren)
120, 122
Teppa-Gesellschaft (Italien) . 509
Terroristen, die (Italien). . . 135
Teufelsanbeter 112
Theoretische Brüder . . . . iss
Theosophen, erleuchtete. . 1 69
„ Schönherrsche . 236
Theosophie, moderne . . . .511
Therapeutiker S1
Th’ien-Hau-Hoi’h (China) . . 2U
Thugs, Thags, Thagismus(l ndien ) 1 91
Tibetanische Religion ... 54
Tiroler Geheimbund .... 332
Todesgesellschaft (Italien) . . 135
Totschläger (Ammazzatori) . . 3o5
Travaillcurs egalitaires . . . 333
Treue Polen 122
Trinitarier (Italien) s. Calderari
Trinosophisten (Frankreich) . 439
Troubadours 78, 112
Tsing-lien-kiao (China) ... 221
Tugendbund (Deutschland) . 122
U.
Unabhängige (Italien) . . . 141
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5-12
Alphabetisches Sachregister.
Unabhängiger Orden der Rot-
häute (Amerika) . . . 5(14
Unbedingte (Deutschland) . . 511
Union, deutsche 2io
Union, heilige (Italien) . . . IM
Unionisten (Deutschland) . . 5ü9
Unitä Italiana 565
llnterirdisches Prag .... 5S2
Unüberwindliche, irische . . 159
Utopia, s. Allschlaraffia
V.
Valentinianer SD
Vehine, s. Feme (Fehme)
Vendicatori (Italien) . . . . 515
Verbündete, italienische, s. Pla-
tonika
Vereinigte Freunde (Frankreich) IM
„ Irländer 151
„ Patrioten (Frankreich) 465
„ Slawen (Rufsland) . 1X1
Verlorener Sohn (Frankreich , . 25b
Verrückte Ratsherren (Deutsch-
land) 511
Verteidiger (Irland) . ... 151
Volksfreunde (Frankreich) . . 5i>7
Vollkommenheitsritus . . . lux
W.
Wahabis (Indien) ili j
Wahrheitsfreunde (Frankreich)
Wahrheitssucher (Frankreich) . IM
Waldenser ...... 117, LU
Weisheitsloge (Ägypten) . . 42b
Weifsc Bursche (Niederreifser. 450
Weifse Lilie (China'. . . 271, 275
Weifse Pilger (Italien) . . . IM
Weifsfiifse (Irland) .... Ml
Wölfischer Ritterorden (Italien) IIS
Weltkugeln, drei (National löge) Mi
462. 4bs
Welu (Melanesien) MS
Wiedergeburt, allgemeine(Frank-
reich) 465
Wietiergeburt, allgem. (Schweiz) 511
Wilde (Selvaggi) 164
Witwe, Söhne der, s. Manichäer
Wohlthätigkeitsritter .... 445
Wunder bare Vereinigung(China) 211
Y.
Yorkritus 1S9
Z.
Zerstörungsengel (Spanien) . • 2Sü
Zinzendorfscher Ritus . 5S9, 4 44
Zohariten 21
Zoroastrismus 1 1
Zweigeschlechtige Maurerei
44S. 449 — 456
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5dti5cfgc
neu«« aus bem Dcrlagc ber Kenaeriiben
BiitbbünMung, (Sebbarbt unb IDilifd; in Ccip3ig
Dr. 2!lar Uamtcr,
©a*i fcaii3ä|lfdjc tEljcntcr ber (ß egentu art.
VII! unb 199 3. in feinfter 3u«ftattuno. preis brefrfj. 4 2U., «letj. Qtb. S .'II.
«uf ®rimb oon '.Bcobadjtungcn, bic itt ifSarib, aljo oor beni ciflciit-
lidjen fforum bev fran.fßfijdicn 'Tramatif, getoonnen mürben, frijilbert ber
Sterfaffer bab franaöfijrfjc Sdjaufpielrcpcrtoivc bev granjofen, beffen t)cr-
»orrogeiibfte Erflcugniffc, ferner bic groücii Srtjaufpiclbirfjter bev neueren
geit, unb frf)iicfi(id) bic [erteil ffianblungcn innerhalb ber iungbvamatiftf)cu
Sdpdc ffraufrcirf)S. ffllit Harem ÜbcrjdiauungäocrtnOgcn *cigt Dr. Banner
überall bie gufatnmenljäuge üroijdjen Biil)ne unb Seben, meift er bie Cuetlen
narb, aus betten fid) bieje ober jene flfirfjtuttg cntroicfcln tonnte. ?lud) einige
'firoben aub befonberb midjtigcn Xramen fiitb beigegeben, baneben geiftoollc
Berglcitfjc jmiidjeu ben Stoffgebieten ber franftöfifafen Xramatit unb ber»
■jenigen aubercr Bölfer, namentlid) ber bcntfdjcn, gezogen. Dr Banner ift
oolltonuncn SWeifter beb oon if)tii bargeftcUten Etcgcitftaiibc«, mit frei n gef ii 1)1
unb mol)lgefd;ulter Mvitif tuetfi er and) bent ünicit bie oerfdficbcncn Ent-
roirflungbftufen beb Iramab unferer 'Jiadjbarn tiar ju ntadjen.
Dr. ijans yartlj.
Unter fiUIirfjcm Fimmel.
Uilber aus bem (Orient unb aus Italien.
CtnMlt: Orient: Srnprna — Cin fleinaftatifc&c* Dorf — Sijra — ®on 'Ätijeii
nad) bfm iidopomtf* — Xie Srnprniotirincn — Sltbfner ütübcvboßcn — SHerftubieu im Orient. —
51n# Italic« : ^tojaifdie« au« Morn — ^ic fticra oon Wrotta ^errata — Tic OJräfui Mirafiori —
fiUerfeden in :Mom — Tie Familie 3iomafo — 11 ProfeABore — La fesiA d«*l »anto — ^Jur
Wcfdjtdjte be$ rbmifdjcn Rarncoal« — Mafia unb Camorra — ?(u* ber ftrpubUt San Marino
— (Sin Seebab an ber Äbria — sJlu4 ben Annalen bet päpftli($cn SHrmee.
VIII u. 218 6. greift brof cb. 2 Itt., eleg. 0«&- 3 ***•
Ein prädjtigeb Budj, roddjcb jeber SJefer befriebigt aub ber £>anb
legen roirb. 5)ab 'Jfeue SB i eit er Journal äujfert fid) 3- ®- barüber
folgcnbcrmaficn: ffrifd), farbenooll, attidjaulid) unb — toaljr! $ab finb
bic beiuorftcdjcnbftcn Wertmale biefeb Budicö, beffen Sdiilbcriingcn fid) in
Stoei leile gruppieren, bereu erfter bem Orient, ber arocite italicnifrfjen
guftfinbeit gemibmet erfdjeint. Xer Stevfaffer madit fiel) in ber Einleitung
über bie gcjürdjtetcn IHmtbreifc» unb 3d)iiell3ug0'Etl)iiogvapl)cn luftig unb
er jeigt tfjnen in ber ffolgc, wie man’« ntadicn muff. ffreilidt bat man
ein paar Äleinigtciten nötig, locitn man Südicr, roic bas oovliegenbe,
fdjreibcn luitl : Wcnnuc, buvd) lang jährige Slutopfic enoorbene Kenntnis
bon Uattb unb Leuten, eine reidje 'Palette unb baS Sluge beb iffoctcn.
(Otto ?3clircn6.
£iafrtö. —
(Ein altnorbifcbes f}elöengeöid?t.
250 3. ßr. 8°. £rd* brofd?. 4 Jtl., (1(0. $eb. 5 JIT.
Otto Sefjrcnb, ber beveitb eine oon ber Mvitif anerfnnnte poetijdjc 'Bear-
beitung bev Sage Oon Söielanb bent Stfmticb gcbidjtct bQt. flieht in feinem
Sigfrib eine eigenartige larftelluug ber befannten Sage in it)rer altnorbijritcn
Wcftalt, fo bnf) mir oon betn guten Erfolge and) biefer iid)tung überzeugt fntb.
Seine Spradjc ift ntarfig unb formgeioanbt, feine Xarftcliung an(d)aulid)
unb runl)rf)aft bidjtcrifd). ©er ifreube an beutfritev Sage bat unb fid)
einen littcrnrifd)cn Wctuif) bereiten will, betn empfehlen mir „Sigfrib".
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Dr. 2ticl?arö 21lat?rcnlj©l(j :
^eneloit, <£r5&lfdjaf bon Cnmbrai.
(Ein tebcnsbilii.
1896. VIII unb 188 Seiten. frei* brcfd?. 4 211.
Gin frebenlbilb be* Crtbilcbof# von (Sambrai, ba4 auf ctngebenbem Stubium bcr öerfe
beifelbcn unb bcr leitgenöffHchcn vittcratur beruht, unb um fo banfeniwerter «ft, al» c« an einer
jaxcfmäfcigen Biographie in brutidjer Sprache bitber noch fehlt, 2ütr baben c» hier mit einer
objetttven, auo elfter \>anb gef&Öpften x arftcUwng ju tbun, bic auch bic Schwächen At*nelon*
nicht ocrfdjwcigt , aber Doch al» Cnbcrgebnt# ein Btlb ictcbnct, bem ber unbefangene freier feine
Sympathie nicht verjagen fann. —
Strang ^riffpar^er.
sein Sehen unb Situiffcn. Illit portrat unb ^afftmile.
18 JO. prei» brofdy. 4 Ml. Jn Qatbfranj $eb. ö 21?.
Xer Berfaffcr legt in biclem Buche bem Bublifum eine ^ubildumpfcbrift vor, me lebt feinem
ihorfcberfleifc tur größten (2b te gereicht unb eine wahrhafte, verbienftoaUe Bereicherung ber
biirftigen WrtUparjer vittcratur bebrütet fritterar. SJlcrfur XI. 5.
Scanne parc
in (Sefcbidite, Scgenhc unb Dichtung.
1890. prel» brofd?. 4 211. 3«t l)albfraitj geb. 5 21?.
Cine treffliche, beachtenswerte freiftuitg ift bie Monographie von SR., ber feine Stubien
über bie Jungfrau von Orleanl noch burct» etngebenbe Aorjcbungen auf ber IJarifer National«
bfbliotbtf vcrpoUftdnbigte. Scharf (cheibct er bic gcrabr hier fo üpptg wucbmtbe l'cgenbe von
ber beglaubigten (Hcfchicbtc unb giebt, frei van polittlcber unb rcligidfer Voreingenommenheit,
eine Xarfiellung ber Zbätigfctt unb wirtlichen Bebeutung Johanna«.
Xbtolog. ^abre«ber. Bb. X.
3ean:3acqucö lioitlTeau.
Cebcu, fßciftcscittroicfcluiig unb fynipttpcrfc. IlTit porträt.
1889. £rel# brofd?. 4 21?. 3« Qalbfranj geb. .» 21?.
Xie Arbeit von ®i. ift cine iebr vcrbtmfhtoHe. Sie fußt auf grünblichen Äenntniffen
unb eigenen CucUcnftubicit in nicht geringem Ilmfange. Xü# vorliegenbo tferf zeichnet ftch bann
ganj beionberf bureb unparteiliche XarftcUung, fcharfe unb lebcnbiae Cbarafteriftif au». Xer
elegante Stil macht t*a* BJerf &u einer anprbenben freftüre.
Blätter für litterar. Unterhaltung. 1890. Sir. 18.
prof. Dr. Unten (Dljont,
(«nmöjüflc bcr ücutfdicit frittcratHVflcfrifidjtc.
(Jm fieitfaben für höhere Schulen. Xrittc, vermehrte Auflage.
VI unb 178 Seiten, f>rei* brofdj. 1 211. 40 f>f., in cßanglcmcn geh. ? 2??. 80 fpf.
Xa» Buch «fl lein tiotfcner freitfaben im gewiV n heben Sinne bei Sorte#. Wan merft
e» ihm überall an, baß fein Berfaffcr au# bem Vollen feböpft unb mit ben neueften Aorftbungcn
wobt vertraut ift. Xaui ntrgenb» biirfttger Stil, tanbern eine Auibrucf »weife, bie ben poctifch
beanlagten Verfaffer erfennen läßt. Xic „tfkunbtüge" reichen bi» ju beit Ke tieften; ein ausführliche»
ÜHcgifter erleichtert bie ^mechtfinbung.
Dr. S. 211. -picnt,
.lttartiu ißrcif.
Perfuib ;u einer (Sefdjidjte feines fchens unb Dichtens.
5DJit Porträt unb 2 Abhebungen.
2. Auflage. frei* brofd?. 3 2t?., In fyilbfeber ach. 4 21t.
trine bingebertbe, liebevolle Arbeit unb ein wertvoller Beitrag *ur jeitgcnbfftfchrn fritte*
ratur. Xa« Breinfthe Buch bilbet gleichseitig eine (frgdnjung tu ber gegenwärtig erfefcemenben
Oefamt Aufgabe ber (Hrciffchen Alcrfe
MF” (3“ bejfetjcn burd? alle UuchbanMuitgcn.
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the last date stamped below. If another user
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be notified of the need for an earlier retum.
Non-receipt of overdue notices does not exempt
the borrower from overdue fines.
Harvard College Widener Library
Cambridge, MA 02138 617-495-2413
Please handle with care.
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